2017

Ein christliches Dorf in seit 1963 Ein Zeichen der Völker für die Völker NES AMMIM Inhalt

Liebe Leserinnen, liebe Leser 1 Gerlinde Butzphal

Paraschat Schelach Lecha – Sende dir (Männer aus) 2 Rabbi Marc Rosenstein Impressum: Nes Ammim Deutschland e.V. Jüdische Fest- und Fastentage 3 Hans-Böckler-Str. 7 40476 Düsseldorf Notwendigkeit und Risiko menschlicher Auslegung Tel. (0049) (0)211/4562 493 Fax (0049) (0)211/4562 497 Heiliger Schriften 4 Dr. Rainer Stuhlmann E-Mail der Redaktion: [email protected] In Memoriam Horst Dahlhaus 5 E-Mail des Büros: [email protected] „Nun gehe hin und lerne!“Lernschritte auf dem Weg zu einer christlichen Theologie in Israels Gegenwart 6 Spendenkonten: KD-Bank Prof. Dr. Klaus Müller IBAN: DE17 3506 0190 1010 9880 19 BIC: GENODED1DKD Eine einmalige Gelegenheit! 10 Postbank Ruben Krauß IBAN: DE40 3601 0043 0160 4884 38 BIC: PBNKDEFF 2017 – Ein geschichtsträchtiges Jahr Peter Beier Stiftung Nes Ammim im israelisch-palästinensischen Konflikt 12 KD-Bank Thomas Kremers IBAN DE66 3506 0190 1013 4550 11 BIC GENODED1DKD Nes Ammim Jahresthema 2017: 100 Jahre Balfour-Erklärung, Herausgeber 70 Jahre UN-Teilungsplan, 50 Jahre 6-Tage-Krieg 18 Nes Ammim Deutschland e.V. Dr. Tobias Kriener Gerlinde Butzphal Redaktion Liselotte Ueter, Sigrid Wick-Kuhne, Die neue Dialog Koordinatorin stellt sich und ihre Arbeit Natascha Kozlowski-Ueter, im Centre of Learning and Dialogue vor 21 Katja Kriener Technische Koordination Natascha Kozlowski-Ueter 25- jähriges Jubiläum von Wasseela 22 Fotos Copyright Nes Ammim, Rachelle Taverne bzw. s. Angaben Gestaltung Interview mit dem neuen Community Manager Sicco Ritsema Michael Wichelhaus und mit der Leiterin des Village Henny Ritsema 23 Rachelle Taverne Für den jeweiligen Inhalt der einzel- nen Artikel sind die Verfasser und Schabbat Schalom! 24 Verfasserinnen verantwortlich. Simon Bangard Alle Rechte vorbehalten. Viele Seniorinnen und Senioren unterstützen Nes Ammim und kehren jedes Jahr wieder zurück. Wir haben sie gefragt: Warum tun Sie das? 26 Beate Franke und Andreas Krüger Ursula Stoldt Alois Mühleisen und Sybille Borbe

Wie hat Nes Ammim meinen Lebensweg beeinflusst? Wir haben unsere Volontäre befragt. 29 Sarah Ultes Hartmut Dobbe Deike Schell Peter Noack Information

Nes Ammim-Tag 2018 17. und 18. Februar Mitgliederversammlung 2018 18. Februar Liebe Leserinnen und liebe Leser

Ich möchte Ihnen gerne von meinem Aufenthalt ehemalige Freiwillige oder unsere langjährige in Nes Ammim von vor drei Wochen erzählen. Mitarbeiterin Wasseela. Damit dieser besonde- So viele positive Veränderungen hatten seit mei- re Ort bewahrt werden kann, bedarf es jedoch nem letzten Besuch im Februar dort stattgefun- zukunftsweisender Schritte. Immer noch ist es den. Der Garten war frisch gepflegt, die Hotel- schwierig, für Nes Ammim eine nachhaltige fi- terrassen waren abends einladend erleuchtet, nanzielle Grundlage zu schaffen. Trotz großer Blumenkübel um das Hotel herum mit farben- Anstrengung ist es dem ehemaligen israeli- frohen Blumen bepflanzt, der Aufenthaltsraum schen Business Manager nicht gelungen, die der Freiwilligen, das Chadar Ochel, gemütlich bereits bestehenden Einnahmequellen – das eingerichtet und die Unterkünfte für die Freiwil- Hotel und den Avocadoanbau – durch neue ligen frisch renoviert. Für alle Hotelgäste gibt Wirtschaftsstandbeine zu ergänzen. Es liegt mir es nun die Möglichkeit, in der gepflegten Hotel sehr am Herzen, die Zusammenarbeit mit den Lounge nachmittags einen Cappucino zu trinken Holländern zu stärken, denn nur gemeinsam und abends an der Bar ein Glas Wein zu genie- wird es uns gelingen, die vielfältigen Herausfor- ßen. derungen, die Nes Ammim an uns stellt, anzu- packen. In diesem Jahr haben wir uns erstmals Was war geschehen? Ein neues europäisches wieder zu einer gemeinsamen Vorstandssitzung Management Team hat in den letzten drei Mona- getroffen. Hier haben wir vereinbart, auch im ten die Leitung von Nes Ammim übernommen. kommenden Jahr einen Nes Ammim Tag ge- Es ist nicht irgendein Team, denn es besteht meinsam zu veranstalten. aus ehemaligen Nes Ammimniks, die vor etli- chen Jahren als Freiwillige in Nes Ammim ge- Unser Dorf bedarf einer Profilschärfung. Im arbeitet hatten, und jetzt als Fachleute für eine Sommer hatte das Board of Directors mehrere Übergangszeit zurückgekehrt sind. Zudem war Szenarien vorgestellt, wie die Zukunft von Nes im Herbst wieder eine neue Gruppe von jungen Ammim aussehen könnte. Diese Vorschläge Freiwilligen voller Elan und neuer Ideen ins Dorf wurden in allen nationalen und internationalen zum Leben, Lernen und Arbeiten gekommen. Gremien diskutiert. Einstimmigkeit herrsch- Diesmal sind ein paar besonders geschickte te, Nes Ammim zu einem echten Village of junge Menschen darunter, die unter Anleitung Dialogue zu entwickeln. Das würde bedeuten, einer holländischen Seniorin in den letzten Mo- dass wir für das in ein paar Jahren zu realisieren- naten wahre Wunder im Garten vollbracht ha- de Village-Entwicklungsprojekt Taba 2 die Ideen ben. Ich war sehr beeindruckt von der guten Zu- für ein Mixed/Open Village realitätsnah umset- sammenarbeit zwischen den Senioren und den zen können. jungen Leuten und von der freundschaftlichen Atmosphäre im Dorf. Für das Jahr 2018 sind wir zum Wohl von Nes Ammim auf einem guten Weg. Nes Ammim ist und bleibt etwas Besonderes nicht nur für kurzfristige Besucher. Gerade bei Ihre Gerlinde Butzphal längeren Aufenthalten übt Nes Ammim auf je- Vorsitzende den eine nachhaltige Wirkung aus. Wir haben versucht, in diesem Heft viele unterschiedliche Menschen, die mit Nes Ammim verbunden sind, zu Wort kommen zu lassen, sei es die wie- derholt zurückkehrenden Senioren, neue und

1 Paraschat Schelach Lecha – Sende dir (Männer aus) Numeri/4. Buch Mose 13-15 Rabbi Marc Rosenstein

Die Übertragung des Rabbi Rosenstein: Er hat den „Galiläischen der sie in die Sicherheit nach Ägypten zurück- Artikels aus dem Englischen: Zirkus“ gegründet, der palästinensische und bringen soll. In den Augen Gottes ist das eine Liselotte Ueter jüdische Kinder und Jugendliche zusammen- Ablehnung Gottes. Nach allem - das göttliche führt, müht sich um den Verständigungsprozess Versprechen war klar, dass Gott die Israeliten zwischen Juden und Palästinensern in Galiläa nach Kanaan bringen würde. Das war die gan- und ist seit Jahrzehnten mit Nes Ammim ver- ze Zeit zweifellos der Plan. Plötzlich Vertrauen bunden. in die Leitung zu verlieren und eine Rückkehr nach Ägypten zu bekunden, bedeutet offene Rebellion. Und so verfügt Gott eine Strafe: Die Der ursprüngliche Plan für die Israeliten war, Kundschafter und ihre ganze Generation, die am Ägypten zu verlassen, die Tora am Berg Sinai Versprechen zweifelte, wird tatsächlich nicht zu erhalten und dann auf direktem Weg nach weiterleben und nicht sehen, dass das Verspre- Kanaan zu marschieren, das Gelobte Land zu chen in Erfüllung geht. Die Israeliten werden 40 betreten, wo sie sich niederlassen würden und Jahre lang durch die Wüste wandern, eine gan- auf der Basis der Tora-Gesetze eine Gemein- ze Generation, bevor sie das Land betreten. schaft zu erschaffen. Alles verlief nach Plan bis zum Toraabschnitt, der in der Woche vom 17. Der Parascha-Text zeigt eindeutig, dass diese Juni 2017 verlesen wurde: Als sie sich Kanaan Rebellion eine schwerwiegende Sünde ist, die nähern, erteilt Gott Moses den Auftrag, ein eine schwere Bestrafung hervorruft. Und die Team von Kundschaftern in das Land zu schi- meisten späteren Kommentatoren sehen über- cken, um die geografische und wirtschaftliche einstimmend diesen Vertrauensverlust als eine Beschaffenheit ausfindig zu machen wie auch Parallele oder schlimmer noch als den Vorfall die militärische Stärke der Einwohner einzu- mit dem goldenen Kalb. Und gleichwohl gibt es schätzen. interessanterweise Stimmen und sogar Gründe, sich zu fragen, ob die Verzögerung von 40 Jah- Zwölf Kundschafter machen sich auf die Rei- ren negativ war – oder vielleicht positiv. se, einer von jedem Stamm. Diese „Touristen“ • Durch die Beschreibung in Josua 5 erfahren kehren nach 40 Tagen mit einem gemischten wir, dass während der 40 Jahre offensichtlich Bericht zurück. Einerseits ist es in der Tat das Beschneidungen nicht vorgenommen wurden Land, in dem Milch und Honig fließen – die und das Passafest nicht begangen wurde. Weintraube, die sie als Souvenir mitbringen ist • Aus der häufigen Formulierung „Wenn du in so groß, dass zwei Männer nötig sind, um sie zu das Land kommst ...“ (z. B. Deuteronomium tragen (Das Logo des israelischen Ministeriums 26:1) lernen wir, dass viele der Tora-Gesetze für Tourismus besteht aus einem Piktogramm, während der 40 Jahre nicht angewandt wurden. auf dem zwei Männer eine riesige Weintraube • Natürlich musste das Volk in all jenen Jahren an einer Stange befestigt zwischen sich tragen). den Boden nicht bearbeiten, sondern wurde mit Andererseits berichten sie, dass die Menschen dem wunderbaren Manna gestärkt – was ent- in Kanaan stark sind und in befestigten Städten fiel, als das Volk das Land betrat. (Josua 5:11- leben; zehn der Kundschafter zeigen offen ihren 12). In der Tat zeigt der Einzug in das Land eine Pessimismus in Bezug auf die Möglichkeit einer interessante Parallele auf zu der Vertreibung Eroberung durch die Israeliten. von Adam und Eva aus dem Paradies. Plötzlich müssen sie für ihren Lebensunterhalt arbeiten! Der entmutigende Bericht führt zu einem So erscheinen uns in einem gewissen Sinn die rebellischen Ausbruch der Israeliten, die Moses Jahre in der Wüste als eine Art „Paradies“ – als anschreien, nach einem neuen Führer rufen, einen Verantwortungsaufschub, als eine Zeit, 2 in der niemand für den Unterhalt sorgen oder sie Teil ihrer Kultur wäre; Juden folterten z. B. Institutionen einer Gesellschaft aufbauen und niemals Gefangene. Aber damals hatten Juden aufrechterhalten musste. niemals Gefangene – und nun haben sie einen • Die Propheten betrachteten die 40 Jahre als Staat mit Gefangenen und eine Armee und ei- eine Art Honeymoon zwischen Israel und Gott; nen Geheimdienst und Gefangene und müssen z. B. Jeremia (2:1-2): So spricht der Herr: „Ich das schwierige Dilemma bewältigen, wie sie erinnere mich an dich- an die Treue deiner Ju- Gefangene behandeln. gend, die Liebe deiner Brautzeit, du folgtest mir Niemand hat den Wunsch, ein Leben zu führen, in der Wüste, im nicht besäten Land.“ das Wandern durch die Wüste bedeutet; eine • Und für modernes Empfinden macht es voll- gewisse Sehnsucht nach jenen Tagen zu verste- kommen Sinn, die Sklavengeneration ausster- hen, das ist möglich. ben zu lassen, so dass die neue Gemeinschaft in Kanaan nur von denen aufgebaut wird, die frei geboren wurden – nur Gott untertan, niemals dem Pharao. Sogar Moses musste sterben, da- Jüdische Fest- und Fastentage mit das Neue sich ereignen konnte. 5778 / 5779 || 2018 …………………………………………………………………… Das lässt uns bei der Frage stehen: Ist es so- Tu Bischwat 31. Januar gar denkbar, dass die Israeliten auf direktem …………………………………………………………………… Purim (Losfest) 1. März Weg vom Sinai in etwa einem Jahr nach Kana- …………………………………………………………………… an hätten gehen können? Würde die Erfahrung Pessach 31. März. bis 7. April mit ägyptischer Kultur – und Sklaverei – noch …………………………………………………………………… in ihrem Bewusstsein drohend aufragen? Wie Jom Ha Shoa 12. April (Holocaust-Gedenktag) würden die früheren Sklaven der Verantwortung …………………………………………………………………… gewachsen sein, ihren eigenen Lebensunter- Jom Ha´Azma´Ut 19. April halt und ihre Herrschaft (Regierung) zu überneh- (70. Israelischer Unabhängigkeitstag) men? Würde Moses über das Volk in seinem …………………………………………………………………… Land regiert haben? So – war die 40-jährige Ver- Schawuoth 20. und 21. Mai (Wochenfest) zögerung ein unglücklicher „Zufall“? Oder war …………………………………………………………………… es Teil eines göttlichen Plans, die Israeliten auf Fasten 9. Aw 22. Juli ihr neues Leben vorzubereiten? Verbrachten sie …………………………………………………………………… die 40 Jahre in kummervoller Reue über ihre Rosh Ha Schana 5779 10. und 11. September (Neujahr) Sünde – oder in einer Art glücklicher utopischer …………………………………………………………………… (traumhafter) Seifenblase (Scheinwelt), in der Jom Kippur 19. September niemand arbeiten musste, niemand die Verant- (Versöhnungstag) wortung für die Gemeinschaft und ihre Institu- …………………………………………………………………… tionen übernehmen musste? Es ist in der Tat Sukkot 24. bis 30. September (Laubhüttenfest) interessant, sich das vorzustellen: Als sie den …………………………………………………………………… Jordan überquerten und diesen „Honeymoon“ Schemini Azereth 1. Oktober hinter sich ließen, um das Land zu erobern und (Schlussfest) zu kultivieren, waren sie da erfreut – oder be- …………………………………………………………………… klagten sie sich? Die Bibel sagt es uns nicht. Simchat Tora 2. Oktober (Tora- Freudenfest) …………………………………………………………………… Es ist interessant, die moderne Parallele zu Chanukka 3. bis 10. Dezember betrachten: Vor 2000 Jahren wanderte das jü- (Weihefest) dische Volk durch die “Wüste“der Diaspora, in …………………………………………………………………… dem Glauben, dass es eine göttliche Strafe für Götzendienst und Ungerechtigkeit sei. Einer- Beginn jeweils am Vorabend seits litten sie unter Verfolgung und Vertreibung aus Mangel an politischer Macht – andererseits lebten sie in teilweise autonomen Gemeinden ohne Verantwortung für staatliche Funktionen wie Verteidigung, Diplomatie und Wirtschafts- politik. Mit der Gründung eines modernen jüdi- schen Staats kam das jüdische Volk in sein ei- genes Land, erreichte wieder politische Macht – wurde aber auch gefordert, für alle Aspekte des Lebens wieder Verantwortung zu überneh- men, wovon sie vorher befreit waren. Verant- wortungen, die mit Macht kommen, können zu Verzögerungen führen: Seit Generationen waren sie stolz auf ihre gesegnete Natur, als ob 3 Notwendigkeit und Risiko menschlicher Auslegung Heiliger Schriften

Rainer Stuhlmann

Dr. Rainer Stuhlmann war von 2011 bis 2016 das zur Ersetzung und Enterbung Israels durch Studienleiter in Nes Ammim Israel. die Kirche. „Wir sind das neue Gottesvolk an- stelle des alten, das von Gott verworfen ist“, Welche Bedeutung hat die 40- jährige Wüsten- folgerte eine triumphale Kirche daraus. Heute wanderung des Volkes Israel für die Politik des heißt es: „Wir sind ‚das wandernde Gottesvolk‘ heutigen Staates Israel? Zweitausend Jahre neben oder mit Israel“. Aber auch diese diffe- konnte sich das Judentum mit der heimatlosen renzierte Identifizierung mit dem „wandernden Wüstengeneration identifizieren. Mit der Errich- Gottesvolk“ hat die Kirche unangreifbar und im- tung des Staates Israel ist es „über den Jordan mun für Kritik und Korrektur gemacht. Ganz an- gezogen“, sesshaft und zu einem Staat gewor- dere theologische und politische Konsequenzen den. Welche Relevanz haben die Gebote des ergeben sich, wenn die Kirche nicht mit dem „wandernden Gottesvolkes“ für Menschen, die befreiten Sklavenvolk, sondern mit den ägypti- in einem „Königreich“ leben und Verantwortung schen Sklavenhaltern identifiziert wird. Zweitau- für ein Staatswesen tragen? Was predigen Ge- send Jahre lang war das ja die Rolle der Kirche schichten von der Befreiung aus der Unterdrü- gegenüber dem jeweils gegenwärtigen Juden- ckung denen, die nun selber andere unterdrü- tum. Die berüchtigte Doppelskulptur an und in cken? gotischen Domen, zeigt die triumphale Kirche Zwischen zwei Fronten stellt Rabbi Rosenstein als Herrscherin, die die ihr unterlegene Synago- diese unbequemen Fragen. Die einen halten den ge demütigt. Solche Auslegung verstärkte die Blick auf die Wüstenzeit für Nostalgie, für eine triumphale Rolle der Kirche, statt sie zur Einsicht Romantisierung der Vergangenheit, für fromme und Umkehr zu führen. Träumereien, die keinerlei Relevanz für die ge- genwärtig nötige Realpolitik haben. Die anderen Manchmal öffnet erst die Identifizierung mit ignorieren den Wandel der Situation, den heuti- dem in die Freiheit geführten Volk Israel die gen veränderten Kontext der Gebote, und legen notwendige Frage: Wer sind dann der Pharao sie so aus, als zöge das Volk auch heute noch und die ägyptischen Herren? Als die schwarzen durch die Wüste und als gäbe es keine politi- Christen in den USA die jüdische Befreiungs- sche Verantwortung, die in den unumgänglichen geschichte für sich und ihre Situation entdeck- Konflikten Kompromisse finden muss. ten, wurden die weißen Sklavenhalter, die die gleiche Bibel wie ihre Sklaven lasen, zwangs- Als Gäste in Israel und Palästina hören wir seine läufig in der Rolle der Sklavenhalter des Pharao Auslegung mit großem Interesse, ohne uns an entlarvt. Viel zu lange dauerte es dann, bis die den inner-jüdischen Kontroversen zu beteiligen. weißen Kirchen umkehrten und endlich die Skla- Wir lassen uns durch die Auslegung des Rabbis verei abschafften. Die jahrhundertelange Iden- vielmehr anregen, angesichts unserer christ- tifizierung mit den „guten“ Opfern erschwerte lichen Auslegung der jüdischen Bibel wie des die notwendige Einsicht, in der Rolle der Täter Neuen Testaments zu fragen: Welche Relevanz zu stecken, deren Umkehr gefordert ist. haben die alten Texte für unsere Orientierung in einem heute veränderten Kontext? Heilsam kann es sein, die so selbstverständlich erscheinende Identifizierung der Kirche mit dem Mit wem identifizieren wir uns, wenn wir die Volk Israel in der jüdischen Bibel zu vermeiden. jüdische Bibel lesen und auslegen? Üblicherwei- An vielen Stellen erscheinen Repräsentanten se verstand sich die Kirche als das „wandernde der nichtjüdischen Völker, die zur Erkenntnis Gottesvolk“, identifizierte sich also mit „Israel des Einen wahren Gottes kommen und sei- in der Wüste“. In einem weiteren Schritt führte ner Weisung folgen, ohne Juden zu werden: 4 Melchisedek (Gen 14), Jethro (Ex 19), Rahab (Jos 2), Ruth, die Königin von Saba (1Kön 10), Naaman (2Kön 5), die Nineviten (Jon 3) und viele andere. Das sind unsere Identifikationsfi- guren. In dieser Perspektive die jüdische Bibel zu lesen, befreit von Rivalität zum offenen Dia- log zwischen Juden und Christen.

Den veränderten Kontext zu beachten, ist auch In Memoriam Horst Dahlhaus für die Auslegung des Neuen Testamentes notwendig. Viele Gebote Jesu entstammen Horst Dahlhaus ist am 5. Februar 2017 im der Lebenssituation der Wanderradikalen, Alter von 89 Jahren gestorben. Am 3. März die Haus und Familie verließen und durch die war die Trauerfeier im Dietrich-Bonhoeffer- Unterstützung anderer lebten. „Wer alles ver- Haus in Sankt Augustin. lässt, wird vielmehr gewinnen“. Diese Weis- heit Jesu musste schon wenig später eine Horst Dahlhaus war Ehrenmitglied und der Kirche der Sesshaften in ihre Situation übertra- Vorsitzende des deutschen Nes Ammim gen. Im neuen Kontext verliert die Botschaft Vereins von 1963 – 1973. Zusammen mit nichts von ihrer Brisanz und Provokation. „Wer seiner Frau Hanna hat er in dieser Zeit auch loslässt, gewinnt“, das ist bis heute in unter- die Geschäftsstelle des Vereins aufgebaut. schiedlichen Kontexten nach zu buchstabieren Bis zu seinem Tod lag ihm Nes Ammim am und das ist herausfordernd und heilsam zu- Herzen. Immer wieder hat er sich nach der gleich. Entwicklung des Dorfes erkundigt und sie mit Rat und Tat begleitet. In „Doppelter Gewalt gewaltfrei zu überwinden, das ist in vie- Solidarität“ war ihm das Wohl der Paläs- len Lebenskontexten nützlich und erfolgreich. tinenserinnen und Palästinenser genauso Aber wer Verantwortung für andere trägt, erst ein Anliegen wie das Israels. Wenn ich recht im gesellschaftlichen und staatlichen während der letzten fünf Jahre in Bonn Bereich, der wird in vielen Situationen nicht oder Sankt Augustin Vorträge über meine anders können, als begrenzte Gewaltanwen- Arbeit als Studienleiter hielt, war er zur dung zu wagen, um schlimmere zu verhüten. Stelle. „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist!“ Das ist kein Gebot, die Monarchie zu errichten oder Angesichts seiner Gedenkfeier erinner- zu erhalten. Es muss übersetzt werden in den te ich mich an einen Satz von Debbie Kontext eines demokratischen Rechtsstaates, Weissman, mit dem sie ihre Bibelarbeit den es in biblischen Zeiten nicht gegeben hat. vor der Rheinischen Landessynode 2015 Immer wieder müssen die biblischen Texte in schloss: „Für mich als Jüdin und Israelin neuem Kontext neu ausgelegt werden. Ohne ist das größte Wunder des 20. Jahrhun- Auslegung bleibt die Bibel eine Ansammlung derts der Wandel Deutschlands von einem toter Buchstaben. Von Juden können wir ler- Terrorstaat zu einem der verlässlichsten nen, dass sich die Heiligen Schriften im kontro- Rechtsstaaten dieser Erde, von dem kei- versen und beherzten Dialog unterschiedlicher ne Gefahr mehr ausgeht.“ Zu verdanken Auslegungen selber auslegen und Weisung haben wir diesen Wandel Deutschlands für die je neue Gegenwart geben. Das ist Menschen wie Horst Dahlhaus und In- nicht ohne Risiko möglich. Aber nur im Risi- stitutionen wie der Bundeszentrale für ko menschlicher Auslegungsversuche ist die Politische Bildung, die Horst Dahlhaus vie- lebendige Stimme des Unverfügbaren zu hö- le Jahre als Direktor leitete. ren. Die in und für Nes Ammim leben und arbeiten, haben ihm viel zu verdanken. Wir werden Horst und Hanna Dahlhaus in Ehren und Erinnerung behalten.

Für den Vorstand Rainer Stuhlmann

5 „Nun gehe hin und lerne!“ Lernschritte auf dem Weg zu einer christlichen Theologie in Israels Gegenwart

Prof. Dr. Klaus Müller

6 Klaus Müller ist in deutschen und internationa- zu überschätzender Bedeutung – und führt mich len Nes Ammim Gremien Mitglied. Anlässlich zu einem ersten Lernschritt in Hillels Schule: der Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille an die KLAK hat er am 5. März 2017 in Frankfurt 1. Das Judentum teilt mit der Völkerwelt die am Main den Vortrag „Nun gehe hin und lerne“ Summe der Tora. Die Kehrseite dessen: Der gehalten. Schlüssel zur Tora Israels liegt in einer prä- jüdischen Weisheitsregel, einem Kernsatz „Was dir nicht lieb ist, füge auch keinem an- der Menschheitsethik. deren zu. Das ist die ganze Tora, alles andere ist Auslegung – nun gehe hin und lerne!“ So Hillels Auskunft gegenüber dem nichtjüdischen einfach und schlicht hätte es sein können auch Menschen weist auf das bleibend Konstitutive im Verhältnis von Christen und Juden - einfach und Essentielle der Tora Israels. Die Goldene und schlicht wie in der Goldenen Regel aus Regel ist ihm ein Verstehensschlüssel zu aller, dem Munde des weisen Hillel an die Adresse zur ganzen vollen Lebensweisung Gottes. Kei- des Suchenden und nach Weisung Fragenden. ne Rede davon, dass hier der fragende Mensch Ebenso elementar wie fundamental, ins Tun aus der Völkerwelt mit einem Mini-Ethos für An- einweisend, einen Weg eröffnend. So einfach fänger abgespeist werden sollte! Der Schlüssel - und in der Geschichte über Jahrhunderte, zu- zum Ganzen. „Geh und lerne!“ Die Regel fi ndet mal in der christlich-jüdischen, so schwer. „Nun ihre Entfaltung in der Tora – und diese wiederum geh hin und lerne“ – geh lernend einen Weg: wird an das Wesentliche ihrer Substanz erinnert für die christliche Kirche und ihre Theologie ein durch die universelle Regel. langer Weg heraus aus Argwohn und Missgunst gegen die Juden hin zu einer Weggemeinschaft Es ist nicht die alle Fragen lösende Weltfor- – hier und heute! - mit dem bleibend erwählten mel, die Hillel dem Bittsteller hier an die Hand Volk Gottes. gibt, sondern eine hermeneutische Unterschei- dungshilfe für den langen und weiten Weg des Die Basisgeschichte aus dem Talmud ist schnell Erschließens und Verstehens der ganzen Wei- erzählt: „Einst trat ein Goj/ein Mensch aus der sung. Hillel will nicht ein zeitloses Prinzip aus Völkerwelt vor Schammai und sprach zu ihm: der Tora extrapolieren, sondern in das Studium Mache mich zum „Proselyten“ bzw. etwas zu- der Schrift einführen. In diesem Sinne ist er rückhaltender übersetzt: Bring mich heran an nicht Exeget (Ausleger), sondern Paidagogos deine Religion unter der Bedingung, dass du mitten hinein in die Tora. mich die ganze Tora lehrst, während ich auf ei- nem Bein stehe. Da stieß er ihn fort mit der Elle, Ich gehe diesen Weg mit und versuche Rechen- die er in der Hand hatte. Darauf kam er zu Hillel schaft darüber zu geben, was aus Hillels Spruch und dieser machte ihn zum „Proselyten“/eröff- und Haltung zu lernen ist und komme zu einem nete ihm einen Zugang und sprach zu ihm: Was zweiten Lernschritt: dir verhasst ist, das tue auch deinem Nächsten nicht. Das ist die ganze Tora, alles andere ist 2. Theologie ist Theologie für den Menschen; Auslegung. Geh und lerne!“ (Babylonischer Tal- Religion soll dem Menschen zugewandte Re- mud, Schabbat 31a). ligion sein.

Hillels Antwort an den Bekehrungswilligen ist Der Unterschied zwischen den beiden im besten Sinne universelle Weisheitsregel. „Typen“ Hillel und Schammai ist ja nicht so sehr Den Ausdruck „Goldene Regel“ hat erst das der Unterschied zwischen „soft“ und „streng“, 19. Jahrhundert geprägt – ihr Gehalt lässt sich sondern die Frage nach dem Fokus unserer Reli- indes weit zurückverfolgen, gerade auch in giosität. Hillels Option heißt: Menschenliebe ist außerbiblische Kulturen. Von Herodot bis Kon- Kriterium für Treue zur Tora. Die Affi nität zum fuzius, von Thales bis Seneca, vom Hinduismus Humanum ist Signatur der Weisung Gottes. bis zum Islam – Hillels Wendung scheint gera- Das lerne ich gerne aus der jüdischen Traditi- dezu auf ein Erbe der Weltkultur zu verweisen, on, dass Gottes Gebot auf Leben aus ist, dass fi ndet schließlich als Wandmosaik Eingang ins Tora nicht lutherisch-orthodox eine lex accus- Konferenzgebäude der Vereinten Nationen in ans meint, ein anklagendes Ge-setz, das mich New York. überführt als zum Scheitern – um nicht zu sagen zum Scheiterhaufen – verurteilten Sünder. Alles Dass dieser Satz gerade in seiner universalen schon mal da gewesen. Geh und lerne Neues! Weite jüdisch und christlich als Quintessenz der „Viel Tora, viel Leben“, auch das lässt die Misch- religiösen Tradition fungieren kann, ist von nicht na Hillel sagen (Avot 2,7). Die Tora birgt in sich

7 die fundamentale Option für das geschöpfliche Leben. Die Rabbinen nennen diese Grundoption für das Leben bekanntlich: piqquach näfäsch; zu deutsch: Erhaltung und Förderung des Lebens. piqquach näfäsch – ich übersetze: das offene 3. Religion ist Interpretation. Auge für das Leben, Augenmerk für den Men- Für mich ein entscheidender Lernschritt auf Ge- schen. Es geht um eines der weitreichendsten heiß des alten Hillel: Die ganze Tora in dieser Grundprinzipien rabbinischer Theologie, das ab- einen Sentenz - „das Übrige ist Auslegung“. Wir geleitet ist aus Lev 18,5: „Der Mensch, der die haben ein Schlüssel-Wort empfangen – alles Gebote tut, soll durch sie leben.“ Die talmudi- Übrige ist Auslegung. sche Auslegung (Yoma 85b) knüpft daran den Grundsatz: Die Gebote sollen dem Leben die- Es wird für unsere Zukunft viel davon abhängen, nen; ihr Sinn ist, das Leben zu fördern und nicht ob wir zu diesem einen Satz bereit sind: Reli- den Tod. Das ist Geist von Hillels Geist. Die Tora gion ist Interpretation. Jede Religion ist Ausle- in Hillels Lesart kreist um das eine Grundanlie- gung – eines einzigen Grundgedankens, der uns gen: Leben. In jeder Hinsicht. übergeben ist und der lautet: Leben ist reziprok, Leben ist Gegenseitigkeit, Recht auf Leben zu Wer Hillel fragt, erhält den Fingerzeig auf eine empfangen und Recht auf Leben einzuräumen. Tora, die sich seit den Tagen des Exodus der Das ist das Herzstück in Hillels Message – das Freiheit verdankt bzw. dem Gott, der sein Gott- Übrige ist Interpretation, ist Über-Setzung, ist sein von allem Anfang an mit Befreiung aus der Transfer, ist Religion, ist Sozialpolitik. Knechtschaft verbunden hat. Tora ist Freiheit. Die Tafeln – laut Ex 31,18 „beschrieben von „Geh (und) lerne! Zil gmor“, aramäisch ganz dem Finger Gottes“ – ein Werk Gottes waren knapp: „Geh“ und: wörtlich „zieh aus dem Ge- sie, und die Schrift - Gottes Schrift, eingegraben hörten lernend die Konsequenzen“. „gmor“ – (hebr.: charuth) auf den Tafeln (Ex 32,16). Dazu die Gemara, der ganze Talmud, die ganze Reli- bemerkt Rabbi Joschua ben Levi im 3. Jahr- gion ist Transferlernen. Du hast den Diamanten hundert: „Lies hier nicht charuth (eingegraben), in Rohform. Geh ihn schleifen und polieren! Er sondern cheruth (Freiheit).“ ist dir nicht auf wundersame Weise funkelnd vom Himmel in den Schoß gefallen - ein etwas Hillel erinnert daran, dass die Tora aus der Be- anderer Fokus als in Lessings Ringparabel! freiung entspringt und in die Freiheit führt – eine „Geh, interpretiere!“ Eine schlechterdings anti- einzige rabbinische Lehrstunde hätte Martin fundamentalistische Position, von der Vieles Luther davon abgehalten, seinen Ansatz von der abhängen wird für unsere Zukunft in einer alles Freiheit eines Christenmenschen in einer funda- andere als religionslosen Zeit. mentalen Antithetik zum Judentum zu entwi- ckeln. Wir erinnern nach 500 Jahren mit großem 4. „O chavruta o mituta“ Recht an Luthers Plädoyer für die Freiheit eines Geh und lerne: Ich beschreibe ausgehend Christenmenschen – aber um Himmels willen vom alten Hillel schließlich noch einen vierten doch nicht in Antithetik zum Judentum! Jetzt ist Lernschritt, dazu brauche ich Beide: Hillel und es schon etwas spät, geh hin und lerne, Bru- Schammai. Es geht um die Einsicht, dass du im der Martinus! Aber es ist noch nicht zu spät zu halachischen Diskurs nur in Partnerschaft wei- sagen: Geh und lerne, Kirche der Reformation ter kommst – „o chavruta o mituta“ – entwe- im Jubeljahr 2017 und weit darüber hinaus. der Lerngemeinschaft oder Tod (ta‘anit 23b). Es Ich komme zu einem dritten Lernschritt in Hil- geht um Weggemeinschaft unter Ungleichen. lels Schule: Es geht unterwegs um versöhnte Verschieden- heit. Auch zwischen Juden und Christen – die- sen Schritt möchte ich mit Anderen weiterge- hen.

Von den beiden Häusern Hillel und Schammai heißt es: Sie stritten darum, welchem von bei- den zu folgen sei – Wer hat die Halacha auf seiner Seite? Und dann fällt im Talmud (eruvin 13b) der atemberaubende Satz: „Elu veelu divre Elohim chajim“ – „Diese und jene sind Worte des lebendigen Gottes.“ Die Wahrheit – liegt

8 nicht in der Mitte, sondern: Die Wahrheit ist plural, wie das Leben plural ist. „Elu veelu divre-Elohim chajim“ – Solche Sätze brauchen wir heute so dringend – gesprochen nicht aus einer Beliebigkeit heraus, sondern aus der Ein- sicht, dass uns die Wahrheit immer schon vo- raus ist. Die Ethik indes – die Lebenspraxis - sucht und braucht die Entscheidung, ringt um Halacha: Ich muss entscheiden zwischen Krieg K L A K: und Frieden, zwischen Versklavung und Befrei- Die „Konferenz Landeskirchlicher Arbeitskreise Christen und ung, zwischen Abschieben und Beherbergen. Juden“ wird häufig abgekürzt mit den vier Buchstaben KLAK Und darum fährt der Talmud fort: Beide reden bezeichnet. 1978 wurde die KLAK von Vertretern verschie- sie Worte des lebendigen Gottes, aber: „Die dener Landeskirchen der EKD gegründet. Die einmal jährlich Halacha, d.h. die religiös verbindliche Praxis, stattfindenden Tagungen haben aktuelle Fragen und Aufga- entspricht der Lehre des Hauses Hillel“. War- ben zu Kirche und Israel in der Gegenwart zum Thema. um? Weil Ihr Hilleliten auch die Worte des Hau- ses Schammai weiter tradiert, sogar an die erste Buber-Rosenzweig-Medaille: Stelle setzt, als Mahnung gegen alle Einheits- Seit 1968 verleiht der Deutsche Koordinierungsrat während ideologien, gegen alle Absolutismen, gegen alle der Eröffnungsfeier zur Woche der Brüderlichkeit die Buber- Exklusivismen eines Wahrheitsfetischismus, Rosenzweig-Medaille. Ausgezeichnet werden Personen, der uns die Luft zum Atmen nimmt. Institutionen oder Initiativen, die sich insbesondere um Die entscheidenden Lernschritte werden wir die Verständigung zwischen Christen und Juden verdient nur in Chavruta tun können, im partnerschaft- gemacht haben und im wissenschaftlichen, künstlerischen, lichen Lernen unter Ungleichen in versöhn- politischen oder sozialen Bereich einen Beitrag für die ter Verschiedenheit. Auch unter Juden und christlich-jüdische Zusammenarbeit geleistet haben. Christen. Geht und zieht lernend die Konse- Die Medaille wird in Erinnerung an die jüdischen Philoso- quenzen! phen Martin Buber und Franz Rosenzweig verliehen. http://www.deutscher-koordinierungsrat.de/node/1039

Preisträger: Die Medaille erinnert an die jüdischen Philo- sophen Martin Buber (1878–1965) und Franz Rosenzweig (1886–1929). Preisträger waren unter anderen der jüdische Erziehungswissenschaftler und Publizist Micha Brumlik, der katholische Theologe Hanspeter Heinz und der von ihm geleitete Gesprächskreis »Juden und Christen« beim Zent- ralkomitee der deutschen Katholiken, der deutsch-iranische Schriftsteller Navid Kermani, der Architekt Daniel Libeskind und der frühere EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider. Für sein Nes Ammim Engagement wurde 1986 Heinz Kremers mit der Buber-Rosenzweig-Medaille ausgezeichnet!

Auch der Musiker Yehudi Menuhin (1916–1999), die frü- heren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker (1920 - 2015) und Johannes Rau (1931 - 2006) sowie der ehemalige Bundesaußenminister Joschka Fischer (Grüne) haben die Auszeichnung erhalten. (epd), http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/25625

9 Eine einmalige Gelegenheit! Ruben Krauß

10 Der Empfang selbst fand dann aber im – nicht weniger schönen! – Innenhof statt. Es ist ja be- kannt, dass je prominenter die Person, desto länger lässt sie auf sich warten. Sogar wenn sie deutsch ist.

Wirklich tragisch war das in diesem Fall aller- dings nicht, da es nun noch lauschig warm war und es allerlei Getränke und Häppchen gab. Das war eine sehr willkommene Abwechslung zu unserem gewöhnlichen Essen.

Es war ein wirklich merkwürdiges Gefühl, dass wieder alle um einen herum Deutsch sprachen. Auf einmal konnte man alle Gespräche um sich herum mit verfolgen. Das ist bei uns ganz und gar nicht selbstverständlich. Aber das machte es eben auch eindeutig leichter, neue Kontakte zu knüpfen, was auch fl eißig getan wurde.

Ruben Krauß war als Freiwilliger im Rahmen Als Frank-Walter Steinmeier dann schließlich des Internationalen Jugendfreiwilligendienstes kam, hielt er eine sehr schöne Rede in welcher von August 2016 bis Ende Juli 2017 in Nes Am- er uns „im besten Sinne Botschafter Deutsch- mim lands“ nannte.

Eigentlich freuten wir uns schon alle darauf, am Als er sich dann wagemutig in die Menge wag- 8. Mai zum „House of Grace“ zu fahren, um te, wurde er natürlich von lauter Jugendlichen dort zusammen mit arabischen Ex-Häftlingen um ein Selfi e gebeten. Er konnte einem wirklich zu kochen und zu Abend zu essen. Das ist so leid tun, so groß war der Andrang! Die Jugend besonders für uns, weil einige Freiwillige regel- von heute... Doch die Jugend von heute kann mäßig dort arbeiten. Dies wird uns im Rahmen auch ganz andere Dinge. Beispielsweise sang der „Work and Learn“ Programme ermöglicht. ein Chor, der sowohl aus arabischen als auch Allerdings bekamen wir einige Tage vorher eine aus jüdischen Jugendlichen bestand, was wirk- E-Mail unseres Studienleiters. Diese beinhaltete lich sehr schön anzusehen, aber vor allem anzu- eine Einladung – (leider nur) für die deutschen hören, war! Freiwilligen – zu einem Empfang unseres neu- en Bundespräsidenten Herrn Steinmeier. Dieser Doch auch als unser Herr Bundespräsident Empfang würde eben am selben Abend statt- schließlich verschwand, ging es noch munter fi nden wie das geplante Dinner. Allerdings in weiter. Es wurden noch viele Gespräche mit Jerusalem statt in Haifa. Verbinden konnte man bekannten, sowie fremden Gesichtern geführt, das also nicht. Nichtsdestotrotz war unsere bis wir uns schließlich auf eine lange Heimfahrt Priorität dann doch recht eindeutig. Raten Sie begeben mussten. mal, wofür...

Entschieden? Nein? Noch nicht? Ist ja auch eine schwere Entscheidung... Jetzt wissen Sie mal, wie es uns ging!

Okay. Noch ein kleiner Tipp: Wir können das Dinner mit den Ex-Häftlingen noch nachholen. Klar? Super!

So fuhren also zwei Autos voller schick geklei- deter Freiwilliger nach Jerusalem. Die Sonne schien genauso vorfreudig zu sein wie wir und heizte uns ordentlich ein.

Nach langwierigem „Im - Stau - stehen - und - schwitzen“ fanden wir dann doch endlich den Weg zum Deutschen Hospiz St. Charles in Jerusa- lem. Dies liegt recht verborgen in einer Seitenstra- ße. Von innen ist es dafür umso eindrucksvoller!

11 2017 Ein geschichtsträchtiges Jahr im israelisch-palästinensischen K o n fl i k t Thomas Kremers

12 2017 Ein geschichtsträchtiges Jahr im israelisch-palästinensischen K o n fl i k t Thomas Kremers

Das Jahr 2017 ist ein für die Geschichte des Judentums, für den Staat Israel und für die palästinensische Nationalbewegung geschichtsträchtiges Jahr. Vier historische Ereignisse, die sich 2017 jähren, prägen den Konfl ikt um Palästina und den Staat Israel bis in die Gegen- wart: Der erste Zionistenkongress in Basel 1897, die Balfour-Deklaration von 1917 mit dem Versprechen einer „nationalen Heimstätte“ für das jüdische Volk in Palästina, die Verab- schiedung des Teilungsplans für Palästina durch die UN-Vollversammlung im Jahre 1947 und der Sechs-Tage-Krieg von 1967, der zu einer nun schon 50 Jahre andauernden völkerrechts- widrigen Besatzung führte.

Bildlegende: Jüdische Einwanderer gehen nahe Naharija an Land. Bundesarchiv, Bild 183-R68235 / CC-BY-SA 3.0

13 Zionistenkongress in Basel 1897 bürgerlichen und religiösen Rechte und die poli- tische Stellung nicht jüdischer Gemeinschaften Ausgelöst durch das Erstarken des Antisemitis- in Palästina“7 beeinträchtigen könnte. Roth- mus in Frankreich im Kontext der Dreyfus-Affäre schild sollte den Brief, mit dem die britische Re- forderte Theodor Herzl in seiner 1896 veröffent- gierung während des Krieges mit der Zusage an lichten Schrift „Der Judenstaat“ die Schaffung die zionistische Bewegung zusätzliche Ressour- eines jüdischen Staates in Argentinien oder in cen mobilisieren wollte, an den Zionistischen Palästina. Er bezeichnete den Judenstaat als Weltkongress weitergeben. Auch wollte Groß- „Weltbedürfnis“1 das realisierbar sei: „Die Ju- britannien sich mit der Deklaration langfristige den, die wollen, werden ihren Staat haben.“ 2 strategische Vorteile im Nahen Osten verschaf- Ein Jahr später berief er den ersten Zionisten- fen. kongress in Basel vom 29. bis 31. August 1897 ein. Der Kongress griff die jahrhundertealte jü- Dasselbe Ziel verfolgte das sog. Sykes-Picot- dische Zions-Sehnsucht auf und entschied sich Abkommen: Am 16. Mai 1916 wurde ein gegen die argentinische Lösung: „Der Zionis- von dem französischen Diplomaten Francois mus erstrebt für das jüdische Volk die Schaffung Georges-Picot und dem Engländer Mark Sykes einer öffentlichrechtlich gesicherten Heimstätte ausgehandeltes geheimes Abkommen zwi- in Palästina.“3 Der britische Staatsmann und schen den Regierungen Großbritanniens und Sozialreformer Lord Shaftesbury, ein christlicher Frankreichs geschlossen, durch das die Auf- Befürworter des Zionismus, formulierte 1853 4 teilung der kolonialen Interessensgebiete im als einer der ersten den Satz „Ein Land ohne Nahen Osten nach der Zerschlagung des Os- Volk für ein Volk ohne Land.“ Diese auf Groß- manischen Reiches im Ersten Weltkrieg fest- syrien bezogene Bewertung erwies sich als gelegt wurde. Das Sykes-Picot-Abkommen verheerende Fehleinschätzung der Situation in widersprach allerdings den Versprechungen Palästina. Um 1881 lebten ca. 25.000 Juden und Großbritanniens an arabische Bündnispartner 450.000 Araber in Palästina.5 im Ersten Weltkrieg, die in der Hussein-McMa- hon-Korrespondenz der Jahre 1915/16 formu- Durch zwei Einwanderungswellen nahm der liert wurden. Für die Unterstützung Großbritan- Anteil der Juden an der Bevölkerung Palästinas niens gegen das Os-manische Reich wurde den zu: Etwa 25.000 hauptsächlich osteuropäische arabischen Bündnispartnern die Anerkennung Juden emigrierten in der ersten Alija zwischen einer zukünftigen arabischen Unabhängigkeit 1882 und 1903 nach Palästina. Zwischen 1904 in Aussicht stellte. Unter der kolonialen Devise und 1914 wanderten weitere 40.000 Juden „Teile und herrsche“ versprach somit die briti- nach Palästina aus. Die Einwanderung war vor- sche Regierung sowohl den Juden eine „natio- nehmlich eine Folge des massiven Antisemitis- nale Heimstätte in Palästina“ als auch den Ara- mus insbesondere in einigen osteuropäischen bern eine staatliche Souveränität. Der bis heute Ländern. Dennoch blieben Juden in Palästina andauernde Konflikt zwischen Israel und Palästi- eine kleine Minderheit. Der Anteil der gut or- na war somit vorprogrammiert. ganisierten jüdischen Bevölkerung stellte den- noch einen wichtigen gesellschaftlichen Faktor UN-Teilungsplan von 1947 in Palästina dar, das bis zum Ende des 1. Welt- krieges Teil des Osmanischen Reiches war. Mit dem Erhalt des Mandats des Völkerbundes für Palästina im Jahre 1922 standen die Briten Balfour-Deklaration von 1917 vor einer heiklen Aufgabe, denn sie hatten den Auftrag, sowohl die Balfour-Deklaration zu er- Palästina befand sich im November 1917 noch füllen als auch die Interessen der arabischen im Machtbereich des Osmanischen Reiches Bevölkerungsmehrheit in Palästina zu schützen. und stand kurz vor der Eroberung durch briti- Vom April 1936 bis 1939 kam es, auch als Reak- sche Truppen. Am 2. November 1917 sand- tion auf die durch die Judenverfolgung im Na- te der britische Außenminister Arthur James tionalsozialismus ausgelöste Zunahme der jüdi- Balfour eine Sympathieerklärung für die zionis- schen Einwanderung zu arabischen Aufständen tische Bewegung an Baron Rothschild, in der gegen die britische Mandatsmacht. Nach dem die britische Regierung mit Wohlwollen „die Zweiten Weltkrieg und der Shoa forcierten die Schaffung einer nationalen Heimstätte in Pa- zionistischen Organisationen ihre Anstrengun- lästina für das jüdische Volk“6 betrachtete und gen, die Einwanderung in Palästina voranzutrei- Unterstützung für die Verwirklichung zusagte. In ben und die Gründung eines jüdischen Staates der Erklärung wurde allerdings gleichzeitig be- in Palästina zu realisieren. Interessenvertreter tont, dass „nichts getan werden soll, was die der palästinensischen Bevölkerung favorisierten

14 dagegen einen gemeinsamen Staat, der einen rische Situation im Nahen Osten grundlegend größeren arabischen Bevölkerungsanteil gehabt verändert. Mittlerweile war Gamal Abdel Nas- hätte. Im Falle einer Teilung forderten sie die Si- ser zum Präsidenten in Ägypten aufgestiegen. cherung eines zum Bevölkerungsanteil propor- Als wichtige politische Persönlichkeit der Block- tionalen Teils des wirtschaftlich interessanten freien Staaten näherte er sich schrittweise der Gebiets. Letztendlich zeigte sich England nicht Sowjetunion an. Nach der Verstaatlichung des dazu in der Lage, eine Lösung für Palästina zu Suez-Kanals am 26. Juli 1956 und der Sperrung finden und die sich zuspitzenden Konflikte in der Straße von Tiran sowie des Suez-Kanals für den Griff zu bekommen. den Schiffsverkehr nach Israel durch Nasser, besetzte Israel am 29. Oktober 1956 den Sinai. So beschloss die britische Regierung am 14. England und Frankreich eroberten die Suez- Februar 1947, das Palästinaproblem den 1945 Zone und wollten den Sturz von Nasser errei- gegründeten Vereinten Nationen zu überge- chen, der jedoch trotz der militärischen Nieder- ben. Diese übernahmen als Nachfolger des lage gestärkt aus dem Konflikt herausging. Der Völkerbundes die Suche nach einer politischen Suez-Krieg markierte das Ende der klassischen Zukunft des Mandatsgebietes. Schließlich wur- Kolonialpolitik Englands und Frankreichs. Statt- de am 29. November 1947 von der UN-Vollver- dessen intervenierten im Kontext des Kalten sammlung mit Zustimmung der UDSSR und der Krieges nun verstärkt die USA und die UDSSR USA der UN-Teilungsplan für Palästina als „Re- im Nahen Osten. solution 181 (II). Future Government of Palesti- ne“ angenommen. Diese beinhaltete die Been- Die Konflikte zwischen Israel und seinen arabi- digung des britischen Mandats und die Teilung schen Nachbarn spitzten sich Mitte der 1960er Palästinas in einen Staat für Juden und einen für Jahre wieder zu. Nasser hatte 1966 mit Syrien Araber. 1.135.000 palästinensische Bewohner einen Verteidigungspakt abgeschlossen. Er mo- sollten einen Anteil von 43,5 Prozent der Land- bilisierte die ägyptischen Streitkräfte nach einer fläche erhalten, während dem jüdischen Staat sowjetischen Fehlmeldung vom 13. Mai 1967, für 650.000 jüdische Einwohner 56,5 Prozent dass ein israelischer Truppenaufmarsch gegen des Gebietes zugesprochen wurde. 8 Jerusalem Syrien beobachtet worden sei. Wie andere sollte einschließlich Bethlehem unter internati- arabische Führer betrieb Nasser eine massive onale Kontrolle gestellt werden. Beide neuen antiisraelische Kriegspropaganda und wies die Staaten sollten durch eine Wirtschaftsunion UN-Soldaten aus dem Sinai aus, die dort eine verbunden sein und demokratische Verfassun- Pufferzone zwischen Israel und Ägypten ab- gen erhalten. Während die jüdischen Vertreter sicherten. Wenige Tage später rückten ägypti- den Teilungsplan pragmatisch akzeptierten und sche Streitkräfte auf dem Sinai vor. Am 22. Mai eine zukünftige Erweiterung des Staatsgebie- 1967 ließ Nasser die Straße von Tiran sperren tes offenhielten, lehnten sowohl die Vertreter und wenige Tage später trat Jordanien der der palästinensischen Bevölkerung als auch die ägyptisch-syrischen Allianz bei. Israel reagierte arabischen Staaten den Teilungsplan ab. Ende mit einem Überraschungsangriff: Am 05. Juni 1947 eskalierten lokale Konflikte zwischen der 1967 zerstörte die israelische Luftwaffe einen jüdischen und der palästinensischen Bevölke- Großteil der ägyptischen Flugzeuge. Zwei Tage rung zu einem Bürgerkrieg, der mit dem Angriff später eroberte die israelische Armee Jerusa- der arabischen Armeen nach der Proklamation lem und die Westbank. Anschließend erfolgte des Staates Israel am 14. Mai 1948 in einen die vollständige Besetzung des Sinai. Dann griff Krieg überging. In diesem Krieg erweiterte Israel Syrien an und eroberte den Golan. Als Israel, das bis heute keine Staatsgrenzen fest- Folge der Niederlage der arabischen Staaten im gelegt hat, sein Staatsgebiet. Die Flucht und Juni-Krieg erstarkte die PLO, die maßgeblich zur Vertreibung von etwa 700.000 Palästinensern Herausbildung eines palästinensischen Natio- ist als „Nakba“ (Katastrophe) tief im Bewusst- nalbewusstseins beitrug und seitdem für einen sein des palästinensischen Volkes eingegraben. unabhängigen Staat Palästina kämpft. Ein palästinensischer Staat kam nicht zustande, stattdessen wurden Gaza durch Ägypten und 50 Jahre Besatzung die Westbank durch Jordanien besetzt. In Israel kippte im Verlauf des Krieges die Stim- Der Sechs-Tage-Krieg von 1967 mung von einer Angst vor der vollständigen Ver- nichtung durch die arabischen Staaten in eine In den zwanzig Jahren zwischen dem UN- Euphorie des Sieges, die insbesondere durch Teilungsplan und dem Sechs-Tage-Krieg bzw. die Eroberung Ost-Jerusalems mit der Klage- Juni-Krieg hatte sich die politische und militä- mauer ausgelöst wurde. Es gab aber auch skep-

15 tische Stimmen. So beschreiben Amos Oz und Avraham Shapira eindrucksvoll ihre Eindrücke vor und nach dem Sechs-Tage-Krieg:„Ich kann mich an unseren Eindruck erinnern, dass uns Die völkerrechtswidrige fünfzigjährige Besat- die Shoa gleich zweimal begegnet war. Zum zungspolitik in der Westbank bewirkt alltäglich ersten Mal während des Wartens auf den Krieg, Ungerechtigkeiten und Demütigungen, die eine als viele das Gefühl hatten, dass uns eine neue nie versiegende Quelle für Hass sind und sein Shoa treffen könnte, dass man uns vernichten werden, solange die Besatzung nicht beendet würde, weil unser Feind zahlreicher und stärker ist. Israel stellt sich heute als eine Gesellschaft als wir war, bewaffnet mit modernen sowjeti- mit vielfältigen sozialen, ideologischen und reli- schen Waffen. Gefühlt hatte die andere Seite giösen Brüchen dar. Die israelische Friedensbe- die Zügel in der Hand und sah dem kommen- wegung ist zwar sehr aktiv, hat aber momentan den Krieg bereits siegessicher entgegen. Wir wenig Einfluss auf die israelische Öffentlichkeit dachten, sie würden kommen und uns alle ver- und wird von rechten und fundamentalistischen nichten, wie in der Shoa. Das zweite Mal dach- Kräften aggressiv an den Rand der Gesellschaft ten wir an die Shoa, als wir die Karawanen der gedrängt. Während auf jüdischer Seite insbe- 9 palästinensischen Flüchtlinge sahen.“ sondere die ultraorthodoxe Siedlerbewegung in enger Zusammenarbeit mit rechten und Somit begann 1967 die israelische Besatzungs- ultrarechten Parteien mit ihrer streitbaren Sied- 10 politik. Trotz der Euphorie insbesondere nach lungspolitik den Friedensprozess massiv behin- der Eroberung Jerusalems gab es auch kritische dert, hält auch die Hamas grundsätzlich an ihrer Stimmen, die prophetisch vor den Folgen einer aggressiven Politik gegen Israel fest, während Besatzungspolitik warnten. So erschien bspw. die Lebensbedingungen in Gaza katastrophal in der Zeitung Haaretz am 22. September 1967 sind. Außerdem sind die PLO und die Hamas folgende Anzeige: trotz der aktuellen Annäherungen tief zerstrit- ten und die Autonomiebehörde unter Mahmud „Unser Recht, uns gegen die Abbas handelt seit Jahren wenig demokratisch. Deshalb erscheinen die Chancen für eine fried- Vernichtung zu verteidigen, gibt uns liche Lösung des Konfliktes in absehbarer Zeit nicht das Recht, andere zu unter- als sehr gering. drücken. Ein Netzwerk für den Frieden stärken Eine Besatzung führt zu einer Fremdherrschaft. Kann Nes Ammim einen Beitrag für eine fried- liche Lösung des Konflikts leisten? In Nes Am- Eine Fremdherrschaft führt zum mim praktizieren europäische Christen einen Widerstand. Dialog mit Vertretern eines vielschichtigen Judentums und unterstützen diverse Frie- Widerstand führt zu Unterdrückung. densprojekte, in denen sich jüdische und ara- Unterdrückung führt zu Terror bische Israelis sowie Palästinenser auf Augen- höhe begegnen und trotz der starken Trennung und Gegenterror. der arabischen und jüdischen Lebenswelten in Die Opfer des Terrors sind in der Israel miteinander in Kontakt treten. In Israel und Palästina existieren trotz der festgefahrenen Regel unschuldige Menschen. Fronten viele ähnliche Graswurzelprojekte, die Das Behalten der besetzten Gebiete Dialogarbeit betreiben und in denen ein fried- liches Miteinander zwischen jüdischen und wird uns in ein Volk von Mördern arabischen Israelis sowie Palästinensern prak- und Ermordeten verwandeln. tiziert wird. Umso wichtiger ist es, dass sich alle Kräfte in Israel und Palästina, die förderlich Verlassen wir die besetzten Gebiete für einen Friedensprozess sind, vernetzen und sofort“. gegenseitig unterstützen. Nes Ammim könnte somit einen kleinen aber wichtigen Beitrag für ein Netzwerk des Friedens in Israel und Paläs- tina leisten.

16 Anmerkungen

1 Theodor Herzl (Neuauflage 2015): Der Judenstaat – Ver-

such einer modernen Lösung der Judenfrage, Berlin, S. 7.

2 Ebd., S.81

3 Hermann Meier-Cronemeyer (1980): Kleine Geschichte

des Zionismus. Von den Anfängen bis zum Jahr 1948,

Berlin, S. 22.

4 Vgl. Benny Morris (2008): 1948 –A History of the

First Arab-Israeli War, S. 3 Palestinensische Flüchtlinge 1947/48. Wikipedia, Foto: Fred Csasznik

5 Ebd., S. 2

6 Jörn Böhme/ Tobias Kriener/ Christian Sterzing (2009):

Kleine Geschichte des israelisch-palästinensischen Konflik-

tes, Schwalbach, S. 17.

7 Ebd., S. 17.

8 Vgl. Dieter Vieweger (2013): Streit um das Heilige Land,

München, S. 156.

9 Amos Oz / Avraham Shapira (2017): Man schießt und

weint – Gespräche mit israelischen Soldaten nach dem

Sechstagekrieg, Frankfurt/Main, S. 14.

10 Vgl. Shir Hever (2014): Die Politische Ökonomie der

israelischen Besatzung – Unterdrückung über die Ausbeu-

tung hinaus, Köln. Israelische Panzer rücken im Juni 1967 auf der Halbinsel Sinai auf ägyptische Stellungen vor. Tagesspiegel, Foto: dpa

Thomas Kremers ist langjähriges Mitglied im Vorstand des deutschen Nes Ammim Vereins und im International Ideological Advisory Commitee (IIAC).

Umstrittene Siedlungen. Nach wie vor entstehen im besetzten Westjordanland neue Wohnungen für Israe- lis. Tagesspiegel, Foto: Ammar Awad/Reuters

17 Nes Ammim Jahresthema 2017: 100 Jahre Balfour-Erklärung 70 Jahre UN-Teilungsplan 50 Jahre 6-Tage-Krieg Tobias Kriener, Studienleiter

Moshe Zimmermann, emeritierter Professor für satzung. Das führte schließlich zur Einsetzung Geschichte an der Hebräischen Universität Jeru- der palästinensischen Autonomiebehörde unter salem, war in Nes Ammim zu Gast, um über das Führung der PLO. Jahresthema zu referieren. Er ging dabei wie ein Archäologe vor, indem er die historischen Die aktuelle Bedeutung dieser Daten wird deut- „Schichten“ von „oben“ (d.h. vom jüngsten Da- lich aus der bis heute nicht entschiedenen Fra- tum) nach „unten“ (d.h. zum frühesten Datum in ge, wie der Konflikt zwischen Israel und den Pa- der Reihe) untersuchte. In jedem Wendepunkt lästinensern gelöst werden kann: treffen neue Zustände und Gegebenheiten auf · Durch Teilung des Landes – konkret also die bereits existierende, oft marginale Traditionen „Zwei-Staaten-Lösung“, indem Israel sich aus und Denkmuster. Dieses Zusammenspiel von den 1967 eroberten Gebieten zurückzieht und alt und neu erklärt im Endeffekt den krassen Un- ein Staat „Palästina“ an der Seite Israels ge- terschied zwischen dem Zionismus der ersten gründet wird. Stunde und dem gegenwärtigen Israel. · Oder durch eine wie auch immer geartete „Ein-Staaten-Lösung“, bei der das Land nicht Jahreszahlen, die mit einer 7 enden, bezeichnen wieder geteilt wird – bei der aber nicht geklärt in der Geschichte des Zionismus und des Staa- ist, welchen Status die palästinensischen Be- tes Israel bedeutende Wendepunkte: wohner der Westbank in diesem einen Staat · Das beginnt schon mit dem 1. zionistischen haben werden. Kongress in Basel vor 120 Jahren (1897). · Die Balfour-Erklärung vor 100 Jahren (1917), Wie vergiftet die Stimmung in Israel ist, zeigte mit der das zionistische Anliegen die Unterstüt- die von der Regierung organisierte zentrale Ver- zung des britischen Empire erlangte. anstaltung zum Gedenken an den 6-Tage-Krieg. · Der Teilungsplan der Peel-Kommission vor 80 Anstatt die israelisch-jüdische Bevölkerung in Jahren (1937) brachte erstmals die Idee einer der Erinnerung an den überwältigenden Sieg zu Teilung des Landes zwischen der arabischen einen, entschloss sich die Regierung, eine Fei- und der jüdischen Bevölkerung in die Diskussi- er in einer Siedlung in der Westbank abzuhal- on. ten unter dem Motto „50 Jahre Besiedlung von · Der Teilungsplan, der von der UNO-Generalver- Judäa und Samaria“. Vertreter der parlamentari- sammlung in der Resolution 181 vor 70 Jahren schen Opposition nahmen nicht teil. Und auch (1947) beschlossen wurde, legte die völker- der oberste israelische Gerichtshof schickte kei- rechtliche Grundlage für die Gründung des Staa- nen Repräsentanten wegen des „kontroversen, tes Israel. einseitigen“ Charakters dieser Veranstaltung. · Vor 50 Jahren (1967) brachte der Sieg Israels im 6-Tage-Krieg wieder das gesamte Gebiet des 1977 ereignete sich die historische Wende in vormaligen britischen Mandatsgebiets „Palästi- der israelischen Politik, indem zum ersten Mal na“ unter eine Herrschaft – diesmal unter isra- eine „rechte“, konservativ-nationalistische Re- elische. gierung unter Menachem Begin gebildet wurde. · Seit dem Regierungswechsel zum Likud unter Seitdem regiert in Israel 40 Jahre lang die politi- Menachem Begin vor 40 Jahren (1977) wurde sche Rechte – nur kurz unterbrochen von Regie- die Besiedlung der 1967 eroberten Gebiete mit rungen der politischen Linken 1992-1995 unter jüdischen Siedlungen vorangetrieben. Jitzchak Rabin und 1999-2000 unter Ehud Barak · Die palästinensische Bevölkerung in den be- – und ein erneuter Richtungswechsel ist nicht in setzten Gebieten erhob sich in der 1. Intifada Sicht. Im Gegenteil: Die rechte Mehrheit in der vor 30 Jahren (1987) gegen die israelische Be- Knesset verfestigt sich von Wahl zu Wahl weiter. 18 Eine entscheidende Ursache dafür liegt in den Eroberungen des 6-Tage-Krieges 1967. Damit kamen die Städte und Stätten, die in den bib- lischen Traditionen eine zentrale Rolle spielen, unter israelische Herrschaft: Ostjerusalem mit den Heiligen Stätten, Hebron, Bethlehem, Je- richo, Samaria. Neuen Siedlungen wurden die Namen von biblischen Ortschaften verliehen: Bet El, Shilo, Tekoa usw. Diese – wie Zimmermann es nannte - „romantisierende“ Bezugnahme auf die religiösen Traditionen des Judentums löste das europäische Selbstverständnis Israels als Staat der jüdischen Nation (unabhängig von religiösen Traditionen oder ethnischen oder auch rassisti- schen Zuschreibungen im Sinne des Nationen- Das europäische Herkommen und die europä- begriffs der französischen Revolution: die Men- ische Prägung des zionistischen Projekts wer- schen, die sich als Mitglieder dieser bestimmten den dann vor allem deutlich an der Balfour-Erklä- Gruppe verstehen, bilden eine „Nation“) ab und rung von 1917, die als Teil des Mandatsauftrags setzte an seine Stelle das religiös determinierte des Völkerbunds an die Briten die Geschicke „jüdische Volk“ als die Staatsnation. des Landes entscheidend prägte. 1917 war im 1. Weltkrieg ein kritisches Jahr für das Bündnis Die Frage ist, wie es zu diesem Wechsel kom- von Großbritannien, Frankreich und Russland im men konnte, nachdem 1948 auf der Grundlage Krieg gegen das Deutsche Reich, Österreich- des UN-Teilungsplans 1947 der Staat Israel von Ungarn und das Osmanische Reich. Nach der europäischen Juden für europäische Juden im Revolution von 1917 strebte Russland danach, Sinne des europäischen Konzepts des Selbstbe- den Krieg zu beenden. Andererseits waren die stimmungsrechts der Völker gegründet worden USA noch nicht in den Krieg eingetreten. Bei ih- war. Die Ursache dafür liegt in der Shoah, d.h. in rem Bemühen, Russland im Krieg zu halten und der Ermordung von zweidrittel der Menschen, die USA zum Kriegseintritt zu bewegen, hoffte die als potentielle Bürger dieses Staates erhofft Großbritannien, die jüdischen Bürger Russlands waren. An ihrer Stelle war Israel angewiesen und der USA dazu bewegen zu können, ihren (im auf die Einwanderung der Juden aus den ori- Übrigen weit überschätzten) Einfluss geltend zu entalischen Ländern (Nordafrika, Ägypten, Irak, machen, indem sie den Zionisten eine „nationa- Iran), die vor der Shoah weniger als 10% der le Heimstätte“ in Palästina versprachen. Juden weltweit gestellt hatten. Diese hatten die Prozesse der Emanzipation und der Säkularisie- Es war ein typisch europäisch-kolonialistisches rung nicht durchlaufen, die die europäischen Ju- „Mindset“, das die Welt außerhalb Europas als den im 19. Jahrhundert geprägt hatten, sondern Verfügungsmasse für europäische Ambitionen waren ihrer Stellung in den islamischen Gesell- und politische Winkelzüge aller Art ansah. Abge- schaften gemäß eine unter mehreren religiösen sehen davon, war sich die britische Politik we- Minoritäten. An dieses Selbstverständnis konn- der im Klaren darüber, um welches Land es sich te nach 1967 der national-konservative Likud in diesem Versprechen genau handeln sollte. Im anknüpfen. Mandatsauftrag war ursprünglich auch das Ge- biet östlich des Jordans enthalten, das 1922 als Oft wird die Diskriminierung dieser sefardischen Transjordanien von den Briten kurzerhand abge- Juden als Grund angeführt, warum sie in ihrer trennt und den Haschemiten übergeben wurde Mehrheit für den Likud und andere Parteien der (als – teilweise – Einlösung der Versprechen, die politischen Rechten stimmen. Es gab allerdings den Arabern im 1. Weltkrieg gegeben wurden auch andere Optionen des Protests gegen die für ihre Beteiligung am Krieg gegen das Osma- Diskriminierung durch das Establishment, wie nische Reich), noch hatte sie eine Vorstellung die Proteste der „Schwarzen Panther“ Anfang davon, was bei dem Mandat am Ende für ein der 70er- Jahre zeigten. Die Vorstellung von der politische Gebilde herauskommen könnte. Je- Zweistaatenlösung wurde nicht erst im Jahr denfalls stellte sich niemand – nicht einmal die 1947 zur Richtlinie für die mögliche Überwin- Zionisten – 1917 vor, dass bereits 30 Jahre spä- dung des arabisch-jüdischen Konflikts in Paläs- ter ein Staat Israel entstehen würde. tina, sondern bereits im Jahr 1937. Aber erst nach der Shoah konnte sich das neue internati- Die Balfour-Declaration wiederum verlieh den onale Gremium, die UN, für diese Lösung ent- Bemühungen der Zionistischen Bewegung scheiden. erstmals internationale Anerkennung, die ihren 19 1. Kongress 1897 in Basel abhalten musste, weil das jüdische religiöse Establishment den eigentlich vorgesehenen Versammlungsort München zu verhindern wusste. Der Gedanke, die bedrängte Situation der Juden in Europa zwischen Pogromen in Russland und Antisemi- tismus im Westen durch Gründung einer jüdi- schen „nationalen Heimstätte“ zu überwinden, war erst recht für deutsche Juden, die sich alle Mühe gaben, patriotische Deutsche jüdischer Konfession zu sein, einfach undenkbar.

Der im 19. Jahrhundert aufkommende Antise- mitismus machte die Bereitwilligkeit der Juden, die durch die Französische Revolution eröffne- ten Möglichkeiten der Emanzipation zu nutzen, zunichte. Es ist also das Versagen Europas ge- genüber seinen Juden, das die Entwicklung in Gang gebracht hat, die zu der heutigen Situation in Israel geführt hat.

An 50 Minuten Referat schloss sich noch eine Stunde angeregter Diskussion an. Ich fi nde es immer gut, durch fundierte „historische Archäo- logie“ dieser Art, eine Ahnung davon zu bekom- men, wie die Situation entstanden ist, in der wir uns heute befi nden – hilfreich vor allem auch, um sich keine falschen Illusionen über den Stand der Dinge und die politischen Perspekti- ven zu machen.

Eine ganz andere Frage ist, welche Perspekti- ven sich daraus für das Anliegen von Nes Am- mim ergeben, „Dialog“ zu fördern und so zum Brückenschlag beizutragen zwischen den diver- sen Bevölkerungsgruppen Israels.

20 Die neue Dialog Koordinatorin stellt sich und ihre Arbeit im Centre of Learning and Dialogue vor Katja Kriener

Zum ersten Mal lebe ich im Norden Israels. Viel Gemengelage zweier Völker, die sich (mühsam) Zeit meines Lebens habe ich in Israel verbracht: um ein gemeinsames Miteinander in diesem als Volontärin nach der Schule im Kibbuz in der Land bemühen. Wir stellen Raum und Ruhe Negev in der Nähe des Gazastreifens, als Stu- zur Verfügung. Neu ist, dass wir in Nes Ammim dentin in Jerusalem in den Studentenwohnhei- seit diesem Jahr auch unser eigenes Dialog Pro- men, als Vikarin zusammen mit meinem Mann gramm gestartet haben. Im Frühjahr wurden Tobias und unserer damals vier Monate alten Ofer Lior und Taiseer Khatib im Centre of Lear- Tochter Jael in Ein Kerem in Jerusalem, später ning and Dialogue for Peace als Project Assis- dann auf dem Ölberg gegenüber von der Au- tants eingestellt. Ofer kommt aus dem Kibbuz guste Viktoria während eines Sabbaticals. In all Tuval, Taiseer aus Akko. Beide sind seit vielen den Jahren bin ich jedoch über Jerusalem als Jahren in der Friedensarbeit engagiert. Im Juli Wohnort nie hinausgekommen und nun erlebe haben sie eine Gruppe von 15- bis 17-Jährigen und genieße ich zum ersten Mal den Norden Is- aus den unterschiedlichen Teilen Israels in Nes raels! Zwischen Akko und , 16 km von Ammim zu einem zweitägigen Seminar zusam- der libanesischen Grenze entfernt ist es ein ganz mengebracht. neues Lebensgefühl in unmittelbarer Nähe und entspannter Nachbarschaft zu den arabischen Derzeit sind in Israel die Lebenswelten der jü- Dörfern Maasra, Kfar Yasif, Abu Sinan aber auch dischen und arabischen Jugendlichen so gut den jüdischen Kibuzim , Evron, Beit Ha wie völlig voneinander getrennt. So besuchen Emek und Lochamei HaGethaot. sie in der Regel getrennte Schulen. Es gibt im Ich arbeite als Dialog Koordinatorin im „Centre Alltag kaum Gelegenheit zur Begegnung. In Nes of Learning and Dialogue for Peace (CLD)“. Im- Ammim haben sie sich zum Teil zum ersten Mal mer wieder werde ich gefragt, was das konkret intensiv mit der Geschichte des anderen „ Nar- bedeutet. ratives“ eingelassen. Sie haben Geschichten gehört von „ der anderen Seite“. Sie haben sich Die Arbeit ist vielschichtig und befindet sich mit den Elementen ihrer eigenen Herkunft aus- im Moment in einer Art Wiederaufbau- und einandergesetzt, zunächst in getrennten Grup- Umbruchphase. Viel von dem, was in Nes Am- pen und dann zusammen. Was bedeutet es, jü- mim in früheren Jahren begonnen wurde, wird disch zu sein? Was bedeutet es, palästinensisch fortgesetzt und ausgebaut: Wir beherbergen zu sein? Sie haben über Religion und Gleichbe- Dialog Gruppen, die sich in Israel für das Mit- rechtigung nachgedacht, in und mit den unter- einander von Juden und Arabern einsetzen. schiedlichen Lebenswelten im Staat Israel. Sie Sie finden hier Raum und Platz für ihre Treffen, haben zusammen gestritten, gelacht und Billard Workshops, Seminare und Fortbildungen. Nes gespielt im Chadar Ochel (Speisesaal) und nicht Ammim ist ein geeigneter, neutraler Ort, mit zuletzt einen gemeinsamen Abend am und im einer europäischen Atmosphäre zwischen den Swimmingpool verbracht. Ein schöner Beginn jüdischen und arabischen Lebenswelten. Ein für unsere Arbeit hier in Nes Ammim. Das wol- Ort der Begegnung im Norden Israels, fern von len wir fortsetzten und haben schon die nächs- den doch immer wieder spannungsgeladenen ten Ideen entwickelt! Zentren wie Jerusalem und Tel Aviv. Es treffen sich hier Gruppen wie „Creativity for Peace“, und Musalaha, „Kids for Peace“ und arabisch – jüdische Frauengruppen. Sie führen ihre ei- genen Seminare durch. Als Europäer mischen wir da nicht mit in der komplexen und diffizilen 21 25- jähriges Jubiläum von Wasseela Rachelle Taverne

Wasseela arbeitet in diesem Jahr genau 25 Jah- Antwort auf all meine Fragen und sagt, dass re in Nes Ammim. Aufgrund dieses wundervol- Nes Ammim ein sehr wichtiger Ort für sie ist. len Jubiläums habe ich Wasseela ein paar Fra- „Mein Herz ist in Nes Ammim, es fühlt sich an, gen gestellt über sie selbst, ihre Arbeit und ihre wie ein zweites zu Hause und ich fühle, dass ich Arbeitsstelle. Sie hat schon hunderte Freiwillige von allen geschätzt werde.“ Noch zehn Jahre kommen und gehen sehen; viele Gründe gibt weiterzuarbeiten, ist kein Problem für sie. „So- es, dass sie immer noch in Nes Ammim arbei- lange ich gesund bin, werde ich weiterarbeiten. ten möchte, auch nach solch einer langen Zeit? Ich kam gesund hierhin, und ich werde Nes Am- mim auch gesund verlassen.“ Die letzte Frage, die ich ihr stelle, ist, ob sie etwas anders ma- Wir gehen hinein in das „Housekeeping Waren- chen würde, wenn sie die Zeit 25 Jahre zurück haus“, setzen uns und beginnen sofort mit dem drehen könnte. Da muss sie nicht lange überle- Interview. Als ich ihr die erste Frage stelle, be- gen und sagt: „Ich würde keinen anderen Job ginnt sie zu lachen: „Ich bin Wasseela, 54 Jahre machen wollen, als diesen, den ich jetzt habe alt und Chefin des Housekeeping“. Auf meine und ich bin glücklich mit der Wahl, die ich ge- Frage, wie es sich anfühlt, schon seit 25 Jah- troffen habe.“ ren hier zu arbeiten, schaut sie mich mit einem ernsten Gesicht an: „Ehrlich gesagt, sind es die Freiwilligen um mich herum, die mich motivie- ren, meine Arbeit zu tun. Ich erneuere durch sie meine Energie und denke positiv.“ Was mich wirklich erstaunt ist, dass Wasseela in all den Jahren niemals krank war. Als sie zu sprechen beginnt, merke ich, wie stolz sie da- rauf ist. Auf meine Frage, ob sich irgendetwas geändert hat, seitdem sie hier angefangen hat zu arbeiten, antwortet sie, dass dieser Ort, als sie hierhin kam, noch nicht kosher war, aber das Housekeeping ist immer noch gleich; die glei- chen Reinigungsmittel, die gleiche Art die Zim- mer zu putzen. Sie sagt von sich selbst, dass sie durch Leute hindurch sehen kann, und sie ist wirklich gut im Einschätzen der Persönlichkeit der Freiwilligen. Man muss nicht überrascht sein, wenn sie mehr sieht, als man denkt. Ich weiß, dass wir, alle Freiwilligen sehr froh sind, Wasseela zu haben. Andersherum denkt sie über die Freiwilligen, dass sie hart arbeiten und tun, um was sie sie höflich bittet. Wasseela gibt eine umfassende

22 Interview mit dem neuen Community Manager Sicco Ritsema und mit der Leiterin des Village Henny Ritsema

Das Interview führte Rachelle Taverne. Sie ist Wochenenden durch Wasseela Mubarki unter- eine holländische Volontärin und von Januar bis stützt. Sie ist auch im Bereich Human Resour- Dezember 2017 in Nes Ammim ces tätig und plant hier die regelmäßig statt- findenden Gespräche mit den Volontären. Am Was ist euer persönlicher Hintergrund? 1. Juni startete Henny als Head of the Village, als Leiterin des Dorfes. Das Village besteht aus Sicco (56) und Henny (55) stammen aus Almelo, dem alten Dorf, dem gemeinsamen Speisesaal Niederlande. Sicco kommt aus der Finanzwelt und den Häusern für die Freiwilligen. und hat viele Jahre als Bilanzbuchhalter bei De Jong en Laan gearbeitet. Sicco ist der Community und Facility Manager. Seine Aufgaben sind unter anderem im Techni- Henny ist Kleider-, Farb- und Stilberaterin und cal Service mitzuhelfen, die Community zu lei- seit Jahren auch als pastorale Therapeutin tätig. ten und Kontakte mit den Freiwilligen herzustel- Zusammen haben sie vier Kinder und einen En- len und zu pflegen. Nach fast sechs Monaten kelsohn. sind Henny und Sicco mittlerweile ganz einge- Wie habt ihr von Nes Ammim gehört? bürgert. Auch steht das geschätzte Community Paar in täglichem Kontakt mit dem israelischen Nachdem wir uns vor drei Jahren dafür ent- Management. schieden haben, unserem Leben eine andere Richtung zu geben und ein paar Jahre in Afri- Was hofft ihr hier zu lernen? ka gearbeitet hatten, sind wir übers Internet an Es war eine ziemliche Umstellung von unserem Nes Ammim geraten. Wir waren auf der Suche Projekt in Afrika auf Nes Ammim. In Afrika ist nach einem neuen Projekt für uns beide. der Bedarf an Hilfe sehr groß und der Schwer- Wieso habt ihr euch bei Nes Ammim punkt lag vor allem auf der Situation Armut. Hier beworben? in Nes Ammim dauerte es eine Weile, bis wir die Erfüllung von unserer Arbeit gefunden hat- Wir haben uns beworben, nachdem wir eine ten. Wir hoffen, hier mehr über das Land Israel Aquaintance Visit in Nes Ammim gemacht hat- zu erfahren, und lernen wie wir auf der Mikro- ten; weil wir die Zielsetzung von Nes Ammim ebene die Idee von Nes Ammim weitergeben; bzw. die Verständigung und Verbreitung von Dialog zwischen unterschiedlichen religiösen Dialog von ganzem Herzen unterstützen und Gruppen fördern können. gerne einen Beitrag zur Verwirklichung dieser Ziele leisten wollen. Der Bibeltext von Nes Am- Die Tatsache, dass Nes Ammim in Israel liegt, mim, bietet uns erneut die Chance, dieses Land der Bibel noch besser kennenzulernen. Jesaja 11:10, ist unser Leitfaden, die Basis und Fundament im Leben. Was macht ihr hier in eurer Freizeit? Was sind eure Erfahrungen bisher? Das Wochenende ist am Freitag und Samstag. Wir machen uns dann oft auf den Weg, um Wir fühlten uns gleich willkommen und in der das Land zu erkunden. Es ist beeindruckend, Community zuhause. Wir hatten auch das Ge- so nahe an den bekannten biblischen Orten zu fühl, dass wir uns direkt nützlich machen konn- sein. Wir denken, dass wir mittlerweile schon ten mit allen anfallenden Arbeiten, die sich auf den größten Teil Nord-Israels gesehen haben. unsere Ämter beziehen. Henny ist zeitweise Wirklich empfehlenswert! Leiterin des Housekeeping und wird an den

23 Was würdet ihr den Jugendlichen gerne mitgeben wollen? Schabbat Schalom! Simon Bangard Sicco: Ich möchte Jugendlichen von ganzem Herzen raten, hier ein Jahr mitzuarbeiten. Man macht viele unterschiedliche Arbeitserfahrun- Simon Bangard war vom 5. September 2016 bis gen, man lernt, wie das Leben in einer Commu- zum 4. Mai 2017 Volontär in Nes Ammim Israel nity ist und es ist eine herrliche Chance, Israel kennenzulernen. Dazu öffnen die vielen (kos- Wer als Volontär nach Israel kommt, muss sich tenlosen) Studienausflüge, veranstaltet durch auf einiges Ungewohntes gefasst machen. Auf das Centre of Learning und Dialogue, eine extra viel wärmeres Klima, eine für uns manchmal Dimension bei dem Aufenthalt in Nes Ammim. chaotische Mentalität, eine Gesellschaft, die Es ist sogar möglich, Hebräisch- und Arabisch- durch andere Erfahrungen geprägt ist, auf einen Unterricht zu bekommen. teilweise ganz anderen Alltag. Henny: Aus HR-Gesprächen mit allen Freiwil- Viele von den Dingen, die uns Europäern fremd ligen ergab sich, dass die Volontäre/innen ihre erscheinen, haben mit Religion zu tun. Nicht Zeit in Israel als sehr lehrreich und bereichernd nur auf andere Religionen trifft man hier, son- erfahren. Zusammen mit Sicco bieten wir den dern auch auf einen anderen Umgang damit. Alpha Course an. Einen Abend in der Woche ist Am Erstaunlichsten ist dabei wahrscheinlich unser Haus gefüllt mit interessierten Jugendli- der Schabbat, der siebte Tag des jüdischen chen, die mehr über die christliche Religion ler- Wochenkalenders. nen möchten. Was würdet ihr gerne mitgeben wollen an Denn mit dem Sonnenuntergang am Freitag- unsere Leser und Leserinnen? abend verändert sich der Charakter des Alltags vollkommen – und das nicht nur bei religiösen In den folgenden Monaten werden wir einen Juden, die kabbalat schabbat, „Begrüßung des Mangel an Freiwilligen haben. Deshalb bitten Schabbat“, beim traditionellen Essen im Famili- wir unsere Leser, mitzuhelfen, den Bekannt- enkreis feiern. Ab dem Sonnenuntergang wird schaftsgrad von Nes Ammim zu vergrößern, um nicht nur bei ihnen keine Arbeit mehr getan. Die so für Freiwillige zu werben, sowohl Jugendli- öffentlichen Verkehrsmittel hören auf zu fahren, che als auch Senioren. Also, kennen Sie jeman- der Schabbat wird zur Wartung der Gleisanla- den, der Interesse hat auf ein neues Abenteuer? gen benutzt. Die Geschäfte schließen – und das Unterschiedliche Arbeitserfahrungen machen meint wirklich alle jüdischen Geschäfte, auch möchte? Oder sich erkundigen will, auf wel- Museen und Restaurants, die in Europa ja vor chen Gebieten Nes Ammim aktiv ist? Erzählen allem am Wochenende geöffnet sind. Ein ande- Sie ihm/ihr von Nes Ammim! Oder haben Sie res Level erreicht das alles nochmal in Jerusa- selbst Interesse? lem, wo ganze Stadtviertel abgesperrt werden, aber Jerusalem ist eigentlich in keinem Aspekt Haben Sie eine Facebook Seite? Like und folgen beispielhaft für das restliche Israel. Sie dann unserer Facebook Seite, die immer ak- tuell ist! Shalom! Auch bei der Arbeit in Nes Ammim spürt man den Unterschied: Natürlich können, vor allem im Hotelbetrieb, nicht alle gleichzeitig frei haben. Allerdings hat das Hotel z.B. eine koschere Küche, deswegen darf nichts an- oder ausge- schaltet, keine Maschinen zum Schneiden oder Häckseln verwendet und kein Feuer gemacht werden – auch wenn das in heutigen Zeiten nicht mehr so viel Arbeit ist. Trotzdem verfal- len selbst religiöse Juden nicht in Frömmigkeit - ganz im Gegenteil: Der Fokus des Festes ist nicht Beten und andächtig sein, sondern tat- sächlich zu feiern und das Leben zu genießen – was im Hotelbetrieb in Nes Ammim auch an- strengend sein kann.

24 sollen, tritt der Schabbatrhythmus ebenfalls als Schutzmaßnahme auf. Alle sieben Jahre sollen die Erträge den Armen überlassen werden, je- des siebte Jahr werden die Felder brach liegen gelassen, um die Nachhaltigkeit der Ernte zu sichern, alle sieben Jahre gibt es einen Erlass von gewissen Schulden, Hypotheken usw. Hier fügen sich die Vorstellungen vom Schabbat als 1: Synagoge in Tel Aviv am Freitagabend göttliche Ordnung der Welt und dem Schabbat Gleichzeitig wird die unterschiedliche Lebensre- als gesellschaftlicher Schutzmechanismus zu- alität der Bevölkerungsgruppen in Israel deutlich sammen. Diese Verbindung macht das Schab- – fährt man z.B. durch arabische Dörfer, geht batgebot zu einem so wichtigen Teil des Bun- das Leben seinen gewohnten Gang. des. Auch wenn Christentum und Islam die Idee des Schabbats übernommen haben (wöchent- In Nes Ammim wird der Schabbat auf eine ganz liche Feiertage gab es in der Antike nämlich gar eigene Art und Weise begangen, die seit Jahren nicht), ist in beiden Religionen der Freitag bzw. immer wieder überdacht und verändert wurde. der Sonntag nicht so bedeutsam wie der Sams- Freitagabends, wenn der Schabbat beginnt, gibt tag im Judentum. Aber warum wird gerade die- es für die Volontäre statt dem normalen Abend- se mizwot (Hebr: Weisung, Gebot) der Tora so essen den erev schabbat. Vor dem Essen führen ernst genommen, während andere viel weniger zwei Volontäre eine kleine Zeremonie durch, die Beachtung finden? klassische Elemente des jüdischen Schabbat- Essens enthält: Frauen und Kinder zünden die Das Gebot, den Schabbat zu halten, wird in der Kerzen an, das Brot und der Wein wird auf Heb- Bibel nicht nur mehrfach erwähnt, sondern auch räisch gesegnet, es werden jüdische Lieder ge- unterschiedlich begründet. Einerseits mit der sungen. Nach dem Essen bleiben die meisten Schöpfungserzählung, die symbolisch die Ord- Nes Ammimniks noch beisammen sitzen, die nung der Erde reflektiert, und in welcher Gott Bereitschaft, im Abwasch zu helfen steigt plötz- am siebten Tage ruht. Der Schabbat wird also lich und selbst die Volontäre, die noch arbeiten als Teil der göttlichen Ordnung verstanden. Er müssen, spüren in der „Dining Hall“ des Hotels besteht um des Menschen willen, aber auch, eine ganz andere, unbeschwerte Atmosphäre. um den Respekt vor der göttlichen Schöpfung Natürlich steht unser erev schabbat Ritual auch zu wahren. immer wieder zur Diskussion. Ist es überhaupt angebracht, wenn wir als Christen ein jüdisches Andererseits ist der Schabbat Teil der zehn Ge- Ritual durchführen? Wissen wir überhaupt ge- bote, die den Bund Gottes mit Israel symboli- nug über dessen Hintergründe? sieren. Die Gebote sind in der biblischen Situ- ation weniger Gesetze als „Weisungen in die 2: „Erev Schabbat“ in Nes Ammim Freiheit“, also Ansätze, wie das aus der Skla- Ich finde diese Tradition wichtig für Nes Ammim. verei befreite Volk eine neue Gesellschaft auf- Einerseits erinnert es uns daran, dass wir keine bauen kann. So ist der Schabbat auch als gesell- christliche Exklave sind, sondern uns unserer schaftliches/soziales Instrument zu verstehen. jüdischen Wurzeln bewusst machen wollen. Besonders betont wird in 2. Mose 20, 8-10, das Außerdem enthält die Idee des Schabbat vie- Arbeitsverbot für die Schwachen in der Gesell- le Aspekte, die unser Leben verbessern kön- schaft: „Gedenke des Sabbattages, dass du ihn nen. Vor allem das gemeinsame Essen am heiligst. Sechs Tage sollst du arbeiten und alle Freitagabend schafft inmitten der vielen Arbeit deine Werke tun. Aber am siebenten Tage ist und neuen Erfahrungen in Nes Ammim einen der Sabbat des Herrn, deines Gottes. Da sollst Ruhepunkt, ein gemeinschaftliches Erlebnis du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, dei- und verleiht jedem neuen Wochenende etwas ne Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Vieh, Feierliches, was wir aus Europa gar nicht ken- auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt nen. Auch wenn wir dieses Ritual wohl nicht lebt.“ mit nach Hause nehmen wollen – und vor allem nicht die damit verbundenen Alltagseinschrän- Durch das strikte Arbeitsverbot, sollen vor kungen – so gehört es zu unserem Leben in allem die Opfer möglicher Ausbeutung davor Israel doch fest dazu. geschützt werden, zu viel zu arbeiten oder unter Druck gesetzt zu werden. In den anderen Gebo- ten, die das Zusammenleben Israels gestalten

25 Viele Seniorinnen und Senioren unterstützen Nes Ammim und kehren jedes Jahr wieder zurück. Wir haben sie gefragt: Warum tun Sie das?

Warum tun wir das? Das Leben in einer Gemeinschaft von Jung und Alt und verschiedenen Nationen, wie es in Nes Ammim praktiziert wird, ist ein Punkt, der uns sehr gefällt. Die lebendige Atmosphä- re, die gemeinsamen Ausflüge, Gottesdienste, Erev Shabbat- Feiern und der Austausch unter- einander ist bereichernd und hält jung. Es ist eine sinnvolle Aufgabe, z.B. die alte historische Bausubstanz aus der Gründungszeit von Nes Ammim mit den Freiwilligen immer wieder in Schuss zu halten. Zwar ist es manchmal eine Herausforderung, aber man lernt eine Menge Beate Franke und Andreas Krüger dabei. Schön ist auch, wenn man jungen Frei- willigen etwas beibringen kann. Wir waren Anfang 60, unser Berufsleben war beendet. Sollte nun das Leben in ewiger Frei- Besonders attraktiv ist das Studienprogramm. zeit beginnen? Irgendwie fanden wir das zu we- Es hat für mich wesentlich dazu beigetragen, nig. So übernahm ich z.B. einige ehrenamtliche die Geschichte und die gegenwärtige Situation Aufgaben im Bildungsbereich, was bei meinem Israels zu verstehen. Für all die interessanten Beruf als Lehrerin nahe lag, mein Mann Andre- Ausflüge, Vorträge zu den verschiedensten The- as unterrichtete ein paar Stunden an der Tech- men wie Religion, Geschichte, Politik, Kultur, nischen Universität in unserer Nachbarstadt. Natur und Alltagsleben bin ich sehr dankbar. Immer war da aber auch der Wunsch, etwas im Ausland zu tun. Eine sehr berührende Erfahrung für uns als Deut- sche war und ist – entgegen unseren ursprüngli- Als wir 2012 an einer Reise unserer evangeli- chen Erwartungen -, dass wir immer wieder von schen Gemeinde nach Israel teilnahmen, führte Israeli sehr positiv aufgenommen werden und uns diese für zwei Nächte nach Nes Ammim, auf großes Interesse stoßen. Wir haben erfah- wo junge Freiwillige die Zimmer im Hotel mach- ren, dass sich die Israeli in der dritten Generati- ten, ältere Freiwillige uns in der Dining Hall be- on mit ihren Wurzeln auseinandersetzen wollen, dienten und in dem schönen großen Garten ar- und persönlich erlebt, dass in Galiläa Juden und beiteten. Unser Interesse war geweckt und die Araber relativ konfliktfrei zusammenleben. Idee geboren, uns als Volontäre zu bewerben, auch wegen unserer deutschen Geschichte. Nicht zuletzt ist für uns als Naturliebhaber die Andreas gefiel die Einfachheit des Ambientes in Lage Nes Ammims reizvoll. Umgeben von Nes Ammim. einem schönen Garten mit einer Vielzahl von Vögeln liegt es nicht weit weg vom Meer, wo Im Frühjahr 2013 verbrachten wir drei Monate man herrlich schwimmen und entspannen kann. als Freiwillige in Nes Ammim. Seitdem lässt Nes Ammim uns nicht mehr los. Jedes Jahr – dieses Jahr war es das fünfte Mal – verbringen wir dort einige Wochen als Volontäre. Einige un- serer Freunde können das nicht so recht verste- hen, andere beneiden uns darum.

26 Eine wurde von der israelischen Organisation „Machsom Watch“ durchgeführt. Das ist eine Ursula Stoldt (links) von jüdischen Frauen geführte Menschen- rechtsvertretung, die israelische Checkpoints Nes Ammim schon im zehnten Jahr entlang der Grenzlinie zwischen Israel und der Wer hätte das geahnt – ich am wenigsten! –, Westbank beobachtet. dass ich schon seit 2008 jedes Jahr einige Mo- nate als Volontärin in Nes Ammim verbringen Die andere von „Breaking the silence“, in der durfte! Zusammengerechnet waren es mehr sich Reservisten aus der israelischen Armee als dreieinhalb Jahre, die ich seit meiner Pensi- zusammengefunden haben und interessierten onierung im „schönsten Dorf in Galiläa“ gelebt Gästen von Übergriffen während ihrer aktiven habe. Diese Zeit hat mich stark geprägt! Nicht Zeit gegen Palästinenser berichten. nur das tägliche Leben im Village mit dem Zu- sammenleben von vielen unterschiedlichen, Neben all diesen neuen Eindrücken und Erleb- immer wieder neuen Freiwilligen, sondern auch nissen habe ich mich natürlich auch jedes Mal die Begegnung mit einheimischen jüdischen erneut auf meine Arbeit in der Dining Hall in Nes und muslimischen Mitarbeiter-/innen war eine Ammim gefreut, die mir nun schon seit zehn unschätzbare Lebensbereicherung für mich. Jahren immer wieder anvertraut wird.

Diese vielen kulturellen Unterschiede können Die Zusammenarbeit mit netten freundli- mancherorts zu Problemen führen – nicht so in chen Freiwilligen – insbesondere in der Dining Nes Ammim! Hier kommen Freiwillige zusam- Hall, aber auch in jedem anderen Bereich im men, die großes Interesse an einem friedlichen Dorf – war mir immer eine große Freude und Miteinander der verschiedenen Religionen in hat meine Nes Ammim-Zeit bereichert! Umso Israel haben und sich am/im Dialogprogramm, mehr war die Abreise aus Nes Ammim diesen das seit einigen Jahren in das Programm von Sommer wieder ein schmerzlicher und trauriger Nes Ammim aufgenommen wurde, mit großer Moment, der für jeden Freiwilligen aber unwei- Motivation einbringen. gerlich kommt!

So kommen während des ganzen Jahres immer Fazit: Warum bin ich nun bereits seit zehn Jah- wieder israelische Gruppen, jüdische und mus- ren immer wieder nach Nes Ammim zurückge- limische Kinder, Studenten und Erwachsene, in kehrt, manchmal sogar zweimal im Jahr? Hier Nes Ammim für jeweils einige Tage zusammen, habe ich einen christlichen Ort gefunden, der für um sich an einem neutralen Ort auszutauschen ein friedliches Miteinander einen Beitrag leisten und Perspektiven für ein friedliches Mit- und Ne- möchte – ein Zeichen für die Völker eben! beneinander in Israel zu finden. Durch meine Aufenthalte in Nes Ammim durf- Dialog bedeutet aber auch, dass wir Freiwillige bei te ich etwas Wunderbares erleben, habe ein Exkursionen Land und Leute in Israel und Palästina großes Lebensgeschenk erhalten und bin dafür kennen lernen. So bekam ich z.B. die Möglichkeit, nicht nur meinen vielen, in zehn Jahren unzäh- neben Tagesausflügen auch an jeweils dreitägi- ligen Mit-Volontären/-innen und israelischen gen Seminaren in Jerusalem und in der Westbank Mitarbeitern/-innen des dortigen Hotelbetriebes, (u.a. Bethlehem, Hebron, Ramallah) teilzuneh- sondern auch Nes Ammim Deutschland von men, die tiefe Eindrücke bei mir hinterließen. Herzen dankbar. Außerordentlich aufschlussreich und beein- druckend waren für mich zwei Exkursionen.

27 Bewohner hinzugekommen, die natürlich ihr „Eigenleben“ führen und – so unser Eindruck – der Kontakt zum „Village“ am Anfang steht und noch lose ist. Durch den geplanten Bau von weiteren Häusern dürfte diese Situation neue Herausforderungen bringen. Die Internationalität und die Vielfalt der Volon- tär-Gemeinschaft, das Zusammensein, - arbei- ten und - lernen von Jung und Alt, ist für alle bereichernd, wie auch das gemeinsame Essen und Feiern, insbesondere die wöchentlichen Erev-Shabbat-Feiern sowie die Gottesdienste Alois Mühleisen und Sybille Borbe im HoPS, dem House of Prayer and Study. Wir schätzen auch die gute Verpflegung durch Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an … so hat die Hotel-Küche sowie die angenehme Un- einst Udo Jürgens gesungen. Nun, es wäre terbringung in den klimatisierten Pavillons mit schlimm, wenn es wirklich so wäre, doch zum ihren netten Terrassen bzw. Gärtchen, deren Anfangen oder Weitermachen als Senior-Frei- Nutzung durch das überwiegend stabil-schöne willige in Nes Ammim ist es nicht zu spät. Wetter garantiert ist. Alois war vor vier Jahren mit 62, Sybille vor Bisweilen ist das „orientalische Arbeitsver- knapp zwei Jahren mit 64 erstmals in Nes ständnis“ etwas nervend, vor allem für uns Ammim. Alois konnte vor kurzem in Nes Am- Ältere, jedoch kann durch Humor und Improvi- mim seinen 66. Geburtstag feiern, zusammen sation vieles erleichtert und gelöst werden. Was mit fünf holländischen Senior-Freiwilligen, von nicht nur uns aufgefallen ist, ist der vernachläs- denen er vier erst vor wenigen Tagen kennen sigte Zustand des wunderschönen Gartens, der gelernt hatte. Eine wunderbare Erfahrung und Pflanzen und Bäume. Diese Aufgabe bedarf unvergesslich. dringend einer Verbesserung, da der Garten mit Alois war im letzten Sommer zum dritten Mal als zur „Visitenkarte“ von Nes Ammim gehört und Volontär, Sybille zum zweiten Mal als Volontärin für die Hotelgäste ein wichtiger Grund ist, nach in Nes Ammim. Warum wir denn dorthin gehen Nes Ammim zu kommen. und noch dazu in ein so unsicheres Land, dies Private Unternehmungen mit anderen Freiwil- werden wir immer wieder gefragt. Die Gründe ligen an den freien Tagen, z. B. Wanderungen hierfür sind vielfältig. und Radfahren sind eine willkommene Ab- Wir fühlten uns in Nes Ammim und Israel im- wechslung und fördern die Gemeinsamkeit. mer sehr wohl und sicher. Es gab für uns nie ir- Nicht zuletzt ist die wunderschöne Lage von gendwelche gefährlichen bzw. beängstigenden Nes Ammim in West-Galiläa attraktiv, mit der Situationen. Nähe zum Mittelmeer, zur historischen Stadt Wir stehen hinter der „Dialog-Idee“ von Nes Akko und zur modernen Stadt Nahariya. Ammim und unterstützen sie durch unsere Alles in allem haben wir Nes Ammim „lieb ge- Mitarbeit im Hotel und unsere Teilnahme an wonnen“ und neue Freundschaften geschlos- den Study-Trips, Seminaren und Vorträgen. Das sen. Auch deshalb können wir uns weitere Studienprogramm ist hervorragend und ermög- Volontärs-Aufenthalte in den kommenden licht jungen und alten Freiwilligen neue Sicht- Jahren gut vorstellen. weisen und Erkenntnisse sowie das Kennenler- nen von Gegenwart, Historie, Kultur und Natur. Letztlich fühlen wir uns auch als kleiner Mosaik- stein der „Friedensarbeit“ in einem schwierigen Land und Umfeld. Allerdings hat sich der Charakter und die Ursprünglichkeit des Dorfs Nes Ammim in den letzten Jahren sehr verändert. Durch den Verkauf von Land und den Bau von fast 100 neuen Häusern sind viele neue, meist jüdische

28 „Alles wirkliche Leben ist Begegnung.“ „Der Mensch wird am Du zum Ich und die verlängerten Linien der Beziehungen schneiden sich im ewigen Du“ *

Sarah Ultes war von 2011 bis 2012 Volontärin In akademischer Hinsicht ließ ich mich zu einer in Nes Ammim zertifizierten Mediatorin ausbilden und verfass- te meine Abschlussarbeit über interkulturelle Konflikte mit religiöser Dimension. Ein Master NES AMMIM ist ein kleiner Ort und doch einer, in „Friedens- und Konfliktforschung und Inter- an dem sehr viel entsteht und wächst, wenn nationale Politik“ war da wohl nur der logische man es zulässt − Neugier an bisher Unbekann- nächste Schritt, vielleicht ebenso wie mein der- tem, ja Fremdem; aber auch neue und unbe- zeitiges Auslandssemester an der American queme Gedanken, die einladen, die eigene Per- University in Kairo. Vor allem aber privat bleibt spektive zu erweitern oder in Frage zu stellen, Nes Ammim mir in ganz besonderer Erinnerung: Vorurteile zu erkennen und zu bearbeiten. Es Ich durfte hier die Liebe meines Lebens kennen wachsen Freundschaften über Grenzen hinweg, lernen − eine der wunderbarsten Begegnungen die einladen, sich trotz oder gerade aufgrund all und Erfahrungen überhaupt. der aufkommenden Fragen gemeinsam auf den Weg zu machen. NES AMMIM ist ein kleiner Ort und doch einer, an dem sehr viel entsteht und wächst, wenn NES AMMIM ist ein kleiner Ort und doch ei- man es zulässt − vielleicht auch in Ihrem Leben? ner, an dem auch in meinem Leben viel ent- standen und gewachsen ist − theologisch, (ge- * Zitate von Martin Buber sellschafts-)politisch, akademisch und privat. Meinen vielen theologischen Fragen ging ich an- fangs in meinem Studium nach und setzte mich bei der Jungen Islamkonferenz (JIK) auf Bundes- ebene für ein offeneres Deutschland ein, wel- ches kulturelle und religiöse Vielfalt als Gewinn, denn als Gefahr begreift. Ich begann Türkisch und Arabisch zu lernen, begleitete Kinder mit Migrationshintergrund und arbeitete mit Flücht- lingen. Auch in politischer Hinsicht ließ mich der Nahe Osten nicht los. Mein Fernstudium in Poli- tikwissenschaft erlaubte es mir, diverse Praktika mit Bezug zum Nahen Osten und zum Thema Konflikttransformation zu absolvieren − in Ägyp- ten und dem Sudan beispielsweise, bei der Kon- rad-Adenauer-Stiftung in der Türkei, mit Diplo- maten aus dem Nahen und Mittleren Osten im Auswärtigen Amt, in der Generaldirektion zum Nahen Osten im Europäischen Parlament oder bei der Organisation für Sicherheit und Zusam- menarbeit in Europa (OSZE).

29 Nes Ammim hat meinen Weg maßgeblich beeinflusst. Peter Noack

Peter Noack war von 2011 bis 2012 Volontär in Schnell ging das Jahr vorbei, und ich stand wie- Nes Ammim. der vor der Situation, dass ich mir überlegen musste, was ich denn als nächstes machen will. Ich wage zu behaupten, dass jeder Mensch min- Diesmal war es die Idee einer Ausbildung zum destens einmal in seiner Kindheit mit der Frage Fluglotsen, die mir während der Oberstufenzeit konfrontiert wird, was er später einmal werden immer wieder im Kopf rumschwirrte, die mir möchte. Mal wollte ich Feuerwehrmann wer- nach dem Jahr in Nes Ammim fremder als je den, ein anderes Mal schien eine Karriere als zuvor erschien. Da mich das Land und die Leute Gesetzeshüter verlockend. Und oft meinte ich, faszinierten, beschloss ich, ein Studium der Ara- dass ich gerne Landwirt wäre, was meinem bistik/Islam-und Politikwissenschaft zu begin- Großvater, selbst Landwirt, stets ein Leuchten nen. Eine richtige Entscheidung, wie ich finde. in die Augen gebracht hat. Und so gehe ich diesen Weg seit fünf Jahren, der mich regelmäßig nach Israel zurückbringt, Ich wurde älter, die Interessen veränderten sich. aber mir auch die Möglichkeiten gibt, andere Bauernhof erschien immer uninteressanter, Länder der Region zu erkunden. So habe ich Computer immer interessanter. Nach Abschluss im Rahmen eines Auslandssemesters sieben der zehnten Klasse stellte sich die Frage: Aus- Monate im Iran gelebt. bildung oder Abitur? Eigentlich war eine Ausbil- dung in der IT-Branche geplant. Doch auch die- Ich bin mit dem Weg, den ich angetreten habe, ser Plan wurde verworfen und das Abitur folgte. sehr zufrieden, und ich bin überzeugt, dass er Und wieder wurde ich älter, und wieder verän- auch noch oft nach Nes Ammim führen wird. derten sich die Interessen. Computer wurden uninteressant, Internationalität und das Frem- de wurden interessanter. Und so kam es, dass ich während meiner Oberstufenzeit mit einem Schüleraustausch zum ersten Mal in Israel war und zehn Tage in einer israelischen Gastfamilie lebte. Für mich bedeutete dies, dass ich nach dem Abitur definitiv ein Auslandsjahr in Israel machen wollte.

Mit etwas Glück fand ich Nes Ammim im Inter- net, und ich wusste, dass das kleine Dorf im Norden der Ort sein sollte, in dem ich dieses Auslandsjahr verbringen wollte. Wie zu erwar- ten, war das Jahr sehr intensiv und geprägt von den unterschiedlichsten Eindrücken. Lernpro- zesse wurden in Bewegung gesetzt und vieles, was ich dachte zu wissen, wurde über Bord ge- worfen. Und nicht nur Wissen hat sich gemehrt, auch menschlich bin ich gewachsen. Das ist auch ein Verdienst des Studienprogramms, das uns als Freiwilligen geboten wurde.

30 Nes Ammim, ein kleiner Ort, der eine wichtige Bedeutung für mich hat. Deike Schell

Deike Schell war Volotärin in Nes Ammim von Ich wollte diese besondere Atmosphäre noch 2014 bis 2015 einmal erleben und entschied mich für ein sechsmonatiges Praktikum bei der deutsch- Im September 2014 ging es für ein Jahr nach israelischen Außenhandelskammer in Tel Aviv. Nes Ammim. Was mich erwartete, wusste ich Seit dem 5. Oktober ist Tel Aviv mein neues Zu- nicht. Ich ließ einfach alles auf mich zukommen. hause. Heute mehr als drei Jahre später sitze ich wie- der in Israel. Diesmal bin ich nicht in Nes Am- Nes Ammim hat mich also dahingehend beein- mim, sondern in Tel Aviv. flusst, dass ein Teil meines Herzens für Israel schlägt. Würde die politische Situation geklärt Gerne erinnere ich mich an mein Jahr mit sei- sein, wäre es ein Ort, wo ich ganz unbeschwert nen Höhen und Tiefen. Ich lasse die verschie- leben könnte. Ich fühle mich nicht unsicher, ver- denen Ausflüge, Seminare und Begegnungen gesse jedoch manchmal, dass die politische Si- Revue passieren. tuation Probleme bereitet.

Seit meiner Rückkehr hatte ich das Bedürfnis, Nes Ammim hat mich dahingehend beeinflusst, mich weiterhin für Nes Ammim zu engagie- nicht nur in Schwarz - Weiß zu denken, sondern ren. Während meines Rückkehrerseminars im auch Raum für „Farbe“ zu lassen, sich von Ste- Oktober 2015 entschied ich mich, zukünftig reotypen zu distanzieren und sich selbst ein Ur- Interviews für Nes Ammim Bewerber durch- teil zu bilden. zuführen. Ein paar Monate später ging es für mich nach Düsseldorf, um ein erstes Interview Ich für meinen Teil kann nur sagen, dass dieses zu führen. Inzwischen habe ich einen Eindruck halbe Jahr nicht mein letzter Aufenthalt in Israel bekommen, worauf es bei den Bewerbungsge- gewesen sein wird. sprächen ankommt und führe die Gespräche mit Bewerbern aus dem Norden und Osten Deutschlands. Ich kann aus erster Hand über das Leben und die Strukturen in Nes Ammim berichten bzw. die Bewerber auf ihre „ Nes Am- mim Tauglichkeit“ prüfen. So kann ich mit Nes Ammim weiterhin verbunden sein.

Durch mein Jahr in Nes Ammim wurde ich von dem „Israel Fieber“ erfasst. Dieses Land hat so viel zu bieten. Es ist das Land der Gegensätze. Am meisten spürt man diese Gegensätze wohl in Jerusalem und Tel Aviv. Zum einen die Stadt, in der gebetet wird und die Religion eine sehr wichtige Rollte spielt. Zum anderen die Stadt, die so liberal ist und über die gesagt wird, dass sie niemals schläft.

31 Nes Ammim hat mein jetziges Leben von Grund auf geprägt. Hartmut Dobbe

Hartmut Dobbe war 1996 bis 1997 Volontär in Nach der Rückkehr aus Nes Ammim, dem Nes Ammim Examensabschluss von Ines und nach einem Jahr Wochenendbeziehung begaben wir uns Ich war 24 Jahre alt, Finanzbeamter in Nieder- gemeinsam auf neue Wege. Ich bewarb mich sachsen, ledig, und unzufrieden mit meiner auf die Stelle als Amtsleiter in der Kirchenkreis- beruflichen wie persönlichen Situation. Ich ließ verwaltung in Greifswald und wurde angenom- mich beurlauben und kam im September 1996 men. Daraufhin kündigte ich meine Stelle als in Nes Ammim mit vielen Fragen an. Ein Jahr Finanzbeamter und zog zusammen mit Ines später habe ich diesen Ort mit etlichen Antwor- nach Vorpommern, wo wir beide nun unseren ten im Gepäck wieder verlassen. Was war pas- Dienst in der Kirche tun – sie als Pastorin, ich siert? in der Verwaltung. Ja, Nes Ammim hat mein jetziges Leben von Grund auf geprägt. Durch Nes Ammim habe ich die Vielfalt des christlichen Glaubens erfahren dürfen. Als evangelischer Christ in Deutschland, der in Religionsangelegenheiten im Grunde nur „sei- ne“ Heimatkirche kannte, kam ich in ein Land der religiösen Fülle. Neben dem vertieften Ken- Danke! nenlernen von Judentum und Islam öffnete sich mir auch noch eine ganz andere Welt des Chris- Durch ihre Spenden und Unterstützung tentums: ökumenische, mehrsprachige Gottes- haben wir die so wichtigen neuen Autos dienste in Nes Ammim und bei Touren durch das Land, erstmalige Begegnungen mit Armeni- für das Studienprogramm finanzieren ern, Kopten, Syrisch-Orthodoxen und sogar ein können. Alle freuen sich über die neue mehrtägiger Aufenthalt in einem melkitischen Mobilität. Kloster auf dem Har Netofa. Am Ende meiner Zeit in Nes Ammim stand für mich fest: Ich will zukünftig in einem Umfeld arbeiten, das mit Re- ligion zu tun hat.

Nach einem Dreivierteljahr in Nes Ammim habe ich Ines, eine Vikarin aus Berlin, kennen und lie- ben gelernt. Seit nunmehr 20 Jahren sind wir ein Paar, seit 17 Jahren verheiratet, und wir haben drei gemeinsame Söhne: Joram, Ruben und Daniel.

Der Nes Ammim Verein möchte Ihre Mitgliedsbeiträge und Spenden effektiv und wirkungsvoll einsetzen. Aus diesem Grund hat die Mitgliederversammlung beschlossen, dass künftig nur noch Zuwendungsbescheinigungen für Zuwen- dungen von über 100 Euro versendet werden sollen. Wir denken, dass dies auch in Ihrem Interesse ist und die so gesparten Gelder in die gemeinnützige Arbeit fließen können. Für Ihre Steuererklärung nutzen Sie bitte Ihren Einzahlungs- oder Abbuchungsbeleg. Auf Wunsch stellen wir selbstverständlich auch weiterhin Zuwendungsbescheini- gungen aus und senden Ihnen diese zu.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.

32 Fördern Sie mit Ihrer Spende Dialog und Friedensarbeit in Nes Ammim

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Nes Ammim-Tag 2018 17. und 18. Februar Mitgliederversammlung 2018 18. Februar Nes Ammim Israel Nes Ammim Stichting Nes Ammim Deutschland e.V. Nederlande

M.P. Western 2280100 Hans-Böckler-Str. 7 Looiersdreef 805 Israel 40476 Düsseldorf NL 7328 HZ Apeldoorn Phone: (00972) (0)4-995 00 69 Tel. (0049) (0)211/4562 493 Fon: (0031) (0)55-534 93 39 Fax: (00972) (0)4-995 00 67 Fax (0049) (0)211/4562 497 Fax: (0031) (0)55-5333 15 43 [email protected] [email protected] [email protected]

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