Nr° 1 Meisterwerke der Kunst März 2020 Fachblatt des Berufsverbandes Österreichischer Neuerscheinungen 2020! Kunst- und WerkerzieherInnen

Frutiger Next LT /Regular 150 pt // Laufweite +25 ISSN 2519-1667 ACHTUNG Text nur 10 Schriftfarbe für ganze Mappe: % der Hintergrundfarbe, hier 20% Prozent farbe!!! 15 mm P.b.b. GZ 02Z031508 M BÖKWE, Beckmanngasse 1A/6, 1140 Wien

Ausgabe 68 2020 I Straße, Platz68 und Raum Retouren an „BÖKWE, Brigittagasse 14/15, A-1200 Wien“ Meisterwerke der Kunst Meisterwerke der Straße, Platz und Raum

Mappe mit 12 hochwertigen Farbreproduktionen1. Masolino da Panicale im Format 24,5 x Heilung des Gelähmten und Erweckung der Tabitha (1424) Fresko Kunst 32,5 cm sowie einem 16-seitigen Begleitheft2. Gentile Bellini für den Unterricht mit BILDNERISCHE ERZIEHUNG | TECHNISCHES WERKEN | TEXTILES GESTALTEN Prozession auf der Piazza San Marco (1496) Tempera und Öl auf Leinwand

3. Jan Vermeer Beschreibung der Werke und einer Vita Häuserder in Delft Künstler. [Die kleine Straße] (1657/58) Öl auf Leinwand

4. William Hogarth Gin Lane [Schnapsgasse] (1751) In der Mappe sind vertreten: Radierung und Kupferstich 5. Giovanni Paolo Pannini Die Piazza Navona in Rom unter Wasser gesetzt (1756) Masolino da Panicale | Gentile Bellini | Jan Öl auf Leinwand Vermeer | William Hogarth | 6. Eugène Atget Rue des Ursins, Paris (um 1900) Fotografie

7. André Edouard Devambez Giovanni Paolo Pannini | Eugène Atget |Der André Angriff [La charge] (um 1902) Edouard Devambez | Öl auf Leinwand George Grosz | Max Beckmann | Christo8. George und Grosz Jeanne Claude | Martin Metropolis / The City (1916/17) Öl auf Leinwand

9. Max Beckmann Die Synagoge in Parr | Bodys Isek Kingelez Frankfurt am Main (1919) Öl auf Leinwand

10. Christo und Jeanne Claude Eiserner Vorhang, rue Visconti, Paris, 27. Juni 1962 Themen früherer Mappen: Temporäre Installation mit Ölfässern 11. Martin Parr The Last Resort 25 (1983–86) Farbfotografie

12. Bodys Isek Kingelez Musik (2005), Begegnung mit anderen KulturenVille Fantôme [Geisterstadt] (1996) (2007), Kunst und Verschiedene Materialien Fotografi e (2008), Stadt (2009), Zeichnung 1 (2010), Zeichnung 2 (2011), Scherz, Satire, Ironie, Humor (2012), Skulptur und Raum (2013), Mensch und Tier (2014), Körper, Haut und Hülle (2015), Köpfe und Straße, Platz Neckar-Verlag GmbH Klosterring 1 78050 Villingen-Schwenningen und Raum Gesichter (2016), In Bewegung (2017),ISBN Schrift 978-3-7883-9068-6 und Bild (2018), Paare ISSN 0171-3973 68 und Beziehungen (2019) Preis je € 5,50 (ab 5 Ex. € 4,50)

Meisterwerke der Kunst Quellen und Texte zu den Kunstmappen Die Quellen und Texte erscheinen zu jeder Kunstmappe. Sie enthalten Materialien wie Quellen und Texte z. B. Selbstzeugnisse der Künstler, Texte zu Werk, Person und Epoche, bzw. zum historischen Hintergrund. Je Ausgabe 64-80 Seiten Ab Folge 67/2019 im DIN A4-Format mit zusätzlichen Abbildungen (vorher DIN A5).

Straße, Platz € € 68 und Raum Preis je 4,– (ab 12 Ex. 3,–)

Großdruck in Kunstdruckqualität (Format 50 x 70 cm) Preis je Großdruck € 6,50 Neo Rauch Fremde (2016) Best-Nr. 90807

Über 35 Kunst- und Sondermappen zu verschiedenen Themen, Großdrucke in großer Auswahl und weitere Materialien! Neo Rauch (geb. 1957), Fremde, 2016; Öl auf Leinwand; 250 × 300 cm; © Neo Rauch, VG Bild-Kunst, Bonn 2020; Courtesy Galerie EIGEN + ART, Leipzig / Berlin; David Zwirner, New York / London / Hong Kong; Foto: Uwe Walter, Berlin Meisterwerke der Kunst Besuchen Sie unseren Webshop unter www.neckar-verlag.de! Das war:

Neckar-Verlag GmbH I Klosterring 1 I 78050 Villingen-Schwenningen 2019 der bökwe-Tagung und Workshops di[gi]alog – Vorträge Telefon +49 (0)77 21 / 89 87-55 /-81 /-49 I Fax +49 (0)77 21 / 89 87-50 Neckar-Verlag [email protected] I www.neckar-verlag.de BERUFSVERBAND ÖSTERREICHISCHER KUNST- UND WERKERZIEHER/INNEN Parteipolitisch unabhängiger gemeinnütziger Fachverband für Kunst- und WerkerzieherInnen ZVR 950803569 · ISSN 2519-1667 BÖKWE – Fachblatt für Bildnerische Erziehung, Technisches Werken, Textiles Gestalten und Organ des Berufsverbandes Österreichischer Kunst- und WerkerzieherInnen www.boekwe.at

Impressum Landesgeschäftsstellen: Medieninhaber und Herausgeber: Niederösterreich: Mag. Leo Schober [email protected] Berufsverband Österreichischer Kunst- und WerkerzieherInnen Oberösterreich: Mag. Klaus Huemer [email protected] Redaktionsleitung: Dr. Maria Schuchter Vorstand: Steiermark: Mag. Andrea Stütz [email protected] Layout und Satz: Dr. Gottfried Goiginger Dank an: 1.Vorsitzender: Dr. Rolf Laven, HS-Prof. [email protected] Burgenland, Salzburg, Tirol, Wien, Vorarlberg, Kärnten: Druck: Print Alliance HAV Produktions GmbH, 1030 Wien 2.Vorsitzender: Dr. Wolfgang Weinlich [email protected] Mag. Eva Lausegger [email protected] Offenlegung nach § 25 Abs.4 MG 1981: Generalsekretärin/ Fachblatt für Bildnerische Erziehung, Technisches Werken und Gechäftsstellenleitung: Mag. Eva Lausegger [email protected] Bundesgeschäftsstelle: Textiles Gestalten. Organ des Berufsverbandes Österreichischer Kassierin: Mag. Hilde Brunner [email protected] Brigittagasse 14/15, A-1200 Wien Kunst- und Werk erzieherInnen Fachvertretung: [email protected] Offenlegung nach § 25 Abs.1-3 MG 1981: Bildnerische Erziehung: Dr. Franziska Pirstinger, HS-Prof. [email protected], Berufsverband Österreichischer Kunst- und WerkerzieherInnen, [email protected] Kto. BAWAG-PSK parteipolitisch unabhängiger gemeinnütziger Fachverband von Technisches Werken: Mag. Erwin Neubacher IBAN: AT25 6000 0000 9212 4190 Kunst- und WerkerzieherInnen. ZVR 950803569 [email protected] BIC: BAWAATWW Textiles Gestalten: Mag. Susanne Weiß [email protected] Fotos von den AutorInnen, wenn nicht anders vermerkt. Fachinspektoren: Mag. Manuel Pichler, FI [email protected] Leitung der Fachblatt-Redaktion: Dr. Maria Schuchter [email protected] Redaktionelles sind präzise zu zitieren, Bildnachweise des 1. Monats im Quartal anzugeben. Landesvorsitzende: Redaktionsteam: Bezugsbedingungen: Niederösterreich: Mag. Dr. Heidelinde Balzarek Dr. Maria Schuchter (Leitung) Erscheinungsweise: Mitgliedsbeitrag (inkl. Abo, Infos): € 42.00 [email protected] [email protected] Vierteljährlich StudentInnen (Inskr.-Nachw.) € 21.00 Franz Billmayer Oberösterreich: Mag. Susanne Weiß [email protected] Normalabo: € 42.00 [email protected] Steiermark: Dr. Franziska Pirstinger, HS-Prof. Redaktion, Anzeigen, Bestellungen: Einzelheft: € 12.00 Mag. Hilde Brunner [email protected] [email protected] Beckmanngasse 1A/6, A-1140 Wien Auslandszuschlag (EU): € 3.00 Dr. Marion Starzacher Tel. +43-676-3366903 Zuschlag (Nicht-EU): € 8.00 MMag. Heidrun Melbinger-Wess [email protected] [email protected] email: [email protected] Es gilt das Kalenderjahr. Mitgliedschaft und http://www.boekwe.at Abonnement verlängern sich automatisch. LandeskoordinatorInnen: Beiträge: Kündigungen müssen bis Ende des jew. Vor- Burgenland: Constanze Pirch MA [email protected] Die AutorInnen vertreten ihre persönliche Redaktionsschluss: jahres schriftlich bekanntgegeben werden. Salzburg: Mag. Rudolf Hörschinger [email protected] Ansicht, die mit der Meinung der Redak tion Heft 1 (März): 1.Dez. Wien: Mag. Eva Lausegger [email protected] nicht übereinstimmen muss. Heft 2 (Juni): 1.März Wir ersuchen alle Mitglieder und Abonnen- Vorarlberg: MMag. Marina Schöpf [email protected] Für unverlangte Manuskripte wird keine Heft 3 (Sept.): 1.Juni ten, Änderungen ihrer Adresse und/oder Tirol: Mag. Sabine Schwarz [email protected] Haftung übernommen. Rücksendungen nur Heft 4 (Dez.): 1.September Emailadresse der Bundesgeschäftsstelle Kärnten: Mag. Anna Markut [email protected] gegen Rückporto. Fremdinformationen Anzeigen und Nachrichten jeweils Ende umgehend bekannt zu geben !!! EDITORIAL

Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser, Digitalisierung entzieht sich, wie viele andere Begriffe auch, einer exakten Definition. Sie hat nicht nur mit der Handhabung und Beherrschung der digitalen Technik zu tun; nicht nur – aber eben auch! Eine Reihe von Kolleg*innen stellte auf der Tagung in Graz konkrete Beispiele zu Einsatz oder Anwendung im Unterricht vor, sei es im Textilen oder Technischen Werken, sei es, um neue visuelle Praktiken zu erproben, oder sei es bei Verfahren im Zusammenhang des künstlerisch-bildenden Gestaltens. In den Beiträgen zu diesem Tagungsband finden Sie eine Fülle von Anregungen für Ihren Unterricht. Digitalisierung bedeutet im Weiteren eine Änderung der Wahrnehmung, der ästhetischen Ge- wohnheiten, der gesellschaftlichen und sozialen Strukturen, der Kommunikation. Auch künstlerische Produktionsprozesse sind davon betroffen. Digitalisierung wirkt in viele Lebensbereiche und Men- schen reagieren auf Veränderungen unterschiedlich. Unterschiedlich sind auch die vorliegenden Bei- träge. Manche sind sehr persönliche Statements, oft aus langjähriger Unterrichtserfahrung entstan- den, einige geprägt von einer gewissen Skepsis, auch Ablehnung. Andere sind im Sinne von Wis- senschaftlichkeit verfasst. Sie versuchen, einen Überblick zum Stand der Forschung zu geben oder neue Entwicklungen und Trends vorzustellen. Bisweilen entsteht eine geradezu weltanschauliche Debatte um die nun ja wirklich nicht mehr neuen Techniken und die durch sie entstehenden Vorteile oder Gefahren: Ab welcher Schulstufe sollen digitale Techniken im Unterricht wie verwendet werden? Bedrohen und verdrängen sie die für das Begreifen so wichtigen haptischen/taktilen Techniken und das Handwerk? Wie nützen wir im BE-Unterricht die durch die Digitalisierung so einfach gewordene Möglichkeit, Bilder zu produzieren? Wie verändert die scheinbar grenzenlose Verfügbarkeit und All- gegenwart von Bildern die Aufgaben und Zielsetzungen des BE-Unterrichtes? Wie muss eine digitale Grundbildung aussehen und was leisten unsere Fächer dafür? Leben wir nicht eigentlich schon im postdigitalen Zeitalter? Der Diskurs zum Thema ist vielfältig und der Tagungsband bildet diese Vielfalt ab. Zeit zum Lesen und Nachdenken wünscht Ihnen Maria Schuchter

BÖKWE 1_2020 | 1 EDITORIAL INHALT

Rolf Laven Inhaltsverzeichnis digital + analog = di(gi)alog Richard Kriesche Bernd Böhmer > die Zukunft gelingend ANALOG-DIGITAL-07-10-2019 Performance zur Eröffnung des denken und gestalten Digitalisierung: eine Verheissung (Keynote) S.6–11 Symposiums Di[gi]alog 2019 S.57–58

Gerald Lembke Rainer Buland, Nurjehan Gottschild Über den Umgang mit digitalen Medien Digitalisierung aus spieltheoretischer Die Digitalisierung stellt kein Zukunftsszenarium mehr dar, menschliche Exis- in der Schule und warum Digitalisierung und psychiatrischer Sicht S.59–65 längst befinden wir uns mitten im lebensweltlichen Wandel, tenz und das Mit- nicht schlau macht (Keynote) S.12–14 erleben drastische Veränderungen in enormer Geschwindig- einander bedeu- Impressionen eines gelungenen Dialogs S. 66–67 keit. Richtungsweisend und hilfreich scheint es, sich für die ten könnte. Jener Gustav Zankl Themen von morgen zu öffnen und sich diesen zuzuwenden. Teil der Bevöl- Technische Bildung im neuen Fachgegen- Maria-Anna Eckerstorfer Doch welche Entwicklungen zeichnen sich für die Zukunft ab? kerung, der sich stand Technisches und textiles Werken Ein Essay in Bildern: mein Smartphone – Darüber wurde Mitte Oktober beim Grazer BÖKWE-Kongress gegenwärtig nur der Sekundarstufe I (Keynote) S.15–21 (m)ein Werkzeug S. 68–69 unter dem Motto di[gi]alog debattiert. Fächerbezogen wur- marginal mit dieser Thematik beschäftigt, hat bezüglich der den unterschiedliche Blickwinkel rund um die Digitalisierung Digitalisierung gemischte Eindrücke und Erwartungen. Gerade Peter Baumgartner im Gespräch Timo Finkbeiner erörtert. Welche Perspektive auf diese und den diesbezüg- deshalb ist es wichtig, sich mit diesen Technologien verstärkt mit Franziska Pirstinger (Keynote) S. 22–23 Technikbezogener Unterricht in der lich wirkenden Veränderungsdruck eingenommen werden, vertraut zu machen, denn Erkenntnis verdrängt Angst. Darüber Grundschule S.70–73 scheint Ansichtssache zu sein. In Future Labs der Creative hinaus liegt es auch in der Verantwortung der Lehrenden, den Impressionen eines gelungenen Dialogs S.24–25 Industries, in der IT- und Hightech-Industrie hat sich die digi- Heranwachsenden Ängste zu nehmen und sie gleichzeitig auf Anneliese Franz tale Transformation längst durchgesetzt und zeitigt keinerlei Gefahren hinzuweisen. Es sollte das Interesse nicht fehlen, sich Peter Angerer Die springenden Farben – (Trick-)Film Akzeptanzprobleme. Die dort Agierenden befinden sich direkt ein Grundverständnis für die Einsatzmöglichkeiten von digitaler Zwischen 0 und 1 – Tagungsausstellung in der Grundschule? S. 74–78 am Puls der Zeit und versuchen, mit neuen, innovativen Pro- Technologie in der eigenen Lehre anzueignen: Sich den Digita- an der KPH Graz S.26–31 dukten und Dienstleistungen (ihr) Leben zu gestalten. Anders lisierungsmöglichkeiten zu öffnen, sich inspirieren zu lassen in Anja Gebauer stellt sich die Situation für Non Digital Natives dar. Eine große der Auseinandersetzung mit neuen Denk- und Arbeitsweisen, Nadia Bader, Michaela Götsch Zwischen Bild und Bildschirm – Zahl älterer Kolleg/innen befindet sich erst am Anfang des di- scheint prioritär wie hilfreich. Mit der Kamera im Rücken und dem Mit einer App im Kunstmuseum S.79–82 gitalen Wandels, verwaltet lediglich den Status quo und hat Mit dieser Tagungs-Fragestellung drang der BÖKWE digital Stift auf der Wand S.27–37 die Chancen unseres von digitalen Innovationen durchdrunge- und analog in ein neues Terrain vor. Die Grazer Tagung stellte Anne Glassner nen Zeitalters noch nicht voll erfasst bzw. geht damit wenig sich der Thematik, um den eigenen digitalen Wandel zu initi- Gabriele Bauer Performative Techniken in der Kunst- weitreichend um. ieren, voranzutreiben bzw. zu gestalten. Die Tagung bot einen Erasmus+ im Dialog mit Kunst- pädagogik – Achtsamkeit und Eine durchgehend digital verfasste Zukunft lässt sich jedoch Rundumblick auf innovative gestalterische Digitalisierung und und Kulturvermittlung S.38–41 künstlerisches Gestalten S.83–87 nicht stoppen! In den kommenden zehn Jahren wird ein we- handwerklich Analoges im Unterrichtsgeschehen. Damit wur- sentlich rascherer und tiefgreifender Wandel erwartet, als wir de ein sehr großes Themen- und Wissensspektrum geboten. Marcus Berkmann Karin Gollowitsch, Elisabeth Rabensteiner ihn in über 200 Jahren feststellen konnten. In einer Zeit inno- Die Tagungsteilnehmenden konnten im Tagungsangebot genau Ein Kommentar S.42–47 Bitte Warten … Die Verbindung wird vativer wie ausgrenzender Möglichkeiten stellt sich die Frage, dort einsteigen, wo der persönliche Wissens- und Informati- gehalten! S.88–93 welche Strategie diesbezüglich hilfreich sein könnte. Offen- onsbedarf lag. Bei rund fünfzig Themen gab es ganz sicher für Franz Billmayer sichtlich ist, dass man sich unter den stetig verändernden Rah- jeden sehr viel Neues zu sehen und zu hören. Zu den Work- Bildung als Investition – Chancen und Impressionen eines gelungenen Dialogs S.94–95 menbedingungen von überkommenen Gewohnheiten befreien shopleiter/innen und Referent/innen des Programmes gesellten Probleme der Bildnerischen Erziehung muss, um digitale Neuerungen nutzen zu können – ohne die sich noch weitere Fachkolleg/innen der Kunst- und Werk-Com- durch und mit digitalen Medien S.48–52 Christian Groß Vergangenheit zu vergessen oder gar zu negieren. Die traditio- munity als Überraschungsgäste. Erfreulich ist auch, dass wir Erfahrungswerkstatt Robotik S.96–101 nell vorwiegend handwerklich geprägten Schulfächer wie Bild- neue Mitglieder aus allen Bildungssektoren gewinnen konnten. Werner Bloß nerische Erziehung und Werken haben das Potenzial, innovati- Eine Standesvertretung wie der BÖKWE lebt von der Innovation Digitale Instrumente der Bilduntersuchung Christine Guttmann ve Ideen gestalterisch umzusetzen. Doch in der Digitalisierung und Entschlossenheit seiner aktiven Mitglieder. im kunstdidaktischen Fokus S. 53–56 Textil Unplugged – Spitze, dass du da bist S.102–104 steckt ebenfalls ein enormes Leistungsvermögen. Gleichzeitig Euch allen möchte ich meine große Dankbarkeit für besteht Besorgnis wie auch Ungewissheit darüber, was eine jedwedes Mitwirken zum Ausdruck bringen! vollständig von Digitalisierung geprägte Lebensführung für die Mit herzlichen, kollegialen Grüßen, Rolf

2 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 3 INHALT INHALT

Victoria Hamberger Andrea Mayr René Stangl Gerhild Tschachler-Nagy Zauberstäbe und Bögen – Die Nach- Wie verändert sich Schule im Zeitalter Lichtzeichen für Ankommende S.208–213 Das Analoge im Kunst- und ahmung von Elementen aus Fantasy- der Digitalisierung? S.157–161 Werkunterricht S.234–238 filmen in DIY-Video-Tutorials S.105–109 Sarah Starosky Impressionen eines gelungenen Dialogs S.162–163 Zum Bildungspotenzial des Materials – Mario Urlaß Christiane Hapt, Tatia Skhirtladze, Werkendes Gestalten in digitalen Zeiten S.214–216 Multiperspektivisch und multimedial – Isis Maria Várkonyi Andrea Mayr-Stalder, Sabine Schwarz Künstlerische Bildung in der Primarstufe S.239–244 Mobile Pictures – Kunst am und mit dem Digitales Sticken in der globalen Marion Starzacher Mobiltelefon S.110–112 Community und im lokalen Sehen – Experimentieren – Begreifen – Shannon Wardell Klassenzimmer S.164–167 Vom Einsatz Digitaler Medien im Lambent Interfaces – An Investigation Gert Hasenhütl Technischen und textilen Werken S.217–221 of Art and Science Collaborations, and Den digitalen Fluss malen – Eine Fall- Harald Meyer Why This Matters in Art Class S.245–249 studie mit einem analogen und digitalen Denken lernen (und) Probleme lösen S.168–173 Petra Suko Zeichen-Setting S.113–118 Transmediale Projekte im Kunstunterricht S.222–226 Silvia Wiesinger Helmut Nindl Sind Pinterest & Co der neue Lehrplan Susanne Henning Zeichnung – Analog/Digital – Johanna Tewes für die MTK-Fächer in der Grundschule? S.250–252 Skulpturale Erkundungen Werkzeuge der Bildproduktion S.174–178 Digitale Lernumgebungen im Kunst- postdigitaler Wirklichkeiten S.119–125 unterricht schülerorientiert gestalten S.227–231 Anna Zeilinger Delaja Oblak Förderung linkshändig Begabter im Impressionen eines gelungenen Dialogs S.126–127 Die verletzte Haut der Frau – Frauenbilder Impressionen eines gelungenen Dialogs S.232–233 BE- und Werkunterricht S.253–254 im Netz S.179–183 Rolf Laven Dialoge durch analog-ästhetische Hannah Perner-Wilson, Irene Posch Kunstsymposien S.128–129 Elektronische Textilien als Material und Werkzeug S.184–189 Ernst Hochrainer und Hans Krameritsch ZEICHEN und ICONS nachgefragt von F Veronika Persché ranziska Pirstinger S. 129–132 Handcrafting the Digital S.190–192

Gerrit Höfferer Franziska Pirstinger Webvideokultur – Eine kurze Geschichte Mama, ich erschaffe dir eine neue der Onlinevideos S.133–135 Welt – Beobachtungen zum Medien- nutzungsverhalten und zur Kinder- Monika Holzer-Kernbichler zeichnung der 6- bis 12-Jährigen S.193–198 Kunstvermittlung im Di[gi]alog S.136–141 Katrin Proprentner Kristin Klein, Manuel Zahn MaKey MaKey – Eine Banane als GoogleStreetView-Wanderungen – Leertaste! S.199–201 Aktuelle Unterrichtspraxis im Kontext postdigitaler Medienkultur S.142–146 Sabine Reisenbüchler Die Dämonisierung der Frau gestern Iris Laner/Birke Sturm/Cornelia Zobl und heute S.202–204 Was ist digitale Kompetenz in einer Kultur der Digitalität? S.147–152 Wolfgang Schreibelmayr, Wolfgang Hoffelner, Katrin Pro- prentner Rolf Laven, Wilfried Swoboda, Safwan Alshoufi … und es fliegt noch immer … S.205–207 Projekt Soundwords: Graphic Story Telling und Inklusion (Cizek extended) S.153–156

4 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 5 KEYNOTES KEYNOTES

nicht das gemeinsame wird gefördert, sondern das ein- same. es begründet sich darin, dass die gewissheit über das eigene ich, das selbst, im schwinden ist. nicht ich weiß über mein selbst bescheid, nicht ich bin im besitz meines ichs, son- dern es sind die „masters of the universe“, die herren der elektronisch-digitalen vernetzung. mitbegründet das novum und der eigenwert der digitalisie- rung: im wesen außerhalb des eigenen selbst zu sein; schick- sal zu sein, gott(!) zu sein. daher möchte ich auf den wandel der kunst, auf die her- ausforderung für die kunst und schließlich auf das potential der kunst im kontext der allgegenwärtigen und unausweich- Abb. 1 „du-bist-nicht- richard kriesche lichen digitalisierung zu sprechen kommen und damit auf das allein-installation“; sigmund besondere format der digitalisierung als einen prozess der freud klinik, graz, 2019. zahlenbasierten mediatisierung, der durchdringung und gene- fotocredit: cp-pictures ANALOG-DIGITAL-07-10-2019 rierung von wirklichkeit. denn digitalisierung ist immer auch ein mediatisierungsprozess. in der globalisierten, elektronisch-digitalen welt ist poten- tiell nicht nur jeder mensch mit jedem menschen verbunden, sondern wir sind ebenso mit den objekten des globus verbun- Abb. 2 „du-bist-nicht- digitalisierung: eine verheissung den. zwischen belebter und unbelebter materie verschwinden allein-installation“; sigmund die digitalisierung wird als verheissung für fast alle anste- die grenzen. Abb. 3 „du-bist-nicht- freud klinik, graz, 2019. henden probleme der gegenwart und der nahen zukunft her- ‚medium‘, in seiner ursprünglichen bedeutung meint mit- allein-kreuz“; himmel kogel, fotocredit: cp-pictures aufbeschworen, quasi als problemlöser für persönliche pro- te, damit ist bekannterweise die davon abgeleitete tech- niedere tauern, 2019. bleme und soziale probleme, für den weltfrieden bis hin zum nisch-technologisch gestützte vermittlung von informationen, Fotocredit: cp-pictures weltklima. die politik, die industrie, das militär, die medien, bzw. kommunikation von inhalten zwischen menschen3, ma- die bildungseinrichtungen, alle propagieren die digitalisierung schinen, geräten und apparaten gemeint. unter mediatisie- uneingeschränkt und flächendeckend als unumgängliches zu- rung verstehen wir im besten fall einen kommunikativen, in- kunftscredo. wer da nicht mittut, scheidet aus! propagiert teraktiven, dialogischen prozess – mit dem potential der ver- ken, erstmals gutenbergs buchdrucktechnik mit dem be- werden noch mehr computerpower, noch schnelleres inter- änderung bzw. verwandlung der an der mediatisierung betei- kannten ergebnis: die druckschrift löst die handschrift ab. net, glasfasernetze in jeden noch so entlegenen haushalt, 5g ligten und von ihr betroffenen. drucktechnik bedeutet damit zuallererst, die entmächti- mobilfunk für 360 grad videos und autonomes fahren, etc., projekt: du bist nicht allein (Abb. 1–3) gung der hand, die auslagerung der hand in die technik. etc. dies alles, um angeblich für die menschen das leben zu 2.2 der leere raum – ein technoraum; ein neuer kulturraum verbessern; dies alles, um aber auch im digitalisierungswett- kapital, wert und macht aufgestiegen. [die digitalisierung hat 1. macht und mächtigkeit der mediatisierung mediatisierung schafft auf der metaebene synchron mit bewerb den wissenschaftlich-technisch-technologischen an- bereits züge des religiösen angenommen.] die medientechnische prozessierung, ob im analogen oder di- der entmächtigung der hand einen – radikal neuen, voll- schluss nicht zu verlieren, bzw. um im besten aller fälle an die das denken im digitalen unter dem digital-rational-logi- gitalen, ist grundsätzlich ein dreistufiger prozess. kommen unbekannten, fremden, letztlich einen gänzlich weltspitze vorzudringen. schen, technisch-technologischen fortschrittsparadigma wird 1.1. enträumlichung des raumes, leeren raum – einen technoästhetischen medienraum, in als technologie hat digitalisierung alle wirklichkeits- und den herausforderungen unserer zeit nicht gerecht. digitalisie- 1.2. entzeitlichung der zeit radikaler differenz zu den klosterschreibstuben. dieser vor- wissensbereiche durchdrungen, bzw. überhaupt aufgelöst, rung im format der solitär-technisch-technologischen digita- 1.3. vervielfältigung der einzahl zur vielzahl mit dem potential erst auch feindliche raum sollte sich in der folge der tief- gleichzeitig radikal neue, bislang ungeahnte chancen und lisierung der it-konzerne unter ausschluss einer universalen der omnipräsenz in zeit und raum4. greifenden mediatiserung als mächtigster, potentieller kul- möglichkeiten eröffnet. damit lässt sich im nachhinein auch kulturalisierung2 ist nicht die lösung der probleme, sondern mit der umformatierung der wirklichkeit erweist sich der me- turraum manifestieren. die wucht und dynamik erklären, mit welcher letztlich das in- sie ist „das“ problem. es ist nicht erstaunlich, dass diese elek- diatisierungsprozess als zentraler treiber des gesellschaftli- 2.3 digitalisierung – entmächtigung des menschen ternet über den globus hereingebrochen ist. es erklärt den en- tronisch-digitale vernetzung immer weniger das zusammen- chen wandels. digitalisierung, nehmen wir hier erstmals vorweg, ist die thusiasmus, mit dem die vernetzte digitaltechnologie unisono leben zum besseren befördert, dass nicht die globale gewiss- entmächtigung des menschen: sowohl die seiner physi- von allen sozialen, politischen und ökonomischen systemen, heit über den zustand des globus steigt, dass vielmehr die 2. der mediatisierungsprozess ist ein schen existenz durch robotik, machine learning etc., als ungeachtet ihrer jeweiligen ideologien aufgenommen worden ungewissheit und die desorientierung zunimmt. erstaunlich genuiner produktionsprozess auch seiner geistigen präsenz durch virtuelle realität, a.i. ist, bzw. aufgenommen werden musste; und dies alles inner- hingegen, dass mit der exorbitanten zunahme an wissen die er generiert macht über menschen und ermächtigt menschen. algorithmen etc., wobei wir erst am anfang stehen, wie halb von weniger als 30 jahren1. in eben diesen jahren sind gewissheiten über die welt im schwinden sind und eine glo- 2.1 von der entmächtigung der hand zur auslagerung der hand uns das autonome fahren beweist. dies betrifft das wesen diese internetbasierten unternehmen zu weltmarktführern in bale desorientierung im steigen ist. am beginn jeder mediatisierung stehen immer techni- des menschen, sein selbst.

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2.4 digitalisierung – ermächtigung des menschen zeichnet sich dadurch aus, dass jetzt der mensch zum produkt sierung, algorithmisierung, fragmentierung, kapitalisierung und die zwingende auslagerung der hand – ganz generell die der digitalisierung wird. kontrollierung ohne sein zutun und seine kenntnis verfügbar ge- auslagerung des physischen in die sphäre des technischen macht wird: der mensch der digitalen moderne wird seines ei- und im besonderen in die sphäre des digitalen – sind einer- 5. die digitalen prozesse sind prozesse der genen selbst, d.h. seiner selbst entmächtigt. seits hinweise auf spezifisch neue herausforderungen, an- transformatierung des menschen (anm.: niemals würde jemand in der „alten“, analogen dererseits angebote der nutzung neuer potentiale, die auf der mensch erweist sich als die bedeutendste ressource der welt das von sich preisgeben, was das digitale-online-selbst eine kunst- und werkpädagogik im digitalen zukommen. digitalisierungsindustrie. datafizierung und digitalisierung zie- von seinem selbst freiwillig freigibt.) dazu das projekt „vom goldschmied zum datenschmied“: len nicht, wie noch in der analogen welt, auf sein äußeres ab, prof. werner schmeiser, renommierter österreichischer sondern auf sein innerstes, eben auf sein selbst. dabei führen 8. das digitale selbst_lose selbst goldschmied, erlitt einen hirnschlag, ist seither halbsei- die digitalen prozesse zu einem disruptiven prozess der trans- das zum dividuum umformatierte individuum erfährt sich im richard kriesche, geb. 1940 tig gelähmt. das projekt „vom goldschmied zum daten- formatierung des menschen. netz-ausgelagerten digitalen online-selbst [d-o-s]©r.k. im Abb. 4a aesthetik-des kapi- in wien. künstler, medien- schmied“ bezieht sich auf eine kooperation über internet digitalisierung und datafizierung verschaffen sich in pausen- buchstäblichen sinn als „selbst_los“, „sein selbst los“, „sei- tals_KunstFreiheit_2007 künstler und -theoretiker, mit vier weiteren körperlich beeinträchtigten personen zur loser suche zugriff auf das innerste wesen des menschen, auf nes selbst verlustig“. 9 ausstellungsmacher, kreation einer idedalen figur auf basis ihrer datenbasierten seine individualität, seine singularität, seine einzigartigkeit, auf im buchstäblichen sinn ist mit dem selbst_verlust das divi- kurator von kunst- und kooperation via computer und internet. sein selbst. dieses selbst7 ist eben jener innerste wesenskern duum alle seine selbsts los, die ihn zu einem sozialen, verant- Abb. 4b aesthetik-des kapi- wissenschaftsaussstel- des menschen, das zentrum seiner persönlichkeit und seiner wortlichen wie autonomen leben ermächtigen und selbst_be- tals_KunstKapital_2007 lungen, herausgeber 3. der konflikt zwischen dem tradierten identität, das allein sein leben stabilisierend, lebenserhaltend, wusstsein, selbst_verständnis, selbst_wertgefühl, selbst_si- von kunstzeitschriften, eigenen leben und dem neuen fremden konfliktlösend zu organisieren versteht. dieses selbst ist das um cherheit, selbst_erkenntnis, selbst_verwirklichung, selbst_ galerist und publizist. seine jeder technisch generierte neue wirklichkeitsbefund stellt den ganzheit bemühte, konsistent fühlende, denkende und handeln- ständigkeit gebracht haben. künstlerischen arbeitsfelder menschen vor die herausforderung, mit der hereingebroche- de wesen, … das zwischen dem eigenen innersten wesen und (anm.: das ist keine digitale vision oder gar paranoia, son- umfassen foto-, video-, nen neuen wirklichkeit und dem bisherigen tradierten eigenen seiner außenwelt vermittelt, … das den selbstwerdungsprozess dern faktum.) computer-, netzkunst, leben zurechtzukommen – personal wie sozial.5 dieser kon- zum eigenen ganzheitlichen selbst bildet, … das den menschen digitalisierung und datafizierung bringen den menschen installationen, performance flikt bedeutet: für die menschen geht es entweder um ein letztlich ermöglicht, – nach c.g.jung – sich selbst in der vielfalt um sein selbst – und dies mit allen konsequenzen einer und multimediakunst. mit scheitern vor der noch fremden wirklichkeit oder um die an- und in der einheit zu erkennen.8 ent-subjektivierung und ent-humanisierung. das projekt „ästhetik seinen skulpturen und verwandlung des neuen wirklichkeitsbefunds und dessen kul- die digitalisierung generiert aus dem einstigen, singulä- des kapitals“ (erstmals installationen war kriesche turalisierung(!)6. ren, um die ganzheit bemühten selbst des individuums ein 9. digitalisierung der desorientierung kenntnis aus den tagen der späten moderne verdanken wir skulpturenmuseum marl, u.a. mehrmals an der 3.1 mediatisierungsprozesse sind prozesse der veränderung dividuum, die doppelfigur aus einem biomorphen-mental-sin- wenn unter den bedingungen der solitär-technisch-technologi- peter drucker10. [österreicher, gründer der ersten manage- 2007/2008) zeigt kriesche documenta kassel und der der wahrnehmung und der wirklichkeit … gulären-selbst [m-s-s] ©r.k. und einem digital-vernetzten-on- schen, digitalen dividualisierung für das lebenserhaltende und mentschule in den usa, einer der weltweit bedeutendsten als einen der ersten biennale venedig vertreten. zumal wirklich ist, was mediatisiert ist, bzw. was in den line-selbst [d-o-s] ©r.k.: ein hyperindividuum! lebensteuernde selbst die stabilisierung, kompromissbildung, managementvordenker, 1909–2005] seine erkenntnis „what künstler weltweit, der die er erhielt als erster öster- medien erscheint. digitalisierung ist aber nicht nur ein fremder zu-griff auf das etc. nicht mehr möglich sind, ist eine grundsätzlich negati- gets measured gets managed“ [© p. drucker] entfaltet ihre kapital-und wirtschaftskrise reichischer künstler einen 3.2 mediatisierungprozesse sind prozesse der verwandlung eigene selbst im menschen, sondern ein fremder ein-griff in ve gesamtbefindlichkeit der menschen die folge: das äußert volle gültigkeit und wirkkraft im kontext der digitalen moder- in ihrer globalen dimension preis der biennale venedig. der menschen … das selbst-sein des menschen. in der digitalen moderne ist sich konkret in „fehlendem vertrauen, ängstlichkeit, allgemei- ne: und kulturellen globalität kriesche ist u.a. träger des sie leiten die menschen heraus aus ihrer anonymität zu der datafizierte mensch nicht mehr bei sich selbst. ner unsicherheit, unwohlsein, zustände des allgegenwärtigen die digitalisierung und datafizierung des menschen führt zeitgenau zum inhalt seiner österreichischen medi- ihrem potential der individualität, singularität und ein- unglücks und schließlich in einer generellen desorientierung.“ zu einer tiefgreifenden vermessung des menschen und die- kunst gemacht hat. gegen- enkunstpreises. ab mitte maligkeit. diese prozessierung des menschen ist zu wei- 6. digitalisierung, die auslagerung des selbst (zit: wikipedia) se zu einem radikalen zahlenbasierten management seiner in- wärtig findet mit kriesche der 90er jahre, mit dem ten teilen der mediatisierung geschuldet. mit der guten- die menschen der digitalen moderne räumen dem „digita- unter diesen vorzeichen erweist sich die solitäre, tech- dividualität, personalität, identität und seines selbst, letztlich unter internationaler beteili- austritt kriesches aus dem berg‘schen drucktechnik wurde nicht nur die hand des len-vernetzten-online-selbst“ (mind), im format der dividuellen nisch technologische digitalisierung als ein prozess der ent- seines menschseins. gung im museum moderner kunst- und kulturbetrieb menschen entmächtigt, sondern andererseits konnte der präsenz vorrang gegenüber dem biomorphen „mental-singu- fremdung vom selbst und einer generellen entkulturalisie- mit anderen worten, die digitalisierung des menschen, die kunst wien die ausstellung wurde der „realbetrieb“, mittelalterliche mensch erstmals darin seine eigene we- lären-selbst (matter)“ im format der schwerkraftgebundenen rung. akribische fremd-vermessung seines selbst, managt sein we- „kunst mit kalkül“ statt. d.h. die interdependenzen senhaftigkeit erkennen und entwickeln, sich seines selbst existenz ein. es zeigt sich die macht der mediatisierung: digi- sen, von dem er sich zunehmend entfremdet. die arbeit „du bist nicht von kunst, gesellschaft, bemächtigen: die bibel war – dank gutenbergs drucktech- talisierung folgt der mediatisierung. „wirklich ist, was digitali- 10. digitalisierung : ein zahlenmanagement allein“, publiziert als technologie und wirtschaft nik erstmals breit und preiswert verfügbar –, sie konnte siert in den netzen erscheint.“ digitalisierung ist die bislang tiefgreifendste vermessung von 11. digitalisierung – die konvertierung des menschen in Titelseiten der „kleinen zei- zu seinen zentralen selbst gelesen, selbst interpretiert und verwahrt werden. welt und wirklichkeit. da die kunstmuseen, kunstgalerien, zahlen, in einen datensatz tung“ während der Kartage arbeitsfeldern. mit dem (genau besehen sind das erste anzeichen eines individua- 7. das digitale-online-selbst kunstfestivals etc. der auffassung sind, diese realität ausblen- digitalisierung ist letztlich die vermessung des menschen, ist 2019, hat den „european projekt „ART-SAT“ wird lisierten, autonomen selbst!) das selbst des menschen, das allein seine autonomie, identi- den zu können, stelle ich ihnen in absoluter kurzfassung das das zahlenbasierte management seines wesens. die vorga- newspaperaward“ in erstmals in der geschichte tät, individuallität bewahrt, bildet, formt, sicher stellt und stets projekt „aesthetik des kapitals“ vor. (Abb. 4a+b) ben dazu liefert das i.o.t. – das internet of things. i.o.t. ist der kategorie „titelseite“ der russischen raumfahrt 4. digitale moderne aufs neue generiert, wird im format des digitalen-online-selbst der wesenskern der digitalen vermessung ist nicht allein per definitionem eine internetverbindung, die computerisierte erhalten. in der raumstation „MIR“ in der sphäre des analogen wurde die menschliche wahrneh- digital umformatiert, indem es den global agierenden treibern die konvertierung des zu vermessenden, sondern das zahlen- geräte mit alltäglichen dingen verbindet – die das senden und kontakt: richard @ ein kunstprojekt realisiert. mung zum produkt der technisierung. die digitale moderne und akteuren der digitalisierung zur kommunizierung, ökonomi- basierte management des bereits vermessenen. diese er- empfangen von daten möglich macht. kriesche.eu

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das digital vermessene, zahlenbasierte management hat 14. kulturalisierung der digitalisierung 1 frühphase mitte der 60er jahre; abschaltung des arpanet; start der bereits eine ebenso selbstlose und entsubjektivierte analoge bezugnehmend auf das globale datafizierungsszenario möch- kommerziellen phase des internet// 1990 – vor 30 jahren – world vorgeschichte. te ich mit einer feststellung aus richard david prechts publi- wide web; EUROPA berners lee; cern // 1998 gründung von google projekt: zahlenfotos buchenwald (Abb. 5) kation „jäger, hirten, kritiker“ schließen und nochmals zurück (vor 21 jahren). auf gutenberg kommen: „in der geschichte der menschheit 2 letztlich die humaniserung als großen anspruch von welt und wirk- Abb. 5 unterarme von 12. digitalisierung und das diente die kultur dem leben und die technik dem überleben.“ lichkeit zum inhalt haben. kz-haeftlingen-auschwitz- kreative selbst (joseph beuys) heute bestimmt die technik unser leben, so precht, und 3 darin liegt die machtfrage der medien begründet. birkenau joseph beuys (1921–1986), ein ikonischer künstler des 20. fragt weiter, „welche kultur aber sichert unser überleben?“ 4 an die stelle der immanenz tritt transzendenz. Jhs, hat im kontext der gesellschaftlichen kulturalisierung, und an anderer stelle: „wie schaffen wir es, dass unsere aus 5 das ursprüngliche feld der kunst, ihr „ursprung“. sozialisierung und humanisierung das ebenso berüchtigte guten gründen lieb gewordenen ‚menschlichen – humanen, 6 die kernbotschaft von kultur: die aneignung des fremden und die ent- wie missverstandene credo geprägt „jeder mensch ist ein ethischen, moralischen werte‘ überleben, und damit am ende eignung des gewohnten. Copyright zu den bildern: künstler.“11 noch in den vorzeiten von internet und digitali- die spezies mensch nicht ausstirbt … und wir so nicht in einer 7 nach c.g.jung, stellt, das selbst das zentrum der menschlichen psy- aesthetik-des kapitals_ sierung hat beuys damit das eigentliche neue bild des men- zweiklassengesellschaft, von mit konsum und bespaßung ab- che dar, die das menschliche bewusstsein und unbewusstes um- KunstFreiheit_2007; schen und der gesellschaft für das 21. Jh entworfen und gespeisten ‚nutzlosen´ aufwachen und aufwachsen, die nur fasst. das ich stellt den bewussten teil des selbst dar, der danach r kriesche antizipiert.12 als datenträger von einigem wert sind.“. streben sollte, sich schrittweise der inhalte des selbst bewusst zu aesthetik-des kapitals_ beuys schuf ein bewusstsein für das „kreative selbst“, die er führt darin zwei begriffe an, die punktgenau auf das von werden und dessen vielheit und einheit zu erkennen. KunstKapital_2007; schöpferische kraft, welche im eigenen denken begründet josef beuys postulierte kreative_selbst des künstlers zutreffen: 8 nach c.g. jung stellt das selbst das zentrum der menschlichen psyche r kriesche liegt.13 „jeder mensch ist ein künstler“ bedeutet für beuys, precht spricht von „selbst_ ermächtigung“, und „selbst_orga- dar, das sein leben stabilisierend, lebenserhaltend konliktlösend zu du-bist-nicht-allein_ künstler zu sein, ohne explizit ein kunstwerk machen zu müs- nisation“ und „selbst_verantwortung“. [anm.: dies darf auch organisieren versteht. das selbst ist das um die ganzheit des men- kreuz_auf-dem-himmelko- sen. der künstler ist zum rolemodel für das von ihm postu- als antithese zur „selbst_losigkeit“ des digitalen dividuums schen bemühte, konsistent fühlende, denkende und handelnde we- gel-2019; v_hohenadler lierte kreative selbst aufgestiegen: selbst keine normen aner- ausgelegt werden!] sen, das zwischen dem eigenen innersten wesen und seiner aus- du-bist-nicht-allein_sigm- kennend, unberechenbar, ungesichert, spekulativ, risikobereit, auf den boden gebracht, erfordert dieser konflikt eine ra- senwelt vermittelt. das selbst bildet den selbstwerdungsprozeß zum freud-klinik; 2019; entgrenzend; der aktionsraum ist das unbekannte! dikale kulturalisierung der digitalisierung, es braucht die kunst eigenen ganzheitlichen selbst, das dem menschen letztlich ermög- r kriesche der kreation eines „digitalen selbsts“. dieses „digitale selbst“ licht, „sich-selbst“ in der vielfalt und in der einheit zu erkennen. unterarme von kz-haeftlin- 13. digitalindustrie bildet die basis einer erstmals genuin-digitalen kultur, in wel- 9 so sind in summe alle suchmaschinen metamaschinen des dividu- gen-auschwitz-birkenau; um keine missverständnisse aufkommen zu lassen: das zi- cher sich die hyperindividuen in ihrem neuen selbst erkennen ums auf der suche nach dem verlorenen selbst. wikipedia tat meint in der ära der digitalisierung keine apotheose für können und sich selbst in der realisierung des digital_gesell- 10 peter drucker, pionierdenker, gilt als einer der wichtigsten manage- ein künstlersein, sondern ist ein nachgefragtes, willkomme- schaftlichen_selbsts – dem neuen sozialen paradigma – zu ment-vordenker aller zeiten, practisce of management : für peter nes asset der avantgardeunternehmen der digitalindustrie. sich finden und erfahren können. drucker ist management eine gesellschaftliche funktion, ein beruf dieses kreative selbst findet sich paradoxerweise gerade damit zur utopie und damit zur kultur im digitalen leben: mit verantwortung gegenüber gesellschaft, gemeinschaft und indi- nicht auf den plattformen der avanciertesten internetgigan- es steht die radikalisierung der kunst an zur kreation eines viduum gleichermaßen, “a liberal art in which the humanities will ten. pardoxerweise fahnden gerade diejenigen danach, de- „digitalen selbsts“ – eine kunst, die sich in ihrem kreativen again acquire recognitism, impact and relevance, because manage- ren absicht es ist, die menschen zu selbst_losen_dividuen selbst_verständnis in der kreation eines „digitalen selbsts“ im ment deals with people, their values, their growths and develop- zu managen(!). selbst_erleben zum ausdruck bringt, auf die sich eine digi- ment.” (*1909 in wien; †2005 in claremont, usa). nach andreas reckwitz stellen die internetgiganten ihre tal-human-kreative gesellschaft selbst berufen, selbst erleben 11 mit seiner aussage, jeder mensch ist ein künstler, wandelte beuys mitarbeiter völlig unabhängig von ihren fachgebieten und und selbst zu realisieren vermag. das zitat von novalis: jeder mensch kann ein künstler sein, von der unabhängig von ihren eigenen stellenausschreibungen ein. © richard kriesche, 2019. möglichkeit in eine ist-form um. [a.reckwitz: „zur erfindung der kreativität“] 12 im gegensatz zum bild des menschen als konsumenten seines be- 1. facebook zit: „man sucht einfach nur ‚clevere leute‘.“ rühmten zeitgenossen andy warhol künstler. 2. amazon zit: „man sucht explizit ‚kreative menschen‘“. 13 damit sage ich nichts über die qualität. ich sage nur etwas über die um sich dazu ein bild zu machen: die beschreibung der prinzipielle möglichkeit, die in jedem menschen vorliegt (…) das obwohl wir uns erst am beginn dieser entwicklung befin- leitungsfunktion für amazon deutschland enthielt insgesamt schöpferische erkläre ich als das künstlerische, und das ist mein den, ist das datafizierte, zahlengemanagte individuum im for- 1.803 worte. fünfmal kam amazon vor, gleichauf mit , kunstbegriff. (die zeit) mat des „selbst_losen_dividuums“ bereits auf der höhe eines aber 21 mal „creative“. per se „selbst_losen_dings“. je kompatibler die dinge unter- 3. google zit: „fachkenntnis ist der unwichtigste faktor, einander sind, desto selbstloser haben sie zu sein. das digital denn ‚nichtexperten‘ gelänge es oft viel besser, neue lösungen vernetzte „selbst_lose_dividuum“ im format des „digitalen_ zu finden.“ zit: personalchef laszlo bock. [anm.: bei jährlich 2,5 online_selbst“ ist per se ein „thing of the internet“, eben ein millionen bewerbungen, wobei 5.000–7.000 mitarbeiter jähr- „zahlenbasiertes ding unter anderen dingen“. lich eingestellt werden.]

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Gerald Lembke Wirklich engagieren tut sich niemand, wenn es nicht zu mehr siertes Lernen, in kürzerer Zeit kann ohne PC der gleiche Stoff Freizeit oder Work-Life-Balance führt.“ (2015) gelernt werden. Gerade wenn es um die Entwicklung neuer Lösungen Digitale Medien nutzen das limbische System. Je länger Über den Umgang mit digitalen Medien geht, versagen die meisten Menschen, weil sie nur Copy und man im Netz ist, desto anfälliger wird man für Werbung und in der Schule und warum Digitalisierung Paste beherrschen. Während diese Generation dauerhaft ab- Konsum. (blinder Fleck – App-Käufe) gelenkt ist und sich auf nichts mehr konzentrieren kann, hat Die digitale Wirtschaft kennt die emotionalen Bedürfnis- nicht schlau macht sich Einstein dauerhaft mit einem Thema beschäftigt, das se von Menschen. Heerscharen von Psychologen und kreati- er vielschichtig angegangen ist: Über den Tellerrand schau- ven Köpfen arbeiten in Silicon Valley an der Lustmaximierung. en können, viele Informationen zusammenführen, Dinge ab- Man will Langeweile verhindern und Dauerbeschäftigung wägen können. Dieser kreativen Denkprozesse bedarf es, um schaffen. Alles Wissen zu müssen, hat auch mit Macht zu Die gute Nachricht ist: Wir haben heute Zu- die immer häufiger anzutreffende Unfähigkeit, einen einiger- neue Lösungen zu entwickeln. tun. Alle Infos in Silicon Valley sind daraufhin optimiert. gang zu Informationen, die es uns ermögli- maßen fehlerfreien Brief zu formulieren oder den Dreisatz im chen, Zukunft zu gestalten! Alltag anzuwenden. Man ist irritiert über die Angepasstheit, Die Begriffe „Lernen“ und „Bildung“ sind Zauberworte Digital macht nicht schlau, sondern müder Digital ist das leitende Mantra unserer Gesell- den Materialismus und den fehlenden Rebellionsgeist der Ge- des Marketings, um Eltern bei der Angst zu packen, Die Hirnrythmen werden durch elektronische Medien stark schaft. Zu viele moderne Mythen haben sich neration der „Millennials“. Oder – umgekehrt – über fehlen- ihre Kinder nicht früh genug auf den Kampf ums Über- beeinflusst. Kinder reagieren mit Überaktivität, Konzentrati- um das Thema gebildet, die kritische Diskus- den Ehrgeiz und unterentwickelte traditionelle Tugenden. Und leben vorzubereiten onsschwäche, Schlafstörungen und Kopfweh. Doch gesunder sion wird blockiert. Aufklärung ist notwendig. man ereifert sich über die große Rolle, die Freizeit und Spaß Viele Lernplattformen gaukeln vor, kognitive Entwicklung zu Schlaf ist das Tor zu einer soliden Gedächtnisbildung. Ganz klar: Es geht nicht um die Frage, ob wir bei den jungen Leuten spielen, die doch am Anfang ihrer Kar- fördern, bewirken aber das Gegenteil. Unter dem Motto „Ma- Wischen macht nicht schlauer. Durch Wischen, Tippen und Gerald Lembke, Buchautor, digitale Medien in der Bildung nutzen. Viel- rieren stehen (oder stehen sollten) (Lembke 2019). chen Sie jetzt Ihr Kind spielerisch fit für den Schulstart“ geht Klicken kann man nichts begreifen. Dauerbeschallung lenkt Digitalpionier, Mana- mehr ist zu diskutieren, wann und wie Compu- In der Studie Menthal App (2016) wurden 14- bis 66-Jäh- es um angeblich „kindgerechte Heranführung an den Compu- ab. Intelligenz entwickelt man, indem man Dinge anfasst. ger und Unternehmer ter bestmöglich zum Einsatz kommen. rige ein Jahr lang bezüglich Smartphone-Nutzung beobachtet. ter und die Welt des Internets“. Den Produzenten geht es aber Lernen kommt durch Be-greifen. Im Begriff „Handlung“ steckt studierte Wirtschafts- und Die höchste Nutzungszeit erreichen 14- bis 19-Jährige mit nicht um Bildung, es geht um crossmediales Marketing, um nicht zufällig die „Hand“ – und der Begriff bildet auch nicht Sozialwissenschaften. Er Der folgende Text wurde von Franziska Pirstinger als Zusam- 6,5 bis 7 Stunden täglich. Diese Gruppe kommt auf bis zu Kinder durch wechselnde Querbezüge in die kommerzialisier- zufällig mit dem Verb „be-greifen“ eine Wortfamilie. Kognitive arbeitete als Manager bei menfassung des Vortrags verfasst. 170 Aktivierungen des Handys pro Tag – ca. alle 3 Min. wird te Verwertungswelt zu locken. (S.41) Treiber ist die IT-Lobby. Prozesse wurzeln in praktischen Erfahrungen, so begreifen wir Bertelsmann und leitete an- das Handy entsperrt. Nur 10 Min. davon wird telefoniert – Diese berät Politiker und Bildungsexperten. Wenn man sich die Welt (S.122). Daher ist auch das Mit-der-Hand Schreiben schließend zehn Jahre lang Digitalisierung in der Schule folgt folgenden hauptsächlich hält man sich auf Facebook und anderen sozia- heute eine Studie anschaut, muss man unbedingt genau hin- so wichtig, wie asiatische Studien belegen – die Motorik des das eigene Unternehmen. Irrtümern: len Netzwerken auf, nutzt Messenger-Dienste oder chattet. schauen, welche Geldgeber sich hinter den Studien verste- Schreibens macht schlauer, so wie die natürliche Bewegung Der Professor für digitale u Je früher wir Kinder an Aufgaben heranführen, desto fitter Jedes zweite Foto ist ein Hund, eine Katze oder ein Baby. cken. Die IT-Lobby ist ein mächtiger Investor, ebenso wie die in der Lernumgebung. Körperliche Aktivitäten schlagen sich Medien und Medienma- seien sie im Leben. WhatsApp wird als die effizienteste Form der Kommunikation Bertelsmannstiftung mit Liz Mohn, die das Bildungsgeschäft eins zu eins in den Rindenfeldern des Großhirns nieder, wobei nagement erforscht die u Man solle die Lebensrealität in die Schule hineintragen. gesehen. „Jeder ist fully informed – jeder glaubt das ganze neben Medien und Dienstleistungen zur dritten Säule auf- sie die Struktur und Ausdehnung der neuronalen Netze beein- Trends der Digitalisierung u Bring your own device! Das eigene Handy und das eigene Wissen am Handy zu haben und fühlt sich wie Einstein …“ baut. Das mittelfristige Umsatzziel: rund eine Milliarde Euro. flussen. Soll das gut gelingen, müssen kleine Kinder differen- und deren Auswirkungen Tablet sollen in den Unterricht mitgebracht werden. Unsere Jugend wird zu Smartphone-Junkies, zu Wischwelt- Das Erfolgsmagazin GEO ist ebenso Teil dieser Stiftung – das zierte körperliche Aktivitäten entwickeln. Sie sollen die Hände in der Zukunft. Er ist eine Aber vergessen wir nicht – die modernen Devices sind stör- meistern ausgebildet. Dazu die Aussage einer Studentin: Heft Nr.12/14 „Digital macht Schlau“ ist ein Werbeheft der verwenden, um Bilder zu malen, zu matschen, um Knetfigu- „wichtige Anlaufstelle in anfällig, funktionieren oft nicht, veralten schnell und stören „Wir sind selbst erschrocken über unser Verhalten. Das IT-Branche. Konzerne wittern Milliardenumsätze in der Bil- ren zu formen und alle möglichen feinmotorischen Tätigkeiten allen Fragen der Digitalität“ deshalb häufig den Unterricht. Außerdem verstärken sie so- Dauerdaddeln und Teilen von Spaßvideos im Internet ist unse- dung. Mit Studien, die regelmäßig den digitalen Rückstand mit den Händen auszuführen. Dadurch werden Vernetzungen (Wirtschaftswoche) und ziale Unterschiede. Der „learning outcome“ wird immer we- re Realität, und viele merken nicht mehr, dass sie damit die des Bildungssystems beklagen, sichern sich Unternehmen in den sensomotorischen und assoziativen Rindenfeldern an- gilt in den Medien als „der niger erreicht. reale Welt komplett ausblenden. Die Panik kommt ein paar und Verbände Zugang zur Schule und treiben so die Privati- gelegt, die zeitgleich mit dem Kleinhirn reifen. Gerade präzise Experte für den Umgang Studierende scheitern, so Lembkes Beobachtungen, im- Tage vor dem Abi oder unmittelbar danach, wenn viele ein- sierung in diesem zentralen Bereich der Gesellschaft voran. Handlungssequenzen der Feinmotorik lassen Synapsen aus- mit digitalen Medien“ mer häufiger an Drei-Satz-Aufgaben. Jedoch ist ein logisches, fach nicht wissen, was sie machen sollen, außer YouTuber zu Durch Digitalisierung wird Bildung verfügbarer und bezahlba- sprossen, wodurch differenzierte Verschaltungen entstehen. (ARD, ZDF, WDR, Hes- strukturiertes Denken die Voraussetzung für das spätere Pro- werden.“ Und eine 26-jährige Bachelorabsolventin aus einer rer. Bildung aber reduziert sich damit auf „Employability“ (Be- sischer Rundfunk, SWR, ...) grammieren bzw. für Wahlfreiheit in der Berufsentscheidung. Mannheimer Werbeagentur bestätigt diese Selbstbeschrei- schäftigungsfähigkeit) – also die ökonomisch effiziente Ver- Eine Kindheit ohne Computer ist der beste Start ins di- „Was ist nur mit den jungen Leuten los?“ Ertappen Sie bung einer Generation: „Viele von uns leben in einer Spaß- wertung menschlicher Arbeitskraft! (S.178) gitale Zeitalter sich auch manchmal bei diesem Stoßseufzer – oder hören gesellschaft, in der Anstrengung vermieden wird. Wir ver- Kinder erleben in unserer Welt genug Digitalität. Kinder sind Sie ihn aus dem Mund von Freunden oder Kollegen, die sich bringen einen gehörigen Teil unseres Lebens mit der Suche Web based Learning hat einen marginalen Einfluss auf gerade in der ersten Entwicklungsphase auf soziale, sensib- über das Wesen und Verhalten der heute 15- bis 25-Jährigen nach spaßigen Inhalten oder neuen Stellenausschreibungen das Lernen le, handlungsbezogene und motivational-emotionale Kom- wundern? Es geht dann zum Beispiel um das Fehlen einfachs- im Internet. Ich kenne nur wenige in meinem Freundes- und Zahlreiche Studien, die gerne unter den Tisch gekehrt wer- munikation angewiesen. Wer seine Kinder vor den Computer ter Umgangsformen, um Desinteresse und Gleichgültigkeit Bekanntenkreis, die tatsächlich für ihren Job an die Grenzen den, legen klar: Web-basiertes Lernen schadet nicht, nützt setzt, bringt sie um wichtige Erfahrungen in der realen Welt. statt Begeisterung, um mangelnde Konzentrationsfähigkeit gehen oder sich für gesellschaftliche Themen interessieren. aber auch nicht viel. Es können grundsätzlich so gut wie keine Echte Erfahrungen mit der physischen Welt sind jedoch ent- und permanente Ablenkung durch das Smartphone oder um Und wenn, dann sind das oft nur oberflächliche Bekundungen. positiven Effekte nachgewiesen werden. Es ist ein automati- scheidend für die kognitive Entwicklung. Daher ist es kontra-

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produktiv, den Umgang mit Computern in Kindergarten und geworden sind und keinen verantwortungsvollen Umgang vor- Gustav Zankl Schule zu forcieren. Gegenteilig zur Forderung „Tablets für leben“. alle Kinder“ brauchen wir zumindest im Kindergarten und in Während das Heilsversprechen „Digitalisierung“ uns ver- der Grundschule digitalfreie Zonen, damit Kinder Lernerfah- spricht, „fully informed“ zu sein, indem es uns mit manipulier- Technische Bildung im neuen Fach- rungen machen können, die ihrer kognitiven Entwicklung ent- tem Wissen und Halbwissen überfrachtet, müssten Pädago- gegenstand „Technisches und textiles sprechen. Die kognitive Entwicklung der Kinder ist die ent- gen eigentlich das Gegenteil beibringen, nämlich: Du musst scheidende Messlatte, um die Wirkung digitaler Medien ein- nicht alles wissen! Werken“ der Sekundarstufe I zuschätzen. Wer Kleinkinder vor dem Computer und dessen verführe- Spätestens seit John Hattie, wissen wir: rischen Klick-Optionen schützt, schafft eine kognitive Basis, Signifikate Verbesserungen im Lernen bewirkt nur die damit sie in Schule und Studium kompetent mit Digitalität gute Lehrerin. Grundsatzbemerkung In der Entwicklung des Kindes kann es keine Chancen- umgehen können. Lernen gelingt, wenn die Beziehungsebene stimmt. Dazu Kunst, bildende Kunst, wird, bezogen auf die kulturelle Le- gleichheit geben, daher hätten die Bildungsinstitutionen die Die Neurobiologin Gertraud Teuchert-Noodt empfiehlt eine braucht es in der Regel keine teuren Technologien. Das wich- bensqualität, immer eine Sekundärgröße bleiben, denn für Verpflichtung gehabt, für eine Chancengerechtigkeit zu sor- erste, gemäßigte Nutzung digitaler Medien ab dem 12. Le- tigste Kriterium dabei bleibt, ein positives Lernklima zu schaf- 70% der Menschheit ist sie keine Option. gen, denn bensjahr, vorausgesetzt Jugendliche haben bis dahin ihren fen und die intrinsische Motivation mit allen Mitteln zu för- Die Technik bestimmt die Qualität des Wohlstandes einer a) 80% der Grundschüler/innen und an die 60% der Schüler/ kognitiven Rucksack gut gefüllt – mit reichen Erfahrungen aus dern. Lernen bleibt ein komplexer Problemlösungsprozess, der Gesellschaft und schafft erst dadurch ein Bedürfnis, das als innen der Sekundarstufe I benötigen handlungsorientiertes unserer realen Umwelt. dazu dient, reifer, autonomer und kritischer zu werden. Kunst definiert werden kann. Lernen, um Begriffe zu verstehen und zu sichern.1 Unsere Gesellschaft heute glaubt mehr an Technik als an Wer Technik nicht als Primat der Kultur versteht, hat ein b) durch 50% Zeitreduktion der zusammengelegten Gegen- Egal ob Tablet oder Kreidetafel – die Qualität des Unter- Menschen. Das ist ein großer Irrtum, weil es immer auf den defizitäres Bildungsproblem. Bildung ohne Technikverständnis stände sind im Technischen Werken die verlorenen Bil- richts steht und fällt immer mit der Persönlichkeit des Menschen ankommt und auf den Lehrer, damit Bildung gelingt. ist weniger als Halbbildung, aber wer die Neugierde für tech- dungschancen bei Mädchen und kognitiv Eingeschränk- Lehrers Letztlich lautet die Frage, die die Generation der heutigen nische Sachbereiche auch im fortgeschrittenen Alter bewahrt ten, wie die Forschungen beweisen, am größten.2 Weniger Geld für Computer bedeutet mehr Geld für Erzieher Eltern, Pädagogen, Politiker und Manager sich zu wenig ge- hat, ist extrem lernfähig. c) die Auswirkungen dieser verpfuschten Schulpolitik für die und Grundschullehrer. Sie sind es, die für unsere Gesellschaft stellt hat: Wie bildet sich Persönlichkeit? Und warum sind Den Homo Sapiens, also uns, gibt es noch, weil wir da- Gesellschaft sind eklatant, in der Steiermark fehlen bereits Großes leisten, wenn es um die gesunde Entwicklung unserer Persönlichkeiten so wichtig für unsere Zukunft? Über welche mals jene technische Intelligenz, jenes Anpassungsverhalten 25.000 Fachkräfte, in Österreich 230.000.3 Schützlinge geht. Wer bei einem Lernprozess die Wahl zwi- Defizite bei jungen Menschen müssen wir endlich offen spre- entwickelten, um den Neandertaler zu überleben. Wenn wir schen realen und virtuellen Hilfsmitteln hat, sollte sich für die chen? Wie bekommen wir den allgegenwärtigen Druck aus Nachfahren dieser Spezies Technik nur als Daseinserleichte- Die radikale Kürzung des „handlungsorientierten Lernens Realität entscheiden und auf E-Learning so oft wie möglich unserem Bildungssystem heraus, der Erziehung und (Persön- rung und nicht gleichzeitig als Daseinsvernichtung erkennen, technischer Sachverhalte“ ist ein wesentlicher Grund für den verzichten. lichkeits-)Bildung so massiv erschwert oder ganz verhindert? für Technik und Märkte keine normative Ethik, auch als Ein- Mangel an Fachkräften. Lembke berichtet am Schluss seines Vortrags von einer Was können wir tun, um umzusteuern? schränkung unserer Bedürfnisse entwickeln, könnten wir alle Die geänderte Struktur, dass Pädagogische Akademien zu AHA-Erfahrung als Vater einer 10-jährigen Tochter. Die Toch- „Kinder und Uhren dürfen nicht beständig aufgezogen zu einer der letzten Generationen des Homo Sapiens gehören. Hochschulen wurden und die einheitliche Sekundarstufenleh- ter beginnt aus Langweile in einem Schuhkarton mit Ge- werden. Man muss sie auch gehen lassen“, schreibt Jean Diese normative Ethik erfordert zur Problemlösung techni- rer/innenausbildung für die Schultypen AHS und NMS (ehe- schenkpapier und Stoffresten der Mutter zu stöbern, schaut Paul (1763–1825) – eine Mahnung, die an Aktualität nichts sche Intelligenz sowie „Technische Bildung“ – und die von der mals Hauptschulen), eröffnete neue Möglichkeiten. genau durch, fasst alles an und beginnt damit zu spielen. Auf verloren hat. Denn: Wir brauchen für die Zukunft kreative und Mehrheit der Gesellschaft. die Frage, was sie damit vorhabe, wusste sie zunächst keine kritische Köpfe, die selbst gehen lernen – und keine digitalen Technische Bildung bedeutet, technische Sachverhalte Feststellung Antwort, bat aber um Hilfe. Der Vater jedoch war mit dem Uhrwerke, die einfach programmiert werden. erkennen, sie versprachlichen, verstehen und bewerten zu Die Studiengänge zu diesem Lehramt an den Universitäten Handy beschäftigt und sagte: „Ich kann nicht, ich arbeite!“ „ können. und den Pädagogischen Hochschulen in Österreich haben ein … du daddelst … und nennst das arbeiten?“ Die verärgerte Literatur sehr hohes fachwissenschaftliches Niveau und sind prinzipiell Tochter spielt weiter, beginnt die Stoffbluse der Mama zu zer- Lembke, G., Leipner, I (2015): Die Lüge der digitalen Bildung. Technisches Werken in Österreich ist seit den 70er-Jahren der bildenden Kunst verpflichtet. schneiden und verkündet: „Ich habe eine Idee: Wir bauen jetzt Warum unsere Kinder das Lernen verlernen. Redline.verlag. des vorigen Jahrhunderts als erstes Spiralcurriculum in Euro- Der Technikbezug kann allgemein vermutet werden, fehlt ein Handy-Bett.“ Lembke, G. (2019): Verzockte Zukunft: Wie wir das Potenzial pa von der Grundschule bis zur Lehrerbildung von uns ent- aber expressis verbis in allen Richtlinien der Studiengänge. Im Handy-Bett kann das Handy um 18 Uhr niedergelegt der jungen Generation verspielen. Beltzverlag. wickelt und in den 80er-Jahren Schulwirklichkeit geworden Es fehlt der Hinweis, dass alle fachwissenschaftlichen werden und die gewonnene Zeit zum Vorlesen und zum Re- – bis zur Zusammenlegung der Textilen mit der Technischen und fachdidaktischen Bereiche nach den Gesichtspunkten der den genutzt werden. Sowohl Tochter als auch Vater haben Den Vortrag von Gerald Lemkbke vom 18. Okt. 2019 an der Werkerziehung in der Sekundarstufe. Technik und der Technischen Bildung strukturiert sein sollten. ein Maximum an Selbstwirksamkeit erfahren. Kreative Lern- KPH Graz können Sie über folgenden Link abrufen: https:// Das bedeutet für das Technische Werken bzw. für die Das Gegenteil ist der Fall. Von der Benennung des Stu- prozesse ermöglichen, das Verhalten zu ändern. Mit Hilfe der www.youtube.com/watch?v=IXm-rKuwnkQ&feature=you- Technische Bildung im neuen Gegenstand TTW einen Inhalts- dienganges bis zu den Richtlinien ist „Gestalten, Gestaltung“, Auerbach Stiftung wurde ein Handy-Bettbausatz samt App tu.be verlust von 70%. Das Textile Werken ist grundsätzlich kunst- „künstlerisches Gestalten“ dominant – wohl „bildnerisches entwickelt, die das Handy tatsächlich um 18:00 abschaltet. orientiert. Die Genderbestrebungen verkommen zur politi- Gestalten“ gemeint, typisch für die „offen gestalteten“ Un- „Wir, die Eltern- und Erwachsengeneration, sind selbst das schen Phrase. Das hatte eine Ministerin zu verantworten, die genauigkeiten der verwendeten Begriffe in allen Studiengän- Problem, da wir selbst extrem abhängig von unseren Handys Lehrerin war und Spitzenpolitikerin in der SPÖ ist. gen.

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standsbezeichnung in der Sekundarstufe I mit „Techni- gien zu erwarten, denn der Schüler/die Schülerin muss erst lichkeiten, ist also inflationär offen, ungenau und als Leitbe- Konkretes Methodenbeispiel sches und textiles Werken“ ausgewiesen wird.5 einen Lösungsweg finden, erfinden. griff für technische Sachverhalte ungeeignet. eines Problemstellungsclusters d) dass Universitäten und Hochschulen für einen Gegenstand Die Abzweigung zur Fachdidaktik des Technischen Wer- Im Kontext zum Technischen + textilen Werken kann Ge- mit einem Werkstoff als ausbilden, den es in der Schulwirklichkeit vom Namen her kens (vgl. Text im Kasten) zeigt mögliche Problemlösungsan- stalten nur als Finden, Konstruieren, Machen, Herstellen, als systematische Zugangsstrategie nicht gibt . sätze in Richtung Technischer Bildung auf und weist darauf die Prozesshaftigkeit des Begreifens, bezogen auf die Lehr- für Problemlösungen. e) dass u.a. Architektur, Design, Kultur gleichlautend in den hin, dass kreative Leistungen systematische Problemlösungs- planbereiche, verstanden werden.8 Studiengängen im Lehramt für Bildnerische Erziehung strategien erfordern, soll der ständige Ruf nach Kreativität Machen im Technischen Werken bedeutet für den Schü- Werkstoff: Papier A4/80g, Werkzeuge: Hände sowie im Technischen und textilen Werken aufscheinen, nicht zur Begriffshülse verkommen. ler/die Schülerin „Lernen lernen über die Haut“, es ist jener Problemstellung a) ohne sie fachadäquat zu definieren. Der Name eines Gegenstandes weist bindend auf die In- kognitive Prozess, in dem seine/ihre emotionalen, rationalen Erfinde einen Behälter, ohne den Werkstoff zu trennen! halte hin. und spirituellen Potentiale differenziert involviert sind. Problemstellung b) Zu Punkt c) ist anzumerken, dass die gültigen neuen Lehrpläne Die Namensdebatte von Unterrichtsgegenständen ist Weder im Technischen Werken (hier für das lernende Tun Konstruiere ein Boot, eine Zille, ohne Trennen und Hinzufü- der Sekundarstufe I nicht zur Kenntnis genommen werden. einerseits vom Zeitgeist bestimmt, versucht aber auch, die = noch in der Technik, dort für Produktion und Fertigung) sind gen! Im Titel einer Publikation in BÖKWE-2/2019, S.21, wird Bedeutungs- und Inhaltsbeschreibung zu präzisieren. Ist das die Begriffe Gestalten/Gestaltung treffende Bezeichnungen! Problemstellung c) vom Gegenstand TEX/TEC geschrieben, gemeint ist „Textiles/ schon gelungen? – Nein! Das ist kein semantisches Problem, sondern eines der präzi- Halte das Blatt Papier in Kopfhöhe und lass es aus – beob- Technisches Werken“. Die Abfolge ist ein Wunschdenken der Aus Technischer Werkerziehung wurde Technisches Wer- sen Beschreibung von Inhalten. achte den Fallprozess und beschreibe ihn. Wie kann die- Autorin. Der Gegenstand heißt laut Gesetz „Technisches und ken. Bildnerische Erziehung – wie lange noch? – soll sie dann, In der Technik wird nach dem Pflichtenheft geplant, ent- ser Werkstoff so verformt werden, dass er aus gleicher textiles Werken“ – und das aus logischen Gründen, denn das wie u.a. vorgeschlagen Kunst + Medien, Kunst und Alltags- worfen, konstruiert, werden Werkzeuge und Fertigungsstrate- Höhe 5 m weit gleitet? Textile war, ist und wird immer Teil der Technik sein, Mode- ästhetik, oder Visuelle Bildung heißen? Werken könnte man gien entwickelt/erfunden, Prototypen gebaut, die Funktionen Problemstellung d1) und Schmuckdesign sind dazu kein Widerspruch. Textilkunst dann analog dazu Technische Bildung nennen!7 evaluiert und produziert – das sind positive kreative Prozesse, Zusatzwerkstoff: Holzstab (Grillstäbchen). ist sicher grenzwertig. Erziehung, Erziehen – das hat doch die Nähe zum Autori- aber es wird nicht gestaltet. Trenne vom Blatt (Langseite) zweimal zwei fingerbreite Bän- tären, da könnte ja die Psyche des Educandus verbogen, Ver- Design ist ein allgemeiner Begriff und bedarf der Differen- der möglichst fransenfrei ab. Erkunde die Eigenschaften Zu den Richtlinien der Studiengänge antwortung eingefordert, die Bedürfnisse des EGO und die zierung. der Papierbänder und des Holzstabes, belaste sie bis zum In einer Richtlinie zu den Studiengängen wird 14 mal die Be- persönliche Freiheit zu Gunsten eines „Wir“ eingeschränkt Kunstdesign beinhaltet künstlerisches Gestalten in der Bruch. Was hast du, habt ihr erkannt? griffsgruppe „Gestaltung, Gestalten und künstlerische Gestal- werden – oder? Kunst. Erkenntnis: Bänder leisten den Zugkräften großen Wider- tung“ und zwei mal Technik genannt und beliebig Kreativität Deine, meine Freiheit beginnt und endet beim Nächsten! Technisches Design, bzw. Industrial Design beschreibt die stand, Stäbe sind auf Zug-, Druck-, Biege- und Drehkräfte eingefordert. Erziehung im Technischen Werken bedeutet, dass die funktionale Formgebung in der Technik als Teil der techni- belastbar. Welche Kreativität? Kreativität ist ein ambivalenter Be- Schüler/innen durch Handeln mit Werkstoffen und Werkzeu- schen Ästhetik. Problemstellung d2) griff, und die Auswirkungen sind für die Gesellschaft mehr- gen eigene Ideen realisieren und dabei Einsichten gewinnen, Ein technisches Objekt ohne Funktion ist ein technisches Wie kann aus dem restlichen Blatt Papier ein Objekt konst- heitlich negativ. Denn Kreativität ohne Ethik führt zum oder am effektivsten problemlösend, intrinsisch. Unding, dieses Unding kann in der Bildenden Kunst, z.B. in der ruiert werden, welches zwei Kugelschreiber oder sogar ist bereits ein Verbrechen: Für Glyphosat, für die Steuerung Unterrichten bedeutet im Technischen Werken, Lern- Pop Art, Sinn machen. dein Handy trägt? der Politik durch die Hochfinanz, für Korruption und Steuer- inhalte wie Fertigkeiten methodengerecht erwerben und Produktdesign im Werken gliedert sich in technisches hinterziehung, für digitale Manipulationen der Konsumen- fachsprachlich artikulieren können, z. B. dass mit spanenden Design und Modedesign, ist also immer im Kontext mit dem ten, für die Täuschung bei den Abgasnormen, für Waffen Werkzeugen vorwiegend auf Stoß gearbeitet wird. Konsumenten, dem Benutzer zu sehen und klar von Styling zu Es ist nach diesen Richtlinien des Studiums ein Pädagog/ u. u. u. ist kreatives Potential, also negative Kreativität er- Der geächtete Erzieher kann doch zum Trainer, Coach, Ani- unterscheiden. Produktdesign ermöglicht mit seinen Kriterien innentyp zu erwarten, ein Kunsterzieher/ eine Kunsterzieherin forderlich. mator, Mentor mutieren – oder? der praktischen, ästhetischen und symbolischen Funktion den mit einer Textil- und einer minimalen Technikausbildung.4 Welches Kreativitätstraining ist im Technischen Werken Schüler/innen analytische Wahrnehmungen und Bewertun- Als Künstler und Kunsterzieher – pardon: Kunstpädagoge machbar? Es wird die kleine Kreativität sein, jene des Ver- Bemerkung gen von Konsumprodukten.9 – bin ich erfreut, aber für mich als technischer Werkerzieher änderns und Umformens von bereits Erfundenem. Die große Technisches Werken und Textiles Werken sind Teil der Tech- und technischer Werkpädagoge ist es eine gesellschaftliche Kreativität, jene, die kausale Erfindungen möglich macht, be- nischen Bildung. Die fehlende Präzisierung der Fachbereiche in den Studiengän- Katastrophe. schränkt sich auf 8 bis 10% aller kreativer Leistungen.6 Künstlerisches Gestalten ist als Inhalt und methodischer gen für die Sekundarstufe I sei an einem Beispiel demonstriert: Für den Schüler/die Schülerin ist jener Denk- und Hand- Ansatz dafür ungeeignet, denn künstlerisches Gestalten ist Der Fachbereich Architektur ist sowohl für die Bildnerische Die Headline steuert den Inhalt eines Studienganges. lungsprozess, der von ihm/ihr vorher noch nie geleistet wur- eine dominante Methode der Bildnerischen Erziehung und Teil Erziehung als auch für das Technische Werken Inhalt der Stu- Das bedeutet: de, hic et nunc ein Erfinden, ein kreativer Akt. der Visuellen Kommunikation bzw. der Visuellen Bildung. dienpläne. Baukünstlerische Informationen über architektoni- a) die Mehrheit der Ausbildungsstätten führt „Gestalten“ in Selbst Leonardo da Vinci hat sich (wie neue Forschungen Gestaltung ist semantisch figural konnotiert und bildungs- sche Objekte sind Inhalte der Bildnerischen Erziehung, jene der Headline beweisen) der kleinen Kreativität bedient, ohne dass seine theoretisch der Kunst zuzuordnen. der Funktionalität, Statik, Werkstoffästhetik, Gesellschafts- b) dass in allen Studiengängen in Österreich im Bereich Tech- Leistungen geschmälert erscheinen. Die Bedeutungsvielfalt: 215 Synonyme des Begriffes und Kulturfunktionen sind Inhalte des Technischen Werkens nisches Werken die bildende Kunst, formal als „künstleri- Werkaufgaben beinhalten für Schüler/innen kaum kreative künstlerisch, sind hier als sprachliche Vielfalt der bildenden als Ansatz zu einer Technischen Bildung. sches Gestalten“ dominiert. Herausforderungen, denn sie kennen den Lösungsweg. Wirk- Kunst zu verstehen. Noch vielfältiger wird es beim allgemei- Praktische Beispiele: Das Museum Bilbao ist eine außer- c) dass im Fächerkanon der Schulwirklichkeit die Gegen- lich kreative Leistungen sind nur bei Problemlösungsstrate- nen Begriff Gestalten, dieser hat mind. 220 Bedeutungsmög- gewöhnliche Plastik, mit seinen schrägen Wänden ausstel-

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lungstechnisch gering geeignet. Das Grazer Kunsthaus und Digitale und analoge Prozesse bilden dabei die didakti- herrschen, um diese mit den Student/innen in Projekte und das neue Kunsthaus von St. Pölten haben ähnliche Funktions- sche Herausforderung. Unterrichtsmodelle transformieren zu können. Derzeit ist dazu mängel. Sie sind Kunstobjekte und wesentliche Zeichen für Transferbeispiel Steuern-Regeln: Fakten – Steuern be- niemand fähig, wie die dargebotenen Modelle beweisen. Auf- die Städte. Das Kunsthaus Graz ist ohne Kunstlichtführung deutet, eine Stellgröße bestimmen, und Regeln, einen Ist- steigend über acht Semester könnte es gelingen. und jeweils eingebaute Sonderkonstruktionen nicht bespiel- Soll-Wert festlegen. Verstehen der Begriffe durch Machen: bar. Als brauchbarer Gegensatz wäre das Kunsthaus Lentos Analog – die Durchflussmenge an einem Wasserhahn durch Die gezeigten didaktischen Modelle sind sicher nicht signi- in Linz zu nennen, das formal und funktional eine Einheit bil- das Ventil steuern und die Ist-Soll-Menge bei der WC-Spü- fikant für den gesamten Studiengang, aber die sichtbar ge- det. lung regeln. wordene didaktisch/methodische Schwäche für akademisch Solche und ähnliche Inhalte zu erkennen und zu verba- auszubildende Sekundarstufenlehrer/innen habe ich nicht für lisieren sind u.a. wichtige technische Bildungsansätze. Die Damit Kompetenz nicht zur Begriffshülse verkommt, sind im möglich gehalten. Versprachlichung technischer Sachverhalte ist ein wesent- neuen LP der NMS altersadäquat standardisierte Begriffs- Bemerkungen zu den dargestellten Studentenarbeiten der licher Bildungsauftrag des Technischen Werkens.10 mengen definiert. Dazu würden in der Grundschule z.B. die Unterrichtprojekte Fliegen und Rückstoß: Das technische Grundwissen wird curricular aufsteigend Begriffe Gleitreibung und Rollreibung bei Fahrzeugmodellen Arbeiten von Grundschülern der vierten Schulstufe zu den in den einzelnen Schulstufen durch Handeln mit und an tech- und Haftreibung beim Wegschieben von Objekten zu erleben gleichen Themen sind deshalb besser, weil sie den Erkun- nischen Prozessen erworben: z.B. in der Grundschule die sein. Der Prozess des Verbindens von Werkstoffen kann lös- dungsprozess sichtbar werden lassen. Wirkweisen von Zug und Druck oder die Funktionen, dass bar wie Stecken und Schrauben oder nicht lösbar wie beim Wenn in der Sekundarstufe I, 8. Schulstufe, im Projekt Achsen Lasten abstützen und Wellen Bewegungen weiterlei- Nageln, Kleben etc. zu erfahren sein, und – fortführend in Fliegen die Bernoulli-Gleichung und im „Projekt Rückstoß“ die Hilde Brunner und ten. Fortführend in der Sekundarstufe I ergibt sich daraus die der Sekundarstufe – dass beim Nageln die Haftreibung kraft- Venturi-Gleichung nicht problemlösend, handlungs-orientiert Gustav Zankl in Graz Begriffserweiterung zum Drehmoment, z.B. bei Hebezeugen schlüssig die Festigkeit bewirkt. Stoffschlüssige Verbindun- in Strömungsmodelle umgesetzt werden können, stellt sich oder beim Fahrzeug. In der Funktionserkundung der Lenksys- gen, z.B. Kleben, Nieten, Löten, Schweißen, sind als nicht die Frage, ob so ein Gegenstand im Fächerkanon der Se- teme wird erkannt, dass Richtungsänderungen bei Fahrzeu- lösbar zu erfahren. kundarstufe I eine Berechtigung hat. Dass der Lehrplan als gen zu Lande, zu Wasser und in der Luft lenken, nicht steuern Die genannten Fachbegriffe sollen immer aus dem Ma- Spiralcurriculum aufgebaut ist, wurde bei der Planung nicht genannt werden. Der Hinweis auf die digitale (automatische) chen, dem Handeln mit Werkstoff und Werkzeug, sowie dem berücksichtigt. Steuerung als Sonderform komplexer Lenkvorgänge ist eine Versprachlichen der Erkenntnisse erworben und gesichert Dieses fachdidaktische Unvermögen ist kein Einzelfall, logische Folge. werden. sondern leider Realität, denn im Auftrag des Unterrichts- Ausbildungs- und Currikularvergleiche – Lehramt Tech- Technische Bildung bedeutet, dass man in der Sekun- ministeriums haben zwei AHS-Lehrerinnen in WIR WERKEN nisches und textiles Werken der Sekundarstufe I (AHS darstufe I technische Sachverhalte wie Schalten, Lenken, KONKRET Unterrichtsmodelle für den zusammengelegten und NMS) Regeln, Steuern verstehen und sprachlich richtig anwenden Didaktische Reduktion und die Fachdidaktik Gegenstand in NMS vorgestellt. In den dazu mitgelieferten Die Ausbildung wird für Gesamtösterreich in vier „Bildungs- lernt und/oder Begriffe wie Gerät, Aggregat/Apparat, Me- (Betreffend das Curriculum des Studienganges Technische Gender-Richtlinien heißt es: „…dass gestalterisches Wissen clustern“ angeboten. chanismus, Maschine, Roboter definieren kann. Im digitalen und Textile Gestaltung für Sekundarstufenlehrer/innen) durch Basteln von künstlerischen Produkten erworben wer- a) an der Akademie der bildenden Künste Wien und an der Zeitalter, in dem wir uns bereits befinden, ist es notwendig, den soll.“ Universität für angewandte Kunst in Wien den Begriff der lernenden Algorithmen im Kontext der KI Der Studiengang beinhaltet die Auflistung sämtlicher relevan- Im Unterrichtsmodell e-Shirt sollen mitgebrachte T-Shirts b) an der Bundes-PH-Linz und an der Universität Mozarteum (künstliche Intelligenz) nach seinem Inhalt, der Funktion und ter Begriffe, welche von den Wortfeldern Pädagogik, Kunst, mit Knopfbatterien, digitaler Schaltung und bunten LED zur in Salzburg den Folgen für den/die Menschen abzuklären. Technik, Textil und Gesellschaft entlehnt werden können. Sie „intelligenten Kleidung“, wie es dort heißt, gestaltet werden. c ) seit dem WS 2018/19 an der Bundes-PH-Tirol Endet das linear handelnde Begreifen in der technischen wurden in Rastern für ein achtsemestriges Studium struktu- Das Modell, um Technik, Kunst und Textil als fächerübergrei- d) seit dem WS 2018/19 an der Bundes-PHST- Graz Werkerziehung an der Steckdose? riert. Es ist anzumerken, dass im Curriculum der PHSt in Graz fende Struktur zu integrieren ergibt sauren technischen Kitsch Elementare technische Vorgänge wie Schalten, Len- die umfangreichsten Technikprofile aller Studiengänge in Ös- als Modediversität mit der Nähe zum Neomusischen, aber Die Ausbildung für den/die AHS-Lehrer/innen für Kunst- und ken, Regeln, Steuern, werden mechanisch bewältigt, aber terreich aufscheinen. keinen Ansatz zu einer technischen Bildung. Werkerziehung in Österreich gab es bis Anfang der 60er-Jah- je komplexer diese Vorgänge werden, umso umfangreicher Die größte Herausforderung sehe ich aber in der didakti- Im Sinne des Gendergedankens wird in einem anderen re nur in Wien an der Kunstakademie am Schillerplatz. Ab wird der Einsatz von elektronischen Bauteilen. Für den Schü- schen Reduktion der umfangreichen fachwissenschaftlichen Projekt die Nähmaschine als didaktisches Modell für mecha- Mitte der 60er Jahre auch an der Angewandten und in Linz ler/ die Schülerin sind in diesem Kontext Analyse, Verstehen Inhalte. – Wer soll sie leisten und nach welchen Kriterien? nische Schaltungen vorgestellt.11 und in Salzburg. und Erkenntnisbildung nur an den transformierten Wirkungen Für diesen dargebotenen didaktischen Schwachsinn ist Im Süden Österreichs, z.B. in Graz, sind alle Versuche, eine wie ja – nein, aus – ein, (Magnetismus, Halbleiter, Transistor, Neben der Fachwissenschaft und der Werkstattpraxis ist die der Begriff „technisches Basteln“ sicher zu positiv besetzt, Ausbildung zum Lehramt für diesen Schultyp zu ermöglichen, Computer ...) und der Bedeutung vereinbarter Symbole und Fachdidaktik die dritte Säule des Ausbildungssystems und sie das kann nur als „gestaltendes technisches Werkeln“ be- gescheitert. Der letzte Versuch wurde von FI Wolf-Schönach Zeichen möglich. Der Gewinn aus der Synthese dieser Pro- beschert die größten Probleme! zeichnet werden. Diese akademisch ausgebildeten Werkel- und mir Mitte der 80er-Jahre initiiert. Wir hatten bereits die zesse besteht in der Rückführung dieser kognitiven wie auch Ich beziehe mich dabei nur auf die Fachdidaktik Techni- professorinnen sind keine Radfahrerinnen, sonst hätten sie Zustimmung durch Sektionschef Adolf März vom Bundesmi- manuellen Prozesse in das Verständnis und die Handhabung sches Werken. vielleicht doch die Schüler/innen gebeten, die Schaltsysteme nisterium für Unterricht und Kunst, aber der damalige Rektor von digitalen Geräten, Apparaten und Maschinen mit opti- Die Fachdidaktiker/innen müssen das gesamte Spektrum ihrer Fahrräder in der Klasse handlungsorientiert zu analysie- Kolleritsch von der Musikhochschule, die als Alma Mata fun- schen, akustischen und mechanischen Wirkweisen. der fachwissenschaftlichen Bereiche des Curriculums be- ren!12 gieren sollte, hatte die Zustimmung verweigert.

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Es ist der PHSt in Graz nun mit den Initiativen von Frau DI Dr. Marion. Starzacher strebt diese Ausbildungsform an. fordert fächerübergreifende Projekte mit den Kollegen/innen Bemerkungen als Schlusspunkt meiner über 60-jährigen Mit- Mag. Karin Gollowitsch und dem Management von Frau Frau Rektorin Dr. Elgrid Messner zeigte mir Planskizzen für der naturwissenschaftlichen Gegenstände, um gemeinsam arbeit in dieser Institution und quasi als pädagogisches Ver- Rektorin Dr. Elgrid Messner gelungen, erstmals in Graz eine den Umbau und die Erweiterung eines Werkstatttraktes an technisch orientierte Unterrichtsprojekte zu entwickeln. mächtnis des Werk- und Kunstpädagogen Zankl verstanden Sekundarstufenlehrer/innenausbildung für den neuen und zu- der PHSt Graz. Das ist wohl der besonderen Managerquali- Jeder Erfolg im Bildungssystem ist immer personenbezo- wissen. sammengelegten Fachgegenstand Technisches und textiles täten der Rektorin geschuldet. gen. Das bedeutet: Ist die Persönlichkeitsstruktur technikaffin Der BÖKWE war für mich oft Denk- und Ideenlabor. Danken Werken zu implementieren. Ich hoffe, es wird die Einbindung externer Werkstattleiter und bereit, didaktisch-methodische Experimente und Risken möchte ich der Institution BÖKWE – Mag. Hilde Brunner, für Diese erfreuliche Situation entwickelt sich als schwierig möglich, wie es die Studiengangleiterin auch vorhat. zu wagen, Visionen zu realisieren, dann wird es immer große Jahrzehnte loyaler Zusammenarbeit. und ist problemreich. Wie essentiell eine gut strukturierte Hard- und Software für technische Erlebnisse und folglich wesentliche Erkenntnisse Ich wünsche dem BÖKWE, also Ihnen allen, Kraft, um eine erfolgreiche Lehrer/innenausbildung sein kann, zeigt das für die Schüler/innen geben. gegen das Faktische zu bestehen. Auf meine Frage, wer den Namen eines Studienganges be- ehemalige Ausbildungsmodell an der PÄDAK- Graz Eggenberg: Neugierde für technische Sachverhalte ist die Motivation. stimmt, stellte Frau Rektorin Dr. Elgrid Messner fest, dass für Ich durfte als Fachkoordinator für die neue HS-Lehreraus- Die Lernvoraussetzung setzen bei der manuellen Umsetzung 1 Bei Schüler/innen beträgt das Verhältnis handlungsorientiertes Ler- die PHSt ein Konsortium von Experten – in dem die Fachkom- bildung Technische Werkerziehung, vier Werkräume – Holz, große Energien frei. Die Einzel- und/oder Projektleistung führt nen zu kognitivem Lernen in der Primarstufe 80% zu 20%, bzw. 60% petenten in der Minderheit waren – vom Bundesministerium Papier/Karton/Kunststoff, Metall und Keramik, mit den erfor- zur Erfolgsfreude, jener wesentlichen Emotion, die Widerstän- zu 40% in der Sekundarstufe I, siehe dazu Zankl, Lehrerhandbuch, bestellt, die Namensgebung des Studienganges mit Techni- derlichen Werkzeugen, Geräten und Maschinen einrichten. de sowie Arbeitsfrust egalisiert und die Spaß- und Wisch- Werkerziehung 3+4, 1981, S.7. Meine deutschen Fachkollegen Din- Gustl Zankl gilt als sches und Textiles Gestalten festgelegt hat.13 Einen Materialraum, einen Lehrerarbeitsraum mit kleiner gesellschaft weit hinter sich lässt. Es ist jene beherrschte ter und Schulte haben mich damals korrigiert, ihren Untersuchungen einer der wichtigsten Fachbibliothek und einer Mediathek, sowie für jeden/jede Stu- Emotion, an der Erkenntnisse reifen, die Teil der Technischen nach beträgt das Verhältnis 82%: 18% bzw. 65%: 35%. Welches Er- Vertreter der Steirischen Das Lehramt – die Ausbildung dent/in eine versperrbare Ablagekoje von 2m3 für seine/ihre Bildung sein können, denn erst mit beherrschter Emotion, kri- gebnis auch immer, die Struktur unserer Schule ist vorwiegend kogni- Avantgarde und ist Die Akademie der bildenden Künste Wien nennt den Studien- Materialien, für fertige oder in Arbeit befindliche Objekte aus tischem Denken und Selbstkritik beginnt das Menschsein, um tiv orientiert und benachteiligt didaktisch die Mehrheit. Gründungsmitglied der gang für den Teilbereich „Technisches Werken“ – „Gestaltung den Werkstättenbereichen schloss das Raumprogramm ab. nicht nur eine Anhäufung von organischen Zellen zu sein. 2 Dinter/Pichler/Zankl/Riedl/Berger/Stigler/Hasenberger, Geschlechts- Jungen Gruppe Graz und im Kontext“. In welchem Kontext? In dem der Kunst natür- Die Software, die Lehrerbildner, waren im fachwis- Nur mit beherrschten Emotionen sind Ideologien bewäl- unterschiede bei der Körper-/Raum-Wahrnehmungs- und Vorstel- des Forum Stadtpark. lich, wie es in der inhaltlichen Ausrichtung der künstlerischen senschaftlichen Bereich: die TU-Assistenten DI Rosmann tigbar, vor allem jene der Ego-Nationalen. Der überbordende lungsfähigkeit im Pflichtschulalter, 1989, Wien, BMUKS; siehe Erwei- Er unterrichtete an Lehramtsstudien aufgelistet wird. Also Technisches Werken (Architektur), DI Heufler (Design), HTL-Dir. DI Körbler (Ma- Individualismus gefährdet die Demokratie. Eine ethikdominier- terung Zankl, 1990, BÖKWE, Tagungsbericht S.33–36. mehreren Schulen Kunst, als Anhang zur Bildnerischen Erziehung! Für diese Institution schinentechnik, Statik) sowie zwei externe Fachkräfte für te Technische Bildung könnte jene Voraussetzungen schaffen, 3 Kleine Zeitung vom 24.7.2019, S.23. darstellende Geometrie ist es Tradition, Technisches Werken als Appendix der Kunst- die Werkstätten. Die Fachdidaktik und der erziehungswissen- um eine daseinsvernichtende Technik zu verhindern. Dazu 4 siehe Curricula der vier Ausbildungsstätten in Österreich für Sekun- und Mathematik, davon erziehung zu verstehen. Technische Bildung bzw. technische schaftliche Bereich (Psychologie, Soziologie, Unterrichtswis- bräuchte es einen profitreduzierten Denk- und Handlungsan- darstufenlehrer/innen für „Technisches- und Textiles Werken“. 20 Jahre als Lehrerbildner Bildungsprozesse kommen in der Studiumsbeschreibung über- senschaften) wurden hausintern geleistet. satz einer liberalen Demokratie! 5 BGBL. II 111/2017, mit Wirksamkeit ab 1.September 2018 wird die für Grundschule und haupt nicht vor, man ist ja die Akademie der bildenden Künste Solche Hard- und Software-Voraussetzungen konnten in Gegenstandsbezeichnung mit Technisches und Textiles Werken für Hauptschule (BE und WE) und kennt, in der kognitiven Enge, nur künstlerische Bildungs- den 70er-Jahren keine der neun österreichischen Pädagogi- Finish alle Pflichtgegenstände ausgewiesen. an der Pädagogischen prozesse. Da sind noch immer Technikängste immanent! schen Akademien, auch nicht die Kunsthochschulen in Wien, Nun, was berechtigt mich zur Kritik an diesem Bildungssystem? 6 Zankl, Kreativität – immer erstrebenswert? 2001, in BÖKWE 1/2001 Akademie Eggenberg. Er Die drei unterschiedlichen Studiengänge an der Univer- den Studenten/innen bieten. Eine Meinung haben und sie auszusprechen, ist demokra- S.4. gilt als der Begründer der sität für angewandte Kunst in Wien, kommen ohne „Gestal- Die international vernetzte Forschungstätigkeit, welche tisches Allgemeingut, aber zur analytischen Kritik ist befähigt, 7 Beate Mayer-Zinser, ???Bildnerische Erziehung??? 2019, in BÖKWE Technischen Werker- tung“ in der Headline aus, wohl scheint „Gestalten“ in den sich aus diesem Teamgeist entwickelte, ist in etlichen Pub- wer eine Aufgabe, ein Problem, besser lösen kann. Diese Aus- 1/2019, S.33. ziehung in Österreich, Richtlinien auf. likationen dokumentiert. sage bedarf der Begründungen und diese sind: 8 +ultra gestaltung schafft wissen, N. Doll/H. Bredekamp/W.Schäff- nicht nur, weil er einen An der PH in Linz sowie der PHSt in Graz ist „Gestaltung“ Technische Werkerziehung nach den Lehrplänen der u Erfahrungen aus 71 Jahren bewusster Auseinanderset- ner, 2016, Humboldt-Universität Berlin, Horst Hörl, Ökologien des Ma- neuen Fachbereich schuf, wechselweise bezogen auf Technik und Textil dominant. Die 80er-Jahre hatte das Potential, vorausgesetzt die Lehrenden zung mit den Phänomenen Lehre und Lernen, darüber chens, S.49–56. sondern auch weil er die beiden letztgenannten Hochschulen haben zumindest ein erfüllten sie, dass die Schüler/innen elementare Grundlagen habe ich geforscht und die Ergebnisse dokumentiert. 9 Zankl/Heufler, Produktgestaltung, 1985, Veritas, S.78–94. exakte Gliederung der Nahverhältnis zur Benennung des Unterrichtsgegenstandes einer Technischen Bildung erwerben konnten. u Erfahrungen als Initiator der Technischen Werkerziehung in 10 Die fachsprachliche Kompetenz wird z.B. im Lehrplan der NMS unter Inhaltsbereiche BE und mit dem Namen in der Schulwirklichkeit. Es ist uns Lehrerbildnern nur in wenigen Ausbildungsstät- Österreich. „Reflexion“ auf den Seiten 7, 8 und 11 der jeweiligen Schulstufen ein- TWE definierte, diese ten gelungen, diese Intentionen der Technischen Werkerzie- u Erfahrungen aus zwölf Jahren Lehrplan-Arbeit im BMUK gefordert. didaktisch-methodisch Hardware und Software hung auch rational, emotional und spirituell in den Lehramts- für die Gegenstände WE und BE aller Pflichtschultypen und 11 Wir Werken Konkret, bm:uk 2013, S.15–17 und siehe die Analyse argumentierte, sowie Hardware und die werkstattpraktische Ausbildung. student/innen zu implementieren. der Lehrerbildung. in: Zankl, Technische Werkerziehung an der NMS – quo vadis, 2014, Lehrbücher und Unter- Zu meinen kritischen Bemerkungen zur werkstattpraktischen u Erfahrungen aus der Strukturierung der Lehrerbildung für BÖKWE 2/2014, S.3–6. richtsbehelfe verfasste. Ausbildung und dem Vorschlag, diese an das WIFI bzw. an die Hoffnung WE und BE, und als Fachkoordinator für TWE an der PÄD- 12 Berger/Zankl, Technisches Werken – Erziehung zum technischem Außerdem ist er Mitbe- BULME14-Werkstätten auszulagern, stellte Frau Rektorin Dr. Die mögliche hohe fachwissenschaftliche Kompetenz der AK und Denken, 1974, S.81. gründer des BÖKWE. Am Elgrid Messner fest: „Sie sei an die Richtlinien der Hochschul- neuen Sekundarstufenlehrer/innen könnte bei einer sich dazu u Erfahrungen aus 20 Jahren Lehrerbildung und Lehrerfort- 13 Gespräch mit Frau Rektorin Dr. Elgrid Messner an der PHSt am 28. April 2019 feierte er gesetze gebunden und dürfe an keine Institute, die der Hie- entwickelnden Fachdidaktik die Voraussetzung dazu bilden, bildung, vorwiegend der TWE, und dies auch international. 6.3.2019 seinen 90. Geburtstag. rarchiestruktur nicht entsprechen, Ausbildungsmodule aus- dass die eingangs geforderte Technische Bildung als überge- 14 WIFI Wirtschaftsförderungsinstitut, BULME Bundeslehranstalt für lagern. Sie könne nur hierarchiegleiche Institute ansprechen, ordnetes Ziel des Technischen Werkens erreicht werden kann. Es begann in Graz und als letztes aktives BÖKWE-Gründungs- Maschinenbau und Elektrotechnik wie jene Werkstätten der TU Graz“. Die Studiengangleiterin Die eingeschränkte Unterrichtszeit im neuen Gegenstand er- mitglied will ich hier und heute, diese kritisch-analytischen

20 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 21 KEYNOTES KEYNOTES

stagram-Welt groß geworden ist. Die Mitglieder dieser andere Richtung. Wenn wir heute technische oder künst- Peter Baumgartner im Gespräch Generation zeigen anderen öffentlich, wie toll das Leben lerische Leistungen fördern wollen, müssen wir vor allem ist, selbst dann, wenn sie selbst deprimiert sind. Alles Sinn und Orientierung bieten können. Das braucht Zeit, die Das Gespräch führte Franziska Pirstinger geht schnell und leicht. Alles, was man will, kann man so- vielfach nicht mehr zur Verfügung steht. Bildung kann man fort haben, außer Befriedigung im Job und starke Bezie- nicht herunterladen. Unterricht ist keine App. hungen. Dafür gibt es keine App. Und wird es niemals eine geben. Sie zitierten John Naisbitt „Die größten Durchbrüche im 21. Jahrhundert werden nicht durch die Technologie errun- Sie sind weltweit als Vortragsredner für Konzerne unterwegs, Danke für diese Frage. Ich darf diese ergänzen durch: Warnt Analog klingt nach vorgestern – digital dagegen ziem- gen, sondern durch das erweiterte Verständnis unseres sind Hochschuldozent, Buchautor, aber auch von ganzem uns jemand vor den Irrtümern der Digitalisierung? Ist ir- lich smart, oder? Menschseins“. In welche Richtung sollten wir unsere Kin- Herzen Werkerzieher an einer Mittelschule. Wie bringen gendwer mutig genug, um die digitalen Lernwelten kri- Die Digitalisierung sehen viele als smartes und effizientes der bilden, damit sie zukunftsfit werden? Sie das alles unter einen Hut? tisch zu betrachten? Werkzeug. Aktuell benötigen wir jedoch weltweit das Soziale Kompetenz lässt sich nicht digitalisieren. In einem Ja, klar. Das ergänzt sich alles wunderbar. Wenn ich um 6:00 u Irrtum 1: Die Digitalisierung macht uns alle glücklicher. Energieäquivalent von 25 Atomkraftwerken, um den Ener- Klassenzimmer oder Hörsaal sind immer zu 100% Men- Peter Baumgartner Uhr morgens mit Businessmenschen in ein Flugzeug stei- Unsere täglichen Aufgaben werden durch die digitalen giehunger der Digitalisierung zu stillen. Der Schadstoffaus- schen. Zu viele missachten diesen Umstand und verste- ist Dipl.-Pädagoge, ge und langweilige Stimmung herrscht, dann denke ich mir Einflüsse nicht automatisch einfacher. Oft nimmt das Ge- stoß unserer Digitalisierung ist so groß, wie der des welt- cken sich hinter Technologie. Es geht nicht darum, jede Technischer Werkerzieher immer, wie wäre das jetzt hier mit einer Klasse einzustei- fühl der Kontrolle und Überwachung zu. Wir müssen hier weiten Flugverkehrs. Bei einer Steigerungsrate von jähr- Klasse mit Laptops oder Tablets auszustatten. Es geht und Wirtschaftsingenieur. gen und abzuheben. Das wäre einfach das pure Leben. klar gegensteuern. Unsere Antwort kann nur der intelligen- lich zehn Prozent. Smart und effizient ist das nicht. nicht darum, Whiteboards zu installieren und damit jedes Er unterrichtet an einer Eine Klasse mit 19 Kindern kann zudem fordernder sein te und selbstverantwortliche Mensch sein. Wort erst dann an die Tafel schreiben zu können, wenn Mittelschule und an der als eine Halle mit 800 Menschen. Beides möchte ich nicht u Irrtum 2: Wo 4.0 draufsteht, ist Digitalisierung drin. Sie postulierten in Ihrem Vortrag „analog“ als das neue Bio dieses Superteil eingeschaltet ist. Es geht darum, Grund- PH Oberösterreich. Der missen. Medien und Politik übertreffen sich oftmals in wichtigma- und meinen, dass das Nicht-Digitalisierbare zunehmend an fähigkeiten und Kernkompetenzen zu vermitteln und die Vortragsredner, fünffache cherischen und inhaltslosen Darstellungen. Bildung 4.0, Wert gewinnt. Woran erkennen Sie diese Trendumkehr? Digitalisierung als bloßes Werkzeug zu sehen. Nicht mehr Buchautor und Wirtschafts- Sie beschreiben Digitalisierung in erster Linie als Kulturwan- Workplace 4.0 und ähnliches suggerieren, es handle sich Ich wünsche mir mehr von folgenden Dingen: Face to Face und nicht weniger. literaturpreisträger ist als del. Woran machen Sie diesen Kulturwandel oder den hier um grundlegend neue Arten, Dinge zu tun. So man- statt Facebook. Buchhandlung statt Amazon. Kino statt Digitalisierung ist viel weniger Technologie und viel mehr Bil- Unternehmensberater, Wandel gesellschaftlicher Präferenzen fest? ches Modell wird digitalisiert, indem man einfach vorne Netflix. Briefe statt E-Mail. Diese Liste lässt sich belie- dungskultur als jemals erhofft. Das ist gut so. Das ist die Vortrags-Coach und Unsere Eltern- und noch mehr die Großelterngeneration er- digital oder hinten 4.0 einfügt. big fortsetzen. Irgendwie stößt die Digitalisierung an ihre Umkehr. Das ist der Weg hin zu den Soft Skills: Soft Skills Hochschuldozent im In- und lernte und praktizierte kulturelle Fähigkeiten, die heute u Irrtum 3: Reisen ins Silicon Valley sind die Lösung. Grenzen, denn zwischen Bits, Bytes und Online sind wir sind die Währung der Zukunft. Ausland tätig. Seit seinen nichts mehr wert zu sein scheinen. Die Generation Mill- Es ist modern, ins Silicon Valley zu reisen, den Stand der oft genug allein. Irgendwo ist, unglaublich aber wahr, das Was ist denn Schule heute? Was zeichnet Schule aus? Sie Studien in Österreich, ennium erlernt ihrerseits wichtige Kulturtechniken. Gest- Dinge zu kopieren und auf die eigene Situation umzulegen. Ende des Internets. Irgendwann brauchen wir wieder ist der letzte soziale Raum, in dem Menschen interagieren Deutschland und England rige und heutige Präferenzen scheinen weit voneinander Neue IT-Ansätze, Cloud-Lösungen und Individualisierungen mehr Gesichter, Stimmen und Persönlichkeiten. Wir brau- müssen und dürfen. ist Peter Baumgartner als entfernt zu sein. Doch bleibt für mich überdauernd bedeu- sind aber nur in agilen Organisationen schnell umsetzbar. chen etwas anderes. Etwas Reales: greifbar, spürbar, … internationaler Berater tä- tend, was Dr. Haim Ginott am ersten Tag des Schuljahres Starre Organisationsstrukturen, wie es auch oft Bildungs- oder eben nur ein Lächeln im Gesicht des Gegenübers. Was würden Sie uns Kunst- und Werkerzieher_innen ange- tig. Er bewegt Menschen. 1947/48 in einem Brief an sein Kollegium schrieb: „Liebe einrichtungen sind, scheitern schon alleine an der Techno- sichts der Digitalisierungsinitiative Schule 4.0 raten? Organisationen macht er Lehrer, ich habe ein Konzentrationslager überlebt. Meine logie. Sie haben uns in Ihrem Vortrag auf eine Reise nach Silikon Val- Wissen Sie, ich werde niemanden etwas raten. Das überlas- durch Leadership-Vorträge Augen haben Dinge gesehen die kein menschliches Auge u Irrtum 4: Eine grandiose digitale Geschwindigkeitssteige- ley in die Schule „Los Altos“ mitgenommen. Die Kinder der se ich selbsternannten Bildungsexperten ohne Bezug zur und als Unternehmensbe- je erblicken sollte: Gaskammern erbaut von gebildeten In- rung. Eliten lernen dort ohne Bildschirme, aber mit viel mensch- Basis. Lehrende haben ihre eigene Berufsbiographie und rater zukunftsfähig. Seine genieuren, Kinder vergiftet von wissenschaftlich ausgebil- Nur ein Beispiel: Die Service-Zeiten stagnieren oder gehen licher Interaktion und handwerklichem Tun. Zeichnet sich in -erfahrung, und das ist gut so. Vorträge sind weltweit deten Ärzten, Säuglinge getötet von erfahrenen Kinder- allgemein zurück. Wenn wir an diese unvermeidlichen Ser- unseren Schulen schon diese Rückbesinnung auf den Bil- Wenn Sie etwas von mir erwarten dürfen, dann einen mu- gefragt. schwestern, Frauen und Kinder erschossen und verbrannt vice-Telefonnummern denken, dann sind wir zum Aufent- dungswert der technischen und künstlerischen Fächer ab? tigen Ausblick: Vieles können wir positiv angehen. Was Kontaktdaten für Vortrags- von ehemaligen Oberschülern und Akademikern. Deswe- halt im Wartesaal verdammt. Eine Rückbesinnung auf den Bildungswert der technischen haben Sie bislang in der analogen Bildungswelt geschafft? anfragen: gen traue ich der Bildung nicht mehr. Mein Anliegen ist: u Irrtum 5: Die Digitalisierung und die neue Lernwelt. und künstlerischen Fächer kann ich derzeit nicht erkennen. Wo stehen Sie mit Ihrem Unterricht? Wo wollen Sie hin? Dipl.-Päd. Ing. Peter Helfen Sie Ihren Schülern menschlicher zu werden. Ihr Un- Dem Bildungswesen fällt eine zentrale Aufgabe zu. Dabei Die Tendenzen im Lehrplan/Curriculum zeigen eher in eine Das lässt sich doch gemeinsam schaffen! Baumgartner terricht und Ihr Einsatz sollten keine gelehrten Ungeheu- geht es nicht um Techniken und die Nutzung von Smart- Tannenweg 3 er hervorbringen, keine befähigten Psychopathen, keine phone oder Tablet. Digitalisierung erfordert mehr Bildung 4810 Altmünster am gebildeten Eichmanns. Lesen, Schreiben und Arithmetik und Qualifizierung. Die Zukunft gehört den hoch qualifizier- Traunsee/Österreich sind nur wichtig, wenn sie dazu beitragen, unsere Kinder ten Berufen. Es geht um den Umgang mit der Intelligenz Mobil: +43 menschlicher zu machen.“ der Vielen. Es bleibt spannend und Bildung bleibt wichtig! (0)699/10209010 u Irrtum 6: Die Digitalisierung als Wundermittel. [email protected] Was sind, Ihrer Meinung nach, die größten Irrtümer des Heils- Mit den Millennials gibt es erstmals eine Generation, die www.peterbaumgartner.at versprechens Digitalisierung? in einer „wunderbaren“ Smartphone-Internet-Facebook-In-

22 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 23 IMPRESSIONEN EINES GELUNGENEN DIALOGS IMPRESSIONEN EINES GELUNGENEN DIALOGS

Abb. 3 Eine fulminante Abb. 1 Openingperfor- Auswahl an Referaten mance – Studierende des und Workshops Schwerpunktstudiums kulturelle Bildung

Abb. 2 KPH Bras analog – digital

Abb. 4 Das BÖKWE- Tagungsbüro geleitet von Hilde Brunner

24 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 25 TAGUNGSAUSSTELLUNG TAGUNGSAUSSTELLUNG

Text – Code – Bild Neuere Arbeiten zeigen die kleinsten Elementareinheiten des Digitalen, die Binarität zweier Zeichen, 1 und 0 oder Alles und Nichts (Burckhardt/Höfer 2015) als bestimmende Faktoren ei- nes datenförmigen Netzes, das sich über die gesamte Gesell- schaft, einschließlich der Natur spannt. (Abb. 3 und 4) „Das Ubiquitäre am Digitalen liegt an seiner Einfachheit und an der voraussetzungslosen Form der Verarbeitung von digitalen Signalen. Das hat weniger etwas mit der Universa- lisierung von Zahlen zu tun als mit der Übersetzbarkeit von allem in die Sprache des Digitalen, das sich wie ein selbstre- Abb. 1: Standardisierung, ferentielles Netz von elektronischen Signalen über die Gesell- Fotoarbeit, Civitella, 2014 schaft legt.“ (Nassehi 2019, S.179) (Abb. 5) rechte Seite: Abb. 2: Grenzgebiet, Objekt und Fotoarbeit, 2017 Abb. 3: Alles und Nichts, Acryl, Text/Zahlen auf LW, Peter Angerer 2018 Abb. 4: Landscape (Binär- code), Fotoarbeit 2019 „Zwischen 0 und 1“ Tagungsausstellung an der KPH Graz Recherchen und Gedanken zu Themen meiner künstlerischen Praxis

„Dieser steirische Künstler setzt sich seit „Peter Angerer gibt mit seiner in einem bestimmten Seg- mehr als 20 Jahren in einer ungeheuren Dich- ment vorgestellten künstlerischen Ausrichtung ein beredtes te und Präzision mit Fragen der Zeit auseinan- Beispiel dafür, wie Kunst über das Thema Sprache zu jener der: Reflexion ist zwar in seinen Bildern ganz zugleich sinnlichen und intellektuellen Sprachform findet, de- offensichtlich erfahr- und sichtbar, es ist aber rer die Gesellschaft bedarf, um nicht in den oberflächlichen immer auch eine Metapher für das Denken, für Stereotypen zu ersticken.“ (Fenz 2014) zeitdiagnostische Prozesse, für unser Sein in „Seit Jahren verfolgen Peter Angerers konzeptionelle Ar- Selbstverständlich gibt es keinen Zwischenschritt zwi- dieser, eben jetzigen Welt.“ (Rauchenberger beiten eine inter- bzw. transmediale Strategie, um über die schen 0 und 1 und doch ist zu fragen, wo es noch Bereiche 2015) differenziellen, materiellen und formalen Qualitäten einzelner gibt, die sich der totalen Verfügbarkeit (Messbarkeit, Nutzbar- bildnerischer Medien auch die unterschiedlichen Konnotatio- keit, Verwertbarkeit…) entziehen. Kunst jenseits ihrer markt- Plastikwörter nen spielen zu lassen, die eben mit den jeweiligen Ausdrucks- förmigen Ausrichtung könnte eine entsprechende Sphäre der Die Ausstellung zeigte Arbeiten aus dem Langzeitprojekt Plas- und Darstellungsformen verbunden sind. Sein eigentliches Unverfügbarkeit darstellen. Spezifische Studien zum Thema tikwörter, ein Begriff, den Uwe Pörksen (Pörksen 2004) ein- Medium ist ja im Grunde das mediale Crossing, durch das sich der „Unverfügbarkeit“ sind Hartmut Rosa zu verdanken. (Rosa gebracht hat. Damit ist die semantische Plastizität abstrakter ein Verweisungszusammenhang zwischen den einzelnen me- 2018) Die Grundfrage unserer Weltbeziehung ist angesichts Begriffe gemeint, die unterschiedliche Diskurse bestimmen. dialen Instanzen ergibt. Die spezifischen Differenzen zwischen der Durchdringung aller gesellschaftlichen Bereiche durch Zahlreiche, vor allem aus ökonomischen Zusammenhängen dem lingualen und dem ikonischen Code, zwischen Wort und Digitalisierung neu zu stellen und zu bewerten. Eine Gesell- stammende Plastikwörter sind nicht zuletzt auch tragende Ge- Bild, sind nicht nur das implizite Hintergrundrauschen unseres schaft, die sich nur mehr durch Wachstum, Beschleunigung rüste in Bildungsdiskursen und verweisen auf dahinter liegen- Weltverstehens, sondern sie sind in den Arbeiten Peter An- und kulturelle Innovierung zu stabilisieren vermag, wird nach de Interessen und Leitbilder. Als Beispiele seien die Begriffe gerers sehr oft auch expliziter Ausgangspunkt.“ (Fiala 2011), Rosa in ihrer Steigerungslogik zur Bedrohung für den Einzel- Standardisierung, Kompetenz und Effizienz genannt. (Abb. 1) (Abb. 2) nen. Die Techniken und Prozesse der Digitalisierung haben

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Abb. 5: Digital Nature unser Weltverhältnis auf fundamentale Weise transformiert. (Binärcode), Objekt, 2019 Nach Rosa haben wir uns nicht von unserem wahren inneren Wesen entfremdet, sondern von unserer Fähigkeit, uns die Abb. 6: Recognition, Text, Welt „anzuverwandeln“ (Rosa 2013, S.144). Maßgebliche Zeichnung auf LW, 2019 Entwicklungen hin zu einer Beschleunigungsgesellschaft, in der praktisch alle Lebensbereiche dem Diktat der Geschwin- digkeit untergeordnet sind, grundieren die Situation, in der wir uns befinden. Beschleunigung scheint die Notwendig- keit zu sein, um den Status quo zu halten. Die Selbstopti- mierungspraktiken der Quantified Self-Bewegung, sind dar- formungen zeigen sich im Bereich des transhumanistischen auf ausgerichtet, alle Lebensäußerungen quantitativ zu er- Denkens, das den technologisch optimierten Menschen ins fassen und damit verfügbar zu machen. Die extremsten Aus- Zentrum rückt. Abb. 8: Herrschaftswissen, Acryl, Text, Zeichnung auf LW, 2019

Abb. 7: Intransparenz, Druckgrafik, Text, 2019

Von pseudoreligiösen Zumutungen mit dem Ziel der Aner- Arbeiten zum Thema Gesichtserkennung (face recognition). kennung der digitalen Glaubenslehre, wie Christian Hoffmeis- „Wir werden durchschaut und können nicht zurückschauen.“ ter (Hoffmeister 2019) sie beschreibt, bis zur Frage des Um- (Kucklick 2016, S.168) Der Verlust von Privatsphäre durch die gangs mit Information im Zeitalter der Desinformation, spannt totale Transparenz – ausgenommen von dieser Offenlegung sich der Bogen einer Neuvermessung unseres Wirklichkeits- sind die zugrunde gelegten Algorithmen (Abb. 7), hat sicht- verhältnisses. Die Verunsicherung, die Fake News auslösen, bare Auswirkungen in autokratischen Staaten wie China, wo ist immens. Sie nützt vor allem jenen, die Angst und Chaos Kontrolle und Überwachung ganz offen gehandhabt werden. verbreiten und diese politisch instrumentalisieren wollen. Kai Strittmatter (Strittmatter 2019) zeichnet das Bild einer TEXTBILDER (Abb. 6) an der Schnittstelle von Bild und Text Gesellschaft, die Kontrolle sowohl öffentlich ausübt, als auch zeigen pointierte Kurztexte zu Themen der Zeit, schwerpunkt- verinnerlicht hat, also in den Köpfen der Untertanen angekom- mäßig Digitalität und Gesellschaft, mit grafischen Überlage- men ist. Vertrauen wird in solchen Gesellschaften allerdings rungen – im Falle der 8-teiligen Arbeit recognition, grafische als knappstes Gut gehandelt. Nach B.C. Han gäbe es heute

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rechte Seite: ohnehin keine Privatsphäre mehr, wenn er mit Roland Barthes etwas zutraut) setzt, steht einer durch standardisierte Lern- Abb. 9: Selbst Denken, argumentiert, der damit „jene Sphäre von Raum, von Zeit, wo wege entwickelten Aberledigungshaltung diametral gegen- Acryl, Text auf LW, 2017/18 ich kein Bild, kein Objekt bin“ (Han 2013, S.8), meint. (Abb. 8) über. „Individualismus entsteht“, nach Peter Sloterdijk, „wenn Menschen ihre Selbstbeschreibungen selbst verfassen, also Kunst und Bildung wenn sie anfangen, die Autorenrechte an ihren eigenen Ge- Und die Kunst? Vom völlig verrückten Kunstmarkt, der sich schichten und Meinungen zu reklamieren.“ (Sloterdijk 2008, wie nichts dem Beschleunigungs- und Verwertungsparadig- S.12) (Abb. 9) ma unterworfen hat, sei hier nicht die Rede. Kunstwerke blei- ben auch jenseits von diesem umstritten, sind unabgesichert, Literatur an die Rezeption gebunden. Ihr großes Potential, die Welt in Bauer, T., (2018), Die Vereindeutigung der Welt, Reclam Uni- einer erweiterten, anderen Art zu erschließen, macht sie ge- versal-Bibliothek, Stuttgart. rade heute interessant für Bildungsprozesse. Es gilt, Kunst als Bertram, G.W. (2014), Kunst als menschliche Praxis, Suhr- menschliche Praxis zu begreifen, meint Georg W. Bertram, kamp Verlag, Berlin. denn Menschen gestalten, was sie sind, auch durch Kunst. Charim, I., (2018), Ich und die Anderen, Wie die Pluralisierung (Bertram 2014) Kunst ist gegen die „Vereindeutigung der uns alle verändert, Zsolnay Verlag, Wien. Welt“ (Bauer 2018) gerichtet, Ambiguität, Mehrdeutigkeit Burckhardt, M., Höfer, D., (2015), Alles und nichts, Ein Pandä- ist die Herausforderung, die durch Kunst entsteht, wiewohl monium digitaler Weltvernichtung, Matthes & Seitz, Berlin. Vielfalt, Komplexität und Pluralität häufig nicht als Bereiche- Dungs, S. in Klein, R./Dungs, S. (Hrsg.) (2010), Standardisie- rung empfunden werden. Wir leben aber nicht mehr (wenn rung der Bildung, VS Verlag, Wiesbaden. Peter Angerer, geb. 1956, je überhaupt) in homogenen Gesellschaften und es existie- Fenz, W., (2014), Lichtungen, Zeitschrift für Literatur, Kunst lebt in Frohnleiten, bis ren keine Weltbilder mehr, die von allen geteilt werden. „Wir und Zeitkritik, 138/XXXV.Jg./2014. 2018 Arbeit an der NMS alle sind heute pluralisierte Individuen“ (Charim 2018, S.81). Fiala, E., (2011), Katalog, 7. Steirische KünstlerInnen-Klausur, und an der KPH Graz im Der dominant sich durchsetzende Bildungsbegriff, der „Bil- No Plastic, styrianArtfoundation. Bereich Didaktik, Grafik und dung als einen Komplex empirisch fassbarer und messbarer Han, B.C., (2013), Im Schwarm, Ansichten des Digitalen, künstlerischer Projektarbeit; Größen mit einem inflationären Gebrauch des Begriffs Kom- Matthes & Seitz Berlin. Mitarbeit in EU Projekten/ petenzorientierung“ (Dungs 2010, S.69) sieht, hat genau mit Hoffmeister, C., (2019), Google Unser, DCI Institute GmbH, an Publikationen; Leh- dieser „Vereindeutigung“ zu tun. „Lernen lässt sich aber auf Hamburg. rendenmobilität: Litauen, die Unbekanntheiten, die Unstimmigkeiten, die auch bedroh- Kucklick, C., (2016), Die granulare Gesellschaft, Wie das Di- Polen, Deutschland, lichen Offenheiten ein, es nimmt Risiken des Probierens auf gitale unsere Gesellschaft auflöst, Ullstein Verlag, Berlin. Italien, Belgien, Slowenien, eigene Faust hin, es vertraut nicht der Autorität, die Instru- Nassehi, A., (2019), Muster, Theorie der digitalen Gesell- Gastlehrender der PH mente zum Zeitgewinn und zur Wegabkürzung bereit hält. schaft, C.H. Beck, München. Heidelberg seit 2008. Es nimmt Umwege und auch Abstürze in Kauf.“ (Rumpf in Peschel, F., (2009) Offener Unterricht, Teil 1: Allgemeindidakti- Dungs/Klein 2010, S.49) Wir brauchen daher eine „Entstan- sche Überlegungen, Schneider Verlag Hohengehren, Balt- dardisierungskampagne“ meint Regina Klein (S.49). Mit dem mannsweiler. Abarbeiten von vorgefertigten und standardisierten Forma- Pörksen, U., (2004), Plastikwörter, Die Sprache einer interna- ten kann künstlerischer Unterricht nicht beschrieben werden, tionalen Diktatur, Klett-Cotta Verlag, Stuttgart. wiewohl es auch in diesem Bereich umfassende Kompeten- Rauchenberger, J., (2015) Begleitheft zur Ausstellung „Refle- zen zu erwerben gibt. Da braucht es die Freiheitsräume und xion“; Minoriten Galerie, Graz. Bereiche jenseits aller Verwertungslogik, die sich über künst- Rosa, H., (2018), Unverfügbarkeit, Residenzverlag, Wien, lerische Prozesse auftun. Und da braucht es Offenheit und In- Salzburg. dividualisierung, um selbstverantwortliches und selbstständi- Rosa, H., (2013), Beschleunigung und Entfremdung, Suhr- ges Lernen und Handeln zu entwickeln (Peschel 2009). Dort, kamp Verlag, Berlin. wo es Humankapital qualitätssichernd (Messbarkeitswahn) zu Sloterdijk, P., (2008), Selbstversuch, Ein Gespräch mit Carlos standardisieren gilt, verkommt Bildung zur Ware für die Res- Oliveira, Hanser Verlag, München, Wien. source Mensch. Hinter jeder bildungspolitischen Entwicklung Strittmatter, K., (2019), Die Neuerfindung der Diktatur, Piper steht ein Menschenbild. Sollte es um die autonome Existenz Verlag, München. selbstbestimmter Wesen in Freiheit gehen, dann bräuchten wir eine ganz andere Reform des Bildungswesens. Ein Un- terricht, der auf die Eigenverantwortlichkeit (weil man ihnen

30 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 31 DIGITAL-ANALOGE SCHNITTSTELLEN DIGITAL-ANALOGE SCHNITTSTELLEN

Nadia Bader, Michaela Götsch Abb. 1: Wahrnehmungs- übung: Raum erkunden von unten – mit Spiegel Mit der Kamera im Rücken und und Tablet/Smartphone, dem Stift auf der Wand digitale Zeichnung, © N. Bader 2019 Wie können ästhetische Erfahrungen Handlungskompetenzen Abb. 2: Wahrnehmungs- an digital-analogen Schnittstellen fördern? übung: Raum erkunden von unten – Booklet, © M. Götsch 2019

Das Thema der Digitalisierung in Bildungskontexten stellt sich TPACK-Modell detailliert beschreibt, benötigen Lehrpersonen ambivalent dar (vgl. Petko u.a. 2018, S.158). Digitalisierungs- nicht nur fachliche, pädagogisch-didaktische und technologi- befürworter*innen und -gegner*innen prägten auch die dies- sche Kompetenzen, sondern vor allem auch die Fähigkeit, die jährige BÖKWE-Tagung. Daher erscheint uns eine mehrpers- Wechselwirkungen zwischen diesen Bereichen zu erkennen pektivische Zugangsweise zu diesem komplexen Themenfeld und fruchtbar zu machen (vgl. ebd.). notwendig. Ausgehend von Praxiserfahrungen aus der Leh- Im Hinblick auf Unterrichtsgestaltung an (Hoch)Schulen durch das jeweilige Medium hindurch – via Spiegel-/ Kamera- Die eigene Wahrnehmung als solche wahrzunehmen, wie rer*innenbildung geschieht dies im vorliegenden Artikel auf stellen sich davon ausgehend die grundlegenden Fragen: bild – die Decke des Raumes zu erkunden (Abb. 1 und 2). Im im Workshop durch eine Raumerkundung mit Spiegel und drei Ebenen: u Wie verändern sich durch die Digitalisierung das Lehren Vergleich wird deutlich, wie die zwei Medien (Spiegel und Di- Smartphone initiiert, ist dahingehend ein erster Schritt. Wenn Ästhetische Erfahrungen: Anhand von Wahrnehmungs- und Lernen in der Bildnerischen Erziehung bzw. im Techni- gitalkamera) als Filter unsere Wahrnehmung in je spezifischer die sinnliche Wahrnehmung und ihre Wirkung auf das Fühlen übungen mit digitalen und analogen Medien (Smartphone und schen und Textilen Werken? Weise beeinflussen: Sie wirkten sich beispielsweise auf den und Denken selbst ins Zentrum der Aufmerksamkeit treten, Spiegel) wird beispielhaft aufgezeigt, wie das Bewusstsein u Wann können welche Potentiale digitaler Medientechno- Eindruck von Größe, Tiefenwirkung und Schärfe des sichtba- dann kann daraus eine ästhetische Erfahrung hervorgehen für den Einfluss digitaler Technologien auf unsere Wahrneh- logien sinnstiftend genutzt werden? ren Bildausschnittes aus sowie auf das Empfinden der eigenen (vgl. Dietrich u.a. 2012, S.19f und Fuchs 2015). Dadurch wer- mung geschärft werden kann. u Und wie wirkt sich ihr Einsatz in gestaltungsorientierten Körperlichkeit im Raum.5 Mal ergaben sich visuelle Verschrän- den (Alltags-)Wahrnehmungen und damit verbundene Ge- Analyse und Reflexion: Mithilfe des Analysemodells/Orien- Lehr- und Lernarrangements auf die Lernenden, ihren Um- kungen der räumlichen Ebenen von Decke und Boden, mal ver- wohnheiten für Reflexionsprozesse und mögliche Umdeutung tierungsrahmens des „Frankfurt-Dreiecks“ (Brinda u.a. 2019) gang mit und ihr Verständnis für diese Technologien aus? selbständigte sich das Kamerabild auf dem Smartphone-Dis- zugänglich. Vermeintlich Vertrautes kann in neuem Licht be- wird das Smartphone exemplarisch zu Funktionen, gesell- „Mehr“ Digitalisierung führt dabei nicht unbedingt zu ei- play zu einem abstrakten Formenspiel.6 Allen Beobachtungen trachtet werden. Durch (ästhetische) Wahrnehmungsübun- schaftlichen und kulturellen Wechselwirkungen sowie zu sei- nem „besseren“ Lehren und Lernen, warnen Kritiker*innen und Rückmeldungen zur Übung gemeinsam war die intensive gen können so auch mediale Phänomene der Digitalisierung ner Nutzung geprüft. hinsichtlich eines wenig reflektierten Umgangs mit dem weit Aufmerksamkeit für das eigene Sehen, Fühlen und körperliche erfahrbar und verhandelbar gemacht werden.7 Gestaltung: Als Anreize für eine gestalterisch-künstleri- verbreiteten SAMR-Modell.2 Entscheidend für etwaige (Miss) Empfinden bei der Nutzung der analogen und digitalen Medien Dazu folgend zwei weitere Beispiele: In der Übung „Hinten- sche Auseinandersetzung mit digitalen Medien im Schulkon- Erfolge ist vielmehr die spezifische, situative Einbettung di- und die Erfahrung, wie sich diese auf die Wahrnehmung des rum“ (Abb. 3) sind zwei Personen per Videotelefonie mitein- text dienen Beispiele aus Kunst, Design und Technik. gitaler Medientechnologien in Lernarrangements und (fach) Raums und des eigenen Körpers auswirkte. Wesentlich war ander verbunden. Eine Person hat dabei ihr Smartphone auf didaktische Konzepte.3 auch die Erkenntnis, wie wenig uns im alltäglichen Gebrauch den Rücken geklebt und wird von der zweiten Person, die über Aktuelle Forschungen unter dem Stichwort „Digital Divide“1 be- des Smartphones als Kamera und Display der Einfluss und die das Display des eigenen Gerätes durch das Kameraauge der/ legen, wie sehr die Teilhabemöglichkeiten am digitalen Wandel Ästhetische Erfahrungen an Wirkung digitaler Übersetzungsprozesse bewusst sind. des Anderen blicken kann, rückwärts durch den Raum gelotst. (bspw. aufgrund neuer Formen und Anforderungen von Beru- digital-analogen Schnittstellen Gewohnte Wahrnehmungs- und Bewegungsmuster werden fen, demokratischen Prozessen, kulturellen und gesellschaft- Im Anschluss daran erscheint es uns wesentlich, digitale Me- Besinnung auf die Sinne irritiert; das eigene Blickfeld wird eingeschränkt (Kameraaus- lichen Praktiken) von entsprechenden Kompetenzen abhängig dientechnologien nicht isoliert, sondern situativ eingebettet Digitale Technologien beeinflussen unsere Wahrnehmung auch schnitt) bzw. umgekehrt (Rückwärtsgehen); kommunikative sind. Dazu zählen sowohl medienspezifische Kompetenzen wie zu betrachten, wodurch Wechselwirkungen zwischen Digita- dann, wenn sie gerade nicht in Gebrauch sind. Gernot Boeh- Herausforderungen stellen sich in ungewohnter Weise. In der Kenntnisse und Fertigkeiten in der Nutzung, Gestaltung und kri- lem, Materialität und Körperlichkeit in den Blick rücken. Digi- me zufolge wirken sich Anpassungen an technisierte Kommu- Übung „Visualizer“ (Abb. 4) zeichnet eine Person die vor ihr im tischen Beurteilung digitaler Medientechnologien, als auch die tal-analoge Schnittstellen sind mit komplexen medialen Über- nikations- und Arbeitsformen auf den (menschlichen) Körper Seminarraum sitzenden Personen. Zeitgleich wird das entste- sogenannten 21th Century Skills Kommunikation, Kollaboration, setzungsprozessen und je spezifischen Potentialen und Her- aus (vgl. Boehme 2007, S.47). Wie Boehme sieht auch Kerstin hende Bild mitsamt der zeichnenden Hand an die Wand hinter Kreativität und kritisches Denken (vgl. Petko u.a. 2018, S.162). ausforderungen verbunden, die es im Zusammenhang mit der Hallmann Handlungsbedarf im Feld der Ästhetischen Bildung: ihr projiziert. So entsteht eine komplexe Situation gegenseiti- Bildungsinstitutionen wie auch die Lehrer*innenbildung in der Gestaltung von Lehr-Lern-Prozessen zu berücksichtigen gilt.4 „In einer Kultur, die sich immer mehr den technischen Vor- gen Beobachtens und Beobachtet-Werdens. Kunst- und Werkpädagogik sind gefordert, solche Kompeten- Auf diese Schnittstellen und Wechselwirkungen aufmerk- gaben anpasst und in der zunehmend das Erkennen und Wie- zen zu fördern. Damit Lehren und Lernen mit (digitalen) Techno- sam zu machen, war auch ein Ziel unseres Workshop-Beitrags dererkennen von Formen dominiert, muss die Aufmerksamkeit Analyse, Reflexion und Gestaltung logien gelingen kann, ist Matthew J. Koehler zufolge insbeson- zur Tagung „Di[gi]alog“: Im Rahmen der Wahrnehmungsübung wieder verstärkt auf grundlegende Wahrnehmungsbedingun- digitaler Phänomene dere die Entwicklung von „Technological Pedagogical Content „Raum erkunden – von unten“ nutzten die Teilnehmenden ei- gen gelegt und in pädagogischen Situationen thematisiert Anhand dieser Beispiele wird deutlich, wie bereits kleine Ein- Knowledge“ (kurz: TPACK) zentral (vgl. Koehler 2012). Wie das nerseits Spiegel und andererseits Smartphone-Kameras, um werden“ (Hallmann 2018, S.154). griffe gewohnte Wahrnehmungsweisen irritieren, durchbre-

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Abb. 3: Wahrnehmungs- tionsbedingungen auswirken, zeigt sich insbesondere in Abb. 4: Wahrnehmungs- übung: Hintenrum – Mit den vielfältigen Funktionen von Selfies (vgl. Reichert 2015 übung: Visualizer – Mit der Kamera im Rücken, und Maleyka 2019): Die visuelle Dokumentation von Ereig- dem Stift an der Wand, digitale Zeichnung, © N. nissen überlagert im Kommunikationsprozess die verbali- digitale Zeichnung, © N. Bader 2019 sierte Erzählung. In ihrer Beweisfunktion („Ich war hier“) Bader 2019 stellen Selfies eine Alternative zur physischen Markierung besuchter Orte dar (z.B. Kritzeleien an Wänden, eingeritz- te Holzbänke oder Einträge in Gästebücher). u Das Smartphone und die sich damit ausgeprägte Sel- fie-Kultur nehmen auch sichtbaren Einfluss auf die Bildung und Entwicklung von Identität: Die Möglichkeit, Fotos bei der Entstehung über das Display zu sehen und sie über die mobile Internetverbindung jederzeit versenden und auf Social-Media-Plattformen veröffentlichen zu können, verändert laufend die Formen der Selbstdarstellung (z.B. richt in der Kunst- und Werkpädagogik. Im Anschluss folgt ein Duckface) und der Bildproduktion (z.B. durch die Nutzung Praxisbeispiel aus dem Fach Bildnerische Erziehung. von Selfiesticks und Fotofiltern) (vgl. Maleyka 2019). Des Die Künstlerin Sam Hodge kopiert zeichnerisch die Bruch- Weiteren ersetzt der Selfie-Modus der Smartphone-Ka- stellen kaputter Smartphone-Displays und erstellt daraus mera auch die Nutzung von Taschenspiegeln zum Zweck Kaltnadelradierungen (vgl. Davies 2015). Die Titel dieser Gra- der Selbstkontrolle, um gesellschaftlichen Normen und fiken enthalten Aussagen über den persönlichen Bezug der Rollenbildern zu entsprechen. Besitzer*innen zu ihrem beschädigten Gerät. Mit den Bildern, so schreibt die Künstlerin selbst auf ihrer Website, bringt sie chen und so zu einer Sensibilisierung im Umgang mit (digi- ebd.), wird nun ansatzweise im Kontext der beschriebenen Selbstermächtigung durch Gestaltung die Zerbrechlichkeit menschengemachter Dinge zum Aus- talen und analogen) Medien führen können. Um nun solche Wahrnehmungsübung „Raum erkunden – von unten“ anhand Gestalterische Aspekte der soeben durchgeführten mehrper- druck und spielt dabei bewusst mit ihrer Übertragbarkeit auf Praxiserfahrungen (fach)didaktisch fruchtbar zu machen, be- der dort eingesetzten Smartphone-Kamera skizziert. Die ge- spektivischen Betrachtung des Smartphones werden nun im Personen und Gesellschaften (vgl. Hodge 2015). darf es auch einer Explikation impliziter Wissensbestände und stalterischen Aspekte dieser Betrachtung werden im darauf- Kontext von Lehr-Lern-Szenarien in der Bildnerischen Erzie- Während Sam Hodge in ihren Display-Grafiken eine digi- einer kontextualisierenden Reflexion. Erst so lässt sich genau- folgenden Kapitel eingehender behandelt. hung sowie im Technischen und Textilen Werken beleuchtet. tal-analoge Schnittstelle des Smartphones zum Thema äs- er bestimmen, inwiefern nun spezifische mediale Eigenhei- u Welchen Einfluss die „technologischen und medialen Funk- Es stellt sich unter anderem die Frage, wie die technischen thetischer Erfahrung macht, haben die Produzent*innen des ten wirksam werden8 und wie sich dadurch (fachspezifische) tionen und Strukturen“ (ebd.) des Smartphones auf Bilder Bedingungen der digitalen Bildproduktion mit dem Smart- Fairphones ein anderes Ziel: Sie fügen dem Dilemma, mit der Lehr-Lern-Prozesse verändern bzw. verändern können. Als haben, die mit der integrierten Digitalkamera aufgenommen phone nun bewusst(er) und absichtsvoll(er) genutzt werden „Spider-App“12 leben zu müssen oder ein neues Gerät zu kau- Anstoß für eine systematische Betrachtung können Modelle wurden, lässt sich im bewussten Umgang mit dem Gerät können. Möglichkeiten der Analyse von digital produzierten fen, eine weitere, nachhaltigere Option hinzu. Das unter fairen wie beispielsweise das Frankfurt-Dreieck dienlich sein. In die- zum Teil erahnen: Neben analogen Faktoren wie dem äuße- Bildern sowie der eigenen Gestaltung mit diversen Bildbear- Arbeitsbedingungen und geringem Rohstoffverbrauch produ- sem sind drei Perspektiven definiert, welche es nach Ansicht ren Design des Gerätes (Größe, Form, Materialität) und der beitungsprogrammen und Kamerafiltern sind naheliegend. Je zierte Smartphone ist so hergestellt, dass alle Einzelteile bei seiner Autor*innen9 in der Auseinandersetzung mit digitalen eingebauten optischen Linse wirken sich vor allem Bildsen- ein Beispiel aus dem Kunst- und aus dem Design- bzw. Tech- Beschädigung von seinen Nutzer*innen selbst ausgebaut, Phänomenen im Bildungskontext zu berücksichtigen gilt: sor (digitaler Bildumwandler), Kamerasoftware, Displaytech- nikbereich illustrieren Anschlussmöglichkeiten für den Unter- nachbestellt und repariert werden können (vgl. Fairphone). u die technologisch-mediale Perspektive, nologie und Prozessorleistung auf das sichtbare Ergebnis u die gesellschaftlich-kulturelle Perspektive und aus. Ihre medialen Eigenschaften und Ästhetiken sind, wie u die Interaktionsperspektive. auch im Fall der Kamera-Voreinstellungen zur Bildoptimie- rung,10 nicht einfach technisch gegeben, sondern das Resul- Vom jeweiligen Standpunkt aus und im wechselseitigen Be- tat zahlreicher Einflussfaktoren und Entscheidungen im Rah- zug aufeinander sollen digitale Phänomene mit Hilfe dieses men komplexer Entwicklungs- und Produktionsprozesse. Orientierungsrahmens nicht nur analysiert und reflektiert, u Ein Beispiel für einen gesellschaftlich-kulturellen Versuch Abb. 5: Filmische Inszenie- sondern auch gestaltet werden. Das Ziel, die Befähigung „zu auf die Nutzung von Smartphones regulierend einzuwir- rung als Kim Kardashian einem dynamischen souveränen Umgang mit Technologien“ ken, ist der Umgang mit „Smombies“.11 Konzepte zur Stei- im Kontext der Aufgaben- (Brinda u.a. 2019), umfasst also mehr als ein Verständnis für gerung der Wachsamkeit von Smartphone nutzenden Fuß- stellung: On display. Vom stattfindende Prozesse und Konsequenzen des digitalen Wan- gänger*innen im Straßenverkehr reichen dabei von vor- Einfluss des Handys auf dels. Vielmehr soll dieser aktiv beeinflusst und mitgestaltet sorglich warnenden „Bompeln“ (Bodenampeln, vgl. dpa unsere Wahrnehmung, werden können. Wie das Frankfurt-Dreieck dabei helfen kann, 2015) bis hin zur Androhung von Strafzahlungen (vgl. Szpi- digitale Zeichnung, © N. fachspezifische didaktische Szenarien zu entwickeln (vgl. ro 2017). Wie sich Smartphones auf soziale Kommunika- Bader 2019

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Abb. 6: Fotografische In- einandersetzung mit den gestalterischen Strategien ihrer Stars Fuest, Benedikt (2018): Das unmögliche Foto macht Smart- 1 Der Begriff „Digital Divide“ beschreibt Faktoren der Ungleichheit in szenierung eines sportlich- (Influencer) und nicht zuletzt eine Erweiterung ihrer Handlungs- phones endgültig zur besseren Kamera. In: Welt.de der Nutzung neuer Technologien, z.B. Bildungsunterschiede (vgl. Pet- risikofreudigen Charakters kompetenz in der Repräsentation und Konstruktion der eigenen am 18.12.2018. https://www.welt.de/wirtschaft/web- ko u.a. 2018, S.162). im Kontext der Aufgaben- Identität (vgl. Abb. 5 und 6). welt/article185702370/Fotografie-KI-macht-Smartpho- 2 Anhand des SAMR-Modells von Ruben Puentedura soll eruiert wer- stellung: On display. Vom Dieses letzte Beispiel veranschaulicht, wie die beschrie- nes-jetzt-endgueltig-zur-besseren-Kamera.html [Zugriff: den können, welche digitalen Medien wie, in welchem Ausmaß und Einfluss des Handys auf bene Praxis aus der Lehrer*innenbildung auch für den kon- 09.08.2019] mit welchen Auswirkungen in den Unterricht integriert werden. Die unsere Wahrnehmung, kreten Schulunterricht relevant werden kann. Die exemplari- Hallmann, Kerstin (2018): Leibliche Erfahrungsräume. Zur Be- Stufen des Modells – Substitution, Augmentation, Modification, digitale Zeichnung, © N. sche Auseinandersetzung mit dem Smartphone erfolgte aus deutung synästhetischer Wahrnehmung in Räumen der Redefinition – können Erica Hamilton u.a. zufolge jedoch im Sinne Dr. des. Bader Nadia ist Bader 2019 unterschiedlichen Perspektiven und auf mehreren Ebenen. Kunst. In: Engel, Birgit u.a. (Hrsg.): räumen – Raumwissen einer Fortschrittslogik (miss)verstanden werden, da der Kontext aus- Dozentin für Fachdidaktik Anhand einer solchen mehrperspektivischen Zugangsweise in Natur, Kunst, Architektur und Bildung. Weinheim Basel: geblendet werde, in welchem Technologien konkret zur Anwendung Bildnerisches Gestalten am wird deutlich, wie digitale Medientechnologien im Kontext Beltz Juventa, S.154–169. kommen (vgl. Hamilton u.a. 2016, S.6). Institut Sek I & II der PH der Kunst- und Werkpädagogik über die Nutzung als Werk- Hamilton, Erica R. / Rosenberg, Joshua M. / Akcaoglu, 3 Vgl. Petko u.a. (2018, S.166): „Qualität ist hier wichtiger als Quanti- FHNW (CH), Akade- zeuge in gestalterischen Lehr-Lernsettings hinaus auch selbst Meta (2016): The Substitution Augmentation Modifica- tät, und der Medieneinsatz muss sich letztlich auch daran messen mische Mitarbeiterin an zum Anlass des Lernens und der Entwicklung von Handlungs- tion Redefinition (SAMR) Model: A Critical Review and lassen, ob die digitalen Technologien einen Beitrag zur Verbesserung der ABK Stuttgart und kompetenz werden können. Ästhetische Bildung bleibt dabei Suggestions for its Use. In: TechTrends, 60, S.433–441. der Tiefenstruktur von Unterrichtsqualität leisten.“ freischaffende Gestalterin. nicht bei der Initiierung ästhetischer Erfahrungen stehen, son- http://dx.doi.org/10.1007/s11528-016-0091-y [Zugriff: 4 Im Anschluss an praxistheoretische Konzepte (z.B. Latours Ak- In Forschung, Lehre und dern kann durch die Reflexion und kontextualisierende Vertie- 10.11.2019] teur-Netzwerk-Theorie) können Praktiken als Interaktion und komple- Gestaltung beschäftigt sie fung zu einem bewussteren und differenzierteren Umgang mit Hogde, Sam (2015): Shattered https://www.samhodge. xe Wechselwirkung zwischen Menschen sowie zwischen Menschen sich u.a. mit Erkennt- digitalen Medien führen. co.uk/#/shattered/. [Zugriff: 09.08.2019] und Dingen/Technologien konzeptualisiert und mediale Praktiken im nis- und Vermittlungs- Homberger, Ursula / Meier, Urs (2007): Referenzrahmen Hinblick auf ihre Wirksamkeit untersucht werden. potentialen des Visuellen Bibliografie Für Gestaltung Und Kunst. Zürich: Pädagogische Hoch- 5 Z.B. durch das analoge Weitwinkelobjektiv des Smartphones, das es sowie der Komplexität Böhme, Gernot (2007): Den Umgang mit Atmosphären ler- schule Zürich. ermöglicht, einen größeren Bildausschnitt zu sehen als der Spiegel. von Wechselwirkungen in nen – Eine neue ästhetische Erziehung des Menschen. In: Koehler, Matthew J. / Mishra, Punya (2009): What is tech- 6 Z.B. geschah dies, wenn sich der Bildsensor der Kamera auf die un- Lehr-Lern-Situationen im Büchler, Adriana u.a. (Hrsg.): Schule Muss Schön Sein: Fa- nological pedagogical content knowledge? In: Contem- terschiedlichen Beleuchtungssituationen einzustellen versuchte. Kunstunterricht. cetten des ästhetischen Bildungsauftrags. München: Ko- porary Issues in Technology and Teacher Education, 7 Die erste von vier Leitfragen zur Weiterentwicklung der Lehrer*in- paed, S.43–52. 9(1), S.60–70. https://www.researchgate.net/publica- nenbildung im Kontext der Digitalisierung ist Petko u.a. zufolge: Brinda, Torsten u.a. (2019): Frankfurt-Dreieck zur Bildung in tion/241616400_What_Is_Technological_Pedagogical_ „Werden die medienbezogenen Fähigkeiten und Überzeugungen von Mit dieser Produktentwicklung erhalten Nutzer*innen also ein der digitalen Welt. https://www.researchgate.net/publi- Content_Knowledge [Zugriff: 10.11.2019] Studierenden in der Ausbildung aktiviert und revidiert?“ (Petko u.a. Stück Souveränität im Umgang mit digitalen Medientechno- cation/335492318_Frankfurt-Dreieck_zur_Bildung_in_ Koehler, Matthew (J. 2012): TPACK Explained. In: http:// 2018, S.168) logien zurück und gewinnen Einblick in die komplexe techno- der_digitalen_Welt [Zugriff: 10.11.2019] tpack.org/official [Zugriff: 02.12.2019] 8 Petko u.a. formulieren als vierte Leitfrage zur Weiterentwicklung der logische Konstruktion ihres Geräts. Davies, Lucie (2015): Lucky breaks: art made from broken Maleyka, Laura (2019): Selfie-Kult: Bildvermittelte Kommu- Lehrer*innenbildung: „Erleben und reflektieren die Studierenden die Nachdem der Fokus dieser beiden Beispiele vorwiegend auf phones. In: The Telegraph am 30.06.2015. https://www. nikation und Selbstbildnis als Kommunikationskode im di- Wirksamkeit medialer Praktiken?“ (Petko u.a. 2018, S.170) Götsch Michaela ist Dozen- technologischen und medialen Aspekten des Smartphones lag, telegraph.co.uk/culture/art/11706150/Lucky-breaks-art- gitalen Raum. kommunikation @ gesellschaft, 20, 1–28. 9 Vertreter*innen aus den Bereichen der Informatik, Informatikdidaktik, tin für Fachdidaktik Design soll das folgende die gesellschaftlichen und kulturellen Wech- made-from-broken-phones.html [Zugriff: 08.12.2019] https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-62775-7 Medienpädagogik und Medienwissenschaft (vgl. Brinda u.a. 2019). & Technik am Institut Sek selwirkungen sowie den Einfluss des Smartphones auf die Iden- Dietrich, Cornelie / Krinninger, Dominik / Schubert, Volker [Zugriff: 30.09.2019] 10 Neueste Smartphone-Generationen erzeugen bei einer Kameraakti- I & II der PH FHNW (CH). titätsbildung ins Zentrum rücken: Wie der Titel der Aufgabe „On (2012): Einführung in die ästhetische Bildung. Weinheim: Petko, Dominik / Döbeli Honegger, Beat / Prasse, Doreen vierung gleich mehrere Einzelbilder und errechnen daraus mit Hilfe Zuvor unterrichtete sie am display. Vom Einfluss des Handys auf unsere Wahrnehmung“13 Beltz Juventa. (2018): Digitale Transformation in Bildung und Schule: Fa- einer an unzähligen „guten“ Bildern trainierten KI ein diesen „Schön- Institut für künstlerisches schon verrät, hat diese, ähnlich der beschriebenen Raumerkun- dpa (2015): „Smombie“ ist Jugendwort des Jahres. In: Frank- cetten, Entwicklungslinien und Herausforderungen für die heitsnormen“ entsprechendes Bild. (vgl. Fuest 2018). Lehramt an der Akademie dungsübung, zunächst die Sensibilisierung der Schüler*innen furter Allgemeine Zeitung am 13.11.2015. https://www. Lehrerinnen- und Lehrerbildung. In: Beiträge zur Lehrerin- 11 Ein „Smartphone-Zombie“ ist eine Person, die mit geneigten Kopf der Bildenden Künste zum Ziel. Wahrgenommen und reflektiert werden sollen Wir- faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/smombie-zu-ju- nen- und Lehrerbildung, 36 (2), S.157–174. auf sein Display starrend durch die Straßen geht und dabei seine Wien, war Lehrerin für kung und Wirkweise medial vermittelter visueller Eindrücke. gendwort-des-jahres-2015-gekuert-13910514.html [Zu- Reichert, Ramón (2015): Selfie Culture. Kollektives Bildhan- Umwelt kaum mehr wahrnimmt. Technisches Werken, Dabei werden sowohl selbst produzierte Bilder und Videos in griff: 08.12.2019] deln 2.0. In: POP. Kultur und Kritik, Jg. 7, S.86–96. https:// 12 Auf Grund der spinnennetzartigen Risse, wird das Erscheinungsbild Textiles Werken und Bildne- den Blick genommen, als auch solche, die über das Internet Faiphone: https://www.fairphone.com/de [Zugriff: doi.org/10.25969/mediarep/1169. eines zerbrochenen Displays umgangssprachlich „Spider-App“ genannt. rische Erziehung an einem und insbesondere Social Media konsumiert werden. Aufbauend 08.12.2019] Szpiro, George (2017): „Smombies“ müssen in Honolu- 13 Diese Aufgabe wurde konzipiert und durchgeführt von Raphaela Gisi Wiener Gymnasium und auf diesen Erkenntnissen eröffnet die Aufgabe kreative Gestal- Fuchs, Max (2015): Ästhetische Erfahrungen – Hinweise für lu künftig Bussen zahlen. In: Neue Zürcher Zeitung am mit einer 11. Schulstufe der Kantonschule Will (SG). befasste sich mit persona- tungsräume für filmische Inszenierungen fiktiver Charaktere.14 den Umgang mit einem komplexen Begriff. In: Kulturelle 28.10.2017. https://www.nzz.ch/panorama/smartpho- 14 Auszug aus der Aufgabenstellung: „Auf […] Instagram werden ler und medialer Kunst- und Die Entwicklung und Umsetzung von Kurzfilmen im Stil einer Bildung online. https://www.kubi-online.de/artikel/aest- ne-fussgaenger-honolulu-bussen-zahlen-ld.1324711 [Zu- Kurzfilme verwendet, um […] ein gewisses Bild von sich und sei- Kulturvermittlung. Instagram-Story ermöglicht den Schüler*innen einen inhaltli- hetische-erfahrungen-hinweise-den-umgang-einem-kom- griff: 08.12.2019] nem Leben zu vermitteln. Versuchen Sie nun einen kleinen Handyfilm chen Bezug zur eigenen Lebenswelt, eine dekonstruktive Aus- plexen-begriff [Zugriff 02.12.2019] zu erstellen, der ein Bild einer fiktiven Person wiedergeben soll.“

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Gabriele Bauer Projekt-Leitfaden halten sie fest, dass Struktur und Aktivitä- geben haben: all dies eine Bereicherung und ein Mehrwert ten der Workshops situativ zu positionieren waren: „In diesem dieser Workshops“.7 Sinne waren Erfahrung und Geschicklichkeit von wesentlicher Erasmus+ im Dialog mit Kunst- Bedeutung. Trotz methodischer Trainings und Erfahrung in der Kunst und Kultur als Vektor für eine und Kulturvermittlung Anwendung verlangten manche Momente von den Kunstver- Erneuerung der Bildungssysteme mittler/innen zusätzliche Fähigkeiten in der Kommunikation Kulturbewusstsein und kulturelle Ausdrucksfähigkeit gehören mit den Jugendlichen.“5 zu den acht Schlüsselkompetenzen für lebensbegleitendes Eckart Liebau betont aber auch, dass neben der Liebe zum Lernen und fördern die Entwicklung von Ideen, Erfahrungen Beruf von Lehrenden – und er hat da nicht nur die Liebe zu den und Gefühlen durch verschiedene Medien wie Literatur, dar- Zahlreiche europäische Erasmus+ School Exchange-Partner- Austausche ermöglichen. Die Beständigkeit des Programms Fächern im Sinn, sondern vor allem die Freude an der Arbeit stellende Künste oder Medienkompetenz. Lehrkräfte spielen Mag.art. Gabriele Bauer, schaften arbeiten im Rahmen von künstlerischen und kultu- gibt zudem die Möglichkeit, Projekt-Pausen einzulegen, ohne mit Kindern und Jugendlichen – auch eine gehörige Portion beim Erwerb und der Weiterentwicklung dieser Kompetenz Universitäten Wien, rellen Projekten im Kontext der kulturellen Bildung. Sie er- damit einmalige Gelegenheiten zu verpassen. Mit dem Fo- Humor notwendig ist. Ein Postulat, das in der heutigen Gesell- durch die Schüler/innen eine entscheidende Rolle. Die euro- Trondheim und Lille , Ver- möglichen somit die Implementierung von Schemata zur Er- kus auf Blended-learning setzt die Europäische Kommission schaft doch kaum Gehör findet? Das Wort Humor findet sich päische Schulbildungsplattform School Education Gateway gleichende Literaturwissen- werbung bzw. Stärkung der persönlichen Kompetenz ihrer bewusst auf einen Mix von persönlichen Begegnungen zwi- weder im neuen Regierungsprogramm6, noch im SCHOG. Be- führte im August 2018 eine Umfrage zu Kunst in Lernprozes- schaft und Skandinavistik, Schüler/innen einerseits sowie der sozialen Kompetenz an- schen Lehrkräften und Schüler/innen der beteiligten Projekt- rührend ist, dass selbst Papst Franziskus sein tägliches Gebet sen durch und zeitigte das Ergebnis, dass die Einbindung von Lektorin Österreichischer dererseits. Und sie bedienen sich dabei persönlicher Begeg- schulen, sowie auf die Anwendung digitaler Kommunikations- mit der Bitte um Humor beschließt, wie er am Ende des Film- Kunst und Kultur als Vektor für eine Erneuerung der Bildungs- Akademischer Austausch- nungen genauso wie der Anwendung von Social Media und mittel, um den Austausch zur Projektarbeit auch zwischen porträts „Papst Franziskus – Ein Mann seines Wortes“ (2018) systeme dient und die Vielfalt pädagogischer Ansätze erhöht, dienst (1998–2002), weiterer digitaler Kommunikationsformen wie eTwinning. den persönlichen Begegnungen (Mobilitäten) beständig wei- von Wim Wenders lächelnd mitteilt. sowie das soziale Bewusstsein von Lernenden aller Alters- Regionalleiterin Erasmus+ ermöglicht, dass sich sowohl Lehrkräfte als auch terführen zu können. Fehlt dem (europäischen) Bildungsdiskurs die Leichtig- stufen im Rahmen eines angeleiteten Lernprozesses stärkt.8 Robert-Bosch-Stiftung und Direktionen auf das Wagnis einer europäischen Schulpartner- keit und die damit einhergehende Offenheit? Ob dies dem Ein Verständnis für kulturelle Bildung kann nur durch die Goethe-Institut (2002– schaft einlassen, deren Funktionsweise, Kommunikation und Kultivierung der Künste momentanen Indikationsanforderungen zur Messbarkeit aller Ermöglichung von Reflexion und die Anerkennung von Vielfalt 2004), Projektkoordination Ergebniswirksamkeit zwar mit Absichts- und Zielerklärungen „Die Künste zu kultivieren bedeutet zugleich eine breitere Ak- Fähigkeiten und Fertigkeiten geschuldet ist? Zumindest Ru- und Vielschichtigkeit entwickelt, geschult und verantwortet KulturKontakt abgesteckt sind, deren arbeitsalltägliche Umsetzung aber zeptanz kultureller Differenz und Diversität“, schreibt Eckart pert Corazza, FIDS-Verantwortlicher in der Bildungsdirektion werden. Das Erkennen und Aushalten von Ambiguität ist da- (2005–2018), Institut für nicht vorhersehbar ist. Dieses Einlassen auf neue Wege, neue Liebau im aktuellen Schulheft 175/2019.2 Werden also mit Wien, hat seinen Humor trotz der momentanen Anforderun- bei ein wesentlicher Schlüsselfaktor. Nicht nur neues Wissen Germanistik der Konstantin- Partnerschaften und neue Arten der Zusammenarbeit erfor- europäischen School Exchange-Partnerschaften die Künste gen bezüglich Indikatorennachweisen nicht verloren und be- wird erlangt, auch die Anwendung von in Schulen gelehrten Universität Nitra|Slowakei, dert zunächst Neugierde, aber auch Mut und die Fähigkeit, kultiviert, so wird tatsächlich ein Blick über den Tellerrand ge- ginnt seine Begrüßung zur Jahrestagung BildungKultur am und gelernten Sprachen ist notwendig und unumgänglich. Die Konzeptionierung und Geschehen und Erkenntnisprozesse zuzulassen, welche nicht wagt, und es werden Geschichten, neue Begegnungen, neue 9.1.2020 im Kunsthistorischen Museum mit folgenden Wor- realen grenzüberschreitenden Begegnungen bieten Gelegen- Durchführung von Tandem- den gewohnten Gepflogenheiten entsprechen. Diese Prozes- Erfahrungen ermöglicht. Dass dies überwiegend positiv ge- ten: „Isst man eine Kiwi, so ist das gesund, isst man 10 Kiwis, heit ein Gespür für kulturelle Identität zu gewinnen. Die He- Sprachwochen Slowakisch- se erfordern Zeit und Energie, sie sind erkenntnis- und lehr- lenkte Erfahrungen sind, liegt in der Natur der Sache, da alle kriegt man Sodbrennen“, um anschließend darzulegen, wie rausforderungen dabei liegen darin, Ideen, Erfahrungen und Deutsch, Kulturreisen für reich – oft nicht in der Bestärkung des Gewohnten, sondern schulischen Aktivitäten institutionell verantwortete Aktivitä- wenig er davon hält, Persönlichkeitsbildung, soziale Kompe- Gefühle mit Empathie kreativ auszudrücken und zu interpre- Studierende. vielmehr im Perspektivenwechsel. Die UNESCO bietet auf ih- ten sind. Die Institution Schule und die der Schule verpflich- tenzen sowie ästhetische Vermittlung in Indikatoren zwängen tieren. Dies kann durch die verschiedensten Prozesse (ein- rer Website eine Definition von kultureller Bildung, wie man teten Akteure – Lehrkräfte, Schulpersonal, Direktionen – ge- zu müssen, um wissenschaftlich überprüfbare Ergebnisse zu schließlich fächerübergreifendes Lernen) und Medientypen treffender die Wirksamkeit europäischer Erasmus+ School währleisten, zum Wohl und zur Entfaltung der Kinder und Ju- präsentieren. geschehen, nicht nur über die herkömmlichen geisteswissen- Exchange-Partnerschaften auf die Teilnehmenden nicht formu- gendlichen zu arbeiten. Eckhart Liebau betont dabei immer Wie also misst man den Mehrwert kultureller europäi- schaftlichen Künste. Dass dabei digitale Kommunikationsinst- lieren könnte: „Kulturelle Bildung umfasst sowohl die kreative wieder die Kraft der Performanz der Lehrenden, weist auf die scher Bildungsarbeit? An der Anzahl der durchgeführten Pro- rumente, aber auch immer mehr digitale Inhalte in den Mittel- Entwicklung des Individuums als auch das Verständnis regio- Notwendigkeit des situativen Handelns im Unterricht bzw. im jekte? An der Zahl der entwickelten Unterrichtsformate, Pro- punkt von Erasmus+ Projekten rücken, ist ebenso Schul- wie naler und internationaler Kunst und Kultur. Sie ist ein zentra- Schulleben hin und vergisst nicht, auch auf die Anstrengung jekt-Websites? Die Antwort wird lauten: ja wohl auch daran, Alltagsrealität. ler Bestandteil einer umfassenden Persönlichkeitsbildung und zu verweisen, die es erfordert, die jeweils adäquate Situation aber eben nicht nur daran; die zahlreichen Telefonate, Gesprä- schafft wesentliche Voraussetzungen für eine aktive Teilnah- zwischen zahllosen alternativen Handlungsmöglichkeiten zu che, Berichte oder Social-Media-Einträge von Lehrenden und Digitalisierte Chancen: Verbesserung der me am kulturellen Leben einer Gesellschaft.“1 finden und festzulegen. Eckart Liebau erkennt, dass die per- Lernenden geben Einblicke in sehr berührende Momente der Chancen auf Lernen und Arbeiten formative Kunst von Lehrpersonen einer der wesentlichen Begegnungen und der Erkenntnisgewinne. Im Projekt-Leitfa- Digitalisierung erfasst heute beinahe alle Lern- und Lebens- Blended-learning Eckpfeiler des Unterrichtens ist – neben dem Strukturieren den des europäischen Kulturvermittlungsprojekts „HEAR ME. bereiche. Dabei zeigt sich, dass nicht das Erlernen einzelner Besonders hervorzuheben ist die Beständigkeit des europäi- von Zeit und Raum sowie dem Gestalten von Handlungen mit Bringing Youth And Museums Together“ wird zitiert: „Mit neu- Fakten im Vordergrund steht, sondern das Verständnis für gro- schen Bildungsprogramms Erasmus+, das mit seinen sie- Gesten und Sprache. Und er stellt die provokante Frage, ob artigen, schwierigeren aber auch besonders schönen Situati- ße Strukturen, Zusammenhänge, Kritikfähigkeit und Interpre- benjährigen Laufzeiten und den damit einhergehenden gewid- die Pädagogik als Kunst des Lehrens und Lernens nicht über- onen konfrontiert zu sein, mitzuerleben, wie sich Jugendliche tation. Das österreichische Bildungsministerium startete da- meten Budgets Planungssicherheit bezüglich der Finanzierung haupt eine praktische, also eine angewandte Kunst ist?3 auf einmal zu öffnen beginnen, auch der Kunst gegenüber, mit her im Schuljahr 2017/18 mit dem Masterplan der digitalen europäischer Projektpartnerschaften, aber auch Entschleuni- Die Kulturvermittler/innen des europäischen Austausch- Jugendlichen während des Workshops und in der Pause über Grundbildung, der flächendeckend die Umsetzung desselben gung in der Projektabwicklung garantiert, da Laufzeiten von projekts HEAR ME4 berichten von genau diesen Herausforde- Themen zu sprechen, die sie besonders beschäftigen, die An- für alle Schulen der Sekundarstufe (NMS und AHS) vorsieht.9 ein bis drei Jahren für den Schulkontext ungewöhnlich lange rungen in den Momenten der Umsetzung der Workshops. Im regungen und verschiedenen Sichtweisen, die sich daraus er- Ursula von der Leyen beschreibt in ihrer Funktion als Kom-

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missionspräsidentin die Digitalisierung als zweite große Auf- ihr Kunst- und Kulturverständnis deutlich gesteigert werden. Galerija Matice srpske, Innovación Social Emprendedores Sociales. 12 Pierre Bourdieu: Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales gabe Europas neben dem Klimaschutz.10 Die Verdreifachung Eine weitere positive Wirkung war das Zusammenwachsen 8 https://www.schooleducationgateway.eu/de/pub/viewpoints/sur- Kapital. Seite 188. In: Reinhard Kreckel (Hg), Soziale Ungleichheiten des Etats durch die Kommissionspräsidentin betont die Wich- zweier Schulen/Kollegien und eine längerfristige Vernetzung veys.htm (Stand 2020-01-16) (S.183–198). Göttingen: Schwartz 1983. tigkeit des Bildungsprogramms Erasmus+.11 Im Rahmen des mithilfe digitaler und sozialer Medien. Durch unterschiedliche 9 https://www.bmbwf.gv.at/Themen/schule/zrp/dibi/dgb.html (Stand 13 https://bildung.erasmusplus.at/fileadmin/Dokumente/bildung.eras- Erasmus+ Schulbildungs-Projekts Head in the Clouds: Digital künstlerische Ausdrucksformen wurde die Förderung des Er- 2020-01-16) musplus.at/Allgemein/Programmleitfaden/Erasmus__Programmleit- Learning to Overcome School Failure implementierte z.B. ein werbs von Fertigkeiten und Kompetenzen unterstützt. Dabei 10 https://t3n.de/news/digitalisierung-positionen-neuen-1179387/ faden_2020__EN_.pdf Seite 5 (Stand 2020-01-16) internationales Team von Partnern, koordiniert von der TU- und durch die Reisen wurden behinderungsspezifische Ein- (Stand 2020-01-16) 14 Kunst und neue Medien 2017-1-DE03-KA219-035598. Friedrich-El- Wien, ein Bildungsprojekt mit Kindern und Jugendlichen, die schränkungen überbrückt und Teilhabe ermöglicht, die ohne 11 https://www.manager-magazin.de/politik/europa/europaeische-uni- vers-Schule in Heide und dem Schulzentrum im FIDS Quellenstraße. v.a. aus Roma-Gemeinden stammen, an drei Standorten in der das Projekt nicht möglich gewesen wäre. (…) Der grundle- on-ursula-von-der-leyen-kaempft-um-jede-stimme-a-1277520.html Zitat aus dem Schlussbericht, S.17. Slowakei, Rumänien und im Kosovo. Durch den Einsatz der SO- gende Projektansatz, durch kulturelle Bildung die Teilhabe zu (Stand 2020-01-16) LE-Methode (Self-Organized Learning Environments), gestützt erhöhen, ist sicherlich auch in anderem Kontext möglich. So von digitalen Materialien und Zugängen, ließen sich Steige- ist dies z.B. auch durch Sport möglich. Ganz entscheidend ist, rungen in transversalen Kompetenzen, vor allem Digital Lite- dass Schülerinnen und Schüler im Projekt Felder und Bereiche racy, beobachten. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu kennen gelernt haben, zu denen sie vorher keinen Zugang hat- wurde nicht müde, in seinen Studien auf das kulturelle Kapi- ten. Entscheidend ist die Zunahme an Teilhabe benachteiligter tal als wichtigste Erbschaft hinzuweisen. Ein großer Teil der Kinder und Jugendlicher an der Gesellschaft durch unkonven- ungleichen schulischen Leistungen von Kindern lässt sich laut tionelle Zugänge (Kunst, Sport, etc.).“ 14 Bourdieu durch das kulturelle Kapital erklären. Warum diese Die OeAD-GmbH ist Österreichs zentrale Servicestelle für Erkenntnis so schwer greift liegt daran, dass „die Übertragung europäische und internationale Mobilitäts- und Kooperations- von Kulturkapital zweifellos die am besten verschleierte Form programme in Bildung, Wissenschaft und Forschung. Eras- erblicher Übertragung von Kapital ist“.12 Zum kulturellen Kapi- mus+ Schulbildung ist Teil des europäischen Programms für tal zählen schulisch erworbene Bildungstitel und kulturelle Gü- Bildung, Jugend und Sport (2014–2020) und wird von der Na- ter. Die mächtigste Form stelle laut Bourdieu das inkorporierte tionalagentur Erasmus+ Bildung an der OeAD-GmbH abge- kulturelle Kapital dar: Was ist der gewohnte kulturelle Habitus? wickelt. Als wesentlicher Bereich, der agiert, konnte die Na- Film-, Musikgeschmack, Theaterbesuche, Kleidungsstil, Hob- tionalagentur allein im Schulbildungsbereich mehr als 15.000 bies und Gewohnheiten, selbstverständlich auch die Sprache, Auslandsaufenthalte sowie mehr als 1.000 internationale sind Teil dieses Kapitals und bestimmen die soziale Position. Schulprojekte finanzieren. Und weil dieses kulturelle Kapital stark an den schulischen Erfolg geknüpft ist, gilt es, dafür im Biotop Schule besonders Weitere Informationen auf www.bildung.erasmusplus.at sensibilisiert zu werden. Denn Schule kann dieses vererbte Un- gleichgewicht nicht ausgleichen, kann die sozialen Ungleich- heiten nicht aus der Welt schaffen. Was sie leisten muss: die 1 https://www.unesco.at/bildung/artikel/article/kulturelle-bildung/ Bewusstmachung der sozialen Unterschiede sowie die Ent- (Stand 2020-01-13) schlossenheit, diese Bedingungen zu bekämpfen. Daher ist die 2 Eckart Liebau: Teilhabe an Kultureller Bildung. Die Schule als genuiner europäische Kommission mit dem Bildungsprogramm Eras- Kulturort. S.30. In: Schulheft 175. Kunst Macht Schule Kulturelle Bil- mus+ besonders darum bemüht, die soziale Eingliederung zu dung in der (Hoch-)Schule. StudienVerlag Innsbruck 2019. Hg: Eveline forcieren und gestaltet seine Programme so, dass Social In- Christof, Julia Köhler (Red.) clusion gelingen kann. Im Programmleitfaden Erasmus+ 2020 3 Vgl. Schulheft 175, S.27–30. steht: „This investment in knowledge, skills and competences 4 Projekt-Leitfaden HEAR ME. Bringing Youth and Museums together. will benefit individuals, institutions, organisations and society Hg: Narodna galerija, Kunsthistorisches Museum Wien, Galerija Ma- as a whole by contributing to growth and ensuring equity, pro- tice srpske, Innovación Social Emprendedores Sociales. sperity and social inclusion in Europe and beyond.”13 5 Projekt-Leitfaden HEAR ME. Bringing Youth and Museums together, Seite 56. Hg: Narodna galerija, Kunsthistorisches Museum Wien, Zusammenfassend wird aus dem soeben abgeschlossenen Galerija Matice srpske, Innovación Social Emprendedores Sociales. Erasmus+ Projekt Kunst und neue Medien, einer europäi- 6 https://www.wienerzeitung.at/_em_daten/_ schen Schulpartnerschaft zwischen der Friedrich-Elvers-Schu- wzo/2020/01/02/200102-1510_regierungsprogramm_2020_ge- le in Heide sowie dem Schulzentrum im FIDS Quellenstraße – samt.pdf (Stand 2020-01-16) nachgefragt nach der Wirkung – zitiert: „Durch dieses Projekt 7 Projekt-Leitfaden HEAR ME. Bringing Youth and Museums together, konnten die sozialen Kompetenzen einiger Schülerinnen sowie Seite 57. Hg: Narodna galerija, Kunsthistorisches Museum Wien,

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und ein Alleinstellungsmerkmal (sic!) des Analogen heraus- – sondern etwas anderes fällt dafür weg. Bildung und Erzie- zuarbeiten. hung kostet Geld, und die Verteilung der begrenzten Mittel Ich hatte in den frühen 90ern in einer der ersten WGs mit geht grundsätzlich auf Kosten der Schwächsten. Und in der Faxgerät, Speicherschreibmaschine, Kopierer und Geschirrspü- Rangliste der politischen und sozialen Wertschätzung stehen ler gewohnt. Mein Mitbewohner hatte einen Apple Computer. der Kunst- und Werkunterricht international und durchgängig Ich habe die Formate Vinyl, Cassette, CD, MP3 und Streaming- ganz unten. dienste erlebt. Ich verstehe mich keineswegs als Maschinen- Als in der Grundschule meines Sohnes das Fach Englisch stürmer, die Segnungen des Digitalen sind mir vertraut. in den Stundenplan aufgenommen wurde, ging dies auf Kos- Ich bin kein Wissenschaftler, und einige meiner Beobachtun- ten des ohnehin einzelstündigen Kunstunterrichts. Wenn im gen sind nicht belegbar, ich hoffe aber nachvollziehbar, da sie Zusatzangebot oder bei Arbeitsgemeinschaften IT erscheint, der unmittelbaren Wahrnehmung entspringen. Gestaltwahrneh- fällt Keramik dafür weg. Als in meiner Schule ein mehrstün- mung als Quelle wissenschaftlicher Erkenntnis von Rudolf Arn- diges, sog. Lernatelier eingerichtet wurde, haben wir Kunst- heim war eines der einprägsamsten Seminare an der Uni. und Werkunterrichtsstunden verloren. Bitte verzeihen Sie mir, wenn ich mich bei Zahlen oder Stu- Bei allen Lehrplanänderungen der letzten Jahre in Bay- dien meistens auf Deutschland beziehe, doch diese Beobach- ern wurde Design und Architektur deutlich gestärkt. „Prima“ tungen haben die gleiche Relevanz für Bayern, Kärnten, die dachten viele KollegInnen, doch auf wessen Kosten? Es han- Steiermark oder Österreich. Mir ist bewusst, dass es Öster- delt sich letztlich um eine Verwirtschaftlichung der gestalte- reich hinsichtlich des Kunst- und Werkunterricht etwas bes- rischen Fächer auf Kosten von Spielformen oder experimen- ser hat als Deutschland, wo es eigentlich keinen Werkunter- tellem Gestalten. Generell haben alle sog. Neuen Medien richt mehr gibt. der letzten Jahrzehnte den Kunstunterricht nicht bereichert, Bitte erlauben Sie mir auch, dass ich über die Unterschie- sondern bestenfalls Themenbereiche ausgewechselt. Foto- Marcus Berkmann (*1967) de zwischen Bildnerischer Erziehung, Handarbeit, Kunst-, grafie kam auf Kosten der Druckgrafik und des Zeichnens, hat Kunstpädagogik und Werk- und technischem Werkunterrichts hinweggehe. Architektur und Design auf Kosten des freien plastischen Anglistik an der Universität Gestatten Sie mir schließlich auch, nicht weiter auf die Gestaltens. Welche Bereiche des bildnerischen Gestaltens Augsburg (Staatsexa- spezifischen Unterschiede zwischen den verschiedenen Aus- sind wir denn noch bereit zu opfern für eine weitere Digita- men), Bildhauerei und bildungsstufen einzugehen, mit etwas Fantasie sollte unsere lisierung? Kunstpädagogik an der Diskussion im gesamten Bereich Gültigkeit haben. All dies vor dem Hintergrund, dass wir sowieso schon Kunstakademie München Abb. 1–5 aus der Reihe das zeitmäßig minderwertigste Fach im Curriculum haben (Staatsexamen) und Kunst „Hände“, Aquatinta, 2010, Hirn und Hand und die Tendenz zur Streichung des verbleibenden Unter- am Central St. Martins © M. Berkmann „Das Hirn reagiert auf die Anstrengung der Hände. Hände richts unter fadenscheinigen Begründungen (Lehrermangel) College, London (M.A.) verändern nicht nur die Umwelt, auch das Gehirn. Das Ge- fortschreitet. studiert. Seit knapp 30 hirn speichert die Erfahrungen, die die Hände beim Arbeiten Jahren arbeitet er in- und machen. Mit der Zeit lernt das Gehirn, die Hände genauer zu Kostenfalle außerhalb der Schule mit steuern. Das Gehirn verbindet neue Erfahrungen mit alten. Er- Das gleiche gilt für die Kosten. Eine Chancengleichheit in der Kindern, Jugendlichen und Marcus Berkmann fahrungen verwandeln bestimmte Eiweißmoleküle im Gehirn, Bildung vorausgesetzt, müssen Hard- und Software bereit- Erwachsenen im Kunst- so bleiben die Erfahrungen festgeschrieben. Das Gehirn merkt gestellt werden. Das kostet sehr viel Geld. Wo soll dieses und Werkbereich, er lebt sich die Eigenschaften des Materials. Geld herkommen? Wo wurde jemals der Bildungsetat erhöht, und arbeitet in München. Ein Kommentar Das menschliche Gehirn ist Ergebnis von Arbeit. Der Un- wenn der Schule neue Aufgaben zugewiesen wurden? Migra- terschied zwischen Mensch und Tier ist erarbeitet. Die Ent- tion, Medienpädagogik, Verkehrsunterricht, Informatik gingen wicklung des Menschen und die Ausbildung der Arbeitsfähig- alle zu Lasten bestehender Fächer. Die Ausgaben für Bildung keit ist dasselbe. Durch das Werkzeug bildet sich die Hand. Je in Österreich und Deutschland steigen nicht wesentlich, ge- Eigentlich hatte ich mich um einen Beitrag für In der Ankündigung dieser Tagung war viel von den Chan- häufiger der Mensch das Werkzeug benutzt, umso geschick- messen am Bruttosozialprodukt sind sie sowieso gering. Je- die Tagung beworben, um die Stellung des Ad- cen, Möglichkeiten und Herausforderungen für unsere Fächer ter wird seine Hand, umso mehr Arbeitserfahrung sammelt des Tablet mehr bedeutet 70.000 Blatt Papier weniger. Jede vocatus diaboli einzunehmen. Also dem Digita- durch die Digitalisierung die Rede. er. Wenn die Erfahrungen eine bestimmte Masse angenom- Computerschulung mehr bedeutet eine pädagogische Fortbil- lisierungswahnsinn entgegenzutreten. Gerade- Ich möchte hingegen die Forderung aufstellen, diese men haben, verwandeln sie sich in Klugheit. Dem Menschen dung weniger. zu entzückt war ich davon, dass besonders die Herausforderung gar nicht erst anzunehmen, sondern die kommen Gedanken. Dass der Mensch denkt, verdankt er Key-Note-Redner der Tagung mir zahlreiche Diskussion um die Digitalisierung des Bildungswesens als seiner Hand.“ (Ernst A. Rauter, *Klagenfurt 1929, München Interesse der Industrie Ideen vorwegnahmen und diese dann auch willkommenen Ausgangspunkt zu verstehen, um auf die 2006; Schriftsetzer und Schriftsteller: Vom Faustkeil zur Fab- Machen wir uns nichts vor: Gewinner jeder technischen Auf- noch wissenschaftlich begründen konnten. Andersartigkeit der Fächer Kunst und Werken hinzuweisen rik, 1976) (Abb. 1–5) Die Digitalisierung ist keine Ergänzung! rüstung der sog. Neuen Medien bis hin zur Digitalisierung in

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zeiten (diesen Begriff kennen die wenigsten Rechtschreib- programme) der Systeme wurden immer kürzer, von der Musik-Kassette und dem 16mm- und Super8-Film über VHS, DAT, DV, Beta, CD, MP3, ... . Und teurer. Zuungunsten des Personals und der Verschleißmittel. Zugunsten von Industrie- konzernen, die sehr, sehr viel Geld mit der technischen Aus- stattung der Schule zu erwirtschaften hoffen, wenn sie am Privatmarkt einen Einbruch erleben. In einer wunderbaren Welt würden wir LehrerInnen der Fächer Kunst und Werken uns gerne dieser Herausforderung stellen, viele bezahlte Fortbildungen besuchen, um mit dem Kenntnisstand der SchülerInnen mithalten zu können, neue Computer und Programme kaufen. Wir müssen uns aber im Klaren darüber sein, dass jede Digitalisierung auf Kosten unserer zeitlichen, strukturellen und finanziellen Ressourcen geht: Für jedes Tablet gibt es weniger Scheren, für jede Pho- toshop-Stunde weniger Exkursionen. Für alle zeitlichen und finanziellen Aufwendungen der Digitalisierung fallen andere Inhalte heraus. Welche? Was möchten wir streichen?

Ersetzbarkeit Die Digitalisierung hat nicht nur, aber besonders im gestalte- rischen Bereich zigtausend Arbeitsplätze und jede Menge Be- rufsbilder gekostet und wird es weiter tun. Stecher, Setzer, Li- der Schule waren bislang Industrie und Handel. Schule und thographen gibt es nicht mehr. Dank Photoshop werden trotz ihre Ausstattung ist ein Markt wie jeder andere. Investitio- steigendem Druckaufkommen weniger ausgebildete Grafiker nen sind gut kalkulierbar, Rechnungen werden bezahlt. Die Bil- oder Fotografen oder Laboranten benötigt. dungsmesse Didacta steht anderen Industriemessen in Um- Ich glaube nicht, dass es Schwarzmalerei ist, wenn ich fang und Auftreten nicht nach und verdeutlicht, wie nicht nur prognostiziere, dass auch im Bildungsbereich versucht wer- altbekannte Verlage, sondern auch Möbelhersteller, Spielzeug- den wird, teures Lehrpersonal durch Logarithmen zu ersetzen. fabrikanten und eben besonders Soft- und Hardwareanbieter Dort, wo kognitives Wissen vermittelt wird, beginnt es auch versuchen, einen Teil vom Bildungskuchen abzuschneiden. in unseren Fächern: in Kunstgeschichte, aber auch Bildana- Wenn der Absatz von Smartphones stagniert, der von Compu- lyse. Auch im produktiv-gestalterischen Bereich müssen wir tern rückläufig ist, braucht es nicht viel Fantasie, um das Zwi- damit rechnen, dass unsere Bildungsangebote ersetzt wer- schenprodukt eines Tablets auf den Bildungsmarkt zu werfen. den, wie es das Fach Informatik bereits in Sachen (Techni- sches-)Zeichnen tut. Wenn Kinder und Jugendliche nach zwei Exkurs für jüngere Leserinnen Tutorials bereits tolle bunte Bilder mit Pferdchen und Herz- Sprachlabore waren in den 70er- und 80er-Jahren Räume in chen machen können und damit glücklich sind, scheint der der Schule, die mit Tonbandgeräten vollgestopft waren, an Pädagoge überflüssig. denen die Lernenden durch Vor- und Zurückspulen der eige- nen Aufnahmen ihre Aussprache hören und verbessern konn- Notwendigkeit der Förderung motorischer ten. Was bei der US-Army zur Vorbereitung weiterer Angriffs- und manueller Fertigkeiten denten: „Kenntnis von Werkstoffen und Werkverfahren, Ge- leisten, das Denken mit Hand und Hirn, von der Wirtschaft kriege und bei lernbereiten Anglistikstudenten gut funktionier- Industrie und Handwerk beklagen mittlerweile einen Verlust fühl für technische Fragen und ein Bewusstsein für Qualität“. ganz konkret verlangt wird. te, war in allgemeinen Schulen ein Reinfall, weil die Schüler grundlegender motorischer Kompetenzen und damit einher- Besonders dieser letzte Begriff fasziniert mich. Beim WPT die technisch anfälligen Geräte wie heute im großen Maßstab gehend von „begreifendem“ Verstehen von Arbeitsverfahren, Passau 2016 stieß Andreas Hamann, ein großes Tier bei der Kindern Chancen geben: sabotierten. Material und der dinglichen Welt. Beim Werkpädagogischen Audi AG, gefragt nach den Erwartungen an unsere Fächer, ins Multiple Intelligenzen Nach dem gigantischen Flop der Sprachlabors war bis in Tag (WPT) an der Uni Augsburg 2018 formulierte Michael Bu- selbe Horn – kein Wort vom Digitalen, denn das ist so flüchtig, Howard Gardner hatte 1980 ein Modell multipler Intelligenzen die frühen 90er erst mal Ruhe, doch dann begann das techni- mann, Ausbildungsleiter der Wielandwerke, die Wünsche der „das bringen wir den Auszubildenden selber bei“. Das heißt vorgeschlagen, das zu meinen Studienzeiten noch diskutiert sche Aufrüsten mit immer neuen Medien. Und die Halbwert- Industrie an die Kompetenzen von Auszubildenden und Stu- nur, dass das, was wir im Kunst und Werkunterricht täglich wurde, inzwischen aber als überholt gilt. Ich finde es dennoch

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ge, für Jüngere von einer Stunde aus augenärztlicher Sicht für „Das Fach Kunst besitzt hinsichtlich seiner Möglichkeit, vertretbar. In der gleichen Veröffentlichungsreihe empfehlen mit den eigenen Händen und realen Werkstoffen zu arbeiten übrigens auch Ernährungswissenschaftler „die Nutzung au- ein Alleinstellungsmerkmal. Fingerfertigkeit lässt sich nicht al- diovisueller Medien Ihrer Kinder auf höchstens zwei Stunden lein mit dem Smartphone oder der Computertastatur gewin- am Tag zu begrenzen“. Ansonsten werden die Kinder schlicht nen. Kenntnisse zu Materialien und Verfahren brauchen den fett und werden es bleiben. konkreten Umgang mit diesen. Hier sollte nicht außer Au- Ich musste gar nicht weit blättern, um in derselben se- gen gelassen werden, welche wichtigen Qualitäten das Fach riösen Veröffentlichung zu Sucht und Suchtkrankheiten auf Kunst in seiner Gesamtheit ausmachen und dass Material- folgende Zahlen zu stoßen: 26 von 1000 Jungen und Mäd- erfahrung, Handwerk, Körpereinsatz, Sinnlichkeit und vieles chen befinden sich in einem verharmlosend benannten Zu- mehr dazu gehören – und zunehmend im Alltag von Kindern stand einer Social Media Disorder. Mädchen mehr als Jungs. und Jugendlichen fehlen.“ (Johanna Ludwig in BDK Mitteilun- 100.000 in Deutschland. Süchtig. Jugendliche zwischen 12 gen 1.2019) Danke hierfür. und 17 verbringen 2,5 Stunden mit sozialen Medien. (Mäd- Statt zu fragen, wie wir im Wettbewerb der Digitalisierung chen mit 17 ca. 3,5 Stunden). (DAK Studie „Whatsup, Insta- mithalten können, müssen wir vielmehr herausstellen, dass gramm …“) Und das sind nur sog. Soziale Medien. Plus Fern- Kunst und Werken die einzigen Fächer sind, die den Verlust sehen. Plus Computerspiele. Plus YouTube. Plus … . essenzieller, natürlicher motorischer Kompetenzen auszuglei- Wenn unsere Schülerinnen und Schüler jedes gesund- chen in der Lage sind. Wir fordern und fördern ein ganzheit- heitsverträgliches Maß an Mediennutzung bereits um ein liches Arbeiten von Hand und Hirn. dreifaches überschreiten, stellt dann der schulische (ver- Das Unterrichtsfach Sport benutzt das Alleinstellungs- pflichtete) Einsatz weiterer digitaler Medien nicht den straf- merkmal motorische Intelligenz zur Sicherung der eigenen rechtlich relevanten Tatbestand der Körperverletzung dar? Rechtfertigung schon seit langem und niemand würde es in Ohne nachweisbaren Nutzen? Europa ernsthaft infrage stellen. Von Digitalkameras abgese- Franz Billmayer stellte auf der Tagung die Frage, wie wir hen, findet dieser Unterricht im Wesentlichen im nachahmen- den Verstoß gegen das Menschenrecht der Freiheit mit der den Lernen statt. Und je weiter die Digitalisierung in Freizeit sehr charmant, erklärt es doch die Schwächen und Stärken Schulpflicht vereinbaren können und folgerte: „… indem wir und Familie Einzug hält, umso unverzichtbarer wird der Sport- Vision unserer SchülerInnen im pädagogischen Betrieb: Gardner u.a. ihnen etwas Wertvolleres bieten als sie sonst bekommen“. unterricht angesehen. Diesem Beispiel müssen wir folgen. Das Analoge wird das Besondere, „wer was kann, ist was“. beschrieben Intelligenz als eine Zusammensetzung verschie- Wenn wir unseren Schülerinnen und Schülern das Programm Übrigens: Die vielbeachteten Hattie-Studien bemessen Das analoge Umgehen mit den Händen erhält zunächst die- dener Teilintelligenzen wie der Gedächtnisleistung, Logischem oder die App zeigen, die sie sowieso schon kennen, können den Lerneffekt neuer Medien zwischen gering und sehr ge- selbe Wertschätzung wie andere zweckfreie Fächer wie La- Denken, Emotionaler Kompetenz und so fort. Dieses Modell sie zuhause bleiben. Wenn wir ihnen eine Schere, eine Fei- ring. Feedback dagegen als sehr hoch. tein. Oder höhere Mathematik. Es wird zwingendes Fach je- bestätigt sicherlich Ihre Erfahrungen mit Kindern. Die von Gard- le, Balsamterpentinöl, eine Oberfräse, Papier und Holz in die Analoger Unterricht ist billiger und setzt damit Mittel für der Abschlussprüfung in allen Schularten und erhält in allen ner so bezeichneten bildlich-räumlichen und die körperlich-ki- Hand geben, ist das im 21. Jahrhundert etwas Besonderes, Personal frei. Feedback ist der wichtigste Faktor des Lerner- Jahrgangsstufen mindestens so viele Wochenstunden wie nästhetischen Intelligenzen werden im schulischen Kontext Wertvolles und Wichtiges. folgs. Ein Tageslichtprojektor ist in der Anschaffung, Lebens- der Fremdsprachenunterricht, der im Rahmen der Digitalisie- ausschließlich von Sport- und Kunstunterricht bedient. Egal wie wir digitalisieren: Ein Rest tatsächlicher Wirklich- dauer, im Unterhalt und Stromverbrauch weitaus nachhaltiger rung überflüssig geworden ist. keit wird bleiben: Schuhe binden zu können ist durch Klett- als alle digitalen Medien. Und zuverlässiger. (Übliche Ausre- SchülerInnen, die in Kunst und Werken Bestnoten erzielen, Kompensation und Gesundheit verschlüsse ersetzbar, Altenpflege vielleicht demnächst durch de, auch in dieser Veranstaltung mehrfach gehört: „Äh, ich werden ohne weitere Prüfungen zum Studium der Medizin zu- Bei dieser Tagung bezifferte Gerald Lembke den Bildschirm- Roboter auch (gruselig genug), aber Zähneputzen, den eige- weiß jetzt auch nicht warum da jetzt kein Bild ist ...“). Lach- gelassen. Und nur die. konsum von 14- bis 19-Jährigen auf 6,5 Stunden täglich. Pau- nen Körper zu handhaben, womöglich auch einen fremden haft, wie viel Unterrichts- und Vortragszeit mit technischen se. Rechnen Sie mal. Der Tag hat 24 Stunden. Körper, kann nicht ersetzt werden und dafür braucht es die Problemen verschwendet wird, vermutlich mehr, als alle Grip- Die DOG (Deutsche Ophtalmologische Gesellschaft) be- Hand. Zum Kochen braucht es ein sehr komplexes Gefühl, an- pewellen verursachen. schreibt im Magazin der Sucht und Jugendhilfe e.V. Lübeck gefangen von Gemüseschneiden bis Temperaturen-einschät- (3/2019) die Auswirkungen elektronischen Medienkonsums zen. Auch zum Händewaschen (was viele Schüler nicht mehr mit den Worten: Die rasant ansteigende Anzahl kurzsichtiger selbstverständlich gelernt haben). Sollte man nicht zuletzt im junger Menschen vor allem in den Industrieländern sei „auf Sinne der Nachhaltigkeit in der Lage sein, eine so großartige sehr frühen und intensiven Gebrauch von PCs, Smartphones Erfindung wie ein Fahrrad zu verstehen und in Stand zu hal- und Tablets bei gleichzeitig immer kürzeren Tagesaufenthalten ten? Können, dürfen oder wollen wir uns darauf verlassen, im Freien zurückzuführen“. Und weiter „Übermäßiger elektoni- dass uns irgendjemand zum Mindestlohn die kleinen hand- scher Medienkonsum könne auch das räumliche Vorstellungs- werklichen Dinge verrichtet, zu denen wir und unsere Kinder vermögen einschränken“. Bettina Wabbels (Uni-Augenklinik demnächst zu doof sind? (Interessante Frage in der Postkolo- Bonn) hält eine Medienzeit von 2 Stunden für über 10-Jähri- nialismus-Debatte)

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Franz Billmayer (Giesecke, 2006)). Dadurch ist es zu einem Medienwandel u Speicher. Digitale Speicher sind billig. Sie lassen die Mu- gekommen. Die Kirche verlor die Kontrolle über die Verkün- seen als Speicher recht teuer aussehen. Selbst wenn wir digung der Heilsbotschaft. Damit sich die Investitionen in die offline sind – kein Problem: Die digitalen Endgeräte haben Bildung als Investition Druckereien lohnten, wurden neue Wissensgebiete in der je- riesige Speicher. Chancen und Probleme der Bildnerischen Erziehung weiligen Landessprache veröffentlicht. Es entwickelten sich Die Bedingungen, unter denen das Fach Bildnerische Erzie- die so genannten Schriftsprachen. Es lohnte sich, das Lesen hung bzw. die Kunsterziehung entstanden ist, unterscheiden Franz Billmayer (*1954) durch und mit digitalen Medien zu lernen. Dieser Medienwandel führte letztendlich zur Schule, sich fundamental von den aktuellen. Die digitale Technik er- war bis September 2019 wie wir sie kennen. [Wir betrachten den heutigen Medien- möglicht einfach und schnell visuelle Varianten. Das betrifft Professor für Bildnerische wandel aus der Sicht der alten Medien. Das ist ein erkenntnis- Bilder ebenso wie das Layout von Texten. Schnell lassen sich Erziehung an der Universi- theoretisches Problem, das auch für diesen Text gilt.] Schriftarten, -größen und -farben verändern. Bedeutung ist tät Mozarteum Salzburg. Er Mit der Digitalisierung hat die Visualität (Bil- in der Gesellschaft ausgerüstet werden müssen mit Kenntnis- Die Digitalisierung ähnelt in vieler Hinsicht der Erfindung eine Folge von Unterscheidungen und Entscheidungen. Die unterstützt die Redaktion der, multimodale Botschaften, Produkte etc.) sen und Fertigkeiten, die sie nicht von selbst und nicht in der des Buchdrucks. Traditionelle Medien und Institutionen ver- möglichen Varianten erweitern die Sphäre der Zeichen und des Fachblatts des BÖKWE quantitativ und qualitativ zugenommen. Das Familie, sondern nur in Schulen erwerben können.“ (Luhmann lieren die Kontrolle über Informationen. Neue Medien und Un- Bedeutungen. und betreibt nach wie vor betrifft die Produktion, die Verfügbarkeit und & Lenzen, 2004: 160) Lernen wird ebenso wie Bildung als In- ternehmen gewinnen Kontrolle. Die digitale Technik hat den Bilder gibt es jetzt im Überfluss. Die meisten erfordern bilderlernen.at. die Distribution. Warum feiern wir das in der vestition verstanden. Das gilt für die einzelnen Schüler*innen, Bereich der Bilder quantitativ und qualitativ verändert. Das gilt eine schnelle und oberflächliche Betrachtung. Bildnerischen Erziehung nicht? Fürchten wir für ihre Eltern und erst recht für den Staat, der die Schule für digitale wie analoge Bilder. Das hat Auswirkungen auf In- Die technische Seite der Bildproduktion stellt so gut wie den Verlust von Kompetenzen und Kontrolle? organisiert und bezahlt. Eine Investition ist eine Anstrengung halt und Unterricht in der Bildnerischen Erziehung. Wolfgang keine Probleme mehr dar. Das gilt für die Abbildungen der Welche Aufgaben kommen auf uns zu? bzw. eine Leistung in der Gegenwart mit der Aussicht auf Ge- Ullrich hat dafür den Begriff Bildersozialismus geprägt (Ullrich, sichtbaren Wirklichkeit ebenso wie für die Visualisierung von winn und Vorteil in der Zukunft. Wie man in alles Mögliche 2017). Damit weist er daraufhin, dass die Mittel für die Pro- Daten (Diagramme). Video-Tutorials helfen im Zweifelsfall Mangel investieren kann, so kann man alles Mögliche lernen. Bei der duktion von Bildern in den Händen aller sind. weiter. „Erziehung setzt jemanden voraus, der sie nötig hat. Der pä- Auswahl hilft die Vorstellung davon, was in der Zukunft ge- Die Menge an Informationen (und Unterhaltungsangebo- dagogischen Absicht entspricht die Vorstellung eines hilfs- braucht wird, welche Anstrengung in der Zukunft etwas ab- Wesentliche Auswirkungen der Digitalisierung auf die Welt ten) übersteigt das Aufnahmevermögen des Publikums. Um bedürftigen Gegenübers. Diese Vorstellung ist […] durch die wirft. der Bilder sind: dieses zu erreichen, erledigen die Sender die semiotische kulturelle Erfindung des Kindes realisiert worden." (Luhmann Damit der Eingriff in die Freiheit der Schüler*innen nicht u Apparate. Kameras sind billig. Die meisten werden als Zu- Arbeit. Das bedeutet, dass Botschaften, die ein großes Pu- & Lenzen, 2004: 198) willkürlich passiert, braucht es solides empirisches Material. satzfunktion mit Telefonen verkauft. Weltweit gibt es der- blikum erreichen und deshalb gesellschaftlich relevant sind, Die Hilfsbedürftigkeit der Schüler*innen besteht in einem Dieses wissenschaftlich fundiert zu liefern, ist der Anspruch zeit etwa 7 Milliarden Mobiltelefonanschlüsse. Wenn man leicht verständlich sein müssen. Diese leichtverständlichen Mangel an Wissen und Können. Der Staat sorgt dafür, die- der Fachdidaktik. Aber auf die drängende Frage, welches bedenkt, dass es neben den Kameras in Telefonen auch Bilder beeinflussen unser Sehen, Wahrnehmen, Fühlen, Erle- sen Mangel zu beheben. Er richtet Schulen ein. Und er zwingt Lernen eine gute Investition ist, ist eine wissenschaftliche weiterhin normale Kameras gibt, dann entfallen mehr als ben, Denken, Lernen, Entscheiden und Handeln. Kinder und Jugendliche, die Schule zu besuchen. Der Staat Antwort schwierig bzw. unmöglich. Die Zukunft ist offen und eine auf einen Erdenbewohner. Der Zuständigkeitsbereich der Bildnerischen Erziehung ist rechtfertigt den Zwang damit, dass das, was in der Schule unbekannt. So vernachlässigt die Fachdidaktik ihre wesent- u Software und Anwendungen. Software zur Bildbearbei- mit der digitalen Technik in Umfang und Bedeutung offen- gelernt wird, wertvoller ist als die Freiheit. Die Fachdidaktik liche Aufgabe, weil diese sich nur ungenügend wissenschaft- tung gibt es kostenlos, ebenso die Apps zum Verbessern sichtlich enorm gewachsen. Bildersozialismus und Textver- kümmert sich darum, die fachspezifischen Mängel zu be- lich untersuchen lässt. Es wird geforscht zur Geschichte, zum und Manipulieren von Bildern. Die Kameras haben Funktio- arbeitungsprogramme haben dazu geführt, dass die visuelle schreiben. Sie begründet deren Relevanz. Sie definiert, was Unterricht, zum Zeichnen, zum Lernen oder zur Kinder- und nen, für die früher das Knowhow des Fotografen nötig war. Seite multimodaler Kommunikation in den letzten Jahrzehn- wie zu lernen bzw. zu unterrichten ist. Jugendkultur. Eventuell gibt es auch Empfehlungen auf der Digitale Bilder sind schnell und einfach gemacht. Das Er- ten neben Lesen und Schreiben zu einer Kulturtechnik gewor- Die Definition der Mängel ist – so gesehen – eine Frage Grundlage von Philosophie, Psychologie, Semiotik, Fachtra- gebnis ist sofort sichtbar. Ist die Aufnahme nichts gewor- den ist. Von der Schule wird das bisher relativ wenig beach- der Macht. Sie muss aus ethischer bzw. moralischer Perspek- dition, Kunstwissenschaft oder auch Anthropologie. Medien- den, drückt man nochmal auf den Auslöser. So schnell wie tet. Und in der Kunstpädagogik ist die Reaktion verhalten. Die tive diskutiert und entschieden werden. und Kommunikationswissenschaft werden eher selten kon- Fotos aufgenommen werden, so schnell sind sie wieder veröffentlichte Fachdidaktik reagiert kaum auf die Entwick- sultiert. (Billmayer, 2013) Wenn außenstehende Fachleute gelöscht. Die alltäglichen digitalen Bilder sind ausreichend lung, manche sind in eine Art Schockstarre gefallen. Lehrplä- Lernen für die Zukunft gefragt werden, fallen die Antworten eher vage aus. (Bill- gut für eine Veröffentlichung im Netz. ne, Schulbücher, aber auch Zeitschriftenartikel sind nach wie Lange Zeit war die Stellung des einzelnen in der Gesellschaft mayer, 2009) u Distributionsmittel. Mit den Smartphones lassen sich die vor geprägt vom handwerklichen Fachverständnis. Es finden durch die Herkunft bestimmt. Die Kinder von Bauern wurden Bilder einfach und billig veröffentlichen. 2015 wurden täg- Tagungen zu Kunstgeschichte oder Bildung statt.1 Zur BÖK- Bauern, die von Handwerkern Handwerker. Das änderte sich Medieninnovationen lich gut 3,2 Mrd. Bilder auf sozialen Medien geteilt (KPCB WE-Tagung Digialog waren vor allem Kritiker der Digitalisie- im 18. Jahrhundert. Es wird […] „deutlich, daß ein Kind ohne Medien bestimmen wie Gesellschaften funktionieren. Sie be- 2016: 60). Potentiell erreichen die Bilderproduzenten da- rung als Keynotespeaker geladen. Ihre Vorträge bekamen von Vorbestimmtheit durch seine (ständische) Herkunft zu erzie- stimmen die Kommunikation, die Verteilung der Macht, den mit ein globales Publikum. Noch vor kurzem waren Künst- der Mehrheit des Publikums großen Applaus. hen sei. Aus jedem Kind kann nun alles mögliche werden Zugang zu Wissen, die Vorstellung von Welt und Wirklichkeit. ler*innen froh, wenn sie ihre Bilder wenigstens einem re- Dahinter steckt vielleicht das Gefühl, durch die Digitalisie- […]. Die Pädagogik stellt sich von Herkunft auf Zukunft um, Neue Medien verändern das jeweilige soziale System und gionalen Publikum zeigen konnten. Genauso einfach ist der rung den Expertisevorsprung zu verlieren. Die Gruppe um die verliert eben damit aber die Anhaltspunkte, die in der Herkunft dessen Zukunft. Medienwandel beeinflusst auch die Ausbil- Zugang zu Bildern. Bilder gibt es im Überfluss fast überall. Zeitschrift imago (vgl. dazu Höfferer 2017) empfiehlt gar eine für die Zukunft gelegen hatten. Die modernen Erziehungsleh- dung und Erziehung der nachwachsenden Generation. Die Er- Wir brauchen nicht mehr in Museen oder Kinos zu gehen Rückbesinnung auf traditionelle Künstlerlehren. Es stimmt ren stellen darauf ab, daß die Heranwachsenden für ein Leben findung des Buchdrucks war eine entscheidende Innovation. oder ein Buch aufmachen. schon: Wenn es uns gelingt, z.B. Zeichnen nach der Natur als

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Abb. 1 Der Situationenkreis Das zweckfreie Museumsbild der Kunstpädagogik (Leben native gibt, kann als semiotische Ressource genutzt werden, ist ein zweckmäßiges 2019: 16) ist in der Kunstgeschichte unwahrscheinlich und die Lichtqualität der Deckenstrahler in einer Kunstausstellung Werkzeug zum Entwerfen sonst noch unwahrscheinlicher. ebenso wie die Höhe, auf der die Bilder gehängt sind. von bildnerischen Aufgaben Die folgenden bildnerischen Mittel sind Beispiele und als und zur Analyse von multi- Situation und Zweck Anregungen gedacht. Sie lassen sich nicht vollständig aufzäh- modalen Botschaften. Die Situation, in der Bilder verwendet werden, und der Zweck, len. Von Schüler*innen und Lehrer*innen können immer wie- der mit ihnen verfolgt wird, eignen sich als Ausgangspunkt der neue entdeckt werden. Die Reihenfolge ist weder syste- für die bildnerische Produktion einerseits und die Analyse von matisch noch hierarchisch. visuellen Botschaften andererseits (Billmayer, 2016a). Als Material: selten, teuer, häufig, haltbar, flüchtig, traditionell, Werkzeug zum Konstruieren von Aufgaben haben wir im Rah- neu, aufwändig im Unterhalt, empfindlich gegenüber Krat- men von ENViL (envil.eu) den sogenannten Situationenkreis zern und Verschmutzung, nachhaltig, billig … (Abb. 1) entwickelt. Ich habe hierzu einiges veröffentlicht (Bill- Oberfläche: rau, glatt, glänzend, weich, hart … mayer, 2016b, 2016c, 2017). Deshalb hier nur eine kurze Be- Technik: aufwändig (Zeit, Können), selten, häufig, traditionell, schreibung. modern, einfach, schwierig … Situationen, in denen wir mit Bildern agieren, sind durch Farbe: bunt, einfärbig, schwarz-weiß, kräftig, gedämpft, ge- verschiedene Aspekte gekennzeichnet: brochen, glänzend, matt, starker bzw. schwacher Kont- u Personen rast, deckend, durchsichtig … u Anlässe, Zeitdauer, Aufbau: dicht, leer, Betrachterstandpunkt(e), Komposition, u Orte Bildeinstellung, Bildausschnitt, üblich, übersichtlich, ge- u Ziele/Zwecke ordnet, unordentlich, symmetrisch … u Genres Motiv: freigestellt, erzählerischer Kontext, Schärfe, Farbe, u visuelle Rhetorik Größe, Platzierung, detailreich, vereinfacht … u Materialien, Techniken, Medien, semiotische Ressourcen Größe: Plakat, thumbnail, Auflösung … u weitere Umstände (Kontext), die jeweils zu beachten bzw. Format: hoch, quer, rund, Freisteller … zu berücksichtigen sind. Darstellungsweise: hyperrealistisch, realistisch, abstrahiert, relevante Kompetenz zu sichern, dann bleibt unser traditionel- re visueller semiotischer Ressourcen enorm ausgedehnt. Die harte oder weiche Schatten, Farben, Schärfe, Hervorhe- ler Expertisevorsprung bestehen. Ähnliches gilt für die institu- technische Seite wird einfacher, die semiotische komplexer. Mit dem Situationenkreis werden bildnerische Aufgaben ge- bung, dekorativ, detailliert … tionelle bildende Kunst. Diese basiert ja auf dem Konzept der Semiotische Ressourcen sind Mittel, mit denen wir in Produk- stellt, bei denen in den einzelnen Kategorien jeweilige Anfor- Visuelle Rhetorik: witzig, emotional, argumentierend, spiele- Schwer-Verständlichkeit. Sie macht mit der Kunstvermittlung tion und Rezeption Bedeutung erzeugen. derungen zu beachten sind. Die Aufgaben können je nach Si- risch, seriös, ordentlich, improvisiert, skizzenhaft … Lehrer*innen erforderlich. Die neue Medientechnik bringt Änderungen. Aber sie ver- tuation der Lernenden formuliert werden: enger (in allen Ka- Modus: direkt/unmittelbar (dokumentarisch, dem Wirklich- Dass es sich bei geringen Kenntnissen in Kunst oder ge- ändert nicht alles. Wir nutzen grundsätzlich ähnliche semioti- tegorien werden die Umstände vorgegeben) oder offener (in keitskonzept der Kultur entsprechend), indirekt/mittelbar ringen Fähigkeiten im Zeichnen wirklich um relevante Mängel sche Ressourcen (Hodge & Kress, 1988; G. Kress, 2010; G. einzelnen Kategorien gibt es Wahlfreiheit). (satirisch, metaphorisch, Kunst, Werbung, Fiktion) handelt, glaubt vermutlich nur eine Minderheit der Schüler*in- R. Kress & Leeuwen, 2006) für Gestaltung und Interpretation Der Kreis dient bei der Analyse von bildnerischen Äuße- Genre: Geldschein, Selfie, Pressefoto, Werbung, Illustration, nen, Eltern, Lehrerkolleg*innen und Bildungspolitiker*innen. von analogen und digitalen Bildern. In unserem Fall sind das rungen als Checkliste. Wer ist beteiligt? Zu welchem Genre Comic, Poster, Fahrplan, Kunst … die Inhalte bzw. Motive und die Art der Darstellung. Letzte- gehört die Äußerung? Welche visuelle Rhetorik wird verwen- Weniger Technik mehr Semiotik re werden traditionell unter dem Begriff bildnerische Mittel det? Welche Absichten verfolgen die Leute mit den Bildern? Bedeutung als Unterscheidung Die Digitalisierung verändert die technischen Bedingungen zusammengefasst. Sie taugen als semiotische Ressourcen, Wo sind die Bilder zu sehen? Bei welchem Anlass werden sie Semiotische Ressourcen gewinnen wir mit Hilfe von Unter- der visuellen Medien und den Umgang mit ihnen entschei- weil ihrer Verwendung eine Wahl zugrunde liegt. Bildnerische gezeigt? Dabei gilt das Interesse nicht dem Bild als solchem, scheidungen bzw. Entscheidungen unter mehreren Möglich- dend. Damit sollte sich auch das Mangelkonzept ändern. Tra- Mittel sind wie die Motive und Inhalte weitgehend unabhän- sondern seiner Funktion. Das Bild wird als Werkzeug oder Mit- keiten. Gestalten heißt, zwischen Alternativen zu entschei- ditionelle Mängel verlieren an Relevanz, neue werden wichtig. gig von der Art des jeweiligen Bildmediums. tel zum Zweck analysiert. Interessant ist, was das jeweilige den. In analogen bildnerischen Techniken ist das Herstellen Bilder und andere visuelle Gestaltungen haben eine tech- Es ist banal: Bilder werden zu einem bestimmten Zweck Bild für den Zweck geeignet macht. von Alternativen zeit- und gegebenenfalls kostenaufwändig. nische und eine formal-semantische Seite. Die Apparate sind produziert bzw. gezeigt und angeschaut bzw. rezipiert.2 Des- Hier ist ein ausgeprägtes Vorstellungsvermögen (Imaginati- preiswert und leicht zu bedienen. Software gibt es kosten- halb ist es angebracht, im Unterricht Bilder unter einem prag- Bildnerische Mittel on) eine wichtige Voraussetzung für gelingendes Gestalten. los. Verschiedene Anwendungen (Apps) helfen quasi automa- matischen Aspekt zu behandeln. Dieser Aspekt lässt sich Mediale Botschaften sind multimodal (G. Kress, 2010). Wir Das Vorstellungsvermögen basiert auf langjähriger Erfah- tisch, eine angemessene Qualität zu erreichen. Darüber hin- wieder in zwei Teilaspekte unterteilen: nutzen dabei verschiedene sinnliche Kanäle zur Erzeugung rung. Digitale Techniken ermöglichen Alternativen schnell, aus bieten sie umfangreiche Möglichkeiten, Bilder nach der u die Situation, in der mit Bildern agiert wird, und der Zweck, von Bedeutung. Banaler Weise sind das visuelle Zeichen, aber mühelos und billig. Beim digitalen Gestalten löst der „rück- Aufnahme zu verändern. Textverarbeitungsprogramme verfü- der mit ihnen verfolgt wird, und wir verwenden auch andere Aspekte, etwa die Dicke und gängig-Wiederherstellen-Knopf“ als Experiment die Imagi- gen potentiell über Tausende von Schriftarten, die in Größe u die Mittel, mit denen die Bilder gestaltet und verwendet Oberfläche des Papiers, das Geräusch, das ein Verpackungs- nation ab. Im Unterricht erschließen sich die Schüler*innen und Farbe gestaltet werden können. Damit hat sich die Sphä- werden. material verursacht. Jede Eigenschaft, für die es eine Alter- mit Experimenten die semiotischen Ressourcen visueller

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Gestaltung und sammeln damit in relativer kurzer Zeit viele Billmayer, F. (2017). Multimodale Kommunikation – Heraus- Werner Bloß Erfahrungen. forderung und Chance für die Bildnerische Erziehung. In: Aufgabe der Schule ist es, die meist intuitiven Entschei- Fachblatt des BÖKWE, 1–2017, S.54–57. dungen bewusst und durchschaubar zu machen. Im Unter- Giesecke, M. (2006). Der Buchdruck in der frühen Neuzeit. Digitale Instrumente der richt werden dazu Begriffe und eine entsprechende Fachspra- Eine historische Fallstudie über die Durchsetzung neuer Bilduntersuchung im che entwickelt. Vermutlich braucht es dazu auch eine medi- Informations- und Kommunikationstechnologien (4. Aufl.) en-historische Betrachtungsweise. Frankfurt a.M. kunstdidaktischen Fokus Hodge, R., & Kress, G. (1988). Social Semiotics. London. Fazit Höfferer, G. (2017). Verfeinerung der kunstpädagogischen Die digitale Technik ist die Ursache für die fachdidaktische Kri- Landschaftspflege (Rezension). In: Fachblatt des BÖKWE, Gleicht man Lockungen und Mahnungen zur se und ein möglicher Ausweg aus ihr. 2–2017, S.29. sog. „Digitalen Bildung“ mit den Erfordernis- Kress, G. (2010). Multimodality – Exploring contemporary sen und Möglichkeiten im Kunstunterricht ab, Literatur methods of communication. London. so zeigt sich, dass neben dem Umgang mit den Billmayer, F. (Hg.) (2009). Nachgefragt. Was die Kunstpäda- Kress, G. R., & Leeuwen, T. van. (2006). Reading images – the Geräten die stete, begleitende und kritische gogik leisten soll. München. grammar of visual design. London. Prüfung ihrer Werkzeuge ins Blickfeld gerückt Billmayer, F. (2013). Da schau her! Das beobachtet die Kunst- Leben, L. (2019). Das Bild vom Bild. In Fachblatt des BÖKWE werden muss. Hier kann ein ertragreiches Feld pädagogik. In: Engels, S.; Preuss, R.; Schnurr, A. (Hg.), 4–2019, S.14–18 für die Auseinandersetzung und unsere Ad- Feldvermessung Kunstdidaktik (S.119–127). München. Luhmann, N., & Lenzen, D. (2004). Schriften zur Pädagogik. ressat*innen bestellt werden, und es ergeben Billmayer, F. (2016a). Situationen, in denen bildnerische Kom- Frankfurt a.M. sich wesentliche Anknüpfungspunkte für die petenzen gebraucht werden und in denen sie sich zei- Ullrich, W. (2017). Bildersozialismus. In: Loffredo, A.M. (Hg.), Entfaltung einer verantwortungsvollen (Me- gen. In: Wagner E, Schönau D. (Hg.), Gemeinsamer Eu- Transit Kunst/Universität (S.56–65). München. dien-)Bildung. Am Beispiel der mit Tablets und ropäischer Referenzrahmen für Visual Literacy – Prototyp Smartphones flankierten Untersuchung von über zur digital flankierten Analyse und endet im Feld einer – Abb. 1 Screenshot aus der (S.138–144). Münster; New York. Bildern im Unterricht sollen diese Zusammen- nun auch netzbasierten – Deutung. Bei ihrer exemplarischen App ClunEtour: Eine Kirche Billmayer, F. (2016b). Situationsbasiert Aufgaben stellen. In: 1 Doppelkongress 2018 Kunst · Geschichte · Unterricht in Leipzig und hänge exemplarisch nachgezeichnet werden. Darstellung wird sich dieser Text durch einfache Begegnungs- von unten Kunst+Unterricht, 403–404, S.89–90. München. Jänner 2020 Kunstunterricht und Bildung in Düsseldorf und fragen mit Kunst im entsprechenden Unterricht in Sekundar- Billmayer, F. (2016c). Vorschläge zur Verwendung des Situa- Menschen_Bildung im Dispositiv des Digitalen in München. Das Endgerät, die Sinne und die Bilder stufe 1 und 2 bewegen. Am Ende des Beitrags sollen dann me- tionenkreises für die Konstruktion von Aufgaben. In: E. 2 Das zu akzeptieren fällt vielen gar nicht so leicht; denn die Kunstpäd- Die Kommunikation mit Computern wird in der Richtung Ma- diendidaktische Aspekte der digitalen Erweiterung einer einst- Wagner & D. Schönau (Eds.), Gemeinsamer Europäischer agogik und mit ihr die Bildnerische Erziehung hat sich lange am Para- schine-Mensch vorwiegend visuell getragen. Vor dem Hören mals rein analogen Methodik kurz beleuchtet werden. Referenzrahmen für Visual Literacy - Prototyp (S.255–258). digma der zweckfreien Kunst orientiert. und weit vor der Haptik im Umgang mit dem Gerät ist das Se- Münster; New York. hen der wichtigste angesprochene Sinneskanal. Auch Tablets Werkbegegnung und Smartphones senden und empfangen Bilder. Dabei kodie- In der Annäherung an ein Werk gibt es viele Methoden, bei ren sie selbst, wie im Fall der eingebauten Kamera und der denen der Unterschied zwischen analoger und digitaler Ar- Apps zur Bilderzeugung, oder sie erhalten Kodiertes über die beitsweise zunächst kaum zu unterscheiden ist, solange es anderen Schnittstellen ihrer Datenübertragung per Kabel oder sich um keine Begegnung mit dem Original, sondern – wie oft Funk. Die Endgeräte sind Umschlagorte für Bilder wie für Text im Unterricht – um die Rezeption eines zweidimensionalen und Ton gleichermaßen. Sie und die mit ihrer Hilfe aktivier- Werks über ein zwischengeschaltetes Medium (Druck, Pro- te künstliche Intelligenz mischen sich bei diesem Handel und jektion, Monitoranzeige) handelt. Anders liegt der Fall in die- seiner Verschlüsselung in die Art der visuellen Kommunikation ser behelfsmäßigen Rezeption im Bereich des Dreidimensio- ein – innerhalb und außerhalb der Kontrolle einer*s Nutzer*in. nalen, wo das Einlassen auf den medial repräsentierten Ort (z. B. ein Bauwerk) manchmal sogar anschlussfähiger gerät, Ein offenes Experiment wenn das Werk über das Medium (digitaler) Film oder über Eingedenk dieser Chancen und Risiken ist es naheliegend zu eine interaktive 3D-Animation erfahrbar gemacht wird. Zwar prüfen, ob und wie sich Smartphones und Tablets auch als Mit- fehlen essentielle Erlebnisse wie der Geruch des Bauwerks tel zur Untersuchung eines Bildes im Kunstunterricht eignen. oder der Hall der eigenen Geräusche vor Ort und damit die Das hier dargestellte, noch nicht abgeschlossene Experiment entsprechende direkte Verbindung zur Lebensrealität. Dafür führte mich zusammen mit meinen Schüler*innen von seltenen kann das Werk virtuell durchwandert, überflogen oder aus an- Tests in Spezialfällen digitalen Werkzeugeinsatzes hin zur Sich- deren, in der Realität unmöglichen Perspektiven sehr genau tung der Gesamtschau einer Werkuntersuchung. Sie beginnt betrachtet werden (Abb. 1). Es gibt viele solcher Apps, die bei Fragen der virtuellen Näherung und Beschreibung, geht – anscheinend aus kulturellem oder touristischem Interesse –

52 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 53 DIGITALE BILDANALYSE DIGITALE BILDANALYSE

Exemplarisch wird hier der technisch-analytische Umgang mit der Farbe in einem Bild dargestellt. Im Bereich des Digitalen kann er an naturwissenschaftliche Methodiken heranreichen – sofern man hier wie dort den jeweiligen Messinstrumen- ten mit der nötigen Skepsis begegnet. Farbtemperaturen zu bestimmen war früher einmal einer professionellen Unter- Abb. 2 Screenshot aus der suchung vorbehalten. Mit digitalen Mitteln kann jede*r Nut- App Visionary: Bilderken- nung durch die künstliche Intelligenz

auch kostenlos angeboten werden. Einige davon genügen den Ansprüchen im Unterricht, manche sind fehlerbehaftet. So Abb. 3 Screenshot aus bedürfen sie ihrerseits einer gründlichen Prüfung – wie ana- der App Affinity Photo: loge Medien auch, mit denen versucht wird, die Distanz die- Kantenbetonung als Kom- ser mittelbaren Rezeption zu überwinden (Baupläne, Aufrisse positionsfilter usw.) (App-Beispiele: „Antica Aquileia 3D“ oder „ClunETour“).

Werkbeschreibung Dass es nicht nur Laien widerfährt, ein Bild unzureichend in sei- zer*in Farben in digitalen Bildern messen (z. B. mit der App Werkdeutung ben Puenteduras die reine Spiegelung (also den „Ersatz“, Abb. 4 Screenshot der nem Bestand zu erfassen, schildert Wolfgang Ulrich launig in „Farbnamen“) und ihre licht- oder drucktechnische Zusam- Noch gibt es keinen allgemein zugänglichen Algorithmus, der die „Substitution“, Puentedura 2006) deutlich übertreffen, Google-Bildersuche auf der seiner Wissenschaftspoetik „Des Geistes Gegenwart“ (Ullrich mensetzung erfassen (z. B. mit der App „ColorConverter“). eine umfassende Werkdeutung erzeugen kann. Das wäre an- sollte rechtzeitig ins Blickfeld rücken. Kinder und Jugendli- Basis eines Bild-Uploads 2014, Seite 9–38). Ein einfaches Gegenmittel liegt in der suk- Komplexere Apps berechnen zu ganzen Bildern Tonwertta- gesichts der individuell und kulturell unterschiedlichen Deu- che könnten sich sonst wundern, weshalb die Erkenntnisse (François Gérards Porträt zessiven Übermalung aller Bildzonen, die man bereits gründlich bellen und Farbkanalbelegungen. Der Wert dieser maschinell tungsmuster ohnedies schwer denkbar. Aber die Entwicklung eines analog grundierten Kunstunterrichts weit hinter jenen von Juliette Récamier, beschrieben hat. Es sind ökonomische und ökologische Gründe objektivierten Daten liegt im Abgleich mit dem – menschlich der künstlichen Intelligenz ist auf diesem Weg erstaunlich her hinken, die einer*m digital versierten Nutzer*in manch- 1802) in einer Schulklasse mit 30 Kindern, die gegen diese Methode womöglich fehlbaren – Farbeindruck. weit fortgeschritten. Zum Beispiel können die netzbasierte mal wie von selbst zuzufliegen scheinen. Oft liegt in dieser im Analogen – das Arbeiten mit Fasermalern auf Laserdrucken Bildersuche von Google und vergleichbare App-Derivate (z. B. Leichtigkeit auch die Gefahr der Flüchtigkeit mitunter wesent- – sprechen. Im Digitalen ist das mehrmalige, auch analytische Wahrnehmen und wahrgenommen werden Reversee) manches Bild einem ikonografisch erfassbaren Stil- licher Beobachtungen. In der Diskussion um die Verwendung und in Ebenen getrennte Überarbeiten von Bildern dagegen – Sehr offensichtlich sind die Chancen dieser technischen kontext zuordnen und in Sekundenbruchteilen jene verwand- digitaler Endgeräte und der didaktischen Schlussfolgerungen wie so oft – kein Problem und erweist sich im Unterricht meist Optionen der Bilduntersuchung z. B. in der hilfreichen An- ten und visuell ähnlichen Bilder liefern, für die man im vordi- können einerseits die neuen technischen Möglichkeiten, die als recht ergiebig. Solche schlichten Anwendungen und harm- wendung für Kinder mit eingeschränkter Farbwahrnehmung. gitalen Zeitalter stundenlang den Bestand von Museen und Bequemlichkeit der Bedienung, die Grenzenlosigkeit der ver- losen Beobachtungen können darüber hinwegtäuschen, dass Kontraste können zum Zwecke der Verdeutlichung verstärkt, Bibliotheken hätte sichten müssen – weltweit (Abb. 4). So fügbaren Daten, die Geschmeidigkeit der Kommunikation und das Tablet mit der richtigen App und einem Netzzugang selbst übersetzt oder invertiert werden. Automatische oder selbst lange es sich dabei um jene Fingerübungen handelt, mit de- die unübertroffene Effizienz des Workflows in den Mittelpunkt in der Lage ist, Bildgegenstände zu erkennen und zu benen- gesteuerte digitale Tonwertkorrekturen liegen manchmal nen im Schulunterricht Bilder meist kanonischen Ursprungs gestellt werden. Auf der anderen Seite dräuen die Mahnun- nen (z. B. „Visionary“). Der Wert für den Unterricht liegt weni- ganz nahe an analogen Restaurierungsergebnissen. Die untersucht werden, mag sich der Wert für einen (un-)heim- gen der Hirnforschung und der Psychologie (z. B. Rittelmeyer ger in den konkreten Antworten der hiermit um Hilfe gebete- Möglichkeit der digitalen Bildmanipulation erleichtert die lichen Beobachter im Netz in Grenzen halten. Wird es aber 2018), ernüchternde Forschungsergebnisse zum didaktischen nen künstlichen Intelligenz im Netz, sondern in ihrer kritischen Zusammenfassung farblich verwandter Bereiche, und mit ernst mit einer derartigen Netzrecherche, z. B. im privaten Wert (Hattie/Zierer 2018) und ethische Probleme im Umgang Prüfung. So führt die Frage weiter (z. B. auch in den Bereich der nötigen Vorerfahrung können auch kompositorische Ent- oder professionellen Rahmen, muss der Aspekt der Ausspä- mit den Rechnern. der Analyse), wie und warum der netzbasierte Algorithmus scheidungen der Bildautor*innen offengelegt werden (Abb. hung in die kritische Betrachtung dieser Medialität mit einbe- bestimmte Gegenstände und Zusammenhänge in Bildern er- 3). Im Bereich der Architekturuntersuchung liefern uns Kar- zogen werden – und zwar in dem Moment des Unterrichts, in Herausforderungen kennen kann und andere nicht (Abb. 2) (Schmitt 2019). Durch ten-Apps und Angebote im Netz zum Teil sehr präzise Daten dem der geschützte Rahmen der Datenverarbeitung innerhalb Im Hinblick auf die Digitalisierung müssen wir uns deshalb da- Zuschneiden und weiteres digitales Manipulieren der Bilder vor zu den Ausmaßen eines Bauensembles (z. B. die Geoportale des Rechners verlassen wird. rum kümmern, das neue Forschen in und mit Bildern (wie mit dem Upload in die Suchmaschine kann die Leistungsfähigkeit der deutschen und österreichischen Bundesländer und der Texten) so aufzubereiten und zu flankieren, dass die Adres- der Algorithmen ausgetestet werden. Kantone in der Schweiz). Während im Bereich eigener Bild- Endgerätenutzung im Spannungsfeld sat*innen den Maschinen gegenüber kritisch und emanzipiert manipulation kaum Gefahr droht, vom Untersuchenden zum Die Kette kunsthistorisch tradierter und unterrichtsrelevan- werden oder bleiben können. Was nützt das überzeugends- Werkanalyse Untersuchten zu geraten, legen die Anfragen im Netz allen ter Methoden, Blickwinkel und Fragestellungen ist in ihrer te (Teil-)Ergebnis einer netzbasierten Bilduntersuchung, wenn Bei der rechnergestützten Analyse kommen Chancen und Ri- dort lauernden Interessenten offen, wofür man sich gerade digitalen Spiegelung noch recht bruchstückhaft. Aber die sein elegantes Zustandekommen undurchsichtig ist, wenn siken algorithmischer Mechanismen noch deutlicher ins Spiel. interessiert. Leistungsfähigkeit einzelner Teildisziplinen, die im Sinne Ru- sich die vermeintliche – maschinelle – Objektivität der Ant-

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wort als wenig reliabel, weil stark personalisiert, herausstellt? änderte sich auch die Auswahl der Bilder, die auf eine zweite Die beim Recherchieren gesparte Zeit kann z.B. in einfache kontrollierende Suchanfrage zu Gérards Porträt erschienen. Die Kontrollroutinen investiert werden. Bekommen die Mitschü- Schülerin hatte es augenscheinlich geschafft, den Algorithmus ler*innen die gleichen Ergebnisse auf den ihnen zur Verfü- so zu verwirren, dass er die Zuordnung zu einer Filterblase ver- gung gestellten oder privaten Endgeräten? Wenn ja, ist wahr- worfen hat und seine Angaben neutralisierte. scheinlich alles in Ordnung. Im anderen Fall kann und muss Abb. 1–3 Performance zur hier eine Auseinandersetzung starten, die tiefer geht, als eine Historische Analogie und Schluss Eröffnung des Symposiums Bilduntersuchung bislang zu reichen vermochte: Wer im 18. Jahrhundert eine Schiffsuhr besaß, hatte un- Di[gi)]alog 2019 u Was hat das hochgeladene Bild mit mir zu tun? schätzbare Vorteile, konnte die geografische Länge bestim- u Worin liegen die Zusammenhänge zwischen meinem Nut- men und damit weiter und sicherer in See stechen als auf zungsverhalten und dem Bild? Schiffen mit älteren Navigationsinstrumenten. Aber mit ihrem u Welche Erwartungen sind mit personalisierten Antworten Einsatz und den darauf begründeten z.T. existenziellen Ent- auf meine Netzrecherche verbunden? scheidungen war auch die Verpflichtung verbunden, die Uhr u Wer hegt sie und warum? stets zu prüfen und zu warten. Sich blind auf ihre Angaben Werner Bloß zu verlassen, endete schlimmstenfalls in einem Unglück. Ent- ist Kunstlehrer am Diese Fragen können selten klar beantwortet werden. Kom- sprechend verhält es sich mit den Rechnern und der künstli- Gymnasium Wendelstein, merzielle Interessen dürften das Gros ausmachen, weshalb chen Intelligenz. Der größte Unterschied liegt darin, dass ne- Mittelfranken, Deutschland wir personalisierte Antworten in Form von bestimmten Bild- ben der Maschine selbst nun auch Andere, Unbekannte Ein- auswahlen (oder Texttreffern) erhalten, bei denen ein*e Nut- fluss haben können auf das Funktionieren des Instruments. zer*in einer bestimmten Interessengruppe zugeordnet worden Das Feld der Bilduntersuchung eignet sich hervorragend, um ist, die Antworten also einer bestimmten Filterblase angepasst schon mit relativ jungen Schüler*innen die effektive Nutzung wurden. wie die kritische Prüfung und auch die selbstbewusste Beein- flussung der digitalen Endgeräte und ihrer Bezugspunkte im Ein Beispiel aus dem Unterricht Netz in gleicher Weise zu üben. Auf den von der Schule zur Verfügung gestellten Tablets blie- Bernd Böhmer Bernhard Böhmer ben die Netzantworten auf verschiedenen Geräten relativ ähn- Literatur geb. 1962, Studium bei lich. Im Abgleich damit konnte eine deutliche Personalisierung Camuka, Ahmet/Peez, Georg (Hrsg.): Kunstpädagogik digital Prof. Gustav Zankl und Prof. von jenen Nutzer*innen selbständig diagnostiziert werden, die mobil, Film, Video, Multimedia, 3D und Mobile Learning Performance zur Eröffnung des Manfred Gollowitsch. Di- mit ihrem eigenen Gerät arbeiteten. Ganz dem Klischee ent- mit Smartphone und Tablet – Vermittlungsszenarien, Un- Symposiums „Di(gi)alog“ 2019 daktiker und Koordinator für sprechend erntete eine Schülerin (13 Jahre) bei ihrer Netz- terrichtsprojekte und Reflexionen, München 2017. Technische Werkerziehung anfrage (Bilddatei mit gelöschtem Exif-Header, also ohne ver- Hattie, John/Zierer, Klaus: Visible Learning, auf den Punkt ge- und des Schwerpunkts steckten Subtext) zu François Gérards Porträt von Juliette Ré- bracht. Baltmannsweiler (Schneider, Hohengehren) 2018. Kulturelle Bildung an der camier (1802) auch Bilder aus dem Kontext der Mode- und Schmidt-Maiwald, Christiane (Hrsg.): Analysemethoden im Das BÖKWE-Symposium 2019, das sich mit Ihnen wurde im Sinne der Digitalisierung ein Autopilot zur Kirchlichen Pädagogischen Kosmetikindustrie – ein allem Anschein nach von ihr häufiger Kunstunterricht. Sammelband Kunst + Unterricht. Velber der Digitalisierung in den kreativen Fächern Seite gestellt, dessen Anweisungen und Kommentare von Hochschule Graz. gesuchtes Genre. Zum ersten Mal wurde ihr und ihren Freun- (Friedrich-Verlag) 2016. auseinandersetzte, bot 19 Studierenden der vier Damen – perfekt synchron einstudiert von unserer Rhyth- dinnen bewusst, wie sie im Netz beobachtet und eingeschätzt Puentedura, Ruben: Transformation, Technology, and Educa- Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Graz mikerin Sarah Kulmer – in eine leicht verständliche Gebärden- worden waren, und was von ihnen erwartet wurde. Die Mäd- tion [Blog post, 2006]. http://hippasus.com/resources/tte/ aus dem Schwerpunkt Kulturelle Bildung eine sprache übersetzt wurden. chen entwickelten daraufhin für ein kunsthistorisch ausgerich- [aufgerufen am 16.12.2019] Bühne, performativ auf das Symposium einzu- Das restliche Team erarbeitete fünf Alltagsszenen aus tetes Rechercheprojekt die Idee, auf diesem Gerät ganz gezielt Rittelmeyer, Christian: Digitale Bildung – ein Widerspruch. Er- stimmen. (Abb. 1–3) dem Leben junger Menschen und engagierter Kreativlehrerin- und etwas häufiger als nötig nach der „Kunstgeschichte des ziehungswissenschaftliche Analysen der schulbezogenen nen, wobei Einsatz und Verwendung der Neuen Medien mit bärtigen Mannes“ zu fahnden. Zunächst schienen die Ergebnis- Debatten. Oberhausen (Athena) 2018. Ausgehend von der Überlegung, ein Leitsystem für die an- all ihren Vor- und Nachteilen in sehr unterhaltsamer Art und se ziemlich schnell verlässlicher zu werden, weil z. B. die Wer- Schmitt, Stefan: Ist das wirklich ein Toaster? In: https://www. strömenden Besuchermassen mit einem kritischen aber auch Weise vor Augen geführt wurden. bebanner mancher aufgerufenen Seite nach und nach vom en- zeit.de/2019/47/kuenstliche-intelligenz-neuronale-net- humorvollen Ausblick auf die drei Symposiumstage zu verei- So verhedderte sich eine Kunsterzieherin in diversen So- gen Schema Mode und Kosmetik abrückten. Neben der Bilder- ze-muster-erkennung-forschung/komplettansicht [aufge- nen, wurde gemeinsam überlegt, wie dies am besten zu er- cial Medias, als sie dem Fernsehmaler Bob Ross begegne- suche durch entsprechende Uploads eigener Fotografien (z.B. rufen am 16.12.2019] reichen wäre. te und dieses für sie tiefgreifende Erlebnis sofort mittels Sel- von einer bärtigen Spielzeugfigur) führten auch die mehrspra- Ullrich, Wolfgang: Des Geistes Gegenwart, eine Wissen- Wie kann ein Leitsystem besser dargestellt werden als fie-Stick ihrer gesamten Community posten wollte. chigen Eingaben der Suchanfragen „Bart, Öl, Leinwand“, „be- schaftspoetik. Berlin (Wagenbach) 2014. mit Flugbegleiterinnen und Flugbegleitern? Als gute plakative Eine andere Lehrerin verstrickte sich bei der Suche nach ard, fresco“ oder „barbe en marbre“ zum Ziel der Gewinnung Wiesing, Lambert: Artifizielle Präsenz. 5. Aufl. Frankfurt am Guides lotsten sie durch das Datendickicht und konnten Men- der perfekten Location für etwaige Online-Malkurse in den einer illustren Bilderreihe unter der o.g. Überschrift. Daraufhin Main (Suhrkamp Verlag) 2018. schenmassen mit Bits und Bytes vergleichen. Klauseln der Datenschutz-Grundverordnung.

56 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 57 ERÖFFNUNGSPERFORMANCE SPIELTHEORETISCHE UND PSYCHIATRISCHE ÜBERLEGUNGEN

Rainer Buland, Nurjehan Gottschild Digitalisierung aus spieltheoretischer und psychiatrischer Sicht

Auf der Tagung in Graz wurde die Digitalisie- Digitalisierung und Erkenntnis rung nach unserer Auffassung viel zu eindi- Was bedeutet digital und virtuell? mensional diskutiert. Entweder es wurde eine Diese Frage wird allzu schnell und zu einseitig beantwortet. Gegnerschaft konstruiert und in der Digitali- Schließlich ist es auch fraglich, ob ein Buch analog oder digi- sierung wurde der Untergang des menschli- tal ist. Natürlich ist ein Buch als Objekt analog, aber der Inhalt chen Selbst überhaupt gesehen, oder die Di- ist virtuell. Der Inhalt besteht lediglich in einem Referenzraum, gitalisierung wurde relativ unkritisch als eine in dem wir durch Zeichen eine Geschichte erzählen oder einen Art Naturgewalt akzeptiert. Wir möchten hier Denkraum eröffnen (wie gerade eben hier in diesem Aufsatz). eine differenzierte Sicht einbringen, die als Der Inhalt des Buches funktioniert in der digitalen Welt ebenso Anregung für eine pädagogische Umsetzung wie in der analogen Welt. Ob ich einen Text in gedruckter Form dienen kann. Naturgemäß können im Rahmen lese, oder in digitaler Form, ist lediglich eine Frage der Vorliebe eines Aufsatzes nicht alle Aspekte ausführlich und der Praxis. Und doch können wir anhand dieses Beispiels dargestellt werden, aber dieser Text ist als In- einen Unterschied beschreiben, der wichtig ist: Der Inhalt eines spirationsquelle für eigenes Weiterdenken ge- Buches ist virtuell, so sagten wir. Wir haben ihn nicht digital ge- dacht. nannt. Digital ist der Text erst dann, wenn er in einem bestimm- ten Maschinencode als digitaler Text vorliegt. Das heißt: Der Reflexion über die Sprache Text ist nun nicht mehr in Buchstaben codiert, sondern in Zah- Bevor wir uns dem Thema Digitalisierung nähern, müssen wir len, die uns über einen bestimmten Code als Buchstaben ange- uns über die folgende Beschränkung klar werden: Digitalisie- zeigt werden. Wir als Menschen agieren auf der einen Seite des rung ist ein Metathema, eine alle Lebensbereiche betreffen- Codes in den Formen von Buchstaben und Bildern. Der Rech- de, vielschichtige und fundamental vernetzte Materie. Als sol- ner agiert auf der anderen Seite des Codes ausschließlich in che kann sie mit Hilfe einer linearen Sprache, die auf relativ der Form von Hexa-Zahlen-Reihen, aufgebaut auf Null und Eins, unklare Begriffe aufgebaut ist (im Gegensatz zur Mathematik), eben digital. Weil die Rechner heute so große Zahlenmengen nicht eindeutig dargestellt werden. verarbeiten können, sieht es für uns, die wir diese Zahlenwelt Wir müssten auch die Grundbegriffe (Digitalisierung, virtu- nicht nachvollziehen können, so aus, als würde hier tatsächlich al reality, social media usw.) zunächst klären, was einen ziem- ein Erkenntnisprozess stattfinden, ein Computer z.B. tatsächlich lichen Aufwand bedeuten würde. die Gesichter von Menschen erkennen können. Das ist jedoch in So müssen wir uns also mit einer gewissen Unklarheit ab- keiner Weise der Fall. Eine sogenannte „Künstliche Intelligenz“ finden. Wir verwenden die Begriffe des Metathemas (Digita- kann Menschen nicht erkennen, aber sie kann Muster in Zahlen- lisierung und dergleichen) relativ synonym, während wir auf reihen abgleichen und mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit der nächst unteren Ebene eine genauere Differenzierung vor- angeben, dass hier ein match vorliegt. Dieser Vorgang hat aber schlagen. Damit können wir zwar nicht alle Fäden des ver- überhaupt nichts mit Erkennen im menschlichen Sinne zu tun. Eine etwas weniger begabte Userin vielbesuchter You- Zu guter Letzt brachten zwei shopaholic Teenies ihren netzten Metathemas aufschlüsseln, aber immerhin einige Tube-Strickanleitungen konnte der im Videoblog gezeigten um Erfüllung aller Wünsche bemühten Smart Speaker, Echo wichtige Seile benennen. Schließlich ist die Wissenschaft Die Dimensionen der Digitalisierung Geschwindigkeit beim Basics Tutorial nicht folgen. Dot „Alexa“ zur Explosion, indem sie seine Skills als Smart auch dafür zuständig, komplexe Sachverhalte zu systemati- Die Consumer Dimension: Dabei handelt es sich um die In einem weiteren Sketch versuchte sich eine junge Fa- Home-Gerät restlos überforderten. sieren und auf eine verstehbare Komplexität zu reduzieren, Schicht der Anwender. Interessant ist, dass die Leute, die be- shion-Bloggerin als Model Scout, wobei sie unter den anwe- Damit gab es genug „stimulations“ um dieses future-like was naturgemäß immer eine Abwägung zwischen unerlaub- stimmte Programme, sogenannte Apps, anwenden, keinerlei senden congress participants Trendiges im „perfect style“ Symposium sowohl virtual real als auch peppy (= schwung- ter Simplifizierung und unverständlicher Kompliziertheit ist. Wissen über deren Funktionsweise und die Hintergründe ha- entdeckte, das sie ihren Followern präsentieren konnte. voll) ins Rollen zu bringen! So versuchen wir also einen verständlichen Mittelweg. ben.

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Hierbei ist folgende Entwicklung zu beobachten: In den Langsam aber entsteht ein Problembewusstsein, z.B. ist keine Eigenschaft einer Person. Ein Mensch kann nicht au- dukte hervorzubringen. In dieser Dimension gibt es keine grö- 1990er Jahren wurden die Programme von IT-Technikern pro- beim Einsatz von Algorithmen im Arbeitsmarktservice. Es hat thentisch sein. Ein Mensch kann nur authentisch wirken. Au- ßeren Gefährdungen. grammiert und die Anwender mussten, oftmals über heute sich gezeigt, dass weibliche Arbeitskräfte aufgrund ihres Ge- thentisch meint, dass wir glauben, von der Erscheinung eines Die Dimension der Programmierer: Dies ist naturgemäß undenkbare Handbücher, die Funktionsweise des Programms schlechts benachteiligt werden, wenn der Algorithmus ein- Menschen auf seine Persönlichkeit schließen zu können. Ein der Bereich für die Profis. Bis auf einfache kleine Programme erlernen. Heute werden die Programme so gestaltet, dass sie seitig auf männliche Arbeitskräfte hin programmiert worden Social-Media-Auftritt muss also authentisch sein. wird kaum jemand, der dies nicht beruflich macht, ein Pro- sogenannte intuitive Anwendungsmöglichkeiten bieten. Es ist, was bei deutschsprachigen IT-Technikern durchaus leicht Viele Menschen wissen zwar, dass sie häufig betrogen gramm schreiben. Andererseits sollten wir dies nicht unter- wird keine Funktionsweise mehr erlernt, sondern – in einer passieren kann. Ein Algorithmus hat eben massive Auswir- werden, das stört sie jedoch kaum, solange sie zumindest da- schätzen. Viele Linux-User greifen über die sogenannte Kon- Art spielerischem Prozess – ausprobiert. Die Handhabung kungen auf die User. Es ist nicht egal, wer den Algorithmus ran glauben dürfen, dass hinter dem so authentisch erschei- sole direkt in Programme ein. Die Programme sind für jeden eines Programms soll sich intuitiv erschließen. Wobei dies zu welchem Zweck programmiert und welche Interessen da- nenden Account tatsächlich ein Mensch steckt, der so ist, Eingriff offen, etwas, was sich der normale Windows- oder auf erlernten und heute bereits als quasi-natürlichen Hand- mit verfolgt werden. Noch schlimmer wird es, wenn selbst- wie sie glauben. Apple-User nicht vorstellen kann. Pädagogisch gesehen kann lungsabfolgen aufsetzt. Auf einem Bildschirm etwas wegzu- lernende Künstliche-Intelligenz-Methoden neue Algorithmen Dies funktioniert, weil die User daran glauben möchten. es natürlich spannend sein, kleine Programme zu erstellen, wischen, das man nicht mehr haben will, wird bereits von erfinden. Diese sind dann auch von Spezialisten nicht mehr Weil damit, psychologisch gesprochen, ein wenig Glanz auf weil dadurch das Verständnis der Funktionsweise von Compu- Kleinkindern beherrscht. Diese und ähnliche Handlungen sind nachvollziehbar. Wir können lediglich die Auswirkungen genau sie abstrahlt, womit sie ihren Selbstwert steigern können. Die tern ganz wesentlich erhöht wird. Ein gutes Beispiel wäre z.B. bereits auf der Ebene der Reflexe in den menschlichen Gehir- beobachten und eventuell begrenzend einschreiten. Problematik dabei liegt natürlich in der Wendung „glauben die eigene Homepage zu programmieren. Etwas, was durch- nen verankert. Wenn wir heute von der jungen Generation als möchten“. Es entsteht kein Selbstwert, der auf der Wahrneh- aus im Bereich des Machbaren liegt. digital natives sprechen, dann meinen wir genau diese Fähig- Die Social Media-Welt hat mehrere Schichten mung eigener Fähigkeiten und Erfahrungen beruht, er ist dem- Computer im Austausch untereinander: Dieser Bereich ist Ass.Prof.Dr. Rainer Buland keiten. Sie können als Konsumenten die für sie hergestellten Die private Nutzung: Diese dient vor allem dazu, Vertrauen zu entsprechend gefährdet. Es handelt sich sozusagen um einen wohl nur für Insider überschaubar, wenn überhaupt. Beispiele MAS ist Leiter des Archivs Programme quasi-intuitiv oder besser gesagt reflexartig be- schaffen. Wenn ich Nachrichten mit einer Bekannten in Kana- geliehenen Selbstwert. dafür sind: Autonomes Fahren, Online-Aktienhandel, Internet für Spielforschung und dienen. da austausche, die ich schon lange nicht mehr gesehen habe, Die Frage nach dem Authentischen, nach dem Selbstwert der Dinge und andere Anwendungen der sogenannten Künst- Playing Arts an der Univer- Die damit einhergehende Fantasie vor allem der älteren so ist dies eine wunderbare Technik, um in Kontakt zu bleiben. ist auch ein spannendes Thema für die Kunst- und Werkpäd- lichen Intelligenz. Die Diskussion darüber kommt erst in Gang. sität Mozarteum Salzburg. Generation, mit der Beherrschung der Handhabung wäre auch Und vielleicht treffen wir uns in einem Jahr wieder und wir agogik. Wir erwarten von einem Kunstwerk, dass es ein au- Ob dabei wirklich das herauskommt, was die Konzerne ver- Er hat Musikwissenschaft ein Wissen über die Funktionsweise verbunden, hat sich als sind am Laufenden, was dem jeweils anderen zwischenzeit- thentischer Ausdruck einer Künstlerin, eines Künstlers ist. Wa- sprechen, ist angesichts der Erfahrung, dass die sogenannten studiert und einen Master haltlos herausgestellt. Die heutigen Jugendlichen haben nicht lich passiert ist. Ich kann mit einiger Sicherheit sagen, dass rum eigentlich? Es gibt auch andere künstlerische Verfahrens- „Nebenwirkungen“ von unseren Sozialsystemen aufgefangen in Spiritueller Theologie. mehr und nicht weniger Ahnung von der tatsächlichen Funk- diese Nachricht (Bild, Video, Textnachricht) tatsächlich von weisen, die eben den individuellen Ausdruck gerade vermeiden werden müssen, sehr zu bezweifeln. Wir werden sehen. tionsweise oder von den Hintergründen als der Durchschnitt meiner Bekannten verfasst worden ist. Und ich würde es mit wollen (z.B. die Aleatorik in der Komposition). Oder: Alle Dikta- der Bevölkerung.1 großer Wahrscheinlichkeit merken, wenn jemand anderer die- toren haben versucht, die Ästhetik gleichzuschalten. Warum? Sonderfall Künstliche-Intelligenz-Methoden Auch die Computerspielwelt gehört überwiegend in die- sen Account übernommen hätte und nun unter ihrem Namen Verbinden wir dies nun mit den sogenannten sozialen Me- Eigentlich handelt es sich dabei nicht um einen Sonderfall, son- se Dimension. Ausnahme sind die Social Media-Funktionen in kommunizieren würde. dien, dann ist für kontroverse Auseinandersetzungen gesorgt. dern um einen Überfall, weil er über allen anderen Fällen steht. den Massiv-Multiplayer-Games. Bei der nächsten Schicht handelt es sich um die Influen- Es gibt eine noch tiefere Schicht: die Fake-Accounts und Wenn wir von der medial häufig ausgeschlachteten Dystopie, Die Problematik aus psychiatrischer Sicht besteht in der cer-Follower-Schicht: (hier gibt es einen Übergang von soge- Bots. In dieser Schicht gibt es keine Person mehr, die hinter dass eine Künstliche Intelligenz einmal die Ausrottung der massiven Anwendung von psychologischen tracks. Viele Psy- nannten Freunden zu Followern). Es geht hier nicht mehr um einem Account steht, auch keine Gruppe mehr. Die virtuelle Menschheit planen würde, absehen, dann können wir etwas chologen arbeiten zusammen mit den Programm-Designern einen gleichberechtigten Austausch, sondern es passiert Fol- Welt hat sich sozusagen umgekehrt: Wo früher eine Person nüchterner Folgendes feststellen: Eine Künstliche Intelligenz Nurjehan [Nur’dscha:n] daran, dass die User möglichst lange im Programm gehalten gendes: Das Vertrauen, das durch die private Nutzung aufge- ein virtuelles Alter-Ego geschaffen hat, da schafft jetzt ein vir- gibt es nicht, es ist besser von KI-Methoden zu sprechen.2 Gottschild M.Sc. ist Assi- werden und die Entscheidungswege einschlagen, die von baut wurde, wird auf einen Account übertragen, hinter dem tuelles Alter ohne Ego eine authentisch wirkende Pseudo-Per- Über den Zusammenhang von menschlicher und digi- stenzärztin für Psychiatrie den Machern gewünscht sind. Das bedeutet z.B., dass wir eine Person angenommen wird. Es wird akzeptiert, dass es son. Die Person existiert nicht, doch ihr virtuelles Alter-oh- tal-künstlicher Intelligenz ist Folgendes zu beachten: „Mit den und Psychotherapie in der als Eltern unglücklich darüber sind, wenn unsere Kinder in sich nicht um einen Austausch auf Augenhöhe handeln kann, ne-Ego wirkt durch Querbezüge so authentisch, dass es als Fortschritten in der KI-Forschung hat sich die Auffassung ver- Klinik in Freilassing. Sie hat den Computerspielen genau das machen, was andere für sie weil der Kreis der sogenannten Freunde (oder follower) ein- tatsächlich existierende Person wahrgenommen wird. ändert, was Intelligenz eigentlich ist. Was wir im Alltag dar- Medizin in Basel und an der vorsehen, nämlich lange in der virtuellen Welt zu bleiben und fach zu unterschiedlich ist. Aber eigentlich wird angenom- Fazit für die Pädagogik: In der ersten Anwendungs-Schicht unter verstehen, ist bloß die Spitze unserer evolutionären Ent- TU München studiert und möglichst die reale Welt hintanzusetzen. men, dass hinter einem solchen Account genauso eine Per- sind die sozialen Medien eine quasi-neutrale Plattform für den wicklung: das logisch-rationale Denken. Schach spielen, Ma- einen Master in Palliativ Die Dimension der Social Media: Dabei scheint es sich zu- son steckt, wie mein Bekannter in meiner privaten Gruppe. Austausch zwischen Menschen, ideal für Freundeskreise. In thematik betreiben – wer das beherrscht, gilt als intelligent. Care der Paracelsus Medizi- nächst um eine selbsterklärende Sache zu handeln, ist es je- Weil ich hierbei nicht ein persönliches Treffen mit dem Soci- den darunter liegenden Schichten, und darauf sollte die Pä- Doch ausgerechnet diese Tätigkeiten fallen einer KI leicht, denn nischen Privatuniversität doch in keiner Weise. Es findet nicht einfach ein kommunika- al-Media-Auftritt vergleichen kann und also sozusagen mein dagogik eben aufmerksam machen, geht es um Meinungs- sie bestehen aus der Verarbeitung simpler logischer Regeln. Salzburg. tiver Austausch zwischen Menschen mithilfe einer digitalen Vertrauen nicht auf die Kongruenz zwischen beiden Erschei- macht. Die Mittel der Wahl sind mitunter nicht zimperlich: Was uns Menschen schwerfällt, fällt Maschinen leicht – Technik statt. Es erfolgt ein Austausch über Algorithmen. Da nungsformen des Menschen gründen kann, kommt es zu ei- Desinformationen, Fakes, Bots usw. und umgekehrt. Was wir Menschen den Maschinen voraus- die Funktionsweisen unserer digitalen Technik so komplex ge- ner Hilfskonstruktion: Ein Social-Media-Auftritt muss authen- Die Dimension der Anwender: Hierbei werden Programme haben, sind solche Fähigkeiten, die wir für selbstverständlich worden sind, dass sie ohnehin niemand mehr in ihrer Gesamt- tisch wirken. Authentisch meint, dass wir uns vorstellen kön- als Werkzeug eingesetzt, z.B. um Audio- oder Video-Dateien erachten: Fahrradfahren, Small Talk führen, Freunde trösten. heit versteht, haben wir uns daran gewöhnt zu sagen: Ok, so- nen und auch zumindest ein Stück weit davon überzeugt sind, oder Digitalbilder zu bearbeiten und dergleichen mehr. Diese Für KIs sind sie bislang kaum zu meisternde Aufgaben, sie er- lange das Programm funktioniert, fragen wir lieber nicht nach dass hinter dem Erscheinen in der virtuellen Welt tatsächlich Dimension ist für die Kunstpädagogik hoch interessant, geht fordern ein komplexes Wechselspiel einer Vielzahl an Kennt- den zugrunde liegenden Algorithmen. ein Mensch steckt, der so ist, wie er erscheint. Authentizität es doch vielfach darum, auf kreative Weise ästhetische Pro- nissen.“3

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Wir sollten also unsere menschlichen Fähigkeiten weit hö- festhalten: Noch nie in der Geschichte haben Menschen auf Aus wirtschaftlicher Sicht bringt Robotik durchaus Vortei- sind die Kompetenzen um eine für Menschen lebenswerte her schätzen. Warum führen wir nicht neben Mathematik ein Waffensysteme verzichtet, die ihnen Vorteile bringen. Nicht le. Sie ist günstig und gut zu planen, außerdem sind Robo- Welt aufzubauen. Schulfach „soziale Kompetenz und Demokratie“ ein? Warum einmal die Atombombe macht da eine Ausnahme. Es wur- ter verlässlich und können bei einem Ausfall schnell und ohne unterrichten wir nicht emotionale Intelligenz und Intuition? den zwar seit 75 Jahren keine Atombomben geworfen. Dies weitere Problematik ersetzt werden. Universelle Bilderwelt und die eigene In der Euphorie der Macher wird wohlweislich ausgeblen- jedoch nicht, weil Menschen freiwillig oder unfreiwillig darauf Einige Eigenschaften, die für den pädagogischen und pfle- Handlungsfähigkeit det, dass Digitalisierung und KI auf gigantischen Rechen- und verzichtet hätten, sondern einfach deswegen, weil ihr Einsatz gerischen Einsatz von Vorteil sind: Roboter sind endlos ge- Kommen wir noch zu einigen Problemen der Digitalisierung Speicherleistungen basieren. Das führt zu enormen Ressour- keinen Vorteil gebracht hätte. Ein wunderbares spieltheoreti- duldig, was z.B. bei der Betreuung von Demenz-PatientInnen aus psychiatrischer Sicht. Die Digitalisierung stellt uns in eine cen- und Energieverbrauch. Die Anwender wischen einfach sches Beispiel erleben wir in Echtzeit mit dem großen Führer hilfreich sein kann. universelle Bilderwelt hinein. Bis auf wenige territoriale Aus- am Display ihre Daten in die sogenannte Cloud. Diese Wolke Kim in Nordkorea. Seine Atombombe bringt so lange Vorteile, Roboter haben keine Vorurteile und Vorlieben (außer den nahmen (wie China) und einige ethisch begründet Ausnah- befindet sich jedoch nicht in einem Himmel, in dem Ressour- solange alle an diese Bedrohung glauben und ihm seine For- einprogrammierten). men (wie Kinderpornographie) ist die Bilderwelt global und cen und Energie unbeschränkt zur Verfügung gestellt werden, derungen erfüllen. Sie ist also ein Erpresserwerkzeug. Sollte Roboter sind Befehlsempfänger ohne Gewissen, ohne thematisch universell. Auf der anderen Seite sind die Men- sondern in einer Welt, die für ihre bloße Existenz gigantische er tatsächlich einmal eine Bombe abwerfen, wäre er sofort Reue und dergleichen, also optimal für den wirtschaftlichen schen von der Evolution für ein Leben in kleinen Gruppen ge- Energiemengen benötigt. Der Energieverbrauch ist auch des- sämtliche Unterstützung los. Auch von seinen Freunden mit und auch militärischen Einsatz. macht. Bereits das Leben in einer Stadt erfordert vielfältige wegen so groß, weil alle Dateien (von wissenschaftlichen Auf- diktatorischen Tendenzen und seine Herrschaft hätte wohl ein Keine Folgekosten nach dem Einsatz außer einer Ver- soziale Organisation und bringt die Menschen an die Grenzen sätzen bis zu den allerblödesten Katzenvideos) jederzeit allen schnelles Ende. schrottungsprämie (keine Langzeitverpflichtungen wie Rente ihrer Leistungsfähigkeit. Aber immerhin ist diese Größe der zur Verfügung stehen sollen. Der Server muss also Tag und Kehren wir zurück: Alle Waffensysteme, die einen Vor- oder andere Sozialkosten). Sozialordnung noch überschaubar und die Menschen können Nacht ununterbrochen laufen. In Zukunft auch vor allem dafür, teil bringen, werden letztlich auch eingesetzt. Selbst Giftgas, Das bedeutet, dass der Einsatz von Robotik für unser neo- sich noch als handlungsfähig erleben. dass die KI-Systeme jederzeit schnell darauf zugreifen können. das einer internationalen Ächtung unterliegt, wird auch heute liberales Wirtschaftssystem überaus reizvoll ist. Daher wird Auf der Ebene eines Staates hingegen besteht für den Noch ein Aspekt ist für den Zusammenhang von KI und noch eingesetzt, wenn dies einen Vorteil bringt. Wir können sie auch flächendeckend Einzug halten, mit den heute bereits einzelnen Menschen kaum noch eine Handlungsoption, er Robotik von Bedeutung: Menschen neigen dazu, Tiere und nur hoffen, dass immer mehr Staatenlenker einsehen, dass absehbaren Folgewirkungen für die Menschen. Beispiel: Ein wird zu einer Metapher. Der Staat ist erst in zweiter Linie Dinge zu personifizieren. Dies geschieht vor allem über die Kooperation und selbst Wirtschaftskriege mehr bringen als Fernfahrer kann heute absehen, dass ihn autonome Fahras- eine Gemeinschaft, in der sich Staatsbürger (männliche wie Macken, die Unvollkommenheiten, über das, was dieses eine militärische Auseinandersetzungen. Immerhin haben wir Eu- sistenten ersetzen werden. Nicht jeder arbeitslose Fernfahrer weibliche) als Handelnde im Rahmen des gemeinsamen Tier, dieses eine Ding von anderen unterscheidet. Die per- ropäer dies mehrheitlich verstanden. wird es schaffen, sich zu einem IT-Spezialisten fortzubilden. Grundgesetzes und der staatlichen Ordnung erleben. Der fekte Maschine hat somit für den Menschen keine Persön- Wir sollten allerdings nicht die Augen vor diesem Entwick- Das wirft für die Pädagogik zentrale Fragen auf: Wenn wir Staat ist in erster Linie eine Metapher für den Aufbau der lichkeit. Sie bleibt in ihrem Perfektionismus eine Bedrohung. lungsweg der KI verschließen. Wir sollten vielmehr alles tun, unsere Kinder bestmöglich auf die Zukunft vorbereiten wollen, eigenen Identität, für Abgrenzungen, aber auch die Meta- Dies wissen auch die Psychologen, die an der Mensch-Ma- um diese Entwicklung zu ächten und mit allen Möglichkeiten dann können wir alles weglassen, was Computersysteme und pher für die Sehnsucht nach einem besseren Leben. All die- schine-Schnittstelle forschen. Die Folge ist, dass bewusst versuchen, sie zu verhindern. Diese Möglichkeiten sind ohne- Maschinen heute bereits besser können. Und wir können uns se Metaphern werden in eine universale Bilderwelt einge- Roboter entwickelt werden, die eine Macke haben, die be- hin klein. darauf konzentrieren, was die Maschinen nicht so gut können, bracht, die lediglich zu einem kleinen Teil mit der Wirklichkeit wusst nicht perfekt sind. Dies wird dazu führen, dass in wei- respektive auf gar keinen Fall können dürfen: korrespondierende Bilder erschafft. Psychiatrisch gesehen ten Gesellschaftskreisen die Maschinen als harmlos, vielleicht Ein spezieller Anwendungsfall der u Kritisches Denken, um lebens- und freiheitsfördernde ge- müssen wir hier von einem Verlust der Realitätswahrneh- sogar als putzig angesehen werden, und dass die aus ihnen Digitalisierung: Robotik sellschaftliche Rahmenbedingungen zu schaffen (Demo- mung sprechen. Zu einem großen Teil erschafft die universa- resultierenden Gefahren nicht mehr wahrgenommen werden. In der Robotik wird die Digitalisierung für den Menschen am kratie und so weiter). le Bilderwelt Wunsch- und Phantasiebilder (über Werbung, Die Gefahren seien hier lediglich summarisch anhand von eini- anschaulichsten. Zudem ist die Pädagogik (neben der Pflege) u Kreativität: Diese brauchen wir vor allem für Flexibilität und Fernsehserien, Influencer usw.). So können Staaten zu Me- gen Stichworten aufgezählt: Datenschutz, Überwachung, Ha- jener Arbeitsbereich, in dem menschliche Arbeitskraft am Anpassung, aber auch um uns gegen einengende soziale taphern von Ländern, in denen Milch und Honig fließt, wer- cker, Manipulation und vieles andere mehr, und das alles über schnellsten und umfangreichsten durch Roboter ersetzt wird. Entwicklungen wehren zu können. Daher werden in allen den (Deutschland, Österreich, Schweiz und ähnliche). Die 5K-Netze in Echtzeit. Wir schreiben hier die Gegenwartsform, weil dieser Prozess diktatorischen Systemen zuerst Künstlerinnen und Künst- tatsächlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen enttäuschen Die in großen Hollywood-Produktionen filmreif vorgeführte bereits im Gange ist. ler verfolgt. Nebenbei ist die Verbindung von Kunst und dann in der Konfrontation mit der Realität. All die wunderba- Angst der Menschen, dass sich KI einmal gegen sie selbst Wir werden in diesem Kapitel zu keinem abschließenden Systemen künstlicher Intelligenz ein wunderbares Thema ren Möglichkeiten der digitalen Info-Kanäle führen also nicht wenden würde, ist klein gegenüber der wirklich großen Ge- Ergebnis kommen, dazu liegen unser beider Meinungen zu für den Kunstunterricht und für beide Seiten sehr ergiebig. zu Bildung, zu einem Handlungskompetenz vermittelnden fahr, dass Menschen KI-Waffensysteme entwickeln, bauen weit auseinander (Rainer Buland sieht als Spielforscher mehr u Systemisches Denken und noch grundlegender die Freu- Bild der Wirklichkeit, sondern zu unrealistischen Wunsch- und einsetzen werden. Es wäre wirklich erfreulich, wenn dies die Möglichkeiten, Nurjehan Gottschild sieht als Psychiaterin de am Denken und Lernen überhaupt: Das Wichtigste, und Wahnvorstellungen. lediglich Science-Fiction wäre, es ist jedoch leider Realität. mehr die Gefahren für die psychische Gesundheit). was Schulen heute vermitteln müssen, ist die Freude am Auf der anderen Seite befinden wir uns zwar im Gegen- Es werden bereits Verbindungen von KI und Kampfrobotern Es geht hier nicht um eine Gesamtbeurteilung, weil wir Lernen. Dies, weil bei der raschen Entwicklung des Wis- über einer universalen Bilderwelt, haben jedoch kaum Hand- entwickelt. Da dies naturgemäß in geheimen Labors passiert, schließlich die Entwicklung ohnehin nicht aufhalten können sens und der Veränderung vieler Lebensbereiche das „Le- lungsoptionen. Metaphorisch gesprochen: Es wird selbst für ist die Abgrenzung zu Schwarzmalerei und Verschwörungs- und vielfach wohl auch nicht aufhalten wollen. Es geht um benslange Lernen“ kein Schlagwort mehr ist, sondern eine amerikanische Superhelden immer schwieriger, die Welt zu theorien schwierig. Wir wollen auch keine Nachweise führen, eine kritische Sichtweise, die uns erlaubt, in adäquater und nicht mehr zu verleugnende, grundlegende Notwendig- retten. Diese Nicht-Handlungsfähigkeit führt zu Ohnmachts- wie weit die Entwicklungen gediehen sind, wer sie betreibt, reflektierter Weise zu reagieren. keit. gefühlen, Depressionen, Burn-out und dergleichen. Sie kann oder ob die Entwicklungen vielleicht doch noch gar nicht so Wie bei aller Technik kommt es vorwiegend darauf an, wie u Kooperation, Gruppendynamik, soziale Kompetenz, emo- im Weiteren zu aufgestauter Wut und – wenn sie ausbricht – weit sind. Wir wollen lediglich aus spieltheoretischer Sicht sie verwendet wird. Einige Punkte: tionale Intelligenz und Verantwortungsbewusstsein: Das zu einem erstaunlichen Aggressionspotenzial führen.

62 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 63 SPIELTHEORETISCHE UND PSYCHIATRISCHE ÜBERLEGUNGEN SPIELTHEORETISCHE UND PSYCHIATRISCHE ÜBERLEGUNGEN

Roboter und die Entwicklung eines umzustellen. Dann spricht der Roboter meine Sprache und Ärztinnen und Ärzte etwas anderes beschließen, wo sie doch 1 Siehe die Studie „Digitale Kompetenzen in einer digitalisierten Le- gesunden Selbstwertgefühls das Lernen einer Fremdsprache erübrigt sich. bekannter Maßen fehlbare Menschen sind? Und was, wenn benswelt, Wien 2016“, des Instituts für Jugendkulturforschung, zu Roboter können kein Selbst als Gegenüber bieten. Das ist auch sich die von menschlichen Gehirnen ersonnene Therapie im finden unter: https://jugendkultur.at/publikationen/online/ (abgeru- gar nicht ihre Aufgabe. Wir müssen uns dessen bewusst sein, Die verkehrte Anpassung Nachhinein als falsch herausgestellt? Dann wird das Gericht fen: 18.Dezember 2019). wenn wir in Zukunft vermehrt Roboter in unsere Lebenswelt – Vordergründig passen sich die Künstliche-Intelligenz-Systeme fragen, warum man nicht der vom KI-System vorgeschlage- 2 Siehe dazu die sehr informative Lernplattform: www.elementsofai. und damit auch in unsere Kinderzimmer lassen. Weil dieser As- und die Roboter in unsere Lebens- und Arbeitswelt ein. Lang- nen Therapie gefolgt ist. Und wird dies nicht letztlich dazu de. pekt für die psychische Entwicklung von Kindern von zentraler fristig passiert jedoch etwas ganz anderes. Sehen wir uns führen, dass in den meisten Fällen dem Vorschlag der KI ge- 3 Martin Scheufens: Sie sind noch nicht wie wir. In: PM Thema Bedeutung ist, möchten wir dieses Thema etwas ausführen. dies etwas genauer an. folgt werden wird? Diese und ähnliche Fragen werden in allen „Künstliche Intelligenz“, Heft 1/2019, S.80. Menschen entwickeln ihr Selbst(bild), indem sie zunächst Die Maschine ist um ein Vielfaches schneller als der Bereichen kommen, die mit menschlichen Entscheidungen zu die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum Selbst ihres pri- Mensch. In einem Computerspiel gegen einen Non-Play- tun haben, also auch im pädagogischen Bereich. Darauf soll- mären Bindungspartners (meist Mutter und Vater) entdecken. er-Character, also einen vom Computer generierten Gegen- ten wir uns frühzeitig einstellen. Wenn nun in der frühen Entwicklungsphase ein Roboter ins spieler zu gewinnen, ist eigentlich unmöglich. Computerspiele Das Spiel geht weiter, allerdings mit neuen – künstlichen Kinderzimmer kommt, dann muss uns klar sein: Ein Roboter funktionieren nur deshalb, weil die Reaktionszeit des Rech- – intelligenten Mitspielern. besitzt kein Selbst und kann daher nicht als Partner der Ent- ners künstlich herabgesetzt wird. Die Maschinen sind heute wicklung eines gesunden Selbst des Kindes dienen, welches in vielen Bereichen besser als Menschen (wir haben das oben dann in der Lage ist, eine sichere Bindung einzugehen. Diese bereits beschrieben, vor allem in Bereichen, die wir als in- frühe Entwicklung eines Selbst im Gegenüber eines Du ist von telligente Leistung qualifizieren). Das führt eigentlich zu einer prägender Bedeutung, denn: Es kann kein ICH ohne DU geben. Selbstwertproblematik. Bei der jüngeren Generation sehen So verführerisch der Roboter auch von der Werbung angeprie- wir bereits eine Anpassungsleistung. Es wird nicht resignativ, sen wird, er kann kein DU im Gegenüber eines Menschen sein. sondern nonchalant akzeptiert, dass Maschinen in gewissen Ein weiterer Grund dafür liegt in Folgendem: Vertrauen und Gebieten besser sind, und anschließend wird die pragmati- sichere Bindung entstehen durch die Kongruenz zwischen in- sche Frage gestellt, wie die Maschine für die eigenen Zwecke nerer Einstellung (Gefühl) und geäußerter Aussage der (Ge- genutzt werden kann. Am Beispiel des Schachspiels: Der heu- sprächs-)Partner. Bei Robotern gibt es keine Kongruenz in tige Spieler will nicht mehr der Beste der Welt werden, son- diesem Sinne. Das Vertrauen bleibt ein Schein-Vertrauen. Wir dern der beste menschliche Schachspieler und zwar mit Hilfe vertrauen darauf, dass der Roboter das macht, was wir von eines Computer-Schachtrainers. Hier zeigt sich sehr schön, ihm wollen, und dass das, was er ohne unser Wissen macht, wie die Digitalisierung langfristig menschliche Handlungswei- schon nicht so schlimm sein wird. Letztlich besteht das Ver- sen verändert. Spiele waren von Beginn an die Experimentier- trauensverhältnis nicht zwischen Mensch und Roboter, son- stätte für die digitale Entwicklung. Noch vor 50 Jahren war dern zwischen Mensch und Konzern, der diesen Roboter her- ein Schachturnier ein Ort, an dem sich erwachsene Männer gestellt und programmiert hat. Wir erleben dies in der Apple- versammelten und spielten, wobei jeder Spieler eine eigene Welt. Diese Welt bietet einerseits Sicherheit, andererseits Strategie verfolgte. Heute sind Schachturniere Orte, an de- aber auch totale Abhängigkeit. nen junge Hochleistungssportler um den besten Zug kämp- Doch kehren wir zur psychischen Entwicklung des Men- fen. Das Spiel hat sich verändert. Es wird keine übergeordnete schen zurück. Strategie mehr verfolgt, sondern in jeder Situation der stärks- Der menschliche Lernprozess setzt, sofern es sich nicht um te Zug gesucht. Trainiert wird nicht mehr mit anderen Schach- reines Faktenlernen handelt, Veränderungsbereitschaft vor- spielern, sondern am Computer. Analysiert wird ebenfalls mit aus. Veränderung ist aber oft angstbesetzt. Wir benötigen also Hilfe des Computers. Die Analyseleistung des Menschen be- dazu einen kongruent agierenden Menschen als Gegenüber, steht überwiegend darin, nachzuvollziehen, warum der Rech- dem wir vertrauen. Wir können z.B. emotionale Kompetenz ner genau diesen Zug als den stärksten berechnet hat. nicht von einem Roboter lernen. Reines Faktenlernen (Voka- Im Zweifelsfall wird dem Computer vertraut, er wird schon beln z.B.) benötigt kein kongruentes Gegenüber und kann sehr richtig kalkuliert haben. Dies mag beim Schach kein Problem gut von einem (geduldigen) Roboter übernommen werden. darstellen. Das Schach ist jedoch eine Experimentierstätte Ein weiterer Aspekt des Sprache-Lernens sollte dabei nicht dafür, was später auch in anderen Bereichen passieren wird, übersehen werden: Wir lernen eine Sprache nicht zum Selbst- und da wird es kritisch: Was passiert, wenn ein Computer die zweck, sondern damit wir mit anderen Menschen kommuni- Prognose stellt, dass ein bestimmtes Kind nicht auf eine wei- zieren können. Ein Sprache-Lernen mit Robotern ausschließ- terführende Schule gehen soll, weil es diese voraussichtlich lich würde keine Motivation bieten, weil der Aufwand über- nicht schaffen wird? Was passiert, wenn ein KI-System im flüssig ist. Schließlich wäre es einfacher, lediglich die Sprache Krankenhaus einen Therapievorschlag erstellt? Dürfen dann

64 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 65 IMPRESSIONEN EINES GELUNGENEN DIALOGS IMPRESSIONEN EINES GELUNGENEN DIALOGS

Abb. 5 Begegnungen und Austausch Abb. 6 Rolf Laven, Eva Laussegger, Silvia Wiesin- ger mit Mario Urlass von der PH Heidelberg

Abb. 10 Gustav Zankl im Gespräch mit Rektorin Elgrid Messner

Abb. 7 Die Rektorinnen El- grid Messner und Andrea Seel mit Richard Kriesche, Walter Prügger vom Bischöflichen Schulamt, Institutsleiter Christian Brunnthaler und Franziska Pirstinger

Abb. 11 Game Dev Stu- dents Graz präsentierten selbst entwickelte und prämierte Lernspiele wie Elementary Minute and Subwords

Abb. 17 Peter Angerer Abb. 8 Fachinspekto- zwischen 0 und 1 rinnen Andrea Winkler und Elfriede Niederl von der Bildungsdirektion Steiermark

Abb. 9 Gerrit Höfferer mit Peter Baumgartner: Schule kann man nicht herunter laden, Aula der PH Steiermark.

66 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 67 WERKZEUG SMARTPHONE WERKZEUG SMARTPHONE

Maria-Anna Eckerstorfer Ein Essay in Bildern

Maria-Anna Eckerstorfer Studium der Bildnerischen Erziehung/Werkerziehung an der Kunstuniversität Linz und Geschichte/Politische Bildung an der Universität Salzburg, Lehrerin am BRG Wels, Universitätsassistentin für Bildnerische Erziehung an der Kunstuniversität Linz, Lehre in den Bereichen Werkanalyse, Präsentation und kunstpädagogische Projektentwicklung.

68 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 69 TECHNISCHER UNTERRICHT PRIMARSTUFE TECHNISCHER UNTERRICHT PRIMARSTUFE

Timo Finkbeiner Abb. 1: Ablauf des fächer- verbindenden Unterrichts (nach Finkbeiner & Grein- Technikbezogener Unterricht stetter, 2018, S.38) in der Grundschule Exemplarische Aspekte eines Entwicklungs- und Forschungsprojekts zu fächerverbindendem Unterricht in der Primarstufe

wurden zwei fächerverbindende Unterrichtsmodelle entwi- Zentral für das Unterrichtsmodell „mechanisches Spiel- ckelt, deren Umsetzung im Rahmen einer breit angelegten zeug“ sind Spielfiguren bzw. bewegliches Spielzeug. Diese Studie begleitet und evaluiert wurde. Die Ergebnisse sind in werden Ausgangspunkt für technische Lösungen im Werk- Technik als ein bedeutsamer Teil der Lebens- den Gebrauch technischer Artefakte im Kontext problemlö- einem Praxisband (Greinstetter & Fast, 2016) und einem For- prozess und spiegeln die individuellen Problemlösungs- und welt zeigt sich u.a. im Interesse der Kinder, sender Lerngelegenheiten. Grundsätzlich ist dabei das Erken- schungsband (Greinstetter, Fast, & Bramberger, 2018) veröf- Entscheidungsprozesse der Schülerinnen und Schüler wi- „hinter die Dinge schauen zu wollen“ (Möller, nen und Lösen eines technischen Problems kein ausschließ- fentlicht. Das Entwicklungs- und Forschungsprojekt geht da- der. Der Gebrauch des Spielzeugs und die damit verbundene 1998, S.89). Jedoch finden sie im Alltag zu- lich kognitionsdominierter Prozess, sondern erfolgt immer bei der Frage nach, wie Lerngelegenheiten im technikbezo- Spielfreude bieten für die Kinder darüber hinaus Gelegenheit, nehmend weniger Gelegenheiten, in denen es auch handelnd durch Unterstützung entsprechender Mate- genen Unterricht geplant und gestaltet werden sollen, um In- konstruktive bzw. gestalterische Aspekte zu bewerten und zu ihnen möglich ist, Dinge zu konstruieren oder rialien, Werkzeuge und Medien, wie z. B. (Vor-)Modelle und teresse, Wissenserwerb und Verstehensprozesse der Kinder optimieren. zu demontieren. Auch die zunehmende Kom- Baukästen (Lehrplan der Volksschule, 2012, S.184, S.187). Es anzuregen und darüber hinaus Ansätze zu Fächerverbindung, Kern des Ganzen bilden die Unterrichtseinheiten Techni- plexität alltäglicher Gebrauchsgegenstände ergänzen sich somit praktische und kognitive Lehrtätigkeiten Diversität und Sprachbildung zu bieten. Ausgangspunkt für sches Werken (2-mal 2 Einheiten). Ihnen gehen je eine Un- erschwert ein Begreifen und Verstehen tech- und erlauben den Schülerinnen und Schülern, Ursachen und die Entwicklung zweier Unterrichtsmodelle – eines davon terrichtseinheit Sachunterricht und eine Unterrichtseinheit nischer Phänomene und Zusammenhänge. Zusammenhänge zu entdecken (Wiesenfarth, 1992, S.37). wird im vorliegenden Artikel näher erörtert – bildet die Analy- Mathematik voraus. Beide (SU und M) dienen als Wissens- So gilt es insbesondere für Lehrpersonen, im Von zentraler Bedeutung in der Primarstufe ist das Finden von se von Inhalten aus den jeweiligen Unterrichtsgegenständen, bausteine, die den Konstruktions- und Gestaltungsprozess im Unterricht Gelegenheiten zu schaffen, Technik Zwischenlösungen, da gerade sie es ermöglichen, komplexe welche zugleich als Basis für eine Wissensvernetzung die- Technischen Werken unterstützen. Eine abschließende Refle- zu entdecken, zu gestalten und zu bewerten, Aufgaben, durch „systematisches Erkundungshandlungen“ nen. Die Unterrichtsmodelle zeigen exemplarisch Möglichkei- xionseinheit resümiert und bietet Gelegenheit, die vorange- und dabei sowohl handelnde als auch kogni- (Binder, 2014, S.412) zu bewältigen. Motivierende Problem- ten einer konkreten Durchführung fächerverbindenden Unter- gangenen Lernprozesse zu bewerten. (Abb. 1). tive Aspekte in der Lernumgebung zu berück- stellungen wecken dabei die Neugierde der Lernenden und richts mit Fokus auf die technische Bildung in der Primarstufe sichtigen. Der Beitrag möchte dazu Aspekte zielen insbesondere auf die Freude am Gelingen. und verstehen sich als Impuls für weitere fächerverbindende Das Zusammenspiel der fächerverbindender technischer Bildung in der Hier knüpft auch fächerverbindender Unterricht an, der Lerngelegenheiten. Beide Unterrichtsmodelle wurden in drei Unterrichtsgegenstände Primarstufe aufgreifen und Anregungen schaf- Themen und Inhalte bestimmter Unterrichtsgegenstände Bundesländern in sechs Klassen der dritten Schulstufe er- Der Sachunterricht ermöglicht Schülerinnen und Schüler, über fen, dies im Kontext aktueller und zukünftiger auch mit Blick auf die jeweilige unterschiedliche Akzentuie- probt, videografiert und analysiert (N = 87). Zusätzlich wur- das Beobachten und Betätigen von Spielfiguren exemplarisch fachdidaktischer Herausforderungen zu disku- rung sinnvoll verbindet und ergänzt (Greinstetter & Fast, 2018, den die beteiligten Lehrpersonen interviewt und die Kinder zu Aspekte der Bewegungsübertragung zu erkennen. Die Figuren tieren. S.30). Ausgangspunkt sind dabei die Erfahrungen, Interessen Interesse und Selbstwirksamkeit schriftlich befragt. wecken dabei das Interesse und bieten Gelegenheit, naturwis- und Bedürfnisse der Kinder, da Lernanlässe oftmals situa- senschaftliche Inhalte im Zusammenhang mit der Bewegung Grundlegende fachdidaktische Überlegungen tionsorientiert sind und fachübergreifenden bzw. fächerver- Konzeption des Unterrichtsmodells von Spielfiguren zu entdecken (Eck & Greinstetter, 2016, S.101). Die Bedeutung früher technischer Bildung gewinnt seit ge- bindenden Charakter haben (Lehrplan der Volksschule, 2012, „mechanisches Spielzeug“ Die Mathematikeinheit greift Inhalte zum Kreis auf (Fast, 2016, raumer Zeit zunehmend an Bedeutung (Binder, 2014; Eichner, S.14). Die fächerverbindenden Unterrichtsmodelle zielen auf eine S.106–111). Zentral sind die Begriffe Mittelpunkt und Dreh- 2006; Jeretin-Kopf, Kosack, & Wiesmüller, 2015; Ziefle & Ja- Diese grundlegenden Überlegungen sind zentraler Be- praktikable Umsetzung im Schulalltag, ohne fachdidaktische punkt, da sie Anknüpfungspunkte zum Begriff der Exzentrizität kobs, 2009) und zeigt sich in technikbezogenem Unterricht standteil in der Entwicklung von Unterrichtsmodellen und Ansprüche zu vernachlässigen. Auf der Basis eines exempla- bieten, welche die Schülerinnen und Schüler im Hinblick auf das innerhalb des Lehrplans insbesondere im Unterrichtsgegen- Lerngelegenheiten im dargestellten Projekt und zeigen, wie rischen Wirkprinzips (Exzentrizität) wird es Schülerinnen und zu konstruierende mechanische Spielzeug unterstützen. stand Technisches Werken sowie im Lehrstoff des Sachun- Kindern ermöglicht werden soll, Inhalte jeweiliger Unter- Schülern in der werktechnischen Umsetzung ermöglicht, ei- Ziel der Unterrichtseinheiten in Technischem Werken ist terrichts (Lehrplan der Volksschule, 2012, S.183–187). Eine richtsgegenstände zu verbinden und diesen in einem themati- ner Fülle von zu lösenden Problemen zu begegnen und dabei die Konstruktion eines mechanischen Spielzeugs, bei der es konstruktiv-gestalterische und kognitive Auseinandersetzung schen Gesamtzusammenhang aktiv zu begegnen. auf unterschiedliche Werkzeuge, Verfahren und Materialien Aufgabe der Schülerinnen und Schüler ist, ein individuelles mit Technik, die das Erkennen technischer Probleme und die zurückzugreifen. Die nachfolgend beschriebene Lerngelegen- Spielgerät zu entwickeln, das eine Figur heben und senken Entwicklung individueller Lösungsideen forciert, ist dabei zen- Konzeptionelle Überlegungen heit zeigt dazu einen möglichen Zugang und lädt ein, über kann (siehe Abb. 1). tral. Technikbezogener Unterricht beschränkt sich somit nicht Im Kooperationsprojekt Technische Bildung im fächerver- alternative Umsetzungsmöglichkeiten nachzudenken (Fast & Das Wirkprinzip der Exzentrizität erfolgt über die Drehbe- alleine auf das Herstellen, sondern berücksichtigt zunehmend bindenden Unterricht der Primarstufe (kurz: TecBi-primar)1 Finkbeiner, 2016, S.112–120). wegung der Kreisscheibe – des Antriebsglieds , welche auf

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files/147/Binder+-+Studie+zum+technischen+Han- Greinstetter, R., Fast, M., & Bramberger, A. (Hrsg.). (2018). deln.pdf Technische Bildung im fächerverbindenden Unterricht Eck, H., & Greinstetter, R. (2016). „Spiel(theater)figuren“ der Primarstufe. Forschung – Technik – Geschlecht. Balt- – Sachunterricht. In: R. Greinstetter, & M. Fast (Hrsg.), mannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. Technikbildung im fächerverbindenden Unterricht der Pri- Jeretin-Kopf, M., Kosack, W., & Wiesmüller, C. (2015). Tech- marstufe. Grundlagen – Anregungen – Beispiele (S. 101– nikdidaktische Medien – Einfluss verschiedener technik-di- 105). Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. daktischer Medien auf die kindliche Motivation, problem- Abb. 2: Weiterleitung Eichner, R. (2006). Die pädagogische Dimension der techni- lösendes Denken und technische Kreativität. In: Stiftung der Drehbewegung eines schen Allgemeinbildung in der Grundschule. Augsburg: Haus der kleinen Forscher (Hrsg.), Wissenschaftliche Un- Antriebsglieds auf ein Wißner Verlag. tersuchungen zur Arbeit der Stiftung „Haus der kleinen Abtriebsglied (Fast & Fink- Fast, M. (2016). „Muster mit Kreisen“ – Mathematik. In: R. Forscher“. (Bd. 7, S.158–248). Schaffhausen: SCHUBI beiner, 2016, S.112). Greinstetter, & M. Fast (Hrsg.), Technikbildung im fächer- Lernmedien AG. verbindenden Unterricht der Primarstufe. Grundlagen – Lehrplan der Volksschule. (2012). Verordnung der Bundesmi- Timo Finkbeiner, Lehrtätig- Anregungen – Beispiele (S. 106–111). Baltmannsweiler: nisterin für Unterricht, Kunst und Kultur, mit welcher die keit an der der Kirchlichen die Leiste – das Abtriebsglied – mittels Kraftschluss weiter und Rad, sowie gestalterische Merkmale auf das Werkmate- Schneider Verlag Hohengehren. Lehrpläne der Volksschule und der Sonderschulen erlas- Pädagogischen Hochschule geleitet wird. Je höher die Exzentrizität, also der Abstand des rial 1:1 übertragen. Die zur Verfügung stehenden Materialien Fast, M., & Finkbeiner, T. (2016). „Konstruktion eines mecha- sen werden. BGBl. Nr. 134/1963 in der Fassung BGBL II Wien/Krems in den Be- Drehpunktes vom Mittelpunkt, desto weiter bewegt sich die (Buchenholzrad, Weichholzleiste, Pappelsperrholzplatte so- nischen Spielzeugs“ – Technisches Werken. In: R. Greins- Nr. 303/2012 vom 13. September 2012. Abgerufen am reichen Technische Bildung Kreisscheibe (Abb. 2). Die Drehbewegung des Antriebsglieds wie diverses technisches Zubehör) ermöglichen eine für die tetter, & M. Fast (Hrsg.), Technische Bildung im fächer- 27. 09. 2015 von https://www.bmbf.gv.at/schulen/unter- und Inklusion; Studium der wird auf das Abtriebsglied weiter geleitet, wodurch sich eine Kinder entsprechende werktechnische Umsetzung, die dar- verbindenden Unterricht der Grundschule. Grundlagen – richt/lp/lp_vs.html Erziehungswissenschaft darauf positionierte Figur bewegt. über hinaus Optimierungs- und Veränderungswünsche zulas- Anregungen – Beispiele (S.112–120). Baltmannsweiler: Möller, K. (1998). Kinder lernen anders, von der Schule – in an den Universitäten sen. Eine Funktionsprüfung – der Gebrauch – leitet die ab- Schneider Verlag Hohengehren. der Schule. In: H. Brügelmann (Hrsg.), Kinder und Technik Tübingen, Bremen und Gliederung des Unterrichtsverlaufs schließende Phase ein und initiiert Bewertung und Feedback Finkbeiner, T., & Greinstetter, R. (2018). Die zwei Unterrichts- (S.89–106). Lengwil: Libelle Verlag. Wien, sowie Lehramt für Die im Unterrichtsgegenstand Technisches Werken durch- durch die Lehrperson, aber auch durch die Schülerinnen und modelle der Studie. In: R. Greinstetter, M. Fast, & A. Bram- Wiesenfarth, G. (1992). Zum technischen Handeln als Grund- Sonderschulen; Leitung geführten Unterrichtseinheiten zum mechanischen Spielzeug Schüler selbst. berger (Hrsg.), Technische Bildung im fächerverbindenden begriff einer Technikdidaktik. Zeitschrift für Technik im Un- des Referates Nachwuchs- gliedern sich in vier Phasen. Unterricht der Grundschule. Forschung – Technik – Ge- terricht, 66(4), (S.31–44). forum der Deutschen Im Einstieg werden die Schülerinnen und Schüler mit ei- Diskussion und Ausblick schlecht (S.38–49). Baltmannsweiler: Schneider Verlag Ziefle, M., & Jakobs, E. M. (2009). Wege zur Technikfaszi- Gesellschaft für Technische nem teilverdeckten Mechanismus (Black Box) konfrontiert, Planung und Gestaltung von technikbezogenem Unterricht be- Hohengehren. nation. Sozialisationsverläufe und Interventionszeitpunkte. Bildung; Forschungsinteres- bei dem eine Drehbewegung in eine Auf- und Abwärtsbe- nötigt eine konzeptionelle Strukturierung und kann durch die Greinstetter, R. (2018). Inhaltliche Strukturierung und Wis- Berlin, Heidelberg: Springer. sen im Bereich technikbe- wegung umgewandelt wird. Ausgehend von der Frage: „Wo- Berücksichtigung fächerverbindender Aspekte (Analogien, sensvernetzung. In: R. Greinstetter, M. Fast, & A. Bram- zogener Vorstellungen und durch wird die Leiste auf und ab bewegt?“, sollen Vermutun- Lebensweltbezüge, fachinterne Perspektiven) als fachdidak- berger (Hrsg.), Technische Bildung im fächerverbindenden Unterrichtshandeln von gen zum beobachteten Bewegungsablauf – Verbindung zur tische Weiterentwicklung betrachtet werden (Greinstetter, Unterricht der Primarstufe. Forschung – Technik – Ge- 1 Das Projekt wurde vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft Lehrpersonen. Mathematik – geäußert oder skizziert werden. 2018, S.140). Es geht dabei insbesondere mit Blick auf das schlecht (S.101–142). Baltmannsweiler: Schneider Verlag und Forschung (Abteilung: Gender-Mainstreaming und Schule) mit In der zweiten Phase stehen das Planen und Entwerfen im Technische Werken nicht ausschließlich um das Herstellen Hohengehren. einer Laufzeit von drei Jahren (2014–2016) gefördert und koopera- Vordergrund. Ausgehend von der Aufgabenstellung, ein inter- einzelner Werkstücke, sondern um den Aufbau eines Tech- Greinstetter, R., & Fast, M. (Hrsg.). (2016). Technische Bil- tiv zwischen drei Pädagogischen Hochschulen durchgeführt (Päda- essantes Spielgerät zu entwickeln, das eine selbst gestaltete nikverständnisses im Kontext einer Wissensvernetzung unter- dung im fächerverbindenden Unterricht der Primarstufe. gogische Hochschule Salzburg, Kirchliche Pädagogische Hochschule Figur heben und senken soll, konstruieren die Lernenden ein schiedlicher Fachperspektiven. Grundlagen – Anregungen – Beispiele. Baltmannsweiler: Wien/Krems, Pädagogische Hochschule Steiermark). Vormodell (Prototyp) aus Kartonelementen. Musterbeutel- Dazu braucht es interessierte Lehrpersonen, die, neben Schneider Verlag Hohengehren. klammern ermöglichen eine flexible Verbindung der einzelnen einem breit angelegten Wissen, ein spezifisches Können in Greinstetter, R., & Fast, M. (2018). Qualitätsmerkmale tech- Teile, die dadurch passend platziert und spezifisch angepasst der Planung und Gestaltung von technikbezogenem, fächer- nikbezogenen Unterrichts. In: R. Greinstetter, & M. Fast werden können. In dieser explorativen Phase lösen die Schü- verbindendem Unterricht aufweisen und die Neugierde und (Hrsg.), Technische Bildung im fächerverbindenden Unter- lerinnen und Schüler die auftretenden Teilprobleme individuell, die Freude der Lernenden in das Zentrum ihrer Überlegungen richt der Primarstufe. Forschung – Technik – Geschlecht geleitet durch ihr jeweiliges Handlungswissen. Neben konst- rücken. (S.16–31). Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengeh- ruktiven Aspekten, wie dem Abstand der Drehpunkte und der ren. Länge des Abtriebsglieds, können darüber hinaus Form und Literaturverzeichnis Zweck des zu bewegenden Objekts gestaltet und konfiguriert Binder, M. (2014). Technisches Handeln – eine Studie zu ei- werden. nem grundlegenden Begriff Technischer Bildung. Inaugu- In der dritten Phase werden nun die im Vormodell konzi- ral-Dissertation zur Erlangung eines Doktorgrades der Phi- pierten und umgesetzten Schritte, wie das Positionieren der losophie der Pädagogischen Hochschule Weingarten. Ab- Drehpunkte auf der Grundplatte, die Dimensionen von Streifen gerufen am 01. 01. 2017 von https://hsbwgt.bsz-bw.de/

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Anneliese Franz liche Auge aufeinanderfolgende Bilder nicht mehr als Einzelbil- der wahrnehmen, weil das Bild davor einen Nachbildeffekt er- zeugt und dadurch die Bilder zu einer scheinbaren Bewegung Die springenden Farben verschmelzen. Optische Spielzeuge des 19. Jahrhunderts wie (Trick-)Film in der Grundschule? das Praxinoskop, das Thaumatrop (Wunderscheibe), das Dau- menkino oder die Horner‘sche Wundertrommel (Zoetrop) nüt- zen diesen Nachbildeffekt und erzeugen filmähnliche Illusio- nen (vgl. Monaco 2009, S.75 und S.139). Eine Ausstellung Abb. 1 Das Daumenkino zur Die Herstellung eines Films als Unterrichtsprojekt bietet eine klärend und für die Kinder leicht zu handhaben (vgl. Ehrenheim mit nachgebauten optischen Spielzeugen, die die strobosko- Demonstration der strobo- wertvolle Möglichkeit der medienpädagogischen kritischen & Winkler 2017, S.155). pische Bewegung (den Beta-Effekt) nützen, sowie Lernmate- skopischen Bewegung © Auseinandersetzung mit dem Medium Film, seiner Gestaltung Da die Erarbeitung einer Filmsequenz in Stop-Motion-Tech- rial zur Geschichte des Films animierte die Kinder zum Erfah- Stefan Stock und den Manipulationsmöglichkeiten. SchülerInnen lernen nik zeitaufwändig ist und viele einzelne Arbeitsschritte erfor- ren und Ausprobieren (Abb. 1). durch das eigene Tun, die Scheinwirklichkeit von Filmen zu dert, braucht es zahlreiche helfende Hände und eine klare Basierend auf diesem Wissen konnte die Unterscheidung eine Illusion zu kreieren, erklärt. Der Einsatz des Stopptricks verstehen, kritisch zu hinterfragen und dadurch bewusster zu Aufteilung der Aufgaben und Rollen. Jedes Kind muss genau von Realität und Scheinrealität im Film thematisiert werden. ermöglicht, dass zwischen zwei Aufnahmen ein Kind in den konsumieren. Digitale Medien prägen unseren Alltag. Im Rah- Bescheid wissen, für welchen Arbeitsbereich es zuständig ist. Dazu brauchte es praktisches Anschauungsmaterial, das die Schrank klettert, während alle anderen Kinder unbewegt in men des Kunstunterrichts ist es möglich, nach kunstpädago- Die Verteilung der Aufgaben in der Gruppe fordern ein hohes Manipulation durch Film und Video aber für Kinder nachvoll- „Freeze-Haltung“ verharren. Bei der Wiedergabe des Films gisch begründeter, differenzierter, spezifisch und pragmatisch Maß an sozialer Kompetenz der Kinder: Für die Planung, Um- ziehbar machte. Heute hat die Computeranimation längst die werden die beiden Aufnahmen als eine einzige wahrgenom- geprägter Entscheidung analoge und digitale Elemente ent- setzung und Finalisierung des eigenen Filmprojekts braucht es klassischen Animationsfilme (Zeichentrick-, Sachtrick- und men, bei der aber plötzlich ein Kind erscheint (vgl. Lexikon der sprechend zu vereinen (vgl. Camuka & Peez 2017, S.13). Aber die Kommunikation in der Gruppe. Durch die Aufteilung der Legetrick-Filme) abgelöst. Scheinrealitäten werden zu perfek- Filmbegriffe 2012). Anneliese Franz, BEd, macht es tatsächlich Sinn, bereits Grundschulkinder einer al- Rollen können Kinder, die eher außen stehen, eine Stärkung ten Wirklichkeiten und sind als Illusionen nicht mehr wahr- Im nächsten Schritt ging es an die Verschriftung des Dreh- Professorin an der KPH tersheterogenen Klasse (1. bis 3. Schulstufe) mit digitalen des Selbstbewusstseins erfahren (vgl. Kaiser 2011, S.5). nehmbar. Die Herstellung des eigenen Trickfilms in Stop-Mo- buchs als Textvorlage zum Film. In diesem Drehbuch wurden Graz für die Fachbereiche Medien im Kunstunterricht und der Produktion eines eigenen Jedes Kind hat dabei die Möglichkeit, sich in diesem Ge- tion-Technik ist damit mittlerweile als anachronistisch zu be- Handlungsablauf und Dialoge der handelnden Personen sowie Bildnerische Erziehung & Films zu konfrontieren? meinschaftsprojekt seinen Fähigkeiten entsprechend einzu- trachten, bietet aber die Möglichkeit, diese Form der Filmillu- alle Gestaltungselemente wie Drehorte und Kameraeinstel- Werken sowie Sprache & bringen, wodurch der Druck, eine bildnerische Aufgabenstel- sion selbst so zu kreieren, dass Technik und Faszination dahin- lungen festgehalten. Folgende Fragen mussten dabei beant- Literalität, akademische Überlegungen vorab zum Projekt lung nicht entsprechend umsetzen zu können, entfällt (vgl. ter verstanden werden können. wortet werden: Hochschuldidaktikerin. Am Anfang des Klassenprojekts stand die Idee, eine gesamte Kaiser 2011, S.5). Der französische Filmemacher Georges Méliès verwen- u Was ist das Thema unseres Films? Schulwoche der kritischen Auseinandersetzung mit dem The- dete in seinen Filmen erstmals den Stopptrick, wodurch ein u Wer sind die Hauptpersonen in unserem Film? ma „Film“ zu widmen und mit Kindern im Alter von sechs bis Kurzer Abriss zur Durchführung des Projekts Gegenstand im Film plötzlich entfernt oder hinzugefügt wer- u Wo spielen die einzelnen Szenen unseres Films? (Festle- neun Jahren in einer altersheterogenen Montessori-Grund- Zur Einführung in das Thema erhielten die SchülerInnen am den kann (vgl. Kessler 2015, S.146). Daher wurde als Einstieg gen der Drehorte für die einzelnen Szenen) schulklasse selbst einen Film mit Elementen der bewussten ersten Tag grundlegende Informationen über den Phi-Ef- in die Materie ein Klassiker kunstpädagogischer Filmbildung, u Was passiert in den einzelnen Szenen unseres Films? Manipulation zu drehen. Die Kinder sollten sich über das Me- fekt, bewegte Einzelbilder und die Geschichte des Films. Die der Science-Fiction-Film „Die Reise zum Mond“ (Original: Le (Handlung des Films schriftlich zusammengefasst) dium Film visuell verständlich und ihr Endprodukt für andere Stop-Motion-Technik (engl. Single-frame-technique) beruht Voyage dans la Lune) aus dem Jahr 1902 gewählt, der die- u Welche Szene wollen wir wie filmen? (Überlegungen zu Personen dauerhaft sichtbar machen. Zusätzlich sollten sie auf dem Prinzip der raschen Aneinanderreihung von Einzel- se einfachen Filmtricks und Illusionen für Kinder verständlich den passenden Kameraeinstellungen) Manipulationsmöglichkeiten im Film wahrnehmen, kritisch re- bildaufnahmen, die durch geringfügige Veränderung in jedem und erfahrbar macht (vgl. Monaco 2009, S.309 und Rückert flektieren und auch praktisch einsetzen. Einzelbild leblose Gegenstände scheinbar zum Leben erwe- 2017, S.101f). Nach der Erstellung des kurzen Drehbuchs ging es an die Ge- Noch nie war es im Kunstunterricht so einfach, das Me- cken (vgl. Monaco & Bock 2011, S.15). Im Jahre 1878 sorgte staltung des Storyboards, also die zeichnerische Version des dium Film umzusetzen, da zum einen die technischen Voraus- Eadweard Muybridge im Rahmen einer Wette für die ersten Die Planung des Films setzungen vorhanden sind, zum anderen im Zeitalter der Di- bewegten Bilder. Er dokumentierte fotografisch mithilfe zahl- Als eine der wenigen Vorgaben für ihren Film erfuhren die gitalisierung die teuren Kosten für Trägermedien, Entwicklung reicher Kameras mit Zugdraht als Auslöser einer elektrischen Kinder, dass als zentraler Gegenstand im Film ein Rollladen- und Verarbeitung aufgrund kostenlos verfügbarer Applikatio- Hochgeschwindigkeitsblende ein galoppierendes Pferd so, schrank aus der eigenen Klasse (Abb. 2) verwendet werden nen wegfallen. Im deutschen Sprachraum besitzen bereits na- dass es in einem bestimmten Augenblick mit keinem Huf den und Elemente aus der Stop-Motion-Technik (Legetrick) und hezu 50% der 6- bis 13-jährigen Kinder ihr eigenes Handy oder Boden berührt. Als Silhouetten auf einer Scheibe dargestellt dem Realfilm (Stopptrick) Anwendung finden mussten. Abb. 2 Der Rollladen- Smartphone (vgl. KIM-Studie 2014, S.8). Davon sind 89% mit und durch Zoopraxiskop schnell hintereinander gezeigt, wirk- Zu Beginn wurden mittels Brainstorming der Kinder alle schrank als Ausgangsele- einer Kamera ausgestattet. In 81% der befragten Haushalte ten die Bilder des Pferdes, als würde es darauf galoppieren Ideen zum Thema gesammelt, eine erste Struktur der Ge- ment © Stefan Stock gibt es eine Digitalkamera. Der Umgang mit Smartphone und (Ott 2005, S.409ff). Die Technik dahinter beruht auf dem von schichte samt Filmtitel entwickelt („Die springenden Farben“) Digitalkamera ist den „Digital natives“ bereits im Grundschul- Max Wertheimer beschriebenen Phi-Effekt, der das Nachwir- und gemeinsam überlegt, wie sich die Illusion kreieren lässt, alter gut vertraut. Programme und Apps für die Postprodukti- ken eines optischen Reizes aufgrund der Trägheit des Auges dass alle Kinder der Klasse einzeln aus dem Rollladenschrank on des Films stehen kostenlos zur Verfügung und können ein- bezeichnet. Ab einer bestimmten Geschwindigkeit in der Ab- wie durch Zauberei erscheinen. Dazu wurde den Schüler- fach auf einem PC installiert werden, sie sind meist selbster- folge der Bilder (ca. 16 Bilder pro Sekunde) kann das mensch- Innen das Prinzip des Stopptricks als wichtige Möglichkeit,

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Abb. 3 Ein Ausschnitt aus Abb. 4 Produktion des Vor- dem Storyboard spanns als Stolperschrift © Stefan Stock

Drehbuchs, den Ablaufplan des Films (vgl. Monaco & Bock werden die Einzelbilder in zu großen Abständen gemacht, wir- 2011, S.233). Hier wird ähnlich wie in einem Comic für jede ken die Bewegungen im Film ruckartig. Einstellung im Film ein Bild entworfen. Dieses Bild beschreibt, Bei der Aufnahme der Einzelbilder musste die Kamera Vorspann zuerst komprimiert und auf bildschirmfüllendes des Kind zur Erinnerung eine DVD mit von den Kindern eigens was in jeder Szene genau passieren soll. Es hilft dabei, wäh- auf einem Stativ fixiert und die Beleuchtung konstant sein, Format heruntergerechnet. Die verkleinerten Bilder wurden gestaltetem Cover (Abb. 5). rend der Dreharbeiten auf nichts zu vergessen. Neben den um von der Einstellung her idente Bilder zu gewährleisten. nun (im Fall des beschriebenen Projekts mit dem Programm Bildern können im Storyboard noch wichtige Dinge wie han- Beim Fotografieren selbst mussten die Kinder darauf ach- „iMovie“ für Apple) im zweiten Schritt zu einem Film zu- Kompetenzerwartung des Projekts delnde Personen, Bildausschnitte oder Requisiten, aber auch ten, dass auf jedem Bild nur genau der Bildausschnitt zu sammenfügt. Die Kompetenzerwartungen bei den SchülerInnen wurden in Spezialeffekte notiert werden, damit man jedes Detail planen sehen ist, der auch später im fertigen Bild sichtbar sein soll Die Realfilmsequenzen mussten in Schritt 3 kritisch durch- Anlehnung an den Leitfaden_Schüler&innen_Kompetenzen_ kann und während der Dreharbeiten nichts vergisst (vgl. Otto (vgl. Otto 2010, S.28). Nach erfolgter Kontrolle der ersten gesehen und stellenweise geschnitten werden, um eine flüs- BE der Österreichischen Bundesarbeitsgemeinschaft für bild- 2010, S.25). Die Kinder der 3. Schulstufe übernahmen hier die Probeaufnahmen, ob Bildausschnitt, Perspektive und Licht sige Abfolge im Film mit passenden Übergängen und ohne nerische Gestaltung und visuelle Bildung (2013) und die vom Aufgabe der Gestaltung des Storyboards (Abb. 3). korrekt und keine Schatten von Personen auf den Fotos zu allzu große Längen zu erreichen. In Schritt 4 wurden schließ- Arbeitskreis für Filmbildung (AKF) der Länderkonferenz Me- Eine weitere Vorgabe war, dass die Kinder im Rahmen die- sehen waren, konnten die Bilder für den Vorspann von den lich die Stop-Motion-Sequenz als Vorspann und der Abspann dienbildung ausgearbeiteten Kompetenzen formuliert. (vgl. ses Projekts auch eine einfache Form der Stop-Motion-Tech- Kindern der 2. Schulstufe selbstständig fotografiert werden hinzugefügt, und die einzelnen Szenen entsprechend mit Mu- (https://www.visionkino.de/fileadmin/user_upload/lehrplan/ nik selbst anwenden sollten. Deshalb wurde für den Vorspann (Abb. 4). sik vertont. Kompetenzorientiertes_Konzept_Filmbildung_für_die_Schu- des Films die Technik der Stolperschrift erläutert, um die Idee Im Schritt 3 erfolgte dann die eigentliche Produktion des le_2015.pdf) . der Kinder umsetzen zu können, dass zuvor ungeordnete Holz- Films. Nach Gestaltung der Kulissen mit großen Tüchern in Präsentation des Films Bereich Filmanalyse: buchstaben auf farbigem Hintergrund sich wie von Zauber- den Primärfarben und übereinstimmend mit der Kleidung (je- Die Premiere eines Films ist ein besonderer Moment, und u die Handlung einer Filmsequenz wiedergeben hand zum Titel des Films „Die springenden Farben“ formieren des Kind war einheitlich in einer Farbe gekleidet, wobei von dieser musste auch entsprechend vorbereitet werden. Dazu u einfache Filmtricks erkennen (vgl. Otto 2010, S.20). den Kindern darauf geachtet wurde, dass alle Primär- und Se- wurden von den Kindern Plakate und Eintrittskarten gestaltet Bereich Filmproduktion: Dazu brauchte es eine weitere Einführung in die Tipps und kundärfarben vertreten und möglichst ausgewogen verteilt sowie eine Ausstellung mit allen optischen Spielzeugen vor- u eine Idee für einen Film in der Lerngruppe gemeinsam ent- Tricks zur Stop-Motion-Technik. Um die Flüssigkeit des Bewe- waren), wurde die Einzelszenen des Films selbst mit einer bereitet. Am Premierentag selbst konnten die Kinder zuerst wickeln gungsablaufs möglichst realistisch wirken zu lassen, dürfen Digitalkamera, welche wiederum auf einem Stativ befestigt einen eindrucksvollen Einblick in ihr Wissen zum Thema Stro- u durch Arbeitsteilung in der Gruppe ihr Vorhaben filmisch die sichtbaren Bewegungsunterschiede auf den Einzelbildern war, aufgezeichnet. boskopische Bewegung, Animationsfilm und Vorbereitung, umsetzen nur minimal sein. Daher wurden die Holzbuchstaben zwischen Die Nachbereitung (Post Production) erfolgte mit ein- Durchführung sowie Post-Production eines Films geben. Dann u vor der Kamera selbst performativ agieren den einzelnen Bildern immer nur minimal bewegt. Denn sind zelnen Kindern in verschiedenen Teilschritten. In Schritt 1 wurde das Endprodukt dem Publikum vorgeführt. Um das Pro- u eine einfache Animationsfilmsequenz selbstständig um- die Veränderungen in der Bewegung der Figuren zu groß oder wurde die Datenmenge der unzähligen Einzelbilder für den jekt dauerhaft für die Kinder bewahren zu können, erhielt je- setzen

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staltung und visuelle Bildung durch Sensibilisierung hin zum Anja Gebauer Verstehen, über das Projektieren hin zum Machen und durch das Transformieren hin zur Verwendung (vgl. ebda. S.8). Der gezielte Einsatz digitaler Medien erfolgte an jenen Stellen, Zwischen Bild und Bildschirm wo digitale Medien die Umsetzung dieses Projekts erst mög- Mit einer App im Kunstmuseum lich machen. Die SchülerInnen waren sich absolut einig: Es macht großen Spaß, in der Grundschule selbst einen Film zu drehen.

Literaturverzeichnis „Bildung kommt von Bildschirm“, so schreibt der Kabarettist Camuka, A. & Peez, G. (2017). Integration mobiler digitaler Dieter Hildebrandt in der Braunschweiger Zeitung im Jahr Medien in den Kunstunterricht. In: Camuka, A. & Peez, G. 2009 und karikiert damit die Mechanismen und Heilsverspre- (Hrsg.). Kunstunterricht mit Smartphone und Tablets. S.11– chen der digitalen Wissensgesellschaft (Hildebrandt 2009, 29. München: Kopaed. S.4). Leicht lässt sich feststellen, dass die elektronische An- Ehrenheim, N. & Winkler, L. (2017). Animierte Superhel- zeigetechnik alleine keine magische Bildsamkeit auszustrah- den. In: Camuka, A. & Peez, G. (Hrsg.). Kunstunterricht mit len vermag, so wie die Wortherkunft der Bildung eine andere Abb. 5 Das DVD-Cover Smartphone und Tablets. (S.155–164) München: Kopaed. ist. Denkt man den Bildschirm allerdings als Teil, Komponente zum Film Kaiser, U. (2011). Bewegte Bilder. Trickfilm im Unterricht. oder Ausgabefeld eines digitalen Mediums, lassen sich durch- Kunst + Unterricht 354/355. S.4–8. aus Relationen zu klassischen Bildungsmedien herstellen. Im Kessler, F. (2015). Méliès/Metz: Zur Theorie des Filmtricks. Rahmen der Kunstpädagogik ist dabei zu fragen, welche ver- Montage AV: Zeitschrift für Theorie und Geschichte audio- mittelnden Dialoge sich im Zwischenfeld digitales Medium visueller Kommunikation. 24/1/2015. S.145–57. und originales Kunstwerk, Bild und Bildschirm aufspannen KIM-Studie 2014. Basisuntersuchung der Mediennutzung lassen. Im folgenden Beitrag wird dazu das Konzept der mobi- Chance zu akzeptieren – „jammern nützt nichts“. (Zacharias Abb. 1: Gebauer, Anja, 6- bis 13-Jähriger. (Februar 2015). Abgerufen von: http:// len Anwendung „Mit Marion durch den Blauen Reiter“ zur mu- 2016, S.15). Es ist anzunehmen, dass auch in diesem Rah- Zugänge schaffen, 2019, Bereich Filmpräsentation: www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/KIM/2014/KIM_ sealen Kunstvermittlung vorgestellt. Zunächst werden Hinter- men der grundlegende museumspädagogische Auftrag hin- bearbeitete Fotografie u den erstellten Film einem ausgewählten Publikum präsen- Studie_2014.pdf grundüberlegungen skizziert, ausgewählte Elemente der An- sichtlich junger Generationen bestehen bleibt, „Kinder und tieren Länderkonferenz Medienbildung. Abgerufen von: https:// wendung beschrieben sowie abschließend erste Erkenntnisse Jugendliche an Bilder/Kunstwerke von besonderer kultureller u die selbst umgesetzten Filmtechniken erkennen und be- www.visionkino.de/fileadmin/user_upload/lehrplan/Kom- umrissen. Dies soll in den Diskurs übergreifender Fragen der Bedeutung und Qualität heranzuführen“ (Czech 2010, S.263). nennen petenzorientiertes_Konzept_Filmbildung_für_die_Schu- Kunstpädagogik im Dialog medial-analoger Bild- und Interak- Zu untersuchen ist dabei aber, inwiefern die Kunstpädagogik le_2015.pdf tionswelten eingebettet und diesbezüglich reflektiert werden. in diesem Rahmen den oben beschriebenen Paradigmen der Fazit Leitfaden_Schüler&innen_Kompetenzen_BE. Österreichi- Digitalität in medialen Umsetzungsweisen Rechnung tragen Bei diesem Projekt stand der eigentliche Prozess des Dre- schen Bundesarbeitsgemeinschaft für bildnerische Gestal- Grundlegende Ausrichtung: kann. Daraus folgt die Zielsetzung, Methoden im digital-ana- hens eines eigenen Films unter Einbeziehung von Manipula- tung und visuelle Bildung (2013) http://moz.ac.at/user/ Das Digitale als auch logen Spektrum zu erforschen, um diese unter den jeweili- tionsmöglichkeiten ganz klar im Vordergrund. Die SchülerIn- billm/seminare/2013-14/LEITFADEN_SCHÜLER&INNEN_ Zunächst bleibt zu diskutieren, weshalb und inwiefern das Di- gen Bedingungen optimal, reflektiert und kritisch einsetzen zu nen konnten im Prozess ihre Geschichte weitgehend frei ge- KOMPETENZEN_BE_DRUCK.pdf gitale im Rahmen der musealen Kunstbegegnung relevant er- können. Aus dieser Haltung heraus kann das Nutzen digitaler stalten, da es vonseiten der Lehrpersonen nur wenige Vor- Monaco, J. (4.Auflage 2009). Film Verstehen. Kunst, Technik. scheint. Digitalität kann allgemein als kultureller sowie sozia- Zugänge zur musealen Kunstvermittlung als auch verstanden gaben zu erfüllen gab. Dieses Klassenprojekt ermöglichte es Sprache, Geschichte und Theorie des Films und der Neuen ler Transformationsprozess begriffen werden, im Zuge dessen werden, als Ergänzung oder gleichwertige Erweiterung ana- den Kindern, im Rahmen ihrer Möglichkeiten altersadäquat Medien. Hamburg: Rowohlt. unsere postdigitalen Lebenswelten in einer Verschmelzung loger Methoden. Diese spezifisch strukturierte Möglichkeit ist an die Umsetzung eines eigenen Filmprojekts heranzugehen Monaco, J. & Bock, H. (2011): Film verstehen: Das Lexikon. von on- und offline, analog, digital, real und virtuell bestehen. dann genauer zu gestalten und zu untersuchen. und dabei nicht nur Einsichten in die Produktion eines Films Hamburg: Rowohlt. In diesem Kontext steht die kulturelle Bildung besonders in Synonym zum Analogen sind digitale Medien in ihrer zu gewinnen, sondern es als kooperative Lernform kennenzu- Ott, J. (2005). Iron Horses: Leland Stanford, Eadweard Muy- der Pflicht, die Digitalisierung als umfassendes Bedingungs- Medialität begrifflich zunächst als Mittler zu verstehen. Die- lernen, in der sich jedes Kind im Rahmen seiner Möglichkei- bridge, and the Industrialised Eye. Oxford Art Journal 28.3 gefüge zu erkennen, zu integrieren und zu reflektieren. (Vgl. ter Mersch charakterisiert dies zunächst als „einen offenen ten einbringen kann. Kompetenzzuwachs passierte hier ent- 2005. S.407–428. Jörissen und Unterberg 2019, S.11). ‚Raum‘, ein Terrain, das zugleich Züge einer Leerstelle, eines sprechend der Prinzipien Kontext- Prozess- Performanz des Otto, Ch. (2010). Trickfilm mit der Digitalkamera. Kempen: Diese Ausgangssituation betrifft in direkter Weise ne- passe partout besitzt“ (Mersch 2014, S.20). Leitfaden_2013 Schüler&innen_Kompetenzen_BE der Öster- BVK. ben schulischen Bedingungen auch die kunstpädagogischen Diese Leerstelle wird, wie in der Abbildung (Abb. 1) zu reichischen Bundesarbeitsgemeinschaft für bildnerische Ge- Handlungsfelder im Bereich der musealen Vermittlung. So for- sehen, als Teil einer dynamischen, wechselseitigen Vermitt- derte unter anderen Wolfgang Zacharias dazu auf, auch im lungssituation verstanden. Das digitale Passepartout rahmt Museum Verbindungen zu digitalen Medialitäten herzustel- in der abgebildeten Situation einen möglichen Motor oder len und dies als produktive Herausforderung, Aufgabe und Zwischenschritt in der Auseinandersetzung zwischen Original

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und Betrachtendem. In diesem Fall ist die Leerstelle mit einer Besonders die Dualität von Produktion und Rezeption war Ansprache durch die gesamte Anwendung. Hierzu fiel die Ent- Tablet-Anwendung befüllt, welche eine Vielzahl von Hand- in den meisten Ideen der Kinder vorhanden und wurde in die scheidung auf Marion von Lenbach – die historische Figur soll lungsmöglichkeiten zulässt. Denn durch mobile Anwendungs- final umgesetzte Anwendung übernommen. So wurden bei- kindgerechte Ansprache leisten, authentisch als Expertin fun- programme wird das Tablet zum intuitiv bedienbaren Univer- spielsweise interaktive Fragen mit reduzierten Hintergrund- gieren und zudem als emotionaler Ankerpunkt für lebendige salgerät, welches Fotoapparat, Malkasten, Schreibfunktion, informationen ergänzt, welche zur selbstständigen rezeptiven Vermittlung dienen. Fernseher etc. vereint (vgl. Krotz 2014, S.10–11) – in dieser Annäherung an die Kunstwerke anregen. Andererseits ent- Nach der Startseite mit der großflächigen Illustration Ma- Multifunktionalität soll es hinsichtlich der musealen Vermitt- wickelten viele Kinder und Gruppen aktive und handlungsori- rions stellt sich die Figur selbst knapp vor und gibt orientieren- lung kunstpädagogisch nutzbar gemacht werden. entierte digitale Zugangsweisen wie Mal- und Zeichentools, de Hinweise zum Rahmen der Anwendung: der Besuch der Diese Situation wirft letztlich die Frage auf, welcher Dia- Kommentarfunktionen oder Suchspiele. Sammlung Blauer Reiter. (Abb. 2) log sich in der abgebildeten Situation im Spannungsfeld Re- Diese Ideen und Herangehensweisen der Kinder wurden Anschließend können die TeilnehmerInnen nach Wunsch zipientIn – digitales Vermittlungsmedium – Kunstwerk ent- strukturiert, mit grundlegenden kunstpädagogischen Arbeits- ergänzende Informationen erhalten oder direkt in die Ausstel- wickelt. Um dies genauer zu untersuchen, wurde im Promo- weisen kombiniert und in der Anwendung Mit Marion durch lung starten. Dabei werden sie zum passenden Eingang im tionsprojekt eine mobile Anwendung als Forschungsobjekt den Blauen Reiter im Rahmen der vorhandenen Ressourcen Museum gelenkt und erreichen in der mobilen Anwendung gestaltet und umgesetzt, sodass letztlich die Interaktion finalisiert. den Hauptteil, die Galerie. Hier werden den TeilnehmerInnen der Zielgruppe damit erforscht werden kann. Dabei geht es vier Werke mit den dazugehörigen Künstlernamen zur Aus- Anja Gebauer studierte weniger darum, die perfekte Anwendung als digitale „eier- Mit Marion durch den wahl gestellt, welche sie mit einem Klick auf die jeweilige Grundschullehramt mit legende Wollmilchsau“ zur Kunstvermittlung zu erschaffen, Blauen Reiter Abbildung anwählen können. Zu jedem Werk ist das folgende Unterrichtsfach Kunst am welche traditionelle Methoden überflügelt. Vielmehr zielt die Die mobile Anwendung richtet sich an Kinder im Alter von Interaktions- und Informationsangebot immer gleich struktu- Institut für Kunstpädagogik Forschung darauf ab, erweiterte Möglichkeiten systematisch acht bis zwölf Jahren, welche im familiären Rahmen die Aus- riert aufgebaut: der Ludwig-Maximilians- zu untersuchen und professionell zu integrieren. Denn folgen- stellung Blauer Reiter in der Städtischen Galerie im Lenbach- Vor dem Exponat angekommen erhalten die BesucherIn- Universität München, ist de Aussage lässt sich auch auf museale Kunstpädagogik mit haus und im Ausstellungsraum Kunstbau München besuchen. nen textbasierte Anregungen. Diese bestehen aus Reflexi- wissenschaftliche Mitarbei- digitalen Medien beziehen: „Konsequenzen und Potentiale, Diese Zielgruppe besucht das Museum im Rahmen der Frei- onsfragen zur Bildbetrachtung, für die sie sich eine Minu- terin und Studienreferentin die die digitale Transformation für die Kulturelle Bildung mit zeitgestaltung und Kulturellen Bildung. Personelle Vermitt- te Zeit nehmen sollen. Anschließend kann jeweils zwischen am Institut und lehrt dort sich bringt, sind bislang weitestgehend unerforscht“ (Jöris- lungsprogramme wie Familienführungen oder Ferienwork- zwei grundlegenden Möglichkeiten der weiteren Beschäfti- im Bereich der Kunstdidak- sen et al. 2019, S.7). shops für Kinder können aus zeitlichen, interessensbezoge- gung ausgewählt werden. Dies betrifft zunächst kognitiv-in- tik, Museumspädagogik, nen oder ressourcenspezifischen Gründen keine umfassende tellektuelle Angebote, welche in drei Ebenen unterteilt wur- Kreativitätsbildung und Gemeinsam Gestalten: Ideen und Versorgung aller BesucherInnen leisten, sodass hier eine Lü- den. Zu jedem Exponat stehen Multiple Choice-Auswahl- gestalterischer Praxis. Bedürfnisse der Kinder cke für non-personelle Methoden entsteht. Illustration, Ge- möglichkeiten und Bezüge zur Verfügung, welche die Blicke Um eine der oben beschriebenen Vermittlungssituation staltung, Konzepterstellung und Projektleitung lagen bei Anja vom Bildschirm zurück auf das Original lenken sollen. In der entsprechende Anwendung zu gestalten, wurden im For- Gebauer. Dies wurde durch inhaltliche Absprachen mit der Abbildung ist ein Beispiel eines solchen interaktiven Formats schungsprojekt Kinder als gleichwertige GestalterInnen in Kunstvermittlung des Museums sowie mit der Landesstelle zu sehen. Hier gibt es keine per se richtigen oder falschen die experimentelle Entwicklung mobiler Anwendungen ein- für die nichtstaatlichen Museen in Bayern ergänzt, welche die Antworten, denn das Ziel der Aufgabe ist die eigenständi- Werken auch die Möglichkeit Beenden angeboten, welche bezogen. Dies geschah im Projekt „Genial digital“, welches technische Umsetzung im Rahmen des Projekts FabulAPP er- ge Betrachtung der Werke unter formellen Gesichtspunkten. den dritten, abschließenden Teil der mobilen Anwendung be- im Rahmen einer Kooperation des Instituts für Kunstpädago- möglichten. (Abb. 3) inhaltet. Hier wird den Kindern als freiwillig wählbare Option gik der Universität München (LMU), einer Montessorischule Als Grobziel der Anwendung wurde das Vermitteln von Zu- Anschließend werden reduzierte, themenspezifische In- ein Abschlussquiz sowie eine Frage mit Eingabefeld angebo- Abb. 2: Gebauer, Anja, und der Städtischen Galerie im Lenbachhaus stattfand, sowie gängen zum originalen Kunstwerk im Rahmen der Ausstellung formationen zum Kontext des gewählten Kunstwerks sowie ten. Dies soll die TeilnehmerInnen auf einer Metaebene zur Vorstellung und Zielangabe, im Projekt „Kunstvolle Apps“, einem Ferienprogramm im Len- Blauer Reiter durch Intensivierung der Wahrnehmung sowie Wissensinhalte über die Biografie des Künstlers bzw. der Prüfung und Reflexion der individuellen Kunsterfahrung im 2019, Screenshot bachhaus von Aida Bakhtiari und Anja Gebauer. Beide Projek- rationale (kognitive Wissensinhalte) und emotional-produkti- Künstlerin dargeboten. Rahmen der mobilen Anwendung anregen. Abb. 3: Gebauer, Anja, te wurden im Rahmen des medienpädagogischen Förderpro- ve (gestalterische und interaktive Möglichkeiten) Angebote Ergänzend zu den rationalen Angeboten können die Kinder Kognitive Zugänge, 2019, gramms vom Stadtjugendamt München und dem Netzwerk im Digitalen gesetzt. Im Folgenden wird die umgesetzte An- auch aktive, individuell-gestalterische Zugänge zu den Kunst- Empirische Erforschung Screenshot Interaktiv (www.kooperationsprojekte-muc.de) gefördert. Die wendung anhand einiger Einblicke skizziert, welche auf einem werken wählen. Diese sollen je nach Kunstwerk und Thema Doch wie interagieren die Kinder im Rahmen der familiären teilnehmenden Kinder wurden in den Projekten dabei beglei- von Anja Gebauer entwickelten Anforderungsmodell basiert. immer die subjektive Blickweise und persönliche Auseinan- Begleitung tatsächlich mit der mobilen Anwendung? Lenkt tet, eigene Themen und Werke der Sammlung „Blauer Reiter“ Die Anwendung Mit Marion durch den Blauen Reiter ist dersetzung auf verschiedene Weisen anregen, beispielsweise das Gerät womöglich von der Kunstbetrachtung ab, oder wird auszuwählen und zu erarbeiten. Diese sollten sie dann digital in drei grundlegende Elemente aufgeteilt: eine Einleitung, durch ein digitales Mal- und Zeichenprogramm. es zu kreativer, persönlicher Auseinandersetzung mit dem kul- an andere vermitteln. So entwickelten die Kinder verschiede- der schleifenartig zu durchlaufende Hauptteil sowie ein Ab- Die Kinder können in der Auswahl frei entscheiden, we- turellen Erbe genutzt? Welche Rückschlüsse lassen sich auf ne Inhalte, Designs und Konzepte, welche in Prototypen oder schlussteil. Das Konzept orientiert sich dabei grob am AVI- der eine spezifische Reihenfolge noch bestimmte Inhalte sind Methoden einer digitalen Kunstpädagogik ziehen? in von Studierenden programmierten Anwendungen münde- VA-Schema (Vgl. Städeli et al. 2013), wobei allerdings ein- zwingend vorgegeben. Nach Bedarf können Inhalte flexibel Mithilfe qualitativ-empirischer Forschungsmethoden wer- ten und einen Einblick in die Bedürfnisse und Herangehens- zelne Stufen flexibel und nach Interesse wählbar sind. Eine übersprungen werden, und auch die Rückkehr zur Galerie den diese Fragestellungen untersucht. Dabei wurden zunächst weisen der Zielgruppe selbst geben. Identifikationsfigur führt die TeilnehmerInnen mit persönlicher ist variabel möglich. Dort wird neben den vier ausgewählten Kinder in ihrer sozialen Gruppe im musealen Feld begleitet und

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beobachtet. Zudem wurden im Anschluss leitfadengestützte Literaturverzeichnis Anne Glassner Interviews mit den Kindern geführt. Die Datenerhebung und Czech, Alfred (2010): Begegnung mit Bildern/Kunstwerken in -auswertung orientiert sich an der Grounded Theory nach Schule und Museum. Ein kritischer Vergleich. In: Kunibert Strauss und Corbin, um mit größtmöglicher Offenheit aus den Bering, Clemens Höxter und Rolf Niehoff (Hg.): Orientie- Performative Techniken erhobenen Daten induktiv Phänomene und Interaktionen sys- rung: Kunstpädagogik. Bundeskongress der Kunstpädago- in der Kunstpädagogik tematisch zu erarbeiten (vgl. Strauss und Corbin 1996, S.7– gik, 22.–25. Oktober 2009. Oberhausen: Athena (Artifici- 9). Erste Erkenntnisse können bereits abgeleitet werden, ob- um, Band 35), S.263–269. Achtsamkeit und künstlerisches Gestalten gleich Datenauswertung und Interpretation noch nicht abge- Hildebrandt, Dieter (2009): Gedanken zur Zeit: Was pas- schlossen sind. Der Feldaufenthalt zeigte zunächst, dass von siert gerade in Ihrem Hirn? In: Braunschweiger Zeitung, allen zehn begleiteten Gruppen der Durchschnitt circa einein- 12.12.2009, S.4. Performance im Unterricht als künstlerische Praxis, welche nehmung und Selbsteinfühlung und ermöglichen den Schü- halb Stunden in der Ausstellung mit der mobilen Anwendung Jörissen, Benjamin; Kröner, Stephan; Unterberg, Lisa (2019): Kraft in diesem zeitbasierten und immateriellen Ausdrucksmit- lerInnen, sich selbst besser zu verstehen und bewusster zu verbrachte. Alle beteiligten Kinder oder Gruppen wählten je- Einleitung: Forschung zur Digitalisierung in der Kulturellen tel steckt und wie man diese in der Kunstpädagogik platzieren interagieren. des in der App angebotene Kunstwerk an. Dies kann typen- Bildung. In: Benjamin Jörissen, Stephan Kröner und Lisa kann, möchte ich hier genauer erläutern. In mehreren Work- Das künstlerische Gestalten ist eine Analogie für einen abhängig als Indiz für Neugier und Motivation gelten oder aber Unterberg (Hg.): Forschung zur Digitalisierung in der Kul- shops und Unterrichtseinheiten habe ich bereits performative wachen und unmittelbaren Umgang mit dem Leben und der auf die Haltung schließen, die Anwendung gleich einem Ar- turellen Bildung. München: kopaed (Kulturelle Bildung, 1), Techniken eingesetzt und mit unterschiedlichen Altersklassen zunehmenden Digitalisierung. Die Performance-Kunst und de- beitspensums abarbeiten zu müssen. Insgesamt lässt sich in S.7–10. experimentiert. ren Einsatz im Unterricht lehrt uns Improvisation, Kreativität, Anne Glassner den meisten Gruppen eine soziale Interaktion erkennen, Eltern Jörissen, Benjamin; Unterberg, Lisa (2019): DiKuBi-Meta Präsenz, Achtsamkeit und wertschätzenden Dialog. ist bildende Künstlerin, und Geschwister beteiligen sich an verschiedenen digitalen [TP1]: Digitalität und Kulturelle Bildung. In: Benjamin Jöris- Im folgenden Artikel werde ich versuchen, Performative Kunstverfahren eröffnen Denkräume und Performerin und als Kunst- Angeboten des gemeinsam genutzten Geräts. sen, Stephan Kröner und Lisa Unterberg (Hg.): Forschung ausgehend von meinen Lehrerfahrungen ei- „bergen revolutionäre, phantasiefördernde Potenziale“, wie erzieherin tätig, seit 2013 Doch wie nehmen die Kinder selbst den Ausstellungsbe- zur Digitalisierung in der Kulturellen Bildung. München: ko- nen Einblick in die Möglichkeiten, die Perfor- etwa Marie-Luise Lange in ihrem Werk „Performativität erfah- arbeitet sie vorwiegend such mit der Anwendung wahr? Max (10 J.) sagt: „Also ich paed (Kulturelle Bildung, 1), S.11–24. mance-Kunst bietet, zu geben. Ich habe hier ren. Aktionskunst lehren - Aktionskunst lernen“ schreibt. (Lan- performativ, mit Interven- fand es wirklich schön. Weil, wie soll man sagen, es ist ein- Knaus, Thomas (2017): Pädagogik des Digitalen. Phänomene sowohl Erfahrung als Pädagogin im Kunst- ge 2006, S.103) tionen im öffentlichem fach, ähm, eine Art, ähm, Kunst anders zu erleben.“ (Inter- – Potentiale – Perspektiven. In: Sabine Eder, Claudia Mikat unterricht unterschiedlicher Altersstufen als Performative Verfahren setzen auf das Veränderliche, das Raum und leitet Projekte view Max, Z.6–7). Demnach gestaltet sich das Ausstellungs- und Angela Tillmann (Hg.): Software takes command. He- auch außerschulisch als Künstlerin in diversen Flüchtige, auf Wechsel und Neuanfang. Performance bietet und Workshops im In- und erlebnis geprägt von der digitalen Vermittlungsmethode als rausforderungen der Datafizierung für die Medienpädago- Workshops. grenzüberschreitende Experimente und Erlebnisse. Der Pro- Ausland. In ihren Arbeiten spezifisch andersartig. gik in Theorie und Praxis. München: kopaed (Schriften zur zess steht im Vordergrund, so wie auch das Experimentie- beschäftigt sie sich u.a. Allgemein zeichnen sich je nach Haltung des Kindes sowie Medienpädagogik, 53), S.49–68. Performance ermöglicht die Schärfung der Wahrnehmung, ren mit Körper, Raum und Zeit. Ziel der Handlung besteht mit dem menschlichem des situativen Kontextes unterschiedliche Nutzungsweisen Krotz, Friedrich (2014): Apps und die Mediatisierung der Wirk- die Erfahrung von Improvisation und Kooperation und die Ent- nicht in der Produktion eines Kunstobjektes, sondern in der Bewusstsein, Achtsamkeit, des digitalen Angebots im Rahmen der originalen Begegnung lichkeit. In: merz medien+erziehung 58. (3.14), S.10–17. wicklung eines achtsamen Körpergefühls in Relation zu Raum Herstellung eines Ereignisses. Performance fordert von den Stille, Schlaf und Grenzen ab. Darunter fallen widerständige oder überwiegend digitale Mersch, Dieter (2014): Res medii: Von der Sache des Media- und Zeit. Eine Performance wird als lebendiges, bewegtes Zuschauenden das Einlassen auf die Aktivierung von Gehör, zwischen Privatem und Handlungen ebenso wie das suchende Vergleichen zwischen len. In: Till A. Heilmann, Anne von der Heiden und Anna Bild entwickelt und erfahren, von dem unter Umständen greif- Geschmack, Geruchs- und Tastsinn, wodurch die Herstellung Öffentlichem. digitaler Abbildung und Exponat oder das gemeinsame Be- Tuschling (Hg.): Medias in res. Medienkulturwissenschaft- bare Reste oder Spuren übrig bleiben, die das erlebte Bild je- ungewohnter Wahrnehmungseindrücke überhaupt erst mög- www.anneglassner.at sprechen der Kunstwerke. Diese verschiedenen Zugänge, liche Positionen. Bielefeld, Berlin: Transcript; de Gruyter doch nicht ersetzen. Als Performance wird eine handlungs- lich wird. Kunstwerke in Begleitung der mobilen Anwendung anders zu (MedienAnalysen, Band 6), S.20–38. betonte, situationsbezogene und vergängliche künstlerische Mit den Komponenten Körper, Raum, Zeit möchte ich mich erleben, wird im weiteren Forschungsprozess genauer unter- Städeli, Christoph; Willy; Grassi, Andreas; Rhiner, Katy (2013): Darbietung von KünstlerInnen bezeichnet. dem Thema im Unterricht nähern. Ich beginne beispielsweise sucht und modellhaft eingeordnet werden. Kompetenzorientiert unterrichten – Das AVIVA-Modell. Die künstlerischen Fächer in der Schule sind einige der häufig den Einstieg in den Unterricht mit dem, was im Raum So bleibt es notwendig, in Praxis und Wissenschaft die Fünf Phasen guten Unterrichts. Bern: hep verlag (hep pra- wenigen Fächer, wo im praktischen Tun eigene Ideen auspro- vorhanden ist. Das kann eine Uhr, ein Tisch, ein Fenster, eine Potentiale, Einsatzmöglichkeiten und kritischen Aspekte des xis). Online verfügbar unter http://gbv.eblib.com/patron/ biert und verworfen werden. Es geht darum, sich selbst zu er- Zeitung etc. sein – ebenso Gegenstände, die von SchülerIn- Digitalen weiter zu erforschen. Die Kunstpädagogik hat hier FullRecord.aspx?p=4621365. proben. Viele Jugendliche erleben bestimmte primäre Sinnes- nen mitgebracht wurden. Nach einer kurzen 2- bis 3-minüti- die besondere Kompetenz, die spezifischen Schnittstellen von Strauss, Anselm L.; Corbin, Juliet M. (1996): Grounded Theo- und Körpererfahrungen nicht mehr am eigenen Leib, sie verfü- gen Performance erfolgt eine erste Gesprächsrunde über den analog und digital, Medien und Mensch, zwischen Bild und ry. Grundlagen qualitativer Sozialforschung. Unveränd. gen hingegen über im Umgang mit Umweltphänomenen und Begriff „Performance“. Unterschiede zum Theater beispiels- Bildschirm, zukunftsrelevant in den Blick zu nehmen. Nachdr. der letzten Aufl. Weinheim: Beltz. digitalen Techniken erworbene Kenntnisse und Kompetenzen. weise werden aufgegriffen und eigene Erfahrungen der Schü- Zacharias, Wolfgang (2016): Vorwort. In: Beatrix Comman- Stille und Kontemplation gibt es ebenfalls kaum mehr in lerInnen über das Medium geteilt. deur, Hannelore Kunz-Ott und Karin Schad (Hg.): Hand- unserer hektischen, überfüllten Welt. Die Kombination von Ebenso als erste Übung im Raum und um die Wahrneh- buch Museumspädagogik. Kulturelle Bildung in Museen. Achtsamkeitsübungen und künstlerischem Gestalten inten- mung zu schärfen, bietet sich einfaches „Gehen“ im Raum an. München: kopaed (Kulturelle Bildung, 51), S.3–15. siviert das Erleben der eigenen Persönlichkeit, das Wahr- Langsames Gehen, schnelles Gehen, Rückwärtsgehen und, nehmen des Gegenübers und des künstlerischen Materials. mit dem Fokus „Wer ist im Raum“, kurzes gegenseitiges stil- Kleine Atem- und Körperübungen (Sinnlichkeit, Materialität les In-die-Augen-blicken oder „Begrüßen“. Das schafft Auf- und Stofflichkeit in Lernprozessen) fördern die Selbstwahr- merksamkeit darauf, was im Hier und Jetzt passiert.

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der Zeit kommt das Verständnis für eine Live-Performance, die Beteiligten jeweils von einer Person geführt. Eine Varian- es erfordert viel Gespräch und Reflexion und viele Fragestel- te ist auch, der Person, die gerade blind ist, ein Seherlebnis lungen. Festgehalten werden einzelne Prozesse im Unterricht (z.B. einen kurzen Blick auf einen bestimmten Gegenstand) durch Fotografie und Film, eine Aufgabe, die auch von einzel- oder ein Tasterlebnis (Angreifen eines Objekts) zu ermögli- nen Teilnehmenden oder Kleingruppen übernommen und ein- chen. Eine Kombination von Innenraum und Außenraum (Na- gesetzt werden kann. (Abb. 1) tur) bietet sich hier gut an. Auf dieser Ebene erlangen die Teil- nehmenden eine erhöhte Sensibilität für ihre körperlichen und Gazing Line geistigen Funktionen. All jene Reize und Empfindungen, die Die SchülerInnen stellen sich paarweise gegenüber. Nun wer- wir im Alltag verdrängen, damit uns die Wahrnehmungsflut den sie aufgefordert, sich in die Augen zu schauen, ohne da- nicht verschlingt, werden jetzt zugelassen. Nach 15 bis 30 bei zu lachen. Anfangs ist es eine große Überwindung für ei- Minuten (je nach Altersstufe) wechseln die Teilnehmenden. nige, aber mit der Zeit wird die Mimik neutraler und die Kon- zentration immer stärker. Getauscht in der Reihe wird nach Moving Picknick circa einer Minute. Der Fokus liegt auf der Präsenz im Raum, Ein großes weißes Tuch wird auf den Boden oder auf einen ins Hier und Jetzt zu kommen. Tisch gelegt. Es kann auch ein abgeklebter Bereich am Boden dafür verwendet werden. Alle Teilnehmenden sitzen um das Blind Walks Tuch. Alltagsgegenstände oder von den SchülerInnen mitge- Innen- und Außenraum blind erforschen – Ziel der Partner- brachte Gegenstände werden hier verwendet. Diese Übung Abb. 1 Performances zum übung ist es, durch Ausschaltung der visuellen Sinneseindrü- findet in Stille statt. In der 1. Runde werden die mitgebrach- Thema Schlaf cke die anderen Wahrnehmungen – wie Geruchs-, Hör- und ten Gegenstände der Reihe nach auf das Tuch gelegt. Wenn Tastsinn – zu intensivieren. Mindestens 15 Minuten werden alle vorgesehenen Gegenstände von jedem Schüler/jeder

Geschichtliches und Begriff Videoausschnitte an mit anschließenden Diskussionsrunden. Anschließend gehe ich zum geschichtlichen Teil der Perfor- Verschiedene Übungen bis hin zu konkreteren oder komple- mance-Kunst über und erläutere die Terminologie näher. Der xeren Aufgaben können je nach Altersklasse dann praktisch Begriff „performativ“ wurde vom amerikanischen Sprachwis- umgesetzt werden. In der Verknüpfung von Körpersprache, senschaftler John L. Austin 1955 geprägt in der Vorlesung Handlungsstrategien, Raum- und Zeit-Parametern, Geräu- „How to do things with words“. Er leitet sich ab von „to per- schen entstehen lebende Bilder. Die Unterschiede zwischen form“ = vollziehen, Handlungen vollziehen, im Sinne von: Live-Performance und Videoperformance bzw. inszenierten Handlungen „laufen ab“, realisieren sich, etwas vollzieht sich. Performances, ebenso partizipativen Performances und fe- In den 70er-Jahren wurde der Begriff zur Bezeichnung einer ministischer Performancekunst sowie gesellschaftspolitische eigenen Kunstgattung, in der der Schwerpunkt auf der Hand- Fragen werden besprochen. Je nach Altersstufe und Schwer- lung liegt. Als „performativ“ bezeichnete Austin sprachliche punkt werden Beispiele aus der bildenden und darstellenden Äußerungen, die nicht rein verbal bleiben, sondern durch die Kunst gewählt. Öfter habe ich zum Beispiel den Schwerpunkt gleichzeitig eine Handlung vollzogen und Wirklichkeit verän- einer Unterrichtseinheit auf das Thema „Gehen“ gelegt. Ich dert oder gar erst konstituiert wird. (vgl. Austin,1986). zeige sowohl Beispiele der vom Tanz kommenden Trisha Im weitesten Sinne performative und aktionistische Kunst Brown („man walking down the side of a building“), aus der findet sich bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Dadais- bildenden Kunst von Richard Long („A line made by walking“) Abb. 2 Ausschnitt mus und Futurismus und in den 60er-Jahren im Happening oder aus Marina Abramovics Arbeit („The lovers“). Moving Picknick und im Event, in Fluxus und Aktionismus. Als Vorläufer/innen und Wegbereiter/Innen von Performance als eigene Richtung ÜBUNGEN in der bildenden Kunst können Yves Klein, Allan Kaprow, Caro- Im Folgenden werde ich einige meiner Aufgaben und Übun- lee Schneemann, Joseph Beuys, Valie Export, Yayoi Kusama, gen vorstellen und kurz erläutern: Mir ist es wichtig, über die oder Yoko Ono genannt werden. Sinne zu arbeiten – Aspekte des Körperlichen und des Sinnli- Ich zeige gerne Beispiele von Yoko Ono, Joseph Beuys, chen hervorzuheben. Zuerst sollen die SchülerInnen einen An- Valie Export oder Marina Abramovic. Hier bieten sich kurze knüpfungspunkt zu performativen Techniken finden. Erst mit

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antwortung, ... Eine Liste von Begriffen kann vorbereitet wer- rungen mit dem Selbst in die künstlerische Arbeit einfließen den, die SchülerInnen wählen oder ziehen einen und setzen zu lassen. diesen in einer kurzen Performance um. (Abb. 3) Literatur Körperkonfigurationen nach Valie Export Abramovic, Marina: Walk through walls: A memoir. 2016 Zu zweit oder zu viert sollen im Stadtraum signifikante Formen Austin, John: How to do things with Words. Oxford. 1979 gefunden und mit dem eigenen Körper nachgeformt werden. (Deutsche Ausgabe: Zur Theorie der Sprechakte. Reclam/ Der Partner/die Partnerin soll das Ergebnis fotografisch fest- Stuttgart 1979.) halten. Die Lernenden setzen ihre Körper den Architekturen Dertnig, Carola; Seibold, Stefanie: Lets twist again, Perfor- im städtischen Raum in einer bestimmten Haltung entgegen mance in Wien von 1960 bis heute. 2006 und verharren in dieser Haltung für ein paar Minuten. Eini- Export, Valie: Zeit und Gegenzeit: Time and Countertime. 2011 ge Arbeiten von Valie Export werden hier als Einstieg bespro- Fischer-Lichte, Erika: Ästhetik des Performativen. 2004 chen. (Abb. 4) Fischer, Ralph: Walking artists – über die Entdeckung des Ge- hens in den performativen Künsten. 2011 Fazit Goldberg, Roselee: Performance Art: From Futurism to the Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in der Perfor- present, Thames&Hudson. 1988 mance Kunst und in den achtsamkeitsbasierten Übungen ein Lange, Marie-Luise: Grenzüberschreitungen – Wege zur Per- großes Potential für kulturelle Bildung liegt. Auch die Bezie- formance. 2011 hung von Kunst und Alltag hat sich unter dem Einfluss des Lange, Marie-Luise: Performativität erfahren – Aktionskunst Performativen stark gewandelt: Ein Interesse der Künste am lehren – Aktionskunst lernen. 2006 Alltäglichen, am Nicht-Perfekten, am Realen steht wieder im Seumel, Ines: Performative Kreativität: Anregen – Fördern – Vordergrund. Dies ist auch in der Entwicklung des Theaters zu Bewerten. 2015 beobachten. Performative Kunst bedient sich künstlerischer Abb. 3 Kurzperformances Ausdrucksmittel, die nicht wie Schauspiel oder Malerei eine Links: zum Thema Heimat langjährige Ausbildung benötigen, um ästhetisch anspruchs- http://www.ubuweb.com/ volle Ergebnisse zu erzielen. Ein Schwerpunkt zum Performa- https://www.valieexportcenter.at/ tiven im Unterricht kann einen Zugang schaffen, der die Teil- https://www.kubi-online.de/artikel/performativitaet-kulturel- nehmenden dazu ermutigt, ihre Alltagserfahrung und Erfah- le-bildung

Schülerin einzeln platziert sind, folgt die 2. Runde. Die Lage stand (Alltagsgegenstand, keine Lebensmittel) mitgebracht, der Gegenstände auf dem Tuch kann nun jederzeit und von in Zeitungspapier verpackt und mit dem Namen beschriftet. jeder/m Teilnehmenden verändert werden. Dabei darf jeweils Der Gegenstand kann der gezogenen Person entweder ge- immer nur eine Person eine Handlung ausführen, z.B. etwas borgt oder auch geschenkt werden. Alle in Zeitungspapier umlegen, öffnen, verknoten, umtauschen, hin- und herrollen eingewickelten Gegenstände werden auf einen Tisch gelegt. usw. Mit den Gegenständen entstehen Bilder, diese verge- Zunächst erfolgt eine stille Erkundung des Gegenstandes hen wieder und verwandeln sich. Jeder beobachtet aktiv den und eine Bestandsaufnahme durch Skizzen von Form, Mate- fortlaufenden Prozess. Die Gruppe einigt sich nonverbal über rial, Geräusch, ... (5 bis 10 Minuten). Anschließend soll eine einen Endzustand des Bildes. In einer 3. Runde könnten sich Kurzperformance oder eine ungewöhnliche Handlung (1 bis die Teilnehmenden einen Gegenstand nehmen, wobei zufälli- 2 Minuten) mit dem Gegenstand entwickelt und aufgeführt ge oder bewusste Auswahl möglich ist. In einer abschließen- werden. Für diese Übung können außerdem verschiedene den Reflexions-Runde können Aspekte des Zeitempfindens, Gegenstände zur Verfügung gestellt werden: Wolle, Putzzeug, der Objekt- und Handlungsbedeutungen thematisiert werden Alu- und Frischhaltefolie, Haarspray, Spielkarten, Fotos usw. Abb. 4 Körperkonfigurati- und die Handlungen am ausgewählten Gegenstand können in Der Aspekt von Ritualen und Performance kann hier ebenso onen nach VALIE EXPORT Erinnerung gerufen und beschrieben werden. (Abb. 2) genauer thematisiert werden. (vgl. Seumel, Performative Kre- ativität: Anregen – Fördern – Bewerten) Alle Fotos: Surprise, Surprise ©Anne Glassner In der vorhergehenden Unterrichtseinheit zieht jeder Schüler/ Begriffe abstrakt darstellen jede SchülerIn einen Namen aus der Klasse – für die gezoge- Es bieten sich Begriffe mit einem hohen Abstraktionsgrad an ne Person wird bei der nächsten Unterrichtseinheit ein Gegen- wie zum Beispiel: Gruppendynamik, Heimat, Uniformität, Ver-

86 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 87 BEST PRACTICE PRIMARSTUFE BEST PRACTICE PRIMARSTUFE

VERBINDUNGEN zu uns selbst und zu anderen schaffen Die französische Designerin Odely Treboul bezeichnete Häkeln als Zeitraffer ihres Lebens. Denn in der Handarbeit verbindet sich Vergangenes mit Gegenwärtigem – mit Techniken der Vergangenheit wird Neues geschaffen. Die Zeit, die dabei in- vestiert wird, verbringt man mit sich selbst. Während unsere Finger mit Nadeln und Maschen beschäftigt sind, treten wir Abb.1 Handarbeiten – ge- mit uns selbst in Verbindung – in einen Dialog. Handarbeit Abb. 2 Hand, Kopf und rade im digitalen Zeitalter bedingt, dass wir uns bewusst Zeit nehmen, wie wir es der- Herz im Einsatz – beim wieder ein Trend bei Jung zeit in unserer schnelllebigen Zeit nur selten tun. Das Ergebnis künstlerischen Arbeiten und Alt unseres Handels, aber auch unseres Denkens wird im ferti- werden neue Vernetzungen gen Produkt sichtbar – ein über Stunden, Tage oder Wochen im Gehirn geschaffen entstandenes Werk spiegelt die vergangene Zeitspanne der Fertigstellung wider und reflektiert, wer wir in dieser Zeit wa- ren, wer wir mit Abschluss des Werks sind. Dazwischen lie- gen viele Stunden von Arbeit, in der man sich mit sich selbst und der Welt beschäftigt hat. Das ist ein wesentlicher As- pekt im Zeitalter von Instagram und Co, wo das Warten durch So sind es gerade die musisch-kreativen Fächer, die durch die Beschäftigung mit dem Handy verkürzt und die Aufmerk- die intensive Verbindung von Hand, Kopf und Herz möglichst samkeitsspanne der Menschen auf 15 Sekunden reduziert viele Gehirnregionen gleichzeitig ansprechen und dadurch as- Karin Gollowitsch, Elisabeth Rabensteiner wird. Man lenkt sich von sich selbst ab, man verhindert, dass soziatives bzw. konvergentes Denken fördern. (Kolhoff-Kahl, die Gedanken sich mit dem eigenen Ich auseinandersetzen. 2005, S.137) (Haubner und Sharp, Iloveyou – magazine.com) Wenn Kinder frei malen oder werken, finden sie Gestal- Bitte Warten … Die VERBINDUNG Handarbeit, aber auch die Begegnung mit Kunst in all ihren tungslösungen, die sie immer wieder anwenden, wodurch in wird gehalten! Facetten kann hier Abhilfe schaffen. Im künstlerischen (Hand) der Großhirnrinde durch die wiederholenden Tätigkeiten eine Arbeiten treten wir mit uns selbst und mit anderen Menschen kortikale Vernetzung aufgebaut wird. Durch Häufigkeit, Ähn- sowie mit Materialien direkt in VERBINDUNG. Wir entwickeln lichkeit und Wichtigkeit werden unterschiedliche kortikale (gemeinsam) neue Ideen, lassen unsere Gedanken fließen, Vernetzungen entwickelt. So kann das Gehirn Assoziationen Best Practice-Beispiele im Gesamtunterricht in VERBINDUNG Treten“ räumlich und zeitlich unbeschränkt tauschen uns aus und ermöglichen es, unseren Emotionen bilden. Um Kinder kreativ zu schulen, braucht es Raum und der Volksschule, ausgehend von Bildnerischer ermöglicht und digitale Kanäle unsere Aufmerksamkeit ge- Ausdruck zu verleihen. Kunst in all ihren Facetten berührt uns Zeit für Wiederholung, Schemata und Üben von Gestaltungs- Erziehung und Textilem Werken zum Thema: konnt zu binden wissen, bleibt die unmittelbare VERBINDUNG nachhaltig, bleibt in Erinnerung und schafft individuelle VER- lösungen. Das bedeutet, dass die Präparationsphasen lang „Miteinander in VERBINDUNG treten, eine zu anderen Individuen für uns Menschen unverzichtbar. Aus BINDUNGEN. (Abb. 1) und intensiv sein müssen, damit sich überhaupt erst Struk- QuerVERBINDUNG suchen, in VERBINDUNG der Entwicklungspsychologie weiß man, dass bereits in den turen im Gehirn bilden können. Diese Strukturen sollten durch bleiben…“ ersten Lebenstagen eine sichere (VER)BINDUNG zu Bezugs- VERBINDUNGEN im Gehirn schaffen die von Kindern selbst aufgebauten Muster entstehen, da für personen prägend ist. Fehlende VERBINDUNGEN zu Mitmen- Erfahrungen generieren auch neue VERBINDUNGEN von Neu- jedes Kind etwas anderes wichtig ist. (Kolhoff-Kahl, 2005, Die Bedeutungen des Begriffs VERBINDUNG schen machen einsam, und Einsamkeit gilt bekanntlich als zu- ronen im Gehirn. Beim künstlerischen Arbeiten verbinden sich S.139f.) sind vielschichtig: nehmendes Problem unserer Zeit. die beiden Gehirnhälften – jene linke, die für Planung und ana- Eine der wichtigsten Eigenschaften des Gehirns ist die Werden etwa Beziehungen zwischen Menschen als VERBIN- Ausgehend von der Tatsache, dass Kinder derzeit ver- lytisches Denken zuständig ist, mit der rechten, in der primär Neuroplastizität – die Anpassung an neue Inputmuster, sog. DUNGEN beschrieben, die darin bestehen, dass auf gegen- mehrt Zeit unter dem Einfluss digitaler Medien verbringen, Kreativität und Intuition verankert sind. So bildet sich ver- Umweltbedingungen, wodurch sich auch die Verbindungen seitiger Sympathie beruhend, Kommunikation und Austausch wollen wir in Bildnerischer Erziehung und Werken diesbezüg- stärkt eine kreativ und schöpferisch funktionale Einheit. zwischen den Nervenzellen ändern. Für den musisch-kreati- – DIALOGE – stattfinden, tritt doch scheinbar die Bedeutung lich einen ganz bewussten Kontrapunkt setzen, indem hapti- Daher ist es im Unterricht wichtig, nicht nur zu erklären, zu ven Unterricht bedeutet das, neben den Stabilisierungspha- des Wortes VERBINDUNG als soziales Element des Zusam- sche Materialerfahrungen, unmittelbare VERBINDUNGEN mit analysieren oder zu beschreiben, sondern auch das intuitive, sen immer wieder ganz neue Anreize zu geben, damit man menhaltes zwischen Menschen und Gruppen zugunsten von Arbeiten und verstärkte Kooperation und Kommunikation un- gefühlsmäßige Handeln zuzulassen und auch Visualisierungen sich in neuen Techniken, Materialien und Gestaltungen pro- technologiebasierenden Kontexten vermehrt in den Hinter- tereinander in den Vordergrund gerückt werden. und ästhetische Erfahrungen zu nutzen. Da man davon aus- bieren kann. (Kolhoff-Kahl, 2005, S.141) grund. Kindern diesen besonderen Zugang zu sich selbst und zu geht, dass die linke Gehirnhälfte schneller aktiv wird, kann es Dabei ist zu berücksichtigen, dass Lernen langsam vor Im digitalen Informationszeitalter wird das Wort VERBIN- anderen auf unterschiedliche Weise erfahrbar zu machen, ist in Unterrichtsprozessen zu einer Vernachlässigung der rech- sich geht. Durch parallele Erneuerungen kommt es zu plötz- DUNGEN vor allem für Internet, Social Media, Messenger etc. eine Chance, die sich gerade in den künstlerischen Fächern in ten Gehirnhälfte kommen, wodurch elementare Erfahrungs- lichen Entwicklungsschüben, dem sog. „AHA- Effekt“. Auch verwendet. Obwohl die virtuelle Dimension das „miteinander der Volksschule bietet. möglichkeiten verkümmern. beschäftigt sich das Gehirn ständig mit sich selbst, und es bil-

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In der heutigen Zeit gibt der ständige Blick auf die Uhr den zung so, wie man sich das vorgestellt hat, und dann heißt Projektverlauf Takt des Lebens vor – die Zeit bestimmt, wann wir essen, es: von vorne beginnen. Im Zuge eines Lehrausganges in die Grazer Innenstadt beka- schlafen, arbeiten, Freizeit haben. Wenn wir warten müssen Hier bekommt die LehrerInnenpersönlichkeit eine bedeu- men die Schülerinnen und Schüler den Auftrag, Skizzen von Abb. 3 Ein Blick auf Graz (z. B. beim Arzt, auf die Straßenbahn, etc.), werden wir aus tende Rolle, indem sie die entsprechenden Voraussetzungen wichtigen Sehenswürdigkeiten anzufertigen. Gezeichnet wur- durch den Stickrahmen diesem Takt gerissen, es passiert nichts und wir sind auf uns schafft und hemmende Faktoren weitestgehend ausschließt. de unter anderem am Hauptplatz, auf der Murbrücke und in selbst zurückgeworfen. So können die SchülerInnen offen gegenüber neuen Erfahrungen der Herrengasse. Alle Skizzen wurden mit in die Schule ge- Doch wer warten kann, verfügt über Impulskontrolle und ihre individuellen Ideen entfalten. (Kolhoff-Kahl, 2005, S.137ff.) nommen, wo sie Ausgangspunkte für weitere Zeichnungen zeitliche Weitsichtigkeit, so der Psychologe Wittmann. Man In diesem Sinne entstanden die im Workshop präsentier- boten. nimmt in der Gegenwart Dinge in Kauf, um später, in der Zu- ten Best-Practice-Beispiele, die in fächerverbindenden Pro- Am Beginn der nächsten Unterrichtseinheit bereitete eine kunft davon zu profitieren. (Lührs, 2018, S.1) jekten im Gesamtunterricht der Volksschule durchgeführt Studentin einen Stundeneinstieg vor, der die Schülerinnen Walter Mischel bewies dies mit seinem berühmt gewor- wurden. Sie zeigen vielfältige Umsetzungsmöglichkeiten in und Schüler wieder auf das Thema Graz einstimmte. Die Stu- denen Marshmallow-Test. Seine Testung ergab, dass jene der Bildnerischen Erziehung und im Textilen Werken auf und dentin nahm dabei die Rolle einer Touristin ein, die nach Graz Kinder, die schon im Vorschulalter warten konnten, als jun- verweisen auf die kreativen Potentiale der Schülerinnen und kommt, um sich die Stadt anzuschauen. Im Klassenplenum ge Erwachsene zielstrebiger und erfolgreicher in Schule und Schüler in den verschiedenen Schulstufen. (Abb. 3) sammelte man gemeinsam Ideen, welche Orte und Sehens- Mag. Elisabeth Rabenstei- Ausbildung waren. Sie konnten auch besser mit Rückschlä- würdigkeiten der Touristin unbedingt zu empfehlen wären. ner, BEd, Lehramtsstudium gen umgehen, waren sozial kompetenter und seltener dro- VERBINDUNG zur eigenen Stadt mittels Diese Ideen wurden an der Tafel festgehalten. für Volksschule an der genabhängig als jene, die nicht warten konnten. künstlerischer Auseinandersetzung schaffen – Anschließend zeichneten die Kinder mit schwarzem Fineli- Pädagogischen Hochschule Matthias Sutter (Europäisches Hochschulinstitut in Flo- „Wimmelbild GRAZ“ ner, inspiriert durch die Skizzen vom Stadtrundgang, die unter- Steiermark sowie Lehrbe- renz) nennt dieses Gemisch aus Selbstkontrolle, Frustrations- Stellvertretend für die Best-Practice-Beispiele zum The- schiedlichsten Graz-Motive, beispielsweise den Uhrturm, das fähigung für Bildnerische den sich neue VERBINDUNGEN, andere, unbrauchbare wer- toleranz und Ausdauer GEDULD. Geduld bedeutet, dass man ma VERBINDUNGEN wird hier auf das Projekt „Wimmelbild Kunsthaus, die Mur-Insel und vieles mehr auf kleine weiße Erziehung an Neuen den zurückgebildet und somit gelöscht. So lernt das Gehirn in der Gegenwart auf Konsum verzichtet, um in der Zukunft GRAZ“ näher eingegangen. Das Projekt fand im Mai 2019 im Notizzettel. Diese schwarz-weißen Motive wurden ausge- Mittelschulen, Studium der nicht nur bei aktivem Input, sondern immer, v. a. solange die mehr davon zu haben. Man investiert in Bildung, damit man Rahmen der Schwerpunktpraxis Kunst-Form-Art gemeinsam schnitten und in einem gemeinsamen Arbeitsprozess auf ein Kunstgeschichte an der Menschen jung sind. Denn das kindliche Gehirn nimmt alles später bessere Berufschancen hat. (Jiménez, 2014, S.3) mit einer Studentin der Pädagogischen Hochschule Steier- DIN A3 Blatt als Wimmelbild aufgeklebt. Karl-Franzens-Universität auf, was neu, wichtig und relevant erscheint und was die Um- Auch hier kann der bildnerische oder textile Unterricht po- mark in der Privaten Volksschule der Ursulinen in Graz in ei- Um das Wimmelbild GRAZ abschließend zu beleben, Graz, Volksschullehrerin welt zur weiteren Verarbeitung anbietet. sitiv mitwirken und die Geduld und das Durchhaltevermögen ner 3. Klasse statt. Ausgehend vom Sachunterrichtsthema zeichneten die Kinder Menschen, Tiere aber auch Fantasie- an der privaten Volks- Insofern ist es von großer Relevanz, die künstlerisch-krea- schulen. Denn, wie schon oben erwähnt, braucht Kreativi- „Graz – unsere Landeshauptstadt“ war es die Intention, sich wesen, die sie in das gemeinsame Graz-Bild einarbeiteten. Es schule Ursulinen in Graz, tiven Fächer in der Schule zu forcieren. Denn je mehr Aus- tät Zeit. Ein kreativer Unterricht muss dafür die Rahmenbe- diesem Thema gemeinsam mit den Schülerinnen und Schü- wurde so lange „gefeilt“, bis alle Beteiligten mit dem Ergebnis Lehrtätigkeit an der tausch ein junger Mensch während seiner Schulzeit erlebt, je dingungen schaffen – einerseits zum Erlernen und Üben der lern nicht nur literarisch, sondern auch künstlerisch-kreativ zufrieden waren. Dieser kreative Prozess war auch mit Diskus- Pädagogischen Hochschule mehr er sinnlich erfahren hat, desto toleranter wird er später Techniken, andererseits zum Erproben unterschiedlicher Ma- anzunähern. sionen in der Klasse verbunden, der den Kindern soziale Lern- Steiermark im Bereich Mag. art. Karin Gollowitsch, sein und desto differenzierter wird er sich ausdrücken können, terialien, aber auch zum Entwickeln und Finden von Ideen. Es Dabei wurden folgende Ziele in den Fokus gerückt: chancen bot. Schlussendlich konnte jede Schülerin und jeder Bildnerische Erziehung in Studium für Textiles weil sein Gehirn über komplexere Repräsentationen verfügt. ist ein Prozess, der mit der Aufgabenstellung beginnt. Daran u Erkundung der Grazer Innenstadt mit ihren Sehenswürdig- Schüler einen passenden Platz für die eigenen Zeichnungen der Primarstufenausbildung Gestalten und Technisches (Kolhoff-Kahl, 2005, S.146) schließt die Phase der Ideenentwicklung und -findung an, in keiten finden. Alle Beteiligten trugen zum Gelingen des Wimmelbil- sowie Mentorinnentätigkeit Werken an der Kunst- Wichtig dabei ist, dem Kind schon von jungen Jahren an der man nach der Problemlösung sucht – teils unbewusst, u Beobachten, Schauen und Skizzieren mittels Bleistift und des bei. Das fertige Wimmelbild wurde an der Pädagogischen im Schwerpunkt kunst. universität Mozarteum viele gestalterische und ästhetische Ausdrucksmöglichkeiten teils bewusst. Man trägt so viel wie möglich an Informatio- Skizzenblock im öffentlichen Raum Hochschule im Zuge des Schwerpunktes Kunst-Form-Art von form.art Salzburg, Studium für zur Verfügung zu stellen, Interessen zu fördern, differenzierte nen zusammen und entwickelt Ideenskizzen. Dieses Einlas- u Anfertigen von handgezeichneten Graz-Motiven – Aus- einer Studentin mittels Belichtungsverfahren auf ein Sieb- Bildnerische Erziehung an Angebote zu machen und selbst viele eigene gestalterische sen und die Beschäftigung mit der Aufgabenstellung benötigt druck individueller Bildsprache druck-Sieb übertragen. Das ermöglichte für die Schülerinnen der Kunstuniversität Linz, Erfahrungen gemacht zu haben. (Kolhoff-Kahl, 2005, S.148) Zeit. Zeit, die im schulischen Kontext oft rar erscheint oder ist, u Förderung von sozialer Interaktion – Kommunikation und und Schüler die Vervielfältigung ihres Graz-Wimmelbildes. Studienprogrammleiterin Im kreativen Schaffen werden VERBINDUNGEN zur realen die die Kinder aber benötigen. Kooperation innerhalb des Klassengefüges In einer nächsten Unterrichtseinheit bedruckte jedes Kind für Technische und Textile Lebenswelt der Kinder hergestellt und auf unterschiedliche Entschleunigung und womöglich Auflösung des starren u Zusammenarbeit im Rahmen eines kreativen Prozesses – unter Anleitung einer Studentin sein eigenes Graz T-Shirt für Gestaltung an der PH Weise „begreifbar“ gemacht. Vielseitige Materialerfahrungen Stundenplans ist erforderlich, um Kreativität und Einfalls- Treffen gemeinsamer Entscheidungen sich. Diese besonderen T-Shirts trugen alle Kinder der Klasse Steiermark, Lehrtätigkeit ermöglichen unmittelbares Erleben und Wahrnehmen sowie reichtum zum Fließen zu bringen, Ideen zu entwickeln und u Einbringen eigener Ideen in eine Gemeinschaftsarbeit bei einem abschließenden Graz-Ausflug in der letzten Schul- für Textiles Werken und die Möglichkeit eines individuell-schöpferischen Ausdrucks bei der Umsetzung dieser, Erkenntnisse zu gewinnen. Da u Beteiligung aller Schülerinnen und Schüler an einem künst- woche und präsentierten sie auch stolz ihren Eltern. Bildnerische Erziehung in jedes einzelnen Kindes im aktiven kreativen Prozess. (Abb. 2) nicht der erste Entwurf zur Umsetzung gelangt, ist kreative lerischen Endprodukt (Wimmelbild GRAZ) Weiterführend wurde aus dem Wimmelbild GRAZ eine der Ausbildung der Sekun- Arbeit geprägt von Ausdauer, Recherche und Geduld. Eine u Das Siebdruckverfahren als künstlerische Technik kennen- Postkarte gestaltet. Eingefügte Sprechblasen regten die darstufe und Primarstufe, „Bitte Warten …“ – ZEITFENSTER schaffen gute Idee braucht Zeit – BITTE WARTEN! – bis das Ender- lernen und selbst ausprobieren Schülerinnen und Schüler zum kreativen Schreiben über Graz Modedesignerin. Kreative Tätigkeiten brauchen Zeit. Manchmal arbeitet man gebnis vollendet ist. Denn mit dem Entwurf und der Idee ist u Reflexion über Arbeitsschritte und Erlerntes sowie über Er- an. Die Postkarten mit Tipps und Empfehlungen zur Stadt Graz ein paar Stunden an einem Werk, manchmal ist man auch es noch nicht getan, die Idee muss umgesetzt werden. Die fahrungen und entstandene Werke wurden an Familienmitglieder und Freunde adressiert und ver- wochenlang damit beschäftigt. Doch gerade dies fördert Ge- Ausführung der Idee braucht Zeit, Geduld und Frustrations- u Kreative Schreibprozesse zu einem Thema anregen – sandt. Weiters eignete sich das Wimmelbild GRAZ auch dazu, duld und Durchhaltevermögen. toleranz. Nicht immer gelingt beim ersten Mal die Umset- schriftlich kommunizieren von den Kindern bunt gestaltet und ausgemalt zu werden, da-

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schließend wurde exemplarisch praktisch gearbeitet. Da- bei kamen sowohl die für die BÖKWE-Tagung gestalteten GRAZ-Taschen sowie die GRAZ-Postkarten zum Einsatz. Abb. 9 Kommunikation mit Die auf den Taschen und Postkarten jeweils freigehaltenen und über die Kongress- Sprechblasen luden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu Tasche einem künstlerischen DI[GI]ALOG mit sich selbst und ande- ren ein. So entstanden Taschen und Postkarten mit indivi- duellen Botschaften – gestickt, gezeichnet und geschrie- ben, die auf analogem Weg VERBINDUNGEN herstellen sollten – vom Sender zum Empfänger – von Mensch zu Mensch! (Abb. 8–10) „Im Grunde sind es immer die Verbindungen mit Menschen, die dem Leben seinen Wert geben.“ (Wilhelm Humboldt)

Abb. 4–7 Diese Graz- rüber hinaus als Schreibanlass für Geschichten und kreative Wie es zur Gestaltung der BÖKWE Taschen Literatur Taschen können sich Texte. mit Graz-Motiven kam. iloveyou-magazine, Haubner, L., Sharp, B.: Häkeln ist der „tragen“ lassen Abschließend konnten die Schülerinnen und Schüler ihre Aus diesem Schulprojekt heraus entstanden die Graz-Motive Trend für eine Generation, die jedes Zeitgefühl verloren Lernerfahrungen in einer besonderen Form der Reflexion er- für die siebgedruckten Kongresstaschen, die auf der BÖKWE- hat, abgerufen am 10.12.2019 von https://iloveyou-maga- läutern. Dazu verwandelte sich die Klasse in ein fiktives „Fern- Tagung 2019 an alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer verteilt zine.com/articles/lou-de-betoly-trend-crochet sehstudio“. Die Schülerinnen und Schüler bekamen die Mög- wurden. Die von den Kindern gezeichneten Graz-Motive soll- Kolhoff-Kahl, I., Textildidaktik. Eine Einführung, Auer Verlag, lichkeit, ihre Arbeiten und ihr durch das Projekt gesammeltes ten die Kongressbesucher und Kongressbesucherinnen mit 2005 Wissen in einer „Talkshow“ zu präsentieren. Die Lehrperson der Stadt Graz verbinden, die eingearbeiteten Sprechblasen Manager Magazin, Lührs, G.: „Hohe Luft“. Wer warten kann bzw. eine Studentin leitete den Unterricht, indem sie die Rolle sollten dem Kongresstitel entsprechend zum DI[GI]ALOG un- bleibt Herr der Lage – Soft Skills für den Beruf, Ausgabe Welt, Jiménez, F.: Alles kommt zu dem von selbst, der warten der Moderatorin einnahm und durch Fragen die Präsentation tereinander anregen. (Abb. 4–7) 5/2018, abgerufen am 10.12.2019 von https://www.ma- kann, 2014, abgerufen am 10.12.2019 von https://www. lenkte. In Form eines Fernsehinterviews konnten alle Kinder nager-magazin.de/lifestyle/artikel/warum-warten-koen- welt.de/gesundheit/psychologie/article125368166/Alles- Rückmeldung zu diesem Projekt geben. Workshopverlauf bei der BÖKWE Tagung nen-eine-wichtige-kompetenz-ist-a-1212464.html kommt-zu-dem-von-selbst-der-warten-kann.html Durch derart fächerverbindende Projekte können Unter- Im Workshop „Bitte warten … Sie werden verbunden!“ richtsthemen aus unterschiedlichen Blickwinkeln heraus für wurden Best-Practice-Beispiele vorgestellt, die in fächer- Kinder nachhaltiger und stärker erleb- und erfahrbar gemacht verbindenden Projekten im Gesamtunterricht zum The- werden. ma „VERBINDUNGEN“ durchgeführt worden waren. An-

Abb.10 Post aus Graz direkt vom BÖKWE-Kongress – handschriftliche Nach- richten werden im digitalen Zeitalter seltener…

Abb. 8 Hier findet DI[GI] ALOG statt – TeilnehmerIn- nen beim Diskutieren und Arbeiten

92 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 93 IMPRESSIONEN EINES GELUNGENEN DIALOGS IMPRESSIONEN EINES GELUNGENEN DIALOGS

Abb. 13: Theorie und Abb. 22 Studierende praktische Anwendung im Gespräch mit Gerald Lembke

Abb. 12 Posterpräsen- tation Studierende der Universität für ange- wandte Kunst

Abb. 14: Theorie und praktische Anwendung

Abb. 18 Wolfgang Ranft (D), digitale Fußspuren auf Wurzers Touchscreen

Abb. 16 Maria Schuchter, Redaktion des Fachblattes Abb. 19 Neueste Kollek- und Helmut Nindl tion von Elke Steffen Kühnl, international renommiertes Modelabel „ardea luh“ made in Graz

Abb. 15 Joachim Penzel, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, präsen- tiert das Hallische Modell

94 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 95 ERFAHRUNGSWERKSTATT ROBOTIK ERFAHRUNGSWERKSTATT ROBOTIK

Genau dieser spiralcurriculare Ansatz war die Ursprungs- stehen. Bereits im Kindergarten können die Themen spiele- idee bei der Erstellung der Erfahrungswerkstatt. Aus der Sicht risch aufgegriffen und aus mehreren Gesichtspunkten einge- des technischen Werkens, wo der Begriff Spiralcurriculum setzt werden. Das Verbalisieren von Ideen, von Anleitungen, von Gustav Zankl gerne verwendet wird, macht dieser Zugang von Vorstellungen deckt viele Bereiche der Bildungsaufträge Sinn und bietet dieser Thematik auch eine Vielfalt neuer Mög- der Kleinkindpädagogik ab. lichkeiten, stellt ihn allerdings auch vor neue Herausforderun- Das Gymnasium Hartberg (e-Educational-Expert-Schule) gen. Viele Begriffe, viele praktische Beispiele müssen in die erstellte unter der Federführung von Friedrich Sauer gemein- Richtung Computational Thinking, Robotik und Coding neu ge- sam mit SchülerInnen des Gymnasiums und der BAfEB ein dacht werden. Das Grundwissen über verschiedene Themen Programm für einen Robotik Workshop, der im Kindergarten aus dem Bereich „Elektrischer Stromkreis“ ist ein wesentli- angewandt wurde und eine hervorragende Grundlage für die Abb. 1 Ampelsteuerung – cher Teil für die darauf aufbauenden digitalen Möglichkeiten. Arbeit mit Kleinkindern bietet. Bereits in diesem Workshop Schülerarbeit Anhand von zwei Beispielen soll gezeigt werden, wie die- lernen Kleinkinder eine Vielzahl von Plattformen kennen, die (Bildcredit Christian Groß) sem Amliegen Rechnung getragen werden kann. sie im späteren Bildungsweg erneut finden sollten.

Ampel Infobox Scratch Das Verständnis einer Ampel kann im Rahmen der Verkehrs- Im Jahr 2007 veröffentlichten Mitarbeiter der „Lifelong Kin- erziehung erarbeitet werden („Welche Farben zeigen vier Am- dergarten Group at MIT Media Lab“ die Programmiersprache peln wann an einer Kreuzung“). Im Werkunterricht der VS Scratch. Scratch zielt darauf ab, jungen Menschen dabei zu Christian Groß, BEd, hat kann eine vereinfachte Ampelschaltung hergestellt werden, helfen, kreativ zu denken, systematisch zu schließen sowie nach der Ausbildung Christian Groß dabei wird man aber feststellen, dass sich eine Ampelschal- miteinander zusammenzuarbeiten. Dies wird auf der Plattform an der HTBLA Weiz tung mit den bekannten Möglichkeiten der Primarstufe nur von Scratch als grundlegende Fähigkeit für das Leben im 21. für Maschinenbau und eingeschränkt herstellen lässt. Jahrhundert bezeichnet. Umwelttechnik das Erfahrungswerkstatt Robotik Wie kann eine Ampel anders hergestellt werden? Diese Scratch bietet sich als eine der ersten Plattformen für Pro- Studium für das Lehramt „Nichts ist so beständig wie der Frage kann man sich in der Sekundarstufe 1 stellen (z.B. Am- grammieren an, da alles bildbasierend erfolgt. So können Kin- an Sonderschulen an der pel aus einer Blechdose). Dabei erfolgt die Schaltung der Am- der verschiedenste Aufgaben bearbeiten, lösen oder eigene Pädagogischen Akademie Wandel.“ (Heraklit) oder „Wer nicht mit pel durch Drehen der Blechdose und „Schleifkontakte“. Dieser Ideen umsetzen. Sie können eigene Geschichten erstellen der Diözese Graz Seckau der Zeit geht, geht mit der Zeit.“ Schaltung folgend kann nun, basierend auf diesem Wissen, und auch verbalisieren, ebenso einfache Spiele programmie- absolviert. Nach sieben eine digitale Ampel folgen (aus Basis Microbit, Arduino, …). ren. Mit einer eigenen Onlineplattform steht eine weltweite Jahren als Ausbildungslei- (Abb. 1) Community zur Verfügung. Alle weiteren Programmierspra- ter einer Lehrwerkstätte im Computational thinking, Coding, Robotik, digi- auf die sich wandelnde Umwelt vorzubereiten, ob diese uns Ein anderes Beispiel sind Zahnräder und das Thema Über- chen, die in der Erfahrungswerkstatt verwendet werden, Metall- und Elektro-Bereich tale Grundbildung. Viele neue Begrifflichkeiten gefällt oder nicht. Damit dies möglich ist, wurde die Idee der setzung. Anfangs lernen Kinder die Funktionsweise kennen basieren auf Scratch. Ein Vorwissen, das Kinder schon früh wechselte er in die Schule. prasseln derzeit auf das Bildungssystem ein. An Erfahrungswerkstatt Robotik geboren und im Rahmen der und konstruieren damit Werkstücke (z.B. ein Karussell). Eine sammeln können, wirkt sich daher positiv für alle weiteren Als Integrationslehrer vielen Stellen wird diesen Begriffen mit Skep- BÖKWE-Tagung angeboten. Ohne dies mit Zahlen belegen zu Anwendung im Bereich der Robotik kann ein Lego-Boost-Ro- Plattformen aus. Ein früher Beginn mit Scratch kann also eine arbeitet er an der NMS Für- sis und beinahe Angst begegnet. Dabei leben können und nur dem subjektiven Eindruck geschuldet, stehen boter sein, der aufgrund des Programms zu schnell fährt. Die großartige Grundlage bilden. Egal ob die jeweilige Software stenfeld, wo er u.a. auch wir längst in einer Welt, die von Produkten die- viele PädagogInnen aller Bildungsebenen diesem Thema re- Aufgabenstellung für die Kinder und Jugendlichen kann nun von Lego, S4A (Scratch for Arduino), MBlock oder Ardu Block, für die Implementierung ser Begriffe geprägt ist. Kleinkinder wachsen serviert gegenüber, da sie keinen Kontakt mit den vielfältigen lauten: „Wie kann ich, ohne das Programm zu ändern, die Ge- Make Code Editor oder Ozo Blocky stammt – alle weisen Ähn- des Gegenstandes Coding mit dem Smartphone auf. Volksschulkinder ver- Möglichkeiten haben. schwindigkeit des Roboters drosseln?“ lichkeiten mit Scratch auf. und Robotic verantwortlich wenden zuhause Mamas Handy als Nachschla- Im Rahmen der Erfahrungswerkstatt wurden eine Idee und Ein wesentlicher Aspekt ist, Kinder sollen eigene Überle- Die Programmiersprache MBlock bietet in dieser Samm- ist. Seit 2012 ist er auch gewerk, um ihre Interessen zu befriedigen. Kin- ein Konzept vorgestellt, wie diese Themen von Beginn an Teil gungen anstellen dürfen, wie sie die einzelnen Probleme lösen lung den großen Vorteil, dass sie einerseits auf Scratch ba- im Fachbereich Technische der ab etwa sieben Jahren bauen Roboter und der Bildung sein können, und welche vielfältigen Möglichkei- können und dies verbalisieren, sowie Prognosen anstellen, siert, andererseits aber bereits einen Code generiert, der den Bildung an der KPH Graz programmieren diese mit dem Tablet. Die Reali- ten es dazu gibt. Die Erfahrungswerkstatt und dieser Text stel- wie das Ergebnis aussehen wird und ihre Lösungswege do- Kindern und Jugendlichen einen ersten Einblick in die Welt und PHST tätig. Als drei- tät ist, dass unsere Kinder und Jugendlichen in len keinen Anspruch auf Vollständigkeit der Plattformen. kumentieren. Als PädagogIn tritt man in solchen Bereichen in des textbasierten Programmierens gibt. (Abb. 2) facher Familienvater, Lehrer vielen Bereichen aktive, auch spielende Nutzer Die Dagstuhl-Erklärung, eine Forderung der Gesellschaft für die Rolle eines Trainers, der hilft, die Gedankengänge der Kin- und Lernender setzt er sich dieser neuen Möglichkeiten sind. Informatik, stellt konkrete Anforderungen an die Akteure im Bil- der zu verstehen, und der bei Bedarf helfend zur Seite steht, Erste Schritte in eine spannende Welt mit den unterschiedlichen dungswesen. Einer zentralen Forderung aus dieser Erklärung der aber nie seine Lösung preisgibt. Um den Einstieg in das Thema Robotik und Coding zu finden, Einsatzmöglichkeiten Ziel einer digitalen Grundbildung darf es natürlich nicht sein, soll mit dieser Erfahrungswerkstatt begegnet werden: „Digitale benötigt man keine spezielle Hardware, vielmehr geht es um von Robotic und Coding Programmierer auszubilden, so immer wieder die Angst von Bildung im eigenständigen Lernbereich sowie innerhalb der an- Spiralcurricularer Aufbau das Verbalisieren von Anleitungen und das Befolgen von An- auseinander. Kleinkindpädagoginnen und VolksschulpädagogInnen. Ziel deren Fächer muss kontinuierlich über alle Schulstufen für alle Ein spielerischer Beginn soll am Anfang der digitalen Grund- weisungen. Diese können je nach Altersstufe einfach oder muss sein, Kinder mit dieser Thematik zu konfrontieren, sie SchülerInnen im Sinne eines Spiralcurriculums erfolgen.“ bildung, des Computational Thinking, von Robotik und Coding komplex sein. Für Kinder im Kindergarten kann es das Fern-

96 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 97 ERFAHRUNGSWERKSTATT ROBOTIK ERFAHRUNGSWERKSTATT ROBOTIK

Für diesen Fall sind Sticker erhältlich, die die Farbcodes Schwerpunkt des Unterrichts bilden. Vielmehr macht es Sinn, aufgedruckt haben und von den Kindern in die verschiedenen Problemstellungen zu wählen, die von Kindern und Jugendli- Parcours eingeklebt werden. Es steht auch eine App zur Ver- chen gelöst werden können. Das Nachfertigen von „Werkstü- fügung, in der die Farbcodes mit den Fingern in Position ge- cken“ und Verwenden von fertigen Programmierblocks würde bracht werden. Der Ozobot fährt danach auf dem Bildschirm genau in die falsche Richtung führen. des Tablets. Ab Version 2 sind die Ozobots programmierbar. Mit der Lego Boost und Lego Mindstorm Programmiersprache Ozoblocky können Kinder die kleinen Lego Boost bietet den Kindern eine altersgerechte App, über Roboter frei programmieren. Die Programmiersprache ist die sie in die Programmierung eingeführt werden. Während stark an Scratch angelehnt, was Kindern, die bereits Er- hier anfangs das Nachbauen und Nachprogrammieren mög- fahrungen mit Scratch gemacht haben, das Programmieren lich sind, können die wesentlichen Bestandteile auch sofort leicht macht. für eigene Ideen herangezogen werden. Der Vorteil von Lego Abb. 2 Programmierspra- steuern eines anderen Kindes sein (das z.B. einen Parcours Eine Homepage bietet dazu ebenfalls verschiedene Mög- liegt darin, dass die Art und Weise, wie gebaut wird, bei vie- che MBlock, zu sehen blind abgehen muss). lichkeiten, in denen Kinder angeleitete Schritte nutzen kön- len Kindern bekannt ist. (Abb. 4) sind die bildbasierte Pro- nen, um erste Erfahrungen zu sammeln. Lego Boost bietet einen ersten Einstieg in die konstrukti- grammierung links und der Robo-Maus und Bee-Bot Bevor nun die komplexeren Plattformen wie Lego Boost, ve Welt des Codings und der Robotik. Haben Kinder bisher daraus entstandene Code Während die Bee-Bots einen hervorragenden Ruf genießen Lego Mindstorm, Microbit oder Arduino beschrieben werden, gelernt, fertige Roboter zu steuern bzw. zu programmieren, links (Bildcredit mBLock und in perfekten Sets zum Kauf angeboten werden, fristet hier ein kurzer Exkurs über den Einsatz der bisher vorgestellten kommt jetzt der technische Aspekt hinzu. Von einfachen fahr- Software Screenshot die Robo-Maus ein unbekanntes Dasein. Die Robo-Maus ist und folgenden Plattformen: baren Platten bis hin zu komplexeren technischen Problemen Christian Groß) deutlich billiger als die Bee-Bots, ist aber schwerer zu finden. Das Verwenden der Plattformen ausschließlich nach An- können Aufgaben gestellt werden. Durch die Vielfalt ist es Man muss allerdings zugeben, dass die Robo-Maus um eini- leitungen (egal ob im Internet oder Manualen) ist in der Phase auch wieder leicht, Differenzierungsmaßnahmen zu finden ges ungenauer ist als die Bee-Bots. Dennoch können mit der der Einführung sicher vertretbar. Danach allerdings sollen die und sie Kindern anzubieten. Lego Boost bietet sich für einige Robo-Maus viele einfache Ideen umgesetzt werden. (Abb. 3) Kinder auf jeden Fall selbstständig Problemstellungen lösen. Themen des Lehrplans der Volksschule an. Der Einsatz von Sowohl Bee-Bots als auch Robo-Maus sind hervorragend Kinder können untereinander Aufgabenstellungen kreieren, Lego Boost kann aber durchaus auch in anderen Gegenstän- geeignet, um vom Kindergarten an eingesetzt zu werden und die danach gelöst werden müssen. Sobald ein Problem ge- den, wie dem Sachunterricht, erfolgen. erste Schritte in die Welt des Codings zu unternehmen. Durch löst ist, macht es wenig Sinn, wenn die Lehrperson mit der Lego Mindstorm baut auf den Erfahrungen von Lego Boost den Einsatz von Kärtchen oder Würfeln wird es Kindern leich- eigenen Lösung kommt und diese dem Kind als beste Lösung auf, bietet allerdings eine etwas komplexer wirkende Soft- ter gemacht, Vorgänge und gewünschte Tätigkeiten zu ver- verkauft. Wenn die Lösung des Kindes funktioniert, dann ist ware. Dabei ist es nötig, über ein bestimmtes Maß mathe- balisieren. das Problem gelöst. Mit zunehmendem Verständnis der Platt- matischen Wissens zu verfügen (Winkel,…). Ähnlich wie bei Mit den diversen Matten, die erhältlich sind, können Bee- formen können die Kinder durchaus auch den Auftrag bekom- Lego Boost ist der Grundgedanke des Herstellers anschei- Bots auch sehr gut in unterschiedlichen Fächern eingesetzt men, bestimmte Programmteile zu optimieren. nend, fertige Lösungen nachzubauen. Die Programmierung werden und verschiedene Arten des Denkens und Problem- Die Verwendung von komplett vorgefertigten Lösungen, erfolgt in dieser Phase einer Anleitung folgend. Dieser Zugang lösens fördern. Egal ob in Mathematik Strecken gemessen, wie sie im Internet häufig angeboten werden, darf nicht den ist für die Schule nicht empfehlenswert. Eine auf Lego Boost berechnet oder optimiert werden oder ob auf Landkarten An- aufbauende Einführung der Bauteile und deren Programmie- weisungen verbalisiert werden, die Bee-Bots machen dies rung macht die Kinder und Jugendlichen mit der Hard- und möglich. Ein weiterer großer Vorteil sind die vielfältigen Erfah- Software vertraut. Es liegt danach an den PädagogInnen, die- rungen, die geteilt werden und so einer großen Nutzeranzahl ses Wissen in Problemstellungen zu transferieren, die für Kin- zugänglich gemacht werden können. der spannend sind. Schulen gut im Sachunterricht sowie im Werkunterricht ein- Abb. 4 Lego Mindstorm Eine weitere Plattform, die sich ab dem Kindergartenalter Als besonders positiv ist zu bemerken, dass es mit der gesetzt werden. Man ist geneigt, Lego WeDo mit den Fischer (Bildcredit robot-Bild von anbietet, sind Ozobots. Die kleinen Roboter, die in Version 1 First Lego League und dem Robocup zwei große Veranstaltun- Technik Kästen aus den 1970er und 1980er Jahren des 20. LaterJay Photography auf mit Hilfe von Farbsensoren gesteuert werden, ermöglichen gen gibt, die nach dieser Grundidee arbeiten. Jahrhunderts zu vergleichen. Pixabay) es, auf viele Arten das problemlösende Denken zu schulen. Sowohl für Boost als auch WeDo gilt aber, dass es Sinn So kann auf Papier mit Farbmarkern gearbeitet werden. Da- Lego WeDo macht, zusätzliche Bausteine, Zahnräder, Achsen, … zu kau- bei zeichnen die Kinder vorgegebene Farbcodes (z.B. rot-blau- Während Lego Boost als „Spielzeug“ verkauft wird, wird mit fen und den Kindern und Jugendlichen zur Verfügung zu stel- grün bedeutet „fahre schneller“) in verschiedenen vorgegebe- Lego WeDo ein speziell für Schulen gestaltetes Paket ange- len. Die Wahl für eines der beiden wird sicher auch im Hinblick Abb. 3 Bee-Bot (Bildcredit nen oder in komplett selbst gezeichneten Strecken ein. Die boten. WeDo bietet den Vorteil, dass fertige Aufgabenstel- auf den Einsatz erfolgen. Sollen Probleme gelöst werden ohne beebot-Bild von noratheone Farbcodes müssen dazu allerdings relativ genau gezeichnet lungen mitgeliefert werden, durch das Fehlen von einer aus- viel Zusatzmöglichkeiten, ist WeDo vorzuziehen, soll jedoch auf Pixabay) werden, was kleine Kinder oder Kinder mit Einschränkungen reichenden Anzahl an Lego Bausteinen ist die Anwendung das Design und die Gestaltung mitbedacht werden, kann es oder Störung der Feinmotorik ausschließt. auf kleine Modelle beschränkt. Dennoch kann Lego WeDo für sinnvoll sein, Lego Boost zu verwenden.

98 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 99 ERFAHRUNGSWERKSTATT ROBOTIK ERFAHRUNGSWERKSTATT ROBOTIK

Als Zusatzmaterial gibt es speziell für den Mircrobit fertige Ausblick lien und Möglichkeiten zeigt allerdings, dass diese Scheu oder Sets, die u.a. den Bau eines Fahrzeuges ermöglichen, aber Im Rahmen der digitalen Grundbildung darf heute kein Weg gar Angst unbegründet ist. Es steht ein niederschwelliges Fort- auch Forscher Kits, die mit einem Breadboard (Steckboard) mehr an diesen Inhalten vorbeiführen. Der Zugang soll aller- bildungsangebot zur Verfügung. Ebenfalls bieten sich ERAS- verschiedene Sensoren und Bauteile verbinden können. dings nicht nach Prinzip von Werkpackungen erfolgen, son- MUS+ LehrerInnenmobilität, eTwinning Projekte oder ER- dern die Problemlösungskompetenz der Kinder stärken. Eigene ASMS+ SchülerInnenmobilität an, um in die Welt der Robo- Arduino UNO R3 Ideen anbahnen und umsetzen ist eine wesentliche Fertigkeit, tik und des Codings einzutauchen. Wesentlich wird allerdings Eine weitere Plattform ist der Arduino. Dieser im Jahr 2005 die heranwachsende junge Menschen benötigen. Die Scheu sein, dass es gelingt, auf allen Ebenen der Bildung tätig zu wer- entwickelte Einplatinencomputer ist quelloffen. Der Arduino oder Angst vor Inhalten wie diesen ist vermutlich weit ver- den, denn was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. ist im Vergleich mit dem Microbit etwas umfangreicher aus- breitet. Eine Auseinandersetzung mit den einzelnen Materia- In diesem Sinne, start Coding! gestattet. So stehen am Arduino 14 digitale I/O Ports für die Steuerung zur Verfügung. (Abb. 6) Ebenfalls finden sich fünf analoge Eingänge, die Messwerte von Sensoren verarbeiten können. Dadurch ist es möglich, Kindern und Jugendlichen eine Vielzahl von Aufgabenstellungen anzubieten. Mithil- fe von Breadboards oder Übungsplatinen können SchülerIn- nen Schritt für Schritt an das Coding herangeführt werden. So können anfangs Übungen zum Thema Steuerung (Ampel- steuerung) oder zum Einführen von Variablen (Zufallsgenera- tor) durchgeführt werden. Danach kann die Einbindung von Sensoren erfolgen. Die beinahe unbegrenzte Vielfalt kosten- günstiger Sensoren bietet hier eine große Möglichkeit von Anwendungen. Eine Begrenzung ist am Anfang nur dadurch gegeben, dass nicht alle Sensoren kompatibel mit S4A oder MBlock sind. Diese können nur mit der Arduino spezifischen Programmiersprache (ähnlich C++) verwendet werden. Dazu finden sich allerdings im Internet genügend Informatio- nen, die sich Kinder und Jugendliche selbst besorgen können oder von der Lehrperson vorab eingeholt werden müssen. Aufgrund der großen Auswahl an Sensoren und Aktoren kann der Arduino hervorragend im Werkunterricht der Se- kundarstufe 1 eingesetzt werde. Viele Grunderfahrungen aus Abb. 5 Microbit (Bildcredit Microbit dem technischen Werkunterricht können, im Sinne des spi- microbit-Bild von John- Der Microbit wurde von BBC mit dem Hintergedanken ge- ralcurricularen Zugangs, die Grundlage bieten, um Probleme nyAndren auf Pixabay) schaffen, dass Kinder mit einem günstigen Gerät den Einstieg mit digitalen Mitteln zu lösen (Ampel) oder zu verbessern Abb. 6 Arduino (Bildcredit in die Welt des Programmierens schaffen können. Der Micro- (Schranken mit Annäherungserkennung oder RFID Technik). arduino-Bild von hale- bit bietet den großen Vorteil, dass erste Schritte ganz ohne Der Einsatz von Arduino und & Co bieten auch Möglichkeiten, jandropmartz auf Pixabay) Zubehör, nur mit der integrierten LED-Matrix gemacht wer- das Löten anzuwenden sowie projektorientiert oder in Projek- den können. Außerdem steht ein Buch zur Verfügung (Gra- ten zu arbeiten. tis-Download im Internet), in welchem Aufgabenstellungen aus allen Unterrichtsfächern zusammengefasst sind. (Abb. 5) Aus der Praxis Der Microbit ist mit zwei belegbaren Tastern, einem Be- Die Nutzung von Hardware ist immer mit Kosten verbun- schleunigungssensor sowie einem Magnetometer ausgestat- den. Lego Produkte sind preislich im oberen Preissegment zu tet. Zusätzlich stehen drei Eingänge und zwei Ausgänge für finden. Ozobot, Bee Bots oder Make Block Produkte finden die Stromversorgung von externer Hardware zur Verfügung. sich im Mittelfeld. Am günstigsten sind Produkte wie Micro- Somit bietet der Mircrobit die Möglichkeit, ohne zusätzli- bit oder Arduino, für die allerdings Zubehör bezogen werden che Hardware verschiedene Aufgaben zu lösen. Darüber hin- muss. Dies ist je nach Bezugsquelle sehr günstig oder im aus können begrenzt externe Sensoren oder Hardware ange- preislichen Mittelfeld zu finden. Die Möglichkeit, bestimmte schlossen werden. Komplexere Aufgaben sind mit dem Mi- Produkte über „Unterrichtsmittel eigener Wahl“ zu beziehen, crobit nicht oder nur begrenzt möglich. ist mittlerweile gegeben.

100 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 101 TEXTILWORKSHOP SPITZE TEXTILWORKSHOP SPITZE

Abb. 3 Peter Paul Rubens – Familie van Jan Brueghel de Oude - „Mühlstein- krausen“ Abb. 4 Weltmuseum Wien: Verhüllt, enthüllt! Das Kopf- tuch „Wiener Chic“ 2018, Susanne Bisovsky

Abb. 5 Materialauswahl und individuelle Lösungen

Christine Guttmann TEXTIL UNPLUGGED Spitze, dass du da bist – ein Workshop im Rahmen der Tagung Di(gi)alog

Ziel dieser Sinneswerkstatt war es, dass die Spitze, dass du da bist – textile Botschaften Teilnehmer/innen selbst erfahren, wie man Textile Redewendungen zeigen uns, wie textile Begriffe und eine thematisch vorbereitete Umgebung im Techniken in unserem kulturellen Gedächtnis verankert sind. Fachunterricht Werken organisieren und zu Von der Nabelschnur bis zum Totenhemd begleiten uns Tex- Dipl. Päd. Christine individuellen textiltechnischen Lösungen kom- tilien bzw. assoziative Begrifflichkeiten, die mit dem Textilen Guttmann, Textile Wer- Abb. 1 und 2 Ergebnisse men kann. Als Beispiel dafür wurde das Jah- verbunden sind. Spitze, dass du da bist – Tüllreste, Spitzenreste, Glitzerstoffe, Perlen, Gold- und Sil- kerziehung PS und NMS, der Kinder 2018 aus der resthema des Augustinums 2018 Spitze, dass Wir sind alle gut vernetzt, wollen den roten Faden nicht Phasen des Workshops: berfäden, Fäden, Stecknadeln, Sicherheitsnadeln, Sche- seit 2010 an der PS der reformpädagogischen du da bist gewählt. (Abb. 1–2) verlieren, kehren etwas unter den Teppich, strecken uns nach 1. Anhand von Bildmaterial nähern sich die Teilnehmer/innen ren, Papierteller. KPH und Lehrbeauftragte Praxisvolksschule der KPH der Decke, lassen die Finger vom Stoff und verstricken uns in der Thematik u Die Teilnehmer/innen können nun die unterschiedlichen der KPH/Graz im Bereich Im Fokus solcher Lernumgebungen soll der kindliche Forscher- diverse Abenteuer. u Begriffserklärung Spitze Stoffe untersuchen, bewusst wahrnehmen, sie angreifen, Textildidaktik und fachdi- drang stehen. Die Möglichkeit, mit textilen Materialien zu expe- Durch die Verflechtung von praktischem Tun und intellek- u Kulturgeschichte der Spitze (Abb. 3) spüren, damit experimentieren und schließlich für die ei- daktischer Werkstatt. rimentieren und ihre Eigenschaften kennen zu lernen, steht im tueller Auseinandersetzung mit Texten mittels Interpretation u Spitze in der Kunst /aktuelle Ausstellungen (Abb. 4) gene Arbeit auswählen. www.pvs.augustinum.at Zentrum der Bemühungen. Allein das Wahrnehmen, Hantieren, und Reflexion, soll sowohl die sensomotorische als auch die u Beispiele Textiler Redewendungen 3. Individuelle Erarbeitung eines textilen Objekts zum Thema Ordnen, Beobachten, Experimentieren, Erforschen, Spielen, Er- kognitive und emotionale Dimension angesprochen werden 2. Erforschung der Sinneswerkstatt u Auf einem Papierteller stellen sich die Teilnehmer/innen proben von und mit Materialien ist ein wichtiger Lernprozess. und so zu umfassenderen Erfahrungen führen. u Auf den Gruppentischen befinden sich Materialien wie z.B. ihren Orden zusammen. Dazu können sie aus dem Ange-

102 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 103 TEXTILWORKSHOP SPITZE DO-IT-YOURSELF

Victoria Hamberger Zauberstäbe und Bögen Die Nachahmung von Elementen aus Fantasyfilmen in DIY-Video-Tutorials

Etwas mit den eigenen Händen selbst her- des Forschungsfelds wurde 2015 von dem Medienpädagogen zustellen, selbst zu gestalten, ist nach wie Karsten D. Wolf vorgenommen. Videos, die als Onlineforma- vor ein zentraler Bereich im Unterricht prak- te vorliegen und in Eigenproduktion erstellt wurden, unterteilt tisch ausgerichteter Fächer. Parallel dazu ist Wolf in Erklärvideos, Video-Tutorials und Performanzvideos. Victoria Hamberger, das Selbermachen in seinen verschiedensten Während sich Erklärvideos vor allem durch Erläuterungen abs- Universität Mozarteum Formen auch Teil der Lebenswelt vieler Men- trakter Konzepte und Zusammenhänge oder Erklärungen, wie Salzburg, studierte von schen. Unter dem Begriff DIY, Do-it-yourself, etwas gemacht wird oder wie etwas funktioniert, auszeich- 2011 bis 2016 Bildnerische die englische Phrase für Mach-es-selbst wer- nen, zeigen Video-Tutorials als Subkategorie von Erklärvideos Erziehung und Technisches den verschiedene Themen und Tätigkeiten des vollständige Handlungen, die explizit zum Nachmachen vorge- Werken an der Universität Selbermachens zusammengefasst. macht werden. In Abgrenzung dazu dient das Zeigen von Fer- Mozarteum Salzburg. Von tigkeiten in Performanzvideos ohne didaktische Aufbereitung 2014 bis 2018 betreute Das Selbermachen als ein nach wie vor anhaltendes Phänomen vor allem der Selbstdarstellung.7 sie die ÖH-Galerie Das einer Wohlstandsgesellschaft, dessen Ursprünge in den USA Als Erweiterung dieser Kategorien lässt sich das von Wolf Zimmer am Mozarteum. liegen1, hat vor allem in den letzten Jahren durch die digitalen nicht erwähnte Format der DIY-Video-Tutorials verstehen. Um Nach Absolvierung des Möglichkeiten eine neue Form der Verbreitung erfahren. Wäh- die Charakteristika dieser Kategorie hervorzuheben, soll hier Unterrichtspraktikums rend sich in den Anfängen des DIY mit Ende der 1950er Jahre2 eine definitorische Annäherung versucht werden, wobei zu unterrichtete sie am ambitionierte Heimwerkerinnen und Heimwerker Anregungen, beachten ist, dass die von Wolf aufgestellten Kriterien inner- Musischen Gymnasium Ideen und Anleitungen aus Zeitschriften, wie dem Do-it-your- halb der einzelnen Kategorien als fließend betrachtetet wer- in Salzburg und ist derzeit self-Magazin Selbst ist der Mann, das erstmals 1957 erschien3, den müssen, da viele Aspekte ineinander übergehen. als Lehrerin für die Fächer holen konnten, stehen heutzutage Schritt-für-Schritt-Anleitun- Im Unterschied zu Erklärvideos oder Video-Tutorials ist er- Werk- und Kunsterziehung gen zu verschiedensten Themen des Selbermachens im (au- kennbar, dass in DIY-Video-Tutorials das Selbermachen von an einer Realschule in Ba- dio)-visuellen Format, in sogenannten Video-Tutorials, im Inter- Gegenständen im Vordergrund steht. Dabei ist der Entste- yern tätig. Seit 2017 ist sie net kostenlos zur Verfügung. Im Unterschied zu professionell hungsprozess des selbstgemachten Gegenstands vom An- Universitätsassistentin an erstellten Lehrfilmen mit einem hohen didaktischen Gestal- fang bis zum fertigen Produkt zu sehen. Oft wird das ferti- der Universität Mozarteum tungsaufwand zeichnen sich diese Videos, in denen Anleitun- ge Produkt bereits zu Beginn des Videos präsentiert. Sowohl Salzburg und beschäftigt gen gezeigt werden, durch einen informellen Kommunikations- das verwendete Material als auch die eingesetzten Techni- sich in ihrer Dissertation stil aus: Der Betrachter, die Betrachterin wird fast ausschließ- ken werden gezeigt und die einzelnen Abläufe sind Schritt für mit Wahrnehmung Mate- lich geduzt und Erklärungen werden oft mit Humor unterlegt.4 Schritt so aufbereitet, dass der Gegenstand nachgemacht rieller Kultur, DIY Video- Abb. 6 Materialauswahl bot der Materialien wählen und mit Stecknadeln vorläufig zeugenden Ergebnissen kamen. Gleichzeitig konnten sie Im Unterschied zu herkömmlichen Instruktionsformen, wie sie werden kann. Ergänzt werden die Anleitungen teilweise mit Tutorials und deren Aufbau und individuelle Lösungen fixieren. (Abb. 5–6) nach ihren Aussagen wertvolle Tipps für die eigene Unter- im Unterricht durchgeführt werden, gibt es jedoch keine Mög- Texteinblendungen oder sprachlichen Erläuterungen. Das Zei- und Funktion in Bezug auf Abb. 7 und 8 Ergebnisse u Nun soll nach textilen Techniken gesucht werden, um alle richtspraxis mitnehmen. lichkeit, Rückfragen zu stellen.5 gen der arbeitenden, gestaltenden Hände in Großaufnahme Fantasyfilmen. Abb. 9 Umsetzungsmög- Materialien entsprechend zu fixieren. Es kann gefaltet, ge- (Abb. 7–8) Im wissenschaftlichen Kontext werden Video-Tutorials vor ist dabei oft ein zentrales Mittel, um den Verarbeitungspro- lichkeiten knautscht, gekräuselt, geknotet, geschnürt u.v.m. werden. allem im Hinblick auf Lernprozesse vermehrt untersucht. Eine zess der Materialien oder den Ablauf einer bestimmten Tech- Dazu gibt es Bildkarten, sowie zahlreiche Arbeitsproben Literatur einheitliche anerkannte wissenschaftliche Definition hat sich nik darzustellen. und Möglichkeiten, sich in diversen Techniken zu erproben. Becker, C. (2007). Perspektiven Textiler Bildung. Hohengeh- jedoch noch nicht gebildet. Kennzeichnend für Tutorials – laut (Abb. 9) ren: Schneider Verlag. Katrin Valentin die gängigste Bezeichnung – sind vor allem die DIY-Video-Tutorials als 4. Reflexion Kolhoff-Kahl, I. (2008). Textildidaktik. Eine Einführung (2.Aufl.). Kürze der Videos, ihre verdichtete Anleitung und die instruk- Untersuchungsgegenstand u Die Teilnehmer/innen waren begeistert, wie leicht sie an- Donauwörth: Auer Verlag. tionalen Erklärungen. Darüber hinaus werden die Videos zum DIY-Video-Tutorials bieten als wissenschaftlicher Untersu- hand einer thematisch vorbereiteten Umgebung zu über- großen Teil von Laien produziert.6 Eine erste Kategorisierung chungsgenstand nicht nur die Möglichkeit, deren didaktische

104 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 105 DO-IT-YOURSELF DO-IT-YOURSELF

den aus Fantasyfilmen selbst gemacht werden. Durch die vi- Abb. 3 Mit Hundehaare suelle Vorlage des Gegenstands im Film müssen hier eige- wird dem eigenen Zau- ne Gestaltungsprozesse gefunden werden, um das Erschei- berstab etwas Magisches nungsbild des Vorbilds in Material umzusetzen. Am Beispiel verliehen des Zauberstabs aus der Harry-Potter-Filmreihe lässt sich dies wie folgt aufzeigen: Unter der Sucheingabe DIY Harry Pot- Abb. 1 Zahlreiche Videos ter Zauberstab auf der Internetplattform YouTube finden sich zum Selbermachen eines zahlreiche Videos mit Anleitungen zum Selbermachen eines Zauberstabs auf YouTube Zauberstabs (Abb. 1). Obwohl in den Harry-PotterFilmen jeder Zauberer, jede Zauberin einen eigenen Zauberstab besitzt, der sich im Aussehen von den anderen unterscheidet, zeigt sich, Aufbereitung zu untersuchen und für den Unterricht frucht- dass Videos mit konkreten Nachbildungen individueller Zau- bar zu machen, sondern geben auch durch ihre nachvollzieh- berstäbe, wie etwa der des sogenannten Elderstabs, ein be- baren, schrittweise vollzogenen Arbeitsvorgänge Einblicke in sonderer Zauberstab mit spezieller magischer Kraft, die Aus- Gestaltungsprozesse, in denen schöpferische Ideen sichtbar nahme bilden. Im Großteil der Videos werden Zauberstäbe werden können. gefertigt, die das Material Holz, aus dem die meisten Zauber- Ein besonderer Ideenreichtum zeigt sich vor allem in stäbe in den Filmen gefertigt sind, imitieren. Man kann also DIY-Video-Tutorials, in denen Nachbildungen von Gegenstän- davon ausgehen, dass das holzartige Aussehen – oft verziert mit Schnitzereien – im Verständnis der Videoproduzierenden einen Harry-Potter-Zauberstab ausmacht. Die Herausforderung im Selbermachen besteht nun dar- in, geeignete Materialien und Techniken zu finden, um dem eigenen Zauberstab das gewünschte Aussehen zu geben. Die ihrem ursprünglichen Gebrauch gelöst eine neue Bedeutung Während in den Zauberstabvideos vor allem die äußere Abb. 2 Umdeutung von DIY-Video-Tutorials bieten hier die Möglichkeit, verschiedene erhalten. Erscheinungsform für die Gestaltung wichtig ist, zeigt sich Alltagsgegenständen beim gestalterische Zugänge in Bezug auf ein gemeinsames Vor- bei der Suchanfrage von DIY-Videos, die sich auf den Fan- Selbermachen bild zu untersuchen. Im Zusammenhang mit den verwendeten Das Eigene im Selbstgemachten tasyfilm Tribute von Panem (engl. The Hunger Games) be- Materialien lassen sich hier deutlich unterschiedliche Heran- Obwohl Zauberstäbe aus den Harry-Potter-Filmen in jeglicher ziehen, dass vor allem der Bogen, die Waffe der weiblichen gehensweisen in der Gestaltung ausmachen. Während in den Form auch als Fanartikel käuflich erworben werden können, Hauptfigur, für Nachbildungen von Interesse ist. Im Gegen- einen Videos asiatische Essstäbchen als Grundform des Zau- um sie zu besitzen, zeigt die Vielzahl der Videos mit dieser satz zum Zauberstab, dessen Funktion – das Zaubern – nur in berstabs dienen, wählen andere Videoproduzierende Pinsel- Thematik auf YouTube, die teilweise mehrere tausend Aufru- der eigenen Vorstellungswelt erprobt werden kann, lässt sich stile oder lange, dicke Holzstricknadeln (Abb. 2), die mit ver- fe haben, das große Interesse am Selbermachen. Neben der das Schießen mit Pfeil und Bogen in der Realität tatsäch- schiedenen Techniken, meist mit den einfachen Mitteln eines Vielzahl der Möglichkeiten, eigene Gestaltungsideen zu ent- lich erfahren. Dementsprechend wird die Funktion des selbst Abb. 4 Die Nachbildung Heißklebers, weiter gestaltet werden. Zu beobachten ist dar- wickeln, kann das Selbermachen hier auch als Teil eines An- gemachten Bogens teilweise auch in den DIY-Video-Tutori- wird zum Eigenen über hinaus, dass den Zauberstäben oft auch eigene Elemen- eignungsprozesses gesehen werden, in dem der Gegenstand, te hinzugefügt werden. Neben der Imitation von Schnitzereien der durch den Film mit bestimmten Bedeutungen versehen mithilfe von Bastschnüren oder der Verarbeitung von Steinen ist, durch das Selbermachen zu etwas Eigenem wird. Am Bei- finden sich auch eher ungewöhnliche Ideen. So fügt etwa ein spiel der Nachbildung eines sogenannten Demiguise, eines DIY YouTube-Kanal-Betreibender seiner Version des Zauber- Tieres aus dem Fantasyfilm Fantastische Tierwesen, lässt sich stabes weiße Hundehaare in einer durchsichtigen Phiole hin- diese Aneignung anhand der eingefügten Bildunterschriften zu, die laut seiner Aussage als Einhornhaare fungieren sollen, (Abb. 4) aufzeigen. Der eigene, selbstgemachte Demiguise ist um dem Zauberstab tatsächlich etwas Magisches zu verlei- hier zwischen einem Bild des Tieres aus dem Film und eines hen (Abb. 3). Fanartikels positioniert und wird auf einer Handfläche präsen- Daneben veranschaulichen die verschiedenen Herange- tiert. Die Bezeichnung Original beider Bilder verweist auf ihre hensweisen auch die mit dem Material verbundenen Umdeu- Vorlagenfunktion, an der sich die Gestaltung der Nachbildung tungsprozesse, die mit ihrer Verwendung einhergehen. Alltäg- orientiert. Der durch das Selbermachen erzeugte, neue Reali- liche, leicht zugängliche Dinge aus der materiellen Kultur der tätsbezug – aus dem Filmerlebnis in die eigene Wirklichkeit Videoproduzierenden wie die Holzstricknadeln werden – etwa – wird durch die Bezeichnung My Demiguise hervorgehoben, aufgrund ihrer Form oder ihres Aussehens – ausgewählt und wodurch der Stolz, etwas Eigenes produziert zu haben, ver- auf das erwünschte Ergebnis hin umgestaltet, womit sie aus deutlicht wird.

106 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 107 DO-IT-YOURSELF DO-IT-YOURSELF

Darüber hinaus können die in den Videos dargestellten Ge- kel/potentiale-des-konzeptionellen-einsatzes-von-digita- 1 Voges 2017, S.10. staltungsprozesse, als Ergebnis gestalterischer Experimente len-video-tutorials-in-der-politischen-bildung/. 2 Voges 2017, S.10. betrachtet werden, die von den Videoproduzierenden als so Voges, Jonathan (2017): Selbst ist der Mann. Do-it-yourself 3 https://www.selbst.de/heimwerken-den-boomjahren-355.html brauchbar angesehen werden, dass sie in Form von Video-An- und Heimwerken in der Bundesrepublik Deutschland. Göt- 4 Wolf 2015, S.2. leitungen didaktisch aufbereitet zur Verfügung gestellt wer- tingen: Wallstein Verlag. 5 Findeisen et al. 2019, S.20. den. Wolf, Karsten D. (2015): Bildungspotenziale von Erklärvideos 6 Valentin 2016. Laut Thomas Stuber und Andreas Käser ermöglicht das und Tutorials auf YouTube. Stiftung Brandenburger Tor. 7 Wolf 2015, S.1–2. gestalterische Experiment das Erkennen von Zusammen- Online verfügbar unter https://stiftungbrandenburgertor. 8 Löffler, S.310. hängen zwischen Materialwahl, Form- und Farbgebung und de/wp-content/uploads/2015/07/Bilderbilden_Wolf_Bil- 9 Löffler, S.311. deren formal-ästhetischer Wirkung, die „[…] die äußere dungspotenziale-von-Erklärvideos-und-Tutorials-auf-You- 10 Stuber und Käser 2018, S.56. Erscheinung von Objekten beeinflusst […]“10. Als wichti- Tube.pdf. 11 Stuber und Käser 2018, S.56. ge Gestaltungselemente, die zur ästhetischen Funktion ei- 12 Stuber und Käser 2018, S.56. nes Produkts beitragen, werden dabei Material, Oberfläche, Formen, Farben, Proportionen und Silhouetten genannt. Der Begriff Gestalt ist dabei von großer Wichtigkeit: Erst durch deren „[…] ordnende(n) Bezüge, das heißt durch einen ent- sprechenden Aufbau gestalterischer Mittel wird die Gestalt gebildet“11. Ziel des gestalterischen Experiments ist das Er- reichen von Alternativen der formal-ästhetischen Wirkung Abb. 5 In der Nachbildung als vorgeführt oder durch Videotitel wie DIY: Functional Mo- des Produkts, die durch Veränderungen, Erweiterungen oder des Bogens steht die ckingjay Bow from The Hunger Games auf die tatsächliche neuen Kombinationen der Gestaltungselemente gefunden Funktion im Vordergrund Gebrauchsmöglichkeit verwiesen (Abb. 5). Als Ausgangsma- werden.12 terial dienen in diesen Videos oft PVC Rohre, die mit einem Bezogen auf die Gestaltungsprozesse in den Videos kann Heißluftföhn verformt werden, wobei auch eigenwilligere das gestalterische Experiment darin gesehen werden, dass Techniken, wie das Verformen des Rohrs über einem Gas- geeignete Materialien und Techniken gefunden werden müs- herd gezeigt werden. sen, um das Ziel zu erreichen, den Gegenstand in einer eige- nen Version nachzubilden. Anhand der unterschiedlichen Ge- Nachbildungen als gestalterisches Experiment staltungszugänge in den Beispielen der Harry-Potter-Zauber- Wie das Forschungsfeld der Video-Tutorials ist auch das Phä- stäbe zeigen sich die verschiedenen Alternativen in Bezug auf nomen des Selbermachens von wissenschaftlichem Interes- ein gemeinsames Vorbild. se, wobei sich laut der Ethnologin Klara Löffler eine allgemei- ne Definition schwierig gestaltet, da die bereits vorgenom- Literaturverzeichnis menen Definitionen unter anderem davon abhängen, welche Findeisen, Stefanie; Horn, Sebastian; Seifried, Jürgen (2019): Tätigkeiten innerhalb der im Kontext des Selbermachens ver- Lernen durch Videos – Empirische Befunde zur Gestaltung wendeten Begriffe wie DIY, Hobby, Heimwerken und Hand- von Erklärvideos. MedienPädagogik. Online verfügbar un- arbeiten verstanden werden.8 Entgegen vielen wissenschaft- ter https://www.medienpaed.com/article/view/691. lichen Positionen betrachtet Löffler das Selbermachen nicht Löffler, Klara: Bei Bedarf und nach Lust und Laune. Das Sel- ausschließlich als gegenkulturelle Tätigkeit, sondern fokus- bermachen in den Relationen der Lebensführung. In: Niko- siert „[…] Formen des Selbermachens als an Anlässe gebun- la Langreiter und Klara Löffler (Hg.): Selber machen: Tran- dene, auf Gelegenheit angewiesene und Spielräume nutzende script Verlag. Aktivitäten in der Lebensführung von Individuen und Gruppen Stuber, Thomas; Käser, Andreas (2018): Technikdidaktische […]“9. Grundlagen. In: Thomas Stuber (Hg.): Freizeit, Mode, Ausgehend von diesem Ansatz kann die hier vorgestellte Wohnen. Handbuch für Lehrpersonen. 1. Auflage. Bern: Form des Selbermachens, das Nachbilden von Gegenständen hep der Bildungsverlag (Technik und Design, /Thomas Stu- aus Fantasyfilmen, als spielerische Herangehensweise be- ber u.a), S. 32–69. trachtet werden, in der die Wahrnehmung eines Gegenstands Valentin, Katrin (2016): Potentiale des konzeptionellen Einsat- aus einem Fantasyfilm und damit verbundene Vorstellungen zes von digitalen Video-Tutorials in der politischen Bildung. und Bedeutungen, den Anlass bilden, sich diesen Gegenstand Online verfügbar unter https://transfer-politische-bildung. durch das Selbermachen anzueignen. de/transfermaterial/veroeffentlichungen/mitteilung/arti-

108 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 109 MOBILE PICTURES MOBILE PICTURES

Christiane Hapt, Tatia Skhirtladze, Isis Maria Várkonyi Abb. 2 Videoskulptur Horrorhand Mobile Pictures Kunst am und mit dem Mobiltelefon

Mobiltelefone sind allgegenwärtig und für nehmer_innen freiwillig etwas einbeziehen möchten, auch Christiane Hapt BA, (geb. künstlerische Vorhaben gut einsetzbar. Durch privates Foto- und Videomaterial verwendet. 1983) lebt und arbeitet ihre ständige Verfügbarkeit können sie auch In der Folge werden exemplarisch Arbeitsweisen vorge- international als selbstän- spontan Verwendung finden. stellt, die in einer Gruppe mit mehreren Teilnehmer_innen dige Artistin, Mitgründerin Die Arbeitsgruppe Mobile Pictures erforscht durchgeführt werden, um einen Einblick in Projekte von Mobi- des Kulturvereins FENFIRE künstlerisches Arbeiten mit Mobiltelefonen. le Pictures zu erhalten. – Internationales Theater Ziel ist es, das Mobiltelefon als Werkzeug ein- und Objektmanipulation, bis zusetzen und dessen kreatives Potential aus- Praktische Beispiele 2006 Ausbildung Product- zuloten. Storytelling and Furniture Design an Variante 1 der Kingston University Die Entscheidung, mit Mobiltelefonen zu arbeiten, geht auf Ein Thema wird vorgegeben, beispielsweise „Oberflächen London (St. Pölten), 4 das Medienprojekt „handy pictures“ aus dem Jahr 2011 zu- und Strukturen“. Die Teilnehmer_innen bewegen sich frei im Jahre Designtätigkeit als rück. Hier wurde bei Videoworkshops im Südkaukasus auf- Raum oder im Gebäude und fotografieren verschiedene Ober- Mag.art. Tatia Skhirtladze Abteilungsleiterin eines grund begrenzt verfügbarer digitaler Infrastruktur bewusst mit flächen und Strukturen. Jede Person macht etwa sieben Fo- M.A., (geb. 1976 Tbilissi, Import-Export-Unterneh- Mobiltelefonen gearbeitet.1 Diese Erfahrungen wurden rich- Georgien) lebt und arbeitet mens, seit 2010 am Institut tungsweisend für den Arbeitsansatz von Mobile Pictures. Der in Wien. Sie studierte für Kunstwissenschaften, Einsatz der Mobiltelefone erwies sich auf mehreren Ebenen tos, dafür sind zehn Minuten vorgesehen. Dann versammeln des sein, sondern der Beginn einer assoziativen Erzählung. Die Kunstpädagogik in Georgien Kunstpädagogik und als großes Potential: Die Hemmschwelle, mit Mobiltelefonen sich alle um einen großen, gemeinsamen Arbeitsplatz. Eine nächste Person wählt ein Foto aus und setzt die Erzählung mit und Österreich, absolvierte Kunstvermittlung an der zu arbeiten, ist sehr niedrig. Die Teilnehmer_innen verwen- Person beginnt und legt ihr Mobiltelefon mit einem der gerade ihrem Bild und einem Satz fort. Die Reihenfolge der Beiträge ein postgraduales Master- Univ. für angewandte Kunst den ihre eigenen Geräte und sind deren Bedienung gewohnt. gemachten Fotos auf dem Display auf den Tisch. Die nächste erfolgt entweder nacheinander oder durch spontanes Reagie- Studium „Research and in Wien. Der kreative Einsatz der Geräte ist für sie oftmals motivierend, Person sieht ihre Bilder durch und überlegt, mit welchem sie ren. Die Teilnehmer_innen werden angehalten, aufmerksam Practice in Arts“ am Dutch und es stehen viele Kameras (meist eine pro Person) zur Ver- an das erste Foto anschließen kann. Kriterien für die Auswahl zu hören, zu schauen und gemeinsam eine Geschichte zu ge- Art Institute, Niederlande. fügung, ebenso viele Bildschirme als Präsentationsflächen. könnten Farbe, Formen, Fortführung von Linien, Motive, … stalten. Die Erzählstränge können in verschiedene Richtungen Als Künstlerin arbeitet (Abb. 1) sein. Der Reihe nach legen die anderen Teilnehmer_innen ihre weitergeführt werden. Wenn alle an der Reihe waren, ist eine sie zwischen bildender Durch den niederschwelligen Zugang zur Arbeit mit Mobil- Fotos passend dazu und erweitern so das Bestehende. Eine gesprochene und verbildlichte Erzählung entstanden. Auch Kunst und Film, realisiert telefonen wird eine Situation geschaffen, in der ohne weitere visuelle Komposition wird gestaltet. Die Mobiltelefone können hier kann zu einem vorgegebenen Thema gearbeitet werden. konzeptuelle künstlerische Voraussetzungen als den Besitz eines Mobiltelefons zu arbei- dabei auch übereinandergelegt, die Bildfolgen in verschiede- Diese Übung eignet sich sehr gut als Einstieg oder auch als Projekte mit unterschied- ten begonnen werden kann. Zunächst wird ohne die Verwen- ne Richtungen fortgeführt werden. Die Teilnehmer_innen kön- Abschluss eines Workshops. Die Vorgangsweise nimmt Be- lichen Medien. Seit 2011 dung spezieller Apps gearbeitet. Es werden die Grundfunk- nen ihren Foto-Beitrag nach Absprache der Reihe nach oder zug auf „Cadavre Exquis“, eine spielerische Methode der Sur- unterrichtet sie Video am tionen verwendet, die bereits auf den Geräten vorinstalliert spontanen Impulsen folgend dazulegen. Es können mehrere realisten, in der bei der Anfertigung von Bildern oder Texten Institut für Kunstwissen- sind: Foto- und Videokamera, Tonaufnahme- sowie Tonwie- Durchgänge hintereinander erfolgen, die Themen können vari- dem Zufall Raum gegeben wurde. schaften, Kunstpädagogik dergabefunktion, Texteingabe und der Bildschirm als Präsen- iert werden. So kann ein Eindruck der vielfältigen Möglichkei- und Kunstvermittlung an tationsfläche. Das Mobiltelefon kann als Werkzeug fungieren, ten und Bildergebnisse erlebbar gemacht werden. Am Ende Videoskulptur „Horrorhand“ der Universität für ange- gleichzeitig können künstlerische Prozesse unmittelbar auf liegt jeweils eine gemeinsam gestaltetet visuelle Narration Die Teilnehmer_innen bilden nach Möglichkeit Kleingruppen wandte Kunst Wien. den Bildschirmen der Mobiltelefone erlebt und präsentiert auf der Arbeitsfläche. von sechs Personen. Ziel ist es, aus sechs einzelnen Videos werden. Variante 2 eine Videoskulptur einer Hand zu erstellen. Zu Beginn wird be- Grundlage der Vermittlung ist ein künstlerisches Thema. Bei dieser Übung empfiehlt es sich, mit bereits gespeicherten, sprochen, wer welchen Finger, beziehungsweise den Handrü- Arbeitsmaterialien, wie Fotos, Videos, Tonaufnahmen und persönlichen Bildern der Teilnehmer_innen zu arbeiten. Eine cken filmen wird. Weiters wird die Dauer der Videoaufnahme Abb. 1 Arbeiten mit vielen Texte auf den Mobiltelefonen werden in den jeweiligen Ver- Person beginnt. Sie wählt ein Foto aus und spricht dazu einen vereinbart, zum Beispiel 45 Sekunden, ein neutraler Unter- Mobiltelefonen mittlungssettings direkt erstellt, es wird aber, sofern die Teil- passenden Satz. Dieser soll keine reine Beschreibung des Bil- grund wird gefunden. Nun filmt jede Person selbst den jewei-

110 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 111 MOBILE PICTURES FALLSTUDIE SELBSTPORTRÄT

Mobiltelefone im Kunstunterricht Gert Hasenhütl Die vielfältigen Funktionen von Mobiltelefonen, ihre ständige Verfügbarkeit und gewohnte Nutzung legen ein Einbeziehen in den Kunstunterricht nahe. Durch die Verwendung knüpft man Den digitalen Fluss malen an die Interessen vieler Kinder und Jugendlicher an. Sie sind Eine Fallstudie mit einem analogen und digitalen motiviert, verschiedene Dinge auszuprobieren und haben oft- mals auch mehr Ausdauer beim Erforschen von Funktionen als Zeichen-Setting mit anderen Medien. Die Teilnehmer_innen sollen eine ande- re Nutzung ihrer Geräte erleben. Dennoch betrachtet Mobile Pictures das Mobiltelefon als ein Werkzeug neben anderen Werkzeugen im Kunstunterricht. Es ist kein Ersatz für diese Abb. 1 Zeichen-Setting und sollte, abseits von konkreten Projekten oder Anwendun- Arbeitsmaterialien: Handy- gen, auch nicht zu stark in den Vordergrund rücken. Dummies aus Acrylglas, Die Arbeitsweise regt zum Experimentieren an und macht kapazitive Eingabestifte, Lust auf kreatives Gestalten. Der Blick wird geschult. Im Ge- Arbeitsblatt und Aquafix- gensatz zum alltäglichen Schnappschuss wird bei Mobile Pic- Papier tures auch konzentriert und genau mit der Kamera gearbeitet, Abb. 3 Videoskulptur ligen Teil der eigenen Hand in Bewegung. Nach fünf bis zehn zum Beispiel werden Übergänge bewusst gestaltet, Linien Oberkörper Minuten werden dann die Mobiltelefone in Form einer Hand werden fortgeführt oder es wird bei Videoaufnahmen genau arrangiert. Die Geräte können dabei auch übereinanderge- auf die Dauer, die Lichtverhältnisse und den Hintergrundton legt werden, auf sorgfältige Übergänge der einzelnen Videos geachtet. soll geachtet werden. Dann drücken alle gleichzeitig auf die Es wird eine neue, spielerische Art des Arbeitens erleb- Play-Taste und bilden so gemeinsam die Videoskulptur Horror- bar gemacht. hand. Der Eindruck der Bewegung der Finger, der verschiede- Eine Besonderheit ist die Unmittelbarkeit des Produzierens nen Hautfarben reicht von erstaunlich und amüsant bis hin zu und Betrachtens bei der Arbeit mit Mobiltelefonen. Die un- befremdlich und unheimlich. gewöhnliche Verwendung regt zu neuen Ideen und Anwen- Neben den Videos auf den Bildschirmen werden die Mobil- dungsmöglichkeiten an. Das Ineinandergreifen von analogem telefone selbst als dreidimensionale, physische Objekte wahr- und digitalem künstlerischen Arbeiten könnte ein Feld für genommen. Über die Grenzen der Geräte hinweg werden die neue, bereichernde Erforschungen darstellen. einzelnen Bewegungen zu einer bewegten Hand (Abb. 2). Die folgende Fallstudie präsentiert Ergebnisse nerischer Prozesse im Bereich des Analogen Als Erweiterung kann die Videoskulptur mit Tonaufnahmen 1 Das Projekt „handy pictures“ wurde am Institut für Kunstwissen- aus acht Hospitationen, entstanden in Gym- wie auch des Digitalen befragt wurden. kombiniert werden. Man kann Anzahl und Anordnung der Fin- schaften, Kunstpädagogik und Kunstvermittlung in der Klasse dae – nasialklassen zwischen der 2. und 7. Schul- ger für einen stärkeren Horroreffekt variieren. Design, Architektur und Environment für Kunstpädagogik an der Uni- stufe, in denen Schülerinnen und Schüler im Zeichen-Setting Nach demselben Prinzip können die Teilnehmer_innen Ge- versität für angewandte Kunst Wien unter der Leitung von Mag.art. BE-Unterricht aufgefordert waren, ein Selbst- Da der Anteil und die Verbreitung von Graphictablets in Mag.art. Isis Maria Várko- sichter, wie z.B. kubistische Porträts, Körper oder Fantasiewe- Tatia Skhirtladze M.A. und Univ.-Prof. James Skone durchgeführt. portrait auf Papier und auch am Smartphone Schulen und bei Schülerinnen und Schülern der Gymnasi- nyi (geb. 1987) lebt und sen kreieren (Abb. 3). zu erstellen und dieses zu bearbeiten. Bezug- alstufe noch gering ist, geht der Beitrag von einem Mini- arbeitet derzeit in der Nähe nehmend auf James F. Walkers gleichnamiges malsetting aus, bei dem Zeichnen am Papier und Zeichnen von Wien. Sie studierte Anregungen zur Arbeit mit Mobiltelefonen Buch Painting the Digital River aus 2006 geht am Smartphone untersucht wurden. Für ein einfaches Zei- DAE – Design, Architek- Um ein konzentriertes Arbeiten mit Mobiltelefonen zu ermög- es um die Rolle rechnerunterstützter Zeichen- chen-Setting sollte das Smartphone ohne speziell vorinstal- tur und Environment für lichen, dürfen die Geräte in der Unterrichtseinheit nur mit den werkzeuge in bildnerischen Prozessen. Wal- lierte Programme zum Einsatz kommen. Entstanden aus der Kunstpädagogik und Textil, vereinbarten Funktionen verwendet werden. Es empfiehlt ker (2006: 281) spricht von einer Renaissance Arbeitsgruppe mit Lea Jank, Shobha Untersteiner und Phil- sowie freie, angewandte sich, den Flugmodus zu aktivieren. Das Mobiltelefon wird zum manueller Zeichenpraxen, begünstigt durch ipp Wegan ergaben sich zunächst unterschiedliche Settings. und experimentelle künst- Werkzeug. digitale Zeichenwerkzeuge, die in der Rück- In ersten Settings war z.B. geplant, symbolische Handys aus lerische Gestaltung an der Beim gemeinsamen Betrachten des Materials sollte die kehr zum Handgemachten und Traditionellen Acrylglas in Form eines Bildausschnitt-Suchers einzusetzen, Universität für angewandte leitende Person aufmerksam sein, ob sich die Teilnehmer_in- instinktive Reaktionen wachrufen. Diese The- oder dass Schülerinnen und Schüler partizipativ ein Bild pro- Kunst Wien, Erweiterungs- nen wohl fühlen, da oft viele Menschen nahe zusammenste- se soll in der folgenden empirischen Unter- duzieren sollten. Dabei ging aber die Fokussierung auf die studium KKP – Kunst und hen, wenn sie auf die Bildschirme der Mobiltelefone blicken. suchung weiterentwickelt werden, in der Qualität sowohl analoger wie auch digitaler Bildproduktion Kommunikative Praxis, Datenschutz und Bildrechte müssen zu Beginn der Arbeit Schülerinnen und Schüler ein konkretes Zei- mehr und mehr verloren, weshalb diese Settings verworfen Unterrichtstätigkeit. mit Mobiltelefonen besprochen werden. chen-Setting umsetzten und zur Qualität bild- wurden.

112 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 113 FALLSTUDIE SELBSTPORTRÄT FALLSTUDIE SELBSTPORTRÄT

Die Entwicklung des endgültigen Zeichen-Settings war te Porträt am Smartphone während dem Kontakt mit den Abb. 2 Arbeit – Parhamer- dann von folgenden Fragen und Überlegungen begleitet: Wie Bleistift- oder Filzstiftspitzen verschiebt. Hinzu kamen noch gymnasium 6 zeichnet man im Analogen und wie im Digitalen? stellte sich konduktive Eingabestifte bei der Arbeit am Smartphone, weil Abb. 3 Arbeit – Parhamer- immer mehr als eine nicht zielführende Fragestellung heraus, sich gleich zu Beginn herausstellte, dass die Schülerinnen und gymnasium 6 denn beide Arbeitsweisen bedingen und ergänzen einander Schüler nicht gerne mit ihren Fingern auf den Smartphones Abb. 4 Arbeit – BRG in einer hybriden Arbeitstechnik. Die Hauptfrage lautete da- zeichnen. Die Bildbearbeitung auf den Smartphones erfolgte Boerhaavegasse 2A her weniger, wie sich die beiden Arbeitsweisen unterschei- nach freier Wahl, d.h. die Schülerinnen und Schüler verwen- Abb. 5 Arbeit – BRG den, sondern wie sie einander bedingen. Wann macht das deten hauptsächlich die vorinstallierte Software zur Bildbear- Boerhaavegasse 2A Eine gegenüber dem Anderen noch Sinn? Bei der Entwicklung beitung, Snapchat oder Freeware Programme wie z.B. PicsArt Abb. 6 Arbeit – Gymnasium des endgültigen Settings waren weiters folgende mögliche und seltener Sketchbook. Maria Regina 2 Fragen aus der Perspektive von Schülerinnen und Schülern Abb. 7 Arbeit – Gymnasium zentral: „Warum machen wir das?“, „Was lernen wir dabei?“, Visual Essay1 Maria Regina 2 „Was bringt mir das?“ oder „Was genau muss ich tun?“. Bei den gezeigten Beispielen visueller Ethnographien geht es Abb. 8 Arbeit – BRG Also wurde dem endgültigen Zeichen-Setting folgende mir weniger darum, die Arbeiten der Schülerinnen und Schü- Gröhrmühlgasse 2 konkrete Aufgabenstellung vorgegeben: „Bitte entnehmen ler zu klassifizieren, als darum, einen Überblick über die ent- Abb. 9 Arbeit – BRG Sie einem Porträtfoto von Ihnen schrittweise nur Farbflächen, standenen Arbeiten zu geben. Sämtliche Einverständniserklä- Gröhrmühlgasse 2 und dann nur wesentliche Konturlinien. Die Reihenfolge ist rungen der Schülerinnen und Schüler wurden durch Eltern- Abb. 10 Arbeit – Parhamer- egal, auch kommt es nicht darauf an, ganz realistisch zu ar- briefe eingeholt. Der Datenschutzgrundverordnung folgend gymnasium 6D beiten. Entnommen werden soll das Ihnen als wesentlich Er- wurden die Schülerinnen und Schüler immer in Bezug auf die Abb. 11 Arbeit – Parhamer- scheinende. Freie Arbeitsweisen sind willkommen.“ (Arbeits- Fotos gefragt, und es wurde darauf hingewiesen, dass nur gymnasium 6D blatt für die Schülerinnen und Schüler, 2019). Beispielhaft er- die zeichnenden Hände und die Arbeiten fotografiert werden. Abb. 12 Arbeit – Parhamer- läuterte ich diese Aufgabenstellung auf einem Arbeitsblatt, (Abb. 2–17) gymnasium 7A-D-C welches alle Schülerinnen und Schüler zu Beginn erhalten hatten (Abb. 1). Empirische Auswertung Im endgültigen Setting war geplant, dass Schülerinnen Die aus den acht Hospitationen sich ergebenden insgesamt und Schüler ihr Ausgangsportrait am Handy zum einen am Pa- 86 Fragebögen wurden mittels einer Häufigkeitsanalyse pier und zum anderen am Handy direkt überarbeiten mussten. (Mayring 1990, 14) auf signifikante Antworten hin untersucht. Die Reihenfolge war dabei nicht vorgegeben, nur sollten sie Die einzelnen Antworten wurden dann mittels einer quantita- gleich lange in beiden Modi Konturen wie Flächen finden. Hin- tiven Inhaltsanalyse generalisiert, wodurch aus den verschie- ten am Arbeitsblatt waren folgende Fragen formuliert, welche denen Paraphrasen der Schülerinnen und Schüler signifikante dann als Grundlage für die empirische Auswertung dienten: Antworten erkennbar wurden. u Welche Arbeitsschritte haben Sie/hast Du beim Arbeiten am Papier als einfach empfunden? Ad 1. Welche Arbeitsschritte haben Sie/hast du beim Arbeiten u Welche Arbeitsschritte haben Sie/hast Du beim Arbeiten am Papier als einfach empfunden? am Computer oder am Smartphone als einfach empfun- u Konturen: 55/86 = 63,9 % den? u Flächen: 33/86 = 48,8 % u Was sind oder wären Gründe, damit Sie/Du zur Arbeits- weise am Computer oder Smartphone wechseln/wech- Ad 2. Welche Arbeitsschritte haben Sie/hast du beim Arbeiten selst? am Computer oder dem Smartphone als einfach empfun- u Was sind Gründe, um am Papier zu arbeiten? den? u In welchen Situationen oder für welche Arbeitsschritte u Konturen: 32/86 = 37,2 % würden Sie/würdest Du gerne am Handy (Computer oder u Flächen: 33/86 = 38,4 % Smartphone) und am Papier arbeiten, d.h. beide Arbeits- weisen vermischen? Ad 3. Was sind oder wären Gründe, damit Sie/du zur Arbeits- Um dieses Zeichen-Setting umsetzen zu können, waren noch weise am Computer oder Smartphone wechseln/wech- sog. Handy-Dummies aus Acrylglas (Abb. 1, links oben) für selst? alle Schülerinnen nötig, welche bei der Arbeit mit dem Aqua- Die Zusammenfassung der signifikanten Antworten bei fix Papier auf die Smartphones gelegt werden konnten. Mit dieser Frage ergibt: diesen Unterlagen wurde verhindert, dass sich das angezeig- u 24/86 (27,9%) es ist schneller

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u 11/86 (12,8%) es ist einfacher 10/16 es geht schneller 4/16 es ist einfacher Ad 4. Was sind Gründe, um am Papier zu arbeiten? 3/8 man braucht weniger Materialien und kommt schneller zu Sachen Die Zusammenfassung der signifikanten Antworten bei 1/8 es war anders dieser Frage ergibt: 1/8 ein großer Bildschirm u 27/86 (31,4%) es ist genauer 1/8 die größere Farbauswahl Abb. 13 Arbeit – Parhamer- u 10/86 (11,6%) es ist einfacher gymnasium 7A-D-C 5/12 es geht schneller und einfacher Abb. 14 Arbeit – GRG 17 Ad 5. In welchen Situationen oder für welche Arbeitsschritte 3/12 man kann coolere Sachen machen Hernalser Gymnasium würden Sie/würdest du gerne am Handy (Computer oder 3/11 es ist einfacher 4C-BE Smartphone) und am Papier arbeiten, d.h. beide Arbeits- 2/11 es ist cooler, und weil das Smartphone touch ist Abb. 15 Arbeit – GRG 17 weisen vermischen? 3/11 bei einem Mangel an Material Hernalser Gymnasium u vom Smartphone Bilder abzeichnen 2/11 man hat mehrere Optionen 4C-BE u am Handy googeln, am Papier malen 1/4 man kann Fehler ausbessern Abb. 16 Arbeit – BRG u ein Foto vom Handy machen, und das dann weiterverar- 1/4 um gute Farben zu erlangen Hallein 4G beiten 3/12 es ist schneller und praktischer Abb. 17 Arbeit – BRG u wenn man vergleichen will, wie es einfacher geht 2/12 es ist lustiger, praktischer und man hat mehr Möglichkeiten Hallein 4G u Comic am Handy – Landschaft am Blatt 2/12 man muss nicht mehr radieren und kann leichter löschen u bei einem großen Bild würde ich die Flächen grob am Han- dy machen, und diese dann analog nachzeichnen 3/12 die Filter u Konturen am Papier – Filter am Handy 3/12 man kann Fehler einfach entfernen 3/12 es macht Spaß und ist cool Diskussion Insgesamt wurde das Zeichen-Setting von den Schülerinnen le Bildproduktion weniger als Bilderzeugung, sondern eher als Ad 3. Was sind oder und Schülern sehr gut angenommen. Beim Verständnis zu Bildmanipulation betrachten. wären Gründe, damit den Fragen gab es für einige jedoch Probleme, wodurch ein Filter, Farben und das Backtracking (Am Handy konnte man Sie/Du zur Arbeitswei- großer Anteil ungültiger Antworten (ca. 30 %) nicht in die Be- es rückgängig machen.) waren klare Inhaltskategorien zur Ar- se am Computer oder wertung mit aufgenommen werden konnte. Am Papier Kontu- beitsweise am Smartphone. In Antworten wie z.B. das Handy Smartphone wechseln/ ren zu finden, wurde überwiegend als einfacher erachtet. Am kann nicht zerknittern oder …es ist keine Papierverschwen- wechselst? Smartphone wurde Konturen sowie Flächen zu finden ca. im dung widerspiegelt sich ein Bewusstseinswechsel, digitalen gleichen Maße positiv bewertet. Medien Positives abzugewinnen. Schwierig dagegen war es Bei der Zusammenfassung signifikanter Antworten bei den Fragen 3 und 4 wird deutlich, dass eine klare Mehrzahl 8/16 es ist genauer das Smartphone mit es ist schneller assoziiert, und ebenso 3/16 man kann es verkaufen eine Mehrzahl die Arbeit am Papier mit es ist genauer be- 3/8 man kann detaillierter arbeiten schreibt. Bei beiden Fragen zur Arbeit am Smartphone und am Papier wurde die zweitsignifikanteste Antwort es ist einfacher 3/8 es wird realistischer und schaut schöner aus mit ca. 12% zu gleichen Anteilen gegeben. Schülerinnen und 6/12 es ist einfacher praktischer und günstiger Schüler assoziieren die Arbeitsweise am Smartphone eher 2/12 man kann genauer arbeiten mit Geschwindigkeit und jene am Papier eher mit Genauig- 2/11 es ist genauer und feiner keit. Die Größe der Eingabebildschirme auf den Smartphones 3/11 es ist lustig, cool und macht mehr Spaß kann und muss hier als wesentlicher Einflussfaktor gesehen 2/11 es schaut schöner aus werden, obwohl dieses Ergebnis auch so interpretiert werden 2/4 es hat eine bessere Struktur und ist drucksensitiv kann, dass Schülerinnen die langsame Technik der Bilderzeu- 1/4 es ist nicht so schädlich für die Augen gung mit Genauigkeit assoziieren, und demgegenüber digita- 3/12 man hat mehr Kontrolle und Gefühl bei Detailarbeit 2/12 es fühlt sich echter an

Ad 4. Was sind Gründe, um 5/12 es geht genauer, man kann schöner Linien zeichnen, und leichter fein malen am Papier zu arbeiten? 3/12 es macht Spaß und man hat das eigene Gefühl

116 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 117 FALLSTUDIE SELBSTPORTRÄT SKULPTURALE ERKUNDUNG

für viele, Struktur ins digitale Bild zu bringen. Schülerinnen Literatur Susanne Henning sagten dann z.B. … es ist nicht Zeichnen, das ist irgendwie Goodman, Nelson (1968). Languages of Art. An Approach to Draufklatschen (Smartphone, d.V.). a Theory of Symbols (Indianapolis: The Bobbs-Merrill Com- Gefühl beim Zeichnen ergab eher eine Inhaltskategorie pany Inc.). Skulpturale Erkundungen zur Arbeitsweise am Papier. In Antworten wie z.B. Am Papier Henderson, Kathryn (1999). On Line and on Paper: Visual Re- postdigitaler Wirklichkeiten konnte man mehr fühlen, …man macht bessere Handbewe- presentations, Visual Culture, and Computer Graphics in gungen (Papier, d.V.) oder …man hat es in der Hand (Papier, Design Engineering (Cambridge: MIT Press). d.V.) kommt eine Art von Somaästhetik zum Ausdruck, die Mayring, Philipp (1990). Qualitative Inhaltsanalyse. Grundla- bei der Arbeit am Smartphone eher kein Thema war. Schü- gen und Techniken (Weinheim: Deutscher Studienverlag). lerinnen und Schüler argumentieren hier eher befremdet: Schenk, Pamela (2016). Drawing in the Design Process: Cha- PX 3201 (Abb. 1) besteht aus geformtem Stahl, der mit einer Hab´ mich wie der Computer gefühlt. Interessant ist, dass die racterizing Industrial and Educational Practice (Bristol: In- Schicht Acrylgips und Kreidegrund überzogen ist. Das flache, Gert Hasenhütl unterrichtet schlampige Arbeitsweise (Henderson 1999, 196) des manuel- tellect). quadratische Objekt (177x177x17 cm) der Künstlerin Doro- seit 2007 an der Akademie len Zeichnens für Schülerinnen und Schüler beim Arbeiten am Walker, James F (2006). Painting the Digital River. How an thee Golz ist für eine Wandhängung konzipiert. Seine leicht Abb. 1 Dorothee Golz: PX der bildenden Künste Papier nicht zutrifft. Artist Learned to Love the Computer (Upper Saddle River: konvex gewölbte Oberfläche, die an den Kanten in einer 3201 (2012), in: Dorothee Wien Studierende der Schwierig war die Auswertung der 5. Frage, die genau auf Prentice Hall). Rundung ausläuft, wird durch zwei identische, schräg her- Golz/Beate Ermacora Sekundarstufe u.a. in den Aspekte hybrider oder gemischter Praktiken (Schenk 2016, Alle Fotos: Gert Hasenhütl 2019 vorragende Hohlkörper flachen Querschnitts unterbrochen. (Hg.), Dorothee Golz. Bereichen Design, Technik 207) – im Analogen wie auch Digitalen – hinausläuft. In we- PX 3201 erinnert entfernt an technische Elemente wie Lüf- Schlafzimmer und andere und Werkstattpraxis. Er nigen Fällen begannen Schülerinnen oder Schüler z.B. ihre tungsrohre oder Fahrzeugteile und ruft so den Eindruck einer Versuchsanordnungen, erfüllt im Moment Lehr- Arbeiten auf dem Papier abzufotografieren, um diese dann 1 In folgenden Gymnasien erfolgten Hospitationen zu jeweils 2 (1, 3–8) Funktionalität hervor, der – spätestens beim Blick hinter die Nürnberg: Verlag f. mod. aufträge in den Bereichen im Smartphone weiterzubearbeiten. Interessant dabei war und 3 (2) Unterrichtsstunden: 1. Parhamergymnasium 6, Philipp We- Arbeit (Abb. 2) – unmittelbar wieder unterlaufen wird. Das Kunst 2014, S.48. technisch-textiler wie auch zu beobachten, wie die Schülerinnen und Schüler die Aufga- gan, 2. BRG Boerhaavegasse 2A, Julia Hay, 3. Gymnasium Maria Re- klassische Bildhauermaterial Gips verweist auf traditionelle bildnerischer Erziehung benstellung spielerisch unterwanderten, indem sie keine oder gina 2, Shobha Untersteiner, 4. BRG Gröhrmühlgasse 2, Lea Jank, Verwendungsmöglichkeiten zur Erstellung von Gipsbüsten. Abb.2 Ausstellungsansicht an der PH Steiermark, der ganz andere Modifikationen mit den Bildern durchführten, z.B. 5. Parhamergymnasium 6D, Philipp Wegan, 6. Parhamergymnasium Wenngleich deren figurative Bezüge fehlen, erzeugt das Ob- Dorothee Golz. Skulpturale Universität für angewandte Snapchat Bildmanipulation, oder sich in Form von Computer- 7A–D–C, Philipp Wegan, 7. GRG 17 Hernalser Gymnasium 4C–BE, jekt aufgrund seiner Größe und leichten Wölbung anthropo- Generation PX4000, Galerie Kunst und der PH Tirol, wo spielen in Szene setzten. Frank Schuller, und 8. BRG Hallein 4G, Bianca Pruner. An dieser Stelle morphe Wirkungen, die durch die samtige Oberfläche unter- Charim Wien, http://www. er zur Zeit eine 50%-PH2 Die durchwegs hohe Experimentierfreude bei der Arbeit danke an alle, die mich bei dieser Arbeit unterstützt haben. stützt werden, sich bei genauerem Hinsehen aber ebenfalls charimgalerie.at/kuenst- Stelle innehat. am Smartphone spricht für eine Renaissance des Zeichnens, an nichts Konkretem festmachen lassen. ler_dorothee_golz.htm wobei sich genuin-autographische Bildproduktion (Goodman Auf den ersten Blick scheint PX 3201 wenig Anknüp- (Stand 05.10.2019) 1968, 113) – in dem Sinn, dass ein Werk situations- und per- fungspunkte zu bieten, um über skulpturale Erkundungs- sonengebunden und authentisch ist – durch digitale Bildbear- möglichkeiten digitalisierter und mediatisierter Lebenswel- beitung verändert. Bildproduktion wurde bei den Schülerinnen ten nachzudenken. Dass dies ungeachtet eines zunächst in und Schülern oft zu bloßer Bildmanipulation. Mit Aussagen den Vordergrund tretenden Eindrucks der Selbstreferentia- wie z.B. Es fällt schwer, es rüberzubringen am Handy wer- lität sinnvoll sein kann, soll im Folgenden gezeigt werden. ren, anhand derer sie 2013 mit Methoden der Bioinformatik den sozial-kommunikative Funktionen des Zeichnens zu fas- Ausgehend von PX 3201 wird hierzu Digitalisierungsbezügen eine Genealogie (Abb. 3) entwickeln lässt, die es ermöglicht, sen versucht, die auch als Teil dieser instinktiven Reaktionen skulpturaler Produktion unter drei Aspekten nachgegangen, weitere Arbeiten der Serie vorherzusagen und so Teil eines gelten können. indem digitale Technologien als deren Werkzeuge sowie digi- Experiments werden zu lassen, in dem es, wie Elke Krasny talisierte Lebenswelten als ihr Gegenstand und ihre Rahmen- überlegt, darum gehe, Golz‘ „Position als entscheidungstra- bedingung in den Blick genommen werden. Erkenntnislei- gende Künstlerin“1 radikal zu hinterfragen. Anders als diese tender Hintergrund dieser Betrachtungen ist die Frage nach Formulierung suggeriert, besteht die von Dorothee Golz an- besonderen Chancen, die skulpturales Arbeiten in kunstpä- gewandte Strategie in der aktuellen PX-Produktion allerdings dagogischen Kontexten eröffnen kann, um Wahrnehmungs- nicht darin, neue Formen vollständig durch einen Computer und Erfahrungsweisen digitalisierter Gegenwart zu erkunden entwickeln oder gar unter Einbezug digitaler Technologien fer- und zu reflektieren. tigen zu lassen. Vielmehr lässt die Künstlerin auf der Grund- lage der Genealogie errechnen, welche Parameter für weitere Erweiterungen skulpturaler Möglichkeiten PX-Arbeiten verwendet werden können, die die Reihe in einer durch digitale Technologien kohärenten Weise ergänzen oder erweitern. Die PX-Genea- PX 3201 kann nicht nur, wie eingangs dargestellt, als eigen- logie kann somit als ein Werkzeug betrachtet werden, das ständiges skulpturales Objekt betrachtet werden, sondern ist Rahmenbedingungen oder Regeln schafft, mit denen sich die auch Teil einer Reihe. Golz entwickelt seit 1989 PX-Skulptu- Künstlerin in ihrer Arbeit auseinandersetzen kann.2

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Abb. 3 Dorothee Golz/Chri- Abb. 5 François Brument: stoph Bock: PX-Genealogie Vase#44 (2009), in: (2013), in: Dorothee Golz/ Ronald T. Labaco (Hg.), Out Beate Ermacora (Hg.), Do- of hand. Materializing the rothee Golz. Schlafzimmer postdigi0074al, London: und andere Versuchsanord- Black Dog Publishing 2013, nungen, Nürnberg: Verlag f. S.174. mod. Kunst 2014, S.57–58.

Ein solches Vorgehen entspricht Strategien einer prozess- Skulpturen entstehen, sowie eine Auseinandersetzung mit orientierten skulpturalen Produktion, die sich seit den 1960er seinen plastischen Eigenschaften und Verarbeitungsmöglich- Jahren entwickelt und u.a. von Robert Morris in Anti-Form3 keiten eine ebenso große Rolle wie in einer Vielzahl weiterer theoretisch fundiert wird. Ihr geht es nicht mehr um die Um- skulpturaler Positionen, die seit der Postminimal Art einen be- setzung von Ideen oder die Herstellung abbildender Wirklich- sonderen Schwerpunkt auf einen Prozess legen, der mit aus- Eine damit grundlegend bereits bewirkte Entgrenzung mer auch in ihrer Materialität wahrgenommen zu werden, keitsbezüge, stattdessen richtet sich ihr Interesse u.a. auf gestellt und somit in seiner potenziellen Weiterführbarkeit be- von Produktion und Rezeption wird in partizipativen Strate- wodurch ein Spannungsfeld von Materialität und Medialität Möglichkeiten, eine Steuerung skulpturaler Prozesse partiell trachtungsrelevant wird. gien, die im Bereich der Skulptur seit den 1960er-Jahren zu- eröffnet wird. aufgeben zu können, indem Entscheidungen an unmittelbar nehmend an Bedeutung gewinnen, noch umfassender. Hier Wie eingangs anhand von Dorothee Golz‘ Arbeit PX 3201 beteiligte und kontextuelle Faktoren, den Zufall oder Rezi- gehören Eingriffe Betrachtender in den Entstehungs- oder dargestellt wurde, basiert deren diesbezügliches Irritations- pient*innen delegiert werden. Hiermit einher gehen Erwei- Weiterentwicklungsprozess von Skulpturen zu den formbe- moment unter anderem darauf, dass ihre Form eine Funktio- terungen in Raum, Zeit und Betrachtung, die für skulpturale stimmenden Faktoren. Auch hier erweitern digitale Verfahren nalität suggeriert, die bei genauerer Betrachtung nicht einge- Entwicklungen bis heute von zentraler Bedeutung sind. Indem das Spektrum möglicher Herangehensweisen und können auf löst wird. Ein durch die Ambivalenzen und Irritationsmomente Materialien, Werkzeuge und Techniken nicht mehr in erster diese Weise hinsichtlich ihrer partizipativen Potenziale reflek- der Arbeit in Gang gesetztes Oszillieren zwischen Ding und Linie der Umsetzung gesetzter Ziele dienen, sondern hinsicht- tiert werden. So entwickelt François Brument für Vase#44 Zeichen, das Erfahrung und deren Reflexion ästhetisch wer- lich ihrer Möglichkeiten und Wirkungen erkundet werden, (2009, Abb. 5) einen sound-to-volume-Algorithmus, der laut- den lässt, indem es sie an den Wahrnehmungsakt zurück- werden ihr Einbezug und zunehmend auch ihre konnotativen liche Äußerungen oder Atemgeräusche Betrachtender in eine bindet, kann mit Juliane Rebentisch als zentrales Moment Ebenen Gegenstand künstlerischer Reflexion. Basieren Fakto- dreidimensionale Vasenform umrechnet. Anhand einer un- zeitgenössischer Kunst5 und als Grundlage der ihr inhärenten ren, die an einem skulpturalen Prozess teilhaben, auf digitalen mittelbaren 3D-Visualisierung der entstehenden Form haben Erkenntnismöglichkeiten betrachtet werden. Anhand des so Technologien, erstreckt sich diese Reflexion auch auf deren Betrachtende die Möglichkeit, die Zusammenhänge von Ge- eröffneten Spannungsfeldes kann die Verwobenheit von Ma- Möglichkeiten und Implikationen.4 räuschproduktion und Formbildung zu erkennen und modifi- terialität und Medialität in semiotischen Prozessen untersucht In der zeitgenössischen skulpturalen Produktion können zierend einzugreifen. werden. Eine solche Untersuchung findet bei PX 3201 auf ei- neben der von Dorothee Golz gewählten Strategie weitere ner elementaren, impliziten Ebene statt. Herangehensweisen erkannt werden, in denen digitale Werk- Skulpturale Erkundungen des Spannungsfelds In einer expliziteren Weise werden Schnittstellen von Ma- zeuge und Verfahren als kontextuelle Faktoren in skulpturale von Materialität und Medialität terialität und Medialität im Kontext medienkünstlerischer In- Prozesse einbezogen werden. Anders als in der Entstehung Eine weitere Form skulpturaler Erkundungsmöglichkeiten stallationen erkundet, die u.a. von Nam June Paik seit den der PX-Arbeiten werden dabei häufig maschinelle, computer- zeitgenössischer, d.h. digitalisierter und mediatisierter Wirk- 1960ern entwickelt werden. Wie z.B. anhand der Position Abb. 4 Roxy Paine: Scumak gesteuerte Herstellungsverfahren entwickelt, wie z.B. Roxy lichkeiten wird erkennbar, wenn Skulpturen als Auseinander- Laure Prouvosts erkannt werden kann, sind Auseinanderset- 2 (2011), in: Ronald T. Paines Skumaks (Abb. 4). Diese produzieren Skulpturen, die setzungen mit einem sich zwischen Materialität und Medi- zungen mit einem Spannungsfeld zwischen stofflicher und Labaco (Hg.), Out of hand. auf einer jeweils maschinenspezifischen Formensprache ba- alität eröffnenden Feld betrachtet werden. Während in all- medial vermittelter Materialität, Immersion und Störung me- Materializing the postdigi- sieren. Zentraler Bestandteil der Arbeit ist die Entwicklung täglichen Medienrezeptionen deren materielle Grundlage dialer Rezeption auch in der zeitgenössischen Kunst relevant. 0074al, London: Black Dog der Maschine einschließlich der Möglichkeiten ihrer Program- transparent zu werden tendiert, besteht eine Besonderheit Das Zentrum ihres Beitrags zur 56. Biennale in Venedig, Publishing 2013, S.276. mierung. Dabei spielt die Wahl des Materials, aus dem die künstlerischer, insbesondere skulpturaler Arbeiten darin, im- Vois ce Bleu Profond te Fondre (2019, Abb. 6), bildet eine

120 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 121 SKULPTURALE ERKUNDUNG SKULPTURALE ERKUNDUNG

Wie Laure Prouvost in einem Interview erklärt, entwickelt dingungen einer sich digitalisierenden und mediatisierenden linke Seite: sie für eine Arbeit wie Vois ce Bleu Profond te Fondre zuerst Gesellschaft basiert. Abb. 6 Laure Prouvost: Vois das Video und anschließend die Installation, die im Video Ge- Geht man davon aus, dass digitalisierungsbedingte Ein- ce Bleu Profond te Fondre zeigtes aufgreift und auf eine materielle Ebene bringt. Video flüsse unsere Lebenswelt, unser Denken, Handeln, Wahr- (2019) https://www. und installative Umgebung arbeiten auf diese Weise zusam- nehmen und Erleben umfassend durchdringen, entziehen sich institutfrancais.com/en/ men an einem Narrativ, in dem sich Realität und Fiktionalität diese Zusammenhänge einer begrifflichen Analyse. Skulptu- portfolio/laure-prouvost- ineinander verschränken. Wie Prouvost weiter darstellt, geht s-at-the-58th-venice- es ihr um ein Verwischen der Übergänge zwischen Fiktion und international-art-exhibition- realem Raum, in den sie ihre Videos erweitert.7 Die materiel- deep-see-blue (Stand len Objekte, wie z.B. Fische aus Muranoglas, die sie in ihre 19.12.2019) Installationen einbezieht, vergleicht Prouvost mit Reliquien.8 Abb. 7 Laure Prouvost: Vois Diesen kommt in religiösen Kontexten die Aufgabe zu, Im- ce Bleu Profond te Fondre materielles mit einer materiellen Ebene zu verbinden und so (2019), Detailaufnahme seine Echtheit zu verbürgen. Wie Katja Kwastek zeigt, wird https://www.schirn.de/ der Topos der Reliquie derzeit auch in weiteren künstlerischen fileadmin/SCHIRN/Maga- Positionen aufgegriffen, um „die Ungreifbarkeit technischer zin/Abbildungen_2019/ Bildgebungsverfahren“9 zu thematisieren und Rematerialisie- Schirn_Tipps/Biennale_Ve- rungsstrategien zu erproben. nedig/header_IMG_E2458. jpg (Stand 19.12.2019) Skulpturale Erkundungen postdigitalen Erlebens von Ding, Körper und Raum Betrachtet man PX 3201 gemeinsam mit weiteren Arbei- Abb. 8 Esther Kläs: ten der PX-Reihe, wird deutlich, dass sich Dorothee Golz mit Ohne Titel (B) (2013), in: grundlegenden skulpturalen Fragestellungen nach Wirkungen Friedrich Meschede (Hg.) von Material und Form, Volumen, Raum, Oberfläche und Far- Whatness. Esther Kläs, be sowie deren Beziehungen befasst. Anhand der Vielzahl an Johannes Wald. Köln: Arbeiten, die Dorothee Golz in dieser Reihe entwickelt, kann dass Digitalisierung und Mediatisierung sich nicht in disrupti- Snoeck 2015, S.40. bei ihr, ebenso wie bei vielen anderen zeitgenössischen Bild- ver Weise auf skulpturale Interessen und Strategien auswir- Abb. 9 Johannes Wald: hauer*innen, aber auch ein Bedürfnis nach einem dreidimen- ken oder diese gar obsolet werden lassen. Vielmehr bleiben Cold veins, warm light sionalen Formen, einem Machen, erkannt werden. Fragen ei- rale Prozesse, innerhalb derer in einem interaktiven Prozess grundlegende skulpturale Fragestellungen und Strategien re- (2013) https://papageno. nes solchen skulpturalen Handelns an sich10, das sich für das der Auseinandersetzung mit Material gearbeitet wird, eröff- levant, beziehen sich jedoch auf eine digitalisierungsbedingt hu/wp-content/up- Skulpturale in seiner materiellen Dinghaftigkeit, Präsenz und nen jedoch Möglichkeiten, sich dem subjektiven wie kollek- veränderte Gegenwart. Insofern künstlerische Produktion eine loads/2018/01/2.jpg (Stand multisensuellen wie leiblichen Erfahrbarkeit, vor allem aber tiv relevanten Erleben von Körper, Raum, Ding und Zeit einer Auseinandersetzung mit ihren Mitteln umfasst, werden deren 19.12.2019) Videoprojektion, in der die Künstlerin eine filmische Reise auch für den Prozess seiner Entwicklung interessiert, schei- postdigitalen Gegenwart anzunähern. So verweist ein Interes- digitalisierungsbedingte Erweiterungen dabei immer auch Ge- von Paris nach Venedig zeigt. Das Meer und seine Bewoh- nen auch für Esther Kläs und Johannes Wald eine besonde- se an anthropomorphen Bezugnahmen bei Wald und Kläs auf genstand unterschiedlicher Formen künstlerischer Reflexion. ner werden dabei immer wieder auch als Großaufnahmen ins re Rolle zu spielen. Wie Friedrich Meschede in Bezug auf die Bedürfnisse, zeitgenössische Formen leiblichen Erlebens von Kontinuitäten, die ungeachtet der veränderten Rahmenbedin- Zentrum gerückt, wobei die besonderen Möglichkeiten des Ausstellung Whatness (2015), in der die Arbeiten der beiden körperlich-räumlichen Wirklichkeiten zu erkunden und zum gungen, Möglichkeiten und Erkundungsfelder skulpturalen Ar- Films genutzt werden, um haptische und taktile Erfahrungen Künstler*innen in der Kunsthalle Bielefeld gezeigt werden, Ausdruck zu bringen. Möglich wird dies insofern, als in ästhe- beitens erkennbar sind, bilden eine Basis kunst- und kulturge- visuell wahrnehmbar zu machen6. Gezeigt wird dieses Video überlegt, richten sich ihre skulpturalen Prozesse nicht primär tischen Erfahrungsprozessen, die im skulpturalen Arbeiten in schichtlicher Reflexionen digitalisierungsbedingter Verände- in einem zentralen Raum des französischen Pavillons, in den auf die Schaffung von Kunst, sondern auf Formulierungen von Gang gesetzt werden, Momente un- oder vorbewussten, mit rungen, die u.a. Wahrnehmungsbedingungen und die damit in man über einen feuchten, nach Erde riechenden Keller sowie Wirklichkeit.11 Die unterschiedlichen Positionen von Kläs und den Bedingungen digitalisierter und mediatisierter Lebens- Wechselwirkung stehenden Entwicklungen ästhetischer Vor- einen weiteren Raum gelangt, auf dessen Boden eine trans- Wald lassen, u.a. hinsichtlich ihres besonderen Umgangs mit welten vernetzten Erlebens ästhetischen Formen der Refle- lieben betreffen können. Gleichzeitig bieten sie Ansatzpunk- parent-blaue Beschichtung als Display für verschiedene Ob- anthropomorphen Bezugnahmen diesseits und jenseits der xion zugänglich werden können. te, um über soziokulturelle Implikationen von Digitalisierung jekte aus Muranoglas, wie Fische und Quallen, aber auch für Figuration, Parallelen erkennen (Abb. 8–9). Diese verweisen und Mediatisierung nachzudenken. Bildungspotenziale einer Reste realer Handys fungiert (Abb. 7). Der Projektionsraum darauf, dass die in ihren Arbeiten formulierten Wirklichkeiten Kunstpädagogische Perspektiven damit im künstlerischen Denken und Handeln erkennbar wer- selbst mit seinen organisch geformten Sitzgelegenheiten ist wahrgenommene Wirklichkeiten gemeinsamer Gegenwart auf skulpturale Erkundungen postdigitaler denden postdigitalen Perspektive12, die in der Produktion und mit einem seltsam weichen Bodenbelag ausgestattet, der in sind. Insofern sowohl Kläs als auch Wald in den frühen 1980er Wirklichkeiten Rezeption skulpturaler Arbeiten im Kunstunterricht wirksam seiner Nachgiebigkeit Assoziationen von schlammigem Ufer- Jahren geboren wurden, kann überlegt werden, dass ihr Er- Die vorgestellten Beobachtungen zeitgenössischer Positio- werden können, bestehen darin, ein dichotomes oder antago- sand hervorruft. leben dieser Gegenwart auf vergleichbaren Sozialisationsbe- nen eines erweiterten skulpturalen Feldes weisen darauf hin, nistisches Verständnis des Verhältnisses von Analogem und

122 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 123 SKULPTURALE ERKUNDUNG SKULPTURALE ERKUNDUNG

Digitalem13, von materiellen und immateriellen Wirklichkeiten ternational (2016), https://www.kunstforum.de/artikel/ baco (Hg.), Out of hand. Materializing the postdigital ; [… in conjunc- Dander/Julienne Lorz/Deborah Bürgel et al. (Hg.), Skulpturales Han- zu überwinden. wir-sind-nie-digital-gewesen/ (Stand 18.12.2019) tion with the Exhibition Out of Hand: Materializing the Postdigital … deln, Ostfildern: Hatje Cantz 2012, S.42–44, hier S.42. Besondere Chancen basieren darauf, dass im skulptura- Meschede, Friedrich: »Whatness. Quidditas«, in: Ders. (Hg.), Museum of Arts and Design, October 15, 2013–July 6, 2014, Lon- 11 Friedrich Meschede: »Whatness. Quidditas«, in: Ders. (Hg.), What- len Handeln auch unter Einbezug digitaler Techniken wie z.B. Whatness. Esther Kläs, Johannes Wald, Köln: Snoeck don: Black Dog Publishing 2013, S.7–13, hier S.9. ness. Esther Kläs, Johannes Wald, Köln: Snoeck 2015, S.28–33, hier 3D-Druckverfahren materielle Objekte entstehen, die nicht 2015, S.28–33. 5 Vgl. Juliane Rebentisch: »Autonomie? Autonomie! Ästhetische Erfah- S.32. nur visuell, sondern auch haptisch, taktil und leiblich erfahren Morris, Robert: »Anti-Form (1968)«, in: Clemens Krümmel/ rung heute«, in: Sonderforschungsbereich 626 (Hg.), Ästhetische Er- 12 Eine solche Perspektive attestiert z.B. Florian Cramer künstlerischem werden. Gerade in skulpturalen Prozessen, die eine unmittel- Susanne Titz (Hg.), Bemerkungen zur Skulptur. 12 Texte, fahrung: Gegenstände, Konzepte, Geschichtlichkeit, Berlin 2006, hier Arbeiten einer digitalisierten Gegenwart. Vgl. Florian Cramer: »Nach bare Gestaltung von Material mit digitalen Techniken verbin- Zürich: JRP Ringier Kunstverlag 2010, S.54–59. S.4. dem Koitus oder nach dem Tod? Zur Begriffsverwirrung von ›postdi- den, können materielle und immaterielle Grundlagen kulturel- Ders.: »Einige Bemerkungen zur Phänomenologie des Ma- 6 Vgl. Roland Wetzel: »Prière de toucher. Der Tastsinn der Kunst«, in: gital‹, ›Post-Internet‹ und ›Post-Media‹«, in: Kunstforum International ler und sozialer Entwicklungen als vernetzt begriffen und hin- chens. Die Suche nach dem Motivierten«, in: Susanne Museum Tinguely (Hg.), Prière de toucher. Der Tastsinn der Kunst, Bd. 242, 2016, https://www.kunstforum.de/artikel/nach-dem-koitus- sichtlich ihrer Schnittstellen erforscht werden. Durch Erfah- Titz/Clemens Krümmel, Bemerkungen zur Skulptur, Zürich: Basel: Verlag Bibliothek der Provinz 2016, S.7–18, hier S.10. oder-nach-dem-tod/ (Stand 18.12.2019). rungen skulpturalen Handelns, das mit Robert Morris auf einer JRP Ringier Kunstverlag 2010, S.74–95. 7 Vgl. Laure Prouvost im Interview »In conversation with Laure Pro- 13 Ein dichotomes Verständnis dieses Begriffspaares hinterfragt u.a. einfachen Ebene als „Art des Machens“14 betrachtet werden Paul, Christiane: »Objecthood from the desktop«, in: Ronald uvost«. https://www.youtube.com/watch?v=Ao9vUkdeX8Q (Stand Jens Schröter. Vgl. Jens Schröter: »Analog/Digital - Opposition oder Susanne Henning, Dipl. kann, kann Kunstunterricht außerdem Möglichkeiten eröffnen, T. Labaco (Hg.), Out of hand. Materializing the postdigital, 18.12.2019). Kontinuum«, in: Jens Schröter/Alexander Böhnke (Hg.), Analog/Digi- Ing. Architektin, seit 2018 ein konsumptives Verhältnis zu Dingwelten zu befragen und London: Black Dog Publishing 2013, S.7–13. 8 Vgl. ebd. tal - Opposition oder Kontinuum? Zur Theorie und Geschichte einer wiss. Mitarbeiterin im Fach Materialität auch aus einer handelnden, aktiv gestaltenden Prouvost, Laure im Interview »In conversation with Laure Pro- 9 Katja Kwastek: »Wir sind nie digital gewesen. Postdigitale Kunst als Unterscheidung, Bielefeld: transcript Verlag 2004, S.7–30. Kunst, Bereich Kunstpä- Perspektive zu erkunden. Bezugnehmend auf Überlegungen uvost«. https://www.youtube.com/watch?v=Ao9vUk- Kritik binären Denkens«, in: Kunstforum International Bd. 242, 2016, 14 Vgl. Robert Morris: »Einige Bemerkungen zur Phänomenologie des dagogik an der Universität Zygmunt Baumans, der unsere neoliberal-markwirtschaftlich deX8Q (Stand 18.12.2019) https://www.kunstforum.de/artikel/wir-sind-nie-digital-gewesen/ Machens. Die Suche nach dem Motivierten«, in: Susanne Titz/Cle- Siegen. 1987–1992 Archi- organisierte und in dieser Hinsicht von digitalen Technologien Rebentisch, Juliane: »Autonomie? Autonomie! Ästhetische (Stand 18.12.2019). mens Krümmel, Bemerkungen zur Skulptur, Zürich: JRP Ringier tekturstudium an der FH maßgeblich unterstützte Gegenwart als eine flüssige Moder- Erfahrung heute«, in: Sonderforschungsbereich 626 (Hg.), 10 Diese Formulierung nimmt Bezug auf Überlegungen Daniela Stöppels Kunstverlag, S.74–95, hier S.75. Lippe, 1992–2004 Arbeit ne begreift15, in der Individuen gesellschaftliche Mitgestal- Ästhetische Erfahrung: Gegenstände, Konzepte, Ge- zu künstlerischen Interessen an einem »Skulpturalen an sich«, in: Da- 15 Zygmunt Baumann: Flüchtige Moderne. Frankfurt am Main: Suhr- als angestellte und freie tungsmöglichkeiten nur noch bedingt erkennen und nutzen schichtlichkeit, Berlin 2006. niela Stöppel: »Phyllida Barlow. Das Skulpturale an sich?«, in: Patrizia kamp 2016 Architektin, 2004–2011 können, eröffnet eine solche Perspektive Chancen, um Le- Schröter, Jens: »Analog/Digital - Opposition oder Kontinuum«, Lehramtsstudium der benswirklichkeiten in ihrer Plastizität wahrzunehmen. in: Jens Schröter/Alexander Böhnke (Hg.), Analog/Digital Fächer Deutsch, Kunst und – Opposition oder Kontinuum? Zur Theorie und Geschich- Physik an der Universität Literatur te einer Unterscheidung, Bielefeld: transcript Verlag 2004, Paderborn, 1. und 2. Bauman, Zygmunt: Flüchtige Moderne, Frankfurt am Main: S.7–30. Staatsexamen, 2013–2018 Suhrkamp 2016. Stöppel, Daniela: »Phyllida Barlow. Das Skulpturale an sich?«, wiss. Mitarbeiterin im Fach Bock, Christoph: »Towards a Predictive Genealogogy of the in: Patrizia Dander/Julienne Lorz/Deborah Bürgel et al. Kunst, Bereich Bildhauerei PX Sculpture Series«, in: Dorothee Golz/Beate Ermacora (Hg.), Skulpturales Handeln, Ostfildern: Hatje Cantz 2012, und Didaktik der Universität (Hg.), Dorothee Golz. Schlafzimmer und andere Versuchs- S.42–44. Paderborn, Promotion zu anordnungen, Nürnberg: Verlag f. mod. Kunst 2014, S.58– Wetzel, Roland: »Prière de toucher. Der Tastsinn der Kunst«, „Architektur wird plastisch 61. in: Museum Tinguely (Hg.), Prière de toucher. Der Tast- – Skulpturale und architek- Cramer, Florian: »Nach dem Koitus oder nach dem Tod? Zur sinn der Kunst, Basel: Verlag Bibliothek der Provinz 2016, tonische Bildungsprozesse Begriffsverwirrung von ›postdigital‹, ›Post-Internet‹ und S.7–8. in Lehr- und Lernkontex- ›Post-Media‹«, in: Kunstforum International Bd. 242, 2016, ten“. https://www.kunstforum.de/artikel/nach-dem-koitus- 1 Elke Krasny: »Speak Back. Make Back. Dorothee Golz und ihre Ein- oder-nach-dem-tod/ (Stand 18.12.2019) griffe in die Welt«, in: Dorothee Golz/Beate Ermacora (Hg.), Dorothee Genz, Julia/Gévaudan, Paul: Medialität, Materialität, Kodie- Golz. Schlafzimmer und andere Versuchsanordnungen, Nürnberg: rung. Grundzüge einer allgemeinen Theorie der Medien Verlag f. mod. Kunst 2014, S.18–22, hier S.22. (= Edition Medienwissenschaft, Band 38), Bielefeld: tran- 2 Vgl. Christoph Bock: »Towards a Predictive Genealogy of the PX script 2016. Sculpture Series«, in: Dorothee Golz/Beate Ermacora (Hg.), Dorothee Krasny, Elke: »Speak Back. Make Back. Dorothee Golz und Golz. Schlafzimmer und andere Versuchsanordnungen; [anlässlich ihre Eingriffe in die Welt«, in: Dorothee Golz/Beate Erma- der Ausstellung in der Galerie im Taxispalais, Innsbruck, 14.12.2013– cora (Hg.), Dorothee Golz. Schlafzimmer und andere Ver- 23.2.2014, Nürnberg, Verlag f. mod. Kunst 2014, S.58–61, hier S.61 suchsanordnungen, Nürnberg: Verlag f. mod. Kunst 2014, 3 Vgl. Robert Morris: »Anti-Form (1968)«, in: Clemens Krümmel/Susan- S.18–22. ne Titz/Robert Morris (Hg.), Bemerkungen zur Skulptur. 12 Texte, Zü- Kwastek, Katja: »Wir sind nie digital gewesen. Postdigita- rich: JRP Ringier Kunstverl. [u.a.] 2010, S.54–59. le Kunst als Kritik binären Denkens«, in: Kunstforum In- 4 Vgl. Christiane Paul: »Objecthood from the desktop«, in: Ronald T. La-

124 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 125 IMPRESSIONEN EINES GELUNGENEN DIALOGS IMPRESSIONEN EINES GELUNGENEN DIALOGS

Abb. 20 Bernd Böhmer präsentiert die steirische Technik des Maronibra- tens

Abb. 23 Round-Table- Gespräch mit Richard Kriesche

Abb. 21 Aus dem Emo- jiworkshop von Roman Klug Abb. 25 Daniela Schwarzl und ihr Freiarbeitsmaterial für die Sinneswerkstätten

Abb. 24 Verbindungen und Querverbindungen – die Tagungstasche als Kommunikationsmedium

126 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 127 KUNSTSYMPOSIEN KUNSTSYMPOSIEN

Rolf Laven dernd wirken. Eine weitere Besonderheit besteht im Ange- Literatur bot an ästhetischer, sinnlicher Erfahrbarkeit für Interessierte. Christ, Julia (2012). Die Möglichkeit des Anderen – Zur De- Dieser Modus vermag wider einem gegenwärtig – aufgrund zentrierung des Subjekts im Spiel bei Kant und Winnicott. Dialoge durch analog-ästhetische medientechnologischer Überreizung – möglichen Wahrneh- In R. Strätling (Hrsg.). Spielformen des Selbst. Das Spiel Kunstsymposien mungsverlust zu wirken. Ein solch anregendes, inspirieren- zwischen Subjektivität, Kunst und Alltagspraxis. Bielefeld: des Erfahren von jenen Bereichen, die ansonsten wenig In- transcript. S.103–126. Einleitende Überlegungen teraktion zulassen, kann durch verschiedene Aktivitäten im Stadtgemeinde Laa an der Thaya (2019). Kunsthaus Laa Holz- Umfeld des Symposiums unterstützt werden. Denn Kunst bildhauersymposium. [Abgerufen am 23.12.2019] https:// kann in ihren vielfältig ästhetisch erfahrbaren und anschlie- www.kunsthauslaa.at/fotos/holzbildhauersymposium/ Im Essay über Kunstsymposien (in ICONS 2) sollte eine Posi- ßungsoffenen Weisen zum Dialog anregen. Ungewohntes, Welsch, Wolfgang (1991). Ästhetisches Denken. Stuttgart: MMag. Dr. Rolf Laven tionierung zurück in die Zukunft gewagt werden. Der Grundge- bisher nicht Erfahrenes, Gesehenes, spielt sich nieder- Philipp Reclam jun. (geb. 1966 in Jülich/ danke lautet, mittels Kunstsymposien Begegnungs- und Aus- schwellig in die Wahrnehmung der Bevölkerung vor Ort ein, NRW), bildender Künstler, stellungsorte zu schaffen, um damit Kunst verstärkt sicht- und wenn diese im Kontakt mit den Handlungen der Kunstschaf- Hochschulprofessor an der partizipierbar in Natur- wie Kulturlandschaften zur Verfügung fenden stehen. Solch vielschichtig Unbekanntes zulassen Pädagogischen Hoch- zu stellen. Die Schaffung von Skulpturenparks als dauerhaf- zu können, dürfte als Erweiterung von Ambiguitätstoleranz Zeichen und Icons schule Wien am Institut te Ausstellungsmöglichkeit im Umfeld der Symposien ver- zu verstehen sein. Persönlich noch unbekannte Strategien Nachgefragt für Allgemeinbildung in mag synergetisch zu wirken. Bereits Joseph Beuys hat als oder Zugänge zu bislang nicht selbst erhandelten Strategien bei Ernst Hochrainer und Hans Krameritsch der Sekundarstufe – ein Vorreiter für diese Werte gezeigt, dass Kunst als sozia- könnten allerdings auch für die Kunstschaffenden vor Ort – Interview zusammengestellt von Franziska Pirstinger Fachbereich Bildnerische le Praxis durchaus Konsequenzen, wenn auch nur partielle, in Kollaboration mit anderen – eröffnet werden. In die Pro- Erziehung, Lehrbeauftragter hat. In rudimentären Segmenten wirken Symposien weiterhin zesse des lebenslangen Lernens wären damit alle Interes- Ernst, du bist seit gut 30 Jahren in der Lehrbuchentwicklung an der Universität Wien strategisch in der Kommunikation künstlerischer Arbeit hin zu sierten eingebunden. tätig, wie kam es dazu? am Institut für Bildungs- (aspekthafter) Teilhabe der Bevölkerung. Symposien existie- Ernst: Begonnen hat alles mit Texten zur Politischen Bil- wissenschaften und an der ren an einer Schnittstelle von regionalen, gesellschaftlichen Perspektivität dung und der Mitarbeit an einem Lehrbuch für Zeitgeschichte, Universität für angewandte und institutionellen Ansprüchen sowie von kulturpolitischen Künftig könnten vermehrt spartenübergreifende Realisierun- das tatsächlich vor genau 30 Jahren erschien. Mich interes- Kunst: Experte im Werkla- Entwürfen. Die Bevölkerung vor Ort hat während eines Kunst- gen von Symposien – die z.B. das Inkludieren von experi- sierten vor allem die gesellschaftlichen Kontexte von Kunst bor, an der Akademie für symposiums Gelegenheit, gestalterische Schaffensprozesse mentellen und performativen Künsten als prozess-orientier- und Architektur. Dort liegen ja auch Schnittstellen meiner Fä- bildende Künste, Fachdi- in ihrem Umfeld mitzuerleben und im Rahmen der Begegnung te Strategien ermöglichen – begünstigend für Vielfalt sein. cher BE und Politische Bildung. daktik und Schulpraxis BE, mit Kunstschaffenden Teilhabe zu erfahren. Um einem Auseinanderentwickeln von Gesellschaft(en) ent- Das Konzept für die Buchreihe Zeichen, deren zweiter Teil Volkshochschule Campus Es entwickelt sich u.a. die Fragestellung, ob eine solche gegenzuwirken, könnten künstlerische Symposien in ihrer später unter dem Namen Icons erschien, entstand parallel zur Meidling – Leiter des Be- niederschwellige Partizipationsmöglichkeit wie auch Ambi- einbindenden Wirkweise wahrgenommen und genützt wer- Arbeit am Lehrplan 99. Eine von Heinz Kovacic koordinierte rufsreifeprüfungslehrgang valenzen und Widersprüchlichkeiten als Kreuzungspunkte den. Es könnten spielerische Aspekte der Kunst nachvollzo- Arbeitsgruppe skizzierte damals im Auftrag des BMUK die Kunst und Design, Bundes- gesellschaftlicher Prozesse und Kunst auch im Umfeld von gen und ambiguitätserweiternd dienen. Vermehrte Akzeptanz Grundzüge einer Lehrplanreform für BE auf der Sekundarstu- vorsitzender BÖKWE (Bund Symposien erfahrbar werden können. Können Alltägliches für Vielfalt und damit auch für jenes, das nicht gefällt, könn- fe 1. Wir waren in ganz Österreich unterwegs, um in regio- Österreichischer Kunst- und Gewohntes im Forum eines Symposiums hinterfragt und ten ermöglicht werden. All dies fördert gemeinschaftliches nalen Arbeitsgemeinschaften die Vorgaben des Ministeriums und WerkerzieherInnen). neue Handlungsstrategien evoziert werden? Insgesamt ist zu Kunst-Erleben und das Gespräch darüber. Solchermaßen wird und mögliche Perspektiven des Faches vorzustellen. Aus der https://www.rolflaven.com/ bedenken, inwieweit diese künstlerische Praxis, die auf Aus- das (fallweise mitzuerlebende) Kunstschaffen Zeichen setzen, Diskussion mit den Kolleginnen und Kollegen wurden ein Prio- tausch von (sonst wirtschaftlich mitwerbenden) Kunstschaf- die auch darauf hinweisen können, dass in einer, in selbstge- ritäten- und Zielkatalog und schließlich der Text des damals Abb. 1 Ausgangssituation (Materielle) Kunst im öffentlichen Raum so- fenden und Gesellschaft abzielt, Bedeutung beibehalten kann. schaffenen Sach- und Überlebenszwängen gefangenen Ge- neuen Lehrplans entwickelt. Holzsymposium im Begeg- wie das herkömmliche handgreifbare Medium (Abb. 1–2) sellschaft, kreativ-individuelles Anderssein als Hoffnung und Ich erinnere mich noch gut an ein Seminar in Bad Leon- nungshof des Kunsthaus (Schul-)Buch können positiv als Katalysator Selbstausdruck notwendig ist. felden, bei dem eine Kollegin meinte, alle guten Absichten Laa/Thaya 2016 von direkter Kommunikation gesehen werden. Potentiale dieser Erlebensform Mit Fokus auf das Pflegen von Schnittstellen könnten und Ideen würden letztlich daran scheitern, dass für den https://www.kunsthauslaa. Auch Kunstsymposien könnten die nunmehr In aktuellen, als neoliberal geltenden Zeiten mit kontinuierli- Symposien, die unter den hier vorgestellten Gesichtspunkten theoretischen Unterricht kein geeignetes Arbeitsmaterial at/fotos/holzbildhauersym- (wieder) notwendig gewordene Performance chem Leistungsdruck, dem Anspruch auf Selbstoptimierung gestaltet werden, Kontakt, Diskurs und Ambiguitätstoleranz zur Verfügung stünde und ein Großteil der Lehrer/innen, die posium/ des analog-Handgeschaffenen leisten, wo- und der individualisierten Verantwortung stehen Arbeiten im befördern. Indem Kunst nicht mehr abgerückt von der alltäg- (an der Hauptschule) BE unterrichten, keine fachliche Aus- Abb. 2 Besuch einer durch Entstehungsprozesse im Dienste von Team und nicht-exklusives Teilnehmen an gesellschaftlicher lichen Welt als etwas Außergewöhnliches positioniert, son- bildung habe. „Wir brauchen Bildmaterial und Texte mit Ba- Schulklasse während des Sinnstiftung und Erfahrungserweiterung mit Gestaltung in Opposition zueinander. Symposien hingegen dern durch das Symposium in den alltäglichen Lebensraum sisinfo, sonst wird‘s nichts“. Ähnliche Aussagen gab es auch Symposiums im Hof des Anderen geteilt werden. Sie bieten tatsäch- betonen nicht das Konkurrenzverhalten, sondern schaffen gerückt würde und diesen mitgestaltet, könnte die Wahr- an anderen Orten. Die Sache liegt mehr als 20 Jahre zurück. Kunsthauses Laa/Thaya liche – nicht virtuelle – Interaktionsmöglich- Miteinander. Lokalkolorit, Ortsspezifivität und Diversität der nehmung von Kunst vermehrt zu einem lebensweltlichen Be- Die Möglichkeiten, die das Internet heute bietet, gab es noch 2016 keiten. Teilnehmenden an dieser Schnittstelle können diskursför- standteil werden. nicht.

128 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 129 ICONS ICONS

Ein erster Gedanke, gleichzeitig mit dem Erscheinen des Dieser offene Zugang hat nicht nur Jörg und mir große Die Bücher enthalten unglaublich viele Abbildungen, daher mehr. Auch eigene Bilder, die wir für die Erstauflage fotogra- neuen Lehrplans eine Reihe von Informationstexten (Kommen- Freiheit gelassen, er hat zuletzt auch die Neubearbeitung habe ich in meiner Rezension ICONS auch als ein Bilderbuch fiert und verwendet hatten, entsprachen mitunter nicht mehr tare, Unterrichtsmodelle usw.) in einer Art work in progress zu der Bücher in einem neuen Team deutlich erleichtert. Ein so bezeichnet, dem es nicht ganz gelungen ist, den Bildern den den aktuellen Standards des Urheberrechts. Eine Aufnahme starten, wurde vom Ministerium zunächst unterstützt, bald aber wichtiges Kapitel wie den Beitrag über Graphic Novels, den ihnen gebührenden Rahmen zu schenken. des Louvre ist heute problematisch, wenn darauf Ieoh Ming wieder fallen gelassen. 1998 lud das BMUK zu einer Veranstal- Hans Krameritsch für Icons 1 verfasste, hätte ich selbst nicht Ernst: Die Bilder sind ein wesentliches Kriterium unserer Peis Pyramide zu sehen ist oder zufällige Passanten identifi- tung, in deren Rahmen Schulbuchverlegern die zu diesem Zeit- schreiben können. Das gilt auch für viele andere Themen. Bücher. Sie sind Inhalt und Medium zugleich. Die Bilder ha- ziert werden könnten. Schriftliche Erklärungen zur Überlassung punkt fast abgeschlossenen Lehrplanreform präsentiert werden Auch die drei Beiträge, die Bernard Bernatzik, Gerrit Höfferer ben uns aber auch die Grenzen dessen gezeigt, was in einem von Bildrechten müssen in einer juristisch einwandfreien Form sollte. Ich habe damals ein Statement zur BE abgegeben und und Rolf Laven für Icons 2 bereitgestellt haben, spiegeln die Schulbuch machbar ist und was nicht. Die Auswahl des Bild- verfasst sein, was auf ältere Freigabetexte nicht immer zutraf. wurde im Anschluss daran von Verlagsvertretern gefragt, ob ich besonderen Interessen und Kompetenzen ihrer Verfasser/in- materials orientierte sich zunächst an drei grundsätzlichen Mag. Ernst Hochrainer mir vorstellen könne, selbst ein Buchprojekt für BE zu betreuen. nen wieder. Letztlich lässt sich dieses Prinzip auch im Unter- Fragen: An welchem Werk oder an welcher Werkgruppe las- Hans, wie ist es dir dabei ergangen? (geb. 1949), 1974–1991 Vom Bundesverlag kam die konkrete Aufforderung, ein Konzept richt fortsetzen. Kolleginnen und Kollegen, aber auch Schüler- sen sich Ziel und Thema eines Kapitels am besten darstellen? Hans: Die Suche nach Ersatzbildern und die daraus resul- Lehrer an Wiener AHS zu erstellen und dieses an die Verlagsleitung zu schicken. We- innen und Schüler können mit ihren Vorlieben und ihren Re- Sind die gewünschten Abbildungen verfügbar und leistbar? tierenden Textänderungen haben einen ganz großen Teil der (Bildnerische Erziehung, nig später gab es die Einladung zu einem Gespräch und schließ- cherchen das in unseren Büchern angelegte Themenspektrum Welche Alternativen kommen in Frage? für die Neubearbeitung aufgewendeten Arbeitszeit in An- Politische Bildung), 1991– lich das Angebot, neue Schulbücher für BE zu verlegen. fast unbegrenzt erweitern. Natürlich haben die Verlage Limits gesetzt. Neben einer spruch genommen. Vor allem die Bildrecherche zur Reihe 2013 an der Pädagogischen Mindestqualität der Druckvorlagen waren vor allem die Bild- Zeichen war langwierig und oft auch frustrierend. Man hatte Akademie/ Pädagogischen Jörg Czuray war bis zu seinem Tod im Dezember 2013 dein Du erzähltest mir, dass Jörg schon vor den Verlagen Über- rechte und deren Kosten entscheidend. Vorgaben, sich mög- persönliche Zusagen vom Künstler (Julian Opie!), bekam aber Hochschule Wien. kongenialer Projektpartner. Wie kam es zu eurer Zusammen- arbeitungen ins Auge gefasst hatte, und selbst als seine Krank- lichst auf bestimmte Agenturen und deren Angebot zu be- trotzdem vom Verlag nicht das Wunschbild, da die Abwick- arbeit? heit ihm das fast schon unmöglich machte, über die Aktualisie- schränken, beengten die Auswahl. Auch die Größe der Ab- lung über eine Agentur sicherer und einfacher schien. Ernst: Dass ich eine ganze Buchreihe nicht alleine ma- rung und Verbesserung seiner Kapitel nachdachte. Du konntest bildungen hatte Gewicht. Kleinere Bilder sind billiger, größere chen würde, war von Anfang an klar. Jörg Czuray war mein Hans Krameritsch dafür gewinnen, diese Arbeit fortzusetzen? teurer. Größere Formate bedeuten weniger Bilder aber auch Es müssen doch unglaublich viele Arbeitsstunden hinter so Wunschpartner. Ich kannte ihn seit langem. Er konnte Dinge, Ernst: Ja, Jörg hat mir eine Liste hinterlassen und darin weniger Text, weil eine vorgegebene Gesamtzahl an Seiten einem Werk stecken. Wie schafft man das? die ich nicht kann, und ich weiß, dass er von mir ähnlich dach- erfasst, was er gerne gestrichen, gekürzt, ergänzt oder ver- nicht überschritten werden darf. Ernst: Der Arbeitsaufwand für die einzelnen Kapitel war te. Unsere Interessenschwerpunkte waren unterschiedlich, ändert hätte. Er hatte auch neue Kapitel geplant, zu deren Wir haben entschieden, Bilder, die für das Thema eines sehr unterschiedlich und ist rückblickend in Arbeitsstunden ergänzten einander aber komplementär. Jörgs Zusage war Realisierung es nicht mehr gekommen ist. In Summe enthal- Kapitels von zentraler Bedeutung sind, nach Möglichkeit groß nur schwer zu beziffern. Die Zeit für Recherchen und das Ver- der Startschuss für das Projekt. Ich kann rückblickend sagen, ten die Neuausgaben von Icons 1 und Icons 2 zu gut einem zu setzen, Bilder, die Kontexte beleuchten, kleiner. Das Ergeb- fassen der Texte ist planbar. Der Aufwand für die Beschaffung dass es ohne ihn auch nicht zu Ende gebracht worden wäre. Drittel noch Texte, die auf Jörg zurückgehen, in Zeichen 1–4 nis zahlloser Kompromisse: Icons 1 enthält auf 208 Seiten der Bilder und die mehrfachen Korrekturdurchgänge, in denen Mag. Hans Krameritsch Zu Beginn hatten auch noch andere Kolleginnen und Kollegen ist der Anteil vergleichbar. Jörgs Kapitel wurden sehr be- rund 650 Abbildungen, Icons 2 etwas über 500. In der Reihe Texte gekürzt, verändert und dem Layout angepasst werden, (geb. 1965), 1990–2011 Mitarbeit und Beiträge in Aussicht gestellt, aber nie geliefert. hutsam aktualisiert. Wo es ging, folgten wir seinen Notizen. Zeichen ist der Bildanteil ähnlich hoch. Leider ist die Quali- ist im Voraus kaum abzuschätzen und musste im Endeffekt Lehrer an Wiener AHS Die vom Verlag zugestandenen Textseiten haben Jörg und Die Manuskripte mussten aber auch dem neuen Layout an- tät nicht immer so ausgefallen, wie wir uns das gewünscht parallel zur bereits angelaufenen Arbeit an den nächsten Ma- (Bildnerische Erziehung, ich ziemlich genau je zur Hälfte geteilt, unsere Texte gegensei- gepasst werden, das jetzt zwischen Haupt-­‐ und Nebentext hätten. nuskripten bewältigt werden. Technisches Werken), seit tig gelesen, korrigiert, ergänzt und über Alternativen gespro- trennt. Für Bilder, die nach den geänderten Regeln des Urhe- Die Bände der Erstauflage entstanden jeweils in einem 2011 an der Pädagogischen chen. Unsere oft recht unterschiedlichen Positionen konnten berrechts nicht mehr genutzt werden durften, wurde Ersatz Du hast mir erzählt, dass sich die Vorgaben der Verlage zur Jahr. Während des Studienjahres konnte ich die einzelnen Ka- Hochschule Wien, Institut wir mit minimalem Kommunikationsaufwand auf einen ge- gesucht – mit allen Konsequenzen, die sich daraus für die Bildauswahl in den rund 20 Jahren seit dem Start der Reihe pitel in der Regel nur konzipieren und inhaltlich recherchieren, für Allgemeinbildung in der meinsamen Nenner bringen. Texte ergaben. Zeichen drastisch verändert haben. geschrieben habe ich sie in den Sommerferien. Konflikte mit Sekundarstufe, Lehrbeauf- Den Großteil dieser Arbeit hat Hans Krameritsch geleistet. Ernst: Zu Beginn gab es noch die Möglichkeit, unter Be- der Familie waren dabei nicht ganz zu vermeiden. Jörg hat tragter an der Universität Wie kam es eigentlich zur Kapitel- und Textauswahl? Er hat den Büchern aber auch mit seinen eigenen Texten neue rufung auf die freie Werknutzung für Unterrichtszwecke, von meist versucht, unmittelbar nach seinen Recherchen auch für angewandte Kunst Voraussetzung war die grundsätzliche Einigung auf Kon- Akzente gegeben. Auch das aktuelle Erscheinungsbild der Bü- Printvorlagen zu scannen. Die Bildrechte wurden von den Ver- gleich einen gültigen Text zu verfassen und ein Kapitel abzu- Wien und der Akademie zept und Grundstruktur der Bücher. Wir wollten exemplarisch cher geht auf seine Entwürfe zurück. lagen über die VBK (heute Agentur Bildrecht) geklärt und ab- schließen. Trotzdem waren wir beide fast immer zur gleichen der bildenden Künste und nicht chronologisch vorgehen, dennoch aber eine Mög- gerechnet. Eigene Fotos waren erwünscht, sofern sie den Zeit (und in letzter Minute!) mit den Manuskripten fertig. Wien, Autor und Co-Autor lichkeit bieten, die Summe der Beispiele im Sinne einer Kunst- Hans, von dir kommt doch auch die Idee der Zeitleisten, Qualitätsstandards entsprachen. Wenn sie nicht im öffentli- Meine persönliche Arbeitszeit für die Neubearbeitung von Kunst-Schulbüchern. oder Bildgeschichte zu verorten. Im Rahmen dieses Konzepts jeweils am rechten oberen Seitenrand und anderer Orientie- chen Raum aufgenommen waren, mussten schriftliche Erklä- habe ich für den Verlag am Beispiel eines Bandes (Zeichen In der LehrerInnenaus- benannte jeder von uns zunächst jene Themen und Beispiele, rungshilfen. Welche Überlegungen stecken dahinter? rungen der Inhaber/innen der Bildrechte beigelegt werden. Für 2) dokumentiert: Es waren rund 470 Stunden, also etwa das bildung leitete er Kurse die ihm besonders wichtig waren. Danach versuchten wir ge- Aus der eigenen Erfahrung weiß ich, dass Menschen un- diese Fotos erhielten Jörg und ich auch Honorare. Es zahlte Vollzeit-Pensum von drei Monaten. Der Zeitaufwand für die für Museumspädagogik, meinsam, Lücken zu schließen. Von Anfang an war aber klar, terschiedlich lernen. Ich zum Beispiel brauche visuelle Unter- sich aus, zum Beispiel nach Tiefenbronn oder Vicenza zu fah- drei übrigen Bände Zeichen dürfte ähnlich gewesen sein. Der Kunst und Handwerk, Neue dass unsere Themen nur Beispiele sind, und die angestrebten stützung, ich bin ein Augentier. Die Leisten helfen mir Dinge ren und dort zu fotografieren. Die Reiskosten waren durch die Aufwand für Icons war etwas geringer, weil die Betreuung Medien und Animations- Ziele auch mit anderer Bildauswahl und mit anderen Inhalten einzuordnen und in Beziehung zu setzen. In der Zeichen-Reihe Bildhonorare gedeckt. durch den Verlag wesentlich professioneller und kooperativer film, Workshops im Bereich vermittelbar wären. Grundsätzlich kam ein Großteil der The- wird dies mit runden Bildausschnitten (Lupe) versucht, in den Für die Neubearbeitung wurden Scans von Printvorlagen organisiert war. Graphic Novel. men aus unserer eigenen Unterrichtspraxis und die fertigen beiden Icons--Bänden mit Text-Markierungen auf einem Zeit- kaum noch akzeptiert – vom Verlag Hölder-Pichler-Tempsky Ich bin immerhin Pensionist und konnte einen Großteil Kapitel wurden in der Schulpraxis erprobt. strang. nur in Ausnahmefällen, vom Bundesverlag grundsätzlich nicht meiner Tagespensa in die Neubearbeitung der Bücher in-

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vestieren. Wie Hans Krameritsch das alles neben seiner Habt ihr keine Bedenken, dass die BE-Stunde durch das Arbeit an der PH geschafft hat, ist mir ein Rätsel. Dass Buch zu einer Art Kunstgeschichtestunde verkommt, in der nur die Neubearbeitung abgeschlossen werden konnte, ist gelesen, gestrebert und abgefragt wird? ganz wesentlich sein Verdienst. Überhaupt hat sich die Ernst: Die Bücher sollten Unterricht erleichtern, aber kein Zusammenarbeit mit ihm als neuerlicher Glücksfall er- Ersatz für Unterricht sein. Zur eigenständigen Lösung von Ge- wiesen. staltungsaufgaben, die in der BE eine zentrale Rolle spielen, kann ein Buch ohnehin wenig beitragen. Zur theoretischen Hans, worin siehst eigentlich du die Innovation und Stärke Reflexion aber, die der Lehrplan ja auch verlangt, bietet es Zu- des Buches? gänge und Einstiegshilfen. Es gibt schwierigere und leichtere Hans: Ich hoffe, die Stärke des Buches ist, dass die Kapitel Kapitel. Die Bücher machen ein Angebot, aus dem Kollegin- thematisch in die Tiefe gehen und dabei beispielhaft Querver- nen und Kollegen Elemente auswählen können, die ihre eige- bindungen aufzeigen. Natürlich ist die Auswahl subjektiv, aber nen Programme sinnvoll ergänzen. Erst die Weiterentwicklung sollte man nicht zumindest teilweise auch so unterrichten? ausgewählter Themen im Unterricht, das Kennenlernen von Niemand kann für alles der/die Experte/in sein und so versu- Alternativen und neuen Beispielen, komplettiert das Konzept chen wir in Kapiteln Themen zu veranschaulichen, die wir für unserer Bücher. wichtig und exemplarisch halten und die uns am Herzen lie- gen. Glaubt ihr, dass Schüler/innen das alles wirklich lesen und Dazu ein Statement in drei Zitaten: verstehen? Könnte man davon ausgehen, dass die Bücher das * „Glück ist, was passiert, wenn Vorbereitung auf Gelegen- angestrebte MATURAWISSEN BE der österreichischen Schule heit trifft“. (Seneca) beinhalten? Auch für das eigene kreativ-gestaltende Tun ist das Wis- Hans: Das Maturawissen gibt es nicht, oder doch? In Schu- sen um Möglichkeiten meiner Meinung nach von Vorteil. Da- len wird glücklicherweise noch immer unterschiedlich unter- mit das praktische Arbeiten „glückt“, sind Kompetenzen (ein richtet, für einen möglichen gemeinsamen Kernbereich sollten inzwischen etwas inflationärer Begriff, oder?) notwendig. Die die beiden Bücher aber mehr als ausreichend Material anbie- meisten Musiker/innen lernen die Notenschrift (Zeichen!) und ten sowie Ideen für Fortführung, Ergänzung und Alternativen. üben. Ernst: Ob Schüler/innen das lesen? Vermutlich nicht alle. Gerrit Höfferer Abb. 1 Wordcloud * Das Charles Mingus-Zitat „You can`t improvise on not- Ich kenne aber welche, die es tun und mittlerweile auch sehr Webvideogenres hing, you have to improvise on something“1, gefunden in ei- viele Lehrer/innen, die mit dem Buch arbeiten. Unsere Bücher nem Buch über den Musiker und Komiker Helge Schneider, richten sich an Schülerinnen und Schüler, die von sachkundi- Webvideokultur – eine kurze Geschichte veranschaulicht meine Haltung gegenüber dem Kanon oder gen Lehrerinnen und Lehrern begleitet werden. Es sind keine der Onlinevideos besser: dem kunstgeschichtlichen Wissen. Um die visuelle Bücher, mit denen Schüler alleine zurechtkommen müssen. Welt, die uns umgibt, zu verstehen, um sich in ihr orientieren Im Hinblick auf die Matura wollten wir mit unseren Beispielen zu können, bedarf es des Wissens um Zusammenhänge und auch zeigen, wie sich Maturathemen entwickeln lassen. Die Verbindungen. Bücher als Ausgangspunkt und Orientierungshilfe bei der Er- Die Geschichte des Kinos beginnt 1895 in * „Nicht nur für Fußball, sondern für jede Kulturtechnik gilt: arbeitung eigener Zugänge zur Welt der Bilder. Paris. Das Medium Film hat verschiedenste Die Webvideokultur zeichnet sich vor allem durch user-gene- Man muss sich schon intellektuell und emotional darauf ein- Genres hervorgebracht, deren Vorläufer groß- rated-content aus: User*innen konsumieren nicht nur Videos, lassen, will man etwas erfahren. Eine Meinung zu entwickeln, Wird es bald eine digitale Version von ICONS geben? teils in der Literatur zu finden sind. Der Beginn sie produzieren auch selbst Videos – werden also zu Prosu- die eine echte Meinung ist und nicht nur Gedöns, setzt Kennt- Hans: Der Verlag bietet ICONS auch als E-Book an – aller- der Webvideokultur kann mit 2005 festge- ment*innen – betreiben kreatives Remixen, nutzen found nis und Vertiefung voraus“2. dings nur in Kombination mit dem gedruckten Buch. Mehr ist setzt werden, jenem Datum, als die bis heute footage, gestalten selbst Beiträge und stellen diese online. Wissen ist sexy. Ich gestehe, ich bin Fußballfan. Ich habe vermutlich nicht finanzierbar. Schulbücher werden knapp kal- noch weltweit meistgenutzte Videoplattform Auf Bilder wird mit Bildern geantwortet, diese Kommunika- mir umfangreiches (und viel überflüssiges) Wissen um das kuliert, und ein Buch für BE ist kein gutes Geschäft. Die Bild- YouTube online ging. Auch die Gattung Web- tionsform wird auch als ‚response‘, ‚image to image‘ (‚i2i‘) be- Spiel angeeignet. Auch das Spielen praktiziere ich, mit wech- ausstattung ist teuer, die Auflage vergleichsweise gering. video hat zahlreiche Genres ausgebildet, die zeichnet. Auf einen geposteten Clip wird beispielsweise mit selnden Erfolgen und trotz zunehmender Einschränkungen bis u.a. Anleihen bei Film und Fernsehen genom- Formaten wie Coverversion, Remake, Parodie, Remix oder heute. Ich behaupte, ich verstehe, ich erlebe daher Spiele an- Danke für das Gespräch! men haben. Webvideoformate sowie die Film-, Re-enactment geantwortet (vgl. Richard & Grünwald 2011, ders, ich kann mitfühlen, bewundern, mich ärgern und (viel- Fernseh- und Netzkultur beeinflussen einander 384f). Bilder und Sounds liefern das Rohmaterial dieser Re- leicht peinlich, aber ich kann nichts dagegen machen) in Eks- 1 Peter Kemper, Helge Schneider. 100 Seiten, Reclam 2018, wechselseitig und treiben die Ausdifferenzie- mixkultur, die kollaboratives Arbeiten hochhält. Damit verbun- tase geraten. Auf Fußball kann man (vielleicht) verzichten, auf ISBN 978-3150204559 rung der Bewegtbildkommunikation voran. Im den sind die Dekonstruktion künstlerischer Kategorien sowie unsere visuelle Welt nicht. Daher ist Vorbereitung notwendig. 2 Dagrun Hintze, Ballbesitz, mairisch Verlag 2017, Folgenden werden einige Webvideoformate die Infragestellung tradierter Kategorien von Werk und Au- Unsere Bücher sollen dabei helfen. ISBN 978 3938539453 exemplarisch vorgestellt. tor*innenschaft.

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Der Begriff Webvideo oder Onlinevideo erstreckt sich auf in Warhols Konzept angelegt, Youtube hat dies bestätigt und Let’s Play Videos zeigen Youtuber! im Screencast-Modus Kunstdidaktik Tutorials/Uni Paderborn: https://www.youtube. alle möglichen Arten von Bewegtbildern im Internet (Abb. 1). ein medieneigenes Starformat hervorgebracht – die YouTu- während sie ein Computerspiel spielen und moderieren. Ei- com/watch?v=wT4h_jcTfO0&frags=pl%2Cwn; Mar- Ein Blog des medienwissenschaftlichen Seminars der Univer- ber*innen. nige Youtuber! haben dadurch Kultstatus erlangt, dazu zählt tin-Luther-Universität Halle-Wittenberg: https://www. sität Siegen lässt sich als gute Informations- und Recherche- Im Folgenden werden ein paar charakteristische Webvi- auch beispielsweise Gronkh (online). youtube.com/watch?v=xYTU81uL_eU&frags=pl%2Cwn plattform zum Fachbereich Webvideo Cultures nutzen (on- deo-Genres vorgestellt. Auf YouTube kann man alles lernen. How-to-Cook Videos (01012020) line). Die Kommunikationsbehörde Austria hat ein Merkblatt Unter dem Genre LipDub hat man sich ein Musikvideo vor- sind sehr beliebt und haben mitunter subversive und anarchi- Me at the zoo: https://www.youtube.com/watch?v=jNQXA- veröffentlicht, das YouTube-Kategorien (Genres) listet und de- zustellen, das meist in einer Plansequenz (in einem Stück, sche Ausprägungen hervorgebracht. C9IVRw&frags=pl%2Cwn finiert (online). Viele der hier präsentierten Beispiele sind die- ohne Schnitt) aufgenommen wurde und mit einer fertigen In Lookbook Videos stellen YouTuber*innen Outfits und (01012020) sen Quellen entnommen. Tonspur (meist einem bekannten Song) unterlegt wurde. Die Outfitkombinationen für verschiedene Anlässe vor. Online-Museum Recht auf Remix: https://museum.rechtauf- Mag. Gerrit Höfferer, Studi- Protagonist*innen bewegen ihre Lippen synchron zum Text, Das Tutorial-Genre verfügt über eine große Bandbreite. remix.org (01012020) um an der Hochschule für Prä-YouTube-Ära der als Playback wiedergegeben wird. Mittlerweile stellen immer mehr Museen und Kunsthallen Richard, B. & Grünwald, J. (2011): Von der ›Ware‹ Musik zur angewandte Kunst Wien, Das Zeitalter vor YouTube kann als Prä-YouTube-Ära bezeich- Auch Songcover als beliebte Form der Aneignung bzw. Neu- kurze Videos zu aktuellen Ausstellungen oder Aspekten ihrer ›Social Music‹? Geschredderte Jugend-Bilder und Mu- PuP an der Universität net werden. Das Video Trojan Room Coffee Pot aus dem Jah- interpretation bekannter Songs erfreuen sich hoher Beliebtheit. Sammlungen online, um neue Besucherschichten anzuspre- sik-Bastarde auf You Tube, in Dürgh, H., Metz, C., & Wey- Wien, Unterricht an der re 1991 wird als erste Anwendung einer Live-Videocam be- Unter dem Begriff Supercuts versammeln sich Videos, die chen. Auch Universitäten produzieren im Kontext von Lehrver- and, B. (Hrsg.) Warenästhetik. Neue Perspektiven auf Kon- AHS, Dozentin für Aus- u. trachtet. Die im Rechenzentrum der University of Cambridge aus verschiedenen Versatzstücken anderer Videos – oft unter anstaltungen mit den Studierenden Tutorials zu kunstdidakti- sum, Kultur und Kunst. Frankfurt am Main, S.380–404. Fortbildung (BE) an der PH installierte Kamera lieferte Informationen zum Füllstand der bestimmten ästhetischen oder narrativen Kriterien – zusam- schen Themen und stellen diese auf YouTube (online). Rösch, D. & Seitz, E.: YouTube als Teil der Jugendkultur – eine Wien, Schulbuchautorin Kaffeemaschine ins Internet mittels periodisch aktualisierter mengeschnitten wurden. kleine Genrekunde: https://kopaed.de/dateien/aufsatz_ro- ICONS 2, fachwissen- Bilder. Die Mitarbeiter*innen weiter entfernt liegender Büros Wenn Musikclips, die z.B. einen Gitarrenvirtuosen zeigen, Remix it! esch_seitz.pdf (01012020) schaftliche und fachdidak- konnten sich mit Hilfe eines Webbrowsers entscheiden, ob mit einer Tonspur unterlegt werden, die lächerlich oder un- Ein wesentliches Kennzeichen vieler Webvideoformate ist das Ruschmeyer, S. & Volmar, A.: WEBVIDEO CULTURES. Eine kur- tische Publikationen, war sich der Weg in die Büroküche (auf eine Tasse Kaffee) lohnte. professionell klingt, sodass das Künstlergenie dekonstruiert Remixen von Altem und Neuen, wobei das Alte im Neuen er- ze Geschichte des bewegten Bildes im Internet: https:// ARGE-BE AHS-Leiterin/ Die Kamera wurde 2001 abgeschaltet (vgl. online). Das Web- und veräppelt wird, spricht man von Shred. Das sehr eigen- kennbar bleibt. Das Online-Museum Recht auf Remix (online) blogs.uni-siegen.de/webvideo/einfuehrung/ (01012020 Wien und Bundesvor- video von 1996 Dancing Baby (online), das aus dem Internet ständige und originelle Format in diesem Kontext musicless führt exemplarische Werke der Remixkultur zusammen: „Im Zu- Star Wars Kid: https://www.youtube.com/watch?v=HPPj6vi- sitzende des BÖKWE, von anderen Medien aufgegriffen wurde und z.B. mehrfach in musicvideo hat der Sounddesigner Digitalofen (online) alias sammenfügen ausgewählter Werke zu einem Museum gilt es IBmU&frags=pl%2Cwn (01012020) derzeit kunstpädagogische der Serie Ally McBeal (online) auftaucht – in einer Art Traum- Mario Wienerroither entwickelt. Er dekonstruiert bekannte Vielfalt und Einheit von Remixkultur gleichermaßen zu zeigen“ Warhol Andy eating a hamburger: https://www.youtube.com/ Dissertation. sequenz symbolisiert es die Auseinandersetzung der Prota- Stars und erschafft geschredderte Versionen berühmter Mu- (ebd.). Expert*innen aus den Feldern Kunst, Medien und visuelle watch?v=5LDHSBVZpzc&frags=pl%2Cwn (01012020) gonistin hinsichtlich ihres Kinderwunsches – kann als frühes sikvideos, die mit wenig Gesang und Musik aber umso mehr Kultur begleiten den Besuch im virtuellen Museum und liefern die virales Video bzw. Meme bezeichnet werden. Seine vielen Geräuschen kunstvoll und witzig verfremdet werden. Kontexte zu den präsentierten Werken. Wie viele der Beispiele Versionen und Nachahmungen kennzeichnen einen wesent- Das Unterlegen von Clips – die herzige Kinder, Ausschnitte belegen, hat das Remixen eine lange Tradition und kann als ein lichen Aspekt der Webvideokultur: mediale Praktiken der Ap- aus Zeichentrickfilmen oder der Muppetshow zeigen – mit ei- Grundprinzip von Kultur aufgefasst werden. Die Medienpädago- propriation und des Remix’ (vgl. ebd.). Der kanadische Schüler ner Heavy Metal-Tonspur wird dem Genre Brutal zugeordnet. gen Rösch & Seitz plädieren dafür, in medienpädagogischen Pro- AUSSTELLUNG Ghyslain Raza wurde als Star Wars Kid (online) bekannt. Er Als Crackvideos können Remixe aus bereits vorhandenem jekten mit Jugendlichen die Entwicklungen und Dynamiken in Be- hatte sich gefilmt, als er mit einem Stab Lichtschwert-Cho- popkulturellen Material bezeichnet werden. Sie erhalten ihren zug auf die Webvideokultur – sie bezeichnen die YouTube-Kultur „Rundgang“ reographien aus den Star-Wars-Filmen nachahmte. Mitschü- spezifischen Content – häufig humorvolle Umcodierungen des als wesentlichen Faktor der Jugendkultur – stärker in den Blick Studien bereiche präsentieren in ihren Ateliers ler stellten das Video gegen seinen Willen online, so wurde er Ausgangsmaterials – mithilfe von Montage und Schnitt. Ihre zu nehmen und sich mehr damit zu beschäftigen sowie verstärkt und Werkstätten Arbeiten von Studierenden, 2003 ein früher Fall von Cyber-Mobbing, aber zugleich einer Ursprünge stammen zumeist aus der Fankultur. eigene Angebote zu entwickeln (vgl. online). Die Kunstpädagogik der ersten Internet-Celebrities (vgl. ebd.). Unterhaltung, Humor, Parodien und Streiche spielen in vielen sollte sich hier anschlussfähig zeigen und diesen Ball aufnehmen. die im Laufe des Studien jahres entstanden sind. Webvideoformaten eine wichtige Rolle. In Pranks spielen You- YouTube-Genres Tuber*innen anderen Beteiligten einen Streich. Die Reaktionen Quellen Eröf nung: 25. Juni 2020 Jawed Karim, einer der Gründer von YouTube, lud im April der geprankten Personen bilden das Kernelement dieses Genres. Dancing Baby: https://www.youtube.com/watch?v=Mz8C Dauer: 26./27. Juni 2020 2005 – ein halbes Jahr vor dem offiziellen Start der Video- Als Fake Ad werden Clips bezeichnet, die Werbespotimi- ssbPUak&frags=pl%2Cwn plattform – einen 19-sekündigen Clip mit dem Title me at the tationen darstellen. Markenspezifische Merkmale werden in Dancing Baby/Ally Mc Beal: https://www.youtube.com/ zoo (online) hoch. Hier treten bereits die charakteristischsten einen neuen Kontext gesetzt oder in parodistischer Weise watch?v=Rx88NMh-YRs&frags=pl%2Cwn(01012020) Eigenschaften von Webvideos zutage: Eine zentral im Bild po- verfremdet und auf einen anderen Gegenstand übertragen. Digitalofen: Musicless Musicvideos: https://www.youtube. sitionierte Person in Frontaleinstellung schildert eine Alltags- Unboxing Videos setzten das Auspacken von Produkten in com/watch?v=hr0cS8XdBJM&list=RDhr0cS8XdBJM&st situation. Andy Warhol wählte für seine Screentests in den Szene. Auch hier kann wieder eine Anleihe bei Andy Warhol art_radio=1&t=15 (01012020) Führungen für SchülerInnen: 1960er-Jahren eine ähnliche Kameraeinstellung, nur dass sei- genommen werden, der 1982 dabei gefilmt wurde, wie er Gronkh: https://www.youtube.com/user/Gronkh (01012020) [email protected] ne Stars möglichst ausdruckslos und stumm in die Kamera einen Hamburger auspackt und isst (online). Viele Unboxing Kommunikationsbehörde Austra. YouTube-Kategorien: ausstellungen.ufg.at/rundgang blickten, nichts zu sagen hatten, bloß zum Bild werden soll- Clips thematisieren das Auspacken und die Inbetriebnahme https://www.rtr.at/de/m/InfoMDA/Anhang_Merkblatt_ ten. Das Berühmtwerden durch Medienpräsenz war bereits von Elektrogeräten. Abrufdienste_072018.pdf (01012020)

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Monika Holzer-Kernbichler Kunstvermittlung im Di[gi]alog

Maschinen sind heute in der Lage, in einer Töne in Bewegung, immer wieder ergaben sich neue Raum- Perfektion Musik zu komponieren und Bilder gefüge, in denen das Publikum zum aktiven Teil des Gesche- zu malen, dass Expert*innen den Unterschied hens wurde. Im Space01, der oberen Ausstellungsebene, zu von Menschen geschaffenen Werken nicht entstand durch eine hochauflösende, abstrakte Animation mehr hören bzw. sehen können.1 Ausstellun- eines schwarz-weißen Liniengeflechts entlang der biomor- gen verlagern sich ins Netz und ziehen uns phen Skin (Innenhaut) schließlich das Gefühl von vollkom- Besucher*innen in virtuelle Räume. Unser mener Raumauflösung und Schwerelosigkeit. Der Sound von Lebensumfeld ist so sehr von einer digitalen Franz Pomassl trug dazu bei, dass man das Gefühl hatte, der Selbstverständlichkeit umgeben, dass es Boden würde einem unter den Füßen weggezogen. Mitten sich vielleicht lohnt, zu sehen, wie wir in der im digitalen Illusionsraum wurde man zu einem wesentlichen Kunstvermittlung postdigital weiterdenken Teil dieses immersiven Spektakels der Generation 4.0. Dieses können. einzigartige Erlebnis wäre ohne digitale Datenräume, Netz- werke und virtuelle Visualisierungen nicht möglich gewesen. Der Ausgangspunkt Die digitale künstlerische Rauminstallation, die man bei Peter Mit der Ausstellung „Connected. Peter Kogler with …“2 ver- Kogler als konsequente Fortsetzung des künstlerischen Pro- wandelte Peter Kogler das Kunsthaus Graz3 eine Zeit lang in zesses verstehen kann, erforderte enorme Rechenleistungen, eine Maschine. (Abb. 1–2) Unaufhörlich waren Bilder und die das gegenwärtig technisch Mögliche bis in die letzten Ka- pazitäten ausreizte – angefangen von einer sehr komplexen Was bedeutet nun Digitalisierung Abb. 1 und 2 „Connected. virtuellen Animation des singulären Ausstellungsraumes und für die Kunstvermittlung? Peter Kogler with ...“, Aus- der darin virtuell ablaufenden Bespielung bis hin zur hochauf- Kunstvermittlung4 geht immer von der Kunst, den Menschen stellungsansicht, Space01, lösenden Projektion an die graue Skin. Durch deren Schärfe und der sie umgebenden Lebenswelt aus. Als ich 2008 im Kunsthaus Graz 2019, und Präzision waren erstmals in der Geschichte des Hauses Kunsthaus die leitende Stelle der Kunstvermittlung über- Foto: Universalmuseum Architekturelemente (wie die Nozzles oder die Brücke) zu ku- nahm, stellte sich akut die Frage nach einer Strategie zur me- Joanneum/N. Lackner lissenhaften Elementen mutiert und räumliche Proportionen dialen Vermittlung. Es gab zu dieser Zeit einen „Spaceguide“, wurden scheinbar irrelevant. Der Space01 war in seiner Drei- der via Nokia Handheld online Audiodateien als Audioguide di men siona li tät infrage gestellt und wurde neu definiert. Die zur Architektur zur Verfügung stellte. Die Frage war insofern Kunst hat sich jedoch vollständig in den Datenraum verlagert. drängend, als die zukunftsweisenden Geräte zwar eine lustige Die immersive Illusion entstand immateriell alleine über die Spielerei waren, de facto aber nur wenig Zufriedenheit aus- Projektion – ohne Strom blieb der reale Raum leer. lösten, da zu dieser Zeit nur sehr komprimierte Dateien über- Aber auch der Bau des Kunsthauses selbst wäre ohne die tragen werden konnten, die Audios deshalb blechern klangen digitalen Möglichkeiten der 2000er-Jahre nicht möglich ge- und die Information auch sehr reduziert und damit eher ent- wesen. So musste etwa jede einzelne Platte an der Außen- täuschend war. Wir entschieden uns für das Angebot eines seite des Hauses individuell berechnet und konstruiert wer- anachronistischen Audioguides und begannen parallel dazu den, um der organischen Form des Hauses die blaue Hülle mit der Entwicklung einer App, die als Informationstool zur geben zu können. Architektur des Kunsthauses Graz funktionieren sollte – im In beiden Fällen wurde die Verwirklichung des künstleri- Haus, aber auch außerhalb angeboten in den beiden Stores schen Entwurfs erst durch die jeweils bestmöglichen Rech- für die zu dieser Zeit gängigen Android- und Apple-Geräte. nerleistungen ermöglicht. Oder anders gesagt: Ohne Digita- Wir betteten die für das Kunsthaus Graz noch aufwendig pro- lisierung wäre das Kunsthaus Graz noch immer eine unreali- duzierten 360-Grad-Rundumblicke in verschiedenen Räumen sierte Utopie der 1960er-Jahre und Peter Kogler würde viel- ebenso ein wie Audiodateien, Bilder und Texte. Die App wur- leicht weiterhin mit Siebdrucktechniken experimentieren. de 2011 technisch aktualisiert und entpuppte sich als finan-

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Abb. 6 bis 9 Vom Siebdruck zum Moire-Effekt mit den Künstler*innen des Kunstvereins Roter Keil aus Graz in der Needle des Kunsthaus Graz anlässlich der Aktionswoche für Abb. 3 Verwickelt, ziell aufwendiges Modell. Also gingen wir dazu über, eine nal und bieten unsere Audios auch über Sound Cloud an, Schulen und dem Open verknüpft und verwoben andere App zu entwickeln, die von uns selbst mit Inhalten wobei beides in unsere Webseite eingebettet verwendet House 2019 – Siebdruck im Space03 des Kunsthaus befüllt werden kann und je nach Ausstellung auch veränder- wird. Telefone, die eine überschaubare Anzahl von Applika- und Sound von 15.10. bis Graz anlässlich der bar ist. Sie wurde für hauseigene iPads nach unseren Vor- tionen speichern konnten, wurden inzwischen abgelöst von 20.10. 201, Foto: UMJ/ Aktionswoche für Schulen stellungen programmiert und ist noch heute an bestimmten Geräten, die sowohl als Fotoapparat, Videokamera als auch Kunstvermittlung und dem Open House 2019 fixen Stellen für die Besucher*innen verfügbar, um Infos und Audioaufnahmegerät brauchbare Ergebnisse für die weite- – Siebdruck und Sound von Hintergründe zur Architektur des Kunsthauses Graz zu erfah- re Verwertbarkeit liefern. Die jeweils aktuellen technischen 15.10. bis 20.10. 2019, ren.5 Unabhängig vom Wesen der gezeigten Kunst, also un- Möglichkeiten zu kennen und im eigenen Sinne zu nutzen, Foto: UMJ/Kunstvermitt- abhängig von Technik, Materialität und Medialität der Wer- halte ich im Bereich der digitalen Vermittlung für essen- lung ke, haben wir in der Vermittlung ab 2008 verstärkt begon- ziell. Die Frage nach VR und AR steht im Raum, sie sind Abb. 4 bis 5 Was ist Foley nen, verschiedene Möglichkeiten zu nutzen, um Informatio- die Zukunft der Informationsvermittlung und des Internets Sound? Radio im nen, Interviews, Fotos, Dokumentationsmaterial etc. digital der Dinge. Gegenwärtig steckt beides noch in den Kinder- Space04 des Kunsthaus zu erweitern. Wir stellten das Material, das rechtefrei war, schuhen, ist sehr teuer und in der Realisierung im Muse- Graz anlässlich der online bereit und konnten im Haus zu Bildungszwecken un- umsraum meist noch nicht mehr als eine technische Spie- Aktionswoche für Schulen kompliziert noch wesentlich mehr und auch kurzfristig of- lerei. Überzeugend werden sie erst, wenn die Immersion in und dem Open House 2019 ferieren. Durch diesen neuen Zugang motiviert, begannen absehbarer Zeit perfekt gelingen wird. Doch brauchen wir – Siebdruck und Sound von wir in der Kunstvermittlung auch bald eigenständig Audios dann noch ein reales Museum? 15.10. bis 20.10. 2019, und Videos zu produzieren und diese zu integrieren. Unser Foto: UMJ/Kunstvermitt- Ansatz war damals wie heute, nicht perfekte Videos herzu- Analoge Räume begreifen lung stellen, sondern Menschen, vor allem Künstler*innen und Die Chance des Museums ergibt sich aus der Geschichte sei- unterschiedlichste Expert*innen sichtbarer und für ein brei- ner Rolle als gesellschaftsrelevanter Ort. tes Publikum zugänglicher zu machen. Wenn wir heute als Mitarbeiter*innen dank digitaler Sys- Direktheit und Authentizität war mir dabei immer wich- teme selbstverständlich an unserer Zeiterfassung, der Buch- tiger als technische Perfektion, die heute, 10 Jahre danach, haltung, im Bestellwesen, in der Kostenrechnung und Perso- im „Do-it-yourself-Verfahren“ um vieles einfacher zu errei- nalverwaltung etc. mitarbeiten, können wir in Leitungsposi- chen ist. Mein Anliegen in der Kunstvermittlung war im- tionen auch von den Möglichkeiten des digitalen Leadership mer, Kunst oder Künstler*in vor der Kamera sich frei und profitieren und Teamarbeit ganz anders organisieren. Arbeits- nach eigenen Vorstellungen entfalten zu lassen. Wenn man prozesse haben sich innerhalb und außerhalb des Museums die letzten zehn Jahre hinsichtlich der Frage der Digitali- massiv verändert. Auch im Alltag ist längst vieles nicht mehr Sprechen auf Kurznachrichten oder Bildgeschichten verlagert. durch verloren? Und wie bewerten wir die Verluste in größe- sierung Revue passieren lässt, wird deutlich, wie intensiv wie vor zehn oder zwanzig Jahren. Bankgeschäfte oder Ein- Die Veränderungen sind grundlegend, Auswirkungen wer- ren gesellschaftlichen Zusammenhängen (z. B. Stichwort Ar- die Veränderungen waren und welche Herausforderungen käufe erledigt man via App, genauso wie man sich digital den diskutiert6 und erste längerfristige Folgen beobachtet.7 beit, Handwerk etc.) oder in einer persönlichen, individuellen auch das beständig zunehmende Tempo mit sich bringt. selbst verwaltet oder Freunde und Familie in virtuellen sozia- Wir haben viel Neues und Aufregendes gewonnen und sind Entwicklung (Motorik, Beweglichkeit, Merkfähigkeit, Kreativi- Inzwischen verfügen wir über einen eigenen YouTube-Ka- len Räumen trifft. Die Kommunikation hat sich vielfach vom scheinbar unglaublich effizient geworden. Aber was ging da- tät oder Kritikfähigkeit)?

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Wenn ich mich als Kunstvermittlerin diesen Fragen stelle Bei der eingangs besprochenen Ausstellung von Peter 3 Das Kunsthaus Graz wurde 2003 nach den Entwürfen von Peter Cook 9 „Constantin Luser. Musik zähmt die Bestie“, 26.02.– 01.05.2016, und auf die zeitgenössische Kunst blicke, kann ich Handlungs- Kogler griffen wir für das „Open House“ im Oktober 2019 und Colin Fournier gebaut. Siehe dazu: Monika Holzer-Kernbichler, Kunsthaus Graz, Space01. räume eröffnen und Diskussionsfelder anbieten. zwei zentrale Aspekte der Ausstellung auf: Siebdruck und Architekturführer Kunsthaus Graz, hg. v. Peter Pakesch, Graz, 2014 10 „Obsession Zeichnen“, 02.03.–02.09.2018, BRUSEUM, Neue Galerie 2014 haben wir mit dem ersten „Big Draw“ in Graz8 Sound14. (Abb. 3) Wir suchten in unserer Stadt relevante Part- bzw. https://www.museum-joanneum.at/kunsthaus-graz/architektur. Graz. Von Anfang März bis zur Fertigstellung aller Kunstwerke Anfang (und damit in ganz Österreich) begonnen, große partizi- nerinnen und ermöglichten Experimente und Hintergründiges 4 Die Autorin versteht Kunstvermittlung im Sinne des Österreichischen Juli konnte die Ausstellung immer wieder bei freiem Eintritt besucht pative Formate über das ganze Kunsthaus zu spielen. Wir zu Senden und Sound mit dem freien Radiosender Helsinki Verbandes der KulturvermittlerInnen im Museums- und Ausstel - werden. Die vollendeten Räume waren danach noch bis 2. September rückten das Zeichnen in den Mittelpunkt und luden Künst- (Abb. 4–5) und luden die Künstler*innen des Kunstvereins lungs wesen. Siehe dazu das aktuelle Berufsbild: http://www. zu sehen. Das Publikum konnte in einem Raum auch selber zeichnen ler*innen ein, mit dem Publikum auf sehr unterschiedliche Roter Keil ein, ihre Siebdruckwerkstatt in der Needle aufzu- kulturvermittlerinnen.at/kulturvermittlung/. bzw. sich an drei ausgewählten Arbeiten von Künstler*innen Art und Weise zu zeichnen. Ausgangspunkt der Idee war bauen. Gemeinsam mit dem Publikum entstanden überlager- 5 Zu den aktuell verwendeten Medien siehe: Audioguide, Multimedia- beteiligen. die Beobachtung, dass das Zeichnen in unserem gesell- bare Drucke mit Moiré-Effekt, mit dem Ergebnis analog ani- App und iPad-App. https://www.museum-joanneum.at/kunsthaus- 11 „BIG WIRBEL“ 2017, Strich und Faden, siehe: www.bigwirbel.at schaftlichen Umfeld an Bedeutung verloren hat und sub- mierter Bilder in Schwarz-Weiß. Der Effekt des immersiven graz/ihr-besuch/programm/audioguide. 12 „Congo-Wirbel. powered by UNIQA“, 2018, siehe: www.bigwirbel.at Dr. Monika Holzer- jektiv gerade wenig Aufmerksamkeit erfährt. Der Erfolg digitalen Raumes wurde heruntergebrochen auf eine analoge 6 Sehr deutlich zeigten das die Keynotes dieser BÖKWE-Konferenz, 13 „Open House 2019 – Werken! powered by UNIQA“, siehe: www. Kernbichler war enorm und gefolgt sind zwei weitere Großveranstal- Ebene und das scheinbar schlichte Ergebnis zum Aha-Erleb- aber auch zum Beispiel: Manfred Spitzer, Digitale Demenz: Wie wir bigwirbel.at Geboren 1972 in Graz, Stu- tungen zum Zeichnen („Big Draw“ 2015 und 2016), eine nis. (Abb. 6–9) uns und unsere Kinder um den Verstand bringen, München 2014. 14 Siehe dazu „Werkstatt: Siebdruck und Sound“, https://www. dium der Kunstgeschichte Einzelausstellung zu Constantin Luser9 im Kunsthaus Graz, 7 Z.B. Margarethe Engelhardt-Krajanek, Pseudo-Autismus. Der Einfluss museum-joanneum.at/kunsthaus-graz/ihr-besuch/kindergarten- in Graz, seit 1993 in der aber auch die Ausstellung „Obsession Zeichnen“10 (2018) Für die Zukunft stellt sich nicht die Frage, ob wir in der digitaler Medien auf die frühkindliche Entwicklung, Ö1, Sendereihe schule/events/event/8001/werkstatt-siebdruck-und-sound Kunstvermittlung tätig, im BRUSEUM in Graz. Inzwischen haben wir uns anderen Vermittlung digital oder analog arbeiten wollen, sondern nach Dimensionen, 11.12.2019. 15 Matthias Horx, Das postdigitale Zeitalter, 15.12.2019, https://www. 2000–2005 wissenschaft- Themenfeldern zugewandt, dem textilen Schaffen11, der wie vor jene nach der jeweils besten Methode zur Vermittlung 8 https://www.museum-joanneum.at/kunsthaus-graz/ihr-besuch/ zukunftsinstitut.de/artikel/zukunftsreport/das-postdigitale-zeitalter/ liche Mitarbeiterin des afrikanischen Kultur12 oder auch dem „Werken!“13. Bei je- von Kunst. programm/events/event/478/the-big-draw-graz-2014, siehe auch „SFB Moderne – Wien dem dieser Angebote war es wichtig, motorische, hand- Ein großes Potenzial des Museums wird in Zukunft seine www.bigwirbel.at und Zentraleuropa um werkliche, kreative und gemeinschaftliche Prozesse anzu- Funktion als realer Raum bleiben und mehr denn je die Tatsa- 1900“ an der KF-UNI Graz, stoßen. Es geht um die Frage der Erfahrung und des Erle- che, dass Lernen und Bildung stark über menschliche Beziehun- 2005–2008 Mitarbeiterin bens, des Ausprobierens und Angreifens. Bestimmte Din- gen passieren. Im persönlichen Austausch und im sozialen Mit- der Museumsakademie Jo- ge kann man nicht durch das Wischen am Touchscreen einander Kunst, gesellschaftliche Themen und aktuelle Fragen anneum, seit 2008 Leitung erlernen, man muss sie einfach tun. zu diskutieren, wird auf lange Sicht der Mehrwert des Muse- der Kunstvermittlung am In diesem Tun liegt, sehr vereinfacht gesprochen, die be- ums sein, denn „durch das wunderbare Wesen des Internets“ Kunsthaus Graz, seit 2011 wusste Nutzung eines analogen Raumes und damit verbun- wächst auch „das Reich einer schattenhaften Einsamkeit“.15 Leitung der Kunstvermitt- den die Erkenntnis, dass mit der Tätigkeit der eigenen Hän- In der Kunstvermittlung verstehen wir uns als Schnittstel- lung der Neuen Galerie de innere Ruhe einkehren kann und die Konzentration auf das le zwischen Kunst, Künstler*innen, Publikum und Gegenwart. Graz, seit 2005 Lektorin am manuelle Umsetzen den Fokus auf den Moment verlegt. Bei An vielen Orten werden Kund*innenkontakte automatisiert Institut für Kunstgeschichte diesen Großveranstaltungen kann man beobachten, dass und Service effizient zum Selfservice umgestaltet. Das Mu- der KF-UNI Graz, Fachbei- Menschen kommen, sich beteiligen, sehr lange Zeit im Haus seum hat sich immer gerühmt, für die Aura des Originals zu- rätin für bildende Kunst der bleiben und meist sehr ruhig und ausgeglichen auch mitein- ständig zu sein. In der Arbeit mit dem Publikum versuchen wir Stadt Graz ander wirken. diese Aura beständig zu hinterfragen, auch weil wir nicht das In der Strategie dieser Veranstaltungen liegt auch begrün- Dozierende in den Vordergrund stellen, sondern Erkenntnis- det, über die Kunst Künstler*innen und ihre Techniken Men- gewinn auf Augenhöhe, abseits vermeintlicher musealer Deu- schen (die meist aus Graz kommen) zueinander zu bringen, tungshoheit. Vielleicht aber ist das Museum in der Zukunft sie sowie ihr Denken und Schaffen einander näher zu bringen. der Ort, an dem wir auch das soziale Miteinander nicht nur Zeitgenössische Kunst hat immer etwas mit dem Leben in beforschen, sondern auch in gewisser Weise sammeln, be- der Gegenwart zu tun, sie greift Tendenzen oder Fragestel- wahren und vermitteln. lungen auf, macht Probleme sichtbar, führt Gesetztes ad ab- surdum. Sie rüttelt an Verbohrtem und entwirft in Konsequenz 1 „Neuerdings sollen Computer so kreativ sein wie Rembrandt oder Zukunftsvorstellungen. Dieses enorme Potenzial der Kunst zu Beethoven.“ Hanno Rauterberg, Malende Maschinen, „Die Zeit“, nutzen, ihre Fragen aufzugreifen und weiterzuspinnen, ist eine 12.12.2019, S.57. der fantastischen Möglichkeiten der Kunstvermittlung. Wenn 2 „Connected. Peter Kogler with … George Antheil with Friedrich Kiesler wir deshalb die Leute zu speziellen Tagen einladen, selbst tä- with Hedy Lamarr with Fernand Léger with museum in progress tig zu werden, dann auch deshalb, weil sie im gemeinsamen with Otto Neurath with Charlotte Perriand with Franz Pomassl with Tun die Potenziale des Künstlerischen anders erfahren kön- Winfried Ritsch with Franz West ...“, 28.06.–20.10.2019, Projekt des nen. Kunsthauses Graz in Kooperation mit steirischer herbst ‚19.

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Kristin Klein, Manuel Zahn Inhaltlich knüpfen die theoretischen Überlegungen zur u Instantanität: Es ist eine sofortige, quasi ,entkörperlichte‘ Post-Internet Art an den ursprünglich von Carson Chan ge- Zugänglichkeit zu jedem erdenklichen Ort auf der Welt (in- prägten Begriff des Internet State of Mind an: sofern der spezifische Teil in GoogleStreetView, Google- GoogleStreetView-Wanderungen “This understanding of the post-internet refers not to a time Maps, Geoguesser u.ä. abgebildet ist). Aktuelle Unterrichtspraxis im Kontext ‘after‘ the internet, but rather to an internet state of mind – u Manipulierbarkeit: Die visuelle Abbildung der Welt in to think in the fashion of the network. In the context of artis- GoogleStreetView wird als Handlungsaufforderung wahr- postdigitaler Medienkultur tic practice, the category of the post-internet describes an art genommen. Wir können/sollen darin navigieren, klicken, object created with a consciousness of the networks within scrollen, hinein- und herauszoomen, Daten hinzufügen, which it exists, from conception and production to dissemina- etc. Digitale Tools sind demnach an Praktiken, soziale Räume tion and reception.” (Karen Archey) u ,Doppelte’ Räumlichkeit: Die Nutzung von GoogleStreet- und gesellschaftliche Strukturen geknüpft und nicht als los- Die Konzepte „Post-Internet Art“ und „postdigitale Kultur“ View verbindet zwei Räume über den Screen bzw. das In- gelöste technische Phänomene zu verstehen. Postdigitale bezeichnen demnach nicht eine zeitliche Markierung, sondern terface des Computers miteinander; damit in Zusammen- Medienkultur in der Schule bedeutet dann, Digitalisierung v.a. das Verständnis einer durch Digitalisierungseffekte angetriebe- hang steht eine in Hinblick auf soziokulturelle Verflechtungen zu adressieren. nen Transformation kultureller Praxen, die sich in der Kunst etwa u ,doppelte‘ Zeitlichkeit: Es ist immer ein vergangenes (ar- Diese Perspektive ist grundlegend für das Forschungsprojekt in netzwerklogischen Produktionsweisen, verteilter Autor*in- chiviertes, virtuelles) Bild der Welt on screen, in dem wir Post-Internet Arts Education Research (PIAER), das im Folgen- nenschaft oder fluiden Kunstwerken zeigt (vgl. Klein 2019). jetzt navigieren (damit sind auch Fragen der Aktualisierung den kurz vorgestellt und im Anschluss durch ein Beispiel aus Neben den zuvor formulierten Zielen werden parallel zum und Versionierung aufgeworfen). der Kunst und Unterrichtspraxis veranschaulicht werden soll. Forschungsprojekt praktische Beispiele für den Kunstunter- u Effizienz: In der Regel suchen wir auf GoogleMaps den kür- richt für das Workbook Arts Education (myow.org), einer On- zesten, bequemsten, schnellsten Weg zu einem Ziel oder Post-Internet Arts Education Research line-Plattform für innovative Projekte und Kunstunterricht rund wollen eine bestimmte, nützliche Information zu einem „What are you doing on your computer?“, fragt die Mut- Das Projekt Post-Internet Arts Education Research ist an den um postdigitale Medienkultur, entwickelt. Gemeinsam mit spezifischen Ort u.ä. ter im Apple-Werbespot1 ihre Tochter im Teenageralter, die 2015 am Institut für Kunst & Kunsttheorie der Universität zu Kunstlehrer*innen und Praktiker*innen der Kulturellen Bildung An den verpixelten und ausgeblendeten Stellen im bildlichen bäuchlings auf dem Rasen liegt. Diese hat ein iPad vor sich, Köln initiierten Forschungsschwerpunkt Post-Internet Arts und der Medienbildung werden Unterrichtsentwürfe konzi- Kontinuum von GoogleStreetView werden auch Fragen der das sie den ganzen Tag bei sich trug, mit dem sie Fotos Education (vgl. Klein/Kolb/Meyer/Schütze/Zahn 2020) ange- piert, durchgeführt und anschließend auf der frei zugänglichen Überwachung und Privatsphäre zum Thema. Abb. 1 Screenshot aus: machte, per Videoanruf Freund*innen traf, Präsentationen gliedert. Gemeinsam mit zwölf weiteren Projekten wird es Plattform zur Verfügung gestellt. Diese sollen dazu ermutigen, Johanna Steindorf, present für die Schule vorbereitete, zeichnete, chattete, Comics las. von 2017–2021 im Rahmen der Linie „Digitalisierung in der eigene Projekte zu konzipieren, umzusetzen und mit anderen Die hier aufgezählten und noch weitere Aspekte sind also im- views on past streets – „What’s a computer?“, fragt die Tochter beiläufig zurück. Für Kulturellen Bildung“ vom Bundesministerium für Bildung und zu teilen.2 mer im Spiel, wenn wir uns mit Hilfe von GoogleMaps orien- Stockholm. 2017, Min. sie ist das Tablet interaktives Musikstudio, Kamera, Telefon, Forschung gefördert. Anlässlich des Workshops auf der BÖKWE-Fachtagung tieren, beispielsweise durch eine uns fremde Stadt navigie- 00:45. Katja Illner © NRW- Fernseher, Radio, Skizzenbuch, Enzyklopädie, Stadtplan, Zentraler Forschungsgegenstand des Projekts sind die ver- stellten wir aus dem Workbook eine Arbeit der Künstlerin ren. Sie sind uns aber im selbstverständlichen Umgang mit Forum Düsseldorf Präsentationstool und Bibliothek zugleich. Unterschiedliche änderten Bedingungen künstlerischer und ästhetischer Praxis Johanna Steindorf sowie ein darauf bezugnehmendes Unter- Medientechnologien nicht bewusst. Denn „selbstverständ- Medien und mediale Praktiken, die zuvor an verschiedenen vor dem Hintergrund zunehmender Verbreitung digital-ver- richtskonzept unserer Kollegin Jane Eschment vor. lich“ heißt in diesem Fall, dass wir Medien und Apps, wie z.B. Orten situiert und mit anderen Zugangsvoraussetzungen netzter Technologie. Das Projekt ist in zwei Teile gegliedert: GoogleMaps, im Alltag funktional einsetzen und sie gleichsam verbunden waren, sind damit in das flache Gerät ,eingezo- Teilprojekt 1 zielt auf die begriffliche und theoretische Fundie- Guess where you are! nicht auf ihre technologischen Bedingungen, ihre medialen gen‘ und tragbar geworden. Seine Oberflächengestaltung rung des Forschungsfeldes der Post-Internet Art, im weiteren Den Einstieg des Workshops bildete eine spielerische Annä- Beschaffenheiten und ihre Ästhetik hin befragen. sorgt dafür, dass die Bedienung von Anwendungen im wört- Sinne einer Kunst unter Bedingungen postdigitaler Kultur. Teil- herung an GoogleStreetView mithilfe des kostenlosen On- Künstlerische Arbeiten wiederum können uns helfen, eine lichen Sinne kinderleicht geworden ist und keine speziellen projekt 2 widmet sich der Methodenentwicklung allgemein- line-Spiels geoguessr3, in dem Nutzer*innen durch Erkundung fragende, ästhetische Haltung gegenüber den medienkultu- Computerkenntnisse mehr erfordert. Gleichzeitig sind in sei- pädagogischer Forschung in der Kulturellen Bildung und zielt einer zufällig bestimmten (virtuellen) GoogleStreetView-Um- rellen Rahmungen unserer Erfahrungen und Praktiken, zur Kul- nem Design die Ideen und auch Ideologien von Programmie- auf die Erschließung bildungstheoretischer Potentiale ästheti- gebung erraten sollen, wo auf der Welt sie sich befinden. Wir tur unseres Mediengebrauchs einzunehmen, einzuüben und rer*innen des Silicon Valley eingegangen. Diese sind mit der scher Praktiken im Kontext postdigitaler Kulturen ab. Die lei- baten die Teilnehmer*innen einige Runden zu spielen und sich darüber hinaus auch spielerisch und experimentell neue Um- Lebensphilosophie kreativ arbeitender, in der großen Mehr- tende These des Projekts ist, dass sich Digitalisierungspro- dabei auch über die folgende Frage auszutauschen: Welche gangsweisen damit zu erproben. Denn Künstler*innen heben zahl in westlichen Milieus sozialisierten, Personen verbun- zesse und ihre Effekte über die Beobachtung künstlerischer Aspekte von Digitalisierung und veränderten bildbezogenen strukturelle Aspekte digitaler Medien hervor, sie untersuchen, den (Klein 2019). Das iPad ist somit in vielerlei Hinsicht Teil Diskurse rekonstruktiv erschließen lassen. Anhand von Künst- kulturellen Praktiken lassen sich in Zusammenhang mit geo- thematisieren, analysieren und kritisieren mittels künstleri- eines konjunktiven Erfahrungsraums (Karl Mannheim, vgl. ler*innen-Interviews und durch die Analyse künstlerischer Ar- guessr thematisieren? scher Strategien, die nicht den Vorgaben der Effizienz folgen Jörissen 2017), dessen Potenzialität bereits bei der Nen- beiten aus dem Feld der Post-Internet Art können nicht nur Im anschließenden Gespräch mit den Teilnehmer*innen (vgl. Zahn 2020), wie wir im Folgenden am Beispiel einer Vi- nung des Produktnamens aufleuchtet. Es ist nicht nur tech- Rückschlüsse darüber erhoben werden, wie sich Digitalität wurden folgende Aspekte adressiert: deoarbeit von Johanna Steindorf zeigen möchten. nisches Gerät, sondern assoziiert mit kulturellen Praxen, Ein- auf aktuelle Kunst auswirkt, sondern auch, wie sich Kunst u Visualität: GoogleStreetView bietet eine visuelle Orientie- stellungen und zugleich Möglichkeiten wie Beschränkungen unter veränderten Produktions-, Distributions- und Rezep- rung in der Welt und gleichsam einen exklusiv visuellen Present Views on Past Streets der Relationierung und Nutzung qua Design (vgl. auch Jö- tionsbedingungen des aktuellen medienkulturellen Wandels Zugang zur Welt in ihrer artifiziellen Präsenz, einen Zugang „It’s quiet here. There’s only a light breeze that streams rissen 2015). artikuliert. zu ihrem datenmorphen virtuellen Double. throughs the trees and the grass. Behind the trees, I see

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something that looks like a small hill, bushes and the sky Auf diese Weise bringt die Künstlerin die computerisier- gezeigt, die durch Verfremdung, Umdeutung und Erweiterung Literatur which is blue. But we are actually in the middle of Stock- ten Aufnahmen des GoogleStreetView-Fahrzeugs und ihren des Bildmaterials zweckrationale Wahrnehmungsgewohnhei- Archey, Karen (2012): Postinternet Observations. Online: holm, a city I have never been to before“ (Steindorf 2017). subjektiven Blick in ein produktives Spannungsverhältnis, ten irritieren und infrage stellen (ebd.). https://artaftertheinternet.files.wordpress.com/2013/10/ So beginnt der Film present views on past streets – Stock- das dazu anregt, auch unser Verhältnis zu digital durchdrun- Eschment regt in ihren Aufgabenstellungen zu intermedia- eeadf-postinternetessay.pdf (22.12.2019) holm der Künstlerin Johanna Steindorf. Über ein Schwarz- genen Umwelten zu befragen und veränderte, mittlerweile len Erkundungen an: Eschment, Jane (2018): Road Trips: Imagine Places you’ve bild spricht sie aus dem Off, Vogelgezwitscher ist zu hören, schon wieder selbstverständlich gewordene, medienkultu- #1 Wohin würdest du gerne mal verreisen? Was ist es, [never] been before. In: K. Klein, G. Kolb, T. Meyer, K. Schritte und entferntes Rauschen von einer Straße. Nach relle Praktiken zu thematisieren. Das gelingt Steindorf, in- was dich an diesem Ziel besonders interessiert? Wie stellst Schütze (Hrsg.): MYOW – Workbook Arts Education. On- einigen Sekunden dann eine Aufblende; es sind lichtdurch- dem sie sich in ihrem Remix-Video die strukturellen Aspek- du dir diesen Ort vor? Schreibe deine Gedanken auf. Suche line: http://myow.org/roadtrips/ (22.12.2019) flutete Bäume an einem Hang zu sehen, eingerahmt durch te des digitalen Bildmaterials von GoogleStreetView zunut- deinen Reiseort anschließend bei GSV auf. Schau dich um und Jörissen, Benjamin (2015): Bildung der Dinge: Design und die Benutzeroberfläche von GoogleSteetView. Als Betrach- ze macht und gleichsam über sie hinausgeht. Das digitale dokumentiere deinen Spaziergang durch die Funktion der Bild- Subjektivation. In: B. Jörissen, T. Meyer (Hrsg.): Subjekt tende folgen wir nun der Bildschirmaufnahme und Raumer- Bild von GoogleStreetView ist selbst schon Produkt eines schirmaufnahme. Alternative zur Bildschirmaufnahme: Samm- Medium Bildung (215–233), Wiesbaden: VS-Verlag. kundung Steindorfs, die sich durch die (virtuellen) Straßen Remixes, ein zusammengefügtes Bild, und damit auch of- le auf deiner Reise Screenshots. (Eschment 2018) Jörissen, Benjamin (2017): Einführung: Digitale Medialität Kristin Klein ist wissen- Stockholms bewegt. (Abb. 1) fen für weitere Daten. Die Erweiterungen und Ergänzungen, In der Desktop-Recherche und der Erweiterung tradi- und implizites Wissen. In: A. Kraus, J. Budde, M. Hietzge, Manuel Zahn, Dr. phil., ist schaftliche Mitarbeiterin Present views on past streets – Stockholm (2017) ist eine die Steindorf wählt, weichen allerdings auf sehr produktive tioneller Video- bzw. Fotografie innerhalb von GoogleStreet- C. Wulf (Hrsg.): Handbuch Schweigendes Wissen: Erzie- Professor für Ästhetische im Projekt Post-Internet „erweiterte Videoarbeit, die sich mit der subjektiven Erfah- Weise von den gewöhnlichen Nutzungen der Anwendung View-Umgebung lassen sich biografische Bezüge herstellen, hung, Bildung, Sozialisation und Lernen (439–447). Wein- Bildung an der Universität Arts Education Research rung beschäftigt, durch einen urbanen Raum zu gehen, in dem ab, da sie im Gegensatz zur effektiven Nutzung und Naviga- genauso aber fiktive Elemente einbringen. Zudem werden heim Basel: Beltz. zu Köln. Er studierte (piaer.net) am Institut für man noch nie physisch war“ (Steindorf 2017). Über Google- tion, z.B. in Form einer Suchanfrage für die kürzeste „Rou- Beobachtungen möglich, die global unterschiedliche Geset- Klein, Kristin; Kolb, Gila; Meyer, Torsten; Schütze, Konstanze Sonderpädagogik, Erzie- Kunst & Kunsttheorie der StreetView erschließt sich die Künstlerin klickend, scrollend te“ von A nach B, der Produktivität des Schlenderns, des zeslagen und Datenpolitiken veranschaulichen, z.B. anhand (Hrsg.): MYOW – Workbook Arts Education. Online: http:// hungswissenschaft, Philo- Universität zu Köln. Sie und zoomend eine ihr bisher unbekannte Gegend. Dabei kom- Umherschweifens und der genauen Erkundung der digitalen verpixelter Häuserfassaden und anonymisierter Gesichter in myow.org/ (22.12.2019) sophie und Psychologie an studierte Kulturwissen- mentiert sie ihre Beobachtungen und Empfindungen, imagi- Umgebung Raum gibt. Mehr noch: Sie stellt der automo- manchen Ländern, während in anderen selbst Autokennzei- Klein, Kristin; Kolb, Gila; Meyer, Torsten; Schütze, Konstan- der Universität Hamburg schaft, Kunstpädagogik, niert Umgebungsgeräusche und Gedanken und Gefühle der bilen und automatisierten Bildproduktion von GoogleStreet- chen klar zu lesen sind. Beinahe unausweichlich stolpert man ze; Zahn, Manuel (2020): Post-Internet Arts Education. In: und promovierte über Germanistik und Bildungs- Personen, die ihr auf dem Spaziergang als abgelichtete Ge- View persönlich-subjektive Narrative sowie persönliche hier über Fragen zur Privatsphäre, zu öffentlichem Raum und J. Eschment, H. Neumann, A. Rodonò, T. Meyer (Hrsg.): „Ästhetische Film-Bildung“. wissenschaften an der stalten begegnen. Was die 360°-Kamera des GoogleStreet- Raumerkundungen an die Seite. Überwachung. Arts Education In Transition. Ästhetische Bildung im Kon- Seine Arbeitsgebiete sind Humboldt-Universität zu View-Fahrzeugs zuvor mit rechnerischer Gleichgültigkeit au- Im Unterrichtsentwurf von Jane Eschment sind neben pro- text kultureller Globalisierung und Digitalisation: kopaed. Erziehungs- und Bildungs- Berlin, der TU Dresden tomatisiert aufgezeichnet hat, wird bei Steindorf Teil einer Imagine Places you’ve [never] been before zessualen Erkundungen und ästhetischer Forschung im Web- (im Erscheinen) philosophie, Medienbildung und der Boston University. narrativ-erkundenden Tour. Die zuvor zufällig festgehaltenen Jane Eschment schließt unter anderem an die bildreflexi- space genauso wie im physischen Raum darüber hinaus di- Klein, Kristin (2019): Ästhetische Dimensionen digital vernetz- (insbesondere Filmbildung), Mit-Herausgabe: Workbook Situationen und Personen geben ihr Anlass zu deren speku- ven künstlerischen Arbeiten von Steindorf an und entwi- daktische Überlegungen zum Umgang mit der gegenwärtigen ter Kunst: Forschungsperspektiven im Anschluss an den Kunstpädagogik und Arts Education (myow.org), lativer Befragung. ckelte im Kontext eines Seminars mit Studierenden eine Bildzirkulation im Netz zu finden. Begriff der Postdigitalität. In: KULTURELLE BILDUNG ON- Ästhetische Bildung in der Postdigital Landscapes Während eines späteren Aufenthalts in Stockholm folgt Unterrichtsreihe zum Bildarchiv von GoogleStreetView (hier An die Arbeit Agoraphobic Traveller der Künstlerin Jaqui LINE: https://www.kubi-online.de/artikel/aesthetische-di- digitalen Medienkultur. (2019). Arbeitsschwer- die Künstlerin der gleichen Strecke, die sie zuvor in ihrem GSV), in der sein Potential als künstlerisches Material er- Kenny ist die Dokumentation einer Reise in GoogleStreetView mensionen-digital-vernetzter-kunst-forschungsperspekti- punkte: Kunst nach dem Browser zurückgelegt hatte, und zeichnet – nun physisch forscht wird: auf Instagram angelehnt. Kenny leidet unter einer Angststö- ven-anschluss-den-0 (letzter Zugriff am 26.11.2019) Internet, Kunstpädagogik vor Ort – den Sound auf. Schließlich fügt sie diese Tonspur „Es wird zum Ausgangspunkt für die Erprobung von aktu- rung, die sie bestimmte Orte und Situationen wie weite Plät- Meyer, Torsten; Zahn, Manuel; Herlitz, Lea; Klein, Kristin im Kontext postdigitaler und die Videoaufnahmen sowie ihre Kommentierungen zu- ellen künstlerischen Strategien, von Remix, Mashup und Per- ze oder Menschengedränge meiden lässt, sodass Reisen für (2019) Post-Internet Arts Education Research (PIAER). Kulturen. Web: kristin- sammen (vgl. Steindorf 2017). So überlagern sich in ihrer Ar- formance. Welche Imaginationsräume eröffnen Interaktivität, sie nur eingeschränkt möglich sind. GoogleStreetView bie- Kunstpädagogik und ästhetische Bildung nach der postdi- klein.net beit verschiedene Zeit- und Räumlichkeiten sowie Modi der Zeitsprünge und Brüche in den Bildern? Welche Rolle spielt tet ihr nach eigener Aussage die Möglichkeit, ferne Länder gitalen Entgrenzung der Künste. In: B. Jörissen, S. Kröner, Raumerkundung. In der Navigation durch das Google-Bildma- leibliche Anwesenheit oder Abwesenheit für Prozesse der zu erkunden, ohne das Haus verlassen zu müssen.4 Auf ih- L. Unterberg (Hrsg.): Forschung zur Digitalisierung in der terial von 2014 wirft sie einen Blick auf einen vergangenen Raumwahrnehmung? Welche Erzählungen entstehen durch rem Instagram-Account versammelt sie Screenshots dieser Kulturellen Bildung. Schriftenreihe Kulturelle Bildung und Sommer und antizipiert zugleich in der Gegenwart ihre noch performative und audiovisuelle Erweiterungen des Bildmateri- Unternehmungen, die mit feiner Sensibilität für Bild-Kompo- Digitalität, Bd. 1 (171–182), München: kopaed. kommende Reise an diesen Ort. Die Differenz dieser Zeitebe- als? Welche Reflexionsanlässe bringt die ästhetisch-künstleri- sitionen, Farben und Motive ausgewählt sind.5 Durch Hash- Steindorf, Johanna (2017): Website der Künstlerin. Online: nen wird durch Abweichungen zwischen Audio- und Bildebe- sche Auseinandersetzung mit dem alltäglich gewordenen Bild- tags und Kommentare verlinkt reisen ihre Bilder wiederum http://www.johannasteindorf.de/ (22.12.2019) ne deutlich: ein Mann mit einem Rasenmäher ist zu sehen, material hervor? Wie umgehen mit der globalen Dokumentati- um die Welt. Diese mittlerweile alltäglich gewordene Distri- Zahn, Manuel (2020): Ästhetische Praxis als Kritik. Vom Aus- jedoch nicht zu hören, Autos nahen hörbar heran, tauchen je- onspraxis öffentlicher Räume und Datensammlung von GSV?“ bution über soziale Medien als Teil der Bildproduktion nimmt setzen des Urteilens und der Erfindung neuer Wahrneh- doch nicht im Video auf. Auch die Diskrepanz zwischen den (Eschment 2018) Eschment mit ihrem Angebot auf, die eigenen Bilder auf In- mungs-, Denk- und Handlungsmöglichkeiten. In: V. Dan- akustisch wahrnehmbaren, gleichmäßigen Schritten Stein- In diesen Fragen zeichnet sich exemplarisch eine Vielfalt stagram zu posten. So weitet sie das Unterrichtsgeschehen der, P. Bettinger, E. Hebert, C. Leineweber & K. Rummler dorfs und der stockenden Fortbewegung über den Bildschirm, an Anschlussmöglichkeiten ab, die die Arbeit Johanna Stein- selbstverständlich auf andere Plattformen aus, die – es sei (Hrsg.) Digitalisierung – Subjekt – Bildung. Kritische Be- auf dem immer wieder Bewegungsunschärfen und Pixelatio- dorfs für die Thematisierung postdigitaler Medienkultur in der noch einmal auf das Eingangsbeispiel verwiesen – zur na- trachtungen der digitalen Transformation (213–233), Le- nen auftreten, lenkt die Aufmerksamkeit auf die verschiede- Schule bietet. Nicht nur die ästhetische Aufmerksamkeit ge- türlichen Umwelt für Heranwachsende geworden sind. Wie verkusen: Barbara Budrich. nen Möglichkeiten, sich in der Welt zu orientieren und diese genüber einem alltäglich gewordenen Bildmaterial wird er- sähe wohl Ihr transmedialer Reisebericht aus? Und wie der medial zu erfahren. höht, sondern es werden auch künstlerische Strategien auf- Ihrer Schüler*innen?

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Abbildungen 1 http://www.youtube.com/watch?v=llZys3xg6sU (30.12.2019). Apple- Iris Laner, Birke Sturm, Cornelia Zobl Abb. 1: Screenshot aus: Johanna Steindorf, present views on Werbespot past streets – Stockholm. 2017. min 00:45. 2 Weitere Informationen und Anregungen finden Sie unter: piaer.net und myow.org. Was ist digitale Kompetenz in Film 3 https://geoguessr.com/ (23.12.2019) einer Kultur der Digitalität? Johanna Steindorf, present views on past streets – Stockholm. 4 Vgl. https://www.theagoraphobictraveller.com/about-the-agorapho- 2017. 23:30 min. Online: https://vimeo.com/207001254 bic-traveller (23.12.2019) 5 Vgl. https://www.instagram.com/streetview.portraits/ (23.12.2019)

I. Einleitung und Wohlbefinden im Vordergrund steht. Cyber-Bullying bei- Digitale Kompetenz – so unsere These – umfasst keineswegs spielsweise erschöpft sich nicht in den digitalen Bits, son- ausschließlich das Beherrschen diverser Techniken digitaler dern beeinflusst die sozial-emotionale Erfahrungsebene der Medien. Das Digitale ist längst derartig verwoben mit dem Betroffenen und fährt so voll in die atomare Beschaffenheit Nicht-Digitalen, dass beides nur schwer voneinander zu tren- menschlicher Körper ein. Auch die Sucht nach digitalen In- nen ist und sich allemal wechselseitig beeinflusst. Deswegen halten kann weitreichende Konsequenzen im nicht-digitalen ist es unser Anliegen zu analysieren, welche Kompetenzen im Raum mit sich bringen. Kunst- und Werkunterricht erworben werden können, derer Diese Verflechtung zeigt sich auch im Begriff der Digita- es in einer Kultur der Digitalität bedarf, die jedoch nicht auf lisierung, wie er im aktuellen Kompetenzraster beschrieben digitale Technik beschränkt werden können. wird. Seit dem ersten Erscheinen eines Kompetenzrasters für digitale Kompetenz im Jahr 2013 wurde die Wahrnehmung II. DigComp 2.2 AT und digitale Kompetenz von Digitalisierung in der Gesellschaft immer stärker. Des- in einer Kultur der Digitalität wegen, so fassen es die Autor*innen des österreichischen Dass digitale Kompetenz nicht ausschließlich um digitale Kompetenzrasters für digitale Kompeten zusammen, wird Di- Technik kreist, wird in der Auseinandersetzung mit dem 2018 gitalisierung als „gesamthafter Begriff für die umschriebene in Österreich erschienen Kompetenzraster für digitale Kom- Entwicklung“ wahrgenommen (DigComp 2.2 AT, 13). In dieser petenz (DigComp 2.2 AT) unmittelbar deutlich. Eine Ausein- Gesamthaftigkeit finden weitaus mehr Bereiche Platz als digi- andersetzung mit diesem Kompetenzmodell erscheint uns – tale Technik. Sie umfasst vielmehr sämtliche Bereiche, die in ganz gleich, was man von Kompetenzmodellen halten mag irgendeiner Form von Digitalisierung betroffen sind. und bei aller Kritik, die teils zurecht an ihnen geübt wird (u.a. Was hier mit dem Wort gesamthaft deutlich wird, ist eine Gelhard 2011) – sinnvoll, da in Schulen die Forderung nach Entwicklung, die beispielsweise in den Kunst- und Kulturwis- dem Erwerb digitaler Kompetenz längst selbstverständlich ist senschaften schon länger beobachtet wird. Um diese Ent- und es sich alleine deswegen lohnt, sich zu dem entsprechen- wicklung zu begreifen, reicht ein instrumenteller Zugang, der den Kompetenzraster bewusst verhalten zu können. digitale Medien und Technologien ausschließlich als Hand- Der DigComp 2.2 AT gibt in Anlehnung an das europäische werkszeug betrachtet, welches Menschen erlernen können Vorläufermodell DigComp 2.1 sechs große Kompetenzberei- oder welches beispielsweise im Kontext von Bildung vor al- che vor. Bei diesen sechs Bereichen handelt es sich um: lem der Ausarbeitung von Lernmaterialien dienlich ist, nicht 0. Grundlagen und Zugang, aus (vgl. Allert/Asmussen/Richter 2017: 9). Ein solcher Digi- 1. Umgang mit Informationen und Daten, talitätsbegriff würde nämlich die unauflösbaren Verstrickun- 2. Kommunikation und Zusammenarbeit, gen zwischen digitalen Medien, Mensch und Gesellschaft 3. Kreationen digitaler Inhalte, vollkommen ignorieren, die für ein umfassendes Verständnis 4. Sicherheit, von Digitalität ausschlaggebend sind. Schließlich hat die digi- 5. Problemlösen und Weiterlernen. tale Technik unsere Erfahrungs- und Handlungsmöglichkeiten ebenso verändert wie das kollektive Miteinander. Beispiele Der Begriff des Digitalen beinhaltet somit nicht nur techni- hierfür sind unter anderem unsere durch digitale Technologien sche, sondern auch soziale, kreative und gesundheitliche veränderten Ansprüche an die visuelle Gestaltung von Texten, Aspekte. Hierbei wird die Untrennbarkeit von digitalen und die mit veränderten Gestaltungsmöglichkeiten einhergeht, so- nicht-digitalen Welten besonders offensichtlich. So beispiels- wie die Entwicklung von Commons oder sozialen Netzwer- weise im Bereich 4. Sicherheit, wo neben dem Schutz von ken, die auch jenseits des Internets Einfluss haben (vgl. Allert/ personenbezogenen Daten auch der Schutz von Gesundheit Asmussen/Richter 2017: 10). Digitalität findet nicht in einem

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völlig losgelösten „virtuellen“ Raum statt, sondern ist unab- abzubilden. Laut Fritzsche heben die Diskussionen um die Be- In der Theorie der Fotografie sind unterschiedliche Formu- stark auf die analoge Technik einerseits und auf die digitale hängig von Materie nicht zu denken (vgl. Allert/Asmussen/ deutung der digitalen Medien in der Kunstpädagogik in den lierungen gefunden worden, um die spezifische, die objektive- Technik andererseits. Es geht im Grunde um die technischen Richter 2017: 13). Deswegen erweist sich die Definition von späten 1980er Jahren an. Nach einem ersten überborden- re Natur der analogen Fotografie im Unterschied zur subjek- Möglichkeiten der unmittelbaren oder nachträglichen Bild- Digitalität, wie sie Felix Stalder 2016 in Kultur der Digitalität den Interesse flaute dieses bald wieder ab und die digitalen tiveren Natur von Malerei oder Grafik als bildhervorbringende manipulation. vorgenommen hat, als schlüssig. Digitalität bezeichnet ihm Medien wurden mehr und mehr als selbstverständlicher Teil Verfahren zu beschreiben: transparency, mind independency, Dieser technische Gegensatz könnte im Unterricht zu- zufolge ein Ensemble an Beziehungen, „das heute auf Basis des Alltags betrachtet. In der Kunstpädagogik gibt es seit- similarity, resemblance oder copy sind Begriffe, die in der vor nächst ins Zentrum gerückt werden, wenn praktisch nach- der Infrastruktur digitaler Netzwerke in Produktion, Nutzung dem wenig reflexive Distanz und bewusste Bezugnahme auf allem im angelsächsischen Raum geführten Debatten immer vollzogen wird, was es bedeutet, wenn ein Film belichtet und Transformation materieller und immaterieller Güter sowie das Digitale. wieder auftauchen (vgl. Scruton 1981, Walten 1984, Walden wird und die Lichteinwirkung auf diesen nicht mehr rückgän- in der Konstitution und Koordination persönlichen und kollek- Hinsichtlich der bildungspolitischen Situation und den 2005). Sie alle kreisen um den geteilten Grundgedanken, dass gig gemacht werden kann; und was es hingegen bedeutet, tiven Handelns realisiert wird.“ (Stalder 2016: 18) Digitalität fachdidaktischen Trends tritt die folgende Frage daher umso Fotografien die fotografierte Situation direkt wiedergeben, wenn man die Pixelarrangements einer digitalen Fotogra- Dr.phil. Iris Laner hat Phi- so gedacht, verweist „auf historisch neue Möglichkeiten der mehr in den Vordergrund: Ist es notwendig, die digitale Wen- dass sie auf einem kausalen Verhältnis zum fotografierten Re- fie relativ einfach verändern kann. Letzteres korreliert sehr Dr.phil. Birke Sturm hat losophie und Bildnerische Konstitution und der Verknüpfung der unterschiedlichsten de und ihre Beziehung zur analogen Welt (der Technik, der ferenten basieren und in Folge Zeugnis von einem außerbild- stark mit der (eventuell aber mehr impliziten als expliziten) Englisch und Bildnerische Erziehung studiert und menschlichen und nichtmenschlichen Akteure*innen. Der Gestaltung, der Kommunikation usw.) in der Kunstpädago- lichen Ereignis geben, auf das sie verweisen. Ihre Objektivität Erfahrung der Schüler*innen, die es gewohnt sind, Handy- Erziehung in Regensburg, ist Professorin am Begriff ist mithin nicht auf digitale Medien begrenzt, sondern gik an zentraler Stelle und explizit zu thematisieren? Wenn verdankt die Fotografie dem technischen Mechanismus, der bilder mittels Filter und Apps zu manipulieren. Die Beziehung Wien und Aberdeen Mozarteum Salzburg. taucht als relationales Muster überall auf und verändert den ja, wie wäre dies in einer Art und Weise möglich, die sich das Medium prägt: der Auslöser, der das Licht der fotogra- zwischen Abbildung und Abgebildetem kann auf diesem studiert. Sie wurde mit Sie forscht dort im Rahmen Raum der Möglichkeiten vieler Materialien und Akteure.” nicht reduktionistisch von der digitalen Technik vereinnahmen fierten Szenerie auf eine lichtempfindliche Schicht einwirken Wege erfahrbar gemacht und reflektiert werden. Doch das einer Arbeit über Mehr- des vom FWF geförderten (Stalder 2016: 18) lässt oder diese aber komplett zurückweist? Wie, schließlich, lässt, wodurch diese den Film prägt. wäre nur ein erster Schritt, um den scheinbar dominierenden wertversprechen schöner Projekts „Aesthetic Der Begriff der Digitalität wird somit nicht auf digitale Me- könnte es möglich sein, in der Kunstpädagogik eine Perspekti- Mit der digitalen Wende ist die Fotografie nun aber mit ei- Bruch zwischen digital und analog zu thematisieren. Körper an der Akademie Practice and the Critical Fa- dien beschränkt, sondern beschreibt vielmehr Entwicklun- ve zu eröffnen, die die produktiven und befruchtenden Wech- ner veränderten Situation konfrontiert: Das Auslösen brennt Neben diesem großen technischen Unterschied gibt es der bildenden Künste Wien culty“ zur Frage, inwiefern gen, die auf Basis digitaler Netzwerke entstanden sind. Inso- selbeziehungen von analoger und digitaler Welt erfahr- und die fotografierte Situation nicht mehr in die lichtempfindliche in der Weise, wie analoge und digitale Fotografien betrach- promoviert, wo sie derzeit ästhetische Bildungs- fern umfasst er auch gesellschaftlich-soziale Aspekte. Oder reflektierbar macht, sodass sowohl Möglichkeiten wie auch Schicht des Films ein, sodass dieser unveränderbar geprägt tet werden, doch sehr viele Überschneidungen. Auch wenn als Lehrbeauftragte tätig prozesse zu kritischerem anders gesagt: Digitalität so gedacht, ist mit gesellschaft- Grenzen und Herausforderungen in den Blick der Schüler*in- ist (sicher kann beim Entwickeln und Ausarbeiten des Fotos digitale Fotografien nicht selten bearbeitet oder manipuliert ist. Zudem unterrichtet Wahrnehmen, Denken und lich-sozialen Aspekten untrennbar verflochten. Ein solches nen treten können? etc. eingegriffen werden; die Auslösesituation ist in der ana- sind, haftet ihnen doch in den allermeisten Fällen die Ähnlich- sie am Oberstufen- Handeln beitragen können. Konzept von Digitalität entspricht auch in etwa dem Begriff Im Folgenden wollen wir anhand eines konkreten Beispiels logen Fotografie allerdings determinierend). Das Auslösen keit zu ihren Referenten deutlich an. Sie verweisen auf diese, gymnasium des Lauder Ihre Forschungsinteressen des sogenannten Post-Digitalen, der in den letzten Jahren eine Möglichkeit zur Diskussion stellen, wie man das Digitale geht nun mit einem Arrangement von Pixeln einher, in das wenn auch vielleicht weniger transparent und direkt als (mit Chabad Campus Wien. liegen im interdisziplinären in den Kunst- und Kulturwissenschaften vermehrt verwendet im kunstpädagogischen Rahmen zum Thema machen kann, während oder nach dem Fotografieren beliebig eingegriffen Sicherheit nicht alle, aber doch manche) analoge Fotografien Ihre Forschungsinteressen Spannungsfeld zwischen wurde. Im Fokus dieser Debatte steht ebenso, dass in digita- ohne dabei die Beziehung zum Analogen zu kappen: Die digi- werden kann. In der analogen Fotografie ist das Medium (der das tun. Damit könnte in der Bildbetrachtung von Fotografien liegen an der Schnittstelle Philosophie und Erziehungs- len Welten entwickelte Praktiken mittlerweile vermehrt auch tale Wende in der Fotografie. Die Technik der Fotografie und Datenträger) starr und beharrlich; in der digitalen Fotografie das eventuell prekäre Verhältnis thematisiert werden, in dem von Kulturwissenschaft und wissenschaft mit einem jenseits des digitalen Raums zum Einsatz kommen. Was ihr unterschiedlicher Einsatz in der Kunstgeschichte wie auch ist er veränderlich und fließend geworden. Der technische sich Abbildung und Abgebildetes zueinander befinden; denn künstlerischer Fachdidaktik Schwerpunkt auf Ästhetik, aber heißt das für die Kompetenzen im Kunst- und Werk- in der kommerziellen Fotografie stellen anschauliche Wege und epistemologische Charakter der Fotografie ändert sich auch im Falle der analogen Fotografie ist es nicht durchwegs sowie im Bereich der (visu- Wissensvermittlung und unterricht? zur Reflexion des Wegs vom Analogen zum Digitalen und damit grundlegend. Die Bedingungen sind plötzlich andere klar, wer, was oder wie das gemeint ist, was da vor dem ellen) Jugendkulturen. Fremdverstehen. möglicherweise auch wieder zurück dar. Die im Rahmen einer geworden und die Rede vom objektiven Bild sieht sich mit Kameraauge im Moment des Auslösens stand. Um dies zu Foto: © Susi Krautgartner Foto: © Susi Krautgartner III. Kunstpädagogische Wege zwischen kunstpädagogisch relevanten Abhandlung aufzuarbeitenden einem großen Fragezeichen konfrontiert. Für jene Transpa- thematisieren, könnte konkret mit Bildern gearbeitet werden, digital und analog Fragen könnten wie folgt lauten: renz, die der Fotografie als charakteristisch zugesprochen die eine gewisse Uneindeutigkeit ausstellen, wie etwa Jeff Wendet man sich den derzeitigen Lehrplänen im Bereich der u Was bleibt in der fotografischen Praxis/Technik/Produkti- wurde, lässt sich nur mehr schwerlich unter allen Umstän- Walls Dead Troops Talk von 1992 – eine digitale Fotoarbeit, Bildnerischen Erziehung und den generellen bildungspoliti- on/Rezeption nach der Wende vom Analogen zum Digita- den plädieren. Man muss im digitalen Zeitalter stärker damit die die dokumentarische Katastrophenfotografie bewusst re- schen Maßnahmen in Österreich zu, tritt die Notwendigkeit len gleich? rechnen als in der analogen Praxis, dass Fotografien nicht ferenziert, um auf Widersprüche in der Rezeption aufmerk- einer reflektierten Auseinandersetzung und der Entwicklung u Was sind neue Herausforderungen, die sich stellen? mehr einwandfrei bezeugen, dass sie von der Wirklichkeit – sam zu machen (vgl. dazu auch Sontag 2003). eines gestalterischen Zugangs zu unterschiedlichen media- u Wie lassen sich die Übergänge, die Unterschiede, die neu- nun durchaus im Rahmen von intentionalen Akten der Bild- len Bereichen sehr schnell zu Tage (vgl. Lehrplan Grundschu- en Möglichkeiten, aber auch die Probleme und Grenzen gestaltung – etwas abziehen oder hinzufügen, sie ver- oder IV. Werkpädagogische Wege zwischen le, NMS, AHS, Grundsatzerlass Medienerziehung). Die Bezie- thematisieren, die sich im Zuge der technischen, gestal- entstellen. Damit herrscht – epistemologisch gesehen – nun digital und analog hung zwischen der analogen und der digitalen Welt, deren terischen und rezeptiven Veränderungen ergeben? mindestens Unsicherheit darüber, ob Objektivität gegeben Bezieht sich der Lehrplan in der Bildnerischen Erziehung im produktives oder womöglich konfliktbehaftetes Verhältnis u Wie lässt sich proaktiv mit diesen umgehen? Welche Per- ist, ob tatsächlich ein verlässliches Zeugnis vorliegt. Ästhe- weitesten Sinne auf den angemessenen Umgang mit dem werden aber nicht explizit zur Sprache gebracht.1 Im Zentrum spektiven bieten sich? tisch gesehen ist jene Ähnlichkeit, die die Darstellung im Fal- Bild (vgl. Marr 2014), so möchte der Unterricht laut Lehr- steht vielmehr eine Erhöhung der Kompetenzen im Umgang Wir wollen diese Fragen nach dem Verhältnis von analog le der analogen Fotografie zum Referenten gezeigt hat, eben- plan im Werken die Schüler*innen im weitesten Sinne zum mit der digitalen Technik in Form von neuen (digitalen) Me- und digital in der gebotenen Kürze vor einem theoretischen so fraglich geworden ist. angemessenen Umgang mit dem Artefakt anleiten. Aus dien. Blickt man auf Fritzsches (2016) diskursanalytische Stu- Hintergrund erläutern, um danach mit einem Beispiel abzu- Dieser Unterschied, den wir eben herausgearbeitet ha- dem österreichischen Curriculum für Grund- und Sekundar- die über Kunstpädagogik und digitale Medien, scheint dieser schließen, das sich auch im schulischen Unterricht bedienen ben, und der die digitale Wende in der Fotografie eher als stufe resultiert daraus eine inhaltliche Auseinandersetzung österreichische Trend sich auch im fachdidaktischen Diskurs ließe. Bruch denn als Beziehung thematisiert, bezieht sich sehr mit Formen der Konstruktion, Funktionalität, Materialität,

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Design, Formen der Herstellung, Wartung und Themen der zeitlich verschobene Antworten auf bereits etablierte Tech- hat – hierzu wird von ihm das Handwerk gezählt – und zwei- suffer.“ (Ebd. 39) Im Mittelpunkt dieses Übens steht dabei Nachhaltigkeit im Zusammenhang mit Technik, Architektur nik macht diese sprichwörtlich zur „Büchse der Pandora“, tens eine Form, die auf den Prinzipien des ökonomischen die Wiederholung dieses spezifischen ineinandergreifenden und Produkten (vgl. Lehrplan Primarstufe, Lehrplan NMS, die geöffnet Übel über die Menschheit zu bringen vermag. Wettbewerbs beruht. Zu letzterem zählen die industriali- Denkens und Handelns. Diese eröffnet Schüler*innen Mög- Lehrplan AHS). Es ist dabei festzuhalten, dass sich das Arte- Diese Form der Technikkritik ist zwar nicht neu, kann jedoch sierten und arbeitsteiligen Herstellungsverfahren. Ihr primä- lichkeiten und Routinen, sich mit Artefakten aus und in der fakt immer als analoges darstellt (vgl. Technisches Museum gegenwärtig im Kontext der Digitalisierung und Genetik häu- res Ziel ist es, möglichst wirtschaftlich zu sein. Der Mensch Verflochtenheit von gesellschaftlichen Zusammenhängen, Wien 2018). In der werkpädagogischen Debatte wird seit fig angetroffen werden (vgl. u.a. Lanier 2018/ Müller, Niever- bzw. gesellschaftliche Bedürfnisse geraten bei industriellen die neben der Funktionsweise auch soziale, gesundheitliche einigen Jahren intensiv darüber diskutiert, inwieweit digita- gelt 1996: 15f). Diese Problematik ist der Ausgangspunkt für Arbeitsweisen quasi notwendig in den Hintergrund. (Vgl. und nachhaltige Aspekte beinhalten, thematisch zu beschäf- le Techniken – wie etwa der Bau von einfachen Robotern weitere Überlegungen, die nach den durch das Werken ver- Sennett 2009: 28) Das Handwerk macht nach Sennett das tigen. – in den Werkunterricht aufgenommen werden sollen. Eine mittelte digitalen Kompetenzen fragt. Wie kann die Produk- Zusammenleben in der Gesellschaft – das soziale Leben – starke Stimme nimmt hierbei die deutsche Bildungswissen- tion von (digitalen) Artefakten als kritische verstanden wer- zum Ausgangspunkt der Konzeption und Herstellung von Literatur Mag. art Cornelia Zobl hat schaftlerin Ingelore Mammes ein, die eine Überholung des den? Wie und in welcher Form gelingt es, SchülerInnen im Artefakten. Es ist am bestmöglichen Ergebnis interessiert. Allert, Heidrun, Michael Asmussen und Christoph Richter. „Di- Bildnerische Erziehung und Werk- bzw. Technikunterrichts im Kontext einer digitalen Ge- Werkunterricht zu kritischen Produzent*innen zu erziehen? Ein*e Handwerker*in will die Artefakte um dieser selbst Wil- gitalität und Selbst“. In: Digitalität und Selbst. Interdiszipli- Technische Werkerzieh- sellschaft für unerlässlich hält (vgl. Mammes 2016: 152ff). Einen interessanten Denkansatz bietet die 2016/17 ge- len „gut“ machen. Diese Orientierung an der Qualität von näre Perspektiven auf Subjektivierungs- und Bildungspro- ung studiert und arbeitet Niederschlag finden solche Überlegungen in den zahlreichen zeigte Ausstellung handWERK. Tradiertes Können in der di- Dingen ist eine Stärke, die Sennett direkt mit dem „guten“ zesse. Heidrun Allert, Michael Asmussen und Christoph derzeit im Fachbereich der Angeboten, die von Industrie- und Wirtschaftsbetrieben, gitalen Welt im Wiener MAK. So wird von den Kurator*in- Leben verbindet. Sennett plädiert deshalb für einen erwei- Richter (Hrsg.) (2017). Bielefeld, Transcript. S.9–23. Technischen Bildung für die Lehrer*innenkollektiven, Maker Spaces etc. für die inhaltli- nen deutlich gemacht, dass gerade das Handwerk als spe- terten Begriff des Handwerks, der diese spezifische Produk- Bundesministerium Digitalisierung und Wirtschaftsstandort Primarstufe an der Kirchlich che Ausrichtung der Lehrpläne herangetragen werden. Ex- zifische Herstellungsweise von Objekten eine zentrale Be- tionsweise für viele Bereiche der Herstellung von materiellen (Hrsg.)(2018). Digitales Kompetenzmodell für Österreich. Pädagogischen Hochschule emplarisch möchten wir eine von Werklehrer*innen gestar- deutung in der digitalen Gesellschaft einnimmt. Christoph und immateriellen Dingen relevant macht. Das heißt, neben DigComp 2.2 AT. Online unter: https://www.bmdw.gv.at in Graz. Sie entwickelt und tete Initiative aus der Schweiz nennen: Unter der URL pglu. Thun-Hohenstein schreibt exemplarisch im Ausstellungska- der immateriellen Arbeit z.B. der Kindererziehung kann für [Stand 11.12.2019] forscht in Kooperation mit ch werden Inhalte für den „Lehrplan 21“ erarbeitet und pub- talog: „Handwerkliche Perfektion mit Herz ist eine exzellen- Sennett auch das Programmieren als Handwerk verstanden Carretero, Stephanie et al. The Digital Competence Fra- der Montanuniversität Leo- liziert, die „ein Abbild unseres von Technologie durchwirkten te Strategie für die Verteidigung menschlicher Würde ge- werden. (Vgl. Sennett 2009: 19). Es kristallisiert sich also mework for Citizens. DigComp 2.1, 2017. Online unter: ben im Bereich der außer- Alltags“ (pglu.ch 2019) in den Unterricht tragen sollen. Her- gen ausufernde digitale Berechnung und Vermessung. Sie Sennetts Grundgedanke der Bedeutung des Handwerks für https://publications.jrc.ec.europa.eu/repository/bitstre- schulischen Lernorte und auszuheben ist, dass die Gruppe um pglu.ch auf den Bau von befähigt auch zur nachhaltigen Nutzung analoger und digi- eine gegenwärtige und zukünftige Gesellschaft heraus. Es am/JRC106281/web-digcomp2.1pdf_(online).pdf [Stand deren Möglichkeiten zur analogen Objekten setzt, die durch digitale Bausätze (pro- taler Potenziale. Handwerk ist somit eine Lebenseinstellung geht ihm um die Unterscheidung von Produktionsweisen, 11.12.2019] Förderung von technischen grammierbare Platinen und Sensoren) erweitert werden. Es und Welthaltung.“ (Thun-Hohenstein 2016: 7) Der Kurator das heißt, das Wie der Herstellung von Artefakten macht Fritzsche, Marc (2016): Interfaces – Kunstpädagogik und di- und naturwissenschaft- wird also die konstruktive Integration von digitalen Techniken macht einerseits auf die Irritationen der digitalisierten Ge- einen entscheidenden Unterschied. gitale Medien: Theoretische Grundlegung und fachspezi- lichen Kompetenzen bei mit den Schüler*innen erarbeitet und geübt. Zudem wird ein sellschaft aufmerksam und antwortet mit einer Produktions- Da während des handwerklichen Prozesses von den Pro- fische Praxi. kopaed. Schüler*innen und (ange- Teil des Informatikunterrichts, nämlich das Programmieren, weise, nämlich dem Handwerk, als potentieller Möglichkeit duzent*innen neben wirtschaftlichen in erster Linie soziale Gelhard, Andreas (2018). Kritik der Kompetenz. Zürich, Dia- henden) Lehrer*innen. Die in den Werkunterricht übernommen. Die vorgeschlagene In- diesen zu begegnen. Ein*e kritische*r Produzent*in schöpft Bezüge hergestellt werden, lassen sich diese im Gegensatz phanes. technische Fachdidaktik, tegration von digitalen Techniken in den Werkunterricht fragt das kritische Potenzial also u.a. aus der Wahl der Produk- zu industriellen Fertigungsweisen bereits während der Fer- Grundsatzerlass zur Medienerziehung des BMBWF. Online die sowohl durch Ästhetik also implizit und explizit nach den Grenzen und Überschrei- tionsweise von Artefakten, so möchten wir vorerst zusam- tigung kritisch reflektieren. Die problematische Nachträg- unter: https://www.bmbwf.gv.at/Themen/schule/schul- als auch Technik informiert tungslogiken des Fächerkanons. Was unseres Erachtens da- menfassen. Die Behauptung, mit dem Handwerk (also einem lichkeit der kritischen Reflexion von Technik würde mit Sen- recht/rs/1997-2017/2012_04.html [Stand 17.12.2019] ist, steht im Mittelpunkt bei offen bleibt, ist, ob ein solch fächerübergreifender Unter- tradierten Zugang zur Herstellung von Objekten) können bei net durchbrochen. Denn die handwerkliche Fertigung stellt Lanier, Jaron (2018): Ten Arguments For Deleting Your So- ihres Forschungsinteresses richt ausreicht, um einen angemessenen Umgang mit dem Schüler*innen digitale Kompetenzen gefördert werden, wirft durch ihr Interesse am Gemeinwohl bereits im Prozess einen cial Media Accounts Right Now. London, Penguin-Ran- Foto: © Susi Krautgartner. Artefakt anzuleiten? weitere Fragen auf. Es bleibt zunächst unklar, wie und wel- Dialog zwischen Technik, Subjekt und der gesellschaftlichen dom-House. Wie einleitend herausgearbeitet, beinhaltet das Kom- che Kompetenzen hier überhaupt gemeint sind. Gängige di- Öffentlichkeit her. (Vgl. Sennett 2008: 37ff) Lehrplan Grundschule Technisches Werken (2007) Online un- petenzraster DigComp 2.2 AT Kompetenzbereiche, die über gitale Artefakte werden gerade nicht handwerklich, sondern Für das Werken würde dieser Zugang die Auflösung der ter: https://www.bmbwf.gv.at/Themen/schule/schulpra- die Funktionalität von digitalen Artefakten hinausgehen industriell und arbeitsteilig hergestellt. Welchen Unterschied oben beschriebenen Dichotomie zwischen unkritischem*r xis/lp/lp_vs.html [Stand 17.12.2019] und auch Kompetenzen im Bereich der Sozialität, Gesund- sollte es machen, dem Handwerk bei der Produktion von di- Produzent*in und kritischem*r Anwender*in bedeuten. Die Lehrplan NMS Technisches und textiles Werken (2017) On- heit und Kreativität adressieren. Für den Werkunterricht be- gitalen Techniken im Werken eine besondere Bedeutung zu- Herstellung und die Reflexion von Dingen gehen nach Sen- line unter: https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Bun- deutet dies, die problematische Dichotomie zwischen An- zusprechen? nett in der handwerklichen Fertigungsweise ineinander auf. desnormen/NOR40207228/NOR40207228.pdf [Stand wender*in und Produzent*in von Artefakten zu überwinden Das Handwerk ist, so kann zunächst festgestellt werden, Die Reflexion würde bereits vor und während der Herstellung 17.12.2019], 91-102. (vgl. Zobl 2018). Ausgang der Problematik ist das Einüben ein Nischenprodukt in der globalisierten Wirtschaft und den- und nicht erst danach passieren. Ein wichtiger Aspekt, der Lehrplan AHS Technisches Werken (2004) Online unter: der Schüler*innen von einerseits unkritischen Produzent*in- noch eine notwendige Strategie für die Gegenwart und Zu- im Regelunterricht gegenwärtig häufig sogar eher verpönt https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfra- nen-Rollen, die „nur“ die Funktionalität, Konstruktion, Mate- kunft von unserer industrialisierten und digitalisierten Gesell- scheint, ist für Sennett hierbei das Üben. „Yet machinery is ge=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10008568&Fas- rialität und Design von Technik im Blick haben. Andererseits schaft (vgl. Thun-Hohenstein 2016: 7). Der amerikanisch-bri- misused when it deprives people themselves from learning sungVom=2017-08-31 [Stand 19.12.2019] werden die Schüler*innen laut Kompetenzmodell2 zu kriti- tische Soziologe Richard Sennett unterscheidet in seinem through repetition. The smart machine can separate human Lehrplan Grundschule Bildnerische Erziehung (2007) Online schen Anwender*innen erzogen, die jedoch erst nach der 2009 erschienenen Buch The Craftsman zwei Produktions- mental understanding from repetitive, instructive, hands- unter: https://www.bmbwf.gv.at/Themen/schule/schul- Produktion von Technik ihre Kritik zu äußern lernen. Dieses weisen: Erstens eine Form, die die Gemeinschaft im Blick on learning. When this occurs, conceptual human powers praxis/lp/lp_vs.html [Stand 17.12.2019]

150 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 151 DIGITALE KOMPETENZ INKLUSION: GRAPHIC STORY TELLING

Lehrplan NMS Bildnerische Erziehung (2017) Online unter: Stalder, Felix (2016): Kultur der Digitalität. Frankfurt, Suhr- Wilfried Swoboda, Rolf Laven, Safwan Alshoufi https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Bundesnormen/ kamp. NOR40207228/NOR40207228.pdf [Stand 17.12.2019] Technisches Museum Wien: Dauerausstellung: Arbeit und Lehrplan AHS Bildnerische Erziehung (2017) Online unter: Produktion. Weiter_gedacht_seit 16.11.2018 Projekt Soundwords: https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Ab- Thun-Hohenstein, Christoph (2016): Die Zukunft liegt in unse- Graphic Story Telling und Inklusion frage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10008568 ren Händen. In: Thun-Hohenstein, C./ Rainald, F./ Zickel, T./ [Stand 17.12.2019] (Hg.): handWERK. Tradiertes Können in der digitalen Welt. (Cizek extended) Lehrplan 21 (2014): Textiles und technisches Gestalten. Wien, Verlag für moderne Kunst, 7. Online unter: https://v-ef.lehrplan.ch/index.php?co- Walden, Scott (2005): Objectivity in Photography. British de=b|7|2 [Stand 17.12.2019] Journal of Aesthetics 45, 258–272. Mammes, Ingelore (2016): Natur und Technik in Kindergarten Walton, Kendall (1984): Transparent Pictures: On the Nature Abb. 1 Lehrer Safawan Als- und Grundschule. In: Graube, G./ Mammes, I. (Hg.): Ge- of Photographic Realism. Critical Inquiry 11, 246–277. houfi beim multisprachigen sellschaft im Wandel. Konsequenzen für natur- und tech- Zobl, Cornelia (2018): Überlegungen zur technologisierten Unterricht in Italien nikwissenschaftliche Bildung in der Schule. Bad Heilbrunn, Gesellschaft, zu technologiemündigen Subjekten und der Klinkhardt-Verlag. 152–166. Rolle der Werkerziehung. Online unter: https://journals. Marr, Stefanie (2014): Kunstpädagogik in der Praxis. Bielefeld, univie.ac.at/index.php/mp/article/view/mi1268 [Stand Transcript-Verlag. 17.12.2019] Müller, Christoph/ Nievergelt (1996): Technikkritik in der Mo- derne. Empirische Technikereignisse als Herausforderung 1 Derzeit sind neue Lehrpläne in Arbeit. Unsere Ausführungen be- an die Sozialwissenschaft.Wiesbaden, VS-Verlag. ziehen sich aus Unkenntnis der Neuerungen, deren Begutachtung PGLU.ch: Digitale Bausätze für das Technische Gestalten. Kre- durch Fachwissenschaftler*innen an den Universitäten zwar ange- ative Technik für spannenden Werkunterricht. Online un- kündigt, aber dann jedoch zurückgezogen wurde. ter: https://pglu.ch/ [Stand 17.12.2019] 2 Die österreichischen Lehrpläne für das Werken der Grundstufe und Scruton, Roger (1981): Photography and Representation. Cri- der AHS werden im Moment neu überarbeitet. Ich beziehe mich mit tical Inquiry 7, 577–603. dieser Folgerung auf das umfassende schweizer Kompetenzmodell Sennett, Richard (2009): The Craftsman. London, Pengu- für das Werken (vgl. Lehrplan 21: 2014). Das Projekt Soundwords: Graphic Story Telling (Erasmus+; u Max-Born-Berufskolleg; Recklinghausen, D in-Books. Strategic Partnerships for school education; 2017-1-AT01- Ziel ist das Lernen in Pluralität, in Form von Sensibilisie- Sontag, Susan (2003): Regarding the Pain of Others. New KA201-035032) konzentriert sich auf die Förderung der sozia- rung der Mehrheits- und Minderheitsgruppen, basierend auf York,Farrar, Straus and Giroux. len Inklusion im Bildungsumfeld über einen innovativen künst- der Tatsache der gesellschaftlichen Heterogenität. Des Wei- lerisch-ästhetischen Ansatz (Swoboda, 2018). In der Wis- teren geht es um die Förderung eines ästhetischen Kultur- sensallianz arbeiten neun Institutionen aus sechs verschiede- dialogs mittels des Kunstgenres Graphic Novel. Ein solcher nen Ländern. Die Bildungsdirektion für Wien als Leadpartner, Dialog findet unter Berücksichtigung der Vielheit und Vielfalt zwei Universitäten, fünf Schulen und eine Bildungseinrichtung europäischer Identität, europäischen Bürgersinns und sozia- sind an diesem Projekt beteiligt. Aus seiner Aufstellung aus len Zusammenhalts statt. (Abb. 1) unterschiedlichen pädagogischen Institutionen wird eine brei- te pädagogische Fächerung erreicht. Das Partnerkonsortium Das Projekt steht auf vier Grundpfeilern: rekrutiert sich aus: u Learning through arts (Bamford, 2010) im Sinne von ästhe- u Bildungsdirektion für Wien tisch initiierter Interdisziplinarität am Beispiel der Graphic u VS 12, Karl Löwe Gasse Novel u SZ FIDS 10, Quellenstraße u Inklusion im Sinne der Sensibilisierung der Mehrheit als u WMS 4, Karlsplatz Teilmenge von Randgruppen u SZ FIDS 21, Regnerweg u Pluralismus im Sinne eines gesellschaftlichen Non-Konfor- u Pädagogische Hochschule Wien mismus, der politischen Teilhabe und des kritischen Hin- u University of Modena and Reggio; Modena, I terfragens u MCAST Institute for the Creative Arts; Paola, Malta u Sprache im Sinne eines Schatzes an kultureller Vielfalt u IsArt – Liceo Artistico ´Arcangeli`; Bologna, I zum Verstehen des Eigenen und des Anderen. u Escola Vida Montserrat; Barcelona, E Drei pädagogische Schwerpunkte kombiniert das Projekt: u SZ FIDS 2; Holzhausergasse, Wien Den Einsatz der Graphic Novel, den Ansatz des Lernens durch u CoED Foundation; Birmingham, UK Künste und das Prinzip der Kunst- und Kulturpädagogik, die

152 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 153 INKLUSION: GRAPHIC STORY TELLING INKLUSION: GRAPHIC STORY TELLING

alle drei auf Inklusion abzielen sollen. Output des Projekts ist Learning through arts (Lernen durch Kunst) erzählen hat menschliches Wissen bewahrt, indem es von Abb. 2 Trude Izaak präsen- einerseits ein Leitfaden, das Compendium of Implementation, In der ersten internationalen Analyse der Kulturvermittlung Generation zu Generation weitergegeben wurde. Dieses Vor- tiert ihren MitschülerInnen und andererseits eine Graphic Novel, die Europe Graphic No- für die UNESCO verglich Anne Bamford (Bamford, 2010) Da- gehen hat sich bis in die Neuzeit fortgesetzt. Die erzählende ihre Arbeiten. Fotograf: vel. Das Compendium ist ein auf die Lehr- und Lernhaltung ten und Fallstudien aus mehr als 60 Ländern im Jahr 2004 Person muss zuerst etwas zu erzählen haben und dann in der Rudolf Johann Bohl, 1934. ausgerichteter Guide zur Implementierung von sozialer Inklusi- mit dem Ziel, die Auswirkungen des Kunstunterrichts auf Lage sein, jene Werkzeuge zu beherrschen, die im Dienste (Laven, 2006, S.139) on mittels der Graphic Novel. Ziel ist die theoretische Fundie- die Bildung von Kindern und Jugendlichen in verschiedenen des Weitergebens stehen. Die frühesten Geschichtenerzäh- rung und Schaffung von Transfermaterial zur möglichen Auf- Ländern zu bestimmen. Die Ergebnisse der Studie führten zu ler verwendeten wahrscheinlich grobe Bilder, die von Gesten bereitung für Lehrsequenzen aus Schule und Weiterbildung. einer Reihe von nationalen und regionalen Studien und setz- und Stimmgeräuschen untermauert wurden, die sich später Die Europe Graphic Novel ist ein Tutorial zum pädagogischen ten die Kunstvermittlung erstmals auf die politische Agenda zu Sprache entwickelten. Einsatz des Genres, die als Praxisteil mit den Lernenden er- der UNESCO. Eines der Ergebnisse lautete, dass Kinder und Der stilbildende Graphiker und Schöpfer des Graphic No- stellt wird und die Punkte Regional Stories (Stories zur soci- Jugendliche nur von den gut angelegten, nämlich nachhaltig vel-Begriffes Will Eisner (2008) unterscheidet wichtige As- al inclusion aus den Regionen) sowie den European Context und systematisch vorgehenden kunstpädagogischen Lehr- pekte: (eine gemeinsame Parabel zum Thema Europa als Allegorie angeboten in Bezug auf künstlerische Betrachtungsweisen, u Grafische Erzählung. Eine allgemeine Beschreibung einer seinen literarischen Inhalt aufmerksam. Es ist daher nicht MMag. Dr. Rolf Laven des Gemeinsamen und Pluralen) umfasst. Fertigkeiten bzw. Praxen und Darbietungsformen profitieren Geschichte, bei der ein Bild verwendet wird, um eine Idee verwunderlich, dass Comics als eine Form des Lesens im- (geb. 1966 in Jülich/ (S.25). „Schlechte Programme behindern ganz offensichtlich zu vermitteln. Film und Comics beschäftigen sich mit grafi- mer als Bedrohung für die Alphabetisierung angesehen wur- NRW), bildender Künstler, Der Einsatz von Graphic Novel – Lernen aktiv die positiven Effekte, die in guten Programmen sichtbar scher Erzählung. den. Hochschulprofessor an der durch Künste – Kunst- und Kulturpädagogik werden“ (ebd.). Im künstlerischen Prozess suchen die Lernen- u Comics. Eine Form der sequentiellen Kunst, oft in Form ei- Pädagogischen Hoch- im Dienste der Inklusion den nach Fragen und finden heraus, dass es unterschiedliche nes Streifens oder eines Buches, in dem Bilder und Texte Inklusion schule Wien am Institut Der Begriff Graphic Novel wurde von Will Eisner (2008) ge- Antworten auf die gleiche Frage und unterschiedliche Lösun- so angeordnet sind, dass sie eine Geschichte erzählen. Zentrales Ziel des Projektes Soundwords ist es, einen trans- für Allgemeinbildung in prägt und stellt eine bewusste Abgrenzung zum Comic dar. gen für ein Problem gibt, die alle gleichermaßen gültig sein u Geschichtenerzähler. Der Autor oder die Person, die eine kulturellen wie ästhetischen Dialog als Interaktionskompetenz der Sekundarstufe – Eisners Erzählungen waren Geschichten aus der Nachbar- können. Sowohl künstlerische als auch kulturelle Bildung stel- Erzählung kontrolliert. zu fördern. Ein solcher sollte zur europäischen Identität, zur Fachbereich Bildnerische schaft, man sah gewöhnlichen Menschen beim Leben zu. len in Europa zunehmend an Bedeutung gewinnende Aspekte u Sequential Art. Bilder, die in einer bestimmten Reihenfolge Unionsbürgerschaft und zur sozialen Solidarität unter Berück- Erziehung, Lehrbeauftragter Heute sind die Grenzen zwischen Comic und Graphic Novel dar für die Entwicklung des Identitätsbewusstseins und des bereitgestellt werden. sichtigung von Pluralität und Vielfalt beitragen. Synergien zwi- an der Universität Wien fließend und sollten nicht starr gesehen werden. Graphic No- Ausdrucks. schen Kultur und Bildung sollen aufgezeigt werden, indem am, Institut für Bildungs- vels ähneln Comics, weil sie sequentielle Kunst verwenden, Kulturverständnis und kultureller Ausdruck sind Teil der Im Laufe der Jahrhunderte lieferte die Technologie Papier, einerseits Innovationen in der Kunstpädagogik ermöglicht wissenschaften und an der um eine Geschichte zu erzählen. Sie unterscheiden sich von Schlüsselkompetenzen des Referenzinstruments, das die Druckmaschinen sowie elektronische Speicher- und Über- werden und andererseits die Lernenden bewusst in unser kul- Universität für angewandte Comics dadurch, dass sie eigenständige Geschichten mit ver- EU-Mitgliedstaaten im Kontext des lebenslangen Lernens tragungsgeräte. Dies wirkte sich auf die Erzählkunst aus. turelles Spektrum von Möglichkeiten einbezogen werden, um Kunst: Experte im Werkla- stärkt komplexen Handlungen und einer fortlaufenden wie strategisch und infrastrukturell integrieren. Kulturelles Be- Die Struktur einer Geschichte kann in vielen Variationen dar- einen Nährboden für Kreativität zu schaffen. Schließlich be- Safwan Alshoufi, Studium bor, an der Akademie für zielgerichteten Erzählung von der ersten bis zur letzten Seite wusstsein hat großen Einfluss auf die Stärkung der sozialen, gestellt werden, da sie zwischen Anfang und Ende unter- schreitet dieses Projekt einen interdisziplinären, innovativen der Malerei, Universität für bildende Künste, Fachdi- enthalten. Comics und Graphic Novels greifen unterschiedli- zivilgesellschaftlichen und interkulturellen Kompetenzen so- schiedlichen Mustern unterliegt. Eine Struktur ist nützlich, Weg in Bezug auf soziale Eingliederung und Schule (Swobo- Bildende Künste Damas- daktik und Schulpraxis BE, che Arten kultureller sowie schriftliterarischer Bezüge auf und wie auf Verantwortungsbewusstsein und unternehmerische um die Kontrolle über die Geschichte zu behalten. Bevor eine da, 2018) . kus, Training of Trainers, Volkshochschule Campus arbeiten mit Bildzitaten und Erzählstrukturen. Comics und Gra- Initiative. Kunstunterricht und kulturelle Bildung sind für das Geschichte komponiert wird, existiert sie abstrakt. Zu die- Inklusion bezeichnet ein Bewusstsein der Vielfalt unter Arabische Universität für Meidling – Leiter des Be- phic Novels beschäftigen sich mit sehr unterschiedlichen Ar- lebenslange Lernen und für die volle Entfaltung der Persön- sem frühen Zeitpunkt warten noch viele Gedanken, Erinne- Menschen, die sich trotz ihrer Unterschiede gegenseitig be- Training Damaskus, Mentor rufsreifeprüfungslehrgang ten kultureller Bezüge, auch in der Literatur. Sie arbeiten mit lichkeit und des Bürgersinns von wesentlicher Bedeutung. rungen, Fantasien und Ideen auf eine Struktur. Sie werden zu reichern (Tiedeken, 2012). Dieser Begriff widerspricht grund- der Initiative Minder- Kunst und Design, Bundes- Bild- und Stilzitaten, Problemkonstanten, Charakterkonstellati- Auf dem Gebiet der sozialen Eingliederung von Menschen mit einer Geschichte, wenn sie in einer gezielt arrangierten Rei- sätzlich der strengen Kategorisierung von Menschen und heiten, Referent MA17 vorsitzender BÖKWE (Bund onen oder Handlungsstrukturen. Reiche interkulturelle Einflüs- unterschiedlichem Hintergrund erzielt die Bildungsarbeit mit henfolge erzählt werden. Eine Geschichte hat einen Anfang, unterstützt ein ganzheitliches Menschenbild. Auf diese Wei- Info-Module für geflüchtete Österreichischer Kunst- se bedeuten, dass experimentelle, innovative und qualitativ dem Schwerpunkt kulturelle Bildung außerordentliche Erfolge. ein Ende und einen Faden von Ereignissen, die auf einem se zielt die Einbeziehung darauf ab, das Recht des Einzelnen Menschen, laufend künst- und WerkerzieherInnen). hochwertige Geschichten im Graphic Novel-Format verfüg- Eine erhöhte Sensibilisierung für Mehrheits- und Minderheits- Rahmen liegen, der all dies zusammen hält. Ob es sich bei zu gewährleisten, sich in einer Dimension zu engagieren, die lerische Tätigkeiten und https://www.rolflaven.com/ bar sind. Diese Texte sprechen somit auch Bildungsbeflissene gruppen in Bezug auf deren soziale Heterogenität führt zum dem Medium um Text, Film oder Comics handelt: Der Rah- über die passive Teilnahme hinausgeht, bis hin zur aktiven Ausstellungen, dzt. Lehrer an, da sie das Verständnis der Sprach- und Geschichtenent- bedeutenden Ziel der Lernvielfalt (Swoboda, 2018). men ist der gleiche. Der Stil und die Art des Geschichtener- Teilnahme an kulturellen, strukturellen und praktischen Ak- an mehreren Standorten wicklung visuell unterstützen. Graphic Novels sind im Unter- zählens können durch das Medium beeinflusst werden, aber tivitäten. Es ist unvermeidlich, dass Menschen, die in diese in Wien (BE-Schwerpunkt richt von Nutzen, da sie die Lesenden aktiv in den Prozess Das graphische Erzählen als ein bildliches die Geschichte selbst bleibt bestehen. Da Comics leicht zu Situationen eintreten, mit individuellen Voraussetzungen, Zie- Graphic Novel). des Verstehens der narrativen Struktur, des Erkennens von Ausführen von Geschichten lesen sind und ihr Ruf mit der Nützlichkeit für Menschen mit len und Notwendigkeiten konfrontiert werden, was zu gestaf- Metaphern und Symbolen, des Identifizierens von Perspekti- Das Geschichtenerzählen ist tief verwurzelt im sozialen Ver- geringen Lesefähigkeiten in diskriminierender Weise in Ver- felter Grundlage und unterschiedlichen inklusiven Praktiken ven, des Erforschens von Stimmung und Ton sowie des Ver- halten menschlicher Zivilisationen – alter und moderner. Ge- bindung gebracht wurde, wurde der Inhalt von Comics über führt. Inklusion basiert auf den Menschenrechten und betont stehens der Verwendung von Wortspielen, Umgangssprache, schichten werden verwendet, um das Verhalten der Gemein- Jahrzehnte auf dieses Publikum zugeschnitten. Die Förde- die Dringlichkeit der Umsetzung solcher Prozesse, die darauf Alliteration und Folgerungen involvieren. Kritische und visuelle schaft zu lehren, um Moral und Werte zu diskutieren oder um rung und Akzeptanz dieses Mediums durch die Bildungsein- abzielen, Selbst- und Mitbestimmung zu entwickeln und es Alphabetisierungsfähigkeiten werden ebenfalls durch das Le- Neugierde zu befriedigen. Sie dramatisieren soziale Beziehun- richtungen war lange Zeit nicht gegeben. Das traditionelle dem Einzelnen ermöglichen, das kategorial einengende Den- sen von Graphic Novels verbessert. gen und Lebensprobleme, vermitteln Ideen. Das Geschichten- Comic-Format machte zunächst mehr auf seine Form als auf ken zu überwinden.

154 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 155 INKLUSION: GRAPHIC STORY TELLING DIGITALISIERUNG VERÄNDERT

Abb. 3 Rolf Laven: Franz bspw. Bilder-Bücher mit Illustrationen von Ilse Breit (Wiener Andrea Mayr Čižek­„The­Father­of­Art­ Jugendkunst-Bilderbücher, 1924a) und Käthe Berl (Aoyama Education“ Kodomo-no-Shiro, 1990, S.49; Wiener Jugendkunst-Bilderbü- Erste Seite der Graphic cher,­1924b).­Čižek­propagierte­die­freie­zeichnerische­Ent- Wie verändert sich Schule im Zeitalter Novel­„The­Čižek­Story“­ faltung des Kindes, in der die heranwachsende Persönlichkeit der Digitalisierung? (Unpublished). © Rolf zur freien Expression geleitet werden sollte. In seiner Jugend- Laven kunstklasse an der Wiener Kunstgewerbeschule (der heuti- gen Universität für angewandte Kunst) wurde vielen enga- gierten Kindern über Jahrzehnte die Möglichkeit geboten, in einem durchdachten Umfeld frei zu gestalten. In einem Klima Die Nutzung digitaler Medien und Devices ist in den vergan- fluss auf die Potentiale einer digitalisierten Lernumgebung kontemplativer Konzentration wurden die Kursteilnehmenden genen Jahren stark angestiegen (Bertsche & Como-Zipfel, haben. Abschließend soll Resümee gezogen und darüber ermutigt, ihre inneren Bilder souverän zu manifestieren. Welt- 2016). Als treibende Kräfte hierbei gelten nachgedacht werden, welche grundlegenden Rahmenbedin- weit wird der Reformer als einer der pädagogischen Pioniere 1) technologische Entwicklungen und technische Produkte. gungen im Umgang mit Digitalisierungsprozessen im Kontext eingestuft. Er wurde ein Vorbild dafür, was man aktuell als Diese eröffnen immer wieder neue, veränderte Möglich- Schule notwendig sind, um darin eingelagerte Potenziale zu Katalysator und freundlicher Mentor bezeichnen würde, als keiten und Ausgangslagen für das Lehren und Lernen auf nutzen. ein „Father of creative art teaching“ (Anderson, 1969, S.29). einer didaktischen, lerntheoretischen und methodischen Zukünftige transkulturelle Forschungsprojekte werden – in Ebene. Dem liegt Die Lernenden im Mittelpunkt Verbindung mit Soundwords – das pädagogische Erbe und 2) ein gesellschaftlicher Wandel und die Digitalisierung sämt- Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass Diskussionen Vermächtnis­von­Franz­Čižek­und­seiner­Wiener­Jugendkunst- licher Lebenswelten zugrunde. Vor diesem Hintergrund um mögliche Vor- und Nachteile digitaler Medien in der Schu- Wilfried Swoboda, MA, klasse als ein Modell, in Bezug auf nunmehr aktuelle Inhalte wurde es notwendig, den schulischen Bildungsauftrag kri- le sehr kontrovers geführt werden: So warnen die einen vor Lehramt für Sonderpädago- wie Inklusion und Pluralismus, untersuchen. (Abb. 3) tisch, im Speziellen auch in Bezug auf digitale Medien, zu der totalen Computerisierung und Digitalisierung. Sie reden gik, Lehramt für Informatik, Zusammenfassend können die folgenden Faktoren für ein hinterfragen und zu diskutieren. Damit sind sogar von einer drohenden digitalen Demenz und fordern ein Masterstudium zur The- verbessertes Lernen durch grafisches Geschichtenerzählen Literatur 3) hier bildungspolitische Entscheidungen zentral. Einerseits generelles Verbot von Smartphones und anderen digitalen matik kulturelle Schul- unterstrichen werden: Es ist ein ideales Mittel zur Entwick- Anderson, James P. (1969). Franz Cizek: Art Education´s Man hinsichtlich des kompetenten Umgangs mit neuen, com- Devices in Schulen. Vertreter_innen dieser Position sind da- entwicklung. Seit 2016 lung universeller menschlicher Werte. Komplexe und schwie- for all Seasons. [Abgerufen am 20.12.2019] http://con- puterbasierten und digitalen Technologien sowie mit digi- von überzeugt, dass digitale Medien Kinder und Jugendliche Doktorand an der Friedrich- rige Themen können erfolgreich vermittelt werden. Unter- nection.ebscohost.com/c/articles/28437540/franz-cizek- talen Daten und Informationen, und andererseits in Bezug tendenziell eher vom Lernen abhalten. Andere wünschen sich Schiller-Universität Jena stützt werden die Leseentwicklung, ebenso die Entwicklung art-educations-man-all-seasons auf eine entsprechende IT-Infrastruktur in Schulen, die flä- wiederum eine flächendeckende Anbindung von Schulen an (Erziehungswissenschaft); des Selbstausdrucks und die kreative Erweiterung der sprach- Aoyama Kodomo-no-Shiro (1990). Franz Cizek. Pionier der chendeckend zur Verfügung stehen muss, um die Aneig- das Breitband mit frei zugänglichem WLAN. Vertreter_innen Webdesign und computer- lichen Entwicklung. Zudem besteht das Potenzial, digitale und Kunsterziehung. Tokyo: Aoyama Kodomo-no-Shiro. nung von Kompetenzen auf einem hohen Niveau sicher- dieser Position setzen sich für Tablet- und Laptop-Klassen ein unterstützte Grafik an der analoge Techniken zu kombinieren. Das grafische Geschich- Bamford, Anne (2010). Der Wow-Faktor: Eine weltweite Ana- zustellen (vgl. Brandhofer, Baumgartner, Ebner, Köberer, oder für die Verwendung persönlicher digitaler Endgeräte im Donau Universität Krems, tenerzählen in all seinen kreativen Formen (Kinderbücher, Co- lyse der Qualität künstlerischer Bildung. Münster: Wax- Trültzsch-Wijen, & Wieser, 2018, S.332). Initiativen in die- Unterricht (BYOD). Sie fordern Coding als Pflichtfach und sind Kultur- und Museumspäda- mics, Multimedia-Ansätze, Illustrationen, Zeichentrickfilme) mann. se Richtung sind etwa die Etablierung der digitalen Kom- davon überzeugt, dass adaptive Software, die mit Hilfe von gogik, Leitungsteam ZAG/ hat das Potenzial, ein zentrales Lerninstrument für Lernende Eisner, Will (2008). Graphic storytelling and visual narrative. petenzmodelle für Schüler_innen, die Einführung der ver- Algorithmen und Big Data individuell zugeschnittenen Aufga- BE Wien sowie Plattform aller Altersgruppen und Fähigkeiten zu sein. (Abb. 2) Principles and practices from the legendary cartoonist Will bindlichen Grundbildung in der Sekundarstufe I, die Neu- ben für Lernende generieren, Schüler_innen zu Höchstleistun- „BildungKultur“ (Stadt- Eisner. New York: W.W. Norton &Company. ausrichtung des Schulnetzwerks eEducation Austria und gen führen. schulrat für Wien), dzt. Wiener Jugendkunst-Bilderbücher die Formulierung der Initiative Schule 4.0. Diese tragen zu Diese Zuspitzungen werden der Komplexität des Themas Europäisches Projektma- Insbesondere Wien wurde in der Zwischenkriegszeit des letz- maßgeblichen Änderungen in der österreichischen Schul- aber nicht gerecht und laufen Gefahr, die zentrale Frage aus nagement im Stadtschulrat ten Jahrhunderts ein progressives Zentrum der Kinderkunst- landschaft bei (BMB, 2017). dem Blick zu verlieren. Denn es geht nicht primär um die neue für Wien (Europabüro). bewegung­ und­ des­ freien­ Ausdrucks.­ Franz­ Čižek­ (1865– Technik, sondern um eine entsprechende Pädagogik. Im Mit- Foto:© Bernhard Seckl 1946) Maler, Kunstlehrer, Pionier des Kunstunterrichts grün- Disclaimer: This project has been funded with support from Im Beitrag wird die bereits im Titel ersichtliche Fragestellung telpunkt einer zeitgemäßen Lehr-und Lernkultur sollte das Be- dete den Jugendkunst-Unterricht, der weltweit, vor allem the European Commission within the Lifelong Learning Pro- diskutiert, wie sich Schule vor dem Hintergrund dieser trei- mühen stehen, dass alle Schüler_innen entsprechend ihren im englischsprachigem Ausland, große Gefolgschaft fand. gramme. This publication reflects the views only of the author, benden Kräfte verändert, und welche Konsequenzen damit individuellen Voraussetzungen erfolgreich lernen können. Das Durch den Verlag Ferdinand Hirt & Sohn wurden bildliche Auf- the Commission and the National Agency cannot be held re- einhergehen. Dazu wird zunächst der zentrale Bezugspunkt rückt die Lernenden in den Mittelpunkt der Betrachtungen tragsarbeiten, die im Rahmen der Jugendkunstklasse ausge- sponsible for any use which may be made of the information geschärft, um im Anschluss daran Neuerungen und Verän- und damit die Frage nach dem pädagogisch Sinnvollen, nicht führt worden waren, ab 1924 veröffentlicht. Es entstanden contained therein. derungen, die durch die Digitalisierung im Kontext Schule auf aber die Frage nach dem technisch Möglichen (vgl. Kober & unterschiedlichen Ebenen einhergehen, darzustellen. Nach- Zorn, 2019, S.9). D.h. der Einsatz von Technik alleine garan- dem die Rolle von Lehrpersonen in diesem Prozess diskutiert tiert noch keine Qualitätssteigerung (vgl. Baumgartner, Brand- wird, werden zwei ausgewählte Spannungsfelder beschrie- hofer, Ebner, Gardinger, & Korte, 2015, S.95). Dennoch ist es ben, die in Entscheidungsprozesse eingelagert sind und Ein- durch die Digitalisierung erstmals möglich, mit differenzierten

156 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 157 DIGITALISIERUNG VERÄNDERT DIGITALISIERUNG VERÄNDERT

Lerninhalten und Bildungszielen auf verschiedene Vorausset- Prozessorientierte Neuerungen und Änderungen als auch hinsichtlich der Förderung von computer- und infor- So stellen sich etwa bei der Benutzung von Cloud-Diensten zungen bei den Lernenden entsprechend einzugehen (vgl. Die prozessorientierten Neuerungen und Änderungen sind in mationsbezogenen Kompetenzen der Schüler_innen eine tra- datenschutzrechtliche Fragen bzw. müssen diese beachtet Maier-Rabler, 2017, S.6). einem direkten Zusammenhang mit den produktorientierten gende Rolle spielen (vgl. Lorenz, 2018, S.55). Dies bestätigen werden. Hier müssen entsprechende Sicherheitsarchitektu- Neuerungen und Änderungen zu sehen, da die entsprechende auch die Ergebnisse der qualitativ angelegten Grundschul-Be- ren mitgedacht werden. Zudem muss klar geregelt sein, wel- Neuerungen und Veränderungen auf Hard- und Software die Grundlage für diese Prozesse schafft. fragung des Motor Digitale Bildung der Bertelsmann Stiftung. che personenbezogenen Daten gesammelt werden, wo die unterschiedlichen Ebenen Die prozessorientierte Herangehensweise zielt auf die Nut- Die Ergebnisse zeigen, dass der Einsatz digitaler Medien in Daten gespeichert sind, wer Zugriff darauf hat und wie der Wie sich die schulische Bildung durch die Digitalisierung ver- zung digitaler Medien zur Entwicklung und Optimierung des der Grundschule fast ausschließlich vom Engagement einzel- Schutz dieser Daten gewährleistet werden kann. Diese Fra- ändert, ist abhängig von struktur-, ergebnis- und prozess- fachlichen Lernens sowie auf die Umsetzung neuer Formen ner Lehrer_innen und der Schulleitung abhängt. Ob und wie gen stellen sich vor allem hinsichtlich des Einsatzes von Lear- orientierten Neuerungen und deren Umsetzungen in der Pra- des Unterrichtens mit digitalen Medien ab. Im Zentrum steht Grundschulkinder mit digitalen Medien lernen, wird durch die ning Analytics und mit der Entwicklung und dem Einsatz ad- xis (vgl. Reinmann-Rothmeier, 2003). Was die im Folgenden dabei das „use to learn“ bzw. das „use to teach“. persönlichen Interessen, Überzeugungen und Kompetenzen aptiver Lernprogramme (vgl. Brandhofer et al., 2018, S.340). dargestellten Ebenen verbindet, so Brandhofer et al. (2019, Zu den wesentlichen Linien dieses Diskurses zählen auf ihrer Lehrpersonen bestimmt (vgl. Thom, Behrens, Schmid, Zudem gilt es, darüber nachzudenken, für welche Zwecke die S.332), ist, dass die Forderung des nachhaltigen Erwerbs von der Ebene des „use to learn“ der Lernerfolg, wodurch mittels & Goertz, 2017, S.7). gesammelten Daten verwendet werden, ob hier beispielswei- digitalen Kompetenzen im Mittelpunkt steht. des Einsatzes digitaler Technologien qualitativ hochwertige Hinsichtlich der Einschätzung der Kompetenzen von Lehr- se, wie bei adaptiven Lernprogrammen, die individuelle Leis- Lernaktivitäten unterstützt werden können. Auch die Erwei- personen im Umgang mit digitalen Medien und Technologien tungsförderung im Vordergrund steht oder ob Algorithmen Strukturorientierte Neuerungen und Änderungen terung der unterrichtlichen Methodenvielfalt durch digitale zeigen die Ergebnisse eines Selbsteinschätzungstests, den zur Findung von Entscheidungen im Einsatz sind (vgl. Vieht & Hierbei steht generell die Frage im Zentrum, ob digitale Me- Medien ist hier zu erwähnen, um unterschiedlichen Lernvor- mehr als 6.000 österreichische Lehrpersonen beantwortet Wagner 2017). Grundsätzlich ist anzumerken, dass Algorith- Mag. Dr. Andrea Mayr, dien besser als eigener Gegenstand in den Fächerkanon auf- aussetzungen und Interessen von Schüler_innen im Hinblick haben, dass die Anwendungskenntnisse und technischen men Systeme sind, die von Menschen programmiert werden Studium der Erziehungs- genommen werden sollen, oder ob es sich dabei um ein über- auf Differenzierung, Individualisierung und Personalisierung zu Kenntnisse von Lehrpersonen höher eingeschätzt werden als (vgl. Vieht & Wagner, 2017, S.11). Diese sind nicht grundsätz- und Bildungswissenschaft fachliches Unterrichtsprinzip handeln soll. Die Meinungen entsprechen. Auch die Förderung von Inklusion und Barriere- die pädagogischen Kenntnisse im Umgang damit (vgl. Brand- lich ‚böse‘, sondern reproduzieren die subjektiven Einstellun- an der Karl-Franzens-Uni- gehen hier sowohl bei Lehrenden als auch bei Forschenden freiheit durch die Einbindung von assistierenden Technologien hofer, 2015, S.196). Hier liegt der Schluss nahe, dass es eher gen jener, die sie programmieren (vgl. Beranek, 2018, S.158). versität Graz, Professorin auseinander. gilt es hier zu erwähnen. Zudem werden neue Kooperations- an einem Mangel an entsprechenden Konzepten für didak- Hier gilt es, die Vor- und die Nachteile bewusst in den Blick an der KPH Graz, Leitung In Österreich wird diese Diskussion ausschließlich für die formen im Unterricht ermöglicht (siehe Cloud-Dienste) und via tische Szenarien liegt, so dass digitale bzw. digital interak- zu nehmen und Fragen der Medienethik entsprechend zu dis- des Schwerpunktes Sozi- Sekundarstufe I geführt, da bezügl. der Primarstufe Einigkeit Computural Thinking individuelle problemlösende Handlungs- tive Medien nur selten im Unterricht eingesetzt werden (vgl. kutieren. alpädagogik, Forschungs- herrscht, dass das Thema integrativ verhandelt werden sollte und Entscheidungskompetenzen eingeübt. Auf der Ebene des Brandhofer et al., 2019, S.338). Damit wird deutlich, dass ge- schwerpunkte: Digitali- und in der Sekundarstufe II Informatik an den allgemeinbilden- „use to teach“ sind vor allem Learning Analytics zu nennen, zielte Maßnahmen der Aus- und Weiterbildung notwendig Zwischen der Bearbeitung/Anerkennung sozialer Differenzen sierung in der Sozialen den höheren Schulen Teil des Fächerkanons ist (vgl. Brand- also die Messung, Erfassung, Auswertung und Übermittlung sind, in denen nicht nur die alltägliche Nutzung der Geräte und der Reproduktion von Normativität Arbeit und in der Schule, hofer et al., 2018, S.332–334). von Daten über Lernende und deren Zusammenhänge, um vermittelt wird, sondern vor allem auch auf pädagogisch-di- Unter einer bildungs- und gesellschaftstheoretischen Pers- Förderung sozialer und das Lernen und dessen Einbettung besser zu verstehen und daktische Potenziale Wert gelegt wird. (vgl. Baumgartner et pektive stellt sich die Frage der Teilhabemöglichkeiten im vir- emotionaler Kompetenzen, Produktorientierte Neuerungen und Änderungen zu optimieren. Adaptive Lernprogramme bauen auf den Lear- al, 2016, S.99). tuellen Raum. Dem Internet wird aus einer pädagogischen partizipative Forschungs- Die produktorientierte Herangehensweise zielt auf die Ver- ning Analytics auf. Es handelt sich dabei um Datenbanksys- Darüber hinaus stellen sich hier Fragen des Datenschutzes Perspektive besondere Relevanz für die Ermöglichung von methoden. mittlung von Fertigkeiten im Umgang mit digitalen Medien teme, die den Lernfortschritt von Lernenden dokumentieren, und der Teilhabemöglichkeiten für unterschiedliche Schüler_ Bildungsteilhabe zugeschrieben, da hier Verfügungswissen (Hard- und Software) ab. Hier steht das „learn to use“ im und auf der Grundlage dieser Daten die nächsten Lerneinhei- innengruppen. Diese werden in weiterer Folge anhand zweier generiert, Orientierungswissen aufgebaut und Reflexion so- Zentrum. Diese Thematik ist insofern von Relevanz, als sich ten planen. Hier stellen sich allerdings noch viele Fragen zu ausgewählter Spannungsfelder diskutiert. wie (Selbst-)Artikulation ermöglicht werden kann (Marotzki, die Hoffnung, dass Schüler_innen die Kompetenzen auf Pro- Datenschutz und Medienethik, die erst ausführlich diskutiert 2003, S.4). Hinsichtlich der Nutzung digitaler Technologien dukt- und Anwendungsebene durch ihr Aufwachsen in und werden müssen (vgl. Brandhofer et al., 2018, S.337–340) Spannungsfelder hält Alexandra Klein (2010, S.165) fest, dass die Themati- mit einer digitalisierten Welt bereits mitbringen, bisher weder Studien zeigen, dass Ergebnisse zur Wirksamkeit digitaler Wie bereits erwähnt werden die im Anschluss dargestellten sierung von Partizipation und Internet auf eine doppelte Per- über Erfahrungen in Schulen noch in empirischen Studien be- Medien im Unterricht sehr heterogen sind. Um mit dem Ein- Spannungsfelder wirksam, wenn digitale Medien im Unter- spektive verweist: Zum einen bezieht sich die Frage nach stätigt hat (vgl. Brandhofer et al., 2018, S.334). satz von digitalen Medien und Technologien im Unterricht op- richt eingesetzt werden. Wie mit diesen Spannungsfeldern Partizipation auf die prinzipiellen und realisierbaren Möglich- Zu den produktorientierten Neuerungen und Änderungen timale Effekte zu erzielen, sind differenzierte Entscheidungen umgegangen wird, ist in direktem Zusammenhang mit der keiten des Zugangs zu internetbasierten Angeboten und zum zählen beispielsweise Notebook- und Tablet-Klassen, in de- hinsichtlich der Art der digitalen Medien und Technologien, Medienkompetenz der Lehrkräfte und der Schulleitung zu se- anderen auf die Bedingungen der Möglichkeiten, sich solche nen auf mobiles Lernen fokussiert wird, auf das digitale Schul- deren didaktischer Einbindung, des Spezifikums der Lerninhal- hen. Angebote anzueignen und zu gestalten. Ergebnisse des 15. buch, das Interaktionen auf unterschiedlichen Ebenen ermög- te und der Lernendenzielgruppen zu treffen (McElvany 2018, Kinder- und Jugendberichts (BMFSFJ, 2017, S.365) verdeut- licht, die Erstellung von authentischen, flexiblen und mobilen S.101). Diese Entscheidungen müssen von Lehrkräften ge- Zwischen Fragen des Datenschutzes und der datengestützten lichen, dass sich hier sowohl Unterschiede in den Zugängen Lernkontexten im Sinne einer Augmented Reality, die Erstel- troffen werden, womit ihnen eine bedeutende Rolle zukommt. Kontrolle für Gruppen Jugendlicher zum Internet zeigen als auch hin- lung von E-Portfolios oder Mind- und Concept-Maps oder die Mit Blick auf die produkt- und prozessorientierten Änderungen sichtlich der Nutzung soziale Ungleichheiten reproduziert Benutzung von Cloud-Diensten für vernetztes Arbeiten. Aber Die Rolle der Lehrkräfte und Neuerungen kann festgehalten werden, dass die Poten- werden (Digital divide). Diese Unterschiede verlaufen nicht auch Game-Based Learning und Gamification oder Educatio- Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass die Einstel- ziale, die damit einhergehen, immer in Relation zu Aspekten nach individuellen Präferenzen oder dem persönlichen Enga- nal Robotics zählen zu den produktorientierten Neuerungen lungen von Lehrpersonen sowohl hinsichtlich des Einsatzes der Datensicherheit und der Selbstbestimmung zu sehen sind gement und stellen keine zufälligen Ergebnisse dar, sondern (vgl. Brandhofer et al., 2018, S.334–337). und der Nutzungshäufigkeit digitaler Medien im Unterricht (vgl. Beranek, Hammerschmidt, Hill, & Sagebiel 2018, S.17). entfalten sich in Abhängigkeit vom Wohnort, dem sozialen

158 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 159 DIGITALISIERUNG VERÄNDERT DIGITALISIERUNG VERÄNDERT

Status, der ethnischen und nationalen Zugehörigkeit und in sämtliche Entscheidungsprozesse miteinzubinden, da die Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Ju- Maier-Rabler, U. (2017). Digitalisierung und Bildung. In. oe- dem Geschlecht, aber auch technik- und umweltbedingten digitale Bildung in einem direkten Zusammenhang zu den gend (BMFSFJ) (2017). 15. Kinder- und Jugendbe- ad’news, S.6–7. Hürden. Vor allem junge Menschen mit Behinderung, Ju- Aktivitäten von Lehrpersonen und der Schulleitung steht und richt. Bericht über die Lebenssituation junger Men- Marotzki, W. (2003). Medienbildung und digitale Kultur. Mag- gendliche mit Fluchterfahrung und in prekären Lebenslagen deren Motivation dabei entscheidend ist. schen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhil- deburger Wissenschaftsjournal 1-2/2003, S.3–8. sind von der Gefahr der digitalen Exklusion betroffen. Zu- fe in Deutschland. Drucksache 18/11050. Abgerufen McElvany, N. (2018). Digitale Medien in den Schulen: Pers- dem stellen Medienkompetenzen eine wichtige Vorausset- Literatur von https://www.bmfsfj.de/blob/115438/d7ed644e1b- pektiven der Bildungsforschung. In: McElvany N., Schwa- zung dar, um die Anforderungen der digitalen Welt bewäl- Angenent, H., Heidkamp, B. & Kergel, D. (2019). Einleitung. In 7fac4f9266191459903c62/15-kinder-und-jugendbe- be, F., Bos, W., Holtappels, H.-G. (Hrsg.). Digitalisierung in tigen und um sich souverän darin erleben zu können. Diese H. Angenent, B. Heidkamp & D. Kergel (Hrsg.), Digital Di- richt-bundestagsdrucksache-data.pdf der schulischen Bildung. Chancen und Herausforderungen umfasst nach Dieter Baacke (2007), der das Konzept in den versity. Bildung und Lernen im Kontext gesellschaftlicher Klein, A. (2010). Bin ich schon drin oder was? Partizipation im (S.99–105). Münster: Waxmann. 1980er-Jahren begründet hat, ein kritisches, (selbst)reflexi- Transformation (S.9–15). Wiesbaden: Springer VS. Internet. In: Cleppien, G., Lerche, U. (Hrsg.), Soziale Arbeit Müller-Eiselt, R., Behrens, J. (2018). Lernen im digitalen Zeit- ves, sozial-verantwortliches und kreativ-gestaltendes Medi- Baacke, D. (2007). Medienpädagogik. Tübingen: Niemeyer. und Medien (S.165–176). Wiesbaden: VS Verlag für So- alter. Erkenntnisse aus dem Monitor Digitale Bildung. In: enhandeln. Diese Medienkompetenzen sind für Baacke eine Baumgartner, P., Brandhofer, G., Ebner, M., Gradinger, P., & zialwissenschaften. N. McElvany, N., Schwabe, F., Bos W., Holtappels, H.-G. notwendige Voraussetzung dafür, um sich selbstbestimmt in Korte, M. (2016). Medienkompetenz fördern – Lehren Kober, U. & Zorn, D. (2019). Die Herausforderung der Digita- (Hrsg.). Digitalisierung in der schulischen Bildung. Chan- die Kultur und Gesellschaft einzubringen und sie weiterent- und Lernen im digitalen Zeitalter. In M. Bruneforth, F. Eder, lisierung. Pädagogik vor Technik. In: Bertelfmann Stiftung cen und Herausforderungen (S.107–112). Münster: Wax- wickeln zu können (Tillmann, 2017, S.9). K.,Krainer, C., Schreiner, A., Seel, Spiel, Ch. (Hrsg.), Natio- (Hrsg.). Individuell fördern mit digitalen Medien. Chancen, mann. naler Bildungsbericht Österreich 2015. Fokussierte Analy- Risiken, Erfolgsfaktoren (S.8–11). 3. Auflage. Gütersloh: Thom, S., Behrens, J., Schmid, U, Goertz, L. (2017). Monitor Conclusio sen bildungspolitischer Schwerpunktthemen (S.95–132). Verlag Bertelsmann Stiftung. Digitale Bildung Digitales Lernen an Grundschulen. Güters- Wie zunehmend deutlich wird, handelt es sich beim Thema Band 2. Graz: Leykam. DOI: http://dx.doi.org/10.17888/ Lorenz, R. (2018). Ressourcen, Einstellungen und Lehrkraftbil- loh: Bertelsmann Stiftung. Digitalisierung um einen der bedeutendsten gesellschaft- nbb2015–2 dung im Bereich Digitalisierung. In: McElvany, N., Schwa- Vieth, Kilian & Wagner, Ben (2017). Teilhabe, ausgerechnet. lichen Meta-Trends, der sämtliche Bereiche unserer Gesell- Beranek, A. (2018). Zwischen Algorithmen und Wertedis- be, F., Bos, W.,Holtappels, H.-G. (Hrsg.). Digitalisierung in Wie algorithmische Prozess Teilhabechancen beeinflus- schaft umfasst. Es handelt sich hierbei nicht nur um ein tech- kurs. Auswirkungen der Digitalisierung auf die Profession der schulischen Bildung. Chancen und Herausforderungen sen können. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung. https://doi. nisches, sondern um ein zutiefst soziokulturelles Phänomen der Sozialen Arbeit. In: Big Data, Facebook, Twitter & Co (S.53–67). Münster: Waxmann. org/10.11586/2017027 (vgl. Maier-Rabler, 2017, S.6). D.h., dass die Frage, wie alle und Soziale Arbeit (S.155–177). Weinheim Basel: Beltz Schüler_innen entsprechend der individuellen Voraussetzun- Juventa. gen erfolgreich lernen können, nicht nur medienpädagogische Beranek, A., Hammerschmidt, P., Hill, B., Sagebiel, J. B. Antworten erfordert, sondern vor allem auch sozial- und bil- (2018). Einführung: Big Data, Facebook, Twitter & Co. Sozi- dungspolitische (vgl. Seelmeyer, 2018, S.6). ale Arbeit und digitale Transformation. In: Hammerschmidt Grundlegend sind also einerseits entsprechende medien- P., Sagebiel J. B., Hill B., Beranek, A., (Hrsg.). Big Data, bezogene Konzepte, welche von der adäquaten technischen Facebook, Twitter & Co und Soziale Arbeit (S.9–28). Wein- Ausstattung bis zur Ausbildung von Medienkompetenz rei- heim Basel: Beltz Juventa. chen. Hierzu zählen ebenfalls der Auf- und Ausbau von Wis- Bertelfmann Stiftung (Hrsg.) (2019). Individuell fördern mit di- sen und Kenntnissen zum Thema Medien-Didaktik und der gitalen Medien. Chancen, Risiken, Erfolgsfaktoren. 3. Auf- Medien-Gestaltung. Andererseits ist die Reflexion fachlicher lage. Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung. Logiken und Standards zentral. Hier stehen Fragen zu den Brandhofer, G. (2015). Die Kompetenzen der Lehrenden an Teilhabevoraussetzungen von Schüler_innen sowie Fragen Schulen im Umgang mit digitalen Medien und die Wech- des Datenschutzes und des verantwortungsvollen Umgangs selwirkungen zwischen Lehrtheorien und Mediendidakti- mit Daten, die zur Verfügung stehen, im Mittelpunkt. Aber schem Handeln. Technische Universität Dresden: Disser- auch die Reflexion der Implikationen digitaler Medien- und tation. Technologienutzung im ‚Umgang‘ und in der ‚Bearbeitung‘ Brandhofer, G., Baumgartner, P., Ebner, M., Köberer, N., von Differenz- und Zugehörigkeitskategorien sind hier von Trültzsch-Wijen, Ch., Wieser, Ch. (2019). Bildung im Zeit- wesentlicher Bedeutung (vgl. Angenent, Heidkamp, & Ker- alter der Digitalisierung. In: Breit, S., Eder, F., K. Krainer, gel 2019, S.10). Mit Blick auf die dargestellten Spannungs- Schreiner, C., Seel, A., Spiel Ch., (Hrsg.). Nationaler Bil- felder kann festgehalten werden, dass sich Vor- und Nach- dungsbericht Österreich 2018. Fokussierte Analysen und teile hinsichtlich der Nutzung und des Einsatzes digitaler Zukunftsperspektiven für das Bildungswesen (S.307– Technologien und Devices gegenüberstehen. Hier gilt es, 362). Graz: Leykam. DOI: http://doi.org/10.17888/ Gestaltungs- und Denkräume bewusst zu nutzen und digi- nbb2018-2 tale Transformation strategisch und transparent zu steuern. Bundesministerium für Bildung (BMB) (2017). Schule 4.0. – Es ist wesentlich, Technologieentwicklungsprozesse als Teil jetzt wird’s digital. Abgerufen von https://bildung.bmbwf. von Schulentwicklungsprozessen zu begreifen und Lehrende gv.at/schulen/schule40/index.html

160 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 161 IMPRESSIONEN EINES GELUNGENEN DIALOGS IMPRESSIONEN EINES GELUNGENEN DIALOGS

Abb. 26 Marc Fritzsche, Uni Koblenz-Landau, Kri- tikfähigkeit und Digitalität in der Kunstpädagogik

Abb. 28 Martin Bauer im Gespräch mit den AusstellerInnen von AustroTec an der PHSt

Abb. 27 Rolf Laven und Wilfried Swoboda (Projekt Soundwords)

Abb. 29 Veronika Persché und ihre Strickperfor- Abb. 30 Martin Bauer gibt mance an der PHSt wichtige Informationen zur Digitalisierung

Abb. 33 Alois Bachinger begeistert seine Zuhöre- rInnen

162 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 163 DIGITALES STICKEN DIGITALES STICKEN

Andrea Mayr-Stalder, Sabine Schwarz achten: Die Länge der einzelnen Stiche (Richtwerte: 0,5– Abb. 1 Cynthia Solomon, 5mm), die Anzahl der überlagerten Stiche (Richtwerte: <10) Mitentwicklerin der ersten und die Größe des Designs (abhängig von der Rahmengröße Programmiersprache für Digitales Sticken in der der Stickmaschine, oftmals: 18x13cm). Kinder in einem Maker- globalen Community und Space in Boston/USA, Grundlagen von TurtleStitch Twitter-Post (Twitter_zack- im lokalen Klassenzimmer Stitchpad, das Zeichentool, ist ganz klar das schneller zu er- boston.jpg) Die Kraft des künstlerisch untersuchenden fassende Programm und lässt somit einen rascheren ersten Produktionsdurchlauf bis hin zu einem ersten Stickergeb- Zugangs in der Projektentwicklung und am nis zu. Das kann sowohl für Lehrende in der Einarbeitung Mag.a Andrea Mayr- Beispiel von TurtleStitch als auch für Schüler*innen ein motivierender Einstieg sein. Stalder, Studium für TurtleStitch ist, ähnlich wie das Programmier-Einstiegs Tool Visuelle Mediengestaltung/ „Scratch” des Massachusetts Institute of Technology (MIT), Angewandte Wien, künst- eine graphische Programmierumgebung, die durch aneinan- Neben der Möglichkeit zur Programmierung der Stickmuster lerische Ausstellungen und Nur am Rande wird in diesem Beitrag Software erklärt. Wich- den und wurden erst zu einem Zeitpunkt auf eine größere Ziel- der gefügte Blöcke, logische Anweisungen an einen kleinen direkt aus dem Internet Browser (Open Source und kostenfrei) Gruppenarbeiten, Mitarbei- tig schien uns, die Dynamiken und Methoden um den Entste- gruppe hin ausgelegt, als erkennbar war, dass auch andere die- Avatar, eine Schildkröte, weitergibt. Die Schildkröte – unsere erlaubt die Plattform auch die Einsicht in Projekte von anderen re- terin bei Internet Service hungsprozess der digitalen Stickprogramme TurtleStitch und se Werkzeuge schätzen würden. Man will sich eine Welt ohne „Turtle”, in deren Perspektive sich der User versetzt – be- gistrierten Benutzer*innen. Dieses Angebot ermöglicht nicht nur Providers in Wien und New Stitchpad anzusprechen. Der Bogen spannt sich weiter zur Er- kritischen, manchmal auch künstlerisch radikalen, dekonstruie- wegt sich dann aus ihrer individuellen Perspektive heraus, den Einblick in andere Lösungsansätze, sondern lädt auch zum York, 2001–2012 Projekt- klärung einiger Gestaltungsgrundlagen und der starken Com- renden und neu adaptierenden Ansatz nicht vorstellen. z.B. um einen Stich nach vor, indem man den Befehl „gehe Ausprobieren und Erforschen durch Veränderung und Remix ein. leitung JUX Linux Live-CD munity-Bildung in diesem Projekt, die Werkstücke in Fablabs, Die digitale Grundbildung hat hier noch sehr viel zu leisten. 10 Schritte” auswählt. Um fünf Stiche zu erlangen und dann für Kinder und Jugendliche Makerspaces und Klassenzimmern hervorsprudeln lassen. Viele Ansätze aus dem Werken können hier einen wertvollen eine Drehung im rechten Winkel, kann man den Befehl „gehe Die Community als Mitentwickler für den Wiener Bildungs- Input liefern und werden das in den nächsten Jahrzehnten 10 Schritte” fünfmal wiederholen und dann einen Befehl und Impulsgeber server, seit 2015 Initiatorin Als wir 2008 mit der Entwicklung des digitalen Stickprojektes sicher noch tun. Das digitale Machen steckt erst in den Kin- „drehe 90 Grad” anhängen. Diese Art der Bewegung nennt Die Plattform TurtleStitch ist eine offene Bildungs-Resource des internationalen begonnen haben, stand der künstlerisch erforschende Ansatz derschuhen. Wie wichtig Kreativfächer in der Ausbildung sind sich Turtle Geometrie, wobei in TurtleStitch auch Bewegun- (OER Award 2017) und ein Community Projekt. Seit ihrer ers- Projekts und der Plattform im Vordergrund. Für die Modenschau einer jungen Designerin und welch ein Gewinn die etablierten didaktischen Methoden gen nach dem Kartesischen Koordinatensystem (X/Y) ange- ten Veröffentlichung 2015 ist die Anzahl der Benutzer*innen TurtleStitch.org, das 2017 konnte eine finanzielle Unterstützung zur Anschaffung einer aus diesen Bereichen insbesondere im interdisziplinären Ein- geben werden können. stetig gestiegen. Vielleicht, weil keine Registrierung zur Be- mit dem Open Educational Stickmaschine erreicht werden. Digitale Stickmaschinen wa- satz sind, wird hoffentlich nicht zu spät bemerkt werden. nutzung notwendig ist, kommen täglich neue Benutzer*innen Resources Award für den ren auch damals schon lange am Markt, aber nur als Nischen- Generiertes Gestalten, Remixen und dessen hinzu. Die ursprüngliche Entscheidung, das Projekt in Eng- Mag.a Sabine Schwarz deutschsprachigen Raum anwendung mit einem sehr begrenzten Gestaltungsraum für Richtungsentscheid am Anfang Übersetzung ins Materielle lisch anzulegen und zu dokumentieren, war gut, denn allein BEd. ausgezeichnet wurde, den persönlichen Bedarf. Als Medienkünstler*innen hat uns Unser Entwicklungsprozess hat mit dem Dekonstruieren und Bereits in einfachen Bewegungsanweisungen an die Turtle in Österreich wäre eine relevante Community-Dynamik nicht Studium Textiles Gestalten Codeweek.eu Ambassador die Umsetzung (das Konzept) des computerisierten Textilde- Neu-Zusammensetzen des Maschinenstick-Ablaufes gestar- können Zufallszahlen eingebunden werden. Das ermöglicht so rasch zu erreichen gewesen. Über die Plattform Twitter und Werken, Mozarteum für Österreich. signs interessiert und wir haben begonnen, unsere eigenen tet. Es waren Gestaltungswerkzeuge neu zu überlegen, so- eine niederschwellige Auseinandersetzung mit dem Thema werden täglich Fotos aus verschiedenen Workshop-Szenarien Salzburg; Anglistik und https://twitter.com/ Zugänge zum Ausgabegerät Stickmaschine zu entwickeln. wie die Regeln ihrer Anwendung. Auch unsere Nutzer*innen der generativen Gestaltung. Jedes Mal, wenn die eingege- oder Maker-Spaces aus aller Welt geteilt. Cynthia Solomon, Amerikanistik, Universität turtlestitch?lang=de In technischer Hinsicht bedeutete das, vorhandene Praktiken stehen an diesem Punkt, wenn sie mit einem Design begin- bene Programmierung ausgeführt wird, entsteht ein neues hat in den 1970er Jahren am MIT gemeinsam mit Seymour Salzburg; Lehrerin an AHS und Arbeitsmethoden zu verstehen. Schwieriger aber war, ei- nen, allerdings mit dem Unterschied, dass in der Zwischenzeit Design. Dieser Ansatz bietet viel Raum für die Vertiefung die- Papert und Wally Feurzeig am MIT geforscht und gilt als Pio- und BHS, Institut für Sozi- gene digitale Prozeduren und Werkzeuge (Software) zu ent- die Werkzeuge verfügbar sind. Im Folgenden eine kurze Erklä- ses Themas auf inhaltlicher Ebene (z.B. das Zusammenwir- nierin in der Entwicklung von informatischen Vermittlungskon- alpädagogik, Pädagogische wickeln, die uns zuerst das digitale Gestalten und im Wei- rung: Am Beginn jedes Designs steht der einzelne Stichpunkt. ken des/der ProgrammiererIn oder des/der KünstlerIn mit dem zepten für Kinder. Sie ist aktive TurtleStitch-Benutzerin und Akademie der Diözese teren die Ausarbeitung ins Physische auf der Stickmaschine Das unterscheidet sich nicht von der händischen Umsetzung. ausführenden Computer). mit vielen Ideen und Enthusiasmus an der Weiterentwicklung Innsbruck, seit 2007 KPH ermöglichten. Eine gewisse Distanz entfernt folgt ein weiterer Stichpunkt, Ein weiteres interessantes Spannungsfeld ergibt sich auch von TurtleStitch beteiligt. (Abb. 1) Edith Stein: Hochschulleh- Seitdem ist viel Zeit vergangen. Insbesondere unser unter der den Fadenverlauf bereits zur Linie verwandelt. In der Art, durch den Bezug des digitalen Designs mit der physischen rende für Textiles Werken, dem Namen TurtleStitch.org bekanntes Projekt wird, geogra- wie diese ersten beiden Stichpunkte definiert werden, liegt Ausarbeitung an der Maschine. Selbstverständlich ist nicht Der Einsatz in der Schule: seit Herbst 2019 im Ent- phisch weit verbreitet, als eigenständiger und wertvoller Zu- der Unterschied unserer beiden aktuell angebotenen frei ver- alles, was am Computer generiert werden kann, auch phy- Von digital bis nachhaltig wicklungsverbund West/ gang in der Programmiervermittlung angesehen. Der Grund, wendbaren Programme Stitchpad und TurtleStitch. Während sisch umsetzbar. Hier haben wir Prüfmechanismen eingesetzt Die beiden Computerprogramme TurtleStitch und Stitchpad Sekundarstufe: Werken die Entstehungsgeschichte von TurtleStitch hier an den Beginn in Stitchpad direkt mit der Maus oder einem Grafik-Tablett ge- (Warnung bei oftmaligen Stichüberschneidungen oder auch ermöglichen nicht nur unendliche Gestaltungsmöglichkeiten (Textiler Bereich). unseres Beitrages zu stellen, ist der Wunsch, darzulegen, wie zeichnet werden kann und das gestaltend entschieden wird, eine X-Ray Funktion zur Inspektion der Dichten), aber die Ab- auf Stoffen, sondern durch die automatisierte und dadurch wichtig ein künstlerisch erforschender Zugang in der Entwick- wird in TurtleStitch der Stichverlauf den Anweisungen der schätzung des Zusammenwirkens des Computer-aided De- schnellere praktische Umsetzung der Stickerei ergeben sich lung von Werkzeugen oder Geräten ist, die in unserer gegen- Logik folgend angegeben. signs mit der materiellen Ausarbeitung ist ein wichtiger Lern- auch neue Möglichkeiten im Werkunterricht. wärtigen Welt oftmals auch in digitaler Form auftreten. Unsere Beide Techniken unterliegen den gleichen Bedingungen in aspekt im Umgang mit der Gestaltung am Computer und so- Im Lehrplan werden die drei Kompetenzbereiche: Entwi- Stickprojekte sind aus der künstlerischen Praxis heraus entstan- der Fertigung durch die Maschine. Drei Aspekte sind zu be- mit auch ein zentrales Vermittlungsziel. ckeln, Herstellen und Reflektieren in den Mittelpunkt gestellt.

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Reflektieren. Durch die praktische Erfahrung mit der Ent- wicklung und der (handlungsorientierten) Umsetzung von Ideen können Bezüge zu wirtschaftlichen Abläufen hergestellt und sichtbar gemacht werden. Schüler*innen bekommen Ein- blicke in Produktionsabläufe, von der Programmierung bis zum fertigen Produkt. Auch in Bezug auf Nachhaltigkeit kann die- se Art des digitalen Medieneinsatzes einen wertvollen Bei- Abb. 4 Bestickte Spielflä- trag leisten. „Nutze was du hast (hier: besticke was du hast), che als Beutelaufbewah- mach´ selber, leihe aus“. (Smarticular, 32) rung für Spielsteine Wie bereits oben beschrieben, kann jede Art von Texti- Abb. 2 Programmierte lien gestaltet werden – nach dem Motto nutze, was du hast Spielflächen mit Turtle- und spare Ressourcen. Das Medienzentrum Tirol hat als Stitch, Kinderzeichnung Best-Practice-Beispiel zwei gut transportable Stickmaschinen mit Stitchpad ditgital angekauft, die für die Ausleihe an Schulen für jeweils einen umgesetzt Monat zur Verfügung stehen. Ausleihen und teilen, denn nicht jede Bildungseinrichtung braucht selbst eine Stickmaschine, die dann nur eine kurze Zeit des Jahres in Verwendung ist. Durch bestickte Alltagstextilien kann ein Beitrag geleistet werden, um andere zu inspirieren, ebenfalls nachhaltiger zu agieren, oder neugierig zu machen – auch nach dem Motto Abb. 5 Unterschiedliche selber machen statt kaufen. Durch die global genutzte Platt- Schnitte für die praktische form ist es auch jederzeit möglich, sich TurteStitch Projekte Umsetzung als Trans- auf der ganzen Welt anzusehen (https://twitter.com/turtles- porttextilien: Täschchen Der Entwurf für die textile Produktgestaltung erfolgt titch/). mit Lasche, Japanische durch Aufgabenstellungen, die verschiedene Schnittlösun- Knotentasche, einfacher Abb. 3 Praktische Umset- gen für die Bereiche Körper, Hülle und Raum umfassen. Als Die beiden OpenSource Programme: Beutel, Bento Bag, zung mit Stitchpad bei der Beispiele einer Werkaufgabe können einfache Schnittfor- www.turtlestitch.org Tetraeder Täschchen mit Tagung in Graz men/Schnittmuster für Transportbehälter entwickelt wer- www.stitchpad.io Reißverschluss den. (Abb. 4–5) Community auf Twitter: https://twitter.com/turtlestitch/ Herstellen. Die Weiterverarbeitungsmöglichkeiten der Referenenzen: maschinenbestickten Stoffe sind vielfältig. Bilder, Behälter, https://de.wikipedia.org/wiki/Cynthia_Solomon Transporttextilien, Kleidung und jede Menge von Accessoires https://open-educational-resources.de/veranstaltungen/17/ können entstehen. Somit wird das theoretische Programmie- award/oer-award-2017-laudatio-bildungsbereich-gre- ren zu einem auch haptisch-praktisch erfahrbaren Objekt mit at-wide-open/ ENTWICKELN. Durch die Verwendung der beiden Pro- Mehrwert ausgeführt. https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Bundesnormen/ gramme können Lehrer*innen Lernprozesse so initiieren, dass Die Möglichkeit, auch arbeitsteilig Kleinserien herzustel- NOR40207228/NOR40207228.pdf Seite 91ff (15.01.2020) komplexe Aufgabenstellungen auch praktisch umgesetzt wer- len, bietet weitere Erfahrungsräume für Schüler*innen. Logos https://scratch.mit.edu/ den. Bereits bei der Programmierung entwickeln Schüler*in- können entworfen und dann in einer größeren Stückzahl für https://www.tirol.gv.at/fileadmin/themen/bildung/medien- nen Muster oder setzen zeichnerische Ideen um. Es können die ganze Klasse oder Schule von der Stickmaschine prak- zentrum/downloads/12_Ueber_Uns/2019_01.pdf Was Endlosschleifen (mit Zufallsgenerator) genauso wie abge- tisch umgesetzt werden. Hierzu eignen sich auch Halbfertig- hat Sticken mit einem Stick zu tun? S.8–9 (15.01.2020). schlossene Muster oder einfache Spielfeldprogrammierungen produkte wie Taschen, T-Shirts, Polsterbezüge, …, die man https://www.youtube.com/watch?v=9nwvXu-1Wqk Abb. 6 Gekaufte Baumwoll- entstehen. Kinderzeichnungen können durch Sticken umge- ohne weitere Bearbeitung direkt nach dem Besticken verwen- (9.2.2019) taschen für ein Schulpro- setzt und sogar Fotos als Grundlage der Stickgestaltung ver- den kann. (Abb. 6) Pohl Sigrid (2017). Sticken im Internetzeitalter. In: BÖKWE jekt bestickt. Dabei wurde wendet werden. (Abb. 2–3) Eine weitere Möglichkeit besteht im Besticken von Klei- 1_2017. S.156 ff das entworfene Muster 3x Individuelles Arbeiten mit den bestickten Flächen ist auf dung, die bereits in Verwendung ist oder war. So können zum Smarticular Hrsg. (2019). Plastik Sparbuch. Mehr als 300 am oberen Rand gruppiert. unterschiedliche Art und Weise möglich. Die Textilien können Beispiel T-Shirts individualisiert und verändert oder alte Jeans nachhaltige Alternativen und Ideen, mit denen wir der nach dem Besticken mit der Stickmaschine weiter gestaltet, durch völlige Umgestaltung in neue Produkte verwandelt wer- Plastikflut entkommen. Berlin: Smarticular. bearbeitet und verändert werden, zum Beispiel durch weite- den. Hier findet auch der UPCYCLING-Gedanke eine nachhal- Foto Abb.1: © Susan Klimczak res Besticken mit der Hand, Bedrucken, Applikationen, … tige Umsetzung. Fotos: Abb. 2–6: Sabine Schwarz

166 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 167 TECHNISCHES PROBLEMLÖSEN TECHNISCHES PROBLEMLÖSEN

Harald Meyer Recherche, Planungs- und Darstellungsprozessen erfolgen. Technische und Textile Gestaltung Ein notwendiger digitaler Kompetenzerwerb findet aber auch und Computational Thinking bei der digitalen Visualisierung von Entwürfen oder bei der Der Begriff Computational Thinking (Informatisches Denken) Denken lernen (und) Probleme lösen Dokumentation und Präsentation von Arbeitsprozessen und wurde unter anderem sehr stark von Jeannette M. Wing als der Herstellung von Produkten seine Verwendung. Durch den grundlegende Fähigkeit des 21. Jahrhunderts propagiert. Ne- Einsatz digital ansteuerbarer Maschinen können im Sinne des ben dem Lesen, Schreiben und Rechnen müssen Jugendliche Kompetenzerwerbes, etwa das Weiterverarbeiten von Ent- in Zukunft auch die Problemlösekompetenz für ihren Lebens- würfen oder die digitale Musterbildung, genannt werden. alltag beherrschen.11 Wing definiert Computational Thinking jetzt wird’s digital ein umfassendes Konzept vor. Schülerinnen Somit begegnen die Schülerinnen und Schüler im Laufe ihrer als Kombination der Funktion des Computers mit der Intelli- und Schüler erwerben Kompetenzen unter anderem in der Schulzeit zeitgemäßen und alltagsrelevanten digitalen Tech- genz des Menschen zur Lösung von Problemen. Es geht we- Technischen Problemlösung und dem Computational Thinking. nologien wie dem 3D-Druck, Laser Cut, Stickmaschinen oder niger um die Informatik im herkömmlichen Sinn, als vielmehr In diesen Teilbereichen der sogenannten Digitalen Grundbil- der Robotik in verschiedenen Anwendungsformen.7 um das Entwickeln einer Problemlösekompetenz. Bevor mit dung geht es um das Entwickeln einer Problemlösekompe- Mit der verbindlichen Übung Digitale Grundbildung wird Hilfe des Computers ein Problem gelöst werden kann, müssen tenz und nicht um die Informatik im herkömmlichen Sinn. Das ein weiterer Baustein zur nachhaltigen Umsetzung für den di- das Problem selbst und die Lösungsmöglichkeiten verstanden Informatische Denken hat nicht ausschließlich mit Computern gitalen Kompetenzerwerb in den dafür vorgesehenen Stunden werden. Beim Computational Thinking steht der Problemlö- zu tun, sondern es verlagert die Betrachtungsweise vom Er- oder integriert in Fächern aus dem Fächerkanon implemen- sungsprozess im Vordergrund. Die Lösung kann dann aber so gebnis zum Problemlöseprozess, und dies in vielen Bereichen tiert. Schülerinnen und Schüler erwerben dabei im Umfang präsentiert werden, dass sie sowohl ein Computer als auch Harald Meyer, MA BEd, der Bildung.3 Als beständiges Zukunftsthema ist das Infor- von zwei bis vier Wochenstunden innerhalb von vier Jahren ein Mensch verstehen kann. Fachbereich für infor- matische Denken auch unentbehrlicher Inhalt im Fach Tech- Kompetenzen aus den Bereichen:8 Jeder einzelne der nachfolgend angeführten Eckpfeiler des matische und medien- nisches und textiles Werken. Es gibt viele Thesen über die u Gesellschaftliche Aspekte von Medienwandel und Digitali- Computational Thinking ist in seiner Bedeutung gleichwertig: 12 pädagogische Bildung, Potentiale der Werkerziehung, wie elementare Probleme zu sierung u Decomposition (Zerlegung). Zerlegen eines komplexen Pädagogische Hochschule erkennen, kreative Lösungen zu entwickeln und sich auch kri- u Informations-, Daten- und Medienkompetenz Problems oder Systems in kleinere, besser handhabbare Steiermark, Lehrender im tisch und sicher mit digitalen Inhalten auseinanderzusetzen. u Betriebssysteme und Standard-Anwendungen Teil. Bereich Digitale Medienbil- u Mediengestaltung u Pattern Recognition (Muster erkennen). Muster erkennen, dung und Technisches und Abb. 1 Schulbuch Compu- Digitale Grundbildung und Lehrplan u Digitale Kommunikation und Social Media Muster beschreiben, Suche nach Ähnlichkeiten zwischen textiles Gestalten. tational Thinking mit BBC Seit dem Schuljahr 2018/19 gilt für die Schulen der Sekun- u Sicherheit und innerhalb von Problemen. Kontakt: harald.meyer@ micro:bit darstufe I (Neue Mittelschulen und AHS-Unterstufen) der u Technische Problemlösung u Algorithm Design (Algorithmus). Entwicklung einer schritt- phst.at verordnete Lehrplan zur Digitalen Grundbildung. Die Schu- u Computational Thinking weisen Lösung für das Problem, Logische Anweisungen Mit dem Projekt Denken lernen, Probleme lö- len entscheiden autonom, ob die verbindliche Übung Digitale gestalten. sen, das vom Bundesministerium für Bildung, Grundbildung in unterschiedlichen Fächern integrativ oder als Für eine Verknüpfung mit dem Werkunterricht bieten die Be- u Abstraction (Abstraktion). Sich nur auf die wichtigen Infor- Wissenschaft und Forschung (BMBWF) in Auf- eigenes Fach umgesetzt wird. Unabhängig von der Art der reiche Technische Problemlösung und Computational Thinking mationen konzentrieren und irrelevante Details ignorieren. trag gegeben worden ist, soll bereits von der Umsetzung werden durch die Inhalte der Digitalen Grundbil- die häufigsten Anknüpfungspunkte. u Generalize Patterns and Models (Muster bilden). Muster Primarstufe bis zur Sekundarstufe I das Infor- dung fächervernetztes Arbeiten und kompetenzorientiertes Um eine möglichst rasche Umsetzung der Digitalen Grund- und Modelle verallgemeinern und für unterschiedliche matische Denken und das kreative Problem- Lernen gefordert und gefördert.4 Nach Swertz5 ist die Digitale bildung von Seiten BMBWF österreichweit zu fördern, wurde Handlungskontexte nutzbar machen. lösen gefördert und die Informatische Grund- Grundbildung als verbindliche Übung insbesondere in der Aus- das Pilotprojekt Denken lernen, Probleme lösen entwickelt. bildung der Schülerinnen und Schüler gestärkt gestaltung des Faches international einzigartig und gelungen. Dieses Pilotprojekt fokussierte zu Beginn die Förderung von Eine der Herausforderungen für das Bildungssystem ist, dass werden.1 Dies begründet er mit dem anwendungsorientierten Konzept Informatischem Denken und kreativem Problemlösen in der das Problemlösedenken nur dann integriert werden kann, digi.komp, das dazu beiträgt, digitale Kompetenzen und deren Primarstufe. Die Fortsetzung Denken lernen, Probleme lösen wenn Kontinuität gegeben ist. Es geht nicht immer nur um Die Digitalisierung umfasst inzwischen alle Bereiche des Le- Aufbau vorstellbar, vermittelbar und umsetzbar zu machen. Sek I erfolgte 2019 und bietet somit für Mittelschulen und „das eine Projekt“, sondern es müssen regelmäßig neue bens und verändert dadurch unser Zusammenleben. Um Digitale Kompetenzen sind eine der acht EU-Schlüsselkompe- AHS-Unterstufen das Angebot zur Beschäftigung mit Infor- Problemstellungen gelöst werden. Im Bildungskontext ist es unsere digitale Zukunft mitgestalten zu können, müssen wir tenzen und im Lebensalltag unverzichtbar, auch in den öster- matischem Denken, Coding und Robotik. Als Grundlage dient wichtig, dass in ausreichendem Maß altersgerechte und dem unsere Kinder nicht nur mit technischem Know-how vertraut reichischen Lehrplänen und Bildungsanliegen sind sie bereits das OER Schulbuch Computational Thinking mit BBC micro:bit, Lernfortschritt entsprechende Aufgabenstellungen in den Un- machen, sondern sie auf zukünftige Entwicklungen und Her- seit längerem ein fixer Bestandteil.6 welches den für viele noch unbekannten Bereich Computa- terrichtsalltag implementiert werden. Der Auftrag der Lehr- ausforderungen vorbereiten. Die Bedeutung der Digitalisie- Im Lehrplan Technisches und textiles Werken stellen sich tional Thinking (be-)greifbar machen soll.9 Dieses Schulbuch kräfte ist es, im Unterricht geeignete Aufgaben zu stellen, die rung muss in der Schule vermittelt werden. Dies bedeutet für die Anknüpfungspunkte zu den digitalen Kompetenzen wie ist nicht nur als gedrucktes Schulbuch (Schulbuchnummer: im ersten Schritt das selbstständige Lösen schulen und erst das österreichische Bildungssystem Potential und Herausfor- folgt dar: Kolleginnen und Kollegen sind für den Werkunter- 186059) verfügbar, sondern vielmehr als Content-Plattform im zweiten Schritt durch das Nachvollziehen einer vorgezeig- derungen.2 richt dazu angehalten, digitale Medien und digitale Werkzeu- (https://microbit.eeducation.at) zu verstehen. Hier werden ten Lösung das Lernen ermöglichen. Das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und ge anzuwenden, analoge und digitale Verfahren einzusetzen qualitativ hochwertige didaktische Konzepte und Unterrichts- Jeder kann mit seinem Unterrichtsfach (s)einen Beitrag Forschung legt mit der Digitalisierungsstrategie Schule 4.0. – und miteinander zu verschränken. Dies kann im Rahmen von beispiele unter CC-BY Lizenz bereitgestellt.10 (Abb. 1) zum Informatischen Denken und Problemelösen leisten. Für

168 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 169 TECHNISCHES PROBLEMLÖSEN TECHNISCHES PROBLEMLÖSEN

Unterricht von Lehrerinnen und Lehrern Grundkompetenzen micro:bit stellt einen sehr niederschwelligen technischen Ein- bzw. vertiefende Kompetenzen der einzelnen Teilbereiche ab- stieg in Coding und Computing dar. Mit diesem Werkzeug ver- verlangt. schwindet eine vielleicht vorherrschende Zugangsbarriere für viele Projekte und Anwendungsmöglichkeiten im Technischen Phasen nach Bachinger:15 (Abb. 2) und textilen Werken. (Abb. 4) u Phase 1: Informatisches Denken und Einstieg in Coding in Phase 3: Mechatronik der Volksschule Im Bereich der Mechatronik werden Einzelprinzipien bearbei- u Phase 2: Grundlagen, Coding und Computational Thinking tet. Diese Prinzipien können in einem ersten Schritt analog u Phase 3: Mechatronik bearbeitet werden. Der BBC micro:bit, Servomotoren und di- u Phase 4: Elektronik & Messen, Steuern, Regeln verse Sensoren erwecken Aufbauten zum Leben. (Abb. 5–6) u Phase 5: Robotik u Phase 6: 3D-Druck u Phase 7: Virtuelle Realität

Phase 1: Informatisches Denken und Einstieg in Coding in der Volksschule Der Inhalt der Phase 1 ist primär für die Umsetzung in der Abb. 2 DLPL Phasen nach einen Kompetenzerwerb im Bereich Coding und Computa- Volksschule konzipiert. In diesem Artikel wird nicht näher da- mente und Aufbauten im Bereich Messen, Steuern und Re- Abb. 4 Beispielübersicht Bachinger tional Thinking muss nicht zwingend mit digitalem Material rauf eingegangen. geln können verständlich durchgeführt werden. (Abb. 7–9) beziehungsweise dem Computer gearbeitet werden. Es gibt Phase 2: Grundlagen, Coding, Computational Thinking Phase 5: Robotik auch analoge Zugänge, wie das Projekt DLDP für die Volks- Die Grundlage der Phase 2 bildet das bereits erwähnte Schul- Mit der Robotik wird das Programmieren auf spielerische Art schule anregt.13 buch Digitale Bildung in der Sekundarstufe – Computational und Weise erlernt. Das erwähnte Messen, Steuern, Regeln Abb. 5 :Prinzip der Jedes Puzzleteil im Sinne der „Digitalen Grundbildung“ Thinking mit BBC micro:bit. Mit dem Einplatinencomputer BBC und richtige Programmieren sind die Grundlage für Robotik. Übersetzungen am Beispiel trägt bei Schülerinnen und Schülern positiv dazu bei, die Fä- micro:bit soll durch Game Based Learning ein Grundverständ- Mit dem BBC micro:bit, Getriebemotoren, Plattformen und Windmühle higkeit zu fördern, Probleme zu analysieren, Muster zu erken- nis für das Programmieren gefördert werden. Es werden ins- Abb. 6 Prinzip eines nen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und Abläufe gesamt 22 Beispiele in drei Schwierigkeitsgraden vorgestellt, Antriebes am Beispiel zu definieren. Im Bereich des Computational Thinking werden wobei acht Beispiele in Kombination beziehungsweise ver- Fahrzeug in Österreich für Lehrende neben einem umfangreichen Aus-, netzt mit dem Fach Technisches und textiles Werken durch- Fort- und Weiterbildungsangebot an den Pädagogischen geführt werden sollen. (Abb. 3) Hochschulen auch pädagogisch aufbereitete Lehrmittel und fertige Konzepte zur Anwendung im Unterricht angeboten.

Denken lernen, Probleme lösen Das Projekt Denken lernen, Probleme lösen, kurz DLPL, wird Abb. 7 Steuern einer auf der Projektwebseite des BMBWF wie folgt beschrieben: Ampel Das Projekt „Denken lernen, Probleme lösen (DLPL)“ un- terstützt die didaktische Nutzung von digitalen Medien in der Schule und stärkt das Informatische Denken von Schülerinnen und Schülern und Lehrerinnen und Lehrern. Informatisches Denken hilft dabei, vielschichtige Problemstellungen in Schule Abb. 8 Messen mit und Alltag zu verstehen und zu lösen, und ist auch Wegberei- Sensoren Abb. 3 BBC micro:bit ter für die Entwicklung eigener kreativer Schaffenskraft.14 Als Arbeits- und Innovationsplattform dient die Websei- te www.dlpl.at von Alois Bachinger. Bachinger sieht dieses Die bereits mehrfach erwähnte Problemlösekompetenz Projekt für die Sekundarstufe 1 bereits in mehreren Phasen. hat auch im Werkunterricht durch das Nutzen von Syner- Phase 4: Elektronik & Messen, Steuern, Regeln Die einzelnen Phasen veranschaulichen viele Schnittstellen gien zum Computational Thinking großen Stellenwert. Hap- Der Bereich Messen, Steuern, Regeln, kurz MSR, wird an zum Werkunterricht und unterstreichen die Notwendigkeit tisches Arbeiten und das (be-)greifbar Machen, eine Stärke Schulstandorten als Basis für die Robotik meist von nur weni- eines solchen Faches inklusive entsprechend ausgebildeter des Werkunterrichts, sind eine wichtige Basis beim Abstra- gen Spezialisten bearbeitet. Mittels Einplatinencomputer BBC Kolleginnen und Kollegen. Es werden je nach Umsetzung im hieren- bzw. Programmierenlernen. Der Mikrocomputer BBC micro:bit ist ein niederschwelliger Einstieg möglich. Experi-

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Abb. 9 Regeln eines tionsprozess dienen. 3D-gedruckte Modelle können in der der Praxis stellt sich dies einerseits als Herausforderung, an- Bundesministerium für Bildung, W. u. (September 2018). Di- Schrankensystems Realität haptisch wahrgenommen und untersucht werden. dererseits aber auch als großes Potential dar. Synergien und gitale Grundbildung. Vermittlung digitaler, informatischer Die virtuelle Realität bietet, darauf aufbauend, ein beson- Potential für alltagsnahen, kindgerechten, spielerisch und ex- und medienbezogener Kompetenzen in der Sekundarstufe deres Erlebnis und die Möglichkeit, das gleiche Modell di- perimentellen Unterricht sind vorhanden und wollen genutzt I. Wien: Amedia. gital und dreidimensional zu betrachten. Das in der Abbil- werden. Durch das Problemlösedenken gewinnt Technisches Bundesministerium für Bildung, W. u. (2019). Denken lernen, dung gezeigte grüne Haus kann in der Wirklichkeit betrach- und textiles Werken an Stellenwert. Eine Voraussetzung für Probleme lösen – Digitale Grundbildung in der Primarstufe tet und in einzelne Teile zerlegt werden. Wird der QR-Code das Gelingen der angeführten Konzepte ist beständiges, mit und der Sekundarstufe I. Abgerufen am 02. 12 2019 von mit Tablet oder Smartphone gescannt, startet eine Inter- rotem Faden durchzogenes Dabeibleiben und Anwenden. Ein Pilotprojekt, um das informatische Denken und kreative netseite mit der Möglichkeit, das Objekt virtuell zu bege- Der Bedarf an qualifizierten Pädagoginnen und Pädagogen Problemlösen von der Volksschule bis zur Sekundarstufe 1 hen. (Abb. 12) für Technisches und Textiles Gestalten in der tertiären Ausbil- zu fördern: https://www.bmbwf.gv.at/Themen/schule/zrp/ dung und für Technisches und textiles Werken in der primä- dibi/dgb/dlpl.html ren und sekundären Ausbildung steigt. Das Lehrerkollegium Bundesministerium für Bildung, W. u. (2019). Digitale Bil- diversem Zubehör können Fahrzeuge und kleine Roboter ge- muss mit Digitaler Grundbildung konfrontiert werden, im Be- dung. Abgerufen am 02. 12 2019 von Digitale Grundbil- Abb. 12 Virtuelle Realität baut werden. Diese Fahrzeuge können mit entsprechenden sonderen mit dem oft noch schwer greifbaren Computational dung: https://www.bmbwf.gv.at/Themen/schule/zrp/dibi/ Sensoren Linien folgen, sich frei im Raum bewegen und auch Thinking. Dazu gibt es österreichweit zugeschnittene Aus-, dgb.html ferngesteuert werden. Modelle aller Art können mit kindge- Fort- und Weiterbildung sowohl im Format von Präsenzver- National Competence Center eEducation Austria. (2017). Pro- rechter und einfacher Programmiersprache zum Leben er- anstaltungen als auch mit E-Learning Anteil bis hin zu We- jekt Denken lernen – Probleme lösen. (A. Riepl, Hrsg.) Ab- weckt werden. (Abb. 10) binaren: gerufen am 16.12.2019 von Computational Thinking for u Fortbildungsprogramm der Pädagogischen Hochschulen Children: https://eeducation.at/fileadmin/user_upload/ u SCHILF/SCHÜLF Angebote der Pädagogischen Hochschu- Beilage__Informationen_zum_Projekt.pdf len und eEducation Austria Riepl, A. (2019). digi.komp. (B. u. Austria, Herausgeber) Ab- u Mooc’s über iMooX (Technische Universität Graz) gerufen am 02. 12 2019 von Digitale Kompetenzen: Un- Conclusio und Ausblick u eLecture Reihen Pädagogische Hochschule Steiermark verzichtbar!: https://digikomp.at/index.php?id=578&L=0 Die Gesellschaft steht im digitalen Wandel. Dieser Prozess und Onlinecampus Virtuelle PH Swertz, C. (2018). Medienbildung und Digitale Grundbildung. Abb. 10 Ferngesteuertes formt auch unser handwerkliches und kreatives Tun. Am Bei- u … Fachtagung Medienbildung 2018. Wien: Universität Wien. Fahrzeug als Beispiel für spiel DIY-Bewegung oder Maker-Szene sieht man den Einfluss Schaffen wir mit dem Denken lernen (und) Probleme lösen Wing, J. M. (März 2006). Computational Thinking. Communi- Robotik der neuen digitalen Möglichkeiten. Um dieses Potential opti- praxisnahe, lebendige und handlungsorientierte Lernräume cations of the ACM. mal und in großer Bandbreite nutzen zu können, bedarf es, und Zugänge für analogen und digitalen Kompetenzerwerb! Phase 6: 3D-Druck neben den handwerklichen Fertigkeiten und Fähigkeiten auch 1 (Bundesministerium für Bildung, Denken lernen, – Probleme lösen, In der Phase 6 kann in das sehr umfassende Thema des zeitgemäßer digitaler Kompetenzen. Literatur 2018, S.2) 3D-Drucks eingeführt beziehungsweise hineingeschnuppert In der Öffentlichkeit kann unter anderem in so genannten Bachinger, A. (2018). DLPL.at. Abgerufen am 09. 12 2019 von 2 (Bundesministerium für Bildung, Digitale Grundbildung, 2018, S.2) werden. Der 3D-Druck dient in allen Phasen auch dem Funk- FabLab sowohl die technische Infrastruktur genutzt als auch Denken lernen – Problem lösen, Sek 1 – ein Projekt des 3 (Bundesministerium für Bildung, Digitale Grundbildung, 2018, S.5) tionsteile- und Prototypenbau. (Abb. 11) das Wissen abgeholt werden. Ebenfalls bereiten Massiv Open BMBWF: https://men.baa.at/?men=dlpl 4 (Bundesministerium für Bildung, Digitale Bildung, 2019) Phase 7: Virtuelle Realität Online Courses, kurz Moocs, diese Themen inzwischen auf und Bachinger, A., & Teufel, M. (2018). Digitale Grundbildung in 5 (Swertz, 2018, S.2) Bachinger umschreibt die Virtuelle Realität mit Vom Begrei- sind für die Öffentlichkeit on-demand zugänglich. der Sekundarstufe. Computational Thinking mit BBC:mi- 6 (Riepl, 2019, S.1) fen zum Begehen. Dieses Lernkonzept soll dem Abstrak- Auch im Bildungsbereich erfolgt ein notwendiger Wan- cro:bit. Grieskirchen: Austro.Tec. Von https://microbit.ee- 7 (Bundesministerium für Bildung, Lehrplan Technisches und textiles del. Interessierte Lehrerinnen und Lehrer werden mit Posts ducation.at/images/f/f2/Buch-microbit_20180729.pdf ab- Werken, 2017, S.15) in Sozialen Medien und E-Mail Newsletter wie die des Netz- gerufen 8 (Bundesministerium für Bildung, Digitale Bildung, 2019, S.5) werks Technische Bildung sensibilisiert. Mit Moocs wie Co- Bundesministerium für Bildung, W. u. (2017). Lehrplan Tech- 9 (Bundesministerium für Bildung, Denken lernen, Probleme lösen - Di- ding und Making im Unterricht kann orts- und zeitunabhängig nisches und textiles Werken. In Bundesgesetzblatt Nr.337. gitale Grundbildung in der Primarstufe und der Sekundarstufe I, 2019) Wissen vertieft werden. Das BMBWF sorgt mit dem Mas- Wien: Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und 10 (Bachinger & Teufel, Digitale Grundbildung in der Sekundarstufe. Com- terplan für die Digitalisierung im Bildungswesen und Projek- Forschung. putational Thinking mit BBC:micro:bit, 2018, S.2) ten dafür, dass einerseits der Bildungsauftrag und Lehrpläne Bundesministerium für Bildung, W. u. (2018). Abschlussbe- 11 (Wing, 2006, S.32) adaptiert und andererseits an den Pädagogischen Hochschu- richt im Projekt Denken lernen – Probleme lösen (DLPL) 12 (Bundesministerium für Bildung, Abschlussbericht im Projekt „Denken Abb. 11 Funktionsteilebau len entsprechende Aus-, Fort- und Weiterbildung angeboten Primarstufe. Wien & Baden b. Wien. Abgerufen am lernen – Probleme lösen (DLPL) Primarstufe“, 2018, S.30) mit 3D-Druck werden. 9.12.2019 von Denken lernen – Probleme. 13 (National Competence Center eEducation Austria, 2017, S.1) So sorgt die Digitale Grundbildung dafür, dass Digitali- Bundesministerium für Bildung, W. u. (September 2018). 14 (Bundesministerium für Bildung, Denken lernen, Probleme lösen – Di- sierung nicht mehr nur Thema des Informatikunterrichts ist, Denken lernen, Probleme lösen. Digitale Grundbildung in gitale Grundbildung in der Primarstufe und der Sekundarstufe I, 2019) sondern auch integrativ in allen Fächern abgebildet wird. In der Primarstufe. Wien: Amedia. 15 (Bachinger, DLPL.at, 2018)

172 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 173 ZEICHNUNG ANALOG/DIGITAL ZEICHNUNG ANALOG/DIGITAL

Helmut Nindl die Kunsthistorikerin Marion Strunk definiert „… Selbstrefle- aber auch Manipulationen. Google-Street oder Kameras auf xivität und Selbstpositionierung, eine kritische und forschende Drohnen und anderen Flugobjekten generieren weitere zahl- Haltung bleiben vordringliche Aufgaben der Künstler*innen: lose Bilder. Neben besserer Orientierung und Übersicht wird Zeichnung - analog/digital Kunst ist zur kritischen Haltung aufgerufen, weil ihr im Be- so auch permanente Überwachung möglich. Soziale Medi- Werkzeuge der Bildproduktion sonderen das Charakteristikum zu eigen ist, auch gegen sich en tragen entscheidend dazu bei, dass täglich, ja stündlich, selbst aufzutreten.“2 wenn nicht minütlich die visuellen Eindrücke und Informatio- nen kreuz und quer durch die digitalen Welten geschleudert, Warum Zeichnen? Ist Zeichnen wertvoll? verdoppelt und vervielfacht werden. Veränderungen, Mani- Zeichnen erzeugt Spuren, visualisiert Ideen, ist Teil eines pulationen, Verfälschungen sind seit längerer Zeit sehr nie- der Menschen, die vor ca. 40.000 Jahren hier gelebt haben. Schaffensprozesses, Ergebnis von recherchierendem Suchen. derschwellig möglich – der Informationsgehalt und die damit Jüngste Forschungen ergaben, dass ca. drei Viertel der Hand- Auch Deformationen, Konstruktion und Transformationen sind verbundene Wahrheitsfindung geraten seit Jahren in eine dra- darstellungen von Frauen stammen. Und schließlich hat man Teil einer künstlerischen Entwicklung. Das Prozesshafte des matische Schieflage – Stichwort „Fake-News“. Alle diese Op- erst vor gut einem Jahr (2018) die vorläufig älteste mensch- Zeichnens steht in enger Verbindung mit Emotion und Emp- tionen produzieren eine Bilderflut und eine Übersättigung in liche Zeichnung in der Blombos-Höhle (Abb. 3) in Südafrika findung. Somit ist auch klar, dass Zeichnen mit allen Ausfor- einem Ausmaß, das vor wenigen Jahrzehnten kaum vorstell- Helmut Nindl Abb. 1 Bison-Darstellung, entdeckt. Mit einem Alter von ca. 73.000 Jahren ist dieses mungen eine stark persönlich und individuell geprägte Bildge- bar war. Jährlich werden bereits über 1,2 Billionen Bilddaten Bildhauer, lehrbeauftragt Höhle von Altamira, Fundstück der Beweis, dass Menschen schon damals abs- bungsmethode ist. Formales, Inhaltliches, auch Strategisches generiert!4 an der HTL KRAMSACH ca. 16.000 Jahre; trakte Ideen verfolgten und entsprechende Abbildungen da- und Utopisches wird betrachtet, analysiert und transferiert. und der KPH Edith Stein https://de.wikipedia.org/ raus entwickelten. Individualität, sensible Wahrnehmung und konzentrierte Ex- Wie soll/kann die Kunst mithalten? in Stams, freischaffender wiki/H%C3%B6hle_von_Al- Empfindungen und Emotionen wahrzunehmen und zu visu- pression sind ebenso wichtig und wertvoll wie besondere Be- Dieser Bilderflut des Alltags stehen Kunstwerke aus Ateli- Künstler. tamira alisieren, waren immer schon wesentliche Auslöser und zu- gabung, Qualität und Ausdauer. ers, Galerien und Museen in starker Konkurrenz gegenüber. www.nindl.info gleich Voraussetzung, Zeichnungen und Kunst zu „produzie- Der Zoologe und Naturschützer Amotz Zahavi aus Israel Für manche Künstler*innen ist dies jedoch auch Motivation, ren“. Seit Menschen Kunstwerke schaffen, werden Wirkun- hat in den 70er-Jahren die Theorie des „Handicap-Prinzips“ Auslöser und Verstärker. Das alles umfasst die ästhetische gen und Werte vermittelt. Themen, Abbildungen und Produk- untersucht und formuliert. Sie besagt, dass ein „besonde- Erscheinung der Werke ebenso wie die für die künstlerische tionsmethoden ändern sich, werden transformiert und neue rer Aufwand“ bei der Partnerwahl sowohl bei Tieren als auch Praxis charakteristischen Denkformen. Die verschiedensten Abb. 2 Aufgesprühte Aspekte rücken in den Fokus. bei Menschen wirkungsvoll und entscheidend sein kann. Be- „Big-Data-Sammlungen“ sind somit auch zeitgeistige Inspira- Hände, Cueva del Castillo, Eine unmittelbare Ausdrucksform der Kunst ist die Zeich- sondere Beispiele aus dem Tierreich sind das Pfauenrad, der tionsquellen für aktuelle Künstler*innen. Beispielgebend hier- ca. 40.000 Jahre; (https:// nung. Sie wird autonom, eigenständig oder auch als Studie Gesang einer Nachtigall oder die Mähne eines Löwen. Tho- für eine Beschreibung für eine Lehrveranstaltung für Digitale www.turismodecantabria. und Entwurf für verschiedenste Projekte eingesetzt. Auch fan- mas Junker hat in seinem Buch „Die Evolution der Phanta- Kunst von Ruth Schnell, Universitätsprofessorin an der Ange- com/disfrutala/que- tastische Utopien oder reflektierende Betrachtungen werden sie – Wie der Mensch zum Künstler wurde“ dieses Handi- wandten in Wien: „… mithilfe von Algorithmik, Sensorik, Ro- visitar/18-cueva-de-el- durch Zeichnungen sichtbar gemacht. cap-Prinzip auch auf den Kunstbereich übertragen.3 Mit einer botik und neuen bildgebenden Methoden entsteht eine Ent- castillo) Peter Weibel, Künstler und ehemals Rektor des Zentrums besonderen Begabung oder einem großen Aufwand ist eine wicklung neuer Interfaces zur Rückbindung digitaler Kunst in für Kunst- und Medientheorie ZKM in Karlsruhe, sagt: „Die Qualität erreichbar, die auf andere Weise nicht zu erzielen ist. den realen Raum“.5 Aufgabe der Kunst besteht darin, Türen zu öffnen, wo sie Wer in der Lage ist, das zu erkennen und auch anzuwenden, keiner sieht. Der Künstler hält optionale Handlungsfelder of- findet mehr Akzeptanz und Relevanz. Zusätzlich ist das Handi- Ist der/die Künstler*in der Zeit voraus, oder ist cap-Prinzip (auch „teure Signale“ genannt) eine Möglichkeit, die Community träge und hinkt hinterher? Abb. 3 Grafik auf Felsen, eine Distanzierung zu Kitschprodukten zu schaffen, die häufig Zeitgenössische Kunstwerke haben sehr unterschiedliche In- Blombos-Höhle bei aufwändige und wertvolle Produkte möglichst einfach und bil- halte und Ziele. Sie sind Ergebnis und Produkt einer individuell Kapstadt, 2018 gefunden, Auf der Suche nach den Anfängen des Zeichnens findet man lig imitieren. orientierten, intensiven Beschäftigung mit Themen und Fra- 73.000 Jahre; (https:// bemerkenswerte Dokumente bereits in vorgeschichtlichen Bilder, die Menschen ansprechen und beeindrucken, se- gestellungen Menschen, Gesellschaft und das Zeitgesche- www.n-tv.de/wissen/fund- Epochen. In den Höhlen von Altamira oder in der Cueva del hen wir nicht nur in Museen und Galerien. Unmittelbarer und hen betreffend. Die erarbeitete Tiefe und Komplexität eines sache/Alteste-Zeichnung- Castillo, beides Fundstellen aus der Steinzeit im nördlichen immer häufiger begegnen wir ihnen im Alltag, durchaus auch Kunstwerkes kann nicht immer zeitgleich verstanden werden der-Menschheit- Spanien, gibt es herausragende Exemplare (Abb. 1). Die Dar- auf überraschende Art und Weise. Printmedien, Internetsei- und stößt somit auf Unverständnis. Erst nach einem entspre- in-Suedafrika-arti- stellung eines Bisons aus Altamira beeindruckt nach wie vor ten, Social-Media-Netzwerke, Fernsehprogramme und nicht chenden Zeitfenster wird es möglich, durch unterschiedliche cle20619697.html) mit seiner Unmittelbarkeit und Lebendigkeit. Genauigkeit und zuletzt die zahllosen Werbebotschaften – alle diese Informa- Betrachtungen und Anwenden verschiedener Blickwinkel, das Dynamik in der Zeichnung zeugen von einer detailgenauen tionen und „Bildmaschinen“ umgeben, konfrontieren und pro- Kunstwerk zu „erkennen“, zu besprechen und so in den „Ge- Beobachtungsgabe und der großartigen Fähigkeit, dies auch fen – als kritischer Spiegel oder utopisches Reservoir.“1 Da- vozieren uns tagtäglich! genwarts-Kontext“ zu integrieren. treffend und detailreich darzustellen. Auch die aufgesprüh- mit ist sehr deutlich formuliert, dass künstlerische Artefak- Mit Handys werden Selfies, Fotos, Videos in einer unüber- Die Zeichnung ist nach wie vor eine sehr ansprechende ten Hände an den Felswänden der Cueva del Castillo (Abb. te immer wieder mit neuen Formen überraschen und damit schaubaren Vielzahl kreiert. Verschiedenste Apps ermögli- und sinnvolle Methode der Bildproduktion. Zeichnen erzeugt 2) sind aus vielerlei Gründen äußerst interessante Dokumente Künstler*innen kritische Positionen einnehmen. Oder, wie es chen und unterstützen Veränderungen und Optimierungen, Spuren, durch Experimentieren entstehen neue Ideen. Krite-

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che und Deutungen schaffen neue Räume. Ein Diskurs schafft Bestätigung, Werte werden neu generiert und damit entste- hen weitere Interpretationsräume. Im wahrsten Sinn des Wortes – wir sind mit diesen Be- trachtungen mitten drin im Thema der Tagung „di[gi]alog“. Der Dialog zwischen analog und digital ist omnipräsent.

Analog oder Digital – Papier oder Interface/ Schnittstelle/Bildschirm? Abb. 6 Helmut Nindl Die Qualität und die Oberfläche des Papiers ist ein Teil der Zeich- Handkreiszeichnung, nung. Die Haptik des Papiers, der Widerstand der Oberfläche, das einfach, 426x426 mm Abb. 4 David Hockney Spüren des Werkzeugs und der Umgang mit Materialien prägen http://www.hockney.com/ eine Zeichnung und steigern ihre Wirkung. Auch das Format hat Abb. 7 Helmut Nindl home eine große Bedeutung und damit Folgen im Prozess des Entste- Handkreiszeichnung, zwei- hens. Die Bewegung und die Dynamik der Strichführung hat über fach, 180°, 426x426 mm zwei, drei Meter andere Einflüsse und Auswirkungen als dassel- be auf einem kleinen, übersichtlichen Postkartenformat. Im digitalen Bereich verändern Auflösung, Größe und Aus- gabemedium entscheidend Wirkung und Ergebnis. Digitale Daten, Oberflächen, Bildebenen sind ebenfalls mit Rückmel- dungen im Entstehungsprozess gekoppelt. Programmierele- mente und Zeichenwerkzeuge werden wesentliche Teile des Prozesses und Kriterien der Betrachtung. Wenn es die Auflö- sung erlaubt, können digitale Daten skaliert, kopiert, versetzt, verzerrt und auch endlos verändert werden. Im Vergleich zur klassischen Zeichnung sind im digitalen Bereich andere Pro- Abb. 5 Rens Veltman zesse mit völlig neuen Optionen möglich. Letztlich bestimmen Computergenerierte Wand- Anwendung und Ausgabe eines Projektes die Auflösung und Abb. 8 Helmut Nindl grafik, 2016 damit die finale Wirkung der digitalen Arbeit. Handkreiszeichnung, drei- Der kanadische Medientheoretiker Marshall McLuhan fach, 45°, 426x426 mm (1911–1980) entwickelte den Begriff „Globales Dorf“ und in den 60er-Jahren die These „Das Medium ist die Botschaft“. Dieser ursprüngliche Titel „The Medium is the Message“ er- rien wie Einmaligkeit, Individualität erweitern die Ausdrucks- hielt eine Umdeutung durch einen Fehler des Schriftsetzers und Bedeutungsform. in „The Medium ist the Massage“, die McLuhan selbst als Der Ausdruck von Emotion, Wahrnehmung und Individuali- stimmig empfand. Das „Massieren“ des menschlichen Geis- tät schafft wirkungsvolle Bildwelten. Ein Kunstwerk oder eine tes sei eine treffende Interpretation und Medien sind eine Zeichnung entsteht häufig aus einer Position der Ruhe, Muße Erweiterung der menschlichen Sinne, des Körpers und des cken. Ein digital gearbeiteter Datenprozess kann dies ebenfalls. Hockney auch klassische und beeindruckende Zeichnungen und Konzentration. Ein sorgfältiges Hinhorchen auf Bedürfnis- Geistes.6 Die Reaktionen darauf werden vermutlich anders aussehen. auf Papier mit verschiedensten Motiven, wie Landschaft, Per- se und Emotionen. Mit drei Künstlerpositionen soll abschließend aufgezeigt sonen, Porträts, Stillleben usw. Seit ca. 10–15 Jahren entste- DIALOG – analog <---> digital werden, dass Zeichnungen mit digitalen Werkzeugen andere hen auch „Digital Works“. Zeit – Epoche – Zeitgeist? Die Kunst und die künstlerischen Mittel sind frei, wie immer und neue Prozesse durchlaufen, als wir das in der Kunstge- „I-Pad-Selects“, „I-Phone-Drawings“ werden auf Bildschir- Bilder der Zeit und der Gesellschaft zu entwickeln und zu rea- in der Geschichte. Alles was geeignet ist, kann als Werkzeug schichte bisher sahen. Der Dialog zwischen analog und digital men präsentiert oder auch als „prints“ ausgedruckt und er- lisieren, die ansprechen und interessieren, ist nach wie vor zur Bildproduktion Verwendung und Anwendung finden. Digi- ist als Kontinuum zu verstehen und bringt ohne Zweifel neue gänzen die sehr umfangreiche Werkschau und die Ausstel- ein wichtiges Motiv im künstlerischen Schaffensprozess. Er- tal oder analog ist dabei nicht die grundsätzliche Fragestellung. Sichtweisen und andere Ergebnisse mit sich. lungen David Hockneys. Beispiele seiner Kunst sind auf seiner kenntnisgewinn und Ausdruck können durch Computeran- Es handelt sich vielmehr um eine künstlerische Option, um ein Homepage zu sehen. (Abb. 4) wendungen und Digitalisierungsmethoden entwickelt, unter- Werkzeug der Wahl. Wenn es die Idee oder das Werk erfor- David Hockney, 1937 in England geboren, ist als Künstler stützt und gesteigert werden. Betrachter werden angespro- dern, stehen entsprechende Optionen zur Verfügung. Eine ana- im Bereich Grafik, Malerei, Bühnenbildnerei und als Fotograf Rens Veltmann, ein Künstler aus Schwaz in Tirol, ist als Ma- chen, sind fasziniert, werden neugierig und reagieren. Gesprä- loge Zeichnung kann mitunter sehr gut den Zeitgeist ausdrü- tätig.7 Neben seinen berühmten Swimmingpool-Bildern schuf ler und Zeichner weit über die Landesgrenzen bekannt. Rens

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mit computergesteuerten Zeichenmaschinen gehören eben- Delaja Oblak falls seit Jahren zu seinem Oeuvre. In seinen Ausstellungen generieren sie vor den Augen der Besucher*innen Grafiken in verschiedensten Größen an den Wänden. (Abb. 5)8 Weitere Die verletzte Haut Bildbeispiele: https://www.instagram.com/rens_veltman der Frau –

Helmut Nindl, Künstler aus Kramsach in Tirol beschäftigt Frauenbilder sich neben seinen bildhauerischen Arbeiten seit Jahren mit im Netz der Kombination von Handzeichnungen, deren digitaler Be- arbeitung beziehungsweise Veränderung und der Kombina- tion von beidem. Die „Handkreiszeichnung“ ist grundsätzlich eine analoge Zeichnung, die gescannt, freigestellt und mehr- Häute und Netze, die zur verletzen fach mit 45- und 22,5-Grad-Schritten gedreht und vervielfacht Weiblichkeit führen wurde (Abb. 6–8), auch das Beispiel „Rasterstruktur“ (Abb. So wie das Netz einerseits als Bezeichnung für die digitale 9) ist methodisch ähnlich gefertigt. Eine Handzeichnung, in Welt eingesetzt wird, andererseits komplexe Bedeutungen diesem Fall digital erzeugt (Rasterstruktur), wird durch Ver- und individuelle neuronale Verknüpfungen in uns auslöst, so doppelung, Verschiebung, Verdrehung und Spiegelung zur lässt auch die Haut mehrere Sinnzusammenhänge zu. Ne- komplexen Strukturverdichtung. Weitere Bildbeispiele: www. ben den für uns Menschen physischen, psychologischen und nindl.info symbolischen Funktionen kann sie sich sogar in der fortschrei- 1 https://www.monopol-magazin.de/300-tage-kunst tenden, nicht festzuhaltenden Zeit manifestieren, die Zeit ein 2 Marion Strunk „Was kann die Kunst? Neue ästhetische Strategien“, kleines Stück sichtbar machen – und das nicht nur an uns Kunstforum Oktober/November 2017 Menschen, sondern auch an den Häuten anderer Lebewesen 3 Thomas Junker – Evolution der Phantasie – Handicap-Prinzip, S.69–72 oder den Haut-Hüllen der Pflanzen. Durch die Haut wird es 4 https://static4.businessinsider.de/image/59a8edb0e30f2c3c008b47 möglich, nicht nur das uns Wahrnehmbare oder Unbewusste Abb. 9 Helmut Nindl Veltman arbeitet schwerpunktmäßig in den Bereichen Male- 25-767-574/20170831fotosbide.png greifbarer werden zu lassen, sondern sie kann auch transzen- Rasterstruktur, 500x500 rei, transmedialer Kunst und Robotik. Vor allem hinsichtlich 5 https://www.dieangewandte.at/institute/bildende_und_mediale_ dent zukünftige, noch nicht existente oder latente vergangene mm der elektronischen Kunst leistet er bereits seit den 1970er kunst/digitale_kunst Bereiche unseres Ich berühren. Jahren Pionierarbeit. 2011 bekam er den Tiroler Landespreis 6 https://de.wikipedia.org/wiki/Marshall_McLuhan Die Haut als Ausgangspunkt lässt komplexe Betrachtungs- für zeitgenössische Kunst, 2017 den Preis der Stadt Innsbruck. 7 http://www.hockney.com/home weisen zu. In diesem Sinne kann ich hier nur wenige Aspekte Veltman produziert die Zeichnungen vielfach mit klassischen 8 Computergrafik, Ausstellungsinstallation Galerie der Stadt Schwaz, eines insgesamt sehr großen Themas zur verletzten Haut der Tuschestiften auf Papier. Große, eindrucksvolle Installationen Ausschnitt 2016 Frau vorstellen. Es wird von mir ein Netz von weiblicher Ver- letzung und Selbstverletzung, das sich zwischen analog und gilt die menschliche Entwicklung doch nie als abgeschlossen. Abb. 1 Die verletzte Haut digital bewegt, ausgeführt. Damit verbunden möchte ich nicht (Berk, 2011) Selbstverletzungen verkörpern nicht zwingend der Frau. Delaja Oblak, unerwähnt lassen, dass Frauen in vielen Teilen der Welt auch etwas Krankhaftes, wenn man globale, kulturelle, ästhetische Suizid, 2015, Acryl auf heute noch um ihr Leben fürchten müssen, wenn sie für ihre oder religiöse Komponenten betrachtet (Oblak, 2018). Papier, 70 x 50 cm Rechte eintreten. Die verletzte Haut der Frau in Grundlagen von (Selbst-) Verletzungen der bildenden Kunst Die Bezeichnung Die verletzte Haut der Frau bezieht sich auf In der bildenden Kunst werden Frauen systematisch ausge- das Haut-Ich von Anzieu, 1991. Der Autor schreibt u.a. über schlossen, dies findet den Höhepunkt in der Renaissance (Sa- die essentielle Bedeutung der Haut für unsere Identitätsent- lomon, 1993). „Da nahm Jaël, die Frau Hebers, einen Pflock wicklung. Fällt der frühe Haut-Kontakt destruktiv (z.B. durch […] und schlug ihm den Pflock durch seine Schläfe, […]“ Gewalterfahrungen) oder gänzlich aus, kann das zu späte- (Ri 4,21). Geschichten wie diese greift Artemisia Gentileschi ren Verletzungen (Narzissmus, Psychopathie, Sadismus) und (1593–1653) in ihren Bildern auf. Sie soll von ihrem Kunstleh- Selbstverletzungen führen (Anzieu, 1991; Montagu, 1988). rer vergewaltigt und gefoltert und später erneut ihrem Verge- Verletzung von außen impliziert oft Weitergabe der erlebten waltiger übergeben worden sein. Nach Salomon (1993) sind Verletzung und/oder zu Selbstverletzung. (Abb. 1). ihre Bilder Verbindungen von komplexen Geschehnissen zwi- Traumata wie Misshandlungen oder Missbrauch können schen Konvention und Ausbruch, während sie ihre eigenen sogar die neurobiologische Struktur verändern (Abel, 2018), Bedürfnisse verdeutlichen.

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ten ein Grund dafür sein, dass Radikalität in weiblicher Kunst Wenn man im Internet nach „Brustoperationen“ sucht, verblasst ist. stößt man so gut wie nie auf Kritik. Auch Hautstraffungen oder Schamlippenverkleinerungen als chirurgische Eingriffe Abb. 2 Krankhafte Frau- Die Frau als Hausärztin von sind in den letzten Jahren zu einer an der Norm haftenden Art engesichter. Die Frau als Anna Fischer-Dückelmann (1901) der Selbstverletzung geworden. Massenhaft Bilder von ope- Hausärztin (1901), Tafel 9 Als realer Wahnsinn zeigt sich aus heutiger Sicht das Ideal-Bild rativ-optimierten Brüsten, durchaus auch als narzisstisch-ver- auf die Frau um 1900, denn es orientiert sich eher an jugendli- letzte Haut im Sinne des Haut-Ichs (Anzieu, 1991) zu verste- chem, kindlichem und teilweise auch knabenhaftem Äußeren hen, finden sich tagtäglich im Internet und in anderen Mas- als an real-weiblicher Anatomie. Darstellungen von nackten senmedien. Körpern in dem Buch Die Frau als Hausärztin unterstreichen diesen Eindruck. Dieses Nachschlagebuch für die (Haus-)Frau Instagram Abb. 3 Gut gebaute Brust. wird erstmals 1901 als fortschrittliches, vom männlichen Arzt Seit geraumer Zeit analysiere ich Instagram hinsichtlich der Fig. 132, Die Frau als Hau- abgelehntes Buch millionenfach verkauft. Detailreich werden dort vorherrschenden Frauenbilder und Selbstbilder. Eini- särztin (1901), S.189 die weibliche Sexualität und weitere damals unmögliche The- ge Hashtags, die weltweit betrachtet erwähnenswert sind, men aufgegriffen – und das von einer der ersten Frauen, die sollen vorgestellt werden. Der Hashtag #beauty wird durch überhaupt Medizin studiert haben: Anna Fischer Dückelmann weibliche Fotos dominiert, die ausschließlich das äußere Er- (1856–1917) (Oels, 2013). Auch sie muss sich der patriar- scheinungsbild in den Mittelpunkt stellen, mit weltweit 344 chalen Gesellschaft unterwerfen, andernfalls wäre ihr Buch Millionen Beiträgen. Hashtag #woman folgt dem gleichen vermutlich nicht publiziert worden: Prinzip: Frauen präsentieren ein vermeintlich perfektes Äuße- Melancholie oder Blutarmut gelten als weibliche Patholo- res ihrer Selbst, hier erscheinen mehr als 48 Millionen Bei- gien, die als krankhafte Frauengesichter abgebildet werden träge insgesamt (Instagram, 16.10.2019). Der Hashtag #fe- (Fischer-Dückelmann, 1901, Tafel 12, Abb. 2). maleempowerment mit vergleichbar viel weniger Beiträgen, Über das Geschlechtsleben der Frau schreibt die Ärztin ca. 800.000 (Instagram, 25.11.2019) wird dafür benützt, dass von der Wichtigkeit der Sittenreinheit und Jungfräulichkeit. des Leibes wirkt nach unten gerichtet, Schultern locker, eine Frauen anderen Frauen Selbstwert stärkende und feministi- Im 20. Jahrhundert entfalten sich die Künstlerinnen, sie Des Weiteren führt sie an, dass Frauen im Alter unnütz wer- Hand stützend, die andere ein Tuch haltend, das schämend sche Bilder oder Sprüche zukommen lassen. Bewusst ver- verlassen konventionelle Bilder der Weiblichkeit und stel- den. Klar stellt sich heraus, dass die Frau dem Mann völlig und gerade noch den intimsten Bereich bedeckt. wenden auch schwarze Frauen in den USA #femaleempo- len sich einer von Männern dominierten, Frauen verachten- gänzlich in jedem Lebensbereich unterliegt. Im Gegensatz zu Anfang des 20. Jahrhunderts herrscht bei uns eine völ- werment um ihre Forderungen nach Gleichberechtigung zu den Gesellschaft entgegen. Frida Kahlo ebnet den Weg zur ihm darf sie nicht leicht erregbar sein, sie muss schön sein lig männlich dominierte Gesellschafts-und Geschlechterord- demonstrieren. Abb. 4 Schlecht gebaute Selbstdarstellung von Schmerz. Unter vielen anderen ist es ihr und jederzeit im Stande zum Sexualverkehr. Als Vorschlag, nung (Rohde-Dachser, 2019). Fischer-Dückelmann erkennt, Als ich dem Hashtag #MeToo nachgegangen bin, der für Brust und Schnürfurche. Selbstbildnis Die zerbrochene Säule (1944), das ihre körper- um der Untreue des Mannes entgegen zu wirken, schlägt Fi- dass sich etwas verändert, vielleicht denkt sie gerade an Sig- die Aufdeckung des männlichen Machtmissbrauchs gegen Fig. 134, Die Frau als Haus- lich-seelische Pein repräsentiert. In den 1960er und 70er Jah- scher-Dückelmann der Frau vor, sich einer Intimoperation zu mund Freud wenn sie schreibt: „Ein krankhaft sexuelles Leben Frauen steht, ist mir aufgefallen, dass sogar hier die belieb- ärztin (1901), S.191 ren passieren Aufbrüche und Rebellionen gegen die vorherge- unterziehen, falls die Klitoris nach der Geburt ausgeweitet beherrscht so wie so unsere Zeit in bedauerlichstem Grade; testen Beiträge mittlerweile der Präsentation des weiblichen gangenen Kriege, feministische Bewegungen formieren sich. und die Frau daher weniger begehrenswert ist (Fischer-Dü- das allgemeine Interesse ist ein viel zu reges dafür, [...].“ (Fi- Körpers unterliegen. Die Künstlerinnen entflammen, der weibliche Körper tritt als ckelmann, 1901, S.217–224). scher-Dückelmann, 1901, S.217). In den letzten 100 Jahren Es scheint, als ob das, was unsere vorherrschenden Frau- zentraler Teil des Werks auf. Die Kunst soll den Frauenkörper entwickelt sich der Ruf nach Gleichberechtigung, die westli- enbilder und Selbstbilder betrifft, derzeit ein radikaler ge- aus dem Rad des Schönen und dem Mann Ausgeliefertsein Die weibliche Brust che Gesellschaft erlebt einen radikalen Wandel weg vom Bild sellschaftlicher Rückschritt passiert, der von uns Frauen und befreien. Judy Chicago bringt die Menstruation in die Kunst Abb. 3 „veranschaulicht eine kräftige wohlgeformte Brust“ des Mannes als alleiniges Oberhaupt (Rohde-Dachser, 2019). Plattformen wie Instagram mitverantwortet wird. und bricht mit dem öffentlich-diskreten Umgang des Leibes (S.190). Wenn man die Brust abdeckt oder nur das Haupt be- Die Geschichte zeigt, dass Fortschritt auch Rückschritt mit Instagram kann uns auch zurück zur Bildenden Kunst füh- (Borzello, 2016). trachtet, kann man nicht sagen, um welches Geschlecht es sich bringt. Nach Reichert (2019) ist ein ständiges Auf und ren, denn zahlreiche Künstler*innen präsentieren hier ihre In den 1990er Jahren, als das Internet aufkommt, tre- sich tatsächlich handelt (Haare, neutrale Gesichtsmerkma- Ab zu beobachten. Werke. Die beliebtesten Beiträge zu #femaleartist sind jene, ten vermehrt Gesundheitsthemen auf. Die Künstlerin Orlan le). Die Brust erscheint als einziges Merkmal der Weiblich- die nicht nur das Kunstwerk sondern gerade auch den weib- unterzieht sich extremer plastischer Chirurgie, fotografiert keit. Der Körper wirkt jungenhaft (breite Schultern, nur leicht Die verletzte Haut der Frau digital und aktuell lichen Körper und dessen Vorzüge zur Schau stellen. Die Fra- und filmt die Operationen. Es wird Kritik am weiblichen Ideal ausgeprägte Taille, muskulöser Bauch, erhobene Haltung). Im Im Vergleich zur heutigen Zeit stellt sich die Frage, was sich ge stellt sich, ob Instagram ein Spiegel dafür sein kann, dass und an Schönheitsoperationen geübt. In den folgenden Jahr- Gegensatz dazu soll Abb. 4 eine „schlecht gebaute Brust […]“ hinsichtlich der gesellschaftlichen, von der Mode geprägten sich auch in der bildenden Kunst eine neue Generation von zehnten wird die Kunst mit Performances überschwemmt, zeigen (S.190). Abbildungen wie diese werden mit „Verkrüp- Regeln, wie die Frau auszusehen hat, verändert hat. Sind die Künstlerinnen durchgesetzt hat, die dem weiblichen Schön- heute sind milde Ansätze zu beobachten (ebd.). Die Libe- pelung“ gleichgesetzt (S.190). Ebenfalls ist eine nahezu unbe- weiblichen Verletzungen trotz rechtsgültigen Gesetzen unter heitsideal nunmehr folgt? Oder ist Instagram eine artifizielle ralisierung der Sexualmoral (Rohde-Dachser, 2019, S.28), kleidete menschliche Figur abgebildet, diesmal jedoch unbe- der Haut noch nicht überwunden? Zeigen sie sich heute erst Scheinwelt, die nicht unmittelbar mit dem Leben außerhalb neue Lebensformen- und die Auflockerung von Rollenerwar- streitbar weiblich (Gesicht, Brüste, Haare, schmälere Schul- recht anhand extremster Formen der vermeintlichen Schön- dieses Netzes in Verbindung steht? Letzteres scheint schwer tungen für die Geschlechter (Rohde-Dachser, 2019) könn- tern, Körperbau mit Rundungen und Bauch). Die Anatomie heit, Perfektion und Selbstoptimierung? vorzustellbar, wenn man bedenkt, dass die Plattform 1 Mil-

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rinnen, wenn, dann nur in elitären Kreisen. Neben vielen Vor- Literatur- und Quellenverzeichnis Oels, D. (2013). Ein Bestseller der Selbstsorge: Der Ratgeber teilen impliziert das Internet auch den Ausdruck der mensch- Abel, T. (2018). Die antisoziale Persönlichkeitsstörung: Hinter- Die Frau als Hausärztin. Zeithistorische Forschungen 10, lichen Abgründe. Das Netz kann als kannibalische Weiter- gründe von Bösartigkeit. Psychotherapie im Dialog, 19(2), 515–523. Abb. 5 Wissenschaft führung des tatsächlichen Kannibalismus im Sinne von Attali 47–52. Reichert, R. (2019). Theorie und Geschichte der Bildkulturen/ und Kunst. Delaja Oblak, (1981) verstanden werden. Unsere menschlichen Schatten- Anzieu, D. (1991). Das Haut-Ich. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Alltagsästhetik. Vorlesung an der Universität Mozarteum digitale Comiczeichnung, seiten kommen heute vorwiegend in diesem Netz zum Aus- Attali, J. (1981). Die kannibalische Ordnung: Von der Magie Salzburg. 2019. druck. Man stößt massenhaft auf sexuelle Gewalt, daran er- zur Computermedizin. Frankfurt am Main: Campus. Rohde-Dachser, C. (2019). Wie sich die Geschlechterbezie- innernd, dass Missbrauch und Menschenhandel ein tagtäg- Berk, L. E. (2011). Entwicklungspsychologie (5.Aufl.). Mün- hung in den letzten 100 Jahren verändert hat und warum liches Geschäft sind, meist an Kindern und Frauen verübt. chen: Pearson, Higher Education. es so schwierig ist, darüber innerhalb der Psychoanalyse Begibt man sich ins Darknet, tritt das volle Ausmaß schwer- Borzello, F. (2016). Wie ich mich sehe: Frauen im Selbstport- ins Gespräch zu kommen: Über eine Geschichte von Ver- wiegender Pathologien in Erscheinung. Das Internet eröffnet rait. Wien: Brandstätter. letzungsverhältnissen. Zeitschrift für Sexualforschung 32, Räume, in denen psychopathische Vorlieben bedenkenlos Deleuze, G. & Guattari, F. (1977). Rhizom. Berlin: Merve. 27–38. ausgelebt und ausgetauscht werden können (Oblak, 2018). Die Bibel. (1964). Nach der deutschen Übersetzung D. Mar- Salomon, N. (1993). Der kunsthistorische Kanon: Unterlas- tin Luthers mit den Kupferstichen von Matthaeus M. Köln: sungssünden. Kritische Berichte (4), 222–236. Frühlingsbilder bringen Abschlussgedanken Neumann & Göbel. Thun-Hohenstein, C. & Wieninger, J. (Hrsg.) (2016). Shunga: hervor Fischer-Dückelmann, A. (1901). Die Frau als Hausärztin: Ein Erotische Kunst aus Japan. Katalog zur Ausstellung. Wien: Japanische Frühlingsbilder (Shunga), in ihren frühen Formen ärztliches Nachschlagebuch für die Frau. Stuttgart: Decker MAK. bereits ab dem 8. Jahrhundert anzutreffen, greifen die Sexua- und Hardt. lität auf und lassen sie als eine mit Fantasie verbundene Le- Montagu, A. (1988). Körperkontakt: Die Bedeutung der Haut Instagram. Abgerufen am 16.10.2019 und am 25.11.2019. bensquelle sichtbar werden. In Zeiten, in denen Shunga mas- für die Entwicklung des Menschen. Stuttgart: Klett-Cotta. https://de.statista.com/themen/2506/instagram/. Abgerufen Delaja Oblak, geb. 1990, siv verboten war, entwickelte sich eine im Untergrund existie- Oblak, D. E. (2018). Das (Seelen-)Leben der Haut. Kunst & The- am 2.1.2020. Künstlerin und Kunstthe- rende Gegenkultur. Hier finden wir eine Verknüpfung zur nicht rapie. Zeitschrift für bildnerische Therapien, 2018(1), 60–75. rapeutin, künstlerische existenten Frau in der westlichen bildenden Kunst. Im Shunga Preise, Ausstellungen ab liarde aktive Nutzer im Monat haben soll (https://de.statista. entpuppt sich die Frau häufig als aktiver Part im außereheli- 1997, 2017 Ausstellung com/themen/2506/instagram/). chen Akt, und es gibt Darstellungen, in denen Homosexualität im Kunsthaus Bregenz, Zu dem Hashtag #smashthepatriarchy existieren welt- und Sexualität unter Frauen zur Darstellung kommen. Bildhaft 2018 Ausstellung in der weit nur 190.000 Beiträge. Sprachlos macht mich immer enthüllt sich in Frühlingsbildern das Thema der Rache von Frau-

Kunsthalle Feldbach mit J. noch die Tatsache, dass zu #artpatriarchy seit Februar 2019, en an Männern: Terazawa Masatsugi zeigt 1770 den Kampf STELLENAUSSCHREIBUNG Horvat, 2018 Publikationen als ich eine eigene Comiczeichnung dazu gepostet habe, kein von Mann gegen Frau, die im Geschlechtsverkehr gegeneinan- in der Zeitschrift Kunst & einziger weiterer Beitrag hinzu gekommen ist. Es lassen sich der antreten. Frauen gewinnen, Männer können nach mehre- LEHRER/IN FÜR BILDNERISCHE ERZIEHUNG & WERKEN Therapie, künstlerisch tätig lediglich acht Beiträge weltweit finden. ren Gefechten nicht mehr, was als Verhöhnung des herrschen- Schwerpunkt Bildnerische Erziehung / RG Langform im Bereich Malerei, Per- Das Thema der Abhängigkeit der Frau vom Mann als den Samurai -Stands zu deuten ist, in dem wie auch im Konfu- formance, Film, Skulptur, Gönner wird in der Kunst wie auch in der Wissenschaft ver- zianismus Männer den Frauen höher gestellt waren (Leopold, 2018 Assistentin von Univ. schwiegen und verdeckt, obwohl das Thema des Macht-Miss- 2016; Wieninger, 2016; Klien, 2016; Linhart 2016). Prof. K. S. Richter-Rei- brauchs durch #MeToo aufgekommen ist und es innerhalb Ich konnte hier nur kurz durch eine rhizomatische Sichtwei- Die MODELLSCHULE GRAZ– ein Realgymnasium mit chenbach, derzeit Studium bestimmter Kreise normal zu sein scheint, wenn man sich da- se (Deleuze & Guattari, 1977), die sich mit dem Thema Haut bildnerischem Schwerpunkt - sucht ab dem Schuljahr 2020/21 am Mozarteum Salzburg: nach erkundigt. Vor dem geschichtlichen Hintergrund ist es ei- ergibt, führen. Wenn wir uns mit der verletzten Haut der Frau Lehrer/innen für die Fächer Bildnerische Erziehung und Werken Bildnerische Erziehung & nerseits nicht verwunderlich, dass diese Bereiche heute noch und dem Netz beschäftigen, erkennen wir, dass viele Fragen im Ausmaß einer vollen Lehrverpfichtung. MODELLSCHULE GRAZ Gestaltung: Technik.Textil. ausgeblendet bleiben. Andererseits kommt die Frage auf, was offen sind und auch offen bleiben. Letztendlich geht es dar- Fröbelgasse 28, 8020 Graz vom Widerstand der Frau noch übrig geblieben ist? (Abb. 5) um, welche Vorbilder unseres Selbst wir weitergeben möch- ANFORDERUNGEN www.modellschule.at „Was sich im Rahmen gesellschaftlicher Wandlungspro- ten und welche Strategien wir haben, das Vorherrschende zu ° Universitäre Ausbildung der Kunstpädagogik/Abgeschlossenes zesse verändert hat, ist allenfalls die Art und Weise, wie darü- hinterfragen. Die eigenen sowie die anderen Machtpositionen Lehramtsstudium in den Fächern Bildnerische Erziehung & Werken ber gesprochen wird.“ (Rohde Dachser, 2019, S.29). müssen kritisch hinterfragt und reflektiert werden. Potenziale ° Lehrpraxiserfahrung erwünscht BEWERBUNG sind in den weiblichen Selbstbildern zu finden, die Selbstbe- ° Großes Engagement und persönlicher Einsatz den bildnerischen Ab sofort an die Direktion: Digitales Potenzial vs. digital-dissozial wusstsein repräsentieren, jedoch weder unterwürfig noch als Schwerpunkt der Schule sowie das Schulkonzept der Modellschule [email protected] Aus Digitalisierungsprozessen erwachsen viele Potenziale, so Opfer agieren, aber auch nicht das dominante, narzisstische mitzutragen Die offzielle Ausschreibung erfolgt im wurden durch #MeeToo ungleiche Machtverhältnisse und Männliche übernehmen. Als Frau ist es wichtig, zu sich zu Missbrauch in den Kulturbranchen sichtbar. Derartige Kam- stehen, keine falsche Bescheidenheit zu leben, die eigenen ° Teamfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit, Motivation und März über die Bildungsdirektion pagnen bieten jedoch keine Veränderungen für Normalbürge- Stärken zu kennen und auch ein klares Nein auszusprechen. Zuverlässigkeit Steiermark.

182 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 183 ELEKTRONISCHE TEXTILIEN ELEKTRONISCHE TEXTILIEN

Hannah Perner-Wilson, Irene Posch eTextile Tester Tools. Es kann doppelseitig kopiert und entlang Abb. 2 Jaquardwebstuhl der Strich-Linien gefaltet werden. Es ergibt so einen Folder, mit Lochkarten. Foto: der die Gestaltung des Armbands begleitet und die wichtigs- Rama, CC BY-SA 2.0 Elektronische Textilien als ten Einzelschritte visualisiert, sowie einen Überblick über lei- fr, https://commons. Material und Werkzeug tende textile Materialien beinhaltet. Der Artikel gibt kontex- wikimedia.org/w/index. tuelle Informationen zur Thematik elektronischer Textilien, zu php?curid=957310 deren Geschichte, deren Einsatz in Forschung, Entwicklung und künstlerischer Produktion, zu den verwendeten Materi- Welche Fasern leiten Strom? Wie schauen Fä- ten durch die neuartige Verbindung von Elekt- alien und weitere Informationen für vertiefende Tätigkeiten. den aus Metall aus? Welche Flächen können ronik und Textil die Möglichkeit, die Qualitäten als Sensoren verwendet werden? Elektroni- dieser Disziplinen neu zu denken – sowohl his- Textile Materialien, elektrische Funktionen sche Textilien, manchmal auch Smart Texti- torische als auch gegenwärtige Assoziationen, Elektronische Textilien (eTextiles) basieren auf elektrisch leit- les genannt, beschreiben die Integration von Konventionen, Einsatzgebiete, und Produk- fähigen Fasern, Fäden und Geweben, die in Kombination mit elektronischen Funktionalitäten in textiles tion(sbedingungen) zu diskutieren sowie auch textilen Techniken wie Nähen, Weben und Stricken eingesetzt Material. Dadurch lassen sich Sensoren und zu hinterfragen. werden können. Die meisten leitfähigen Textilmaterialien ba- Schaltkreise aus Textil herstellen. Diese kön- sieren auf der Mischung von Metallen für ihre leitenden Ei- nen weich und kleidsam sein. Sie können in Der folgende Artikel geht von der Umsetzung eines elektro- genschaften und anderen Fasern (natürlichen oder syntheti- Alltagsgegenstände verwebt werden und da- nisch-textilen Artefakts aus, eines eTextile Texter. Ein Handout schen), um ihre mechanischen Eigenschaften wie Flexibilität Abb. 1 durch neue Funktionen ausführen. Und sie bie- (Abb. 1) beschreibt die einzelnen Schritte zur Umsetzung des und Zugfestigkeit im Kontext textiler Anwendungen zu erhö- Abb. 3 Magnetkernspei- hen. Fäden mit einer hohen Leitfähigkeit können als Strom- cher. Foto: Konstantin oder Datenleiter eingesetzt werden. Fasern, Fäden oder Ge- Lanzet, CC BY-SA 3.0 htt- MEET THE MATERIALS S T RO M F L I E S S T ps://en.wikipedia.org/wiki/ Elektronische Textilien, eTextilien, sind auf die Existenz elek- Elektrischer Strom ist der Fluss von Elektronen von webe mit geringerer oder variabler Leitfähigkeit können so trisch leitfähiger Fasern, Fäden und Stoffe angewiesen, die einem Bereich mit hohem Potenzial zu einem Bereich verarbeitet werden, dass sich ihre Leitfähigkeit durch Außen- Magnetic-core_memory#/ in textilen Techniken wie Nähen, Weben und Stricken verar- mit niedrigem Potenzial. beitet werden können. Die meisten leitfähigen Textilmaterial- einwirkungen, zum Beispiel durch Druck, verändert und sie so media/File:KL_CoreMe- ien basieren auf der Mischung von Metallen und natürlichen WASSER ANALOGIE oder synthetischen Fasern. Metalle werden wegen ihrer Wenn wir Strom mit Wasser vergleichen, das als Sensoren eingesetzt werden können. mory.jpg leitenden Eigenschaften eingesetzt, andere Fasern wegen durch eine Leitung fließt, dann ist: Spannung = Wasserdruck Die Technik zur Herstellung von Metallfäden an sich ist ihrer mechanischen Eigenschaften wie Flexibilität und Zug- Strom = Wasserfluss festigkeit. Hier sind einige der gebräuchlichsten Arten von Widerstand = Ventil sehr alt. Bereits im Alten Testament wird der Einsatz von dün- eTextile Fasern, Fäden und Stoffe aufgeführt:

Widerstand (R): nen Metallbändern beschrieben, die in besonders wertvolles LEITFÄHIGE FASERN, FILAMENTE, Leiter sind nicht perfekt, 1 DRÄHTE & BESCHICHTUNGEN sie widerstehen dem Priestergewand eingewebt wurden. Der Einsatz von Metall- Stromfluss bis zu einem gewissen Grad - dieser Metall-Fasern: meist Stahl, da diese sehr stark sind Widerstand wird in eTEXTILE TESTER fäden aus Gold und Silber, später auch vergoldetes oder ver- und versponnen werden können. Ohm (Ω) gemessen. ARMBAND silbertes Kupfer, hat sich in den darauffolgenden Jahrhun- Metall-Filamente: sehr lange stränge die extrudiert derten weiter entwickelt. Edle (oder veredelte) Metallfäden werden (so wie Draht). Entdecke die Welt der elektronischen wurden dekorativ eingesetzt, um besonders prunkvolle Stück Dünn-gewalzte Metall-Filamente (Lahn) Textilien! Spannung (V): ist elektrischer herzustellen. Weltweit haben sich in unterschiedlichen Kultu- Metal-Partikel (meist Kupfer oder Silber): können Druck/Kraft/Potential Das eTextile Tester-Armband ist ein Werkzeug zum Testen auf nicht-leitende Materialien durch galvanische - und wird in der leitenden Eigenschaften von Materialien. Das Armband ren verschiedene Techniken herausgebildet. Im europäischen Eine kurze Geschichte elektronischer Textilien Beschichtung oder Plasmabeschichtung aufge- Vo l t ( V ) g e m e s s e n . selbst ist ein elektronisches Textil: ein Filzband in dem eine bracht werden. Strom (I): ist die Menge der Elektronen, die Kulturkreis hat sich das textile Arbeiten mit Metallfäden zu or- Historisch gab es immer wieder bedeutende Kreuzungspunkte einen bestimmten Punkt passieren - Schaltung eingenäht ist. Das Tragen und Benutzen dieses und wird in Ampere (A) gemessen. einfachen Werkzeugs wird zum Mittel, die Welt durch die LEITFÄHIGE FÄDEN & GARNE namentalen Zwecken vor allem in Klöstern und an Höfen ent- zwischen textilen und elektronischen bzw. digitalen Technolo- Augen der Elektrizität zu erleben. Welche leitfähigen Eigenschaften (die wir nicht mit dem 2 Stahl-Fäden: werden aus langen Stahlfasern wickelt, später auch als exquisites Handwerk im Bürgertum. gien. Der heutige Computer basiert auf den Weiterentwick- menschlichen Seh- und Tastsinn bestimmen können) haben gesponnen. Können auch aus einer Mischung DIE WELT ERKUNDEN mit anderen (nicht-leitenden) Fasern gespon- Hier kannst du gefundenen Materialien montieren und In- Materialien in unserer Wohnung, im Freien, im öffentlichen Neben Metallfäden, die auch heute noch für dekorative, lungen der Lochkarten, die erstmals für den Jaquardwebstuhl nen werden um den Widerstand zu erhöhen. formationen über diese in das eintragen. Je heller die LED, Raum, in gewöhnlichen Geschäften? sowie zunehmend auch für technische Zwecke hergestellt zu Beginn des 19. Jahrhunderts entwickelt wurden (Abb. 2); desto leitfähiger dein Material! Metallisierte / metallbeschichtete Fäden: Wenn die Enden des Armbandes ein leitendes Material werden, ist in den letzten Jahrzehnten ein Industriezweig ent- Magnetkernspeicher, die Speicherelemente früher Computer nicht-leitende Fäden können mit einer sehr Material:______berühren, leuchtet die integrierte LED auf und zeigt so die

dünnen Schicht Metall beschichtet werden. Datum: ______Leitfähigkeit an: je leitfähiger das Material, desto heller standen, der leitfähige Materialien für antistatische Zwecke in der Mitte des 20. Jahrhunderts, wurden von Hand gefertigt LED-Helligkeit: leuchtet die LED. Metallumwickelte Fäden: nicht-leitende Fäden bzw. für die Anwendung zum Schutz vor elektromagnetischer und erinnern an Perlenweberei (Abb. 3). können mit einem dünn-gewalztem Metall Irene Posch & umwickelt werden. Diese werden oft zu deko- Material:______Hannah Perner-Wilson , 2020 Strahlung herstellt. Die spezifische Forschung und Entwick- Während textiles Handwerk zu den ältesten Kulturtechni- rativen Zwecken hergestellt. Datum: ______lung von Materialien und die Produktion zur Herstellung wei- ken der Menschheit zählt, basiert das Verständnis von Elekt- LEITFÄHIGE STOFFE LED-Helligkeit: können aus leitenden Fäden gewebt/gestrickt, oder cher, bzw. flexibler Schaltungen und Sensoren ist hingegen rizität vor allem auf Experimenten aus dem 18. Jahrhundert. Material:______aus leitenden Fasern gefilzt werden. Wie bei metall- 3 beschichteten Fäden, können auch nicht-leitende Datum: ______relativ neu. Im Handout sind spezifische Eigenschaften von Digitale Technologien, die erst im letzten Drittel des 20. Jahr- Stoffe (gewebt, gestrickt, gefilzt) mit einer sehr dün- LED-Helligkeit: dies ist ein Open-Source-Design Metallfasern, -fäden und -geweben schematisch dargestellt hundert massentauglich wurden, sind noch jünger. Bereits nen Schicht Metall beschichtet werden. bitte (Foto)kopieren und weitergeben! und deren spezifische Eigenschaften beschrieben. in den frühen Jahren der Elektrifizierung gegen Ende des 19.

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Abb. 4 Reichel Freire, operation einer Designfirma mit der Stickereiindustrie, bei

Second Skin, 2017. Foto: dem die Helligkeit der eingestickten LEDs auf den CO2-Gehalt Allan Amato, Model: Alicia in der Luft reagiert (Diffus & Foster Rohner, 2009).11 Rachel Witt Freire hat mit Second Skin eine textile Plattform für die Verar- beitung von Daten-Signalen am Körper geschaffen (Abb. 4).12 In den Bereichen Gesundheit und Sport sind die Beispie- le besonders anwendungsorientiert. Die Eigenschaften von Textil, unter anderem mit direktem Körperkontakt, werden mit elektronischer Sensorik verknüpft. Produkte aus dem Ge- sundheitsbereich sind zum Beispiel Betteinlagen, die Nässe und Druck feststellen können, um dadurch besser auf die Be- dürfnisse bettlägeriger Personen reagieren zu können.13 Auch Schuhsohlen können als Sensoren fungieren und so zum Bei- spiel Ärzt*innen und Physiotheropeut*innen wertvolle In- formationen zum Gehverhalten übermitteln.14 In Österreich macht sich vor allem die smart-textiles-Plattform-Austria für diese Anwendungen stark und versucht, die (lokale) textile Industrie, Forschung und Anwendung miteinander zu verknüp- fen.

Jahrhunderts kannte man einzelne Beispiele für die Integra- tion elektronischer Schaltungen in Stoffe.4 Aber erst 100 Jah- Lautsprecher fertigen (Abb. 7).18 Irene Posch und Ebru Kurbak Auch ein Schalter ist ein Sensor – ein Detektor dafür, ob Abb. 6 Afroditi Psarra, re später, Mitte der 1990er-Jahre haben Forscher*innen in wiederum haben 2018 aus historischem Goldfadenmaterial ein Stromkreis geschlossen ist oder nicht. Auch der eTextile Lilytronica 2012. Foto: den USA begonnen, die Integration von elektronischen Eigen- und Magnetperlen einen funktionierenden Computer gestickt Tester beinhaltet einen Schalter: berührt man mit beiden En- Afroditi Psarra Abb. 5 KOBAKANT (Hannah schaften ins Textile strukturiert zu erforschen. Bekannt sind (Abb. 8).19 den ein leitendes Material, wird der Stromkreis geschlossen, Abb. 7 EJTECH, Draping Perner-Wilson und Mika das Projekt Wearable Motherboard der Georgia University of und die LED leuchtet. Berührt man aber ein Material, das we- Sound, 2019. Ausstellung Satomi), Massage Me, Technology, ein Hemd mit eingewebter Sensorik5, sowie Mag- eTextile Sensoren und Aktuatoren niger leitend ist, kann weniger Strom fließen, und die LED wird Textile Techniken, Galerie 2007. Foto: Kobakant gie Orth und Rehmi Post am MIT, Massachusetts Institute of in Handarbeit weniger hell leuchten – die Leitfähigkeit des Materials, das Hollenstein, Lustenau. Foto: Technology, die mit der Integration von Schaltkreisen in Texti- Seit 2009 veröffentlicht das Kollektiv KOBAKANT auf seiner berührt wird, wird so für uns erfahrbar. Miro Kuzmanovic les und textiler Sensorik experimentiert haben.6 Seither haben Vor allem Beispiele aus den Bereichen Kunst und Design zei- Website How to get what you want detaillierte Anleitungen, Das Gegenstück zu Sensoren sind Aktuatoren (oder Akto- Abb. 8 Irene Posch und sich zahlreiche Forschungs-, Entwicklungs- und Kunstprojek- gen, wie weit man die Verschränkung von Textil und Elekt- wie textiles Handwerk eingesetzt werden kann, um durch die ren), sie wandeln ein elektrisches Signal in veränderbare phy- Ebru Kurbak, The Embro- te dem Experiment im Bereich elektronischer Textilien gewid- ronik denken kann. Maggie Orth hat, als eine der ersten mit Kombination von leitenden Materialien und speziellen Mus- sikalische Größen wie z.B. Wärme, Bewegung, Licht, … um. idered Computer, 2018. met. 2007 hat Leah Buechley mit dem Arduino Lilypad als ers- elektronischen Textilien arbeitenden Künstlerinnen, 2003 un- tern spezifische elektronische Eigenschaften zu realisieren. Im Beispiel des eTextile Testers leuchtet die LED auf, wenn Foto: Irene Posch te eine Platine und elektronische Komponenten auf den Markt ter anderem damit experimentiert, die Farben von Textilien Diese umfassen unter anderem Sensoren und Aktuatoren Strom fließt, die Helligkeit ist abhängig davon, wieviel Strom gebracht, die spezifisch für die Integration ins Textile designt elektronisch zu steuern.15 KOBAKANT, bestehend aus Han- (Abb. 9). Ein Sensor ist ein elektrisches Bauteil, das die Ver- fließen kann. Beispiele für Aktuatoren, die auch mit textilen wurden.7 Ihre Forschung war Ausgangspunkt für eine ganze nah Perner-Wilson und Mika Satomi, haben 2007 mit Massa- änderung physikalischer oder chemischer Eigenschaften in Techniken hergestellt werden können, sind elektromagneti- Reihe an Entwicklungen, wie elektronische Textilien, das Wis- ge-Me einen tragbaren Game-Controller entwickelt: Über die Strom umwandelt. Textile Sensoren können unter anderem sche Aktuatoren, die Strom in Magnetfelder umwandeln, um sen um Elektronik, elektronische Gestaltung, Programmierung in der Weste integrierten Drucksensoren kann ein Videospiel Druck oder Zug erkennen, wenn sich dadurch der Widerstand so Bewegung oder Vibrationen zu erzeugen, wie z.B. ein ge- und textiles Arbeiten in die (schulische) Vermittlungsarbeit gespielt werden, und der Trägerin der Weste wird dabei der in ihrem Material ändert – wenn z.B. die Metallfasern in einer stickter Lautsprecher, bei dem die Spule in textil gewebt, ge- mit Kindern und Jugendlichen integriert werden kann.8 Rücken massiert16 (Abb. 5). Wolle näher zusammengedrückt werden. Äquivalent können stickt oder genäht werden kann. Die oben erwähnten Arbei- Modelabels haben nun ganze Kleider aus LEDs erstellt Afroditi Psarra arbeitet spezifisch an der Verschränkung andere Einwirkungen von außen gemessen werden, wenn ten von EJTECH zeigen eindrucksvoll, welche Effekte damit (Cute Circuit, 2009)9 und Abendkleider mit LEDs auf den von Sound und Textil, unter anderem in der Gestaltung von diese zu einem geänderten elektrischen Widerstand im Ma- erreicht werden können. Eine weitere Möglichkeit sind ge- Haute-Couture-Laufsteg gebracht (Akris & Foster Rohner, textilen Antennen oder textilen Synthesizern (Abb. 6).17 Sie terial führen. Die oben erwähnten Produktbeispiele aus der stickte Spulen, die zum Beispiel im Zusammenspiel mit ma- 2014).10 Andere wiederum nutzen die neuartige Verschrän- setzt Sensoren in Textil um und diese dann in Performances Gesundheitsindustrie, sowie auch die vorgestellten Arbeiten gnetischen Perlen Display-Elemente ergeben oder Bewegung kung von Textil und Elektronik, um die Aufmerksamkeit auf ein. EJTECH arbeiten ebenfalls experimentell mit Sound und von KOBAKANT und Afroditi Psarra sind Beispiele für den Ein- erzeugen können. Der oben erwähnte gestickte Computer spezifische Themen zu lenken: The Climate Dress ist eine Ko- Stoff, indem sie Stoffe als Soundkörper einsetzen und textile satz textiler Sensoren. nutzt diese Effekte.20 Ein weiteres Beispiel sind thermoche-

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Abb. 9 Beispiele textiler können gestalterischer, konzeptioneller, technischer Natur 5 C. Gopalsamy, S. Park, R. Rajamanickam, and S. Jayaraman. 1999. Sensoren. Foto: Hannah sein: Welche Form wäre für den Tester besser/schöner/ad- The Wearable Motherboard: The first generation of adaptive and re- Perner-Wilson äquater? Welche anderen Interventionen könnte ich mit elek- sponsive textile structures (ARTS) for medical applications. Virtual- tronischen Textilien umsetzen? Reality 4, 3 (Sept. 1999), 152–168. Um das eigenständige Arbeiten zu unterstützen, haben 6 E. R. Post and M. Orth. 1997. Smart fabric, or „wearable clothing“. In wir folgende Produzenten, Lieferanten und Lernunterlagen zu- Digest of Papers. First International Symposium on Wearable Compu- sammengestellt: ters, 167–168. Produzenten und Lieferanten: 7 Leah Buechley and Mike. Eisenberg. 2008. The LilyPad Arduino: To- u Exp-tech.de (Elektronik, eTextile Komponenten) ward Wearable Engineering for Everyone. IEEE Pervasive Computing u Semag.at (Elektronik Komponenten) 7, 2 (April 2008), 12–15. u Conrad.at (Elektronik Komponenten) 8 Irene Posch, Liza Stark, and Geraldine Fitzpatrick. 2019. eTextiles: Re- u Karl-Grimm.com (leitende Fäden, ab 1 kg) viewing a Practice through its Tool/Kits. In Proceedings of the 23rd u Bekaert.com (leitende Stahlfasern und -fäden, ab 1 bzw. 5 kg) International Symposium on Wearable Computers(ISWC ’19). ACM, u Statex.de (leitende Stoffe und Fäden) New York, NY, USA, 195–205. u Mmaurer.at (Materialien der Goldstickerei in Kleinmengen) 9 Cute Circuit, Galaxy Dress, 2009. Online unter: https://cutecircuit. u ehajo.de/ewear/ (nähbare LEDs, leitender Faden in Klein- com/the-galaxy-dress/ menge) 10 Akris in Kollaboration mit Foster Rohner, LED dress, 2014. Onliner un- u div. Händler: Spezialgarne, Materialien, Perlen, Textilzube- ter: https://fashioningtech.com/2014/03/04/akris-rtw-fall-2014-col- hör lection-incorporates-embroidered-led-lights/ 11 Diffus in Kollaboration mit Foster Rohner, Climate Dress, 2009. On- Irene Posch ist Künstlerin Weiterführende Unterlagen line unter: https://www.naestved-museum.dk/da/node/4/pimp-your- Hannah Perner-Wilson und Forscherin. Ihre Anna Blumenkranz (2017) Wearables für Maker: Experimen- ride/content/climate-dress kombiniert leitfähige Ma- Arbeiten thematisieren tieren, nähen, gestalten. Franzis Verlag. 12 Rachel Freire, Second Skin, 2017. Online unter: https://www.rachel- terialien und handwerk- die wechselseitigen (eng) Kate Hartman (2014) Make: Wearable Electronics: De- freire.com/second-skin liche Techniken, um neue Bedingungen technischer sign, prototype, and wear your own interactive garments. 13 zB. Texible Pflegeunterstützung. Online unter: https://www.texible. Stile der Bauelektronik zu Entwicklungen und O’Reilly & Associates. at/ entwickeln, die Materiali- künstlerischer wie auch mische Pigmente, die bei bestimmten Temperaturen die Far- auf und gibt so einen Hinweis auf die Leitfähigkeit des ge- (eng) Leah Buechley, Kanjun Qiu, Sonja de Boer (2013): Sew 14 zB. Stapp One Mobility 365. Online unter: https://stappone.com/ tät und Prozess betonen. handwerklicher Produkti- be wechseln. Diese Pigmente können auf Fasern, Fäden oder testeten Materials. Leuchtet die LED nicht, ist der Stromkreis Electric. HLT Press. 15 Maggie Orth, z.B. Big Dot, 2003. Online unter: http://www.mag- Sie erstellt funktionieren- on. Sie zielen darauf ab, Flächen angebracht werden, der Farbwechsel kann wiederum nicht geschlossen – ein Hinweis darauf, dass das getestete Verena Kuni (2013) Häkeln + Stricken für Geeks. O‘Reilly Ver- gieorth.com/art_BigDot.html weitere Arbeiten unter: http://www. de Prototypen, um die soziale, kulturelle, techno- über Hitze, die im Stromkreislauf entstehen kann, herbeige- Material nicht elektrisch leitend ist. lag GmbH & Co maggieorth.com/ Art von elektronischen logische und ästhetische führt werden, wie in den oben erwähnten Arbeiten von Mag- Das Herstellen eines Werkzeuges selbst kann auch als er- (eng) Kobakant, How to get what you want: kobakant.at/DIY/ 16 Kobakant, Massage Me, 2007. Online unter: https://www.kobakant. Artefakten zu demonstrie- Wechselwirkungen zu gie Orth. mächtigende Erfahrung verstanden werden und ein lohnen- (eng) Lara Grant, Instructables: https://www.instructables. at/massage-me/?menu=2 weitere Arbeiten unter: kobakant.at ren, die wir für uns selbst hinterfragen. Seit 2018 der Einstieg in ein neues Feld sein. Man lernt Grundprinzipien com/class/Wearable-Electronics-Class/ 17 Afroditi Psarra, z.B. Lilitronica, 2012. Online unter: http://afroditipsar- in einer Welt der elek- ist sie Professorin an der eTextile Tester Armband: Ein Werkzeug, die der Elektronik, der Stromkreisgestaltung, des Ohm’schen Ge- (eng) Sparkfun: learn.sparkfun.com/tutorials/tags/e-textiles ra.com/index.php?/on-going/lily/ weitere Arbeiten unter: afroditipsar- tronischen Vielfalt bauen Universität für Kunst und Welt elektronischer Textilien zu entdecken setzes kennen und den Umgang mit textilen Materialien, die (eng) Fabricademy: class.textile-academy.org/classes/ und ra.com könnten. Ein bedeutender Gestaltung Linz. Das eTextile Tester-Armband ist ein Werkzeug, um leiten- sich für den elektronischen Einsatz eignen. Das Resultat hat wiki.textile-academy.org/fabricademy2017 18 EJTECH Studio, z.B. Draping Sounds, 2019. Online unter: http://ej- Teil ihrer Arbeit besteht de Eigenschaften von Materialien zu testen. Das Werkzeug direkte Relevanz für das weitere Arbeiten im Bereich elektro- (eng) Wearic: wearic.com/learn/ tech.cc/?page_id=2251 weitere Arbeiten unter: ejtech.cc darin, diese Techniken ist dabei selbst ein elektronisches Textil, ein Filzarmband, in nischer Textilien. werken.ufg.at 19 Irene Posch und Ebru Kurbak, The Embroidered Computer, 2018. On- zu dokumentieren und das ein Schaltkreis eingenäht ist. Die Integration in das Arm- line unter: http://www.ireneposch.net/the-embroidered-computer/ zu verbreiten, damit sie band ermöglicht, es überall hin mitzunehmen. Derart immer Was noch? Was jetzt? Eigenständiges 1 Das Buch Exodus, Kapitel 39 Die Anfertigung der Priestergewänder 20 Irene Posch and Ebru Kurbak. 2016. CRAFTED LOGIC Towards von anderen angewendet bei der Hand können Materialien – nicht nur textile – auf ihre Arbeiten mit Elektronischen Textilien 2 Sophie Fürnkranz, 2005. Metallstickerei im Außereuropäischen Hand-Crafting a Computer. In Proceedings of the 2016 CHI Confe- werden können. elektrische Leitfähigkeit getestet werden. Das Band wird zu Wenn das Interesse geweckt ist, kann die Arbeit an dem Tes- Raum: Beispiele aus der Sammlung des Weltmuseums Wien. In W. rence Ex-tended Abstracts on Human Factors in Computing Systems einer Linse, die Welt mit anderen Augen zu sehen: Welche ter-Armband der Start für das eigenständige Arbeiten wer- Seipel (Ed.): Technologische Studien, Kunsthistorisches Museum: (CHI EA’16). ACM, New York, NY, USA, 3881–3884. leitenden Eigenschaften (Eigenschaften, die wir mit mensch- den: Grundlegende Prinzipien eines einfachen Stromkreises Konservierung – Restaurierung – Forschung – Technologie. Band 2. lichen Sinnen, Seh- und Tastsinn, nicht hinreichend feststellen wurden bereits umgesetzt, die ersten Schritte im Arbeiten Wien: KHM-Museumsverband. können) haben die Materialien in unserer Umgebung, in der mit dem Material erlernt. Zudem hat man nun ein Werkzeug, 3 Zusätzlich zur Produktion von Garnen mit spezifischer Leitfähigkeit Natur, im Kunstbedarfsgeschäft, am Designmarkt, in meiner mit dem weitere leitende und dadurch potentiell zu elektroni- oder Widerstand wird zunehmend an Garnen geforscht, die elektroni- Wohnung? Wird mit dem Armband das Material berührt und schen Schaltkreisen, Sensoren oder Aktuatoren verarbeitba- sche Komponenten oder auch ganze Schaltkreise integrieren. so der Stromkreis geschlossen, leuchtet die integrierte LED re Materialien erkannt werden können. Die nächsten Schritte 4 Alfred Stromberg, 1892. Burglar Alarm. US Patent.

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nen von Mandalas nachgewiesenermaßen eine ausgleichen- de Wirkung auf Geist und Psyche und bedient damit vermut- lich ein Bedürfnis des Menschen. Kein Wunder also, dass frühe Strickstücke ebenfalls Mus- terungen aufweisen wie beispielsweise diese Socken aus Nord Afrika/Ägypten, 1100–1300 (n.Ch.). Die Ornamente weisen Ähnlichkeiten mit Mustern aus islamischen Kerami- ken auf. (Abb. 2) Um die Entwicklung, den Zusammenhang und die Ver- wandtschaft des Textilen mit dem Digitalen zu veranschau- lichen, nachfolgend ein kleiner Exkurs über zwei der wichtigs- ten konstruktiven Textiltechniken und eine Gegenüberstellung von Weberei und Strickerei: Abb. 1 Quipu in the Museo Die Weberei ist eine der ältesten Techniken (frühe Be- Machu Picchu, Casa lege stammen aus dem 7. vorchristliche Jahrtausend), der Concha, Cusco Mensch erfand sehr früh ein Gerät, eine Maschine zur Stoff- https://commons. erzeugung, den Handwebstuhl. wikimedia.org/wiki/ Die Strickerei als Handarbeit (bis heute mehr oder weniger File:Quipo_in_the_Museo_ unverändert mit 2 bzw. 5 Nadeln) hat sich weitaus später ent- Machu_Picchu,_Casa_ wickelt. Sie ist vermutlich aus dem arabischen Raum nach Eu- Concha,_Cusco.jpg Veronika Persché ropa gekommen. Die Strickmaschine erfand William Lee Ende des 16. Jahrunderts. Interessant dabei: die Maschine hat im Handcrafting the Digital

rechts: Handarbeit war nie ein Widerspruch zu digita- von ca. vier Jahren habe ich mit dem Textilhandwerk be- Abb. 2 Ägyptische Socke, ler Produktionsweise, ich würde eher sagen: gonnen und spielerisch ebendiese Fähigkeiten geschult. Das Fragment beides geht Hand in Hand. Analoges und digi- meiste Wissen habe ich erworben, indem ich Dinge mit mei- http://collections.vam. tales Arbeiten geht Synergien ein. nen eigenen Händen machte, also ein Begreifen im wörtlichen ac.uk/item/O128882/sock- Sinn. Gleiches galt später auch für die Arbeit mit Strickma- unknown/ Es ist kein Zufall, dass der Begriff digital etymologisch auf die schinen. Lernen, wie die Maschine funktioniert: durch Mani- 10 Finger der Hand zurückgeht. Das lateinische Wort digitus pulieren, Berühren, Fühlen (manchmal schmerzhaft), mit ei- bedeutet Finger oder Zehe. Der numerische Sinn des Wortes genen Händen und durch das Beobachten mit den eigenen Abb. 3 händisch, Detail, digit besteht darin, dass Ziffern unter 10 an den Fingern ge- Augen. Dies führt zu einem besonderen Wissen, einem spe- Veronika Persché, Trikogra- zählt werden können. Als Kinder benutzen wir ganz selbstver- ziellen (Körper-)gedächtnis. fie 2018, ständlich die Finger, um Zählen und Rechnen zu lernen. Für mich ist die Strickmaschine ein Werkzeug zur Gestal- Breite 86 cm, Höhe 252 In unserem kulturellen Erbe sind darüber zahlreiche Belege tung von Textilien. Analog zum Instrument eines Musikers Gegensatz zum Handstricken statt zwei Nadeln viele in einer cm, Technik: Jacquardge- zu finden. Aus der Kultur der Inkas sind zum Beispiel interes- stellen Werkzeuge die Erweiterung der Hände oder Finger ei- Reihe angeordnet. Jede Nadel erzeugt eine Masche. strick, Applikation, bestickt. sante Artefakte erhalten, die das Zählverfahren der Knoten- nes Handwerkers dar. So könnte man auch sagen, dass die Die Gemeinsamkeit von Weben und Stricken ist das Vor- Material: Merino, Baum- schnüre, genannt Quipu, belegen. (Abb. 1) Maschine (mit ihren Hunderten von Nadeln) eine Erweiterung handensein von horizontalen- und vertikalen Elementen: Ket- wolle, Viskose, Polyacryl Spielen und Arbeiten mit Fäden (Verknoten und Verschlin- meiner Hände mit vielen Fingern ist. te und Schuss, Reihe und Maschenstäbchen. Dadurch lassen Foto: Markus Guschel- gen, Fadenkreuze bilden etc.) führen zu Abstraktion. Arbeiten sich bei beiden Techniken Rasterungen anwenden. Das ver- bauer, Schallaburg mit Fäden erzeugt Komplexität und ermöglicht einen struktu- Das Bedürfnis nach Mustern, die Freude am einfacht die Mechanisierung und Automatisierung und er- Kulturbetriebsges.m.b.H. rierenden Umgang damit. Es macht komplexe Strukturen ver- Ornament möglicht erst ein digitales Mustern. ständlich und begreifbar. Ein weiteres Element, das sich im Textilen anbietet, ist das Ich kann das aus eigener Erfahrung bestätigen. Während Muster. Die Lust am Ornament und das Muster-Zeichnen ma- Zählen, Rechnen und das Prinzip von 0 und 1 meiner Kindheit habe ich all dies erfahren können: Im Alter chen Freude und sind meditativ. Zum Beispiel hat das Zeich- Im Textilhandwerk ist Zählen und Rechnen äußerst wich-

190 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 191 DIGITALES STRICKEN KRITIK ZUR MEDIENNUTZUNG

tig. Speziell bei der Mustersteuerung muss exakt bestimmt Die CNC Strickmaschine – von der Franziska Pirstinger werden, welcher Kettfaden (bei der Weberei) oder welche hausfraulichen Heimarbeit zur Vermittlung Nadel (bei der Strickmaschine) welche Farbe bekommen digital-analoger Gestaltungskompetenz soll. So wird die Musterung mechanisiert. Glücklicherweise wurden seit der Mitte des 20. Jahrhunderts. „Mama, ich erschaffe dir eine neue Welt“ Joseph-Marie Jacquard entwickelte Anfang des 19. Jahr- auch kleinere Maschinen für die Heimarbeit und später fürs Beobachtungen zum Mediennutzungsverhalten und hunderts die erste vollautomatische Mustersteuerung von Hobby hergestellt. Diese Maschinen sind mit Musterungs- Webmaschinen, Kettfäden werden mittels einer Lochkarte automatik ausgestattet, z.B. mit Lochkarten oder Elektronik. zur Kinderzeichnung der 6- bis 12-Jährigen. mustergemäß ausgewählt. Er setzte damit eine geradezu re- Dabei werden je nach Muster einzelne Nadeln vorgewählt, volutionäre Entwicklung in Gang. Zuvor mussten die Fäden welche z.B. die zweite Farbe stricken. von oben händisch angesteuert werden, wegen Platzmangel Eine CNC Strickmaschine eignet sich ideal zum Umset- Veronika Persché, geb. wurden dabei oft Kinder eingesetzt. zen digitaler Entwürfe. Die Teilnehmer*innen an meinen 1976, entwirft und Jacquard erfand die Lochkarten, auf denen Muster erst- Kursen oder interaktiven Vermittlungsformaten sind aufge- Abb. 1 Lorenz am Tablet produziert in ihrem Wiener mals abgespeichert werden konnten. Dieser Datenträger funk- fordert, am PC oder auf gerastertem Papier einen zweifarbi- Atelier Stoffe für heimische tioniert nach dem digitalen Prinzip 0 und 1 – Loch oder kein gen digitalen Musterentwurf zu erstellen und anschließend und internationale Kreative. Loch. Darauf bauen auch Rechenmaschinen und Computer auf. selbst an der Maschine ihr Design als Strickstück zu pro- Die von der Textilkünstlerin Charles Babbage entwickelte daraus die Analytische Ma- duzieren. Auf spielerische Art und Weise wird so die Funk- entwickelten Trikografien schine. Ada Lovelace wiederum erkannte darin das Potential, tionsweise einer Strickmaschine vermittelt. So werden so- und gestrickten Unikate damit nicht nur numerische Berechnungen anstellen zu können, wohl die digitale Gestaltung als auch die maschinelle Um- werden bei nationalen und sondern auch Buchstaben zu kombinieren und Musik zu kom- setzung und das Materielle (in Form von textilen Fäden) internationalen Ausstel- ponieren. Sie gilt damit als erste Programmiererin. Ohne die- gleichzeitig vermittelt. lungen gezeigt. Sie hält se Pioniere wäre unsere heutige digitale Welt nicht vorstellbar. Ich beschäftige mich seit mehr als 15 Jahren mit der regelmäßig Vorträge und Dasselbe Prinzip wird auch beim Mustern von Gestricken textilen Technik der Strickerei. In meiner künstlerischen Ar- Seminare an Universitäten angewendet. Bei der Stricktechnologie muss immer darauf beit verbindet sich digitale Kunst mit Textilhandwerk. Für und in Kulturvereinen. Sie geachtet werden, wie viele Nadeln zur Verfügung stehen und elaborierte, kunstvolle Gestricke ist die Verwendung von ist Mitglied beim European benötigt werden. Außerdem müssen sich die Nadeln in der Computer-Aided-Design-Software ein logischer Schritt, um Textile Network. richtigen Reihenfolge bewegen, abhängig von der verwende- immer noch komplexere textile Konstruktionen zu gestal- www.persche.com ten Strickmethode. ten. (Abb. 3)

Lorenz bewegt seine Finger blitzschnell über Es handelt sich um eine Art digitalisiertes Legospiel, in das Tablett, unaufhörlich und gänzlich versun- dem man mit würfelförmigen Blöcken eine 3D-Welt bauen ken hämmert er auf das Medium ein. Schon kann. In Abenteuer-, Kreativ-, Zuschauer-, Überlebens- und zum dritten Mal kommt meine Aufforderung, Hardcoremodi kann der Spieler aus der EGO-Perspektive das Spiel zu beenden. „Mama, soll ich dir auch selbst- und fremdgeschaffene Welten in unterschiedlichen eine neue Welt erschaffen?“ ruft er motiviert. Schwierigkeitsstufen erkunden, Ressourcen sammeln, gegen Ich zucke zusammen, halte den Atem an. Eine Monster kämpfen und die Blöcke zu anderen Gegenständen neue Welt? Ist ihm die, auf der wir wohnen, weiterverarbeiten. Die Minecraft-Spielwelt wird prozedural nicht gut genug? Ist ihm nicht bewusst, dass generiert und ist praktisch unendlich groß. wir nur eine Welt haben? Oder fühlt er sich gar Das Spiel an sich erscheint faszinierend und harmlos. Be- Gott ähnlich – als Schöpfer von Welten? unruhigend werden jedoch die langen Präsenzzeiten am Tab- let, Computer oder Handy, sowie die nachfolgend beschriebe- Lorenz (10 Jahre) spielt, wie alle seine Schulkollegen das von nen Nebenwirkungen. Notch Persson 2009 entwickelte Open-World Spiel, das 2014 „Die Kinder sind ganz kirre, wenn Sie online waren…“, von Microsoft gekauft wurde und ständig weiterentwickelt stöhnt eine Mutter. Die Auseinandersetzung und der Umgang wird. Über 176 Millionen Mal verkauft, ist es das meistver- mit dem Internet gilt definitiv als herausforderndstes Erzie- kaufte Spiel weltweit. (Abb. 1) hungsthema für Eltern und Lehrer/innen unserer Zeit.

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Die neue, digitalisierte Welt und zentration gerissen. Wischen führt zu oberflächlichem Den- ihre Verhaltensweisen ken, Störungen wie Piepsen, Werbeeinschaltungen, Updates, Das Internet hat sich heute unlösbar in den Alltag und die Kom- Systemzusammenbruch bis hin zur Kinderpornographie und munikationsformen von Menschen aller Kulturen und Generatio- Gewalt sind die Folge. Technostress bedingt durch Reizüber- nen eingegraben, online und offline sind kaum mehr zu trennen. flutung und Lärm führt zu ausuferndem Stress, erhöhten Cor- Man sitzt zwar gemeinsam am Familientisch oder im Café, tisolwerten – diese wiederum zu Schlafstörungen. schaut sich aber nicht mehr in die Augen, sondern richtet Passivität vor Bildschirmen löst nachweislich Aufmerk- seinen Blick auf das Smartphone, um den Freunden zu twit- samkeitsstörungen aus. Manfred Spitzer (2012, S.249) be- tern oder zu posten, wie toll das Essen gerade eben ist. Men- schreibt, wie mit Handy- und Computerspielen Aufmerksam- schen, die unmittelbar neben uns sind, wenden sich zugleich keitsstörungen regelrecht eingeübt werden. Unübersehbare etwas anderem zu. Selbst bei wissenschaftlichen Vorträgen Folgen exzessiven Internetkonsums sind aber auch Neben- oder im Parlament scheint es üblich geworden zu sein, neben erscheinungen wie Kurzsichtigkeit, Office Eye Syndrom, Hal- dem Zuhören am eigenen Handy oder Tablet zu arbeiten. Die tungsschäden, Bewegungsmangel, Fettleibigkeit, soziale Iso- Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen Kinder- und lation u.v.a. Erwachsenenwelt, zwischen „Goes und No-Goes“ verflie- Digitale Permanenz ist das neue Phänomen der neuen ßen und werden immer weniger definiert. Für Kinder sind die Welt. Das menschliche Gehirn und erst recht die im Wachs- Grenzen nicht klar ersichtlich. Urteilskraft und Kritikfähigkeit tum befindlichen Gehirne der Kinder sind dafür nicht ausge- sind noch nicht ausgebildet. Wir Eltern und Pädagogen sind richtet. Für Eltern und Lehrer gilt: Wir müssen das Gefühl für aufgefordert, Grenzen zu setzen und vorzuleben! die richtige Dosis erst erlernen. Wir müssen Spielregeln fest- Früher stand der gesenkte Blick dafür, sich für etwas zu legen: Es braucht Rituale, um dem Gehirn klar zu machen, ich schämen, heute wird er Symbol einer gänzlich unterworfenen bin nicht verfügbar. Gesellschaft. Fröhliches Kinderlachen auf öffentlichen Plät- zen ist verstummt. Stattdessen sitzen Kinder mit gesenktem Kinder haben Entzugserscheinungen, wenn Blick und verkabelt stundenlang still, meist allein im eigenen Handy oder Tablets nicht da sind Zimmer und starren gebannt auf Displays. Die Gesichter sind Für Kinder sind Handy oder Tablets in erster Linie Prestige- finster und ernst. Das Smartphone als Tagesbegleiter, durch- objekte (häufige gezeichnete Motive in der freien Zeichnung) schnittlich alle 13 Minuten (84x täglich) entsperrt, leitet durch sowie Spielzeuge. Die Attraktivität eines digitalen Tools wird den Tag und durch die Welt. SMOMBY nennt man den neuen zunächst als Doping verwendet, indem es einerseits leicht Menschentyp, der während des Gehens, Autofahrens und Zu- verfügbar gemacht wird (gratis, Testversion) und eine Verbes- hörens bei Besprechungen auf dem Smartphone tippt – und serung versprochen wird (z.B. Vereinfachung, Leistungsstei- sich dabei oft in große Unfallgefahr begibt. „Man spürt sie gerung). Manfred Spitzer warnt: „Beim Handy-wischen sind nicht“, meint eine Mama erleichtert. In Wirklichkeit stehen dieselben Hirnareale aktiv, wie bei einem Süchtigen, dem die Kinder unter Stress, weil zu viele Optionen, die erledigt man die Spritze wegnimmt“ (2012). Glücksgefühle (Endor- werden wollen, gleichzeitig auf sie einprasseln. phinausschüttung) stellen sich ein, indem es – bedingt durch einprogrammierte Zufallsgeneratoren – geschafft wird, einen Aufmerksamkeitsdefizite bei Kindern Feind abzuschießen, ein interessantes Foto, eine Meldung, ei- und Erwachsenen nen neuen Freund oder gar ein Schnäppchen zu finden. von Zeichnungen 6- bis 12-Jähriger Kinder, zeigen sich Häu- mer on – immer da und zugleich wo anders sind, prägen die Abb. 2a, b, c Buben Durch Geräusche und Signalfarben fordert einen das Handy Im Kindes- und Jugendalter werden bestimmte Verhal- fungen flüchtiger, strichmännchenartiger Zeichnungen von Erfahrungswelt der Kinder. „Ich muss die ganze Arbeit allei- skizzieren vor allem hastig ständig auf, sich mit ihm zu beschäftigen. Neugierde motiviert tensweisen eingeübt und gelernt. Wenn Aufstehen und Han- Kämpfen aus Computerspielen oder sehr stereotypen Figuren ne machen, während du immer am Computer sitzen kannst“, und schnell Spielverläufe uns, zum Handy zu greifen: Jeder will das neueste Posting dy an oder Computerspielen vor dem Einschlafen ritualisiert aus dem Internet. (Abb. 2 und 3) beschwert sich Elena (9 Jahre), weil sie den Geschirrspüler aus Computerspielen als erster gesehen haben. Die Erwachsenengeneration glaubt wird, kann man sich später nicht nur schwer von dieser Ge- Wir alle sind heute Künstler, die an am eigenen Bildnis ausräumen soll. Die Arbeit am Computer wird von Kindern Abb. 3 Mädchen zeichnen immer online, immer erreichbar sein zu müssen, letztlich aus wohnheit trennen, sondern vermindert auch Selbstkontrolle arbeiten und ständig neue Versionen von Selfies in die Welt nicht als solche wahrgenommen. Für Face-to-Face-Gesprä- eher stereotype Figuren Angst, etwas zu verpassen. FOMO (The Fear of Missing Out) und fördert stoffliches Suchtverhalten. posten. Die Produktion mehrerer Selfies pro Tag ist für Kinder che bleibt kaum Zeit. Kinder suchen also die Antworten auf von Vorlagen, die sie dann bezeichnet die Angst, etwas zu versäumen. Ankommende Längst ist der Zusammenhang zwischen Computerspie- üblich. (Abb. 4 und 5) ihre Fragen im Internet. Influencer spielen bei der Identitäts- sorgfältig bemalen bzw. Nachrichten, etwa What´s App-Nachrichten von Schulkol- len/Spielkonsolen und schlechten Schulleistungen wissen- findung eine enorme Rolle. zeichnen ihre Youtuber legen, werden als subjektiv wichtig empfunden, auch wenn schaftlich erwiesen. Kinder verbringen mindestens 30% we- Rolemodels – Identifikationsfiguren – Der US-amerikanischer Musikproduzent Marshmello Idole man anderweitig beschäftigt ist. Dauernd ist die Versuchung niger Zeit mit Lesen und 34% weniger Zeit mit Hausaufga- Sozialverhalten bringt die Befindlichkeit der Kinder mit seinem Song I´m da, nur einen Blick auf das Display zu machen, d. h. die Kinder benmachen. Für viele Hobbies, darunter auch zeitintensives Die wichtigsten Rolemodels für Kinder bleiben Eltern und Leh- so alone (https://www.youtube.com/watch?v=ALZHF5Uq- werden permanent abgelenkt und sind dauernd aus der Kon- Zeichnen und Basteln, bleibt kaum mehr Zeit. Aus der Analyse rer. Etwa 80% wird über Nachahmung gelernt. Eltern die im- nU4) auf den Punkt. Mit seiner Gesichtsmaske, der Geheim-

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Kunden, die Kindergartenkinder und Schulanfänger abgezielt ren, was die Algorithmen wollen.“ Kinder jedoch können die werden kann. Manager sprechen bereits von kompletter Flä- unterschiedlichen Qualitäten der Videos nicht unterscheiden, chendeckung in den werberelevanten Zielgruppen. sie folgen den Vorschlägen des Computers. Dieser fördert Kinder werden durch crossmediales Marketing und wech- nicht nur zahlreiche Spam-Videos zutage, sondern eben auch Abb. 4 Das Selfie ist mit selnde Querbezüge in die kommerzialisierte Verwertungswelt die für Kinderaugen verstörenden Inhalte, die der Fantasie und Abstand das häufigste gelockt. Noch bevor das eine Lego aufgebaut wurde, wünscht Geldgier von Erwachsenen entspringen. Spätestens hier geht Gestaltungselement man sich bereits ein weiteres Set, weil in beigelegten Hef- es auch um Moral: Dürfen wir unsere Kinder unkontrolliert ten, auf YouTube und in Filmen dazu animiert wird. Das Kult- dem freien Markt überlassen? lego Ninjago, mit mehr als 100 Episoden, dominiert Mode und Lifestyle der Teenies, die mit dem Spiel zudem gänzlich Mythos Frühförderung auf asiatische Mythologie und Kulturen ausgerichtet werden. Eltern glauben oft, das neueste technische Tool sofort kau- Gender-Marketing schafft in der Spielzeugindustrie klare Fron- fen zu müssen, damit ihre Sprösslinge den Anschluss an die ten zwischen der Welt der Elfen, Eisprinzessinnen, Lillifees Entwicklung der Gesellschaft nicht verpassen. Es herrscht ein und Monster Highs und jener der Ritter, Piraten, Lego-Tech- sozialer Druck, Kindern den Zugang zu diversen oft fragwür- nik-Freaks und Superhelden. Geschlechtsspezifische Wahr- digen Trends zu ermöglichen: „Du willst doch nicht Außen- nehmungen werden industriell konstruiert, die Prägung erfolgt seiter sein“. extrem früh. Noch nie lagen die Spielewelten der Mädchen Lorenz (10 J.) hat kein eigenes Handy, aber er konn- und Buben so weit auseinander wie heute. Nicht das Sprach- te bei seiner ersten Nutzung, während einer 20-minütigen verhalten der Eltern ist prägend, sondern die Sprachmelodie Busfahrt, 25 zweizeilige SMS inklusive mehrerer Emoijs ab- der Serienlieblinge, Influencer und YouTubestars wird einge- setzen. Kevin (10 J.) postete am schulautonomen Tag 300 übt. crazy Nachrichten an seine Schul-What´s App Gruppe, und Im Kampf um Werbegelder geht es nicht um gute Inhalte, 25 Kinder antworteten ihm laufend. Marcel (6 J.) kann noch sondern allein um Verkaufszahlen: „Man muss eben produzie- gar nicht lesen und schreiben, schaffte es aber trotzdem,

haltung seiner Identität und seinen Schulvideos ist er nicht to alltagstauglicher für ein wirkliches Handlungsskript. Cos- nur musikalischer Trendsetter. Mit mehr als 400 Millionen player verwandeln sich im Real Life in ihre Lieblingsfigur aus Aufrufen führt Katja Krasavice mit dem Music Video DOG- einem Game. Spiele, wie das meistgekaufte und vielfach prä- GY (https://www.youtube.com/watch?v=xAZMu-qKLxE) mierte World of Warcraft, liefern definitiv Identifikationsfigu- die Liste der von Kindern gesehenen Videos an. Eltern kön- ren. Kinder spielen das am Bildschirm Gesehene in der Rea- nen weder verhindern noch kontrollieren, ob diese Videos lität nach, um es besser zu begreifen. Die populäre Plastik- selbst angeklickt bzw. von anderen Kindern hergezeigt wer- waffe Nerv in ihren vielen Varianten ermöglicht Schießen wie den. Auswirkungen haben diese Bilder definitiv. Hinter vie- in echt. Internet ist ein unglaublich mächtiges Vehikel für An- len harmlosen Bildern des Internets sind auf der 3. und 4. onymität: Avatare, Aliase, Deckadressen, falsche Identitäten Ebene bereits pornografische Inhalte eingeflochten, die Kin- und andere vorgetäuschte Konten. Die durch digitale Medien der wie Erwachsene meist zufällig streifen. Mehr als 70% ermöglichte Anonymität führt erst dazu, dass sich Jugend- der Seiten haben pornografische Inhalte. Mittlerweile ver- liche zu Verhaltensweisen hinreißen lassen, die sie früher aus harmlost wird die Momo Challenge (https://www.youtube. Angst vor sozialer Kontrolle nicht an den Tag gelegt haben: com/watch?v=zTDpizEvw-s), eine Form des Cyber-Mob- Mobbing, wiederholte Belästigung, Diffamierung von Perso- bings, welche sich seit 2018 über soziale Medien, Mobil- nen, Shit Storms u.a. Man kann sich faktisch ohne Konse- telefone und Videos verbreitet. Häufig finden sich in freien quenzen danebenbenehmen. Der Stress löst bei vielen Kin- Abb. 5 Porträtbearbeitung Kinderzeichnungen die Figuren aus Minecraft Animations, dern Schlafstörungen, Kopf- und Bauchschmerzen aus. Meist Mama. Bedingt durch die z.B. FNAF Monster School:GRANNY vs Ballora CHALLENGE werden die Kinder Opfer und Täter gleichzeitig. technischen Möglichkeiten (https://www.youtube.com/watch?v=N5Ni3pkbLak). Diese sind von Kindern generierte werden häufig als Betthupferl erlaubt, garantieren eine gru- Die Konsumspirale Bilder nicht mehr von selige, zappelige Nacht und verstörte, unkonzentrierte Kin- In den 90ern noch als hilfreiches Werkzeug für smarte Ge- künstlerischen Äußerungen der am Schulvormittag. schäftsleute angepriesen (vgl. VodafoneWerbeklick, 2010, unterscheidbar. Die Grenze zwischen Virtualität und Realität ist weit brü- https://www.youtube.com/watch?v=X_Dpr1uJnb4), ist der chiger als angenommen. Je realistischer Spiele werden, des- Markt 2019 so übersättigt, dass nur mehr auf die jüngsten

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ein Video seiner Mama in unvorteilhafter Pose in den Me- freut. Beziehungserfahrungen bilden Beziehungsmuster, d.h., Katrin Proprentner dien zu teilen. Lisa (9 J.) schminkt sich, bevor sie ihre Woh- etwas Geistiges wird zu etwas Materiellem. Genau das ge- nung detailreich filmt und schließlich über YouTube der gan- schieht, wenn wir zeichnen, malen, formen: Ideen nehmen zen Welt mitteilt, wie einsam sie sich fühlt. Sarah und Dave Gestalt an. Gestaltungsarbeit begeistert und setzt Motivation MaKey MaKey – Eine Banane als Leertaste! (13 J.) brachten im Komplott mit ihrer Klasse den Lehrer zur frei. Begeisterung ist wie ein Dünger für das Gehirn, ein Ideen- Rage und haben dies mitgefilmt. Nun teilen sie stolz ihr Vi- feuerwerk entzündet sich im experimentellen Tun. Mit Mate- deo. Lernplattformen und Lern-CDs aus der Schule werden rialien und Werkzeugen zu hantieren, ermöglicht die Erfahrung von Kindern mit einer überschaubaren Motivation geübt, zur von Widerstand. Kinder lernen, sich anzustrengen, sich Ziele Belohnung dürfen sie am Computer eigenverantwortlich sur- zu setzen, durchzuhalten. Am Ende eines schöpferischen Pro- fen. Die Lerninhalte der CD wären schneller manuell vermit- zesses ist man positiv müde, aber stolz auf den greifbaren, MaKey MaKey ist eine kleine Platine, mit der telbar gewesen. sichtbaren Erfolg. sich leitfähige Objekte in Computertasten um- Todd Oppenheimer hat bereits 1998 auf das Internetpara- Daher gehen die Bildungschancen der künstlerischen Fä- wandeln lassen. Die Platine ist ein vorpro- doxon – den fehlenden Effekt des Internets auf Bildung – hin- cher auch oder gerade im Zeitalter der Digitalisierung weit grammierter Arduino kompatibler Microcont- gewiesen. Ein Computer zu Hause wird vor allem zum Spielen über die kompensatorische Funktion hinaus. Das menschliche roller, der sich gegenüber dem Computer als verwendet und vermindert daher die Zeit für schulisches Ler- Gehirn ist weit mehr als eine Festplatte, die entsprechend den Tastatur ausgibt. Tastaturanschläge, Maus- nen, Spielen mit anderen Kindern, Reden mit den Eltern, Be- Ansprüchen der Ökonomisierung programmiert werden kann. klicks und Mausbewegungen lassen sich da- Franziska Pirstinger ist Leh- wegung, Sport, Natur und führt daher zu geringeren Schulleis- Ein Drittel unseres Gehirns ist dafür zuständig, dass wir unse- mit senden. (vgl. Hielscher/Döbeli, S.11) (Abb. rer_innenbildnerin, Malerin tungen. Das Vorhandensein des PC in der Schule hat keinen ren Körper bewegen, d.h. in der Welt handeln bzw. aktiv in die 1) und Leiterin des Kompe- Einfluss auf die Schulleistung (Spitzer S.85). Sozialer Druck Welt eingreifen und sie nicht nur passiv zur Kenntnis nehmen. tenzzentrums Kunst- Kultur und soziale Gaps jedoch werden durch die kostenintensiven Schöpferische Prozesse ermöglichen Kindern die Intensität Jeder kann ein Erfinder sein! und Kreativität an der KPH Tools nicht abgebaut, sondern verstärkt. der Auseinandersetzung, Gedanken in die Realität umzuset- Die MaKey MaKey Story Graz. Forschungsschwer- zen, Willenskraft zu entwickeln und trainieren, Leidenschaften Jay Silver und Eric Rosenbaum entwickelten 2010 wäh- punkte: Schüler_innenper- Digitale Medien verändern Geist, Körper zu entdecken und Verantwortung zu übernehmen. Wenn wir rend ihres Studiums am MIT (Massachusetts Institute of spektiven, Kinderzeichnung, und den Menschen an sich den Gedanken des Welten-Erschaffens weiter spinnen, ginge Technology) Media Lab unter der Leitung von Mitch Resnick Entwicklung, für Erfindung und Innovation und Experimen- Abb. 1 Das Bananenklavier, individuelle künstlerische Mittlerweile sind viele von uns ernüchtert aus der anfängli- es tatsächlich darum, die junge Generation zu mobilisieren, an die MaKey MaKey Platine. Beide waren auch im Entwick- tieren, um Probleme zu lösen. (vgl. STL, S.106) https://makeymakey.com/ Projektarbeit. chen Euphorie aufgewacht. Shoshana Zuboff beschreibt in einer Welt der Chancengerechtigkeit und des Friedens für alle lungsteam für das Computerprogramm Scratch im Lifelong u Kompetenzen für eine technologische Welt/Standard 11: abgerufen am 15.12.2019 ihrem Buch Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus, Bewohner mitzugestalten. Kindergarten am MIT tätig. Die Bezeichnung MaKey MaKey SchülerInnen entwickeln die Fähigkeit, Designprozesse an- wie wir Sklaven der Moderne geworden sind, weil wir öko- Lorenz klappt sein Tablet nach einem Minecraftspiel frei- stammt von dem Wortspiel „Make their own Keyboards“ zuwenden. (vgl. STL, S.115) nomisch perfekt ausgebeutet und rational vorausberechnet willig zu: „… ich hab mich nämlich verlaufen, beinahe hätte („Ma-Key“). Die Idee dahinter meint das Ersetzen der Tastatur u Die gestaltete Welt/Standard 17: SchülerInnen entwickeln werden können. KI Systeme wissen nach Analyse weniger ich nicht zurück gefunden. Beinahe hätte ich alle meine schö- durch ein stromleitendes Objekt. (vgl. Educator´s Guide, S.3) die Fähigkeit, Informations- und Kommunikationstechnolo- Facebookeinträge mehr über Personen als der eigene Lebens- nen Sachen verloren …” und greift erleichtert zum Zeichen- gien auszuwählen und anzuwenden. (vgl. STL, S.166) partner. Der Mensch wird zu einem, wie Yuval Noah Hara- block. Welche internationalen Standards im Bereich ri schreibt, „manipulierbaren Tier und einem domestizierten Kinder mit ihrer inneren Kreativität in Beziehung zu set- der Bildung können durch den Einsatz des Auch im aktuellen österreichischen Lehrplan Technisches und Datenträger“, der damit selbstverständlich jederzeit gehakt zen, ist ein probates Mittel zur Selbstbefähigung und Ori- Makey Makey Kit erreicht werden? Textiles Werken, der im Jahr 2017 in Kraft getreten ist, lassen werden kann. entierung in pluralen und sich rasant veränderten Lebens- Die International Society for Technology in Education (ISTE) sich der Thematik MaKey MaKey Kit einige Bereiche zuord- Obwohl wir wissen, dass das Internet völlig von Kommerz welten. Auch Olviero Toscani, am 18. Okt. 2019 zu Gast in führt unter anderem bei den Standards für SchülerInnen den nen. Hier seien nur exemplarisch zwei erwähnt: bestimmt ist und unser Leben und unsere Werte völlig ver- Graz, riet der Jugend Ähnliches: „Versucht zu lernen und Punkt Innovative Designer an. Im Bereich Beiträge zu den Bildungsbereichen unter „Krea- ändert, ist Abstinenz nicht möglich, weil wir ohne nicht leben bewegt eure Hände. Schaltet eure Computer und Smart- Gemeint ist hier der Anspruch des Designprozesses, be- tivität und Gestaltung: Die Auseinandersetzung mit Ideen, Ent- wollen: Eine Mischung aus Neugier, Bequemlichkeit, Narziss- phones aus. Denn eure Zukunft findet ihr nicht im Computer. gleitet von einer Vielzahl an Technologien Probleme zu identi- würfen und Planungen führt zur Weiterentwicklung des Dar- mus und Verfügbarkeit binden uns ans Netz. Zu einem erfolg- Setzt euch hin und denkt nach. Benutzt eure Phantasie! Das fizieren und zu lösen. Von der Idee zur Testtheorie bis hin zur stellungsvermögens und der Ausdrucksmöglichkeiten. Design- reichen Nutzerverhalten wird es nur kommen, wenn wir die ist Zukunft.“ Schaffung innovativer Erzeugnisse mit Unterstützung digitaler prozesse fördern Kreativität und Innovation. Das Erkennen von Sucht durch sinnstiftende Tätigkeit ersetzen. Hilfsmittel. (vgl. ISTE) individuellen Interessen und die Förderung der Experimentier- Literaturhinweise Bei den Standards for Technological Literacy (STL), die von freude tragen zur persönlichen Bildung bei.“ (Lehrplan, S.4) Die zentrale ANTWORT bleibt BEZIEHUNG Harari, Yuval Noah (2015): Eine kurze Geschichte der Mensch- der ITEEA International Technology and Engineering Educators Sowie unter den didaktischen Grundsätzen: „Forschendes Der Mensch lernt viele Dinge durch Nachahmung – nachhal- heit. Phantheonverlag. Association 2017 herausgegeben wurden, finden sich gleich und prozesshaftes Lernen: Zur Recherche, Planung, Darstel- tig lernt er vor allem durch und mit einer Bezugsperson. Ge- Spitzer, Manfred (2012): Digitale Demenz. Wie wir Kinder um in drei Teilbereichen Kompetenzansprüche, die durch den Ein- lung, Herstellung, Dokumentation und Präsentation von Pro- lungene Lernprozesse sind gemeinsam erlebte Auseinander- ihren Verstand bringen. Droemerverlag. satz des MaKey MaKey Kit erreicht werden können (vgl. STL): dukten werden je nach Bedarf analoge oder digitale Techno- setzungen mit einem Gegenstand, den man gemeinsam er- Zuboff, Shoshana (2019): Das Zeitalter des Überwachungs- u Design/Standard 10: SchülerInnen entwickeln ein Ver- logien, aber auch beide in verschränkter Weise eingesetzt.“ kundet, erforscht, bestaunt – über den man sich gemeinsam kapitalismus. CampusVerlag. ständnis für das Lösen von Problemen, für Forschung und (Lehrplan S.6)

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Fallbeispiel 2: In seinem Buch The Invent to Learn Guide to kann von mir verändert werden.“ (TED, 2013, 0:40) Dies ist ITEEA International Technology and Engineering Educators Asso- Fun beschreibt Josh Burker die Möglichkeit der Herstellung eine Erkenntnis, die Jay Silver schon im Alter von sieben Jah- ciation, Content for the Study of Technology, 3. Ausgabe, von Musikinstrumenten aus Karton, Drähten und Alufolie. ren hatte. „Wir denken, dass wir bereits wissen, wie etwas Reston 2017. www.iteea.org/Publications/StandardsOver- (vgl. Burker, 2015, S.53) (Abb. 3) funktioniert, deshalb können wir uns nicht vorstellen, wie es view.aspx (STL) Fallbeispiel 3: In Anlehnung an das Brettspiel Doktor Bib- funktionieren könnte. Wir wissen nur, wie es funktionieren soll, International Society for Technology in Education, https:// ber – Das Duell der ruhigen Hände zeigt uns Josh Burker ein also entgehen uns Sachen, die möglich wären.“ (TED, 2013, www.iste.org/standards/for-students (ISTE), letzter Zu- weiteres Beispiel für eine spielerische Anwendung des Ma- 3:27–3:29) griff am 21.11.2019 Key MaKey. (Abb. 4) In diesem Sinne sollte der Workshop MaKey MaKey – Eine Libow Matinez, Sylvia /Stager, Gary, Ph.D.: Invent to Learn: Banane als Leertaste einen kleinen Beitrag leisten, um einen Making, Tinkering, and Engineering in the Classroom, anderen Blick auf die Welt der Dinge zu werfen. Constructing Modern Knowledge Press, Second edition Mag. Katrin Proprentner 2019 (Invent to Learn) geboren in Klagenfurt. Seit Literatur Lehrplan Technisches und Textiles Werken: Bundesgesetz- 2019 tätig an der PH OÖ in Burker, Josh: The Invent to Learn Guide to Fun, Constructing blatt für die Republik Österreich, Jahrgang 2017, 29. No- der Primarstufe und dem Modern Knowledge Press, 2015 (Burker, 2015) vember 2017, 337. Verordnung Fach „Gestaltung:Technik. Burker, Josh: http://joshburker.blogspot.com/2013/01/ma- https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblAuth/ Textil“ (Sekundarstufe), key-makey-scratch-operation-game.html abgerufen am BGBLA_2017_II_337/BGBLA_2017_II_337.pdfsig, letzter 2005–2018 mitver- Abb. 2 Unterrichtssituation, Was wird konkret für den Unterricht benötigt? 03.12.2019 (Josh Burker Blog) Zugriff am 21.11.2019 (Lehrplan) wendet als Dozentin in Katrin Proprentner u Hardware: Um im Unterricht mit dem MaKey MaKey Kit Deck, Anita S./Moyer Lisa A.: Educator´s Guide, 2018, Silver, Jay – Youtube TED https://www.youtube.com/ BE, Mediengestaltung Abb. 3 Unterrichtssitu- zu arbeiten, braucht es neben dem Kit einen PC mit einer https://makeymakey.com/pages/educators#professio- watch?v=kiUnJ1d8vvw. Übersetzung: Torsten Lange, (Kunstuniversität Linz) und ation, Burker, Josh: The USB Schnittstelle sowie einen Internetzugang. nalDevelopment, letzter Zugriff 21. 11. 2019 (Educator´s Lektorat: Angelika Lueckert Leon (TED, 2013) GTT (PH OÖ), 2001–2005 Invent to Learn Guide to u Software: Um den Kit zu starten, wird keine Software Guide) Writze, Birgit: Ästhetik in der Dingwelt von Kindern, in: Vertragsassistentin für Fun, Constructing Modern benötigt. Das Prinzip Plug and Play findet hier seine An- Physical Computing Hielscher, Michael /Döbeli, Honegger Beat: MaKey MaKey Schachtner, Christina (Hg.), Kinder und Dinge – Dingwel- BE an der Kunstuniver- Knowledge Press, 2015, wendung. Gesteuert werden können Programme, die die “Physical Computing is the game changer that allows kids to Projektideen, Pädagogische Hochschule Schwyz, 22. April ten zwischen Kinderzimmer und FabLabs, Transcript Ver- sität Linz, 1998–2019 S.57 Leertaste, die Pfeiltasten und die Entertaste verwenden. invent working maschines. Learners design, construct, and 2019, Creative Commons Lizenz, http://ilearnit.ch/down- lag, Bielefeld, 2014 (Writze, 2014) Professorin im Europagym- Abb. 4 Geschicklichkeits- Mittels Scratch lassen sich Programme schreiben, die auf program smart machines to live outside of the computer and load/MakeyMakeyProjektideen.pdf nasium Baumgartenberg spiel http://joshburker. die Tasteneingabe reagieren. Für Fortgeschrittene gibt es interact with the world”. (Invent to Learn, S.125) letzter Zugriff 21.11.2019 (Hielscher/Döbeli) und im BRG Hamerling blogspot.com/2013/01/ auf der Rückseite der Platine weitere Anschlussmöglich- Erfinden, Konstruieren und Gestalten sind Herausforde- Linz (im musisch-kreativen makey-makey-scratch- keiten. rungen, die mittels Physical Computing in unterschiedlichen Schwerpunkt), 1992–1997 operation-game.html, u Material: Für den Ersatz der Tastatureingabe können alle Schwierigkeitsgraden auch an Schulen umgesetzt werden Studium TEC und TEX am abgerufen am 04.12.2019 leitfähigen Materialien verwendet werden. Mit sogenann- können. Die bekanntesten Microcontroller für den Einsatz von Mozarteum in Salzburg. ten Krokoklemmen schließt man die Materialien an. Physical Computing sind das Arduino Board, der BBC Microbit, Erweiterungsstudium BE Auf der Website https://makeymakey.com/ findet man viele Lego Robotic und auch der MaKey MaKey Kit. an der Kunstuniversität Beispiele für einen einfachen Einstieg. In ihrem Beitrag Ästhetik in der Dingwelt von Kindern be- Linz. Arbeitsschwerpunkte: Fallbeispiel 1: Um ein einfaches Onlinecomputerspiel zu schreibt Birgit Writze die Dingwelt wie folgt: „Medien als Er- Schnittstelle „manuell/ steuern, braucht man im Normalfall die Pfeiltasten und die Leer- weiterung der Sinne ermöglichen es Kindern, Erfahrungen zu digital“, Fachdidaktik und taste. Mit Hilfe von Graffitstiften bzw. Knetmasse lassen sich machen, die ohne Medien nicht erfahrbar wären. Technische Pädagogische Praxis sehr rasch und einfach eigene Controller erzeugen. (Abb. 2) Innovationen erweitern diese Erfahrungen stetig.“ (Writze, 2014, S.136) Der Computer hat selbst eine ästhetische Di- mension wie alle Dinge der menschlichen Objektwelt. Es wird großer Wert auf das optische Erscheinungsbild technischer Innovationen gelegt. Haptische Berührungspunkte werden so geplant, dass sie sich gut angreifen wie z. B. die Tasten einer Tastatur. (Writze, 2014, vgl.S.139) Genau hier setzt der Ma- Key MaKey Kit an, indem er uns die Erscheinungsform der Tastatur verändern lässt.

Zer-Hack eine Banane und baue eine Tastatur! Dies ist der Titel des TED Vortrags des Mitentwicklers Jay Silver. „Die Art, wie die Welt funktioniert, ist veränderbar und

200 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 201 FRAUENBILD HEXEN FRAUENBILD HEXEN

Sabine Reisenbüchler Der Zauberer Jackl hatte enormen Einfluss, der bis nach Tirol müssen Gesetzeslücken geschlossen werden. Bisher bestand reichte. Im Zuge der Prozesse um die Gruppe des Jackl wur- daran kein Interesse (Maurer, 2019). den 139 Menschen hingerichtet. 39 der Hingerichteten waren Auch das Darknet liefert Möglichkeiten, mittels Anonymi- Die Dämonisierung der Frau zwischen zehn und 14 Jahre alt, weitere 53 Opfer waren Ju- tät seinen psychologischen Abgründen freien Lauf zu lassen. gestern und heute gendliche zwischen 15 und 21 Jahren, bzw. 36 Frauen zwi- Es hat sich also in den Grundprinzipien nicht so viel ver- schen 11 und 80 Jahren. 77 der exekutierten Männer waren ändert. Männer wollen nach wie vor an der Macht sein, sie Ein Plädoyer für die Hexen in der digitalen Welt unter 21, 56 zwischen 9 und 16 Jahre alt. Jackl selbst konnte halten am Patriarchat fest. Und dafür dürfen Frauen nicht zu aber nie gefasst werden (Schleich, 1999, S.116). mächtig werden, auch politisch sollten sie sich am besten gar Diese Zeiten waren offensichtlich hart und grausam für nicht zu Wort melden. Und das, obwohl es in Österreich nun Nach den Forschungsergebnissen meiner Ba- oft Pastoren oder die Justiz. Die Zauberbubenprozesse spiel- viele. Ganz anders scheint unsere heutige Zeit zu sein. Vie- seit 100 Jahren das Frauenwahlrecht gibt. chelorarbeit von 2015 war ich überrascht und ten sich in der Zeit der Pest ab, gegen Ende des 17. Jahrhun- les läuft unter vorgehaltener Hand, Menschen sind bequemer Ob die #metoo–Kampagne wirklich so eine Revolution ist, fand gleichzeitig bestätigt, was nun längst derts. In dieser Zeit wurde eine große Angst geschürt, die geworden durch die moderne Technik, man erspart sich ver- steht in Frage. Immerhin geht es bei dieser Kampagne nur Sabine Reisenbüchler, kein Geheimnis mehr ist: Von rund 100 Schü- besonders auf Vagabunden abzielte, die etwas ins Land ein- meintlich viele Wege durch den digitalen Datentransfer. Es um Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, also nicht um die geb. 1977, Lehrerin für lerinnen und Schülern der NMS in Stadt und schleppen könnten. Bemerkenswert ist, dass zu dieser Zeit in hat sich vieles verändert. Doch in mancherlei Hinsicht gibt es Mehrheit der Frauen. Bildnerische Erziehung an Land Salzburg zeigte sich, dass sich die Bu- weiten Teilen West- und Mitteleuropas die Hexenverfolgung keine Veränderung. Denn Hetze gegen Minderheiten gibt es einer NMS in Salzburg, ben im Alter zwischen 11 und 13 Jahren ein- schon vorbei war. nach wie vor. Kritik am #metoo Künstlerin, Yoga-Lehrerin, deutig mehr als die Mädchen im selben Alter Svenja Flasspöhler, Philosophin, Literaturkritikerin und Redak- Ausstellungen ab 2015, vor einer Hexe fürchten. Das zeigten die Er- Die Zauberer-Jackl-Prozesse (1675 bis 1681) Andersartig und fremd teurin, sorgt für Aufsehen mit ihrem Buch „Die potente Frau. 2016 Publikation in der gebnisse eines Fragebogens. Bei der Aufga- Der sogenannte Zauber- oder Schinderjackl war der Sohn der Alterität (Andersartige) und Xenophobie (Fremde) beherr- Für eine neue Weiblichkeit“ (Flasspöhler, 2019). Frauen, die Online-Zeitschrift des be, eine beliebige Hexe zu zeichnen, sah man ‚Schinderbärbl‘, Barbara Koller, die 1675 den blutigen Aus- schen unsere politische Diskussion. Barbara Kosta analysiert von Männern sexuell belästigt wurden, erzählen Geschichten, Schwerpunkts Kunst und beim Vergleich auch eindeutig: Die Hexe der gangspunkt dieser Geschichte setzte. Jakob Koller aus Mau- Alterität und Fremdheit in Jelineks Schutzbefohlenen (Kosta die meist vor längerer Zeit passiert sind. Das Gute an die- Wissenschaft der Universi- Buben sieht viel grässlicher aus, ganz anders terndorf, später als Zauberer Jackl bekannt, zog in jungen Jah- & Svandrlik, 2019). In dem Stück gibt Jelinek den Menschen, ser Kampagne ist sicher, dass es um das Offenbaren geht, tät Salzburg Kartenspielen als die der Mädchen (Reisenbüchler, 2015). Es ren mit seiner Mutter bettelnd und stehlend durch die Gegend die nach Österreich gekommen sind, einen Ort und eine Spra- was man davor nie getan hätte. Nun bekommen diese Frauen – eine Methode der wird hier deutlich, wie latent Bilder von einem der heutigen Bundesländer Salzburg, Oberösterreich und Bay- che, sie hebt die Hierarchie auf, die sich im Recht sich zu eine Stimme. Das Negative daran ist, dass sie sich, wenn sie emanzipatorischen Kunst- Konstrukt, der Hexe, weitergegeben werden. ern. Die Mutter wurde auf frischer Tat beim Opferstockdieb- äußern, zeigt. Kosta greift einen Satz zur Beurteilung und Ver- darüber reden, wieder in eine Opferrolle begeben. Wäre es vermittlung?!, künstlerisch stahl ertappt, als der Sohn 15 Jahre alt war. Sie wurde fest- urteilung des Anderen heraus: „Wir sind keine Rätsel mehr nicht besser, von nun an in der Situation selber dagegen an- tätig im Bereich Malerei, In meiner Arbeit ging ich der soziokulturellen Verfolgung von genommen und hingerichtet. Da die Auswirkungen des Drei- für die Gastgeber, die aber uns nichts geben, sie kennen uns zugehen? Grafik, Performance, derzeit Frauen in der Frühen Neuzeit auf den Grund und verglich, ob ßigjährigen Krieges noch zu spüren waren, herrschten Armut, schon bevor sie uns kennenlernen.“ Jelinek dekonstruiert und Hier geht es um die Selbstachtung, das Körperbewusst- im Studium für Bildnerische es heute Phänomene gibt, die mit der Hexenverfolgung ver- Not und Elend unter einem Großteil der Bevölkerung. Viele zertrümmert so Stereotype durch Sprache. sein und die dazugehörige soziale Kompetenz für beide Ge- Erziehung am Mozarteum gleichbar sind. Außerdem wollte ich wissen, ob man durch Menschen waren auf die Mildtätigkeiten anderer angewie- schlechter. Dazu droht ein Verlust der Identität. Ich stelle mit und Deutsch an der Univer- eine schulische Intervention ein negatives Bild der Frau, bzw. sen oder hielten sich mit Verbrechen und Betrügereien über Andersartige, das sind auch Frauen. Frauen meinem Konzept die Digitalisierung in Frage. sität Salzburg. ein Stereotyp verändern kann. Wasser. Jackl traf auf seinen Wanderungen immer wieder auf in einer von Männern dominierten Welt. Das negative Bild einer Frau, das psychologisch konstruiert diese Elenden und beschloss, eine Gemeinschaft mit ihnen zu Auch Frauen stehen im Zentrum des Diskurses. So wie da- Kritische Fragen zur Digitalisierung wurde, um eigene Sehnsüchte und Ängste abzuwehren, dien- gründen. Der Gemeinschaft, die aus einer Gruppe von Außen- mals läuft die Hetze gegen Frauen, die sich „zu weit aus dem Verlieren wir unsere Identität und unsere Freiheit durch die te als Projektionsfläche. So wurden in der Frühen Neuzeit vom seitern bestand, vor allem mittel-, heimat- und elternlosen Fenster lehnen“. Der Fall rund um die Politikerin Sigrid Maurer Digitalisierung? 15. bis zum 18. Jhd. bis zu 60.000 Menschen, meist Frauen, Kindern, haftete bald etwas Geheimbündlerisches an. Die Ge- von 2018 zum Beispiel zeigt, dass selbst das Gesetz Män- Verlust der Identität durch Datensammlung und Vorschlä- in Europa verfolgt und getötet. Auch heute noch werden in meinschaft entwickelte sich zu einer gefürchteten Gruppe jun- ner bei sexistischen Nachrichten gegen Frauen offensicht- ge für einen Kauf durch jeden Klick, jedes Like, das wir setzen, Teilen Afrikas, in Indien, Indonesien, Arabien und Südamerika ger Gesetzesbrecher*innen, die bald von Justiz und Obrigkeit lich noch immer in Schutz nimmt und die Frau zur Schuldigen das uns dann vorspiegelt, was oder wer wir sein sollen, was Menschen verfolgt, gefoltert und getötet. Ausschlaggebend verfolgt wurden. Der Zauberer Jackl war eine schillernde Figur, wird, wenn es über das Internet geht. Anscheinend stellen uns gefallen soll. Durch die ständige Erreichbarkeit und das für die Verfolgung ist ein tief verankerter Aberglaube und ein die sich, so die Erzählungen, nicht nur durch eine Kappe, son- also noch immer Frauen, besonders die, die in der Öffentlich- Abrufen des aktuellen Standes auf sozialen Medien verlieren Unwissen, was an den sozial Schwächsten der Gesellschaft dern auch mit einem Pulver, einer Salbe oder durch magische keit stehen, eine Projektionsfläche für gewisse Männer dar. wir unsere Freiheit (Rauterberg, 2019). ausgetragen wird: an Frauen, Kindern, Alten und Außenseiter- Worte unsichtbar machen konnte. Ihm sei es zudem möglich, Diese Männer werden mit politischen oder freien Meinungs- Geht nicht die digitale Welt mit einer sozialen und sinnli- gruppen wie Albinos oder HIV-Infizierte. Scharen von Ratten und Mäusen hervorzuzaubern, die das Ge- äußerungen und einem selbstbewussten Auftreten von Frau- chen Entfremdung einher? Das war bequem und einfach in Zeiten, wo Frauen bei- treide und die Ernte auffraßen. Außerdem, so hieß es, kön- en nicht fertig und fühlen sich offenbar dazu animiert, diese Durch die unendlichen Möglichkeiten in der heutigen Welt spielsweise aufgrund von altem Heilwissen mächtig waren ne er Tiere verwandeln, zerstöre und verfluche Heiligenbilder aufs Äußerste zu attackieren. Und weil es viel einfacher ist, kommt es zu vielen inneren Konflikten, was richtig und falsch und die Männer die Ranghöheren sein wollten. Besonders die und Marterln und könne Wetter machen. Im Zuge des Zau- denunzieren sie sie über die sozialen Netzwerke, anstatt es ist. Diese Ambiguitäten machen es nicht nur für uns schwer, Zeiten von Armut, Epidemien und mangelnder Bildung förder- berjacklprozesses kam es zu einer Hochblüte des Glaubens an persönlich zu tun. Sigi Maurer ist aber eine Frau, die gut mit sich zu entscheiden wer oder was gut oder was schlecht ten die Hexenverfolgung. Nicht außer acht lassen darf man Werwölfe: Man glaubte, nicht nur er, sondern auch einige sei- verbalen Angriffen übers Internet umgehen kann, und sie be- für uns ist, sondern macht es auch unseren Schüler*innen den ökonomischen Nutzen der Verfolger und ihrer Anführer, ner Bundesgenossen könnten sich in Werwölfe verwandeln. kam auch einen guten Rechtsschutz. Gegen Hass im Netz schwer. „Während die Welt immer komplexer wird, ist gleich-

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zeitig – nicht nur in westlichen Gesellschaften – ein Rück- u dass der Preis für angestrebtes perfektes Aussehen mit Wolfgang Schreibelmayr, Wolfgang Hoffelner, Katrin Proprentner gang an Ambiguitätstoleranz festzustellen. Die Fähigkeit, Wi- Selbstverletzung gleichzusetzen ist (z.B. durch Selbstkas- dersprüche auszuhalten, Ungewissheiten zu ertragen, andere teiung, Schönheits-OPs) wird mit Schüler*innen diskutiert Sichtweisen gelten zu lassen, ist offensichtlich weltweit im und reflektiert … und es fliegt noch immer … Schwinden begriffen. Dies hat nicht nur Auswirkungen auf die u dass vorgegebene Stereotypen von Frauenbildern und Gesellschaft, etwa auf die Akzeptanz von Demokratie, son- Schönheitsideale konstruiert und dem Wandel der Zeit un- dern auch auf jene Bereiche der Kultur, die auf Ambiguitätsto- terworfen sind leranz angewiesen sind, ja dazu beitragen könnten, Ambigui- u das weiß, dass wahre Schönheit von innen kommt tätstoleranz in der Gesellschaft zu stärken wie Theater, Kunst u das sich nicht nach dem Mainstream richten muss, um da- und Musik. Auch ein auf möglichst schnelle und effiziente zuzugehören. Das Risiko mit Selbstbewusstsein eingehen, Rückblicke auf 2003 und Analogien zu 2019. Abb. 1 Start der Publika- Ausbildung gerichtetes Bildungssystem lässt immer weniger damit ein Stereotyp markieren, das nicht eindeutig zuor- Ziel der Phase 1 ist die Erinnerung an das vorhandene Mate- tionsreihe 2003 Raum für spielerische Kreativität.“ (Bauer, 2019) denbar ist, auch wenn es für Andere ungewöhnlich und rial und die Beschreibung von konstanten Bildungszielen Und so stellt sich die Frage: Was ist mit Beziehungen von seltsam scheint. Sie werden sich schon daran gewöhnen. aus BE, welche die FK Flüge anpeilen können. Es wird dar- Mensch zu Mensch? Ersetzen wir bald einen Partner durch u das sich danach richtet, was es selbst ist, was ihm selbst auf eingegangen, wie aus Testflügen BE-spezifische Stan- einen Roboter, gibt es in Zukunft nur mehr Cybersex anstatt gefällt und weiß, was ihm guttut. dards werden können. echter körperlicher Liebe? Phase 2: Lift off! Abgehoben! Rundflüge durch die BE-Welten. Wir wollen doch perfekt sein, optimieren uns und unser Als Lehrerin und Künstlerin kann man spielerisch mit dem The- Wohin kann man mit dem Material gelangen? Leben ständig, um dieses Maß des Übermenschlichen zu be- ma Identität und Geschlechterbilder umgehen, damit arbeiten Pilotflüge – Wolfgang Schreibelmayr Ziel der Phase 2 ist das Erleben einiger exemplarischer kommen. Doch dabei liegt die Gefahr des Verlusts unseres und Schüler*innen die Dekonstruktion von Stereotypen vor- Sehr geehrte Kolleg*innen, in diesem Artikel erfolgt ein knap- Flug-Erfahrungen und die Möglichkeit für BE-spezifische Selbst. Besonders Mädchen und Buben sind betroffen von führen: so wie z.B. die Hexe ein Konstrukt ist, von Menschen per Rückblick auf den Input Reflexionen. diesem Verlust, weil sie sich sowieso in der Pubertät erst wie- erzeugt und je nach Zeit in einer anderen Erscheinungsform. „… und es fliegt noch immer … Das Fliegende-Klassen- Phase 3: This is BE to ground control! Lost or recovered! Zwi- der neu finden müssen. Darum sollten wir als BE- und Werk- zimmer-Material der UfG Linz“. (Abb. 1) schen den Welten. lehrer*innen aus den Möglichkeiten, die unsere Fächer bie- Literaturverzeichnis Die Präsentation in Graz erfolgte persönlich durch Wolf- Die aktuelle Herausforderung 2019. Impulse für Modifikatio- Wolfgang Schreibelmayr ten, das Potential schöpfen. Bauer, T. (2019). Salzburger Hochschulwochen. Auf der Su- gang Hoffelner und Wolfgang Schreibelmayr und in Form von nen und Transferierungen zu den Koordinaten 4.0. ist seit 1986 an der che nach Eindeutigkeit. Wie die Flucht vor Ambiguität die gezeigten Medien von Katrin Proprentner und Gerhard Hi- Ziel der Phase 3 ist die Kreation einiger Impulse für die visio- Kunstuniversität Linz in der Was kann der BE und Werkunterricht leisten? Gesellschaft und Kultur verändert. Große Aula der Univer- ckisch. Auf diese Weise war das komplette Autor*innenteam näre Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen Abteilung für Bildnerische Ambiguität und Schule sität Salzburg, Salzburg, Österreich. des Ur-Materials FK von 2003 vertreten. Folgend wird der Herausforderungen aus einer „digialog“ oszillierenden Erziehung und seit 1987 an Für Kinder sind uneindeutige Ansagen besonders schwer aus- Flasspöhler, S. (2019). Goldegger Dialoge. Begehren, Gier Ankündigungstext für die 90-minütige Präsentation und Dis- BE-Perspektive unter dem Motto „Mission possible – BE einem Gymnasium aktiv. zuhalten. Daher ist es umso wichtiger, Klarheit zu kommuni- und Glück. Das Mögliche im Wirklichen. Wer will ich sein? kussion im Rahmen der BÖKWE-Fachtagung wiedergegeben. creative“. Schwerpunkte sind die zieren und Grenzen zu setzen. Besonders in unseren Fächern, Goldegg , Salzburg, Österreich. Kurze Kommentare schließen daran an. Verschränkung seiner Lehr- wo es viel Freiraum gibt, müssen wir als Pädagog*innen Gren- Kosta, B., & Svandrlik, R. (2019). Das Binäre aufbrechen. In S. Kommentar tätigkeiten in der Sekun- zen setzen, um Sicherheit, Sinn und Halt zu bieten. Teutsch, Was zu fürchten vorgegeben wird. Alterität und Im Zentrum steht die Forschungsfrage bezüglich des sinn- Die Präsentation der Phase 1 erfolgte durch mich, W. Schreib- darstufe I/II und an der Uni, Speziell im BE- und Werkunterricht spielen Sinne eine Xenophobie (S.50–59). Wien: Praesens. vollen, fachdidaktisch fundierten Einsatzes digitaler Medien elmayr. Die oben angeführte Website sollte mittels Firefox besonders in Bezug auf die enorme Rolle. Es geht um Spüren, Fühlen, Ausdrücken, Wahr- Maurer, S. (2019). Sigi Maurers Blog. Wien. Von http://www. im Fach Bildnerische Erziehung. Dabei geht es um curricular nach wie vor funktionstüchtig abrufbar sein. Bei Problemen Entwicklung spielerischer nehmen, und das für sich selber und den Anderen. sigimaurer.at/am 02.01.2020 abgerufen. verankerte Lernsettings während des Studiums des künst- oder näherem Interesse am gezeigten Material der FK CDs Methoden und zugehöriger Der Körper ist ein Wunderwerk, den wir bestimmen, Rauterberg, H. (2019). Salzburger Festspiele. Die neuen Gren- lerischen Lehramtsfaches, um die Anwendung in der schuli- von 2003 wenden Sie sich bitte per Email an mich. wolfgang. Materialien für Prozesse schützen und achten müssen. Im digitalen Zeitalter wird der zen. Über die Krise der Kunstfreiheit und die Krise der De- schen Fachpraxis und um aktualisierte Fortbildungsangebote [email protected] kunst- und werkanaly- Mensch mit einem Roboter verglichen oder sogar von ihm er- mokratie. Stefan Zweig Centre, Edmundsburg, Salzburg, für Fachkolleg*innen. tischer Reflexionen. setzt. Österreich. Im Jahr 2003 startete die Publikationsreihe von entwickel- 2003 wurde die Publikationsreihe der „Fliegenden Klassen- Wenn Schüler*innen die Sinne geraubt werden, die Welt Reisenbüchler, S. (2015). Die Dämonisierung der Frau am Bei- ten und erprobten Materialien für den BE-Unterricht mit den zimmer Hefte“ gestartet, mit Heft 1, dem „Blauen Heft“, Heft nur mehr reduziert auf den visuellen Reiz und nur die Maschi- spiel der Hexenverfolgung in der Frühen Neuzeit (Bd. Ba- ersten drei Heften „Fliegendes Klassenzimmer“. Unterstützt 2, dem „Roten“ und Heft 3, dem „Gelben“. Gerhard Hickisch ne anstatt der Natur geboten wird, dann sind wir in unserer chelorarbeit an der Pädagogischen Hochschule Salzburg wird die Verteilung durch die Website www.fliegendes-klas- setzte die Serie FK bis zum Heft 9 fort. Sämtliche Hefte kön- Profession gefragt. Nun müssen wir ihnen mit unserer Selbst- zur Erlangung des akademischen Grades Bachelor of Edu- senzimmer.ufg.ac.at und die Produktion von CDs. Umfangrei- nen kostenfrei von der Homepage der Universität für künstle- reflexion entgegentreten, den Kindern und Jugendlichen ei- cation). Salzburg. ches Unterrichtsmaterial ist kostenfrei als Download auf der rische und industrielle Gestaltung Linz, kurz UfG Linz, als PDF nen Spiegel vorhalten, ihnen ein gutes Vorbild sein, einen Schleich, J. (1999). Hexen, Zauberer und Teufelskult in Öster- Website der UfG Linz verfügbar. heruntergeladen werden. Zu finden unter „UfG Publikationen“. Unterricht anbieten, der diese Reize, diese Beziehungsebene, reich. Graz: Steirische Verlagsgesellschaft. Die Präsentationen der Phasen 2 und 3 erfolgten bei der dieses Frauenbild aufzeigt. Ein Frauenbild, Die aktuelle Präsentation in Graz besteht aus 3 Phasen. Tagung durch den persönlich anwesenden Co-Autor Wolf- u das seinen Wert kennt und ihn schützt, sei es in sozialen Phase 1: Engine on! Wo ist der Enter Button? Zugänge zum gang Hoffelner. Er zeigte durch exemplarische „Rundflüge“ Netzwerken oder im realen Leben Material. Wie kann mit dem Material gearbeitet werden? sehr eindrucksvoll die fachdidaktischen Potentiale „seiner“

204 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 205 FLIEGENDES KLASSENZIMMER FLIEGENDES KLASSENZIMMER

schulisch erprobten „open source tools“. Seine Schüler*in- Open-Source-Variante kostenlos verfügbar. Trotz seines enor- Klassenzimmer“, an dem von 2001 bis 2003 an der Kunstuni- beit mit Studentinnen und Studenten der Kunstuni Linz wur- nen am BORG Bad Leonfelden können auf eine Reihe von Aus- men Umfangs an Möglichkeiten bietet OpenToonz eine aus- versität Linz gearbeitet wurde, setzte sich damals schon zum den Kurzfilme zum Kontext Soziale Medien realisiert. Allein, zu zeichnungen verweisen. www.borgleon.at/auszeichnungen gesprochen niedrige Einstiegsschwelle, dank derer Schülerin- Ziel, Hard- und Software unabhängige, praxisnahe Unterrichts- zweit oder zu dritt erarbeiteten die Jugendlichen Ideen, die sie Die Co-Autorin Katrin Proprentner war durch das Zeigen nen und Schüler in kürzester Zeit zu ansehnlichen Ergebnissen sequenzen für das Fach Bildnerische Erziehung zu entwickeln. dann, professionell unterstützt von den angehenden Medien- von zwei Preisträgerprojekten ihrer Schüler*innen repräsen- gelangen. Die 15 erprobten Unterrichtsplanungen haben in ihrer in- gestaltungsexpertInnen, umsetzten. Schließlich konnten zehn tiert. Es handelt sich dabei um Auszeichnungen mit dem „Me- haltlichen Ausrichtung nichts an Aktualität verloren. Von den Animationsfilme mit Blitzlichtern auf Teilaspekte aus der wei- dia Literacy Award“ 2015 und 2016. Die prämierten Fliegende Blender grundlegenden ideellen bildnerischen Mitteln wie Form, Farbe ten Welt der Social Media im Rahmen einer Schulveranstal- Klassenzimmer Modifikationen von Katrin beinhalten Anima- Im Gegensatz zu den 3D-Animationsprogrammen, die ich und Anordnung bis hin zur Werkbetrachtung bleiben die The- tung präsentiert werden. Thematisiert werden unter anderem tionen zu „My Social Media“ und den Einsatz des „Smart- noch an der Uni kennengelernt hatte, fand ich mich in Blen- matiken der Bildnerischen Erziehung trotz technischen Fort- die Kommunikation via WhatsApp, Facebook („Break free“), phones im Unterricht“. der verhältnismäßig schnell zurecht. Zwar erschlägt einen schritts konstant. Was sich seit dem Fliegenden Klassenzim- Cybermobbing, die Vorteile des realen Lebens und die Zeitung Katrin Proprentner auch hier das Interface mit einer Unzahl an Buttons und Reg- mer geändert hat, ist die Hardware. Waren wir 2003 noch der Zukunft. Die erzählten Geschichten und ihre immer pfiffi- ist seit 2019 an der PH OÖ Abb. 2 Schülerinnen des lern, wenn man sich aber auf die wesentlichen Funktionen stolz, tolle schnelle Laptops einsetzen zu können, hat sich das ge Umsetzung in Animationsfilmen belegen, dass hier junge in der Primarstufe und dem BORG Bad Leonfelden bei konzentriert, ist es mit Blender auch für Schülerinnen und Blatt bis heute gewendet. 2007 kam das erste Smartphone Menschen am Werk waren, die nicht nur kreatives Gestalten, Fach „Gestaltung: Technik. der Verleihung des Media Schüler sehr einfach möglich, durchaus komplexe Charaktere auf den Markt, 2010 folgte die Einführung des IPads – bahn- sondern auch kritisches Denken gelernt haben! „My Social Textil“ (Sekundarstufe) Literacy Awards zu modellieren, mit Texturen zu versehen und sogar zu ani- brechende technische Entwicklungen, die auch dem pädago- Media“ zeigt einmal mehr, dass die Kooperation von Schüler- tätig, von 2005–2018 mieren. gischen Sektor nicht vorenthalten werden dürfen. Innen und Studierenden eine sehr gewinnbringende ist. Herz- Mitverwendung als So lag es nahe, dieses neue technologische Equipment liche Gratulation zur Auszeichnung! Dozentin in BE, Medienge- Adventure Game Studio auch im BE-Unterricht einzusetzen und so den Geist des Flie- (https://www.mediamanual.at/mediamanual/mm2/mla/2015/ staltung (Kunstuniversität Klassische Point-and-Click-Adventure-Games erleben mo- genden Klassenzimmers auf eine neue Ebene zu bringen. jury/medienbildung-5.html, abgerufen am 03.12.2019) Linz) und GTT (PH OÖ), von mentan eine Renaissance. Hierbei wird mit Hilfe einer Spiel- (Abb. 3) „Smartphones im Unterricht“ erhielt 2016 den Media Lite- 200–12005 Vertragsas- figur die Umgebung erkundet, werden Hinweise und Items racy Award (MLA) in der Kategorie Mediendidaktik. Die Jury sistentin für BE an der gesammelt, diese kombiniert und so Rätsel gelöst. Die begründete die Auszeichnung wie folgt: Kunstuniversität Linz. AGS-Software ist bereits seit vielen Jahren erprobt. Ich Kaum ein innovatives Unterrichtskonzept lässt das Smart- selbst hatte sie bereits für mein Maturaprojekt genutzt. Seit- phone als „Own Device“ der SchülerInnen außen vor – zu- Lift off! Abgehoben! Rundflüge durch die BE her hat sie sich deutlich weiterentwickelt und ermöglicht heu- recht! Die Einsatzmöglichkeiten und Potenziale sind mannig- Welten – Wolfgang Hoffelner (Abb. 2) te selbst Spiele in voller HD-Auflösung mit fotorealistischer faltig. Das Projekt „Das Smartphone im Unterricht“ ist eine Die Laptops des Fliegenden Klassenzimmers mit ihrer reich- Grafik. Die programmeigene Programmiersprache weist viele Kooperation mit der Kunstuni Linz. Die Studierenden ver- haltigen Ausstattung an Software eröffneten mir in meinen Parallelen zu Sprachen wie Java oder C++ auf und vermit- fassten ausführliche Unterrichtskonzepte und betreuten die Unterrichtspraxen viele Möglichkeiten, die aufgrund mangeln- telt Schülerinnen und Schülern sehr niederschwellig, wie Pro- SchülerInnen in Kleingruppen. Die Zusammenarbeit besticht der Hardware- oder noch häufiger Software-Ausstattung an grammiersprachen funktionieren. durch einen unkonventionellen Einsatz des Smartphones mit Abb. 3 Unterrichtssituation den Schulen, nicht denkbar gewesen wären. Themen wie vielen spielerisch-kreativen Ansätzen. Es darf experimentiert mit Smartphone im BRG Wolfgang Hoffelner digitaler Videoschnitt, Animation, Bildbearbeitung oder Pro- Inkscape werden, das Gerät wird als Hologrammmaschine und Bea- Hamerling maturierte an der HBLA für grammieren ließen sich damit perfekt vorbereiten und später Während meines Studiums war Corel Draw die erste Wahl mer eingesetzt, aber auch durch’s Stiegenhaus geworfen oder künstlerische Gestaltung an der Schule effektiv ausrollen, ohne im Unterricht mit Über- für vektorgrafische Aufgaben. Eine Position, die mittlerwei- überklebt. Mithilfe diverser Applikationen entstehen vielfälti- und studierte anschlie- raschungen oder Fehlern zu stören. le an Adobe Illustrator verloren ging. Die Benutzeroberfläche In meiner Funktion als Lehrbeauftragte im Fach „Pädago- ge Werke der Medienkunst. Hier darf ohne Berührungsängste ßend die Lehramtsfächer Im Schulalltag nach dem Studium vermisste ich häufig die- bringt in Sachen Optik und Funktionalität das Look & Feel von gische Praxis“ in der Mediengestaltung an der Kunstuniver- und voller Kreativität mit dem Smartphone umgegangen wer- Bildnerische Erziehung se tollen Möglichkeiten. Wer nicht das Glück hat, an der Schu- Corel Draw wieder zurück. Kenner der Software finden sich sität Linz und als Professorin für Bildnerische Erziehung am den, eine erfrischende Perspektive! und Mediengestaltung an le über ein Adobe Abonnement oder entsprechende Software hier sofort zurecht und Schülerinnen und Schüler erstellen BRG Hamerling leitete ich mehrere Projekte. Zwei wurden von (https://www.mediamanual.at/mediamanual/mm2/mla/2016/ der Kunstuni Linz. Seither zu verfügen, muss sich nach geeigneten Alternativen umse- mittels Inkscape ohne viel Vorwissen perfekte Logos, Info- Wolfgang Schreibelmayr kurz vorgestellt: jury/mediendidaktik-5.html, abgerufen am 03.12.2019) ist er als Lehrer am BORG hen. Hier hat sich in den letzten Jahren viel im Bereich der grafiken oder Illustrationen. (Abb. 2) Ebenfalls bewährt haben „My Social Media“ bekam 2015 den MLA (media literacy Der MLA wurde erstmals 2002 im Rahmen des Internatio- Bad Leonfelden sowie als Open-Source-Software getan. Einige dieser Programme, auf sich Programme wie Audacity für Multitrack-Audioediting, award) in der Kategorie Medienbildung. nalen Medienfestivals YOUKI in Wels verliehen. Auf der Web- Lehrveranstaltungsleiter an die ich trotz guter Ausstattung an der Schule auch heute im- GIMP zur Bildbearbeitung oder Notepad++ für HTML- und Die Jury begründete die Auszeichnung wie folgt: site https://www.mediamanual.at/ befinden sich neben den der FH Hagenberg und der mer wieder gerne zurückgreife, möchte ich im Folgenden kurz CSS-Dokumente. „My Social Media“ ist ein Projekt der 5M-Klasse des BRG Präsentationen der Preisträger*innen auch viele inspirierende Kunstuni Linz aktiv. (www. vorstellen: Hamerling im Fach Bildnerische Erziehung: In Zusammenar- Materialen für den Unterricht. Schauen Sie rein! wo-ho.at) This is BE to ground control! Lost or OpenToonz recovered! – Katrin Proprentner Bei „Toonz“ handelt es sich um ein Premium 2D-Animations- Um die Jahrhundertwende war der Einsatz von Neuen Me- programm, das von vielen Studios für Film- und Fernsehpro- dien in Schulen die bahnbrechende Errungenschaft in der pä- duktionen eingesetzt wird. Seit dem Jahr 2016 ist es als dagogischen Landschaft. Das Forschungsprojekt „Fliegendes

206 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 207 PROJEKT LICHTZEICHEN PROJEKT LICHTZEICHEN

Abb. 2–6 Entwurfszeich- nungen der gesammelten Zeichen

Abb. 1 Lichtobjekt – Por- trait Clara

René Stangl (Prof. Mag.), 1968. Lehrt im Verbund Nord Ost an der Pädago- gischen Hochschule Wien, René Stangl im Fachbereich Bildne- rische Erziehung, lehrt Nach dieser Auffassung werden Markenzeichen in einem denen Verbindungen unterschiedlichster Intensität für unsere am BRG Körösi, Graz Lichtzeichen für Ankommende semiotischen Prozess vom Produkt abgekoppelt. Dieser „Lo- Jugendlichen bestehen. Bildnerische Erziehung und gomanie“ wird etwa im Adbusting2, der humorvoll-kritischen Interessanterweise konnten jene mit Wurzeln außerhalb Werkerziehung, lehrt an der Neuinterpretation bekannter Bild- oder Text-Logos oder Plaka- Österreichs schneller ein Zeichen der Zugehörigkeit finden als Universität für angewandte te, im öffentlichen Raum begegnet. Bekannte Markenzeichen jene aus Familien, die schon über mehrere Generationen in Kunst Wien (Kunstpädago- werden grafisch manipuliert und führen so zu einer neuen Be- Österreich leben. gik, Design, Architektur und Das Interesse am Projektzyklus „Lichtzeichen Meine Erwartungen zum Projekt waren: deutungsebene. Ein Zugang, den die SchülerInnen spannend Environment), bildender für Ankommende“ (Abb. 1) galt der Sensibili- u Interesse für die eigene Herkunft und deren kulturelle Ei- fanden und gerne weiterdachten. Kooperationspartner Künstler. sierung einer neu zusammengesetzten Schü- genheiten wecken. „Lichtzeichen“ entstand in Zusammenarbeit mit dem Institut lerInnengruppe, teilweise mit Migrationshin- u Sich mit seinen Wurzeln vor der Gruppe zu zeigen. Recherche an die eigene für Architektur und Medien an der TU Graz. Frau Prof. Dr. Mi- tergrund, in Bezug auf ihre kulturelle Identität. u Sich künstlerisch damit auseinander zu setzen. Biographie angelehnt: lena Stavric (Architekturgeometrie und digitales Entwerfen Dies zu einer Zeit, als im Nachklang der Mig- u Interdisziplinäres Arbeiten. Als erstes Ergebnis wurden jene Zeichen gesichtet, welche am Institut für Architektur und Medien) konnte als Partnerin rationswelle 2015 Fragen zur eigenen Identi- die Schüler und Schülerinnen aus ihrem Umfeld recherchier- dafür gewonnen werden. Aus der Zusammenarbeit entstand tät und des Fremden medial angeheizt wurden. Zeichentheorie: ten und die für sie von Bedeutung waren. Logos, Embleme, die Überlegung, ob die Auseinandersetzung der Schülerinnen Ziel war es, Zeichen zu finden, zu denen Schü- Unterschiedliche Formen (Emojis, Piktogramme, Logos, Visuals, Wappen, Ornamente, die im eigenen Umfeld gefunden wurden und Schüler mit Zeichen crossmedial gedacht werden könn- lerInnen einen Bezug herstellen könnten, und Ornamente, Wappen …) und die Lesbarkeit von Zeichen in un- und als Selbstzuordnung Gemeinschaft oder Identität stifteten. te. sich damit künstlerisch auseinanderzusetzen. serem Alltag standen am Beginn unserer Diskussion. Wir ver- Meist wurden Fotos mitgebracht und der Gruppe vorge- Die Übersetzung der Zeichnungen in serielle Gestaltungs- Die zweite Fragestellung war: Kann mediales suchten in einer Bestandsaufnahme dessen, was die Schülerin- stellt. Es wurde präsentiert, in welchem Zusammenhang die varianten bot zunächst die Gelegenheit, diese formal expe- Crossover mehr sein als die Verknüpfung bild- nen und Schüler ohnedies in die Diskussion einbrachten, dieses Zeichen gefunden worden waren und was sie für die Jugend- rimentell (Reihung, Proportion, positiver/negativer Raum) in nerischer Techniken? Die Teilnehmenden be- zu benennen und ihm gemeinsam Bedeutung zuzuordnen. lichen bedeuteten oder welche „Geschichte“ dahinterstan- Beziehung zu setzen und zu sehen, welche Erfahrungen die suchten die 9. Schulstufe einer AHS. Es ging unter anderem darum, die Bedeutung eines Zei- den. Dann wurden sie als Zeichnung übertragen und verdich- Jugendlichen aus diesen Experimenten ziehen würden. chens und seinen Wert in der Diskussion ins Spiel zu brin- tet. (Abb. 2–6) Erwartungen an das Projekt: gen. „Für Baudrillard werden traditionelle Wertschätzungen Viele der Zeichen bezogen sich auf die Herkunft der El- Vom Zeichen zum Ornament Zu Beginn stand die Frage im Raum, welche Zeichen Schüler von Produkten wie Gebrauchswert, Tauschwert und selbst tern, die Beziehung zur Familie oder zu Gegenständen aus Nach einem Gespräch mit Frau Dr. Stavric boten wir als zu- und Schülerinnen ein Gefühl des Vertrauten, der Zugehörigkeit der symbolische Wert heute ersetzt durch den Wert des Zei- der „anderen“ Heimat. Ruanda, Italien, Rumänien, Ungarn, sätzlichen gestalterischen Rahmen die Kategorien: Verschie- oder der Heimat geben würden. chens – den Code“.1 Bosnien-Herzegowina, Kambodscha, Österreich sind Orte, zu bung, Spiegelung, Rotation und Gleitspiegelung aus den kris-

208 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 209 PROJEKT LICHTZEICHEN PROJEKT LICHTZEICHEN

Und wie materialisiert es sich? Der Gegenwartsbezug kann sich durch die technologische Formensprache, die aus der Art der Gestaltungswerkzeuge hervorgeht, ergeben. Bei einem Beitrag der Ars Electronica 2018 trägt die Inklusi- on der Teilnehmenden zur Komposition der Form in einer interaktiven Installation im Deep Space 8K bei. In Gerhard Funks Beitrag „Kaleidoscope – Cooperative Aesthetics“ 20185 stellen die Betrachtenden durch ihre getrackten Be- wegungen kaleidoskopische Ornamente her. Die Bewe- gung ihrer Körper löst die Neugestaltung der Farbflächen aus. (Abb. 12) Gestaltung 1: Digitale Umsetzung – Vektorisierung Abb. 7–11 Institut du tallografischen Ornamentgruppen3 als zusätzliche Gestal- Der Untersuchung der Zeichen und Ornamente im öffentli- monde arabe, Paris; tungsvariante sowie als Organisationsform an. chen Raum stellten wir die bisherigen Arbeiten der Schüler Abb. 16–17 Poträt Leila, Ocenario Lissabon- Azulejo; Womit sich die Vorstellung, sich mit Ornamenten ausein- und Schülerinnen gegenüber. Um die Arbeit weiterführen zu Porträt Felix Ocenario Lissabon – Azule- anderzusetzen und deren kulturhistorische Bedeutung als Um- können, wurden die Zeichnungen vektorisiert und Ideen zu jo Detail; Sporgasse Graz; gang mit Zeichen zu thematisieren, in den Vordergrund dräng- ornamentalen Gestaltungsreihen am Computer fortgesetzt. Teppichgeschäft Graz te. Die Frage, ob und inwieweit das Ornament in einer ge- Zum selben Zeitpunkt entstand die Überlegung diese Übun- genwärtigen Form Gegenstand der Auseinandersetzung sein gen in ein Lichtobjekt zu übersetzen. (Abb. 13) könnte, fand sich in der Tätigkeit Frau Dr. Stavrics wieder. Sie arbeitet an der TU Graz mit Studierenden an Falttechniken, die technologische wie auch ästhetische Problemstellungen der Abb.13 Entwurfsreihe Fassadengestaltung zum Thema haben. Vektorgrafiken Abb. 14 Simulation Transfer: Kulturgeschichte – Gegenwart Lichtobjekt Rhino Mit den SchülerInnen untersuchten wir Zeichen im öffentlichen Abb. 15 Lichtobjekt Raum im Bereich der Typografie, der angewandten Kunst, des Design sowie Ornamente an Bauwerken und stellten sie neben Beispiele im internationalen Kontext. (Abb. 7–11) Für den Mediziner Hans M. Sutermeister stellte das Or- nament eine Erholungsregression dar: Das „Zauberische am Ornament“ beruhe „auf seiner sich durch Wiederholung summierenden affektiven resp. suggestiven Wirkung, die dadurch bedingt ist, daß […] rhythmische Außenreize ver- mehrt auf [die] Tiefenschichten unserer Psyche einzuwirken pflegen.“4 In welchen Zusammenhang entsteht gegenwärtig Zei- chenhaftes, das als Ornament bezeichnet werden kann? Gestaltung 2: Digitale Umsetzung – 3D Modelling /Ken- nenlernen von Nurbs Abb. 12 Cooperative Aes- Die TU unterstützte uns dabei. Sie zeigte uns in einer Visua- thetics 2018, Gerhard Funk lisierung, wie ein 3D-Prototyp aussehen könnte. Damit beka- men wir ein Werkzeug, um die Form eines Lichtobjektes über ein vorbereitetes Interface (in Grasshopper, einem Plug-in von Rhino 3D6) zu gestalten. Die Anwendung von Nurbs7, in unserem Fall durch ein- fache Schieberegler, die auch spielerisch neu zusammenge- stellt werden konnten, ermöglicht eine Vorstellung davon, was mit programmierbaren 3D-Oberflächen in Bezug auf eine

210 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 211 PROJEKT LICHTZEICHEN PROJEKT LICHTZEICHEN

Das 3D-Programm diente als Werkzeug für die Umsetzung Bildquellen (sofern nicht aus eigenen Quellen)

des Entwurfes im Sinn eines Rapid Prototyping Verfahrens. 1 Institut du monde arabe, paris Photo by peter bucks on Damit wurden die von den Schülerinnen und Schülern ent- Unsplash worfenen Formen des Lichtobjektes und der Ornamente für 2 Cooperative aesthetics Ars Electronica_2018_gerhard den Lasercutter zum Schneiden vorbereitet. Die Lichtobjek- funk https://www.flickr.com/photos/arselectronica/ te nahmen im Laufe der Zusammenarbeit den Charakter von 42757383010/in/photolist-KGpG7z-289jLqQ-2aPQrfN- Lampen mit Schirmen an. (Abb. 15) 289jLdL-289jLjN-29NRAhj-289qQcL-NLD1Ph-29NRAc9- Gestaltung 4: Crossmedial und Interdisziplinär – Fotografie 2aPQrjW-29vXjyB-289jLa9 CC BY-NC-ND 2.0 Zu Beginn des Projektes existierte der Wunsch, sich einer Aufgabenstellung aus verschiedenen Richtungen wieder an- 1 Kunsthalle Krems; Haltbar bis immer schneller; Hg. Aigner, Carl; zunähern. Daher beschäftigten wir uns nach Fertigstellung Marchsteiner, Uli; 2000: S.16. des Lichtobjektes mit unterschiedlichen Zugängen zur Foto- 2 Adbusting; Adbusters nennen sich Gruppierungen, die Werbung im grafie. Lichtobjekt und fotografisches Arbeiten sollten mitein- öffentlichen Raum (Außenwerbung) verfremden, überkleben oder ander verbunden werden. auf andere Weise umgestalten, um so deren Sinn umzudrehen oder Zunächst wurde die Aufgabe gestellt, die Ästhetik der Pro- lächerlich zu machen. [2] Die Adbusters sind eine Form der Kom- duktfotografie an Beispielen zu beobachten, um diese Erfahrung munikationsguerilla und kommen häufig aus der Streetart-Szene. praktisch selbst zu erproben. Daran anknüpfend sollten sich die Heute werden neben parodistischen Kurzvideos gerne Werbesujets Jugendlichen mit dem „Produkt-Lichtobjekt“, unter Anwendung und Logos verfremdet, online gestellt oder über Social Media ver- technischer wie ästhetischer Werkzeuge, selbst inszenieren. breitet. https://de.wikipedia.org/wiki/Adbusters (zuletzt aufgerufen Die Formatvorgabe war das Portrait. Wieviel Lichtobjekt 2019_12_14); https://urbanshit.de/category/adbusting/ (zuletzt auf- und wieviel Person im Bild zu sehen sein würden, waren Teil gerufen 2019_12_14). der Übung. (Abb. 16, 17) 3 Walser, Hans, Band- und Flächenornamente, Mathematik für die Se- Nach der gegenständlichen Fotografie bot sich die experi- kundarstufe, 2004, Uni Basel. https://docplayer.org/15794265-Mat- mentelle Fotografie des Bauhaus wie jene eines Lazlo Moho- hematik-fuer-die-sekundarstufe-1.html (zuletzt aufgerufen ly-Nagy oder eines Man Ray an, um Licht als Werkstoff vorzu- 2019_12_11). stellen und damit Versuche anzustellen. Das Objekt selbst trat 4 Sutermeister, Hans Martin. Das Ornament. In: Von Tanz, Musik und in den Hintergrund, um dem Material Licht Platz zu machen. Die andern schönen Dingen: Psychologische Plaudereien. Verlag Hans Abb. 18–19 Fotografie – virtuelle Form erdacht und umgesetzt werden kann. In weite- Lichtzeichen standen frei von Materialität oder Lesbarkeit dem Huber, Bern, 1944. S.59. 8 Licht als Werkstoff rer Folgen konnte auch die Parkettierung der Zeichen – die künstlerisch-spielerischen Dialog zur Verfügung. ( Abb. 18, 19) 5 Ars Electronica, „Cooperative Aesthetics – Next Edition“ 2018 Ger- Abb. 20 Salvatorraum Anordnung der digitalen Ornamente zueinander und auf der Gestaltung 5: Ausstellung hard­ Funk­ (AT),­ Christian­ Berger­ (AT),­ Şehmus­ Poyraz­ Birusk­ (TR),­ Form des Lichtobjektes – in einer Vorvisualisierung erprobt Nach langer Auseinandersetzung war es für alle spannend, Clemens Niel (AT), Fabian Terler (AT) https://ars.electronica.art/error/ rechte Seite: werden. (Abb. 14) die Einzelteile zusammenzuführen. Ein Ausstellungsraum de/aesthetics/ (zuletzt aufgerufen 2019_12_14). Abb. 21 Lichtprojektion Gestaltung 3: Digitale Umsetzung Rapid Prototyping – konnte für eine Schau gefunden werden. 6 Rhino 3D Rhinoceros 3D (oftmals abgekürzt als Rhino oder Rhi- der Lichtobjekte in der Lasercutting Gemeinsam konnte mit den Schülerinnen und Schülern no3D) ist eine Software für die computergestützte 3D-Modellierung Ausstellung Die Ornamente, die aus dem Gestaltungsprozess hervorge- thematisiert werden, wie man sich einer Ausstellungsgestal- und das rechnergestützte Konstruieren (computer-aided design). Abb. 22 Plakat-Recherche gangen waren, wurden mit einem Lasercutter aus dem Kar- tung annähert. Neben den Exponaten, die es zu zeigen galt, https://de.wikipedia.org/wiki/Rhinoceros_3D (zuletzt aufgerufen in der Ausstellung ton geschnitten und am Lichtobjekt angebracht. Die Faltstel- stellte ich den Jugendlichen die Frage: „Wie viel Prozess soll 2019_12_14). len an den Flächen wurden vorgefalzt. – bis zum fertigen Exponat – didaktisch aufbereitet werden, 7 Nurbs Geometrie (Nicht-uniforme rationale B-Splines, kurz NURBS) Diese Öffnungen im Karton ließen das Licht wie bei einem damit Außenstehende die vielfältigen, aufwendigen Teilab- sind mathematisch definierte Kurven oder Flächen, die im Computer- Lampenschirm durch. schnitte verstehen können?“ (Abb. 20–22) grafik-Bereich, CAD, zur Modellierung beliebiger Formen verwendet werden. https://de.wikipedia.org/wiki/Non-Uniform_Rational_B-Spli- ne (zuletzt aufgerufen 2019_12_14) 8 Parkettierung. In der Mathematik bezeichnet Parkettierung … die lückenlose und überlappungsfreie Überdeckung der … Ebene durch gleichförmige Teilflächen. Bei praktischen Anwendungen wird die Überdeckung mit Hilfe von Primitiven („primitiven“ Flächen-Formen, möglichst mit einem einfachen Polygon) bevorzugt … https://de.wi- kipedia.org/wiki/Parkettierung (zuletzt aufgerufen 2019_12_14)

212 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 213 MATERIALERKUNDUNG MATERIALERKUNDUNG

Sarah Starosky Ausgehend von der Anthropologie des Menschen, der sich sen begründet, dass der Mensch einen Anfang durch eine Tat durch die Stimulation von außen – die die Welt vorgibt – eben oder Handlung setzt, die Auswirkungen hat. Gerade hierin fin- dazu verhalten wird, stellt sich die Frage nach Bildung, die ih- det sich das allgemeingültige Resonanzmoment schlichtweg: Zum Bildungspotenzial des Materials rerseits reale und fördernde Resonanzräume eröffnet. Denn Den Anfang setzen, um ein Etwas zu schaffen. Und das kann Werkendes Gestalten in digitalen Zeiten Basteln und Bauen entfalten nur dann ihr langfristiges Poten- jeder Mensch für sich erlernen und nutzen. Das heißt, der zial, wenn die Auseinandersetzung nicht oberflächlich ist, Werkende in seiner Tätigkeit am Werkstück arbeitet gleich- sondern tiefgreifend Prozesse durchdringt und gleichzeitig die zeitig an sich selbst – durch Fühlen, Denken, Handeln. Die- Erkenntnis schärft, dass Umwelt und Leben mühsam, wider- se Erfahrung nennt Thomas Fuchs ein „leibliches Existenzial“ ständig und vor allem ständig zu entdecken sind. (Fuchs 2008, S.51). Erst über die Erfahrung der Ähnlichkeit Analog & Digital lyse trifft vermehrt auf Resonanz in der Arbeitswelt. Bewährt und über die Querverbindung wird leibliche Resonanz gestif- Im Kontext gesellschaftlicher Strömungen, bedingt durch durch die Erfolge des Silicon Valley werden Methoden wie Leben lernen tet, und so werden Wirklichkeitsbereiche erschlossen. Transformationsprozesse, verändert sich das Denken und das DesignThinking & Prototyping kopiert, die gestalterische Den- Dass das gestaltende Werken dieses Potenzial in sich birgt, Gerade dieser Punkt, dass die menschliche Intelligenz in Machen, das Verständnis von Bildung und Arbeit. Analoges ke fördern (Burnett/Evans 2016, S.148). Deshalb sprießen zeigen nicht nur die Erfolge in den o.g. Ansätzen einer Revi- den leiblichen Praktiken situiert ist, dass es nämlich kein durch- und digitales Arbeiten geht Synergien ein, Datenströme und gleich ganze Spielzimmer mitten in Weltkonzernen aus dem talisierung, wie z.B. durch DesignThinking oder Makerspaces, schaubares Muster gibt, das das Lebendige ausmacht, d.h. neue Werkzeuge wie Apps erweitern unser Handlungsreper- Boden, finanzielle Zuschüsse unterstützen darüber hinaus den sondern es bewährt sich auch am anderen Ende der Gesell- das Unverfügbare der Leiblichkeit, das sich durch Endlichkeit Sarah Starosky, geb. toire. DIY am Stadtrand und Makerspaces erhalten Einzug in Schu- schaft, insbesondere bei jungen Menschen in multiplen Pro- (durch das Sterben) und nicht durch Neuprogrammierbarkeit Ginolas, ist ausgebildete Seit Beginn der Menschheitsgeschichte bildet sich unsere len und Technologieunternehmen. blemlagen in handwerklich ausgerichteten Bildungsmaßnah- und nicht berechenbare Veränderungsmöglichkeiten auszeich- Steinmetzin, Designerin Spezies durch die unmittelbare Erfahrung an der materiellen Wie lässt sich der werkende Umgang mit Material und sei- men, die das Schulsystem oft nicht erreicht (siehe Jugend- net, könnte paradoxerweise zu einer reflexiven Aufwertung (M.A) und Werkpädagogin Umwelt und ihren Bestandteilen aus. Ein Sandkorn – damals ne existenzielle Bedeutung begründen? werkstatt NRW). Dabei kommt nicht die vom Design kopierte nichtkünstlicher Intelligenz führen (Nassehi 2019, S.242). Des- mit Erfahrungen in der vor tausenden von Jahren von unseren Vorfahren mit dem und missverstandene, dennoch lauthals propagierte Idee zum halb ist das Werken gerade in digitalen Zeiten bildungsrele- Jugend-und Erwachsenen- Auge angeschaut –, mit der Hand begriffen und dann bearbei- Das Werden Tragen, dass jeder ein Designer ist und designed wird. Dieser vant, da der Mensch auf seine eigenen Ursprünge, d.h. die bildung. Ihre Gestaltungs- tet, ist erst in der Neuzeit zu einem komplexen Informations- Der Mensch ist erst zu einem sich verhaltenden Lebewesen Sachverhalt kommt vielmehr unaufgeregt als einfache Tatsa- Frage nach seiner Rolle in der Welt, zurückgeführt wird. und Vermittlungspraxis träger, dem Siliziumchip, geworden, der digitale Welten baut. geworden. Dazu mussten sich Körper und kognitive Fähigkei- che daher, wird folglich intuitiv – und darin liegt sein Wert – bewegt sich zwischen Das Sandkorn hat sich nicht verändert, aber der Mensch ten an die äußeren Gegebenheiten der materiellen Umwelt verstanden, sobald ein Werkstoff bearbeitet wird. Noch vor Das Bildungspotenzial des Werkens zusammengefasst: analogen und digitalen – und mit ihm sein Blick, auf die dem Sandkorn inhärenten anpassen. Der aufrechte Gang, das Laufen auf widerständi- der Formgestaltung wird der Werkende, der das Material in Mensch und Kultur bilden sich erst über den werkenden Um- Gestaltungsprozessen. Möglichkeiten. gem Boden mussten erlernt werden. Der Daumen, das Grei- der Hand hält und schlussendlich auch das Ergebnis vor Au- gang am Material aus. Zudem ist sie Lehrbeauf- Die Kulturgeschichte zeigt, dass die Entwicklungslinie der fen, die Ausbildung der Hand benötigten Materialien, um sich gen hat, unausweichlich in die Lage gebracht, Entscheidun- u Durch Werken lernt der ganze Leib an der Welt. trage für Werkpädagogik menschlichen Errungenschaften über einen langen Zeitraum auszubilden (Oerter 2016, S.42). gen zu treffen. Nur durch Wiederholung und Übung, durch u „Erlernen des Lernens“ durch das „Wissen um das Wie“. im Fachbereich Design – fast linear – in einem flachen Stadium verlaufen ist. Wis- Auch das Kleinkind benötigt die Sinnes- und Materialer- Selbstüberprüfung und Korrektur, durch den Abgleich von u Leibliches Lernen als Strategem in Zeiten des digitalen und Kunst der Bergischen sen wächst demnach langsam und generationsübergreifend. fahrungen, um sich altersgerecht zu entwickeln. Erst durch Selbst-und Fremdwahrnehmung, wird das Individuum sein Lernens. Universität Wuppertal. Demgegenüber steht der aktuelle Anstieg des technischen die Stimulation der Sinne entstehen Wahrnehmung und Werk akzeptieren oder nicht. Daraus ergibt sich eine Form der Promotionsprojekt bei Prof. Fortschritts, der zum einen unvergleichbar schnell ist und zum Handlung (Zimmer 2007). Demnach handelt es sich um eine Selbstbildung und Selbstwirksamkeit durch das Erlernen des Fazit Dr. Jochen Krautz mit dem anderen beispiellose Veränderungen mit sich bringt, wie den weitreichende und folgenreiche Entwicklung, die der Einzel- Lernens und durch das Wissen um das Wie, das sich entwe- Es ist Zeit, das Werken außerschulisch und schulisch neu zu Forschungsschwerpunkt Einzug virtueller Welten und künstliche Intelligenz (Kurzweil ne benötigt, um überhaupt erst einen gesellschaftlichen Bei- der aus einer Reihe mühsamer Versuche bilden kann oder aus positionieren. Denn dass vom werkenden Gestalten Bildungs- Werkpädagogik und 2015, Kap.1.1.). trag leisten zu können. Dieser wiederum bildet in Summe die verstandenen Erfahrungswerten, die den Weg zum Ziel vor- potenzial ausgeht, dass Denken und Machen Vorstellungsver- Gestaltung. Trotz des Fortschritts zeigt sich: Materie ist ein Akteur Grundlage für Kultur. geben. mögen freisetzt, das ist erkannt. (Landwehr, 2016, S.74), sie stimuliert komplexe kognitive Fä- Dass Kultur ihr Selbstverständnis auch über Materialität Die Aussage eines Maßnahmeteilnehmers in der Jugend- higkeiten bei Lebewesen und bewegt zu Handlungen. Denn aus Werkstoffen, dem Handwerk und Werken an sich be- berufshilfe, der in seiner Vergangenheit mehrere Heimaufent- Literatur um sich das Material zu erschließen und um es für sich ein- zieht, zeigen die namentlichen Verweise auf Epochen wie die halte und einen Schulverweis in der 7. Klasse hatte, dessen Kurzweil, Ray/Rötzschke, Martin (2014): Menschheit 2.0: Die zusetzen, entstehen Geräte, Instrumente, Werkzeuge und Stein-, Bronze- und Eisenzeit oder – in weiten Teilen unserer Mutter im Bezug von Sozialleistungen und der Vater im Ge- Singularität naht. 2. Aufl., Berlin, Lola Books, Kap.1.1. Maschinen, Technik und Möglichkeiten. Die Möglichkeit des Gesellschaft verankert – die christliche Kultur, die das Da- fängnis ist, soll hier als Beispiel dienen: Landwehr, Achim (2016): Die anwesende Abwesenheit der digitalen Wandels konnte erst als Folge einer Auseinanderset- sein mit schöpferischem Staub beginnen lässt. Signifikant „Ich bin Holz. Ich mag Holz, und für die Zukunft wünsche Vergangenheit: Essay zur Geschichtstheorie. Berlin, S. Fi- zung mit der analogen Welt entstehen und benötigte unsäg- lässt sich hieraus ableiten, dass Menschsein und Material ich mir eine Chance.“ scher, S.74. lich viele menschliche Iterationsprozesse im Machen, Den- in Denk- und Dingwelten unmittelbar korrelieren. Demnach Der Mensch generiert Bilder und sucht Identifikation. Sich Burnett, Bill/Evans, Dave (2016): Mach was Du willst, De- ken, Können. Das grundlegende Verständnis dieser Bildungs- sind die Bildungsdimensionen der Arbeit am Material in un- selbst mit einem Material zu identifizieren, bedeutet, die sign Thinking fürs Leben. 4. Aufl., Berlin, Ullstein eBooks, dimension, die Reflexion der Gestaltung durch Materie und zähligen Verweisungszusammenhängen zu finden, denn aus Wahrnehmung und Vorstellung der Sache gegenüber auf sich S.148. deren Wie und Warum sind bisher auf der Strecke geblieben. handwerklichem Tun entwickeln sich u.a. Riten, Technik, selbst zu übertragen. Das Subjekt nutzt das Objekt zur Inter- Zimmer, Renate (2007): Handbuch der Sinneswahrnehmung: Mit verschiedenen Materialien zu arbeiten, die körper- Wissen, Handel, Interaktion sowie Wissenschaft in all ihren aktion, hier als „Kanal“ der Chance und an die Zukunft ad- Grundlagen einer ganzheitlichen Bildung und Erziehung. 5. haft-räumliche Darstellung von Vorstellungen und deren Ana- Disziplinen. ressiert. Zukunft wird immer in der Gegenwart im Zuge des- Aufl., Freiburg im Breisgau, Verlag Herder, S.43–46.

214 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 215 MATERIALERKUNDUNG WERKEN: DIGITALE GRUNDKOMPETENZ

Oerter, Rolf (2014): Der Mensch, das wundersame Wesen: https://www.mkffi.nrw/sites/default/files/asset/document/lf_ Marion Starzacher Was Evolution, Kultur und Ontogenese aus uns machen. ministerium_brosch20s_korr_freigabe.pdf [19.12.2019] Berlin Heidelberg New York: Springer-Verlag, S.42. Fuchs, Thomas (2008): Leib und Lebenswelt, Die graue Edi- Landesarbeitsgemeinschaft Jugendsozialarbeit Nordrhein-West- tion. Kusterdingen, S.51. Sehen - Experimentieren - Begreifen falen Jugendwerkstatt.NRW Profil, [online] Nassehi, Armin (2019): Muster: Theorie der digitalen Gesell- Vom Einsatz Digitaler Medien im Technischen und schaft. München, C.H. Beck, S.242–246. textilen Werken

Pilot Seit dem Schuljahr 2017/18 wird die verbindliche Übung Digi- Abb. 1 Nino Wallisch, tale Grundbildung Sekundarstufe 1 zunächst als Pilot an aus- entwickelt im Rahmen der gewählten Schulen angeboten, ab dem Schuljahr 2018/19 gilt Lehrveranstaltung Schulre- der verordnete Lehrplan und die flächendeckende Umsetzung levante Computeranwen- startet. Es ist den Schulen in ihrer Autonomie freigestellt, ob dungen, Leitung Marion die digitale Grundbildung als eigenes Fach oder implemen- Starzacher (2017) tiert in anderen Fächern angeboten wird. Die Implementie- rung scheitert oft an der mangelnden digitalen Kompetenz der Lehrpersonen, die sich bislang mit den neuen Medien nicht auseinandersetzen mussten, da es ihr Fachbereich nicht er- fordert hatte. Seit diesem Zeitpunkt gibt es Vorgaben des Bundesminis- teriums, dass es im Bereich der Digitalen Bildung Fort- und Weiterbildungsangebote der Pädagogischen Hochschulen ge- ben muss. So haben neben den Angeboten der Fort-und Wei- terbildung auch Bundesseminare wie Werken 2.0 – Basics x Principles in Linz oder Transformations: Werken neu – Konzep- te und Umsetzungsstrategien in Salzburg sowie die Fachta- gung „Digital - Material“ in Linz stattgefunden. Zusätzlich sind außerschulische Formate entwickelt worden. Sie werden in Onlineausgabe des Standard vom 29. September 2017. hoher Zahl in unterschiedlicher Form angeboten, mittlerweile Bei diesen Überlegungen wird nicht berücksichtigt, dass auch im Rahmen des schulischen Unterrichts: bits4kids, Hello im Werkunterricht in den Schulen bereits mehr als digita- World, coding weeks and coding days, Sommerprogramme le Grundbildung gelebt wird. Die Inhalte, die in der digitalen zur Ferienbetreuung, Kinderuni und vieles mehr. Grundbildung vermittelt werden, stellen Grundlagen dar, die Die Sozialpartner Österreichs – Industriellenvereinigung für das Anwenden der digitalen Medien im Werkunterricht (IV), Wirtschaftskammer (WKO), Arbeiterkammer (AK) und Voraussetzung sind: Einrichten und Nutzen eines Computer- Gewerkschaftsbund (ÖGB) – sind wichtige Förderer im Be- arbeitsplatzes inkl. Fehlersuch- und Lösungskompetenz (im reich der Digitalisierungsoffensiven verschiedener Anbieter, Sinne der technischen Problemlösung) oder mit Algorithmen denn es geht um die Umsetzung der Inhalte der Industrie 4.0 arbeiten, programmieren, Kenntnisse kreativ umsetzen (im – Digitalisierung der Wirtschaft und Arbeitswelt. Zu diesem Sinne des Computational Thinking). (Abb. 1) Zweck wurde im Juni 2014 das Positionspapier „Werkunter- richt NEU“ publiziert, das „vor allem auf die Schüsselrolle und Kreativität und Technik sind die Zukunft – das keineswegs ausgeschöpfte Potential des Werkunterrichts von STEM zu STEAM2 für junge Menschen (besonders auch für Mädchen) für die Nachhaltigkeit und ökologische Überlegungen begleiten die- weitere Bildungs- und Berufswahl hingewiesen hatte.“1 sen Prozess. Zwei wesentliche Inhaltsbereiche des Lehrpla- Christian Kern, zu jenem Zeitpunkt noch Bundeskanzler, nes für Digitale Grundbildung sollen hier genannt werden: forderte digitale Grundbildung bereits im Kindergarten, denn Technische Problemlösung und Computational Thinking3, ein- eine frühe digitale Grundbildung sei auch wichtig, um den Ge- gebettet in die drei Kompetenzbereiche Digitale Kompetenz, schlechter-Gap zu schließen – dieses Zitat stammt aus der Medienkompetenz und Politische Kompetenz. Der Innova-

216 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 217 WERKEN: DIGITALE GRUNDKOMPETENZ WERKEN: DIGITALE GRUNDKOMPETENZ

tionsgehalt aus der Verknüpfung von Kreativität und Technik herstellt und gestaltet werden. Hannah Arendt beschreibt in ergibt sich aus der Methode des Design Thinking, das nicht ihrem Buch Vita activa oder Vom tätigen Leben die drei Grund- nur im Kreativbereich als Problemlösungsmethode angewen- tätigkeiten Arbeiten, Herstellen und Handeln. Im vierten Kapitel det wird. Voraussetzungen dafür sind Problemstellungen, ein „Das Herstellen“ oder aber auch „Die Dauerhaftigkeit der Welt“ interdisziplinäres Team und die Bereitschaft, Lösungen zu fin- widmet sie dem „Werk unserer Hände“, die Material „zum Zwe- den. Diese Methode ist als Kreislauf zu sehen, kann wieder- cke der Herstellung“ (Arendt, S.61) bearbeiten. Es werden Ge- holt werden und um den Punkt der Nachhaltigkeit ergänzt brauchsdinge, die in der vom Menschen geschaffenen Ding- Marion Starzacher, Dipl.- werden. (Abb. 2) welt genutzt, also gebraucht und nach Gebrauchsende wieder Ing., Dr. techn. der Natur zurückgegeben, somit wird ein Kreislauf vollzogen. Architektin und Professorin für Technik und Design Abb. 2 Kreislauf, Grafik Nachstehend werden digitale Medien genannt, die im Bereich an der Pädagogischen Marion Starzacher (2019) des Faches Technisches und textiles Werken verwendet wer- Hochschule Steiermark, den, Schlagworte wie Coding, Making, Tinkering werden ger- Leiterin des Studienfachs ne im gleichen Zusammenhang genannt: Technisches und Textiles Abb. 3 bis 5 Historische u Software, vorzugsweise CAD- oder Grafiksoftware, mit Gestalten und Leiterin Webstühle, Textilmuseum der Objekte entwickelt /gezeichnet werden, die anschlie- der Fachgruppe TTG im Haslach (2017) ßend von Verbund Süd-Ost; bis Sep- u CNC-Maschinen (3D-Drucker, Fräse, Lasercutter, Plotter, tember 2018 Professorin Webstuhl, Stick- und Nähmaschine, Strickmaschine, ...) am Institut für Kunst und rechte Seite: hergestellt werden Bildung, Kunstuniversität Abb. 6, 7 Digitale Kom- u Physical-Computing-Plattformen: Systeme, die durch Ver- Linz, Leiterin der Abteilung ponenten eines Projektes wendung von Soft- und Hardware erstellt werden, z.B. Ar- Technik&Design/Werker- der Entdeckungsreise Holz, duino, MaKey-MaKey, lily pads, raspberry pi und andere ziehung; Dozentin der Metall, Elektro (HME) u kleine elektronische Module: z.B. littleBits (ideal für proto- Technischen Universität (2019) typing und zum Lernen) Inhalte werden hier durch direktes Tun und Einüben auf einer Graz und der Karl Franzens u Sensoren greifbaren Ebene anschaulich.“ (Lehrplan Schule, S.2) Universität Graz. Seit 2005 In der Lehrveranstaltung Schulrelevante Computeranwen- u Robotik/Soft-, Hardware – Form/Gestalt Neben dem Grundsatzerlass für die digitale Grundbildung Architektur- und Baukul- dungen haben sich Studierende mit der digitalen Grundbil- u natürlich ist auch Software zu nennen, die für Dokumen- gibt es den Referenzrahmen für Digitale Kompetenzen – Kom- turvermittlung an Schulen, dung befasst und überlegt, welche digitalen Medien in der tation und Präsentation verwendet wird, wie die zugehö- petenzraster für Informatische Bildung der Sekundarstufe I7. Universitäten und der Werkerziehung eingesetzt werden sollen. Interessant war die rigen Geräte Kamera, Drucker, Computer. Diese Soft- und Hier werden in vier Punkten samt drei Unterpunkten die we- KinderUni; 2013 Gründung Tatsache, dass die Studierenden ohne Zweifel sämtliche Soft- Hardware ist jedoch nichts Werkspezifisches, sondern sentlichen Standards, diese auch wieder unterteilt in Min- der Architekturinitiative ware (Grafik-, CAD-, Präsentationssoftware) genannt, aber wird fachübergreifend eingesetzt. dest-, Regel- und Maximalstandards, festgehalten, welche ARCHelmoma und seit die Verbindung zu den CNC-gesteuerten Maschinen (Fräse, Kompetenzen die SchülerInnen erwerben sollen. 2015 Mitglied der Initiative 3D-Drucker, Webstuhl, Nähmaschine, Stickmaschine ...) nicht Digitale Kompetenzen In der Informatischen Bildung wird ein rein abstrahiertes Baukulturvermittlung für gefunden haben. Somit ist erwiesen, dass diese Querver- In den Curricula der tertiären Ausbildung sowie im Schullehr- Vorgehen beschrieben, wonach die SchülerInnen einen reflek- junge Menschen/bink; bindungen erst durch die Diskussion sichtbar geworden und plan für das UF Technisches und textiles Werken sind digitale tierten und sorgsamen Umgang mit dem Internet, Kenntnisse Mitglied bei ENVIL, INSEA, nachvollzogen worden sind. Das wiederum erklärt, warum die Kompetenzen gefordert und sollen gefördert werden. Zudem im IT-Bereich sowie Kenntnisse in der Programmierung und BDK und BÖKWE. Arbeits- Inhalte der Digitalen Grundbildung nicht mit den Inhalten des ist ein wesentlicher Faktor, dass alle Curricula in ihren Rah- Softwareanwendung erwerben. Das tatsächliche Produzieren schwerpunkte: Architektur Faches Technisches und textiles Werken in Verbindung ge- menbedingungen die Freiheit bieten, auf aktuelle Tendenzen mit CNC-Maschinen, bzw. die praktische Anwendung darü- und Raum, Technische bracht werden. und Innovationen in technologischer und/oder technischer ber hinaus, wird in die digitale Grundbildung des Technischen Bildung, Maker Education. Es ist auch bewiesen, dass das Digitale das Analoge nicht Hinsicht einzugehen, zu experimentieren und zu forschen. und textilen Werkens implementiert. Werkzeug, Maschinen, Forschungsschwerpunkte: ersetzt sondern ergänzt. Eine Weiterführung oder Weiterent- Zitat Lehrplan Schule6: „Der Kompetenzerwerb anhand Materialien und Herstellung von Objekten und Werkstücken Professionalität und wicklung baut auf dem Wissen des Handwerks auf. prozessorientierter Aufgabenstellungen ermöglicht Schülerin- stehen hier im Zentrum. Einerseits werden im Fach Bildungs- Schule/Entwicklung und Veranschaulicht wird dieser Prozess durch die ersten pro- nen und Schülern, sich theoretische Lehrinhalte auch anderer inhalte und Bildungsstandards aufgegriffen, und andererseits Evaluierung innovativer grammierbaren Webstühle4, und auf diesem Wissen aufbau- Pflichtfächer konkret handelnd zu erschließen, diese auf zusätz- werden diese Inhalte durch die vielfältigen Möglichkeiten, Lehr- und Lernmethoden; end erfolgt die Entwicklung der ersten programmierbaren Re- lichen Ebenen einzuordnen, Muster zu erkennen, Inhalte zu ver- die das Fach durch Kooperationen bietet, vertieft, sodass die From STEM to STEAM. chenmaschine, also des Computers5. (Abb. 3–5) netzen und auf andere Anwendungsfelder zu übertragen sowie SchülerInnen in einer hohen Qualität technische und techno- Künstlerische Schwer- Ein wesentlicher Faktor des Faches Technisches und textiles einen ganzheitlichen Blick auf die Welt zu konstruieren. Paral- logische Grundlagen, Prinzipien, Fertigungsmethoden prak- punkte: Fotografie und Werken ist, dass Dinge mit oder ohne digitale Unterstützung lel in verschiedenen Fächern oder auch zeitversetzt behandelte tisch erfahren. (Abb. 6–7) Grafik.

218 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 219 WERKEN: DIGITALE GRUNDKOMPETENZ WERKEN: DIGITALE GRUNDKOMPETENZ

tieren und Entwickeln, um das Verständnis, wie Maschi- von der abstrakten zur realen Ebene zurückkehren und Fries, Andreas: Unmittelbare Erfahrung und sinnliches nen gebaut und programmiert werden müssen, damit sie dabei die digitale Ebene miteinbeziehen, steht ebenfalls Wahrnehmen im Werkunterricht. In: BDK-Mitteilungen. funktionieren. (Abb. 8) im Fokus. 2017,Heft 4, S.28–31. Zitat Lehrplan Schule: „Digitale Kompetenzen werden im Zusätzlich zum realen Vorgang und zur sinnlichen Wahr- Hüther, Gerald: http://www.spiegel.de/lebenundlernen/ Rahmen der Planung und Durchführung entwickelt. Durch nehmung dessen kommt bei der digitalen Weiterbear- schule/kritik-am-schulsystem-huether-will-gymnasi- Abb. 8 HME-Maschine den Einsatz digital ansteuerbarer Maschinen im Sinne der beitung die Erfahrung hinzu, wie eine eigene Idee durch um-und-lehrplaene-abschaffen-a-850405.html, 2012, ab- (2019) Industrie 4.0 können 3-D Druck, Laser Cut, Robotik sowie ein Hilfsmittels hergestellt wird. Das bedeutet, dass gerufen am 18.12.2019 digitale Musterbildung und die digitale Weiterverarbei- ich nicht mehr die herstellende, also aktive Person bin, Sax, David: Die Rache des Analogen. Warum wir uns nach tung von Entwürfen in den Unterricht einbezogen werden.“ sondern in einer passiven Rolle die der Zuseherin ein- realen Dingen sehnen, Residenz Verlag, 2017. (Lehrplan Schule, S.3) nehme, wenn mein Werkstück von einer „Maschine“, Swaab, Dick: Unser kreatives Gehirn. Wie wir leben, lernen THESE 2: z. B. einem 3D-Drucker herstellt wird. Es ist eine an- und arbeiten, Droemer, 2017. Stärkung der kognitiven Fähigkeiten durch die Kombination dere Erfahrung, eine aufregende, da ich hier noch nicht Digi.komp – Das Kompetenzmodell: https://digikomp.at/in- analoger und digitaler Methoden, wobei das Basiswissen weiß, ob meine Strategie der Herstellung funktioniert. dex.php?id=592&L=0, abgerufen am 18.12.2019 essentiell für die Umsetzung ist, denn es geht um das Er- Es steht die unmittelbare Erfahrung der virtuellen Erfah- Technisches und textiles Werken, Lehrplan 2017: kennen, Verstehen und um das Begreifen von Zusammen- rung durch Beobachtung gegenüber, die einzige Mög- https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Begut/BE- Abb. 9 Projekt measure up! hängen! lichkeit der Beeinflussung ist der Abbruch des Druck- GUT_COO_2026_100_2_1426277/BEGUT_COO_ (2017) vorganges! 2026_100_2_1426277.pdf, abgerufen am 18.12.2019 Der Wunsch nach aktiver Teilhabe lässt sich auch in der realen Welt an den, oft aus Eigeninitiative und Eigenin- Abbildungen: Abb. 10 Workshop Arduino teresse entstandenen gemeinschaftlich genutzten Räu- Abb. 1–8, 10: Marion Starzacher für Kleine mit Laura Neu- men der Makerszene, der DIY-Plätze, in Repair Cafés, Abb. 9: Nora Hoti müller im Rahmen der Mini in FabLabs, in Kleinbetrieben, die zu unterschiedlichs- MakerFair Steyr (2017) ten Themen Workshops anbieten, wo unter Anleitung Dinge selbst hergestellt werden, erkennen. Auch in 1 In: https://www.schule.at/portale/werken-technisch/medien/detail/ der virtuellen Welt finden sich solche Räume, die Web- technikbildung-ein-neues-magazin-stellt-sich-vor.html, abgerufen site thingiverse zeugt von einer Gemeinschaft, die ei- am 18.12.2019. nem gemeinsamen Interesse nachgeht und Dateien für 2 ScienceTechnologyEngineeringMathematics -> ergänzt um A für 3D-Drucke zum Download bereitstellt. Es geht um so- Arts, deutsche Entsprechung MINT oder MINDT, allerdings ohne die ziales Miteinander, um Vernetzung und Lernen vonein- Kunst oder Kreativität. ander – es wird von einem Rückzug aus der zunehmend 3 Vergl. Meyer und Bachinger. Der Begriff kognitiv stammt aus der Psychologie und be- digitalisierten Welt und Bedürfnis nach Handwerk im 4 Vergl. Burckhardt, S.37f. zeichnet die Funktionen des Menschen, die mit Wahrneh- Sinne von Hannah Arendt gesprochen. (Abb. 10) 5 Elektronische Datenverarbeitungsanlage. Thesen mung, Lernen, Erinnern und Denken, also der menschli- „Der eigentliche Schatz, den wir fördern müssten, ist die 6 Aktuell werden alle Schullehrpläne mit dem Ziel der stufenweisen Im Zuge der Recherche zur Digitalen Grundbildung, den digi- chen Erkenntnis- und Informationsverarbeitung, in Zusam- Begeisterung am eigenen Entdecken und Gestalten, das Einführung ab dem Schuljahr 2020/21überarbeitet. talen Kompetenzen und deren Einflüsse auf das Fach Techni- menhang stehen. (Abb. 9) Tüftlertum, die Leidenschaft, sich mit etwas Bestimmten zu 7 Siehe hierzu auch https://www.digikomp.at (18.12.2019). sches und textiles Werken haben sich folgende Grundüber- „Werken besitzt im Bildungskontext in unserer Gegenwart beschäftigen!“ (Gerald Hüther) legungen herauskristallisiert, die nachstehend als Thesen for- besondere Bedeutung, da es in unserer vom Digitalen ge- muliert sind: prägten Zeit Situationen schafft, in denen der Wissenser- Der Kreis schließt sich, denn die Begeisterung am eigenen THESE 1: werb an das unmittelbare an die Realität gebundene Erfah- Tun, wie Hüther sagt, lässt eine Förderung in allen Bereichen Die Herangehensweise an ein Projekt oder Objekt, die Stra- ren und sinnliche Wahrnehmen gekoppelt ist.“ (Andreas zu: sowohl analog als auch digital. tegie, ist – ob analog oder digital oder kombiniert umge- Fries) setzt – ident: beginnend mit der Aufgabenstellung /Prob- THESE 3 Literatur lemlösung, gefolgt von Idee, Entwurf, erste Skizzen und Die Gestaltung der Artefakte ist ein wesentlicher Bereich Arendt, Hannah: Vita active oder Vom tätigen Leben, Piper, Beschreibungen, einem Prototyp, bis hin zur analogen oder im Fach Technisches und textiles Werken: das Formale, 2003. digitalen Umsetzung. das Materielle, das Design! Die Förderung der Kreativi- Crawford, Nancy: Getting in! The Ultimate Guide to Creating Wichtig ist das Wissen, wie Dinge funktionieren, was da- tät, auch das Erkennen von Talenten und/oder die Förde- an Outstanding Portfolio Earning Scholarships & Securing hintersteckt, damit Neues entstehen kann. Beim Einsatz rung von SchülerInnen, deren Potenzial im handwerkli- Your Spot at Art School, 2015. digitaler Medien in der Werkerziehung geht es nicht um chen Bereich liegt, bilden die Potenziale des Faches. Das Burckhardt, Martin: Eine kurze Geschichte der Digitalisierung, die reine Anwendung an sich, sondern um das Experimen- Interessewecken durch das Tun, das Experimentieren, Penguin Verlag, 2018.

220 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 221 TRANSMEDIALE PROJEKTE TRANSMEDIALE PROJEKTE

Petra Suko Die Albertina animierte je ein Portrait Picassos, von Cha- Abb. 3 Super Maria als gall, Jawlensky, Monet. Im Belvedere konnte man durch Aug- Augmented Reality Figur mented Reality mehr Information über die Gebäude und den im Rahmen des Bepart Transmediale Projekte im Kunstunterricht Canaletto-Blick erhalten. Workshops in Carate Brian- Recherchen zu Augmented Reality im Rahmen Die Artivive-App für Smartphones und Tablets kann mithil- za, Schule IIS Leonardo da fe von Bilderkennung Kunstwerke im Raum identifizieren und Vinci mit Petra Suko, Luke eines Erasmus+ Schüler*innen Austauschprojektes mit einem Video überspielen. Das analoge Kunstwerk dient Green, Antonio Risoluto, 2018/19 dabei stets als Tor zum digitalen Inhalt. Das Video wird am Elisabeth König-Hackl, Smartphone-Display anstatt des erkannten Bildes abgespielt; Cristina Cozza, Christina das Bild wird dadurch zur Leinwand. Sanvito, Dezember 2018 Abb. 1 Das Märchen der Zunächst wäre es wichtig, den Begriff von Transmedialer Um die digital erweiterten Kunstwerke betrachten zu kön- Umweltverschmutzung, Kunst zu klären, wobei ich hier die Homepage der Universität nen, muss lediglich die Artivive-App auf das Smartphone oder Pop Up auf unseren Displays erschien und bei den Dokumen- eine Animation, verknüpft für angewandte Kunst zitieren möchte – nämlich ein transdis- Tablet geladen und die Kamera des Gerätes auf das mit Arti- tationsfotos als Screenshot mit dabei war. (Abb. 3) mit einem Graffiti in ziplinärer Ansatz bei Konzeption und Realisierung von Kunst. vive erweiterte Kunstwerk gerichtet werden. Artivive besteht In Wien gab es schon im Vorfeld Versuche, mit dem Ar- Mailand, abrufbar auf der Die Abteilung Digitale Kunst erschließt neue Felder für die aus zwei Komponenten: aus dem Visualisierungstool Artivi- tivive App Kunstwerke zu erstellen und zu augmentieren. Im Homepage von MAUA, Kunst durch Nutzung von Informationstechnologie als Gestal- ve-App und dem CMS Bridge by Artivive – das Kreations-Tool Rahmen des Wahlpflichtfaches Kunst und Neue Medien am mauamuseum.com; tungsressource. für Künstler. (Abb. 2) G19 sowie mit Schülerinnen einer 7. Klasse waren wir zu- benutzbar als Triggerbild, Unter Erweiterter Realität versteht Wikipedia die compu- nächst analog kreativ. Mit MDF-Platten wurden Kunstwerke Bepart App tergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung. Aug- gestaltet, sie dienten als Malgrund für flächiges Malen, die Abb. 2 Pablo Picasso, mented Reality begegnet uns heute überall dort, wo ein com- Aufgabe wurde jedoch schnell erweitert, im Sinne von Frank Frau mit grünem Hut aus putergenerierter dreidimensionaler Raum mit dem realen Stella in die dritte Dimension zu gehen. Mit Hilfe von Holz- der Sammlung Batliner, 3D-Raum interagiert. Die Frage, die wir uns stellen (Petra Suko und Antonio Ri- resten, PU-Schaum und zerschnittenen Flächen entstand ein Albertina, aufmontiert mit Georg Peez spricht in seinem Artikel, publiziert in den soluto): „Wie kann der Einsatz von digitalen Medien, Apps wie Pool an Möglichkeiten, auch mittels Heißklebepistole räum- Artivive, 2019 , Foto Petra BDK-Mitteilungen, von „Augmented Reality als einer Erfah- Bepart, Artivive, Geocaching (…) zu einer attraktiveren Ver- liche Objekte zu bauen. Suko rungs- und Gestaltungsmöglichkeit in einer um virtuelle Anteile mittlung von Kunst an Jugendliche beitragen?“ erweiterten Realität.“ (Peez, 2018) Wie kann weniger bekannte, sich im öffentlichen Raum Im Umgang mit Smartphones kennen wir einige Apps, wie befindliche Kunst für jedermann zugänglich gemacht werden, Pokemon Go, MSQRD oder Snapchat mit Live-Filterfunktio- durch einen alternativen Kultur-Parcours, durch Videos, Inter- Abb. 4 Dreidimensionale nen, die es erlauben, das Gesicht mit Masken zu überblenden. views und interaktive Partizipation? Assemblage aus Holzresten Augmented Reality kommt u.a. in Produktwerbung und Bepart ist ein gutes Beispiel für die Vernetzung von Street und MDF Platten, Acryl von Marketing vor (Supermarkt, Autowerbung, IKEA, Möblierung Art auf einer Internet-Plattform in Mailand, die ein digitales Emil Cavic, 8A 2108/19, von Räumen), ist aber auch bei Simulationen von technischen Museum (MAUA) auf die Beine gestellt hat, das einen Rund- Wahlpflichtfach Kunst und Anwendungen (Datenbrillen mit digitalen Anzeigen) in Ge- gang durch die Stadt ermöglicht. In der Stadt befindliche Graf- Diese Bilderweiterungen funktionieren nicht immer wie Neue Medien G19, Artivive brauch. fitis werden von den jeweiligen Medienkünstlern zum Leben eine interaktive erweiterte Realität im 3D-Raum, sondern sie App Parallel dazu gewinnt Augmented Reality in der Kunst an erweckt mittels Musik, Klang, Bewegung. Vergleichbar mit laden auch Kurzfilme auf einen Bildschirm. Diese ergänzen Bedeutung, wie bei Janet Cardiff und George Bures Miller am einem Pop-up-Buch tauchen virtuelle Bildbezüge auf einem narrativ das Ausgangsbild mit Hilfe einer Animation – eine Kulturbahnhof der Dokumenta 13 in Kassel 2012 zu sehen Bildschirm auf, jedem zugänglich, der ein Smartphone mit In- Verknüpfung, die ja über das Internet herstellbar ist und die war, ein Erlebnis des Durchschreitens von Raum analog und ternetzugang besitzt und sich die Applikation Bepart auf das Verwobenheit des Triggerbildes mit dem geladenen Movie als gleichzeitig digital. Gerät geladen hat. (Abb. 1) magisch erscheinen lassen. Im Rahmen des Erasmus+ Projektes hatten zunächst Abb. 5 Screenshot der Workshop am IIS Leonardo da Vinci in Artivive: Wiener Startup reichert Kunstwerke Lehrer*innen im Rahmen eines Workshops die Möglichkeit, Powerpointpräsentation, Carate Brianza mit Bepart, MAUA, mit Augmented Reality an die Techniken und Herangehensweisen von Bepart kennenzu- „Hände“, ein Acrylbild mit Im Rahmen des Erasmus+ Projektes per artem ad alios (eine Das Start-up Unternehmen Artivive, in Wien ansässig, bietet lernen. Es wurde ein projektrelevantes Anwendungsbeispiel Heißklebepistole auf MDF Kooperation des G19, Gymnasium Wien mit der Technischen mit der Artivive-App ein ähnliches Tool, das mittels Bilderken- wie ein Prototyp entwickelt. Ein Graffiti-Wandbild, vor Jahren Platte von Vivienne Waulin, Fachschule IIS Leonardo da Vinci in Carate Brianza), welches nung Kunstwerke in Museen erkennt und zusätzliche Informa- selber von Schüler*innen im Schulhof der Leonardo da Vinci 7B 2018/19 im Rahmen über zwei Schuljahre hinweg sich mit Kunst und Kultur der je- tionen dazu einspielt. Der Boom des Mediums wurde von pri- Schule erstellt, zeigt Supermario, die Gaming Figur, als Reprä- des Wahlpflichtfaches weiligen Austauschpartner Österreich/Wien und Italien/Mai- vaten Künstlern genützt, ebenso im Galerienbetrieb der Kunst sentanten für technisches Lernen. Kunst und Neue Medien land befasst, gab es einige Recherchen zu Augmented Rea- und Kulturszene und in der Werbegrafik sowie in der Kunst- Wir haben die Symbolik der Figur erweitert und eine Super am G19, StopMotion lity. vermittlung im Museum. Maria kreiert, die dann am Ende des Workshop-Tages wie ein Animation, Artivive App

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ware-Programm, dann wurden die Figuren in Mixamo ver- Mit Filtern und Masken, mit „mashing up“- Funktionen, mit knüpft, wo Bewegungen auf sie appliziert wurden, Tanzbewe- dem Erstellen von Kurzvideos durch Überblendung unter Bei- gungen, sportliche Betätigungen u.a. Die nächsten Arbeits- behaltung der original Soundebene, begeben sich Jugendli- schritte erforderten dann Unity, eine Plattform zum Erstellen che permanent in eine Autorenschaft, die vorhandenes Mate- einer Applikation. Mit Hilfe eines Target Managers wurde das rial neu zusammenfügt. Triggerbild im 3D-Raum mit der bewegten 3D-Figur in Bezie- Augmented Reality fängt den User dort ab, wo noch eine Abb. 6 Dreidimensionale hung gesetzt. Es wurde eine AR-Kamera auf das Objekt im zusätzliche Illusion eintritt, nämlich die scheinbar räumliche Räume aus geometrischen Raum gerichtet, dies wurde im Vuforia Engine erstellt. Anbindung der virtuellen Welt zurück in die reale Welt. Eine Formen von Sureja Hoxha, Vuforia ist eine App, die dann sowohl für Android Smart- Rückkoppelung, die ohne Internetanschluss nicht funktioniert 7B mit Überlagerungen, phones als auch für iOS Phones die AR-Figur sichtbar machen und trotzdem einen Elefanten, ein Monster, einen Avatar, ein Illusion von Dreidimensio- kann. geometrisches Designobjekt oder auch eine historische Infor- nalität, Artivive App Der zweitägige Workshop war sehr anregend und mach- mation bzw. wissenschaftliche Analyse auf einer magischen te sichtbar, dass tatsächliche Einbindung von virtuellem Metaebene sichtbar machen kann. Als nächstes wurden die Kunstwerke der Schüler*innen 3D-Raum in realem Raum einen höheren technischen Auf- Das Prinzip ist vielleicht sogar vergleichbar mit René Ma- mit Sound, Überlagerungen, Stop-Motion des Herstellungs- wand braucht als nur das Laden eines Films. (Abb. 7 und 8) grittes Bild Das ist keine Pfeife, da dieses ja nur das Abbild prozesses und bewegten Bildern erweitert und im Schulhaus einer Pfeife darstellt. Die Pfeife ist Platzhalter für unendliche präsentiert. Es gibt die Möglichkeit, diese traditionell und Erasmus+ Projekt, zur Schule IIS Leonardo Ebenen der Reflexion und Interpretation jedes einzelnen Be- auch als erweitertes Kunstwerk über Artivive zu rezipieren. da Vinci in Carate Brianza trachters. (Abb. 4–6) Der Schüler*innenaustausch des Erasmus+ Projektes mit Die Pfeife oder das augmentierte Bild wird zum Repräsen- Reisemobilität von 20 Schüler*innen nach Mailand, Brianza tanten, zu einer aus algorithmisch gesammelten Daten der Workshop am G19 mit Bobby fand Anfang Mai 2019 statt. Es wurde viel in Gruppen disku- User gespeicherten virtuellen Realität, die sich dann wieder Rajesch Malhotra tiert, Debatten fanden statt mit Debattierregeln zum Thema zurückspiegelt ins Wohnzimmer, ins Museum, auf die Straße, (Adobe Fuse, Mixamo, Unity, Vuforia) Kunst und Graffiti, wir besuchten die Villa Carlotta am Lago di in die Schule, in den Alltag und dort ein zweites Mal Besitz er- Bei meinen Recherchen zu Augmented Reality stieß ich auf Como. Die Jugendlichen (Italiener und Österreicher) machten greift von uns Rezipienten. den Medienkünstler Bobby Rajesch Malhotra, der in der Klas- dort gemeinsam in englischer Sprache Interviews mit interna- Der Trend zur augmentierten Wirklichkeit ist ungebrochen, se Digitale Medien der Universität für angewandte Kunst stu- tionalen Besuchern über deren Motivation zu Museumsbesu- angefangen bei Headsets, die Apple 2022 auf den Markt brin- diert. Seine Spezialisierungen sind das Motion Capturing, Vir- chen. Weiters gab es einen Stadtspaziergang durch Mailand, gen möchte. Das Gerät soll wie eine schlankere Version der tual-Reality-Anwendungen, Game Engines, Augmented-Rea- Erlebnistour von Kunst im öffentlichen Raum (Architektur, Facebooks VR-Brille Oculus Quest aussehen und sowohl AR lity-Anwendungen, Fotogrammetrie sowie Künstliche Intelli- Skulptur, Graffiti), sowie zwei Museumsbesuche ins Museo als auch VR (Virtual Reality) ermöglichen. Derzeit nutzen so- genzen. del Novecento zu Surrealismus, Pittura Metafisica und Futu- wohl Apple als auch Google ihre Smartphone-Betriebssyste- Malhotras Kunst ist politisch, systemkritisch, beschäftigt rismus und in die Accademia di Brera mit Fokus auf Renais- me, um in Richtung Anreicherung von Realbildern mit zusätz- sich mit dem Weltwirtschaftsmarkt und Gender-Themen. Er sancemalerei, Piero della Francesca, Mantegna und Raffael. lichen Informationen Erfahrungen zu sammeln. erstellt auch für Wissenschaft und Forschung virtuell erleb- Die Projektteilnehmer*innen profitierten auf vielfältigen Ein gutes Beispiel dafür, in welche Richtung es in Zukunft bare Netzwerke, kollaboriert mit Künstlern in Museumsinstal- Ebenen nachhaltig von dem Projekt, welches im Schuljahr gehen könnte, ist der auf YouTube befindliche Film Hyper-Re- lationen und schafft interaktive Performances, die die Bühne 2019/20 seine Fortsetzung findet. Die wesentlichste Ebene ality von Keiichi Matsuda, der uns eine Welt vorführt, die während eines Konzertes interaktiv mit den Besuchern und ist der Kulturaustausch, das Kennenlernen der Gepflogenhei- durchdrungen ist von visuellen Einschaltungen – überall, in kürzlich das MUMOK angeboten hat, mit einer der größten Abb. 7 Workshop am G19 deren Smartphones interagieren lässt. ten im Gastgeberland. Darüber hinaus gibt es die inhaltliche Spielhallen, im Supermarkt, auf der Straße. Augmented AR-Realisationen. Die Architektur gerät in Bewe- mit Bobby Rajesch Malhotra Im Workshop am G19 mit Schüler*innen des Wahl- Auseinandersetzung mit der Kunst in den Museen und Kunst Wie sehr auch die Kunst sich dieser neuen Technologie gung, das Gebäude öffnet sich und Kugeln fließen heraus auf im April 2019 im Rahmen pflichtfaches Kunst und Neue Medien haben wir einige Free- im Kontext von Street Art. schon angenommen hat, davon zeugen zahlreiche künstleri- die Piazza vor dem Museum. Die MUMOK AR App lädt ein zur des Wahlpflichtfaches Kunst ware-Programme kennengelernt, die man zur Erstellung von Auf einer weiteren Ebene fungieren Medien, Apps und sche Arbeiten, angefangen von Station Rose, die bereits seit Ausstellung, in das Museum als Unruheherd und bindet den und Neue Medien einer Augmented-Reality-App benötigt. Das wichtigste Pro- Geo-Caching, Interviews, die Augmented-Reality-Erfahrun- 30 Jahren digitale Bild/Sound-Performances machen, Yunuen Besucher partizipativ mit ein. Abb. 8 Screenshots von gramm ist Unity3D, das mit dem Vuforia Engine zusammen- gen als Mittel, als Medium, das für Jugendliche greifbarer Esparza, die im Internet ein Yunuene Museo entwickelt hat, Adrien Mondot und Claire Bardainne laden ein, mit ihrer Vuforia Augmentierungen arbeitet. Dieses ermöglicht, ein Triggerbild im 3D-Raum mit ist, Kunst begreifbarer macht und eher mit ihrer Alltagsreali- das über die Yunuene-App-Bilder lebendig werden lässt. Ale- App AMBC in eine Welt der holografischen Illusionen, über (Mixamo und Adobe Fuse) einer bewegten 3D-Figur in Beziehung zu setzen. tät verknüpft. xander Govoni und Carla Streckwall haben mit der Augmen- Zufallsgeneratoren werden auf poetische Art Bildwelten aus von Valentina Morina, Die Schüler*innen haben zunächst Triggerbilder im Schul- Jugendliche verbringen täglich viele Stunden in Social Me- ted-Reality-App Refrakt mit dem Projekt Arte TRACKS Bildern Zeichnungen auf Bildschirme generiert. Man könnte die Bei- 6B; Valentin Stempkow- haus gesucht, denn dies ist der wichtigste Ausgangspunkt für dia-Plattformen. Sie kommunizieren miteinander über Apps, der Gemäldegalerie der staatlichen Museen zu Berlin Leben spielliste noch fortsetzen. ski; 7B, Oskar Schmölz; eine gelungene Augmentierung. Das Bild sollte möglichst or- die ständig via Bildinformation Botschaften versenden, beste- eingehaucht. Hier geht es um die Chancen dieser technischen Erneue- 7A 2018/19 am G19, ganische Formen und starke Kontraste beinhalten. hend aus animierten Zeichensymbolen oder kurzen Videos. Alle diese Beispiele bringen uns auf den Zusammenhang rung im Kontext mit Kunstvermittlung bei jungen Menschen. Workshop Bobby Rajesch Wir erstellten Figuren in 3D mit Adobe Fuse, einem Free- (Snapchat, Tiktok) von Internetmuseum zu Museum goes augmented, wie es Das Spiel mit bewegten Bildern wird komplexer, die Verknüp- Malhotra

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fung von Ort, materiellem Raum/immateriellem Raum und Internetlinks Johanna Tewes Zeit ist eine neue Herausforderung. Artivive, www.artivive.com Die Aussagen, die ein Kunstwerk in Bezug auf den Be- Baker Frederik, 2018 MAK: Magical Garden https://www. trachter hat, vollziehen sich wie immer auf inhaltlicher Ebene, mak.at/programm/ausstellungen/klimts_magic_garden Digitale Lernumgebungen im und der Diskurs zwischen den Wahrnehmungsebenen fordert Bepart, https://bepart.net/ Kunstunterricht schülerorientiert systemimmanente Fragestellungen und Rückkoppelungen he- Cardiff Janet und Miller George Bures https://www.youtube. raus. com/watch?v=sOkQE7m31Pw gestalten AR-Anwendungen können erlebt und konsumiert oder Esparza Yunuen, 2019 http://www.yunuene.com Möglichkeiten, Erfahrungen, Beispiele auch selbst gestaltet und kreativ mit verschiedenen Heran- Govoni Alexander und Streckwall Carla, 2015 https://blog. gehensweisen geschaffen werden. smb.museum/alte-meister-neue-ebenen/ Eine Anbindung der Kunst an eine alltägliche Lebenswelt, Matsuda Keiichi, 2016 https://www.youtube.com/watch? zu unserem Taschencomputer, könnte mehr Interesse für die v=YJg02ivYzSs Das Kollegium des Walddörfer-Gymnasiums in dahinter befindlichen Themenstellungen bieten. Die indirekte Malhotra Bobby Rajesch, 2018 https://bobbyrajeshmalhotra. Hamburg hat sich 2016 dazu entschieden, eine Leseart eines Tableau über einen Screen schafft Distanz und tumblr.com schulweite Lernplattform einzuführen, um die führt uns weit weg vom Original, eventuell über den Umweg MAUA, 2017 https://www.streetartfactory.eu/en/maua/ Unterrichtsqualität der Schule zeitgemäß und wieder zurück zur ursprünglichen Botschaft des Ausgangs- MUMOK, 2019 https://www.mumok.at/de/mumok-goes- schülerorientiert weiterzuentwickeln. Haupt- werkes. augmented-reality ziele hierbei waren zum einen die Entwicklung Die Spielerei mit der Bild im Bild Situation erinnert uns am Suko Petra, 2018 https://www.g19.at/index.php/musik- und Erprobung eines webbasierten Angebots Ende an die russischen Matrioschkas, deren Inhalt immer klei- kunst-kultur/709-55-dates-55-werke-aus-der-mumok- zur Unterstützung einer dialogischen Lernkul- ner und kleiner wird und erst beim Zusammenbauen wieder sammlung tur sowie zum anderen, den Schülerinnen und die Form des eigentlichen Ganzen bekommt. Suko Petra, 2019 https://www.g19.at/index.php/musik-kunst- Schülern im digitalen Raum mehr Verantwor- Mag. Art. Petra Suko, VR, Virtual Reality, ist sicherlich die immersivste Art, in ein kultur/762-workshop-augmented-reality-mit-bobby-ra- tung zu übertragen (Abb. 1). Daran anknüp- Studium Bildnerische Kunstwerk einzutauchen, wie es uns Frederik Baker mit seiner jesch-malhotra-2 fend werden im folgenden Beitrag anhand der Erziehung und Technisches virtuell begehbaren Installation Magical Garden beweist. Die Suko Petra, 2019 https://www.g19.at/index.php/musik-kunst- zentralen Funktionen von Lernplattformen ex- Werken 1988–1994, Leh- Frage lautet wahrscheinlich nicht, ob wir in dem Moment, in kultur/742-erasmus-timeline-filmfestival-2 emplarisch Erfahrungen und Erkenntnisse zur rerin an der AHS seit 1995, dem wir uns in einem dreidimensionalen Kunstwerk schein- Suko Petra, 2019 https://www.g19.at/index.php/musik-kunst- schülerorientierten Gestaltung digitaler Lern- derzeit am G19 in Wien, bar physisch befinden, nämlich inmitten einer spiralen Skulp- kultur/763-erasmus-schueleraustausch-mit-italien umgebungen im Kunstunterricht vorgestellt. seit 2000 Wahlpflichtfach tur, nachgebaut im 360°-Modus nach dem Stoclet-Fries, auch Applications: Kunst und Neue Medien, dessen originalen Künstler Gustav Klimt besser verstehen https://www.adobe.com/at/products/fuse.html Erwartungen an ein LMS aus Fachperspektive seit 2014 Lehrtätigkeit an bzw. seinen Wert für den Wiener Jugendstil. https://www.mixamo.com Der Begriff Lernplattform oder Lern-Management-System richt unterstützen, ergänzen, erweitern oder ganz neu den- Abb. 1 Startseite des der PH Wien, Institut IAS, Ich denke, dass es um eine unserer Zeit zugewandte ad- https://unity3d.com (LMS) bezeichnet eine komplexe, web-basierte Software, die ken (vgl. Puentedura 2006), an Relevanz und damit auch die Eingangsbereichs zur Lern- seit 2017 Lehrtätigkeit an äquate Wahrnehmungskultur geht. Das Digitale durchdringt „praktisch alle Facetten des E-Learning und Blended Learning Notwendigkeit, die Einsatzmöglichkeiten von Lernplattformen plattform itslearning am der Universität für Ange- uns über die tägliche Einbindung derart, dass Kunst, die mit Literatur integral unterstützt.“ (Petko 2010: 16) Laut Strategiepapier mit ihren vielfältigen Funktionen auszuloten und kritisch zu re- Walddörfer-Gymnasium wandte Kunst Wien, Fach- VR-Brille und Steuerung förmlich hautnah an uns herantritt, Peez, Georg (2018): Augmented Reality – kunstpädago- der Kultusministerkonferenz zur Bildung der digitalen Welt von flektieren. Mit Blick auf den kunstpädagogischen Fachdiskurs didaktik. Ausstellungen: unsere Aufnahmerezeptoren stärker reizt. gisch betrachtet /Erfahrungs- und Gestaltungsmöglichkei- 2016 ist die Einführung solcher Lernplattformen für alle Schu- zu diesem Thema kommt Marc Fritzsche bei der Durchsicht 2002 Honorary Mention Das Herstellen von Kunst erfolgt heute oft nicht mehr über ten in einer um virtuelle Anteile erweiterten Realität. In: len in Deutschland vorgesehen, um die Fächer in ihrem Bil- der internationalen Fachpublikationen zu dem Urteil, dass die U19, ars elctronica2009, handwerkliche Technik. Technik liegt in der Hand von Com- BDK-Mitteilungen 2.2018 http://www.georgpeez.de/texte/ dungsauftrag zu unterstützen, Kompetenzen für eine „aktive, Möglichkeiten, Lernprozesse durch die Nutzung digitaler Me- Tagtools 2012, Bewegte putern, Robotern und künstlichen Intelligenzen; der kreative download.htm/arpeezbdkm18.pdf selbstbestimmte Teilhabe in einer digitalen Welt“ zu vermit- dien zu verändern oder zu verbessern, „in einem großen Teil Bilder 2013, Kunst oder Prozess liegt in der Hand dessen, der noch steuert und die Kothe Tina und Pruss Marlene, Augmented Reality Games teln (KMK: 12). Dementsprechend soll „bis 2021 jede Schü- der Veröffentlichungen sehr positiv und bisweilen unkritisch Architektur mla award Prozesse nachvollzieht und kritisch hinterfragt. – ästhetische Erlebnisräume entstehen. In: Camuka, Ah- lerin und jeder Schüler jederzeit, wenn es aus pädagogischer beschrieben“ würden (Fritzsche 2016: 84). Auch im deutsch- (BMB)2016, Approbierte Aneignung, Appropriation von Kunst und Spiegelung der met; Peez, Georg (Hg.) (2017): Kunstpädagogik digital mo- Sicht im Unterrichtsverlauf sinnvoll ist, eine digitale Lernum- sprachigen Raum finden sich Hinweise darauf, dass der Ein- Selbstportraits Preisträger eigenen Zugangsweise in einer erneut künstlerischen Umset- bil; Film, Video, Multimedia, 3D und Mobile Learning mit gebung und einen Zugang zum Internet nutzen können […]“ satz digitaler Lerntechnologien im Kunstunterricht Chancen mla award (BMB). zung erzeugt ein persönliches Statement. Smartphone und Tablet – Vermittlungsszenarien, Unter- (KMK: 6). Damit wird u.a. das Ziel verfolgt, „den Schülerinnen biete, Lehr-Lernprozesse durch Szenarien des Blended Lear- richtsprojekte und Reflexionen. München, Kopaed Verlag und Schülern mehr Verantwortung für die Gestaltung des ei- ning oder des mobile Learning kollaborativ, zeitlich und räum- genen Lernens zu übertragen und damit ihre Selbstständigkeit lich flexibel sowie „individueller, differenzierter und nachhal- zu fördern“ (KMK 2016: 13). tiger“ zu gestalten (Camuka/Peez 2017: 225) und damit zu Auf Basis dieser bildungspolitischen Entwicklungen ge- einer Bereicherung der fachspezifischen Lernkultur sowie zu winnt die Frage nach der fachspezifischen Ausgestaltung erhöhter Motivation und einer Stärkung des selbstgesteuer- von digitalen Lernumgebungen, die den analogen Kunstunter- ten Lernens beitrage (Weber 2011).

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Darüber hinaus bieten LMS eine große Bandbreite an Schülerinnen und Schüler an Möglichkeiten, um Unterrichtsvorhaben zur ästhetischen der Entwicklung beteiligen Theorie und Praxis je nach Bedarf, Zielsetzung oder Kom- Tatsächlich ist die Frage nach der pädagogischen Grundhal- petenzanforderungen nach unterschiedlichen Offenheitsgra- tung bereits bei der Implementierung eines LMS in die Schule den, z. B. an Stationen oder im Flipped Classroom (Abb. 3), von entscheidender Bedeutung, denn die zugrundeliegenden zu organisieren und zu strukturieren. Hierbei können weite- Vorstellungen und Rollenerwartungen von Lehrer*innen und re Funktionen, Tools oder Add Ons, etwa zur interaktiven Schüler*innen können dessen Ausgestaltung, Nutzung und Sammlung, Ordnung oder Analyse von Bildern mit Learnin- Akzeptanz von Beginn an entscheidend prägen. So gilt es zu- gapps.org, Padlet.com oder Mentimeter.com (Abb. 4–5), nächst zu berücksichtigen, dass Lernplattformen nicht neut- hinzugefügt oder eingebunden werden. Auch die Anlage ral daherkommen, sondern einerseits in ihrer technologischen von komplexen Einheiten mit projekt- oder werkstattorien- Grundstruktur bestimmten Eigenlogiken folgen und anderer- tiertem Arbeiten und begleitendem e-Portfolio ist möglich. seits in ihrer didaktischen Aufmachung oft traditionelle Schul- Letztere bieten sich besonders an, um sich in ästhetischen strukturen reproduzieren. Dies zeigt sich beispielsweise darin, Projekten mit den Schülerinnen und Schülern zu Fragen von dass bei LMS meist eine klare hierarchische Trennung zwi- Digitalisierung und Digitalität auseinanderzusetzen. Entspre- schen Lernenden, Lehrenden und Administrator*innen vorge- chende Arbeitsaufträge können beispielsweise darauf zie- nommen wird, und Schülerinnen und Schülern dadurch oft nur len, die im Netz gegebenen Bedingungen auszuprobieren, stark eingeschränkte Zugriffsrechte und somit wenig Einfluss- zu erforschen und zu verstehen (Abb. 6). Ein weiterer Zu- möglichkeiten auf Inhalte, Lernwege, den zeitlichen Erarbei- gang wäre, sich durch produktiv-transformierende oder re- tungsrahmen oder die Leistungsbewertung eingeräumt wer- flexiv-kritische Arbeiten kommentierend dazu zu verhalten den. Solch eng geführte Gestaltungsspielräume bieten wenig oder Alternativen zu erfinden (Abb. 7). Anreize zur Mitgestaltung und Verantwortungsübernahme Nach einer ersten Phase des Ausprobierens und Erprobens seitens der Lernenden (Günther/Schiefner-Rohs 2018). der Möglichkeiten, die eine Lernplattform bietet, um digitale Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, die Schülerschaft Lernräume zu gestalten, ist es für den weiteren Entwicklungs- von Beginn an am Implementierungs- und Entwicklungspro- prozess sinnvoll danach zu fragen, inwiefern die neue Band- zess einer Lernplattform zu beteiligen. Dies kann durch Feed- breite an Quizzes, Tools und Apps wirklich zur Verbesserung backschleifen geschehen oder durch die Einrichtung eines ei- des Unterrichts und der Lernmotivation beiträgt. Hierzu kön- genen Schülerbereichs, zu dem nur sie Zutritt haben und in nen die Schülerinnen und Schüler über qualitative Interviews Abb. 4 Eingebundenes dem sie alle Aktivitäten, Inhalte und Funktionen selbst erstel- oder Fragebögen direkt Feedback geben. Learning Apps Tool (https:// len und verantworten. Auf diese Weise kann sichergestellt Aus den entsprechenden Evaluationsergebnissen am learningapps.org), mit dem werden, dass sich nicht nur das Kollegium, sondern auch die Walddörfer-Gymnasium lässt sich zusammenfassend schlie- Porträts aus der Hamburger Schülerschaft selbstorganisiert mit den Funktionsweisen und ßen, dass die Arbeit mit einer Lernplattform an sich für die Kunsthalle interaktiv nach Nutzungsmöglichkeiten des LMS vertraut macht und eigene Schülerinnen und Schüler zunächst unabhängig von der Al- Kopfhaltungen sortiert Konzepte und Ideen entwickelt, die dann in die Gestaltung tersstufe wenig motivierend war. Dies lässt sich vor allem werden können Abb. 2 Beispielseite für Insgesamt wurde dem Einsatz von LMS in der Fachli- weiterer Lernräume mit einfließen können. damit begründen, dass die Schülerschaft die formale Gestal- Abb. 5 Kollaborativ mit die in einer Lernplattform teratur jedoch bisher wenig Beachtung geschenkt. Mög- tung der Lernplattform (z. B. im Vergleich zu kommerziellen Padlet.com erstellte Pinn- integrierten Tools zur liche Gründe hierfür könnten sein, dass die Potenziale für Ausprobieren, Erfahrungen Onlineprodukten) als unübersichtlich, umständlich und visu- wand zum Leben und Werk Unterrichtsgestaltung und praxisorientierte Fächer wie Kunst zunächst wenig attrak- austauschen, evaluieren ell unattraktiv empfand. Der Einsatz interaktiver digitaler Tools Oskar Niemeyers -organisation tiv erscheinen, da sie den fachspezifischen Anforderungen Bei der Gestaltung fachbezogener digitaler Lernräume ist konnte jedoch dazu beitragen, die Lernmotivation zu steigern, Feedback und das Präsentieren eigener Abb. 6 Von Pira (Klasse Abb. 3 Beispielseite für zu wenig Rechnung tragen und es zu befürchten gilt, dass weiterhin zu beachten, dass sich die der Lernplattform inhä- weil der Unterricht dadurch insgesamt abwechslungsreicher Produkte wirken besonders lernförderlich 12) gestaltete Website zu eine Unterrichtsstunde die den Plattformen inhärenten Strukturen fachspezifische renten Funktionen (Abb. 2) am effizientesten zu Lernsettings wurde. Unsere Umfrage hat weiters ergeben, dass die Schülerin- einem fiktiven In-Ear-Tech- nach dem Flipped Class- Anliegen eines experimentell und ergebnisoffen angeleg- oder Unterrichtsvorhaben kombinieren lassen, die einer mehr Diese Einschätzung lässt sich als erstes Zwischenfazit nen und Schüler es als motivierend empfinden, ihre eigenen nikprodukt, das Menschen room Prinzip ten Unterrichts durch eine starke Out-Come-Orientierung oder weniger stringenten linearen Struktur folgen (z. B. Trep- auch aus Lehrerperspektive bestätigen, denn die derzeit mit Arbeitsergebnisse (z.B. Zeichnungen, animierte Gifs, Filme, in der Zukunft bei der zu sehr beschneiden (vgl. Park 2011). Zudem wurden auch penstruktur oder Parcours/Lernzirkel), in denen also die zu er- dem LMS verbundenen Funktionen und Tools bieten vor allem Webseiten oder inszenierte Fotografien) auf der Lernplattform Partnersuche helfen soll Kritik und Zweifel an dem behaupteten Leistungswert di- wartenden Ergebnisse und der Weg dorthin bereits im Sinne einen Gewinn als methodisches Add On, z. B. zur Differenzie- ihrer Lerngruppe zu präsentieren und hierzu in einem weiteren gitaler Lernumgebungen und dem damit verbundenen pä- eines im Vorfeld festgelegten Lernpfades vordefiniert sind. rung, um durch Quizzes (z. B. kahoot.com, quizlet.com) die Schritt z.B. über die Kommentar- oder Peer Review-Funktion dagogischen Zielsetzungen, wie sie durch das KMK-Stra- Über vor- oder zwischengeschaltete Wissenstests lassen Verwendung von Fachsprache zu festigen oder um Arbeits- Feedback zu geben und zu erhalten (Abb. 8). Auch die Mög- tegiepapier kommuniziert werden, geäußert (Rittelmeyer sich dann weitere kompetenzorientierte Niveaustufen festle- stände zu dokumentieren und (Zwischen-)Ergebnisse beliebig lichkeit, über Umfragetools und Feedbackbögen Rückmeldun- 2018: 62f.). gen und Differenzierungen vornehmen. zu erweitern, zu bearbeiten und zu teilen. gen zum Unterricht, zu Gruppenarbeiten oder zu Lernseiten

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Dies ändert sich jedoch mit der Benotungsrelevanz der Texte. Vor Ort praktikable Lösungen für Sollen diese etwa als Klausurersatzleistung zu einem hohen Fragen der Datafizierung finden Anteil in die Endnote einfließen oder als Endergebnis veröf- Abschließend soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Interakti- fentlicht werden, dann entscheiden sie sich lieber für eine ge- on mit einer Lernplattform Daten produziert. Neben allgemei- tippte Variante, da diese besser zu lesen, leichter zu über- nen Fragen der Datensicherheit ist wohl eine der umstrittens- arbeiten und zu korrigieren sei. ten Funktionen von LMS, dass diese gezielt Daten über das Um in diesem Rahmen weitere Anreize für eine ernsthafte Interaktions- und Nutzungsverhalten der Schülerinnen und Mitarbeit an Peer Reviews zu schaffen oder die Qualität des Schüler erheben und statistisch aufbereitet auswerten (Allert Camuka, Ahmet; Peez, Georg (2017): Mobile Learning in der Abb. 9 Beispielansicht für S-S-Feedbacks in Kommentaren zu steigern, hat es sich wei- 2016). So lassen sich differenzierte Berichte darüber abrufen, Kunstpädagogik. Am Beispiel eines Hochschulseminars. einen Lernfortschrittsbe- terhin bewährt, auch diese Tätigkeiten in die mündliche Mit- wann sich die Schülerinnen und Schüler einloggen, wie lange In: Camuka, Ahmet; Peez, Georg [Hg.]: Kunstpädagogik di- richt auf einer Lernplatt- arbeit einfließen zu lassen. Hier können sich besonders jene sie auf der Plattform online und mit welchen Tätigkeiten sie gital mobil. München: kopaed, S.217–227. form Schülerinnen und Schüler zeigen, die schriftlich stärker sind dort aktiv waren, welche Aufgaben sie sich angeschaut, mit Fritzsche, Marc (2016): Interfaces – Kunstpädagogik und di- als mündlich. welchen Materialien sie sich wie lange beschäftigt haben und gitale Medien. Theoretische Grundlegung und fachspezi- wann und wozu bereits Lösungen eingereicht wurden (Abb. fische Praxis. München: kopaed. Interaktion und kollaboratives 9). Aus all diesen Informationen lassen sich Aussagen über Günther, Dorit; Schiefner-Rohs, Mandy (2018): Mediale (Bil- Arbeiten fördern das Lernverhalten, den Lernfortschritt und den Leistungs- dungs-)Räume in der Schule: Herausforderung mimeti- Um im Rahmen der Lernplattform mehr Gelegenheiten zum stand der Schülerinnen und Schüler ableiten. scher Konzeptionen, in: Pietraß, Manuale u.a. [Hg.]: Jahr- Sammeln, Teilen, Austauschen und Kommentieren fach- und Dies hat den Vorteil, dass sich Lehrerinnen und Lehrer gang Medienpädagogik 14. Der digitale Raum – Medien- themenbezogener Inhalte sowie für Reflexion und Feedback schnell einen Überblick über das Lernverhalten ihrer Lerngrup- pädagogische Untersuchungen und Perspektiven, Wiesba- zu schaffen, hat es sich im Kunstunterricht darüber hinaus be- pe verschaffen können und dieses als Grundlage für Rückmel- den: Springer, S.177–195. währt, folgende Methoden des E-Learnings fachbezogen an- dungen und Lernentwicklungsgespräche nutzen können. Zu- KMK [Hg.] (2016): Bildung in der digitalen Welt. Strategie zuwenden: dem erhalten sie auf diesem Weg eine differenzierte Auskunft der Kultusministerkonferenz. Online verfügbar: https://bit. #Zitate: Poste an einem dir zugelosten Tag ein Zitat ei- darüber, welche der bereitgestellten Lernangebote erfolgreich ly/2PJXEGJ (Stand: 16.10.19). ner berühmten Künstlerin /eines berühmten Künstlers an das genutzt wurden und an welchen Stellen die Schülerinnen und Park, Ji Yong (2011): Design Education Online: Learning De- Dr. Johanna Tewes ist Stu- Schwarze Brett dieses Kurses. Schüler Schwierigkeiten hatten. livery and Evaluation. In: International Journal for Art and dienrätin und Kunstfachlei- #Bilderkette: Wähle ein Bild aus dem Internet und sende Gleichzeitig vermittelt die Nutzung von Learning Analytics Design Education, 30.2, S.176–187. tung an einem Hamburger Abb. 7 Inszenierter Foto- an die Lehrerinnen und Lehrer zu geben, erhielt hohe Zustim- es via Chatfunktion an die Person, die im Kursalphabet nach ein Gefühl von Überwachung und Kontrolle. Dieser Aspekt be- Petko, Dominik (2010): Lernplattformen in Schulen. Ansätze Gymnasium, Lehrbeauftrag- kommentar von Moritz mungswerte. dir kommt. Sie muss durch digitale Weiterbearbeitung auf das trifft nicht nur die Lernenden, sondern kann auch den Leis- für E-Learning und Blended Learning in Präsenzklassen. te im Fachbereich Kunst- (12. Klasse) zu populären Außerdem haben die Schülerinnen und Schüler angege- Bild reagieren und es wieder weiterschicken. Wiederholt den tungsdruck auf die Lehrenden erhöhen, denn mit Administ- Wiesbaden: Springer. pädagogik (Schwerpunkt Rollenvorbildern auf Insta- ben, dass sie Texte (z.B. Konzepte zu praktischen Arbeiten Vorgang bis zu dreimal und speichert die Zwischenstände und ratorenrechten lassen sich auch Einblicke in das Nutzungs- Rittelmeyer, Christian (2018): Digitale Bildung. Ein Wider- digitales Lernen) an der gram (hier: Frieda Kahlo) oder Bildanalysen) grundsätzlich lieber handschriftlich ver- das Endergebnis in einer Slideshow. verhalten und die hochgeladenen Unterrichtseinheiten des spruch. Oberhausen: Athena. Universität Hamburg sowie fassen, weil es schneller ginge und weniger umständlich sei. #Bildreproduktion: Wähle ein Bild oder einen Bildaus- Kollegiums gewinnen. Im Sinne der Transparenz und des Ver- Puentedura, Ruben (2006): Transformation, Technology, and 2. Vorsitzende im Hambur- schnitt (alternativ: Kunstwerk) aus dem Internet. Finde so viele trauens gegenüber den Schülerinnen und Schülern, den Eltern Education, online verfügbar unter: http://www.hippasus. ger BDK – Fachverband für digitale Lösungen wie möglich, um dieses Bild in einen neuen und auch dem Kollegium ist es daher unerlässlich, sich im com/resources/tte/ (Stand: 16.10.19), deutsche Überset- Kunstpädagogik. In ihrer Kontext zu setzen. Dokumentiere die Ergebnisse jeweils mit Rahmen von Schul- und Unterrichtsentwicklungsprozessen zung des SAMR-Modells durch Adrian Wilke: https://bit. Dissertation hat sie sich einem Screenshot und präsentiere sie in einer PPP. darüber abzustimmen, wie mit den Möglichkeiten der Daten- ly/2rcwwqe (Stand: 16.10.19). mit systemischen Fragen #ARTnews-Opfer: Bildet eine kleine Gruppe. Lasst euch analyse umgegangen wird und welche Relevanz dieser bei Weber, Katja (2011): Blended Learning in der Kunstpädago- zur Geschichte der Kunst- Abb. 8 Schülerkommentare vom Zufallsgenerator ein „Opfer“ zuteilen. Flutet das Nachrich- der Beurteilung und Bewertung eingeräumt wird. So ist es gik. In: Kirschenmann, Johannes; Schulz, Frank, Sowa, pädagogik zwischen 1945 zu einem Webseitenent- tenpostfach dieser Person innerhalb von einer Minute mit so durchaus auch legitim, diese Funktion nicht zu nutzen. Hubert: Kunstpädagogik im Projekt allgemeiner Bildung. und 1980 beschäftigt. wurf zu einem fiktiven vielen Schlagzeilen aus der Kunstwelt wie möglich. Die Person München: kopaed, S.601–613. https://johannatewes.com/ Architekturbüro (Thema: muss alle Nachrichten in eine „Notiz“ kopieren und diese an- Literatur Berufsorientierung in den schließend am Schwarzen Brett posten. Allert, Heidrun (2016): Das Politische der Algorithmen in der Künsten) auf Grundlage von #Chatlyrik: Sichtet in 2er- oder 3er-Teams eure Nachrich- Bildung: Subjektivierungsprozesse und Digitalität. Online Schülerarbeiten aus der tenfeeds. Nehmt die Bausteine als Ausgangspunkt für ein Ge- verfügbar unter: https://bit.ly/2PJt5ke (Stand: 16.10.19), Oberstufe dicht, z.B.: Akrostichon, Elfchen… S.1–18. #Œuvre: Speichere oder screenshotte so viele unter- schiedliche Werke einer Künstlerin/eines Künstlers, wie du im Internet finden kannst und erstelle für den Kurs eine Slide- show. Achte auf eine gute Bildqualität.

230 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 231 IMPRESSIONEN EINES GELUNGENEN DIALOGS IMPRESSIONEN EINES GELUNGENEN DIALOGS

Abb. 31 Petra Seebacher von proholz-steiermark als Ausstellerin im Gespräch Abb. 34 Rektorin Elgrid mit Interessierten Messner begrüßt die TagungsteilnehmerInnen am Sonntag

Abb. 35 Podium während der Fishbowl-Diskussion Abb. 32 Alois Bachinger im Gespräch mit Studie- renden der Technischen und Textilen Gestaltung Fotocredits (Impressionen eines gelungenen Dialogs): Purkarthofer Abb. 22, 23 PHSt/TTG Abb. 28–35 cp-pictures. Günter Schuchlautz Abb. 1–8, Abb. 11–21, Abb. 25–27 Maria Schuchter Abb. 9, 10, 24

232 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 233 DAS ANALOGE DAS ANALOGE

Gerhild Tschachler-Nagy Weil im Kunst- und Werkunterricht der Mensch als han- viel Sicherheit und Selbstbewusstsein dieses Arbeiten ihnen delndes Wesen im Zentrum steht, verstehe ich diesen Unter- mit auf ihren Lebensweg gab. Es wurde für sie ein stabiles richt auch höchst politisch: Es geht darum, sich als selbst- Fundament für ihren weiteren Lebensweg aufgebaut. Aus Das Analoge im Kunst- verantwortliches Wesen, als Verantwortung übernehmendes einem stillen, verhaltenen Mädchen wurde eine Designerin, und Werkunterricht Wesen zu verstehen. die heute in , Paris und London arbeitet, bereits Wir dürfen allerdings nicht davon ausgehen, dass alle Kin- mit 22 Jahren ihre eigenen Labels vermarktet. Ihr Bruder ist Ein Plädoyer der bereits alle notwendigen Entwicklungsschritte durchlau- heute Student an der Universität in Harvard und studiert inter- fen haben. Viele Kinder haben Defizite wie emotionale Blocka- nationale Staatswissenschaften. den, Entwicklungsverzögerungen etc. Sie hinken deswegen Die Begründung zu dem von mir Gesagtem liegt in den Die von dieser Fachtagung aufgeworfene Fra- zur Entfaltung der emotionalen Intelligenz und trägt maßgeb- oft auch mental im allgemeinen Unterricht und im sozialen Erkenntnissen über die HAPTIK. ge, ob das ANALOGE, das mit den eigenen lich dazu bei, dass ein Mensch sich seiner selbst bewusst Kontext hinten nach. Sie stehen nicht wirklich auf ihrem Platz. Vielen Menschen ist die Bedeutung der Erfahrungswelt Händen geschaffene Werk, das statische Ge- werden kann. Nur wenn der Mensch einen Abdruck seiner Und der analoge Werk- und Kunstunterricht kann hier heilen- des Haptischen noch nicht bekannt. Die Haptik führte sehr Gerhild Tschachler-Nagy, mälde, das Spielerische noch eine Bildungs- selbst hinterlässt, hat er auch die Möglichkeit, auf diesen de, stärkende, Potenziale hebende und ressourcenorientierte lange ein stiefmütterliches Dasein. Sie ist aber deshalb so 1972–1980 Päd. Akad., funktion hat, ist hoch aktuell. In meinem Bei- Abdruck rückblickend zu schauen. Er kann sich seiner selbst Arbeit leisten. Er ist für so manches Kind eine Nische, wo es wichtig, weil der Homo sapiens mit Erlangen des aufrech- Grundschullehrerin in Öster- trag möchte ich der Bedeutung des Analogen bewusst werden. Jedes genuine kreative Werk ist somit stets sich beheimaten kann. ten Gangs seine Hände freibekommen hatte und damit ein reich, Lektorin am College im kreativen Schaffensprozess und seine Ein- auch bewusstseinsbildend und bewusstseinsformend. Für den Kreativbereich im Unterricht heißt es also: großer Wandel in der Evolution eingeleitet wurde. Der Weg for Higher Education in wirkung auf die kindliche Entwicklung allge- Ein anschauliches Beispiel zur Entstehung von Bewusstsein u im Greifen sich selbst begreifen. zum handelnden Menschen und der daraus resultierenden Norwich, GB, 1977–1981 mein nachgehen. Aus Theorien zur Bildung der aus der Sicht der Evolutionstheorie dazu: Lucy, die archäologi- u im Tun sich selbst mitverstehen. Entwicklung des Gehirns fanden hier in der Evolution seine Studium der Amerikanistik, emotionalen Intelligenz geht hervor, dass das sche Urfrau, könnte demnach ja auch eine fundamentale Erfah- u im Berühren selbst berührt werden. Entstehung. Psychologie, Philosophie Analoge für die menschliche Entwicklung von rung gemacht haben, als sie so schlurfend durch die nasse Erde Erst in jüngster Vergangenheit hören wir vermehrt, dass und Pädagogik, ab 1982 großer Relevanz ist und daher mehr denn je ging. Im Gehen hinterließ sie Spuren. Und es muss jemand da ge- Der haptische Sinn wir die Haptik in einem wissenschaftlichen Diskurs wieder- künstlerischen Tätigkeit, seinen Platz behaupten sollte. wesen sein, der sie ansprach: „Lucy, das bist du!“ „Ich? — ICH!“ Im analogen Unterricht wird das Haptische angesprochen. finden. So verweise ich u. a. auf das Haptiklabor in Dresden, nationale und internationale Das Analoge in der Kunst- und Werkerziehung hat für mich Das Haptische hat immer eine Rückwirkung auf das Kind geleitet von Martin Grunwald. Seine letzten erschienenen Preise, Workshopleiterin Das Analoge im Kunst- und Werkunterricht auch deswegen so hohes Potenzial, weil es sich stets um selbst, auf seine Balance, Sicherheit, Stabilität und Standhaf- Bücher HOMO HAPTIKUS oder DER BEWEGTE SINN beschrei- und Vortragende in Europa Ich habe schon eingangs auf die Wichtigkeit des Analogen in ein Miteinander von Bewegung und Wahrnehmung handelt. tigkeit in dieser Welt. Hat jemand als Kind und später dann ben dies eindrücklich. und den USA, ab 1982 der Kunst- und Werkerziehung und ihre Bedeutung als grund- Schüler/Schüelrinnen können sich einerseits in ihrer Bewe- als Erwachsener diese Stabilität nicht in sich aufgebaut, kann Die Haptik kann auch als haptischer Sinn bezeichnet wer- Kultur- und Kunstprojekten legender Baustein für ein bewusstes „In-der-Welt-Sein“ hin- gung sichtbar erfahren, denn das Resultat zeugt davon. Aber sich ein Mensch nicht im inneren Gleichgewicht befinden. Er den. So stellt sich die Frage: Was aber ist der haptische Sinn? für Schulen, ab 1988 freie gewiesen. Meine Begründungen nehme ich aus den Grund- genauso können sich Schüler/Schülerinnen wahrnehmend ist andauernd mit sich selbst und seinen Überlebensstrate- Der „haptische Sinn“ ist die Gesamtorganisation der Mitarbeiterin bei KKA, lagen der integrativen Entwicklungsmethode ARBEIT AM erfahren: „Das bin ICH – der Erzeuger dieses Werkes.“ Dem gien beschäftigt, anstatt sich der Welt und der Auseinander- Nahsinne (Hautsinn, Gleichgewichtssinn, Tiefendruck) und 1994–2006 Lehrauftrag TONFELD®, einer Entwicklungsförderung, die im pädagogi- Lehrer, der Lehrerin kommt dabei eine sehr bedeutsame Rolle setzung mit ihr zu stellen. Jedes Stellungbeziehen in der Welt ihre neuronale Verschaltung zum Gehirn. Er stellt sozusa- an der Akademie für schen und therapeutischen Feld in unterschiedlichen Institu- als Vermittler zu. Durch ihn/sie erfahren sich Schüler/ Schüle- kommt zum Erliegen. Ein solcher Mensch fristet ein kümmerli- gen einen Kreislauf von Bewegung und Wahrnehmung dar: Ergotherapie am LKH in tionen zum Einsatz kommt. rinnen reflexiv im Tun. ches Dasein. Er befindet sich in einer Form von Isolationshaft. von aktivem Tun und von passivem Erleben. Dabei spielen Klagenfurt, 2001–2006 Jedes kreative Gestalten, vor allem wenn es durch die Der Schüler/die Schülerin bringt immer auch seine innere Da der eigene Zugang zu den Ressourcen wie verschlossen die Hände eine wichtige Rolle: Die Hände sind die Bezie- interdisziplinäre Kunst-und Hände geht, ist stets auch eine leibliche Erfahrung. Es betrifft Bewegtheit, die ihn/sie steuert, in den schöpferischen Gestal- ist, können vorhandene Potenziale und Gaben nicht gelebt hungsorgane des Menschen. Sie sind Mittler zwischen der Kulturprojekte, ab 2009 unseren ganzleiblichen, aber auch seelischen Bezug. Krea- tungsprozess mit ein. Das analoge Arbeiten bietet eine Platt- werden, somit erfährt sich ein solcher Mensch als nicht real. Außenwelt, die wir greifen, und der Innenwelt, die wir er- Lebens-und Sozialberaterin tives Gestalten ist demnach auch immer Selbstbezug und form, um uns in unserer Bewegung oder Bewegtheit zu äu- Ich möchte ein Beispiel von der Bedeutung des gestalteri- leben. Haptik ist fühlende und erlebende Sinnentätigkeit mit mit Praxis in Wien, Graz Selbstäußerung. Kreatives analoges Gestalten erfasst und ßern und zu erfahren. Diese Bewegtheit kann auch affekthaft schen Handelns und deren Auswirkung auf das Leben erzählen. unseren Händen. und Keutschach, Ausbild- umfasst den ganzen Menschen. Ein Zitat von Picasso finde besetzt sein. Wichtig ist hier, dass jedes Kind im schöpferisch Es führt vor Augen, wie lebensprägend und lebensweisend ein David Katz, ein deutscher Experimental-Psychologe nerin und Supervisorin ich dazu recht passend. Er sagt: „Was hätte ich denn werden gestalterischen Prozess sich selbst begegnen kann. Wenn es solches Tun für die Zukunft eines Menschen sein kann: (1884–1953), nennt die Hände das „äußere Gehirn des Men- in der Methode ARBEIT sollen, außer Künstler. Ich hatte nur einen langen Schlauch sich nicht in seiner Bewegung oder Bewegtheit äußern kann, Ich hatte vor vielen Jahren in meiner eigenen Werkstatt schen“. Jedenfalls besteht zwischen den Händen und dem AM TONFELD, seit 2014 in die Tiefen meines Unbewussten. Und dies wollte ich stets entstehen oft Affekte, Vorstellungen und Phantasmen. Diese eine Meisterklasse für bildnerisches und gestaltendes Arbeiten Gehirn eine kommunikative Verbindung. Lehrgangsleiterin eines zum Ausdruck bringen.“ Formen bestimmen dann oft im schulischen Alltag das Be- für Kinder aufgebaut. Zu mir kamen Kinder unterschiedlichster Das uralte Bild vom Homunkulus (Abb. 1) zeigt sehr schön, zertifizierten Lehrganges Das analoge Gestalten im Kunst- und Werkunterricht hat ziehungsgeschehen im sozialen Umfeld. sozialer Herkunft. Ich möchte zwei Geschwister herausstellen, wie jeder Teil des menschlichen Körpers ein Gegenstück im zum Dipl. Lebens-und viele Formen, wie z. B. taktiles Erleben, Experimentieren, ope- Gibt es keine Selbstäußerung, so zeigt sich das bis zu den die zum Zeitpunkt, als sie zu mir kamen, unglaublich still, in Gehirn aufweist. In der Alchemie war man einst der Meinung, Sozialberater, Ausbildnerin, rationales Erschaffen von Werken, Betrachten von Kunstwer- Extremen wie Unruhe, Depression oder sogar Rückzug. sich zurückgezogen, introvertiert waren. Sie konnten mit den dass im Gehirn ein kleines Wesen sitzt, das uns von Anbeginn Supervisorin. ken und die Auseinandersetzung mit diesen. Für mich ist das Analoge im Kunst- und Werkunterricht anderen Kindern zunächst kaum Kontakt aufnehmen. Sie wa- des Lebens an mitgegeben sei. In der Medizin und Neuro- Alles analoge Gestalten dient der Entfaltung des gesam- stets auch im Kontext eines Bildungsauftrages zu sehen. ren im Alter von 8 bis 15 Jahren in meiner Meisterklasse. logie beschreibt Homunkulus die Zuordnung von motorischen ten Sinnenbereiches, eines emotionalen Ausgleichs und der Demnach ist analoges Gestalten als integrative Prozessarbeit Heute berichten mir diese nun jungen Erwachsenen, und somatosensorischen Arealen der Großhirnrinde des Men- mentalen Bewusstwerdung. Es ist ein wesentlicher Baustein langfristig gesehen, immer auch Kulturarbeit. welch tolle Erfahrungen sie für sich machen konnten und wie schen zu Körperteilen als Ausdruck einer funktionellen Archi-

234 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 235 DAS ANALOGE DAS ANALOGE

Menschen benötigen eine Schaltzentrale, um ihre unendlich ben. Ein Mensch mit überspanntem Greiftonus erlebt die Welt Selbstverständnis verbunden sind und mit dem, was uns ak- vielen Fähigkeiten zu steuern: das menschliche Gehirn. Es ist stets als anstrengend. tual begegnet. voluminöser, differenzierter, komplexer und kreativer als das Die Nahsinne haben einen direkten Bezug zu unseren Für mich ist Haptik die Erscheinungsform der Bewegung der Menschenaffen. Handwerkliche Bewegungen werden Körpererfahrungen und sind maßgeblich für den Aufbau der Hände. In ihrem Bewegungserscheinungsbild zeigt sich kontrolliert, andere Bewegungen wie die Verständigungsge- von Selbstvertrauen, Autonomie, Initiative und Positio- die ganzleibliche Organisation der Basissinne einschließlich sten werden durch das Sprechen und die Sprache beinahe nieren in der Welt verantwortlich. Sie sind also auch ver- des mentalen Bezuges. Jede Bewegung wird letztlich ja im überflüssig. Die Hände meistern so viel, dass sie das Denken antwortlich für den gesamten Aufbau der kindlichen emo- Gehirn gespeichert. Und so ergibt sich daraus ein steter Kreis- und Sprechen anderen Organen überlassen können. Die ein- tionalen Intelligenz. Physiologisch bedeutet das, dass das lauf von alten Erfahrungen und Abspeicherungen im Gehirn. zigartigen Fähigkeiten der Hand und ihr Zusammenspiel mit Kind generellen Halt in sich erwirbt, d.h. seine Mitte im Bewegung formt folglich auch das ganz individuelle Greifen dem Gehirn machten den Homo sapiens zum intelligentesten Tun stabil hält. Diese körperlich physiologische Gegeben- und den Bezug zur Welt, also die subjektive individuelle Welt- Lebewesen. heit überträgt sich auch auf ein Grundgefühl von innerer auffassung. Heinz Deuser, jahrelang Professor an der Fachhoch- Stabilität. Hat es dieses erworben, so baut es sich den schule für Kunsttherapie in Nürtingen im Schwarzwald, Halt in seinem Gleichgewicht auf, was bereits die Aufrich- Die Basissinne und deren Bedeutung für unser hat den haptischen Sinn und dessen innere Logik bereits tung der Wirbelsäule betrifft. Leben und die Weltäußerung: vor Jahrzehnten erforscht und mit anthropologischen Er- Vielleicht ist es interessant zu erzählen, welche Entde- Hautsinn (der Tast-, Berührungs- oder Spürsinn), Gleichge- kenntnissen über Handeln, Wahrnehmung und Beziehung ckung Heinz Deuser am Beginn seiner Forschungsarbeit zum wichtssinn oder Gleichgewichtswahrnehmung, Tiefenwahr- Abb. 1 Homunculus, m. tektonik der Großhirnrinde, die von Penfield und Rasmussen verknüpft. Er hat nachgewiesen, dass die Entwicklung des haptischen Sinn machte. Es war eine Ursprungssituation: nehmung (propriozeptives System) [latein. = Menschlein]. 1950 erstmals beschrieben wurde. haptischen Sinnes einem klaren Aufbau folgt. Diesen hat Heinz Deuser lebte in der Zeit um 1970 in Rütte im Diese drei Sinne greifen ineinander und entwickeln sich Da der ganze Mensch in seiner Hand versammelt ist, ar- er in seiner Arbeit präzise herausgearbeitet. Heute können Schwarzwald bei Karlfriedrich Dürkheim, dem Entwickler der aufbauend. Ihr Zusammenspiel und ihre Ausfaltung bilden die beiten wir in der Tonfeldbegleitung über die Hände. Wenn wir wir erkennen, dass der haptische Sinn – wie die gesamte initiatischen Leibarbeit. Rütte war damals wie heute bekannt Grundlage für das „Ich-Bewusstsein“. Alle drei Sinne begin- unsere Hände überkreuzt auf den Kopf legen, hat jede Fläche menschliche Entwicklung – in Stufen verläuft. Und er hat als Zentrum für ganzheitliche Psychologie. Zu jener Zeit wurde nen ihre Entwicklung bereits vorgeburtlich im Uterus. Alle drei der Hand im Greifen einen dazugehörenden kommunizieren- wiederum einen großen Input auf unsere Möglichkeiten viel geforscht. Studierende und Lehrer waren im steten Dialog basalen Sinne arbeiten bei der Wahrnehmung stets gleich- den Gehirnteil. Dadurch können wir in der Methode ARBEIT zur Selbstgestaltung: Wie sich die Haptik entfaltet, so ent- auf der Suche zu sich selbst. zeitig und liefern unserem Gehirn unzählige Empfindungen, die AM TONFELD auch davon ausgehen, dass durch den Erwerb faltet sich letztlich auch die neuronale Entwicklung eines Heinz Deuser experimentierte mit einer versteinerten Mu- es als Wahrnehmungseindrucke „lesen“ und entschlüsseln, einer neuen Greifbewegung auch das Gehirn neu verschaltet Kindes. schel. Er gab sie verschiedenen Freunden in die Hand zum aussortieren und ordnen muss. Daran anschließend erfolgt wird. Wir finden ähnliche Modelle heute in der TCM oder Haptik und haptischer Sinn kennzeichnen ein Entwick- tastenden Ergreifen und Begreifen bei geschlossenen Augen. eine den drei Wahrnehmungserfahrungen angepasste Re- Hand- und Fußreflexzonenmassage. lungspotenzial. Wir bezeichnen damit das Vermögen der Er wollte beobachten, was tatsächlich abläuft und geschieht. aktion. Dieses Zusammenspiel der Sinne heißt sensorische Ich möchte hier auf ein sehr interessantes Buch hin- Hände, mit der Welt in Kontakt zu treten und mit ihr um- Dabei sah er, dass die Art und Weise, wie jemand den Ge- Integration. weisen: zugehen. Heinz Deuser hat mit diesen Erkenntnissen die genstand ergriff, nicht nur sein Verhältnis zum Gegenstand Frank R. Wilson, Die Hand – Geniestreich der Evolution. Ihr phänomenologische integrative Entwicklungsbegleitung bestimmte, sondern auch den Gegenstand selbst. Der eine Zusammenfassung Einfluß auf Gehirn, Sprache und Kultur des Menschen (Klett ARBEIT AM TONFELD aufgebaut. Jegliche Deutung und ergriff die Muschel heftig, und sie wurde ihm zur Waffe oder Es würde mich freuen, wenn ich Ihnen ein Verständnis für Cotta Verlag). Interpretation fällt daher weg, da sich das phänomenolo- zum Faustkeil. Ein Anderer nahm sie zärtlich, und sie wurde die Sinnhaftigkeit der analogen Kunst- und Werkerziehung Hier ein Auszug aus dem Klappeninnentext: gische Sehen auf die Entfaltung und Bewegung, wie auch erinnert als Häschen, das er ganz früher einmal in seinen vermitteln konnte. Ich bin davon überzeugt, dass wir durch „Frank R. Wilson verbindet wie Oliver Sacks, Stephen Jay Beweglichkeit der Hand beschränkt. Es geht nur noch da- Händen hatte. Ein Nächster fand eine Landkarte darin, ein den analogen Kunst- und Werkunterricht Kindern sehr viel mit Gould oder Howard Gardner verblüffende wissenschaftliche rum, wie der Mensch in sein Gleichgewicht kommt, das anderer spürte die Muschel nur schwer und eigen, wenn er auf ihren Lebensweg geben können. Auf den Weg zu einem Kenntnisse mit einer erstaunlichen Beobachtungsgabe und sich in der Wirbelsäule zentriert. Ein sehr physiologischer sie in den Händen wog. Immer hatte das Tun etwas erwar- holistischen Menschen, der aus mehr besteht als nur aus an- unbändigen Neugier für den menschlichen Alltag. Er formu- Entwicklungsprozess. tungsvoll Bedeutsames und dieses Bedeutsame lag ungeklärt gehäuftem und zusammenhanglosem Wissen. Insofern ist die liert provozierende Thesen über menschliche Kreativität. Wie Der Hautsinn, der Gleichgewichtssinn und die Tiefensensi- in der eigenen Lebensgeschichte. Die „Muschel“ erschien analoge Kunst- und Werkerziehung für die Entwicklung des lässt sie sich am besten entfalten?“ bilität sind die drei basalen Sinne und werden in ihrer Bünde- nicht als diese Muschel, sondern als aktuales Ereignis und Menschen von nicht zu unterschätzendem Wert. Es sind die Hände, durch die der Mensch zum Menschen lung der haptische Sinn genannt. Dies sind die sogenannten als (Wieder-)Begegnung einer Lebenssituation. Sie wurde zu Ich möchte hier auch eine generelle Anmerkung anführen, wird, lautet ein Ergebnis seiner detaillierten Forschungen auf Nahsinne, im Gegensatz zu den Fernsinnen, wie Hören, Se- etwas, das unser eigenes Gewordensein aufnahm und nun die mir persönlich wichtig ist. Heute, auf Grund unseres politi- dem Gebiet der Neurologie, Evolutionsbiologie, Psychologie, hen, Riechen, Schmecken. repräsentierte. schen Systems, sind gerade diese kreativen Fächer allgemein Linguistik und Paläontologie. Das Buch zu diesen umwälzen- In der Haptik bringen wir die Organisation und die Aus- Die Haptik macht klar, dass wir in den Dingen leben, die im hohen Ausmaß gefährdet. Wir dürfen nicht zulassen, dass den Thesen hat Frank R Wilson geschrieben – natürlich mit formung beziehungsweise die Entfaltung dieser Sinne durch wir greifen und dass wir darin unsere subjektive Realität er- diese Fächer von der Politik immer mehr zum Verschwinden der Hand. das Greifen der Hände zum Ausdruck. Wie wir greifen, so er- leben. In der Haptik zeigt sich unsere tiefe Verbundenheit mit gebracht werden. Die Evolution des Menschen darstellen, das wird in Zu- scheint uns auch die Welt. Der Schlüsselsatz lautet: BEWE- allem jemals Erlebten, mit der Verbundenheit mit den Din- Ich glaube schon, dass das Digitale und Analoge gemein- kunft bedeuten, die Evolution der menschlichen Hand zu GUNG WIRD GESTALT. gen. Heinz Deuser entdeckte, dass die Haptik die Innenseite sam Platz in der Kunst- und Werkerziehung finden sollten. veranschaulichen. Zuerst entwickelte sich die Hand – und Ein Beispiel: Jemand mit einem sehr schwachen Muskel- unserer Wahrnehmung ist, unsere Subjektivität, in der wir Räumen wir allerdings dem Digitalen zu viel Platz ein, würden sehr viel später Gehirn, Sprache und Kultur. Die Hände des tonus wird die Welt auch eher als fahl und gesichtslos erle- mit unserer Leiblichkeit, mit unserer Seele und mit unserem wir die Kinder zu stark von ihrer ganzheitlichen Ausstattung

236 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 237 DAS ANALOGE KÜNSTLERISCHE PROJEKTARBEIT PRIMARSTUFE

abschneiden und dann bleibt nur noch die Frage offen: Sind Elbrecht, Cornelia (2013): Trauma Healing at the Clay Field. Mario Urlaß wir Menschen bereits zur künstlichen Intelligenz geworden – A Sensorimotor Art Therapy Approach. Jessica Kingsley, oder sind wir geradewegs dabei, diese zu werden? Vielleicht London & Philadelphia. braucht es daher doch mehr, ein menschliches Wesen in allen Erikson, Erik H. (1959): Identität und Lebenszyklus. Suhrkamp, Multiperspektivisch und multimedial – Seinsbezügen zu einem selbstverantwortlichen Menschen Frankfurt am Main. Künstlerische Bildung in der Primarstufe heranzubilden? Fatke, Reinhard (2003): Jean Piaget, Meine Theorie der geisti- Aber vor allem: das ANALOGE darf nicht verloren gehen, gen Entwicklung. Beltz Verlag, Weinheim und Basel. weil ich der Überzeugung bin, dass der Mensch dann auch Gebauer, Karl; Hüther Gerald (2001): Kinder brauchen Wur- verloren geht. Und wie der Neurobiologe Gerald Hüther so zeln. Neue Perspektiven für eine gelingende Entwicklung. trefflich sagt, sind die heutigen Menschen bereits mentale Walter, Düsseldorf. Im Zuge der Digitalisierung wird auch im Mediale Zugriffe in künstlerische Bildung Wesen, denen jedoch der Aufbau vom Objekterleben völlig Grunwald, Martin (2017): Homo Hapticus: Warum wir ohne künstlerischen Bildungskontext die weitere Mit künstlerischer Bildung liegt in Theorie und Praxis ein Kon- abhandengekommen ist. Die Familie ist heute kein Bezie- Tastsinn nicht leben können. Droemer, München. Gültigkeit bisheriger fachlicher Verfahren hin- zept vor, das seine Zielsetzungen, Bildungsmethoden und -in- hungsorganismus mehr, in dem die Eltern auf die Bedürf- Grunwald Martin; Beyer Lothar (2001): Der bewegte Sinn. terfragt, dies vor dem Hintergrund, dass digita- halte von der Kunst her begründet und in besonderer Wei- Mario Urlaß, Studium am nisse der Kinder optimal eingehen können, sondern eine Grundlagen und Anwendungen zur haptischen Wahrneh- le Medien unser Leben enorm verändert haben se geeignet ist, multimediale Auseinandersetzung in künst- Institut für Lehrerbildung Organisationsform. Heute ist es wichtig, die Kinder von mung. Springer Basel AG, Basel. und die Schule der Zukunft enorm verändern lerischer Projektarbeit zu ermöglichen. Im heterogenen Feld Auerbach und an der Uni- einer Aktivität zur anderen zu bringen. Meist sind beide El- Janus, Ludwig (2011): Der Seelenraum des Ungeborenen. werden. der kunstpädagogischen Ansätze gibt es viele Befürworter versität Leipzig (Kunstpäda- tern berufstätig. Diesen gesellschaftlichen Wandel müssen Pränatale Psychologie und Therapie. Patmos Verlag der des Paradigmas, das das Künstlerische ins Zentrum rückt. Zu- gogik), danach wissen- wir heute vor allem im schulischen Bereich mit ins Kalkül Schwabenverlag AG, Ostfildern. Olaf-Axel Burow skizziert in seinem Buch Bildung 2030. Sie- gleich gibt es ebenso viele Kritiker und Zweifler. schaftlicher Mitarbeiter an ziehen. Der Schule kommt daher vermehrt die Aufgabe zu, Kiesling, Ulla (2013): Sensorische Integration im Dialog. Ver- ben Trends, die die Schule revolutionieren (Burow, 2017) Ent- In seinem Aufsatz Die ästhetisch erzeugte Wirklichkeit. den Universitäten Chemnitz Räume zu schaffen, in denen sich das Kind dem Spiele- stehen lernen und helfen, ins Gleichgewicht zu kommen. wicklungen, die aus heutiger Sicht Bildung im Allgemeinen Vorschlag für eine einheitliche Theorie der Bildnerischen Er- und Erlangen-Nürnberg. rischen, dem Experimentellen, dem Ausprobieren, dem Verlag modernes lernen, Dortmund. und die Schule im Besonderen revolutionieren werden. Er ziehung formuliert Franz Billmayer: „Die Orientierung an der Seit 2003 Professor für freien Gestalten und dem Kunsterleben hingeben kann. Es Piaget, Jean (2000): Psychologie der Intelligenz. Klett-Cotta identifiziert Tendenzen, welche die traditionelle Vorstellung, Kunst erschwert die Anpassung an die aktuellen Entwicklun- Kunst und ihre Didaktik an wäre jene Nische, in der das Kind seine Objekterfahrungen Verlag, Stuttgart. wie Schule funktionieren soll, infrage stellen. Neben Perso- gen“ (Billmayer 2008, S.16) und beschwört zugleich einen der Pädagogischen Hoch- machen könnte, die in der familiären Situation heute oft zu Porges, W. Stephen (2018): Die Polyvagal-Theorie und die Su- nalisierung und neuer Lehrerrolle, Vernetzung, Veränderung grundlegenden Bedeutungsverlust der Kunst im kunstpädago- schule Heidelberg. Neben kurz kommen. che nach Sicherheit. Traumabehandlung, soziales Engage- des Lehr- und Lernraums, Gesundheitsorientierung, Demo- gischen Kontext. Liegt es nicht gerade im Wesen der Kunst, der Lehrtätigkeit an Hoch- ment und Bindung. C. P. Probst Verlag, Lichtenau/West- kratisierung und Glücksorientierung steht an erster Stelle die sich Anpassung zu verweigern, weil sie nicht an praktische schulen mehrere Jahre Literatur falen. Digitalisierung. Eine Aufgabe der Schule der Zukunft sieht er Zwecke der Funktionalisierung und Lebensdienlichkeit gebun- Kunstunterricht an Grund- Ayres, A. Jean (1984): Bausteine der kindlichen Entwicklung. Sloterdijk, Peter: (1989): Sphären I. Blasen. Suhrkamp, Frank- darin, Schülerinnen und Schüler zu medien- und gestaltungs- den ist? In der Ignoranz spezifischer Bildungspotenziale der schulen. Seine Arbeits- und Störungen erkennen und verstehen. Ganzheitliche Frühför- furt am Main. kompetenten Bürgern auszubilden. Mit Blick auf die künstle- Kunst liegt die Gefahr, sich Stumpfheit zu ergeben und Men- Forschungsschwerpunkte: derung und Therapie. Springer, Heidelberg. Wilson,Frank R (2000): Die Hand – Geniestreich der Evolution. rischen Fächer schreibt er: „Je stärker die Digitalisierung um schen als manipulierbare Objekte zu behandeln, wenn man künstlerische Bildung im Dana, Deb (2018): Die Polyvagal-Theorie in der Therapie. Den Klett-Cotta, Stuttgart. sich greift, desto wichtiger wird das Analoge, also Tanz, Thea- nie gelernt hat, sie anders zu sehen. „Die Kunst ist ein gro- Primarbereich, in interdis- Rhythmus der Regulation nutzen. G.P. Probst-Verlag, Lich- Tschachler-Nagy, Gerhild; Fleck, Annemarie (2007): Im Grei- ter, Kunst.“ (Burow 2017, S.169). ßer Feind von Stumpfheit, und Künstler sind keine zuverläs- ziplinärer künstlerischer tenau/Westf. fen sich Begreifen. Die Arbeit am Tonfeld nach Heinz Deu- Einerseits ist der formulierte Appell nachvollziehbar. Zu- sigen Diener einer Ideologie, auch nicht einer guten Ideologie Projektarbeit in Lehramts- Döring, Waltraud und Winfried (2002): Entwicklungsbeglei- ser. Tschachler-Nagy, Klagenfurt. gleich wird künstlerischen Fächern damit eine Art Ausgleichs- – ihre Fantasie strebt stets über bestehende Grenzen hinaus studiengängen und im tung Döring. Theorie und Praxis einer Haltung. edition doe- Tschachler-Nagy, Gerhild; Fleck, Annemarie (2006): Die Arbeit und Kompensationsfunktion zugewiesen und die pure analoge und sieht die Welt immer wieder auf neue Weise“ (Nuss- Feld der Gegenwartskunst. ring, Bremen. am Tonfeld. Tschachler-Nagy, Klagenfurt. Erfahrung dem Feld der Kunst überantwortet. Verkannt wird baum 2012, S.38). Kunst und künstlerische Tätigkeit werden Mitorganisator mehrerer Döring, Waltraud und Winfried (2003): Entwicklungssprünge. dabei, dass Kunst an sich eben nicht mehr nur analog ist und „zu einer Quelle der Ausbildung der Schöpferkraft und des in- kunstpädagogischer Psychomotorische Praxis Aucouturier im Dialog mit der die künstlerischen Fächer selbst einen zentralen Beitrag zur neren Reichtums der Persönlichkeit, zugleich zu einem von Kongresse, Vorträge, insbe- Entwicklungsbegleitung edition doering, Bremen. Entwicklung von Medien- und Gestaltungskompetenz leisten den künstlerisch gebildeten Individuen verkörperten Vermö- sondere zu künstlerischer Deuser, Heinz (2018/1): Arbeit am Tonfeld. Der haptische können. Es geht schließlich nicht darum, Analoges und Digi- gen, das ganz wesentlich den Reichtum unserer Gesellschaft Bildung in der Grundschule, Weg zu uns selbst. Psychosozial-Verlag, Gießen. tales gegeneinander in Stellung zu bringen, sondern es geht nachhaltig begründet“ (Regel 2003, S.412). u.a. in Japan, China und Deuser, Heinz (2017): Der haptische Sinn. Beiträge zur Arbeit grundsätzlich um die Kompetenz der kreativen und reflek- Im Mittelpunkt des Verständnisses von künstlerischer Bil- Chile. Als Künstler arbeitet am Tonfeld, Verlag modernes lernen, Dortmund. tierten Anwendung der zur Verfügung stehenden kulturellen dung steht bei der Bestimmung von Zielen, Inhalten und Me- er medial in den Bereichen Deuser, Heinz (2004): Bewegung wird Gestalt. Der Hand- Medien. Und es geht darum, Kindern und Jugendlichen die- thoden das, was sich als Gemeinsamkeit, bei aller Hetero- Malerei und Objektkunst. lungsdialog in der Arbeit am Tonfeld. edition doering, Bre- se Vielfalt zu ermöglichen, analog und digital, um kreatives genität, von Kunst her erfahren lässt und als künstlerisches www.mario-urlass.de men Vermögen zu fördern. Bedeutsam dabei ist, welches grund- Denken fassbar ist. Es geht damit ausdrücklich nicht darum, Chamberlain, David (2013): Woran Babys sich erinnern. Über legende Konzept geeignet ist, um die Breite medialer Zugriffs- „Kunst als eine Szene unter vielen zu sehen“ oder als „Selbst- die Anfänge unseres Bewußtseins im Mutterleib. Kösel- weisen, also Multimedialität, in der Auseinandersetzung zur zweck“ (Billmayer 2008, S.18) zu begreifen. Carl-Peter Busch- Verlag, München. Geltung zu bringen. kühle hat auf wesentliche Eigenschaften und die Bildungsbe-

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stimmten Medien geht, eine Öffnung vollzieht, wobei die tersstufen voraus, es war zugleich ein Blick in Vergangenheit, Abb. 2 Großformatige Schülerinnen und Schüler selbstbestimmt über die inhaltli- Gegenwart und Zukunft. Die ersten Zeichnungen, von der Ver- Selbstdarstellung von Jan- che Akzentuierung und die mediale Umsetzung entscheiden. gangenheit bis in die Gegenwart, entstanden nach Fotos und Phillip und Boran Dabei hängt die Entscheidung für ein bestimmtes Medium dem Blick in den Spiegel. Die Zeichnungen der künftigen Lilly sehr wesentlich von der Gestaltungsidee ab, für die es eine sind Imaginationen, für die es bis zum damaligen Zeitpunkt adäquate Form zu finden gilt. Aufgabe der Lehrperson an die- noch keine Bilder gab. (Abb. 1) ser Stelle ist es, den Schülerinnen ein Feld medialer Möglich- Jan-Phillip und Boran entschieden sich für die gemeinsa- keiten zu eröffnen, von analogen bis hin zu digitalen künst- me Arbeit an einem Doppel-Selbstbild, welches sie auf der lerischen Praktiken. Rückseite einer alten Rollkarte aus dem Biologiearchiv der Bei den folgenden Projektausschnitten – die Projekte wur- Schule mit Farbe und Wachskreiden umsetzten. Anstatt De- den in ihrer Komplexität im Rahmen der Tagung di[gi]alog tails der Körper auszuarbeiten, wurde das Bildmotiv von ihnen im Oktober 2019 in Graz vorgestellt – soll einerseits deutlich mit Worten ergänzt und in einen erweiterten Kontext gesetzt, werden, wie es gelingen kann, Kinder in ein künstlerisches welcher sich auf die Besonderheiten, Interessen und sozialen Denken und Handeln zu führen, sie in eigenen Gestaltun- Kontakte der beiden Schüler bezog. (Abb. 2) gen zu individuellen Bedeutungszusammenhängen heraus- Eigene Porträtfotos bildeten den Ausgangspunkt bei Cons- zufordern, und anderseits, wie analoge und digitale Medien tantin und Alexander, die unbedingt gemeinsam am Compu- gleichberechtigt und selbstverständlich im künstlerischen ter arbeiten wollten. Der Computer war für die beiden Schüler Projekt zur Anwendung kommen können. Die Themenstellun- ein wesentlicher Teil ihrer Freizeitgestaltung und im Kunstun- Abb. 1 Lillys Serie von deutsamkeit künstlerischen Denkens als Kernkompetenz der gen der Projekte leiten sich aus der Lebenswelt der Schüle- terricht lernten sie erstmals, ihn absichtsvoll als Gestaltungs- Selbstporträts Lebenskunst im Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen rinnen und Schüler ab, beziehen sich auf Aspekte des Selbst medium zu nutzen. Mit einem einfachen Bildbearbeitungspro- für Visual Literacy erneut hingewiesen (vgl. Buschkühle 2016, (vgl. Urlaß 2012) und auf den Aspekt der Natur (vgl. Urlaß gramm lernten sie Möglichkeiten der digitalen Verfremdung S.151 ff.). Benannt werden einfühlsame Wahrnehmung, ei- 2020). von Fotos kennen. Im Prozess des Erkundens entwickelten sie genständige Imagination, kritisches Reflektieren, überdies ein Ideen der Veränderung durch Morphing und Fusionieren. An- geübter Wille sowie die Ausbildung von gestalterischen Fä- Selbst fangs war die Vorgehensweise sehr spielerisch und experi- higkeiten. Dabei handelt es sich um anthropologische Grund- Grundsätzliches Ziel des Projektes Selbst, realisiert in einer mentell, später wesentlich reflektierter. Die Wirklichkeit des eigenschaften des Menschen als kreatives Wesen. „In der 3. Klasse, war eine Auseinandersetzung mit dem Selbst, die Selbst wurde zielgerichtet um fiktive Möglichkeiten erweitert Kunst können Empfindungen und Wissen, Imagination und zwischen der eigenen Wirklichkeit und ihren Möglichkeiten und erwies sich als eine Mischung aus Faszination und Schre- Ausdruck experimentell zusammenfinden und individuelle Bil- pendelte. In einer strukturierten Eingangsphase wurden viel- cken. (Abb. 3) der, selbst entwickelte und verantwortete Perspektiven rea- fältig grafische Formen der Selbstdarstellung erkundet, mit In der individualisierten Projektphase fand für die Kinder lisieren“ (Buschkühle 2016, S.154). Künstlerische Bildung in Digitalkameras mimische Inszenierungen experimentell er- eine Konstruktion des Selbst auf neue Weise statt, die Raum diesem Sinne ermöglicht in besonderer Weise Selbstorientie- probt, fokussierte Blicke auf Details des eigenen Körpers rung und Weltorientierung. gewonnen und festgehalten, Bildvergleiche anhand mitge- brachter Fotografien der Kinder angestellt, körperliche Ex- Künstlerische Projektarbeit pressionen der Drittklässler mit Werken von Franz Xaver Künstlerische Bildung verwirklicht sich im Projekt und folgt Messerschmidt, Arnulf Rainer und Thomas Florschütz in Be- dabei dem allgemeinen Projektgedanken, wie er sich insbe- ziehung gesetzt. In einer zweiten, offenen Phase konnten die für anderes lässt und keine starre Identität, sondern ein Neu- sondere durch William Heard Kilpatrick und John Dewey als Kinder eigene Bedeutungen des Selbst in inhaltliche und for- entdecken und Transformieren des Ichs bedeutete. Der Bil- Unterrichtsweise im pädagogischen Raum schon seit der male Kontexte stellen. Dabei knüpften sie an Vorerfahrungen dungsprozess implizierte das Sichfremdwerden zwischen ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts etabliert hat. Im künst- der ersten Projektphase an oder entwickelten gänzlich neue dem Eigenen und Fremden, und in diesem Spielraum waren lerischen Projekt besteht die Chance, Multiperspektivität ein- Bezüge zur Thematik. Ab diesem Zeitpunkt trugen die Kinder Erfahrungen möglich, die als Bildung eine Transformation des Abb. 3 Selbstverfrem- zuüben, Vielfalt zu eröffnen und zusammenzudenken, inter- stärkere Verantwortung für die Ausrichtung ihrer Idee, für die Selbst umfassten. Die Kinder entwickelten die Fähigkeit, in dung von Constantin und disziplinäre Vielfalt, ohne dabei Widersprüche und Brüche zu Organisation und Gestaltung des Prozesses, für die mediale ihren Gestaltungen individuelle Aussagen zum Umgang mit Alexander leugnen. Und aus der Vielfalt der Gesichtspunkte zu eigenen Umsetzung. der eigenen Wirklichkeit zu formulieren. Diese Formulierung Positionierungen im Werk zu gelangen. Zugleich ist künst- Lilly hatte bereits von Beginn des Projektes an Freude an einer eigenen Position begründet sich im Prozess auf zentra- lerische Projektarbeit durch Multimedialität als eine Viel- zeichnerischen Selbstporträts gefunden. Sie gestaltete eine len Aktivitäten, die entsprechend als künstlerisches Denken falt formaler Lösungen gekennzeichnet. Das bedeutet, dass Serie von großformatigen Zeichnungen, die sie als Baby, geschult werden. So verbindet sich mit Bildung die Chance, sich nach ersten, strukturierten Phasen, in denen es um ge- Kleinkind, Grundschülerin, Jugendliche, erwachsene Frau und die in uns ruhenden Möglichkeiten zu verwirklichen, eine be- meinsame Recherchen zu Sachaspekten, gestalterische Er- Oma zeigten. Dies setzte nicht nur eine Auseinandersetzung stimmte Position zu sich selbst einzunehmen, sich mit ande- kundungen und Experimente, gemeinsame Übungen in be- mit der Physiognomie des Menschen in verschiedenen Al- ren Augen zu sehen.

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ters ermöglichte die Beobachtung von Wandlungsprozessen, schiedene Fächer miteinander in Beziehung setzt und dabei wie sie so in der Natur kaum wahrgenommen werden kön- schöpferische Selbsttätigkeit der Schülerinnen und Schüler nen. Parallel zu den natürlichen Entwicklungsprozessen in der in künstlerischen Denk- und Handlungsprozessen in den Vor- Aufzuchtstation vollzog sich eine künstlerische Auseinander- dergrund rückt. setzung in Zeichnungen, Objektgestaltungen, im spielerischen Nach der strukturierten Auseinandersetzung im Themen- und körperlichen Vor- und Nachempfinden von Verpuppungs- feld folgte eine Öffnung des Projekts, welche den Kindern in- und Schlüpfprozessen, welche die jeweils unterschiedlichen dividuelle Werkarbeit ermöglichte. Auf der Grundlage eines Schmetterlingsstadien als Impuls aufnahmen. (Abb. 4) In gemeinsamen Gesprächs über mögliche Gestaltungsvorha- den Unterricht wurde eine Schmetterlingsexpertin des Na- ben, basierend auf bisherigen Erkenntnissen und Erfahrungen, turschutzbunds Deutschland (NABU) eingeladen, welche im gepaart mit spezifischen Schmetterlingsinteressen, wurden Rahmen von zwei Schmetterlingsexkursionen den Kindern erste Ideen skizzenhaft fixiert. Die Entwürfe zeigten Planun- Einblicke in Naturschutzarbeit gab und mit den Kindern Zitro- gen für unterschiedliche zeichnerische Zugänge, für den Bau nenfalter, Schachbrettfalter und Bläulinge bestimmte und aus einer Aufzuchtstation, für eine große Schmetterlingsfalle, die nächster Nähe studierte. eine genaue Untersuchung von Faltern ermöglichen sollte, für das eigene Entwerfen von Schmetterlingsflügelmustern, für die Gestaltung eines Schmetterlingskostüms, um sich selbst zu verwandeln und vieles mehr. Exemplarisch und akzentuiert soll durch wenige Werke erhellt werden, wie individuelle Be- deutungszusammenhänge in unterschiedliche mediale Aus- bau von Schmetterlingen und einem Prinzip geometrisierter Abb. 7 Digitales Schmet- drucksweisen mündeten. Reduktion folgend, futuristische Tierwesen, die von einem terlingsmuster von Arina Max zeichnete intensiv an einer Serie von Schmetterlin- fremden Planeten zu stammen scheinen. Seine Vorliebe für Abb. 4 Selbstverpuppung gen. Seine Falter waren jedoch gänzliche Neuerfindungen von Technik verband er variantenreich mit einem Motiv der Natur. Schmetterlingsarten, die ihrem Charakter nach technoid wirk- (Abb. 5) ten. Mit Buntstiften entwarf er, dem symmetrischen Körper- Milan hatte sich einige ausgesonderte Zitronenfalterprä- parate gesichert, mit denen er arbeiten wollte. Ein kleiner Holzkasten mit Deckel – er diente einst dem Aufbewahren von Unterrichtsmaterial – war Auslöser seiner Gestaltungs- Schmetterlinge idee. Der Kasten erinnerte ihn an die Präsentationsform von Auch das künstlerische Projekt Schmetterlinge, realisiert in Schmetterlingspräparaten im Schulhaus. Auf dem Boden des einer 2. Klasse, führte zu einer offenen Form selbsttätiger Kästchens zeichnete er locker mit Wachskreiden eine dichte Auseinandersetzung, bei der die Lehrerrolle die eines Be- Blumenwiese, um später mehrere Schmetterlinge darauf zu gleiters bzw. Mentors war, der die individuellen Intentionen, platzieren. Völlig überraschend brachte Milan, kurz vor Fer- Überlegungen und Gestaltungswege der Schülerinnen und tigstellung seines Objekts, ein Honigglas in die Schule mit, Abb. 5 Schmetterlingserfin- Schüler unterstützte und förderte. In der ersten Projektphase verstrich mit einem Pinsel achtsam das Lebensmittel um die dungen von Max setzten sich die Zweitklässler zunächst recherchierend und Schmetterlinge herum. Im Schmetterlingsprojekt wurden im forschend mit Schmetterlingen auseinander, wobei es dar- Klassenzimmer Distelfalter gezüchtet, die vor dem Freilas- um ging, das Wesen der Dinge im Detail zu ergründen und sen mit Honigwasser gefüttert wurden. Milans Zitronenfalter dabei neue Sichtweisen zu gewinnen. Von den Kindern mit- sollten nun auch eine zusätzliche Nahrungsquelle haben. Die gebrachte Schmetterlingsdinge, wie zahlreiche Dekoartikel, Projektprozesse sind auch mit der Aneignung von Sach- eigentlich toten Falter wurden verlebendigt, erhielten Futter. Kleidungsstücke, gesammelte Fotos aus Zeitschriften und ei- wissen verbunden, welches spezifisch fachliche Grenzen Eine poetische, emotional und imaginativ höchst aufgeladene gene Schmetterlingsbasteleien aus der Vorschulzeit erhellten, überschreitet und ein umfassendes Verständnis eines Sach- Verbindung. (Abb. 6) mit welcher Präsenz die bunten Falter unseren Alltag durch- verhalts durch unterschiedliche Perspektiven erst möglich Arina war von der Buntheit einzelner Schmetterlingsarten dringen. Mehrere kindgerechte Sachbücher über Schmetter- macht. Künstlerische Projektarbeit erweist sich in diesem fasziniert, die sie zahlreich in Bestimmungsbüchern entdeck- linge, die auch während des Gesamtverlaufs des Projektes Sinne als multiperspektivisch und interdisziplinär. Im kon- te. Ihr Plan war es, Muster zu zeichnen, ähnlich wie sie auf Abb. 6 Milans Objektkasten frei verfügbar waren, verhalfen in dieser Projektphase mit al- kreten Fall war die Einarbeitung in biologische und ökologi- Schmetterlingsflügeln zu finden sind. Ihre ersten, dekorativen mit Schmetterlingen tersgerechten Texten und Bildern zu Erkenntnisgewinn und sche Zusammenhänge zentral, weil sie der Thematik imma- zeichnerischen Entwürfe wurden mühevoll mit Buntstiften Wissensvermehrung. Die Entwicklung von der Raupe zum nent sind und erweiternde Kontexte eröffnen. Künstlerische ausgeführt. Bei einer Besprechung ihrer Zwischenergebnisse Schmetterling konnten die Kinder im Klassenzimmer unmit- Bildung erweist sich unter dieser Perspektive nicht nur als wurde sie mit der Gestaltungs-App Amaziograph vertraut ge- telbar miterleben. Ein Zuchtset mit fünf Raupen des Distelfal- Fachdisziplin, sondern als eine spezifische Lernform, die ver- macht, die das Erzeugen von Mustern vereinfacht und viel-

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fältige Möglichkeiten kreativen Umgangs mit den einzelnen Literatur Shannon Wardell Zeichenwerkzeugen bietet. Die App besitzt zudem mehrere Billmayer, Franz (2008): Die ästhetisch erzeugte Wirklichkeit. Symmetrie-Modi wie Rotation, Kaleidoskop, Kacheln usw., Vorschlag für eine einheitliche Theorie der Bildnerischen konfigurierbare Pinsel und einen Bild-Export. Arina arbei- Erziehung. In: Fachblatt des BÖKWE 2/2008. Lambent Interfaces tete sich auf dem iPad schnell ein und war von den Gestal- Burow, Olaf-Axel (2017): Bildung 2030 – Sieben Trends, die An Investigation of Art and Science Collaborations, tungsmöglichkeiten der App begeistert. Im intermedialen die Schule revolutionieren. Weinheim Basel. Wechselspiel zwischen dem Finger als Zeichenstift und den Buschkühle, Carl-Peter (2002): Bildung eines Generalisten. and Why This Matters in Art Class App-Werkzeugen entstanden zahlreiche Musterentwürfe mit Kreative Existenz und künstlerische Bildung. Vortrag auf Schmetterlingsmotiv. Am Ende nahm die Schülerin sechs ih- dem 31. InSEA-Weltkongress New York, 19.–25. August rer zahlreichen Mosaike in die engere Wahl, um sie ausdru- 2002. Online verfügbar unter http://www.ph- heidelberg. This conference addresses the inclusion of the broad fields of Art and Science in a cooperative mutua- cken zu lassen. (Abb. 7) de/fileadmin/user_upload/org/fakII/MDS/KUNST/STUDI- analogue and digital technologies within Art lism, show us an interpretation of collaboration to which we UM/Generalist.pdf, zuletzt geprüft am 20.12.2019. class. I would like to first re-frame this di- can aspire. Herausforderungen Buschkühle, Carl-Peter (2016): Beitrag einer Visual Literacy scussion as one concerning collaborations Die Herausforderungen an Multiperspektivität und Multime- zur Allgemeinbildung. In: Wagner, E./Schönau, D. (Hg.): between Science and Art, both of which are I would like to frame this discussion under the heading “Art dialität in künstlerischer Projektarbeit sind auch auf Seite der Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen für Visual Li- to be understood broadly: Science as encom- and Science Collaborations” for three reasons: Lehrperson nicht gering. Einerseits geht es darum, sich als teracy. Münster/New York. passing all the STEM fields of science, techno- 1) Subject-level Cohesion: One of our school’s 14 Art Matura Generalist (vgl. Buschkühle 2002) zu erweisen, Perspektiven, Nussbaum, Martha (2012): Nicht für den Profit! Warum De- logy, engineering and mathematics while Art Topics is entitled “Art and Inventions”, which allows us to die einem zu bearbeitenden Thema immanent sind, jenseits mokratie Bildung braucht. Überlingen. is recognized as embracing design, architec- look back through history and highlight so many of these der eigenen Fachdisziplin einzunehmen und auszuloten. An- Regel, Günther (2003): Künstlerische Bildung – Grundzü- ture, performance, fine and applied arts. After interfaces between Art and Science, in addition to refe- derseits geht es darum, als Lehrperson sowohl in analoger als ge eines hochaktuellen zukünftigen Konzepts. In: Schulz, explaining why I think that this re-framing is rencing them in other Matura Topics. Thereby we not only auch digitaler Gestaltung bewandert zu sein, um die media- Frank (Hg.): Das Künstlerische vermitteln. Aufsätze, Vor- important, I would like to provide three case promote the Austrian approach to thematic learning, we len Möglichkeiten für Schülerinnen und Schüler in ihrer Breite träge, Statements und Gespräche zur Kunst, Kunstlehre study classroom examples to illustrate what network the topics together which enhances understan- kreativ anwendbar zu machen. und Kunstpädagogik. München. I mean by the term collaboration. Where I am ding and retention. Die themenorientierte Auseinandersetzung im künstleri- Urlaß, Mario (2012): Zu sich selbst kommen. Künstleri- going with this is that I would like to share our 2) Student-level Cohesion: such an approach makes these schen Projekt bietet Potenziale, um Lernende zum Forschen, sche Bildung in der Grundschule. In: Buschkühle, C.-P attempts to distill a few essential elements of units even more accessible to students in our school. In Entdecken, Erweitern ihrer eigenen Denkräume, zum Suchen, (Hg.).: Künstlerische Kunstpädagogik. Ein Diskurs zur fulfilling collaborations. Spoiler alert – I do not other schools, even those centered more on Art, Science Fragen und schließlich zur Transformation eigener Bedeu- künstlerischen Bildung. Oberhausen. have any final answers, rather I wish to high- or tech training, such an approach can provide a meta-le- tungszusammenhänge in künstlerischen Werken anzuregen. Urlaß, Mario (2020): Fliegen lassen. Metamorphe Zugänge light some aspects of this broader conversati- vel awareness as to how Art and Science are not always Kinder sind in der Lage, sich werk- und prozessorientiert mit in künstlerischer Projektarbeit. In: Kirschenmann, Johan- on that seem to be often neglected, for various separate, foreign worlds. Yes, Art and Science have their einer Thematik über einen längeren Zeitraum auseinanderzu- nes (Hg.): Zugänge: Welt der Bilder – Sprache der Kunst. reasons. own spheres of interests, methods and quirky stories. Yet setzen und dabei in ihren Gestaltungen eigene Aussagen zu München. both manifest convergent and divergent modes of thin- formulieren. Das künstlerische Projekt als Vermittlungskon- Bringing analogue and digital technologies into Art class I king. But it is when they come together and flow with one zept vereint dabei in sich Strukturiertheit und Offenheit, Mul- would like to regard as being as examples of collaborations another that we find so many of the gorgeous inventions tiperspektivität und Multimedialität, stellt einen am künstleri- between different fields of Science and Art. For example: the that our species has ever dreamed up from the Venus of schen Prozess orientierten Weg der Bildung vor, welcher die cyanotype, while originally an utterly non-intuitive invention Willendorf to the Shield of Achilles through the Roman Persönlichkeit ins Zentrum rückt. Schülerinnen und Schüler, in convenience by Sir John Herschel as cheap way to copy arch into amphitheaters and colosseums through the poin- die in künstlerischer Bildung Vertrautheit erworben haben mit his notes, this camera-less photograph can be referenced in ted arches of Gothic cathedrals with their otherworldly yet Neugierde, Kreativität, Kritikfähigkeit, Kommunikationsfähig- diverse Art units: as botanical illustration, photographic por- very practical gargoyles to linear perspective methodolo- keit, Fähigkeit zur Zusammenarbeit, Empathie, Gelassenheit traiture, architectural representation, a type of image repro- gy, etching’s acid bite, Prussian Blue, photography, the ’57 und Ausgeglichenheit, Verantwortungsbereitschaft und Teil- duction, and as the original blueprint, which will also make Chevy to name but a very few. Design and Digital Techno- habe, die mit diesen Kompetenzen ausgestattet sind, haben your English enthusiasts completely geek out. Moreover, the logy engendered the Apple Ipod, Ipad, Pixar computer-ge- beste Voraussetzungen, sich für ökonomische, kulturelle, so- science behind the cyanotype is even more mysteriously fa- nerated imagery, graphic tablets, digital notepads, Adobe ziale und persönliche Zukunftsherausforderungen zu engagie- scinating, especially if you ask a science teacher for a cle- and all of the artwork, video games, CGI movies and digital ren. Diese Kompetenzen lassen sich in besonderer Weise in ar, simple explanation. The cyanotype is utterly enriching for gadgets that influence our lives daily. Moreover, the inter- einer künstlerisch orientierten Bildung anbahnen, die sich An- students to engage with – Why? Because its history de- face between Art and Science is also where we find tho- passung verweigert. monstrates how Science and Art can overlap in such a way se inventions that change our current interaction with the that their complementary strengths are recognized, promo- limited resources of our world, with transportation, envi- ted and encouraged in order to realize innate potential. The ronmental pollution and sustainable energy maintenance. cyanotype, along with other inventions that bring together Young people are keenly aware of these issues and need

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balance – can leave some feeling disappointed or frustrated: sical embodiment of our literature, are the individual building students as well as teachers. blocks of our identity, the figurative spirit of our genetic-gene- Another problematic aspect is less recognized, yet no less rational information. As our interaction with literature current- relevant: With Art and Science often demonstrating contra- ly passes into a digital age, books are becoming more than ry methodologies and goals, I have not yet encountered an mere physical carriers of our human identity; they are trans- agreed-upon pedagogical understanding of what a collabo- forming into the fossils of the future. ration should be. What does such a cooperation actually look This class project was exceptionally successful in motiva- like? Can an Art teacher without a rigorous scientific or even ting the students, all of whom collaborated in working groups technical background provide adequate science or technical to finish the sculpture. Nevertheless, truth is – this was neit- input? Can a Science teacher without a rigorous artistic back- her an Art and Science collaboration nor cooperation. The de- ground provide adequate artistic input? Moreover, does a ful- sign essentially appropriated symbology from Science in order filling cooperation in school need to involve both a Science to reference new layers of visual and visceral meaning. That and an Art teacher? We all know that group work all-too-often did and still does not make it any less valuable to the school, turns out imbalanced in terms of who actually does the work. the library or the students. But it cannot be used as a model That certainly should not serve as a role model for our Art and for a collaboration. king. On the level of enhancement of perception and awaren- Science collaboration. ess, there were no benchmarks to meet. By recognizing the Another aspect that complicates matters is that some 2. The Open Cellounge distinction between these two layers of meaning which the projects in class can indeed provide an utterly successful le- Initiated by a visiting Biology professor at our school who as- installation evinces, the Applied Art mode of making could arning experience in terms of motivating students to new le- ked the Art Department if we could build a to-scale model of a shift into Art mode. vels of engagement and understanding, yet nevertheless – if plant cell for the Y5 classes. (Picture 2) My first reaction was Our pedagogical research question: Does the act of fabri- examined precisely – they offer an interaction between Art skeptical: such a task would indeed involve the application cating a physical model of a plant cell enhance the learning and Science in which one field is clearly dominant and the of certain art skills, such as constructing forms out of wood, experience for 15-year-olds and improve their understanding other is obviously subservient to the directing agenda of the cardboard, chicken wire, papier-mâché, applying textures and of and retention of the subject matter? other. Can such a project be called a collaboration? I will soon paint. Nevertheless, math and engineering skills determined Yes, definitely, which could be seen comparing the re- provide an example of one such project. the relative sizes of the objects; biology coordinated their pla- sults of our preliminary and post-making student question- Why is this discussion of collaboration important? Becau- cement. Technical handwork was needed to install the mo- naires. se the way in which we allow and encourage Science and dels and lighting fixtures. The coloration, while not pre-deter- Art to work together reflects the respect that we impart to mined, nevertheless had to clearly distinguish different plant 3. Pocket Code each field. cell parts, excluding an expressive or painterly application of Since 2013, the Software Development Department at the only a little help from us in order to connect the dots for Again, let me state precisely and clearly that I do not claim color. TU Graz has been working with selected classes at GIBS, themselves. to know the answers. I would merely like to notice several Here would be a perfect moment to digress into that de- among with other schools in Graz, utilizing their showcase 3) The third reason is the most important of all, which is why points of interest as we navigate through this unchartered lightful topic of differentiating between Applied Arts and Fine software program of the same name. (Picture 3) Very similar I will address it later. territory for which we have no map, only the anecdotes of Arts along with convergent and divergent thinking within Art to Scratch, Pocket Code differs in being explicitly designed for past collaborators. in general; due to our time constraints I will resist the temp- smartphones or tablets in order to make coding more acces- These coalescing moments of insight when distinct fields of To better illustrate these issues and provide some ground- tation now, yet will gladly yield to it in our discussion after- sible to people without expensive personal computers as well human endeavor intersect to produce brilliant manifestations work for these abstract ideas, I would like to briefly describe wards. as to those minds who are more visually oriented, for the app Picture 1 DNS Bookworm of human creativity I call “Lambent Interfaces”. three projects that have taken place in our school. The first Back to the model of a plant cell: at first glance, it seems packages coding into lego-like color-coded blocks that can be Picture 2 The Open And while in Art class, we might not always achieve such two involve analogue technologies while the last brings in di- that building a scientific model bound by strict proportions of- stacked together. Cellounge brilliance, we should not be deterred, for it is the awareness gital. fers minimal creative input. However, regarding the final mo- Over the years, we have incorporated Pocket Code into Picture 3 Classic Art of how different fields can and do cooperate that is often just del as a whole, no one sees it and thinks, “That’s a plant cell.” our lessons in different ways: designing simple games, com- Memes as important: in other words, the “how” is just as relevant as 1. The DNA Bookworm It looks like an Art installation of abstract, colorful forms, or posing short animated stories and fashioning interactive an- the “what” and “why”. Originally commissioned and funded by our school library and the bedroom of an alien teenager from Planet Wayoutthere. It imated memes based on classical artworks. Technical input Nevertheless, certain difficulties often arise during Art and mounted prominently at the library entrance just inside our affects the viewer’s perception of the area and invites inquiry. has been provided by Assistant Profs along with university Science collaborations, some of which I would now like to main school entrance, the DNA Bookworm was a class pro- On this level of awareness enhancement, this project is pure students either in class or through Remote Mentoring. Each address: ject designed during an informal class competition by one stu- Art. The students were all made aware of this aspect during class responds differently depending upon their degree of fa- Integrating analogue and/or digital technologies in Art dent, who at the time had not been fully aware of what he the making process and it did very much influence the choice miliarity with coding and prior experience, seen clearly in our class can be problematic for many varied reasons from sheer had designed. (Picture 1) and application of color. pre- and post- making questionnaires. hardware expense to complicated work-flow instructions that Literature, from Homer’s Iliad to Homer Simpson and be- The initial appearance of very strict standards and criteria Our research question: Can Pocket Code be incorporated – in a class of 25 teenagers in various stages of hormonal im- yond, is the reflection of human identity. Books, as the phy- for the artistic output operate only on the level of model-ma- sensibly into upper-level Art Education classes as a New Me-

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artistic and scientific output as demonstrated by a free- manufacturing have largely been outsourced to regions out- dom from standardized criteria for the main artistic output side of Europe and North America to reduce labor expenses, along with the presence of a clearly expressed and docu- the creative industries continue to rise in prominence throug- mented scientific methodology. hout the western world, for good reasons. Contributions to the collaboration are not “separate, but Human creativity is the most precious natural resource equal.” Instead, they are “integrated, as from equal collea- that still exists in the western world on all political, economic gues.” and academic levels. It is inexhaustible and constrained only by the limitations of our own imagination – as well as the im- One further question is still open: the third reason for fra- mediate environment that surrounds us. With the Industrial ming the discussion of analogue and digital technologies in Age firmly replaced by the Information Age, our western so- Mag. art. Shannon Wardell Art class as collaborations between Art and Science. Why is ciety is in a position where it needs to recognize and nourish BA, Art Educator since it important for students to appreciate this dynamic? Let me the creativity of individuals in each and every field in order 2010, my work strives recall the first two: to allow our civilization to still compete against authoritarian to design Art classes for dia unit in such a way as to promote a productive cooperation They encourage convergent and divergent modes of thinking, 1 Subject-level Cohesion (Art and Inventions as a Matura ideologies and insure a global sustainability that values demo- teenage students through between Art and Technology in general, with an increase in discussion and the development of a common language. They Topic in itself at our school, connected and referenced to cratic human rights. which they find and interest in programming in particular? Given several parame- are recognized externally with endorsement in the form of other Matura Topics) Here we have reached the true core of what is at stake train their own particular ters, Yes: funding and recognition. 2 Student-level Cohesion (connecting the dots between Art here. Creativity is found in all vocations and professions; it is creative strengths that 1 The necessity of a well-structured pedagogical framework An Art project that simply references scientific jargon – and Science collaborations and contemporary socio-envi- the spark that inspires innovation. Yet in my opinion, the de- will help them in life. As explicitly designed for the participating age group is para- but does not allow for scientific method – can no more be ronmental issues) gree to which Art concerns itself with creativity is in a league an interdisciplinary Artist, mount. The formative import of the initial experience with called a collaboration between Art and Science than a Sci- 3 Societal-level Cohesion of its own. Call up a Solar Energy Engineer if you want to ma- since 1993 my artwork New Media is utterly crucial and cannot be underestima- ence project that allows only for the application of artistic ximize your solar input. For creative input, call up your artists seeks to connect our ted. techniques. All of us here are inheritors of a world that has fought long and and Art teachers. We should recognize the natural resource present experience of life 2 An overload of technical complexity inhibits enthusiasm Art is recognized by Science as an equal partner when the hard for freedom of speech, for equality under the law and that we work with daily and embrace our roles of actively with past expressions of and can stifle the very interest which the lesson sought to artistic concerns are given equal weight as the scientific con- for free-thinking inventiveness. We can disagree about many promoting environments in which you can feel that lambent reality in order to better promote, for years to come as well. cerns. A collaboration will certainly not consist of substantial things, but not about the necessity of those human rights for force of creative tension tingling in the air. We need creative recognize the remix of 3 The pedagogical framework also needs to be able to adapt scientific input followed by the injunction to “go make somet- the identity of western, democratic civilization as we know it environments in which the convergent and divergent modes the past in tomorrow’s to technical glitches and bugs that otherwise simply frust- hing creative.” It will also not consist of enlisting the Art De- and want it. of thinking found within both Art and Science not only re- present. 2010–11 Artist in rate students. partment merely to build or illustrate scientific phenomena, To strive towards a sense of global awareness, to improve ference one another but actively work with one another to Residence, Graz Internatio- Given these parameters, which require pedagogical and di- which are technically applications of artistic techniques that the equality of rights and wages among individuals regard- strive together with their full potential complementing one nal Bilingual School (GIBS), dactic insight as much as technological, the Pocket Code app ignore Art’s full creative drive. less of gender, race or background, to reduce environmental another. Austria. can offer a satisfying learning experience of New Media tech- Science is recognized by Art as a partner of equal standing pollution and petroleum dependency, to develop sustainable We know this to be a worthy goal in itself, one that we will www.ironlung-union.com nology in Art Education classes for students and teachers ali- when scientific methodology can be clearly expressed and energy resources: these issues effect all of us, and our stu- never achieve on our own. Yet we can help open the figurative ke. documented. The collaboration needs to pronounce a perti- dents are very attuned to how the adults around them are door to this goal for others even as we open the physical door nent scientific or pedagogical research question that can be dealing with these issues. While heavy industry and product to our students at the beginning of Art class. I would like to propose that, between colleagues, an ideal col- proved or disproved. Naturally, this will not always be easy. laboration exists when: The creative urge in Art yearns to overthrow defined stan- u The partners are recognized as equals in standing, even dardized criteria of quality. Yet to operate purely on an ex- as they recognize their different, often complementary pressive-emotive level that does not admit for disproof is to strengths abnegate the very integrity of Science as an objective me- u The partners encourage each other to contribute equally in thodology for describing and investigating the world that sur- terms of input, output and assessment of results rounds us. u The partners work towards a common, worthy goal How can we convey any of this to a randy class of teen- u The partners share fairly in the results agers with gadgets in their pockets that outpower the com- puter technology that put the first human on the moon? Such a framework empowers each partner to strive to their Two questions help: full potential. It is this ideal of partnership/collaboration that I u Does the collaboration evince an equal standing for the would like to focus upon here. Successful collaborations bet- artistic and scientific input in terms of quality, time and ween Art and Science teachers should evidence distinct ele- appreciation? ments. They promote creativity, risk-taking and persistence. u Does the collaboration evince an equal standing for the

248 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 249 WERKUNTERRICHT – GRUNDSÄTZLICHES WERKUNTERRICHT – GRUNDSÄTZLICHES

Silvia Wiesinger

Sind Pinterest & Co der neue Lehrplan für Abb. 1 Der Postkartenham- die MTK-Fächer in der Grundschule? pelmann Abb. 2 Hampelfiguren aus Flyern bzw. Getränkeboxen

Gleich einem Tsunami überrollte die Internet- klärende Verbalisierung inklusive der Begriffsbildung wesent- und Smartphone-Entwicklung den Schulalltag licher als die Objekte selbst sind (vgl. Zankl, 1981, S.5). „Ler- in den letzten Jahren und ließ auch im Klas- nen lernen durch Machen“ und „Begreifen durch Machen“, senzimmer keinen Stein auf dem anderen. die handlungsorientierte Beschäftigung mit den Produkten Neben dieser Entwicklung veränderte sich pa- menschlichen Schaffens in den Bereichen Technik, Gebaute rallel dazu in der Lehrer/innenlandschaft das Umwelt und Produktgestaltung gehören zu den zentralen Auf- Berufsbild der Werklehrer/innen dramatisch. gaben des Faches Werken (siehe Lehrplan VS, 2007). Nach Zankl (vgl. S.8) soll die Werkerziehung für die Entwicklung des Plötzlich sind/waren auch sogenannte „literarische“ Lehrkräf- Grundschulkindes Folgendes leisten: te aufgefordert, die Gegenstände Technisches und Textiles u Ein zunehmend systematischer Unterricht begünstigt das Silvia Wiesinger, Lehrende Werken zu unterrichten. Obwohl sie alle eine Ausbildung in Anschließen an die tätige Auseinandersetzung im Kinder- an der PH OÖ, Primarstufe, diesen Fächern absolvierten, kamen sie über die Jahre kaum garten bzw. in der Vorschule. Fachbereich Technisches als Unterrichtende zum Einsatz, da Werken von sogenann- u Kreatives Verhalten erwirbt man mittels Finden und Erfin- Werken, in Aus-, Fort- und ten „Werklehrer/innen“ (ehemalige Ausbildung) übernommen den (das Nachmachen soll auf ein Mindestmaß reduziert erforderliche Zeitaufwand. Der Lehrplan wird besonders in https://www.edugroup.at/– in der Suchmaske e-pilot einge- Weiterbildung. Dipl.Päd. wurde. werden). Werken (technisch und textil) gerne beiseitegeschoben. Er ist ben (für alle Fächer) für Englisch, Technisches Mit der Pensionierungswelle dieser Kolleginnen entstand u Problemlösungsprozesse regen das Denken an, ermuntern weder bunt noch bebildert und schon gar nicht mit exakten Werken für HS und in den letzten Jahren ein Umstand, der viele Klassenlehrer/ zum Tüfteln (vgl. Fthenakis, S.15). Anweisungen ausgestattet, zumal es sich um einen Rahmen- Die Links bedeuten gegebenenfalls nicht nur eine Bereiche- PTS, mehr als 20 Jahre innen überforderte: Plötzlich galt es, zwei weitere Fächer vor- u Für die eigenen Handlungen und Aktionen übernimmt man lehrplan handelt. rung für die eigene Fachkompetenz, sondern helfen, Themen Unterrichtserfahrung in der zubereiten, deren Bildungsauftrag längst vergessen war. Viel- Verantwortung, da man sich als Teil der Gesellschaft er- Der Klick ins Netz eröffnet einem hingegen in Sekunden- anregender und vielfältiger für den Unterricht aufzubereiten. Technischen Werkerzieh- mehr erinnerte man sich der eigenen Sozialisation in diesen kennt. schnelle (0,5 Sek.) tausende Möglichkeiten zum gesuchten Guter Werkunterricht ist auf präzise Unterrichtsplanung an- ung in der Grundschule, Gegenständen, die damals noch Mädchen- und Knabenhand- u Dabei respektiert man die Aussagen anderer, vertritt eine Thema, z.B. 336.000 Links zum Thema Einen Hampelmann gewiesen. Das Herzstück ist die Aufgabenstellung. Studium der Erziehungs- arbeit hießen. Zudem setzte sich die Idee vom Basteln rund eigene Meinung und bekräftigt sie. selber bauen. Ähnlich wie bei Kochrezepten schlägt man Damit das gelingt, darf aber nicht auf das wichtigste Inst- wissenschaft und Sozialen um den Jahreskreis in den Köpfen vieler Lehrer/innen fest, u Die Arbeit mit Werkstoffen und Werkzeugen führt u.a. zum kaum noch in Kochbüchern nach, sondern recherchiert bei Dr. rument eines guten Unterrichts vergessen werden – die Un- Verhaltenswissenschaften, und so glauben auch heute noch zahlreiche Lehrkräfte, dass Erfassen von Zusammenhängen. Google nach Ideen. terrichtsplanung mit ihrem Herzstück, der Aufgabenstellung Erasmus-Lehrende im Zuge damit den Fächern Genüge getan wird. Traditioneller Unterricht und die Verwendung des Internets (Werkweiser 2, S.17). Um in einen Problemlösungsprozess der DozentInnenmobilität, Die bereits 2007 verfassten neuen Lehrpläne für TEW, Das Internet bietet auf vielen Social-Media-Plattformen müssen sich jedoch nicht ausschließen, denn im Internet gibt eintauchen zu können, bedarf es einer problemorientierten Multiplikatorin für TEW. TEX und BE, sind/waren vermutlich nicht mehr im Bewusst- (Pinterest, Instagram, YouTube, ...) u.a. multimedial aufbe- es unzählige wertvolle, sogar lehrreiche Seiten, die die Lehr- Aufgabenstellung. Sie ermöglicht den Lernenden, selbsttätig sein der Verantwortlichen. Nur zu gerne wird übersehen, dass reitete Vorschläge zum Anfertigen von Produkten jeglicher kräfte und auch die Schülerinnen und Schüler in allen Unter- konstruktive, funktionale, technologische und gestalterische mittlerweile eine möglichst frühe technische Bildung in den Art. Für alle Materialien werden Bastelideen angeboten, für richtsgegenständen unterstützen können. Aspekte zu erfahren und diese zu lösen. Fokus aller an Bildungsprozessen Beteiligten rückte. jede Altersgruppe lassen sich hippe und spaßige Modelle Besonders empfehlenswert erscheinen der Autorin die fol- Wer mehr über die Unterrichtsplanung wissen möchte, „Den Eltern muss einsichtig gemacht werden, dass die finden. In Werken steht zwar das praktische Arbeiten an genden Seiten: findet dazu in Werkweiser 2 und 3 ausreichende Informatio- Schule der Ort des Lernens und nicht der Ort der Produktion erster Stelle, doch die Zielsetzung beschränkt sich oft auf https://www.planet-schule.de/ nen und Anregungen. von Gebrauchsgegenständen ist. Hier entstehen Modelle und die bloße Beschäftigung der Kinder. Nicht das Kind als Ent- https://www.planet-wissen.de/index.html Um problemorientierte Aufgabenstellungen bestmöglich Spielobjekte des Lernens, deren Funktionszeit begrenzt ist.“ decker, kreativer Tüftler und Problemlöser (vgl. Fthenakis, https://www.experimentis.de/ lösen zu können, empfiehlt Fthenakis den Ko-Konstruktivis- (Zankl, 1981, S.20). S.15) steht im Vordergrund, sondern das Ziel, allen Ler- https://neanderpeople.hpage.com/startseite.html mus als pädagogisches Handlungsprinzip (S.138). Die Vor- Bereits zu Beginn der 1980er-Jahre wies Zankl darauf hin, nenden möglichst schnell ein ansehnliches Produkt zu er- https://www.zebis.ch/unterricht teile für diese Interaktionsprozesse zwischen Lehrperson und dass es im Werkunterricht um mehr gehe als um das bloße möglichen, ohne ihre eigene Gedankenwelt bemühen zu https://bildungsserver.hamburg.de/faecher/ Schüler/in bzw. der Schüler/innen untereinander begründet Produzieren von Objekten, welche in erster Linie Dekorations- müssen. https://kinder.wdr.de/tv/wissen-macht-ah/bibliothek/index. Fthenakis folgendermaßen: zwecken in Klassenräumen oder Schulgängen dienen. Viel- Entscheidend für die Auswahl zum Nachbauen sind meist html u In sozialen Prozessen sind alle Beteiligten (LuL, SuS) glei- mehr betonte er, dass die tätige Auseinandersetzung und die die zu beschaffenden Materialien bzw. der für die Herstellung https://sciencetoymaker.org/quick-and-easy/ chermaßen aktiv.

250 | BÖKWE 1_2020 BÖKWE 1_2020 | 251 WERKUNTERRICHT – GRUNDSÄTZLICHES LINKSHÄNDIGKEIT

Abb. 3 Bücher – Ullrich/ u Das Erforschen von Bedeutung steht im Vordergrund. Auch in neueren Werken (Abb. 4) bekommen die Päda- Anna Zeilinger Klante, Zankl, Hasenberger/ u Verschiedene Perspektiven werden kennen gelernt. gog/innen sachdienliche Hilfe und Unterstützung für die im Leitner/Putz u Gemeinsam mit anderen Probleme lösen gibt Sicherheit. Lehrplan geforderten Inhalte. Die Art der Aufbereitung obliegt Abb. 4 Bücher – Werkwei- u Der persönliche momentane Verstehenshorizont erweitert und bleibt in der Verantwortung der Lehrer/innen. Die The- Förderung linkshändig Begabter ser 1+2, Sachunterricht sich. menstellungen sollen Interesse und Neugierde bei den Ler- im BE- und Werkunterricht Technik und Arbeitswelt u Seine eigenen Ideen auszudrücken, diese mit anderen zu nenden wecken, ihren Forscherdrang sowohl entwickeln als (1./2. Klasse, 3./4. Klasse) diskutieren und auszutauschen, erhöht die Selbstwirksam- auch befriedigen und die Selbstwirksamkeit bei jedem/r Ein- Abb. 5 Fthenakis, Greinste- keit. zelnen steigern. tter, Fast Das Machen und Tun mit den Händen (samt Kopf und Herz Zunächst einmal gilt es zu fragen, wie relevant Bei Schätzungen, die oft in den Medien zu lesen sind – üb- Ein Beispiel für eine interessante Aufgabenstellung: Die Lehr- à la Pestalozzi) muss die vierte Kulturtechnik sein und soll- dieses Thema heutzutage noch ist und wie vie- licherweise um die 10% – muss man davon ausgehen, dass person mit drei Fingern heben können. te auch eine bleiben, die jeder Mensch so gut wie möglich le Menschen als linkshändig einzustufen ist. sie großteils auf Selbstauskünften basieren. Um zu verläss- Das Hebelgesetz anwenden können, mehr darüber erfah- zu beherrschen hat. Nicht Schnelligkeit und Oberflächlichkeit Werden heute etwa nicht alle ohnehin schon lichen Zahlen zu kommen, sollte man ca. 1000 Personen mit ren, die Fachbegriffe kennenlernen, Beispiele für den Hebel im zählen zu den begehrenswerten Tugenden in diesen Fächern, ihrer Händigkeit entsprechend optimal geför- einem Verfahren testen, das sowohl Anamnese als auch eine Alltag aufspüren, letztlich an einem Werkstück den Hebel re- sondern Ausdauer und Konzentration, das Vermögen an einer dert, und ist die Umschulung der Händigkeit Beobachtung der Probanden einschließt. Solch eine Studie flektieren, all das bildet z.B. die Grundlage für sozial-konstruk- Sache dran bleiben zu können, um das Flow-Erlebnis beim Tun seit den 1950er Jahren nicht längst passé? liegt aktuell nicht vor. tivistisches Verständnis von Lernen und Bildung (Fthenakis, zu spüren. (Abb. 5) Sattler geht von ca. 30% linkshändig Begabten aus, was S.25). (Abb. 1+2) Es gibt sehr unterschiedliche Schätzungen über den Anteil eine Dunkelziffer von 20% bedeuten würde. Verdeckte Links- Literatur der LinkshänderInnen in der Gesamtbevölkerung. Diese hän- händigkeit kann auch im Erwachsenenalter mit hoher Wahr- Aufgabe der Grundschule im 21. Jahrhundert ist vor allem Fthenakis, W. E., Wendell, A., Daut, M., Eitel, A. & Schmitt, A. gen mit der Definition der Händigkeit zusammen. Dabei wird scheinlichkeit ausgetestet werden. Eine Rückschulung ist die Vermittlung basaler Fähigkeiten und Fertigkeiten im Um- (2009). Natur-Wissen schaffen. Band 4: Frühe technische in erster Linie unterschieden, ob der Fokus auf dem tatsäch- prinzipiell möglich, man sollte aber im Einzelfall entscheiden, gang mit Materialien und Werkzeugen mit dem Ziel, techni- Bildung. Troisdorf: Bildungsverlag EINS lichen Handgebrauch oder der zugrundeliegenden Begabung ob diese sinnvoll ist, und diese professionell begleiten lassen. sche Grundbildung voranzutreiben. Sie allein bildet die Grund- Stuber et al. (2012). Werkweiser 2. Bern: Schulverlag plus AG liegt, die mehr oder weniger stark vom Handgebrauch abwei- lage und die Voraussetzung für späteres technisches Ver- Zankl, G. (1981). Werkerziehung 3+4. Linz: Veritas chen kann. Für meinen Beitrag halte ich mich an die Definition Problematik der Umschulung: ständnis (Tanzer in Zankl, S.3). von Johanna Barbara Sattler, Psychologin, Kunsthistorikerin Bei umgeschulten Linkshändern geht man davon aus, dass Nur mit Wischbewegungen auf glatter Oberfläche kann und Begründerin der Ersten deutschen Beratungs- und Infor- das Corpus Callosum, die Verbindung zwischen den beiden darüber hinaus keine sinnliche Erfahrung erlebt werden. Krea- mationsstelle für Linkshänder und umgeschulte Linkshänder Gehirnhälften, überlastet ist. Befehle gehen dabei nicht direkt tive Lösungsmöglichkeiten und handwerkliches Geschick sind e.V. Laut Sattler ist die Händigkeit ein Ausdruck der Hirnhe- von der rechten Gehirnhälfte an die linke Hand, sondern den für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen wesentli- misphären-Lateralisation. Bei linkshändig Begabten ist dem- Umweg über das Corpus Callosum in die linke Gehirnhälfte, che, oft unterschätzte Fähigkeiten. nach die rechte Gehirnhäfte dominant, bei rechtshändig Be- wo der Impuls dann in die rechte Hand weitergeleitet wird. Der Blick in viele alte, aber hervorragende Bücher (Abb. 3) gabten die linke. Für sie zählt die Frage der Begabung, die vom So kommt es zu einer ständigen Überlastung, die sich unter lohnt sich nach wie vor. tatsächlichen Handgebrauch abweichen kann. anderem in Energielosigkeit auswirken kann.

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Primär- und Sekundärfolgen der Umschulung der Händigkeit sie links- oder rechtshändig sind. Allerdings kommt es beson- auch im Gehirn automatisieren. Erwachsene Linkshänder, selber aber mit Links nicht Stricken, somit war es erfolglos. Primärfolgen: ders bei intelligenten Kindern, die gut beobachten können, oft die ihr Leben lang links mit einer Rechtshänderschere ge- Ich kann mich aber nicht erinnern, ob sie es mir dann auch u Gedächtnisstörungen (besonders beim Abrufen von Lern- dazu, dass sie schnell das Verhalten ihrer Umwelt imitieren schnitten haben, berichten oft, dass es ihnen schwer fällt rechts beibringen wollte oder ob wir es beide dann einfach inhalten) und schon frühzeitig von ihrer eigentlichen Begabung abwei- mit einer Linkshänderschere zu arbeiten. Die Anordnung der aufgegeben haben. Vielleicht hätte es ein Videokurs auch ge- u Konzentrationsschwierigkeiten (schnelle Ermüdbarkeit) chen. Schneideblätter kann sie verwirren. Das Umdenken ist sehr tan, aber ich denke, der Lernerfolg wäre besser wenn es die u legasthenische Probleme (Lese- und Rechtschreibschwie- anstrengend. Lehrerin selbst erklären und zeigen könnte. (E., Geburtstags- rigkeiten) Stellenwert des Themas Händigkeit in der jahr 1983) u Raum-Lage-Labilität (Links-Rechts-Unsicherheit) Aus- und Weiterbildung von PädagogInnen Wäre ein Bonus bei Beurteilungen im Schulunterricht möglich? Meine Mama hat für mich das Stricken umgelernt, weil die u feinmotorische Störungen (die sich z.B. im Schriftbild äu- Weder in der Aus- und Weiterbildung der PädagogInnen, noch (Vgl. Legasthenie) Lehrerin es nicht konnte. (G., Geburtsjahr 1984) ßern) in der Elternbildung nimmt das Thema bislang großen Raum Viele gängige Beurteilungskriterien sind für umgeschulte u Sprachstörungen (Stammeln bis zum Stottern) ein. Das liegt vermutlich daran, dass viele meinen, dass Um- Linkshänder problematisch: Zwar gibt es einige linkshändig Begabte, denen es gelingt, schulungen der Vergangenheit angehören und alle Linkshän- u Material dabei? ➞ oft sehr vergesslich und chaotisch rechtshändig Stricken und Häkeln zu erlernen. Doch es gibt Diese Primärfolgen können sich dann in unterschiedliche Se- der bereits adäquat gefördert werden. u Genauigkeit? ➞ schwierig aufgrund feinmotorischer Stö- auch jene, denen es nicht oder nur unter größten Mühen kundärfolgen fortsetzen: In der Diskussion während der Tagung stellte sich die Fra- rungen schaffen. Sie verlieren dann in der Regel die Freude an der u Minderwertigkeitskomplexe ge, in welchen Bereich der Aus- und Weiterbildung dieses u Erreichen des Lernziels? ➞ oft sehr langsam, mangelnde Arbeit. Daher sollten alle, die Kulturtechniken wie Stricken Anna Zeilinger u Unsicherheit Thema denn nun falle. In den der Psychologie? Oder Pädago- Konzentration oder Häkeln vermitteln, nach Mitteln und Wegen suchen, AHS Lehrerin für Bild- u Zurückgezogenheit gik? Oder Fachdidaktik? Ich meine, in allen genannten Berei- u Integration in die Gruppe? ➞ oft unsicher, erhöhtes Mob- auch LinkshänderInnen ihren Begabungen entsprechend zu nerische Erziehung und u Überkompensation durch erhöhten Leistungseinsatz chen sollte die Förderung der Händigkeit einen angemesse- bingrisiko unterstützen. Englisch und bildende u Trotzhaltungen, Widerspruchsgeist, Imponier- und Provo- nen Stellenwert einnehmen und aus unterschiedlichen Blick- Sattler hat bereits 1986 einen solchen Bonus eingefordert, Am besten für die SchülerInnen ist es natürlich, wenn die/ Künstlerin in Wien. kationsgehabe winkeln beleuchtet werden. diese Möglichkeit lässt jedoch noch auf sich warten. (Sattler der LehrerIn zumindest in Grundzügen das Stricken und Hä- Teilnahme an Artist in u unterschiedlich ausgeprägte Verhaltensstörungen 1986) keln sowohl links als auch rechts beherrscht. Residence Programmen u Bettnässen und Nägelkauen Umschulung durch Material/Werkzeug Denjenigen, denen dies nicht gelingt, bieten sich folgende in Nordeuropa. Studium u emotionale Probleme bis ins Erwachsenenalter mit neuro- Wir leben in einer Rechtshänderwelt. Dabei passen sich Beidhändigkeit – ein Ideal? Möglichkeiten: an der Hochschule für tischen und/oder psychosomatischen Symptomen Linkshänder notgedrungen an diese an, indem sie Rechts- Kurz erwähnt sei auch das vermeintliche Ideal der Beidhän- Eine andere Person beauftragen, die linkshändig arbeiten angewandte Kunst, der u Störungen im Persönlichkeitsbild (Sattler, Der umgeschul- händerwerkzeug verwenden, in Ermangelung passender Pro- digkeit. Es gibt Leute, die sowohl rechts als auch links schrei- kann und in der Lage ist, dies vorzuzeigen. Das könnte auch Hochschule für Grafik und te Linkshänder, S.50). dukte. Manche Linkshänderwerkzeuge sind tatsächlich immer ben oder sonstige Tätigkeiten so ausführen können. Bei ge- ein Schüler/eine Schülerin sein, ev. aus einer höheren Klasse. Buchkunst Leipzig sowie Treten mehrere der oben genannten Probleme zugleich auf, noch schwer zu bekommen, andere werden nur aus Gedan- nauerer Betrachtung zeigt sich aber, dass die meisten bei Spiegelbildlich zu arbeiten: eine Tätigkeit vorzeigen, die der Universität Wien. sollte an eine Umschulung der Händigkeit gedacht werden. kenlosigkeit nicht gekauft. ein- und derselben Tätigkeit stets dieselbe Hand verwenden, andere Person sitzt gegenüber. Viele Lernende schaffen es, Fortbildung zum Thema Frage: Umschulungen gibt es doch nicht mehr? Ein besonderes Kapitel stellen Musikinstrumente dar: Die- z.B. rechts schreiben und Zähne putzen, alles andere aber so die Tätigkeit zu übersetzen, doch manche überfordert das. Linkshändigkeit bei Tatsächlich gehören brutale Umschulungsmaßnahmen wie se sind in der Regel für Rechtshänder konzipiert und auch links machen. Es empfiehlt sich nicht, bei einer hochkomple- Vorlagen aus Büchern, Fotos, Zeichnungen, Videos zu ver- Johanna Barbara Sattler, das Anbinden, Schlagen oder Eingipsen der Hand in unserer Kinder, die als linkshändig bekannt sind, erhalten selten die xen Tätigkeit wie dem Schreiben hin und her zu wechseln, wenden. Das kann zur Unterstützung sehr hilfreich sein, aber München Kultur der Vergangenheit an. Sanfte Umschulungsversuche Möglichkeit, auf einem Linkshänderinstrument zu lernen. Ar- da dies zu einer Überlastung des Gehirns führen kann. Meist als alleinige Methode wird es oft nicht ausreichen, da so die wie die Aufforderung, das „schöne“ Händchen zu geben oder gumentiert wird dabei meist, dass man sonst die Sitzordnung handelt es sich bei vermeintlichen Beidhändern um Linkshän- Möglichkeit zur Korrektur fehlt. Auch verlangen viele Schü- den Löffel doch in die „richtige“ Hand zu nehmen, sind jedoch in Orchestern neu organisieren müsse. Diese Art der Choreo- der, die nur in einigen Bereichen umgeschult sind, in anderen lerInnen gerade im Zeitalter der Digitalisierung nach persön- nach wie vor weit verbreitet. graphie spielt jedoch erst seit der vorigen Jahrhundertwende aber nicht. lichem Kontakt. Auch schulen sich viele Kinder durch Beobachtung selbst eine Rolle. Zuvor war es durchaus gängig, unterschiedliche um, da sie schließlich durch Nachahmung lernen. Wenn in der Instrumente zu verwenden. Und wie weit wären wohl Jimmy Förderung von linkshändig Begabten Ich hoffe, durch diesen kurzen Abriss über Linkshändigkeit die Familie alle rechts schreiben, werden sie das meist auch tun. Hendrix oder Paul McCartney gekommen, hätten sie rechts- im Werkunterricht Neugier geweckt zu haben, sich weiter mit diesem spannen- Auch in Kindergärten zeigt sich, dass es Anfang September händig Gitarre gespielt? Auch hier kann man bei genauerer Betrachtung erkennen, den Thema auseinanderzusetzen. Besonders Interessierten mehr linkshändig Agierende gibt als zu Weihnachten. Bereits Scheren dass die Förderung von linkshändig Begabten nach wie vor möchte ich die Zusatzausbildung zum/zur Linkshänderberate- in diesem Alter lassen sich Kinder vom Gruppenverhalten be- Inzwischen leicht zu bekommen, aber immer noch nicht ausbaufähig ist. Ich darf hier exemplarisch zwei Erfahrungen rIn näherbringen. In Österreich gibt es erst sehr wenige, die einflussen. Da ist Wachsamkeit der PädagogInnen und Eltern flächendeckend verbreitet, sind Linkshänderscheren, von der aus den 1990ern präsentieren. diese abgeschlossen haben, und es ist sicher noch genug zu gefragt. Es besteht die weitverbreitete Ansicht, dass sich ein einfachsten Kinderschere bis hin zu Qualitätsscheren wie gu- Auf die Schnelle fällt mir ein, dass ich, speziell in der tun. Kind erst im Alter von vier bis sechs Jahren für seine starke ten Stoffscheren. Dass sie nicht in jeder Schule, Spielgruppe, Volksschule gerne mehr Unterstützung von den Lehrern ge- Hand entscheidet. Doch wir gehen heute davon aus, dass be- Einrichtung oder Pfarre vorhanden sind, ist unverständlich. habt hätte. Meine Handarbeitslehrerin z.B. hat es nicht ge- Quellen: reits mit der Geburt feststeht, ob ein Mensch linkshändig oder Warum ist es so wichtig, dass Kinder von Anfang an, schafft, mir das Stricken beizubringen, weil sie nicht umden- Frey, Andreas: Links ist da, wo der Daumen rechts ist, FAZ, rechtshändig begabt ist. nicht erst zum Schuleintritt oder später, passende Scheren ken konnte. Ich kann bis heute nicht stricken, weil ich bei je- 12.08.2015. In welchem Alter zeigt sich die Händigkeit am besten? Bei zur Verfügung haben? Der Hauptgrund ist, dass Bewegungs- dem Versuch total verkrampfe und an diese demotivierenden Hilbig, Beate: Häkeln Basics, Topp. frechverlag, Stuttgart, vielen Kindern kann man im Kleinkindalter gut erkennen, ob abläufe nicht nur motorisch gelernt werden, sondern sich Unterrichtsstunden denke. Sie hat es links versucht, konnte 2013.

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Mengler, Walter: Musizieren mit links: Linkshändiges Instru- mit einem Übungsheft für Linkshänder. Auer Verlag, Do- mentalspiel in Theorie und Praxis (Studienbuch Musik). nauwörth, 2019. Schott Verlag, Mainz, 2010. Sattler, Johanna Barbara: Übungsheft für Linkshänder. Auer Sattler, Johanna Barbara: Die Psyche des linkshändigen Kin- Verlag, Donauwörth, 2016. des. Von der Seele, die mit Tieren spricht. Auer Verlag, Sattler, Johanna Barbara: Der umgeschulte Linkshänder oder Donauwörth ,1998, 2002. Der Knoten im Gehirn. Auer Verlag, Donauwörth, 1995, Sattler, Johanna Barbara: Beidhänder sind hirngeschädigt. In: 2004. Münchener medizinische Wochenschrift, 135 (1993) Nr. Sattler, Johanna Barbara: https://lefthander-consulting.org/ 21, S.291/35–294/40. Wiederabgedruckt in Sattler, Jo- deutsch/ hanna Barbara: Der umgeschulte Linkshänder oder Der https://lefthander-consulting.org/deutsch/netzwerk/infoma- Knoten im Gehirn. Auer Verlag, Donauwörth 1995, 2004 terial/umschulung-der-haendigkeit/ (8), S.350–356. Schneiden mit der Schere: https://www.youtube.com/ Sattler, Johanna Barbara: Das linkshändige Kind in der watch?v=_a4k1UGLQCM Grundschule. (Das Buch wurde im Auftrag des Bayer. Steinkopf, Frank: Schritt für Schritt MIT LINKS ins Glück: Kultusministeriums erarbeitet und vom Staatsinstitut für Linkshänder leicht erkennen – richtig fördern – stark im Schulpädagogik und Bildungsforschung, München, 1993 Leben. Verlag Lefthander‘s World, 2014. herausgegeben.) Vertrieb: Auer Verlag, Donauwörth, Steinkopf, Frank: Linkshänder Übungsheft: Ausmalen, Schrei- 2003 (11). ben und Schneiden – für kleine und große Linkshänder. Sattler, Johanna Barbara, Linkshändige Kinder im Krippen- Verlag Lefthander‘s World, 2018. und Kindergartenalter : eine illustrierte Praxishilfe für Er- Van der Linden, Stephanie: Stricken Basics, Topp. frechverlag, zieherinnen und Eltern. Auer Verlag, Donauwörth, 2007. Stuttgart, 2008. Sattler, Johanna Barbara: Das linkshändige Kind in der Grund- Vasterling, Almuth, Weiland Gabriele, Sattler, Johanna Bar- schule. Auer Verlag, Donauwörth, 2018. bara: Linke Hand – Rechte Hand: Ein Ratgeber zur Hän- Sattler, Johanna Barbara: Links und Rechts in der Wahrneh- digkeit: Für Eltern, Pädagogen und Therapeuten (Rat- mung des Menschen : zur Geschichte der Linkshändigkeit. geber für Angehörige, Betroffene und Fachleute). Verlag Auer Verlag, Donauwörth, 2000. Schulz-Kirchner Idstein, 2017. Sattler, Johanna Barbara: Schreibtisch-Auflage für Linkshän- Weber, Sylvia: Linkshändige Kinder richtig fördern: Mit vielen der DESK-PAD LEFTY®, mit Übungsheft: Desk-Pad Lefty, praktischen Tipps. Ernst Reinhardt Verlag, München, 2014.

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