The German Mädel“
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The GermanLEICHTATHLETIK Mädel Im New Yorker Stadtteil Queens lebt die 95-jährige Margaret Bergmann, die 1936 erste Anwärterin auf olympisches Hochsprung-Gold war. Weil die USA mit Boykott drohten, ließen die Nazis die Jüdin lange im Kader – doch kurz vor der Eröffnungsfeier kam ein eisiger Brief. Von Klaus Brinkbäumer Hochspringerin Bergmann 1937: Ob Hitler sich um die Siegerehrung gedrückt hätte, wenn es so weit gekommen wäre, Gold für die Jüdin? 112 der spiegel 35/2009 Sport as Schlimmste, sagt sie, sei die Sip- Berlin 36 ist 73 Jahre her, jene Spiele, Natürlich bestimmten jüdische Athleten penhaft, das Klischee, der Hass. Sie die Margaret Bergmann-Lamberts Leben den deutschen Sport mit, vor 1936. Da war Dmeint nicht den Hass der anderen, bestimmen bis heute. Die Hitler-Spiele, die Lilli Henoch, 1899 in Königsberg geboren, den Hass der Nazis, sie meint ihren eige- Jesse-Owens-Spiele. Die Bergmann-Spiele 1942 deportiert und bei Riga ermordet. Lil- nen, den Hass auf Deutschland, die Deut- hätten es sein können: Ihre 1,60 Meter wa- li Henoch war zehnmal deutsche Meisterin, schen und Deutsch, die Sprache. ren deutscher Rekord, 1,60 Meter bedeu- im Kugelstoßen, mit der Sprintstaffel, im Schon während der Flucht nahm sie sich teten in Berlin eine Medaille, die ausge- Weitsprung und mit dem Diskus, mit dem vor, nie mehr Deutsch zu sprechen, nie sperrte Gretel Bergmann sah nicht zu. sie zwei Weltrekorde schaffte, 24,90 Meter wieder wollte sie mit Deutschen reden „Gold, nichts anderes wäre es gewesen“, im Herbst 1922 und 26,62 Meter ein Jahr oder ein deutsches Wort sagen, und 70 Jah- sagt sie, „ich wollte den Deutschen und später. Sie lief Weltrekord mit der 4x100- re später sagt sie, heute könne sie es nicht der Welt beweisen, dass Juden nicht diese Meter-Staffel des Berliner SC, als sie noch mehr, ihr Deutsch wäre infantil, „ich wür- schrecklichen Menschen waren, nicht so laufen durfte; als ihr Verein sie ausschloss, de mich idiotisch fühlen“. fett, hässlich, widerlich, wie sie uns dar- trat sie dem Jüdischen Turn- und Sportclub Man kann auch auf Englisch hervorra- stellten. Ich wollte zeigen, dass ein jüdi- von 1905 bei und gründete die Abteilung gend hassen. sches Mädchen die Deutschen besiegen für Damenhandball. Einmal schrieb ihre Freundin Maja nach kann, vor 100000 Menschen.“ Da waren Rudi Ball und Helene Mayer, New York. In Laupheim im Deutschen Sie durfte nicht. Gretel Bergmann, 1936 im Nazi-Deutsch „Halbjuden“, die 1936 Reich waren sie wie Schwestern gewesen, vermutlich die beste Hochspringerin der starten durften; die Fechterin Helene May- obwohl Maja der NSDAP schon 1929 bei- Welt, war Mitglied der deutschen Kern- er, Weltmeisterin und 1928 olympische getreten war; dann war die Zeit gekom- mannschaft, weil die Amerikaner den Boy- Gold-Gewinnern, holte 1936 Silber für das men, als sie sich nicht mehr treffen konn- kott angedroht hatten für den Fall, dass Deutsche Reich. Und da war Gretel Berg- ten, und nun schrieb Maja, wie schwer die keine Juden im deutschen Team auftau- mann, Unternehmertochter, dunkle Lo- Nachkriegsjahre gewesen waren. So kalt cken, lange Beine, große Füße („Ameri- im zerbombten Haus, und alle so hungrig. can size 11“, sagt sie, also europäische 43), „Ich schrieb zurück, dass meine Schwie- eine Athletin, die schon mit ihrem Bruder germutter und mein Schwiegervater im KZ auf Stelzen um die Wette gelaufen war. vermutlich auch ein bisschen gefroren ha- Sport, sagt sie, war anders als heute. ben“, sagt Margaret Bergmann-Lambert. „Kein Vergleich. Wir waren Freundinnen, Dann kichert sie. die an jedem Samstag in eine andere Stadt Sie sagt: „Ich bin sicher, die Maja lebt zu den Sportfesten fuhren. Wir hatten die auch nicht mehr. Das war also das Ende beste Zeit unseres Lebens und hielten nach dieser Geschichte.“ Sie blättert durch alte den Jungs Ausschau. Heute? Geld, Geld, Zeitungstexte, durch Schwarzweißfotos, Geld. Masseure und Psychologen.“ Und auf dem Schoß hält sie die rote Kladde, Doping. „Jawohl, und Doping.“ die ihr Vater angelegt hat nach den ersten Ihr Vater fuhr sie, förderte sie. Ihr Vater Siegen; „ich war ein Naturtalent“, sagt sie. sei sehr vornehm gewesen, sagt sie, stets In Laupheim fing sie an, als sie zehn Jah- mit Schlips, und mildtätig auch, „wenn er re alt war. Sie lief, sprang, warf, wurde aus Geld hatte, schenkte er es weg, und wenn dem Ulmer Fußballverein ausgeschlossen, er keins hatte, schenkte er es auch weg“, ging nach England und wurde britische das sagt Margaret Bergmann-Lambert, sie Hochsprung-Meisterin, kehrte heim, um legt den rechten Zeigefinger auf die Nase, 1936 in Berlin Olympiasiegerin zu werden, wenn sie an damals denkt. Ihr Vater wur- durfte nicht starten, sie floh in die USA, wo de nur 66, er saß auf der Couch und fiel sie zweimal pro Woche trainierte, denn ein um; es war ein Herzinfarkt, er hatte ge- drittes Mal konnte sie sich nicht leisten, weil / CORBIS (L.);BETTMANN (R.) JÜRGEN FRANK raucht, aber Margaret Bergmann-Lambert die U-Bahn-Fahrt durch New York fünf Nazi-Opfer Bergmann sagt, es sei eher die Kälte der sechs Wo- Cent kostete. Trotzdem wurde sie dreimal „Ich bin ja hier, das zählt doch wohl“ chen in Dachau gewesen. Ihre Familie kam amerikanische Meisterin, 1937 in Hoch- heraus aus Deutschland, die ihres Mannes sprung und Kugelstoßen, 1938 im Hoch- chen würden. Als dann die Amerikaner, nicht: Brunos Eltern und 30 Verwandte sprung, genannt „The German Mädel“. die mehrere Juden in der Mannschaft hat- starben im Holocaust, auch die Achtjähri- Es war eine weite Reise von Laupheim, ten, auf dem Weg nach Berlin waren, gen. „Wir wissen nicht, wann und wo, wir Germany, bis nach New York City, in dieses ihr Schiff unterwegs auf dem Atlantik und wollen es nicht wissen, mein Mann hat bunte Häuschen, das ein wenig windschief eine Kehrtwende unwahrscheinlich, schlos- heute noch Alpträume“, sagt sie. dasteht, die Geschichte reicht vom Laup- sen die Nazis die Bergmann aus. Sie no- Margaret Bergmann-Lambert sitzt zwi- heim der Vorkriegszeit über Berlin 36 bis zu minierten einen Mann für den Frauen- schen Plüschäffchen, sie sammelt Plüsch- diesem Sommertag 2009 in einem Winter- hochsprung, der Mann rasierte sich die äffchen. Der Ventilator dreht sich, ein paar garten in Queens, 8450 Avon Street. Marga- Beine, trug lange Haare und fiel nicht wei- Zeitungsartikel, gelblich und bleich, kle- ret Bergmann-Lambert ist still, eine Minute ter auf. ben an den weißen Wänden, die Urkunden lang, blickt hinaus in den Garten, nun sagt „Berlin ’36“ ist ein Spielfilm geworden. und die Medaillen hängen vorne im Trep- sie: „Ich hätte so glücklich sein können in all Kaspar Heidelbach hat liebevoll Regie ge- penhaus, nur die eine nicht – ob Hitler sich den Jahren, wenn ich nicht so gehasst hätte.“ führt, Karoline Herfurth spielt Gretel Berg- um die Siegerehrung wohl gedrückt hätte, Aber wäre ein anderes Leben möglich mann listig und launisch, eine schlagferti- wenn es so weit gekommen wäre, Gold für gewesen, ein tolerantes, ohne alle Deut- ge Frau, sommersprossig, aufregend*. die Jüdin? schen für Mörder zu halten? Heute, sagt Aber Berlin 36 ist mehr als ein Film, es Sie zeigt ein Foto, in Laupheim gibt es sie, gehe das, sei es das einzig mögliche ist ein Schicksal, lebensprägend für die Fa- ein Gretel-Bergmann-Stadion. Mrs. Berg- Leben, doch Zeit musste vergehen; heute milie Bergmann und kein Einzelfall, lei- mann trägt Turnschuhe und Ringel- ist sie 95 Jahre alt, und ihr Ehemann Bru- der, denn es war Weltpolitik. söckchen, eine helle Baumwollhose und no schläft oben, es geht ihm nicht so gut, eine weiß-grüne Blümchenbluse, ein Hör- Bruno ist 99 Jahre alt. * Kinostart am 10. September. gerät, sie hat lächelnde, braune Augen, der spiegel 35/2009 113 Sport weißes Haar. Damals, erzählt sie, habe sie Der Spielfilm, „Berlin ’36“, ist fein er- ben uns gut verstanden. Wir haben uns so- sich jeden Tag gefragt: „Wie werden sie zählt, manchmal verklärend und hin und gar Tipps gegeben, wie man besser sprin- mich stoppen? Werden sie mir ein Bein wieder lustig und immer spannend, und gen kann.“ Im Film schließen die anderen brechen? Mich ermorden? Dann verstand Karoline Herfurth, Sebastian Urzendow- Mädchen Gretel in der Dusche ein, dort ich, was sie vorhatten, und als ich wusste, sky (als Marie Ketteler, die in Wahrheit ein duscht auch Marie Ketteler, dieses seltsame worum es ging, wusste ich, dass ich keine Junge ist) und ein guter Deutscher, der Mädchen vom Bauernhof, und Gretel Chance hatte und mir andererseits keine Trainer Hans Waldmann (gespielt von Axel sieht, dass Marie ein junger Mann ist, und Sorgen um mein Leben machen musste.“ Prahl), tragen ihn. Margaret Bergmann- es entspinnt sich eine Romanze, ganz zart, Am 15. Juli 1936 bestiegen die Ameri- Lambert sah ihn in einem Kino in New zwischen dem Jungen und der Jüdin, die kaner das Schiff in New York, am 16. Juli York, aufgeführt nur für sie und 70 „Freun- ihm den Scherensprung beibringt. verließ der Brief an „Frl. Gretel Berg- de und Feinde“, wie sie sagt, und sie mag Die Wirklichkeit war langweiliger und mann“ den Deutschen Reichsbund für Lei- beide Happy Endings, „das des Spielfilms doch bizarr genug. besübungen: „Sie werden auf Grund der und das meines Lebens“. Margaret Bergmann-Lambert sagt: „Ich in letzter Zeit gezeigten Leistungen wohl Das ihres Lebens? „Nun, ich bin ja hier, habe mit ihr oder mit ihm, wie soll ich sa- selbst nicht mit einer Aufstellung gerechnet immer noch, das zählt doch wohl.“ gen?, jedenfalls mit Dora Ratjen, wie sie haben.“ Beim letzten Wettkampf war sie Eine wie Margaret Bergmann-Lambert oder er, also Marie Ketteler, in Wirklichkeit 20 Zentimeter höher als die Zweitplatzier- würde so etwas nicht sagen, weil sie loyal hieß, das Zimmer geteilt. Ich habe nie ei- te gesprungen.