Stadion-Porträt

Ein Wallfahrtsort für amerikanische Sportfans: Der Foto: Rössel Das grüne Monster von Der Fenway Park ist das älteste und beliebteste Baseballstadion in den USA

merikaner neigen ja bekanntlich Um dieses Stadion zu beschreiben, ge- den Bezeichnungen Puritans, Pilgrims zu Übertreibungen, alles ist ir- brauchen die Amerikaner ausschließlich und Plymouth Rocks auf. 1907 dann Agendwie „big, great, incredible“. Superlative. Und in diesem einen Fall kam Taylor auf den Namen Red Sox. Bei Dazu wird die „national pasttime“, die haben sie sogar Recht. Dieses Stadion dem blieb es. 1911, inzwischen der teu- gemeinsame nationale Vergangenheit, atmet Geschichte, es ist uralt, verwittert, ren Mieten überdrüssig, gab Sohnemann hoffnungslos verklärt. Auch beim Base- klapprig, vergammelt, eng, unbequem, John I. Taylor den Bau eines eigenen Sta- ball. Im Gegensatz zu American Football gemütlich, verrostet, viel zu klein, intim, dions bekannt, das nur knapp eine Mei- oder Eishockey gilt als Inbegriff es ächzt unter seinem eigenen Gewicht le weiter entfernt liegen sollte. Er fragte: der guten alten Zeiten, der heilen Welt, und vor allem unter seinem Alter. Im „It’s in the Fenway, isn’t it? Then call it in die sich viele zurücksehnen. Die un- nächsten April wird Fenway 94 – und Fenway Park.“ Die Fens, das umgeben- zähligen Sportfans schauen sich immer für die Basballfans der gesamten Nation de Moor- und Sump and, gab also dem wieder die alten Schwarzweißaufnah- gilt der Fenway Park als das mit Abstand noch zu bauenden neuen Stadion den men der Baseballstars von einst in den beliebteste Baseballstadion. Für manche Namen. Oder doch nicht? Die Familie landesweit bekannt Ballparks an. ist es sogar ein regelrechter Wallfahrts- Taylor besaß neben der Zeitung und dem Viele dieser alten Stadien, wie die ort. Man kann es als das Wembley des Team auch den Grund. Dieses Eigentum Polo Grounds oder (beide Baseball bezeichnen. Das Stadion ist das wurde in der Fenway Realty Company New York) sind allerdings längst ver- bekannteste Wahrzeichen der Stadt, und gebündelt – und die Company sollte na- schwunden; meist sind sie Bauprojekten selbst bei den Reiseführern von „Lonely türlich promotet werden. Somit ist Fen- zum Opfer gefallen. In den 60er Jahren Planet“ ziert der Fenway Park die Titel- way wohl die weltweit erste Sportstätte, begann der Boom der Multifunktionsare- seite des City-Guides. die man nach einer Company benannte. nen, der immerhin ein Vierteljahrhundert Auch in den guten alten Zeiten wurde anhielt – bevor sich die Verantwortlichen Die Heimat der Red Sox bereits knallhart kalkuliert. gegen Ende der 80er langsam wieder auf Die Grundsteinlegung für den neuen die „Baseball only“ Parks besannen. Die Im Jahre 1901 spielten die Boston Ame- Park erfolgte am 25.9.1911. Die Bauher- erbaute man gerne im Retrostil, um etwa ricans in einem Park namens Huntington ren wurden mit einem ungewöhnlichen mit Backstein und Efeu das Flair der Sta- Avenue Grounds. Drei Jahre später kauf- Problem konfrontiert: Das ungleichmä- dien von früher zurück zu bringen. Oft te Charles Henry Taylor, Besitzer des ßige Sechseck wurde auf engstem Raum genug gilt dabei ein immer noch exis-tie- „Boston Globe“, das Team und schenkte zwischen die anliegenden Straßen ge- rendes Stadion als Vorbild – der Fenway es seinem Sohn. Diverse Umbenennun- zwängt. Doch in der Lansdowne Street Park in Boston. gen folgten. So lief die Mannschaft unter war Schluss, die dortigen Gebäude konn-

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ten nicht abgerissen werden. Eine be- trächtliche Ecke des linken Out eld fehl- te somit völlig. Die Lösung? Eine 11,30 m hohe Holzwand. Eigentlich nur eine Not- lösung, sollte diese Konstruktion noch zu großer Berühmtheit gelangen… Das erste Exhibition Game fand am 9.4.1912 gegen Harvard statt, der Ope- ner war neun Tager später vorgesehen,  el aber wegen Regens aus. Also gilt der 20.4.1912 als of zieller Eröffnungstag. Ein halbes Jahr später gewann Boston be- reits die World Series – ein gutes Omen? Im Gegenteil, denn im Winter 1919/20 wurde Starplayer Babe Ruth nach New York verkauft. Mit ihm ging der Erfolg, ein Menschenleben lang mussten die Red Sox auf den nächsten Titel warten. Der Transfer wurde zum Fluch, er ging als „the “ in die Ge- schichte ein. Zu allem Über uss war im Deal auch ein Darlehen enthalten, um die Hypothek für das Stadion bezahlen zu können. Die verhassten Yankees wurden somit praktisch zum Landlord von Fen- way – unmöglich!

Ecken und Kanten Vorbild für neue Stadien im Retrostil Fotos: Rössel Dennoch, der Mythos Fenway begann langsam zu wachsen. Dies lag vor allem an den vielen einmaligen Besonderhei- ten des Parks, beispielsweise befand sich vor der Wand im left  eld ein etwa drei Meter hoher Hügel, eine Böschung, auf der Zuschauer sitzen durften. So wurde auf dieser Seite sprichwörtlich bergauf gespielt – und bergab, wenn ein Spieler von dort wieder zurückrannte. Von den beiden Feuern, 1926 und 1934, hatte vor allem letzteres zur Folge, dass Beton die feuergefährdeten Holztribü- nen ersetzte und Stahl die tragende Kon- struktion. Dazu gehörte natürlich auch die Wand, auf die 1936 zusätzlich eine Blende gesetzt wurde, um die Fenster der anliegenden Gebäude zu schützen. 1947, in dem Jahr, in dem Fenway endlich sie- ben Türme Flutlicht spendeten, wurde der gesamte innere Komplex grün ange- strichen. So kam die linke grüne Wand Großer Andrang bei den Spielen zu ihrem legendären Namen, den jeder noch so junge Baseballfan ohne zu zö- gern sofort zuordnen kann: the green monster. Flugbälle, die in jedem an- deren Park zu einem gefeierten  iegen würden, tropfen in Fen- way erbarmungslos von der Wand ab. Die klägliche Ausbeute: ein moderates . Dort, wo das grüne Monster auf den Rasen vom Typ „blue grass“ trifft, ist ein „manual scoreboard“ eingebaut, auf das die Bostonians ebenfalls sehr stolz sind. Betrieben wurde das Gerät während der letzten 13 Jahre von Rich Maloney �

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und Chris Elias: „Toilettenpausen müs- sen gut abgesprochen sein, und da man hier vier Fuß unter dem Level der Straße liegt,  itzt auch schon einmal eine Rat- te vorbei“, kann der geneigte Leser im Buch „Fenway Lives“ nachlesen. „Viele Spieler kommen zu uns nach hinten und signieren mit Kreide die Wände. Des- halb halten die Autogramme nur wenige Jahre.“ 1940 wurden die Bullpens im Right Field installiert, und die Spieldfeldbe- grenzung rückte 23 Fuß näher an die Home Plate. Der Grund? Von Ted Wil- liams, einem jungen Hitter, versprach sich der Club nun mehr Home Runs. Doch seine Quote sank im Jahr nach dem Wechsel von 31 auf 23. Immerhin kön- Sitzplätze auf der Mauer Fotos: Rössel nen seitdem die Fans in den Bleachern einen Smalltalk mit den Stars in der dor- tigen Aufwärmzone halten. Inmitten all der grünen Sitze  ndet sich hier seit 1984 auch ein einzelner roter, der „red seat“. Er wurde zum Gedenken an den 502 Fuß weiten Home Run von am 9.6.46 installiert. Der Strohhut von Jo- seph Boucher, der damals dort saß, hat seitdem ein Loch.

Schicksalswende

Die Jahrzehnte vergingen, und der Fenway Park selbst wurde immer mehr zum Star. Die Zuschauerzahlen der Red Sox stiegen unabhängig von der Leis- tung des Teams. Anfang der 90er Jahre wurden aber Stimmen laut, Fenway sei viel zu alt und zu klein. Überall baute man moderne Retro-Parks. Die waren be- Wurde selbst zum Star: Der Fenway Park quem und versprachen hohe Einnahmen. Es gründete sich die Organisation „Save Fenway Park!“, die versuchte, den Park durch verzweifelte Aktionen zu retten. Es schien aussichtslos. Doch 2002 wende- te sich Schicksal. Der neue Besitzer Larry Lucchino modernisierte das Stadion. Ne- ben unzähligen weiteren Änderungen installierte man auf dem Green Monster knapp 300 Sitze, das Stadion bot nun 36.298 Plätze, die Leute waren begeistert. Der Zuschauerrekord hingegen stammt aus dem Jahr 1935, als 47.627 zum Spiel gegen die Yankees kamen. Weitere um- fassende Kapazitätserweiterungen sind geplant. Um das Glück der Bostonians perfekt zu machen, gewannen die Red Sox im Oktober 2004 in sieben Spielen gegen die Yankees – nachdem sie be- reits mit 0-3 zurücklagen! Das gab es noch nie. Im Finale wurden die St. Louis Cardinals mit 4-0 überrollt. Die gesamte „“, wozu sich fast jeder Einwohner von New England zählt, war nach 1918 endlich wieder Meister. Dazu behalten sie nun ihren Fenway Park Kein Dach – aber eine riesige Anzeigetafel „forever“.���Steffen Rössel

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Daten & Fakten – Fenway Park 1940 Installation von Bullpens im Right Field, Verkürzung des Spielfelds um 23 ft. Anschrift: Heutiges Fassungsvermögen: 36.298 1947 Einweihung des Flutlichts, Fenways , FenwayPark Zuschauerrekord: 47.627 Besucher am Innenraum wird grün gestrichen 4 , 22.9.1935 gegen die New York Yankees 13.06.47 Erstes Nachtspiel in Fenway Boston, MA 02215-3496 1976 1. elektronisches Messageboard in USA Weitere Teams, die in Fenway spielten: Fenway (Centerfi eld), neuer Pressebereich 1914 Miracle Boston Braves (Baseball) 1982 – 83 44 private Suites werden über Stadiontouren: 1933 – 36 Boston Redskins (Football) den Tribünen links & rechts errichtet Fenway Park Tours Hotline: 1983 Die letzten Bleacher-Holzbänke wer- 001-617-226-6666 den durch Sitzschalen aus Plastik ersetzt Email: [email protected] 1987 – 88 Color Video Screen (Centerfi eld) Eintritt: 12 Dollar 1988 – 89 Einbau von 610 Club Seats und eines neuen Pressebereichs Spielfeldmaße: 1989 – 90 Ticketverkaufsbereich wird 310 ft. left fi eld line generalüberholt 379 ft. in left center fi eld 1993 Beginn organisierter Stadiontouren 390 ft. in center fi eld 1998 Überlegungen zu einem „New“ 420 ft. in deep center fi eld Fenway werden konkreter, Gründung der 380 ft. in deep right fi eld Organisation „Save Fenway Park“ 302 ft. in right fi eld line 13.07.99 70. Allstar Game der MLB Foto: Rössel 2002 Der neue Besitzer studiert die Grundsteinlegung: 25.9.1911 1944 – 48 Boston Yanks (Football) Möglichkeit, Fenway zu retten und zu Eröffnung: 20.4.1912 1963 – 68 Boston Patriots (Football) modernisieren, der Ausbau wird Stück für Bauzeit: 7 Monate diverse College Teams (Football) Stück verwirklicht Bauträger: Okt. 2004 Die Red Sox gewinnen die Charles Louge Building Company Chronik: erste World Series seit 1918 Chefarchitekt: James E. McLaughlin 20.04.12 feierliche Eröffnung 2005 Fenway bekommt einen neuen Baufl äche: 365.308 square feet 03.07.32 erstes Sonntagsspiel Rasen sowie eine neue Bewässerungs- Baukosten: 650000 US-Dollar (damalige) 1936 Bau der Schutzwand am Left fi eld Wall anlage für insgesamt 2 Mio. US-Dollar.

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