KULTUR KOREA ausgabe 2 / 2015

,,PAVILLON DER EINHEIT“ - SINNBILD EINES GROßEN WUNSCHES ÜBER DIE FEIERLICHKEITEN ZUR EINWEIHUNG

HERR „SO-MO“ IN In Südkorea fand das erste internationale Musikfestival für geistig Behinderte statt

BUCHLESER UNTER ARTENSCHUTZ Über einen Besuch der Internationalen Buchmesse Seoul

EDITORIAL

Liebe Leserinnen und Leser, der Jahresausklang ist ein guter Anlass, einen Moment Koreas, Frau Keum Hwa Kim, beizuwohnen. In dieser innezuhalten. Im Rückblick auf 2015 sollten insbesondere Ausgabe wird ihre deutsche Schülerin über die besondere zwei Jubiläen Erwähnung finden: der 70. Jahrestag der Beziehung zu ihrer Meisterin berichten. Darüber hinaus koreanischen Unabhängigkeit, der zugleich auch den Zeit- freut es mich ganz besonders, dass die koreanische Kom- punkt der innerkoreanischen Teilung markiert, und der 25. ponistin Younghi Pagh-Paan in diesem Jahr mit dem Preis Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung. der Europäischen Kirchenmusik ausgezeichnet wurde, wie Sie in dem Artikel „Von der Poesie des Widerstandes zur Vor diesem geschichtlichen Hintergrund fanden in Berlin Spiritualität“ erfahren. zwei Großereignisse statt, die den Wunsch der koreani- schen Bevölkerung nach einer friedlichen Wiedervereini- Ich hoffe auch, dass Sie Gelegenheit hatten, am JazzKorea gung ihres Landes unterstreichen sollten: Festival 2015 teilzunehmen, das in diesem Jahr bereits Ende Juli traf der Eurasien-Freundschaftszug in Berlin zum dritten Mal stattfand und seinen Radius noch einmal ein, der - nach seinem Start in Korea - eine symbolische um Konzerte in Ungarn und Spanien erweitern konnte. Reise von 14.400 km quer über den eurasischen Kontinent Anlässlich eines weiteren Jubiläums möchte ich alle sport- zurückgelegt hatte. Diese Reise, die im Zeichen eines interessierten Leser auf ein kleines Spezial zum Thema geeinten Eurasiens und einer erwünschten koreanischen Taekwondo aufmerksam machen. Vor 50 Jahren wurde das Wiedervereinigung stand, endete mit einem bewegenden erste Taekwondo-Demonstrationsteam aus Korea nach Festakt am Brandenburger Tor. Deutschland entsandt, um die koreanische Kampfkunst in Darüber hinaus fanden unter Beteiligung von etwa 350 Deutschland populär zu machen. Gästen Ende November am Potsdamer Platz, diesem denk- Als Leiter des Koreanischen Kulturzentrums wünsche ich würdigen Ort der innerdeutschen Teilung und der Einheit, Ihnen und Ihren Familien schöne Weihnachtsfeiertage, die Feierlichkeiten zur Einweihung des koreanischen einen besinnlichen Jahresausklang und ein gesundes, „Pavillons der Einheit“ statt, der ebenfalls den Wunsch neues Jahr 2016! nach einer Wiedervereinigung der koreanischen Halbinsel symbolisiert. Fernab dieser historischen Jubiläen hatte ich Gelegenheit, Gesandter-Botschaftsrat YUN Jong Seok in München einem Ritual der bedeutendsten Schamanin Kulturabteilung der Botschaft der Republik Korea

Festakt am Brandenburger Tor (31. Juli) aus Anlass der Ankunft des Eurasien-Freundschaftszuges in Berlin KULTUR KOREA / 1 INHALTSVERZEICHNIS

1 EDITORIAL KUNST, MUSIK, FILM

TRADITIONELLE ARCHITEKTUR KOREAS 31 DAS JAZZKOREA FESTIVAL 2015 4 Von Dr. Nabil Atassi „PAVILLON DER EINHEIT“ - SINNBILD EINES GROßEN WUNSCHES 33 Über die Feierlichkeiten zur Einweihung VOM SCHMERZ DER TEILUNG Von Dr. Stefanie Grote Wie Heryun Kim in Deutschland und Korea ihre künstlerische Heimat fand 10 Von Anne Schneppen DRACHEN, PFIRSICH UND FLEDERMAUS Der koreanische „Pavillon der Einheit“ in Berlin ist Ausdruck 36 für das erneuerte Interesse an der traditionellen Baukunst VON DER POESIE DES WIDERSTANDES in Südkorea ZUR SPIRITUALITÄT Von Ulf Meyer Zum Preisträgerkonzert des Europäischen Kirchenmusikfestivals 2015 14 Von Dr. Shin-Hyang Yun DER KOREANISCHE PAVILLON SANGNYANGJEONG Von Dr. Cho In-Souk 38 EUN NIM RO KALEIDOSKOP Der Pinsel führt mich. Ich folge ihm! Von Prof. Claus Mewes 16 14.400 KILOMETER QUER DURCH ASIEN UND EUROPA 41 Der Eurasien-Freundschaftszug beendet seine Reise GESCHICHTE DER MODERNEN KOREANISCHEN MUSIK in Berlin Von Dr. Sebastian Claren Von Gesine Stoyke 43 19 „DIE FRAUEN IN MEINEN BILDERN SIND ALLE MEINE WIE DATE ICH IN KOREA RICHTIG? MUTTER“ Von Sören Kittel Im Gespräch mit dem Maler Ukn Lee über Erinnerung, Abschied und Neubeginn 22 Von Dr. Stefanie Grote SCHAUSPIELSTUDIUM AUF KOREANISCH Von Anna Rihlmann 46 DAS GROßE THEATER DES ERZÄHLENS 25 Pansori „Jeokbyeokga“ – das „Lied vom Roten Felsen“ FLIEGENDE TURTLE SHIPS SÜDLICH DER ELBE in Düsseldorf und Hamburg Hamburger Schachlehrer veranstaltet erstes Von Matthias R. Entreß Janggi-Turnier außerhalb Asiens Von Dr. René Gralla 49 27 Eine Boygroup mit vielen Facetten DAS XIV. DEUTSCH-KOREANISCHE FORUM Von Prof. Ute Fendler Vom Han an die Warnow Von Rhan Gunderlach 51 A DAY IN THE PALACE 29 Das Tanztheater des National Gugak Center NEUGEBURT IN KOREA DURCH KIM KEUM HWA im Berliner Tempodrom Wie ich zur Schamanin wurde Von Dr. Sebastian Claren Von Andrea Kalff-Cordero

2 / KULTUR KOREA 53 TAEKWON-DO IM FOKUS „SO FERN... SO NAH... KOREA“ Eine Keramikausstellung zum Thema „Korea“ in Münster 74 Von Angela Hoebink DIE ANFÄNGE DES TAEKWON-DO IN EUROPA Von Shin-Gyu Kang 55 NEUE MUSIK KOREA++ 76 Koreanische Identität im Spannungsfeld westlicher DER INTERNATIONALE TAEKWONDO-CUP 2015 Avantgarde IN BERLIN Von Matthias R. Entreß Von Selahattin Turap

57 78 „DERZEIT WIRD DAS SPANNENDSTE KINO TRADITIONELLES TAEKWON-DO IN KOREA GEDREHT“ Ein Sport wie jeder andere? Eindrücke vom Busan International Film Festival 2015 Von Prof. Dr. med. Frank Moosig Von Fabian Kretschmer 81 LITERATUR TAEKWON-DO FÜR JEDES ALTER Ein faszinierender Sport und 60 eine soziale Kultur des Respekts BUCHLESER UNTER ARTENSCHUTZ Von Prof. Dr. Jörn Düwel Über einen Besuch der Internationalen Buchmesse Seoul Von Fabian Kretschmer PORTRÄT

62 83 STILLE DER BLÜTEN UND WINTERNACHT 0 UHR HERR „SO-MO“ IN SEOUL 5 MINUTEN In Südkorea fand das erste internationale Musikfestival für Der koreanische Dichter Hwang Tong-gyu auf Lesereise geistig Behinderte statt in Europa Von Sören Kittel Von Yun-Chu Cho 85 64 MAN SOLLTE NICHT NUR EINEN HASEN JAGEN „AUCH IN FREMDEN LEBENSWELTEN GIBT ES INNIG Moon Suk empfängt in ihrem Berliner Salon VERTRAUTES“ Von Gesine Stoyke Interview mit Tobias Burghardt, Verleger der Stuttgarter Edition Delta 88 Von Gesine Stoyke IMPRESSUM

REISEN UND KULINARIK

66 SIMPLY KOREAN FOOD ! Auftaktveranstaltung zum gemeinsamen Kochvergnügen Von Dr. Stefanie Grote

68 BYEONSANBANDO Koreas einziger Nationalpark, der Berge und Meer bietet Von Rainer Rippe

72 DIE KOREANISCHE KÜCHE - PASSEND ZU JEDEM ANLASS Koreanische Gerichte zu Feiertagen und anderen besonderen Gelegenheiten Von Hyein Kim

KULTUR KOREA / 3 TRADITIONELLE ARCHITEKTUR KOREAS

„PAVILLON DER EINHEIT“- SINNBILD EINES GROßEN WUNSCHES- Über die Feierlichkeiten zur Einweihung

4 / KULTUR KOREA „PAVILLON DER EINHEIT“- SINNBILD EINES GROßEN WUNSCHES- Über die Feierlichkeiten zur Einweihung

KULTUR KOREA 5 Foto: Koreanisches Kulturzentrum / Von Dr. Stefanie Grote, Redaktion „Kultur Korea“

a steht er nun in all seiner Pracht, der koreanische Im Rahmen der Einweihungsfeier in der nahegelegenen „Pavillon der Einheit“, mitten im Zentrum von Berlin Veranstaltungshütte auf dem Weihnachtsmarkt wurde Dauf dem Potsdamer Platz. Zwischen den modernen unter Beteiligung prominenter Vertreter des öffentlichen Bürohausfassaden wirkt der bunte, acht Meter hohe Holz- Lebens aus Korea und Deutschland sowie anderer Gäste bau auf steinernen Stelen wie ein Relikt aus vergangener über die Einzelheiten des Bauprozesses und die Symbolik Zeit - und das ist er in gewisser Weise auch. Das hexagon- des Pavillons informiert. Etwa 350 Gäste drängten ab förmige Bauwerk ist dem Pavillon Sangnyangjeong nach- 10.30 Uhr bei unwirtlichem Novemberwetter in die Holz- empfunden, der in der Gartenanlage des Königspalastes hütte und versuchten mit großer Mühe, noch einen Platz Changdeokgung aus der Joseon-Zeit (1392-1910) in der zu ergattern. Zur Feier des Tages gab es Sekt und koreani- südkoreanischen Metropole Seoul zu bewundern ist. sche Snacks, ein Bläser-Quintett stimmte musikalisch auf die Veranstaltung ein. Wie der Name des architektonischen Nachfahren in Berlin schon sagt, ist er aber mehr noch als eine Reminiszenz an „Wir Koreaner blicken in diesem Jahr auf 70 Jahre Unab- die Architektur und Kultur des alten Korea. Vor dem Hinter- hängigkeit zurück, die gleichzeitig 70 Jahre Teilung bedeu- grund der 2015 für Deutschland und Korea bedeutenden ten“, sagte Botschafter Lee Kyung-soo in seiner Rede. Der Jubiläen, dem 25. Jahrestag der deutschen Wiederverei- „Pavillon der Einheit“ möge die Besucher daran erinnern, nigung und dem 70. Jahrestag der koreanischen Unab- „dass die Menschen in Korea immer noch unter der Teilung hängigkeit, steht der Pavillon symbolhaft für den Wunsch der koreanischen Halbinsel leiden“, ergänzte er. Einen nach einer friedlichen Wiedervereinigung der koreani- Eindruck von der Schönheit der koreanischen Architektur schen Halbinsel. Mehrere Wochen war er unter großen möge er vermitteln und ein Ort der Besinnung soll er sein. Planen verhüllt und weckte die Neugier der Passanten und „Der ‚Pavillon der Einheit‘ trägt den Geist der Einheit und Korea-Interessierten, die schließlich am 25. November die der Überwindung der Teilung der koreanischen Halbinsel Gelegenheit hatten, diese Besonderheit der koreanischen in das Bewusstsein der deutschen und internationalen Baukunst zu betrachten. Öffentlichkeit“, sagte der Abgeordnete Hartmut Koschyk,

Vorsitzender der Deutsch-Koreanischen Parlamentarier- Kulturzentrum Koreanisches Fotos:

6 / KULTUR KOREA BAUPHASEN IN BILDERN

KULTUR KOREA / 7 2 3 Beschriftung der Dachziegel des Pavillons

1 1 Prof. Hermann Parzinger 2 Hans Modrow 3 Dieter Kosslick Parlamentarische Staatssekretärin Iris Gleicke, MdB (Videobotschaft)

gruppe des Deutschen Bundestages und„erinnert uns als Wunsch von Berlinale-Direktor Dieter Kosslick nach einer Deutsche immer an unsere Verantwortung, Korea auf dem „happy unification“ schließlich in Erfüllung gehen, „werde Weg zu seiner Einheit beizustehen.“ ich mit Ihnen anstoßen und feiern“, versicherte Botschafter Lee Kyung-soo seinen Gästen – „hier am ‚Pavillon der Ein- Der Abgeordnete des Parlaments der Republik Korea, Woo heit‘. Ich wünsche mir, dass dieser Tag bald kommen wird.“ Youn Geun, war mit einer Abgeordneten-Delegation aus Korea angereist. Stellvertretend für den Präsidenten der Die Feierlichkeiten fanden unter Beteiligung aller Gäste bei Nationalversammlung der Republik Korea, Chung Ui Hwa, weiterhin widrigen Wetterverhältnissen vor dem Pavillon unterstrich er mit seiner Rede die Bedeutung dieses Tages ihre Fortsetzung. 통일정 („Pavillon der Einheit“) ist auf dem der Einweihung ebenso wie Dirk Hilbert, Oberbürgermeis- Schild zu lesen, das den Pavillon-Eingang schmückt und ter der Landeshauptstadt . Nicht nur ein Kunstwerk nun enthüllt wurde. Eine schmale Holztreppe führt hinauf sei der Pavillon, sondern auch „ein Symbol für die enge Ver- in den Innenraum des pittoresken Kleinods koreanischer Ar- bundenheit Koreas mit Deutschland“, hatte die Parlamen- chitekturkunst. Wer sich den Blick durch die Fenster dieses tarische Staatssekretärin Iris Gleicke, MdB, und Vorsitzende kunstvoll gestalteten, hölzernen Hexagons nicht entgehen des Deutsch-Koreanischen Konsultationsgremiums in ihrer lassen wollte, nutzte die erstmalige Gelegenheit, mit Ein- übermittelten Videobotschaft gesagt. wegschuhe auf den Spuren der traditionellen koreanischen Baukunst zu wandeln. „Dies soll ein Ort sein, an dem Sie Zahlreiche prominente Vertreter aus Politik, Kultur und die koreanische Kultur unmittelbar erfahren können,“ hatte Gesellschaft von koreanischer und deutscher Seite hatten Gesandter-Botschaftsrat Yun Jong Seok, Leiter der Kulturab- im Vorfeld der Einweihung ihre Wünsche auf einen Ziegel teilung der Botschaft der Republik Korea, zu Beginn der Er- geschrieben, mit dem das Dach des Pavillons gedeckt öffnungsfeier gesagt. Das fällt nicht schwer. Wohl niemand wurde – ganz nach koreanischer Tradition. Das bringt Glück. konnte sich allein beim Anblick der aufwendig gestalteten Botschafter Lee Kyung-soo brachte auf diese Weise seine Deckenbemalung dieser Faszination entziehen. Hoffnung zum Ausdruck, dass der Pavillon über die Grenzen der Teilung hinweg ein Symbol für die Öffnung und die Der Bezug zum Thema Teilung und Wiedervereinigung fin- Einheit der koreanischen Halbinsel sein möge. Auch der Re- det seinen sichtbaren Ausdruck in den daneben aufgestell- gierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, beschrif- ten drei Mauerteilen der einstigen innerdeutschen Grenze, tete einen Dachziegel. „Frieden, Einheit und Sicherheit für die zugleich als Informationstafeln dienen. Nebst musika- die koreanische Halbinsel“, schrieb Prof. Hermann Parzinger, lischem Begleitprogramm wurde fotografiert, gelächelt, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, und Lothar von der Pavillonbalustrade gewunken, gefeiert - und dem de Maizière, der erste demokratisch gewählte und zugleich Wetter getrotzt. letzte Ministerpräsident der DDR, wünschte den Koreanern eine gleichfalls glückliche Einigung, wie sie den Deutschen Im Anschluss an die Zeremonie zur Einweihung am Potsda- gelungen ist. Bundestagspräsident Prof. Norbert Lammert, mer Platz gab es im nahegelegenen Koreanischen Kultur- MdB, versah den Ziegel mit den Worten: „Unter einem zentrum Musik, Gespräche – und „Einheits-Bibimbap“!

gemeinsamen Dach: Frieden, Freiheit, Einheit“. Sollte der Kulturzentrum Koreanisches Fotos:

8 / KULTUR KOREA S.E. Lee Kyung-soo, Botschafter der Republik Korea, hält bei den Hartmut Koschyk, MdB, gibt dem koreanischen Feierlichkeiten anlässlich der Einweihung des „Pavillons der Einheit“ Fernsehsender KBS ein Interview. am 25.11.2015 eine Rede.

„Pavillon der Einheit“ am Potsdamer Platz in Berlin

KULTUR KOREA / 9 TRADITIONELLE ARCHITEKTUR KOREAS DRACHEN, PFIRSICH UND FLEDERMAUS Der koreanische „Pavillon der Einheit“ am Potsdamer Platz in Berlin ist Ausdruck für das erneuerte Interesse an der traditionellen Baukunst in Südkorea

Von Ulf Meyer

ährend Deutschland in diesem Jahr das 25. Jubi- ja dekoriert werden, wurden auch beim Berliner Pavillon läum der Wiedervereinigung begeht, jährt sich in von Hand aufgetragen. WKorea die Teilung zum 70. Mal. Um der Hoffnung auf eine friedliche Vereinigung der koreanischen Halbinsel Entworfen hat den Berliner Korea-Pavillon die Architektin Ausdruck zu verleihen, hat die Kulturabteilung der Bot- Cho In-Souk vom Architekturbüro DaaRee aus Seoul, die schaft der Republik Korea mitten im neuen Zentrum von als Denkmalpflege-Expertin gilt und fließend Deutsch Berlin einen „Jeongja“ („Pavillon“) errichten lassen. Dieses spricht. Sie hat sich in ihrer Arbeit eng an den Sang Nyang „öffentliche Kunstwerk im Stadtraum“ steht direkt am Jeong-Pavillon angelehnt, der im Changdeokgung-Pa- Tilla-Durieux-Park und damit am Potsdamer Platz, der die last („Palast der glänzenden Tugend“) in Seoul steht. Er beiden Berliner Stadthälften seit 1990 wieder miteinander ist einer von fünf noch erhaltenen Königspalästen der verbindet. Wo Berliner Mauer und Todesstreifen verliefen, Joseon-Dynastie (1392-1910) und gehört seit 1997 zum dient der neue koreanische „Pavillon der Einheit“ als Stätte UNESCO-Weltkulturerbe. Ganz wie das Berliner Pendant der Besinnung und als politisches Symbol der Hoffnung wurde auch das koreanische Vorbild auf einem Granitso- (siehe S. 4/5). ckel errichtet. Es stammt aus der Mitte des 19. Jahrhun- derts. Über dem Granitsockel erheben sich sechs ebenfalls Mehrere Handwerker-Teams waren in Etappen aus Korea aus Granit gefertigte Hauptstützen, die genau zehn Mal so nach Berlin gereist, um den Pavillon zu errichten, zu be- hoch wie breit sind. Auf jeder steinernen Stütze ruht darü- malen und zu gestalten. Der Aufwand hat sich gelohnt. In ber eine solche aus Holz, die im Grundriss ebenfalls sechs- Korea werden Jeongja an Orten errichtet, die eine schöne eckig geformt ist. Ausgefacht sind die sechs Fassaden des Aussicht bieten und Einheit zwischen Mensch und Natur Berliner Pavillons mit Holztüren, deren Schnitzwerk mit bedeuten. Seit etwa 300 Jahren gibt es diese spezifische stabilem Papier hinterklebt ist. Die hölzernen Schmuck- Form der Baukultur in Korea. Der Berliner Pavillon ist im gitter sind jeweils in vier Felder unterteilt und mit einem Grundriss in der Form eines Hexagons gestaltet. Drei Muster geschmückt, das zwei Kreise (Münzen) darstellt. originale Beton-Segmente der Berliner Mauer, die neben Da der Innenraum des Pavillons klein ist, umgibt den dem koreanischen Pavillon am Potsdamer Platz aufgestellt Jeongja auf allen Seiten eine umlaufende Terrasse. Deren wurden, dienen als Informationstafel mit einem erläutern- Brüstung ist mit Ornamenten in „Hahnenkamm“-Form den Text in Deutsch und Englisch. geschmückt. Die Fußböden des Pavillons bestehen aus Holzbohlen, während die Decke aus zwölf Rauten gefügt Der koreanische Pavillon in Berlin aus Holz und Stein wurde. Die Ornamente zeigen hier Wolken, Fledermäuse, ist seit 25. November 2015 zu sehen und wird zunächst Kraniche, Pfirsiche und Zitrusfrüchte. Das Ziegeldach hat zwei Jahre lang an seinem prominenten Bauort zwischen einen spitzen Abschluss in Form einer „Jeolbyeongtong“, Ost und West belassen. Der sechseckige Pavillon („Yuk- wie Koreaner dieses typische Dach-Detail nennen. Auf den mojeong“ genannt) wurde in traditioneller koreanischer Dachziegeln an der Traufe lassen sich weitere interessante Zimmermannskonstruktion errichtet. Die Holzbalken und Ornamente wie Spinnen und Drachen entdecken. Die –ornamente sind in charakteristischen traditionellen kore- Ziegel selbst ruhen auf einem hölzernen Dachstuhl, der anischen Farben gestrichen, darunter Türkis, Gelb und Rot. eine Lage runder und darüber eine Lage eckiger Träger Die erhöhte Plattform ist eine offene Aussichtsebene etwa aufweist. 2,5 m über dem Gelände, die auf sechs Stützen steht, die auf steinernen Sockeln ruhen. Eine hölzerne Treppe führt Für Berliner und Besucher der deutschen Hauptstadt ist hinauf. Das Dach des Pavillons ist mit schwarz lasierten es ein besonderer architektonischer Leckerbissen, sich Ziegeln gedeckt, die „Giwa“ genannt werden und aus Ton einmal im Maßstab 1:1 mit der koreanischen Baukunst im bestehen. Jeongja werden traditionell nur aus Holz und Zentrum Berlins auseinandersetzen zu können. Aber ist Stein gebaut. Weder Nägel noch Schrauben werden für die die traditionelle koreanische Handwerkskunst überhaupt Verbindungen genutzt, sondern nur raffinierte Zapf- und noch „lebendig“ oder wird hier eine Tradition bemüht, die Steckverbindungen. Die bunten Motive, mit denen Jeong- überkommen ist?

10 / KULTUR KOREA Wer Seoul oder andere Großstädte in Korea (Nord wie Süd!) besucht, hat den Eindruck, die moderne Architektur nach westlichem Vorbild hätte die koreanischen Städte flächen- deckend verändert und unwiederbringlich überformt. Erst bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass neben Jeongja auch das traditionelle koreanische Haus, „Hanok“ genannt, noch vereinzelt zu erleben ist – und derzeit eine späte, aber verdiente Renaissance erlebt: Das Hanok-Haus erscheint angesichts der weitverbreiteten Debatte um nachhaltige- res Bauen in mancher Hinsicht moderner als die Moderne selbst: Die ausgeprägte Sensibilität dem Bauplatz, den Himmelsrichtungen und dem Klima gegenüber, von der die vernakuläre Architektur – nicht nur – Koreas zeugt, gilt zeit- genössischen Architekten als vorbildlich. Die Idee der geo- mantisch günstigen Orientierung, das „Baesanimsu”-Prinzip der Ausrichtung des Gebäudes zum Wasser und einem Berg im Hintergrund, die „Ondol” genannten Fußbodenheizungen und die „Daecheong“ genannten überdachten Korridore, prägen die Architektur der Hanoks ebenso wie die von ei- nem weiten Dachüberstand vor Regen und Sonne geschütz- te Terrasse. Die Auslegung auf Querlüftung im Sommer macht die traditionelle koreanische Architektur „ökologisch“, lange bevor es dieses Wort im allgemeinen Sprachgebrauch überhaupt gab. Hanoks gibt es in regionalen Varianten: Ge- schlossene Hofhäuser im kalten Norden des Landes weisen den kalten Wind ab und haben keine Holzdecks und weniger Fenster. „L“-förmige Häuser findet man in der Mitte des Landes, im milderen Süden hingegen herrscht die „I“-Form vor. Hier wurden die Hanoks wie Reihenhäuser in einer Linie gebaut, um eine gute Ventilation sicherzustellen. Grundlage der traditionellen koreanischen Architektur waren die länd- lichen Gebäude in der Mandschurei, die schon früh mittels Ondol beheizbar waren. Dass sich die Architektur der Hanoks wachsender Beliebtheit erfreut, zeigt auch das vom Architekturbüro „urban Detail“ Trotz ihrer praktischen und gestalterischen Vorzüge galt die umgebaute Hanok in Seoul. traditionelle Architektur spätestens in den 60er und 70er Jahren, als eine massive Modernisierungswelle über Korea hinwegging, als hoffnungslos altmodisch und überkom- men. Schwindelerregend hohe Apartmenttürme wuchsen allerorts in den Himmel über Korea - und fast alle Hanoks wurden abgerissen und mussten den breiten neuen Straßen und modernen Neubauten weichen. Weniger als 1% aller Gebäude in (Süd-)Korea sind heute noch Hanoks.

Erst seit der Jahrtausendwende setzte in (Süd-) Korea ein Umdenken ein: Heute gilt das Wohnen im Hanok wieder als „chic“ – speziell, wenn die Häuser mit modernem, westli- chem Komfort ausgestattet werden. In einigen Stadtteilen von Seoul kann man auch die städtebaulichen Qualitäten der Hanoks studieren und erleben: In Gaesung beispielswei- se ist das enge Geflecht aus Gassen mit Hanok-Häusern eine beliebte Touristenattraktion. Früher wurde der Hanok-Haus- typ auch „Jooga“ oder „Jaetaek“ genannt. Das Wort „Hanok” setzte sich erst 1975 durch - als Antonym zu Gebäuden west- licher Bauart. Sprachlich werden Häuser mit Dach-Schindeln („Neowa-jib“) von solchen mit Ziegeldächern („Giwa-jib“) Fotos: Fotos: Daniel Tändler

KULTUR KOREA / 11 unterschieden. Hanoks sind meist „Giwa-jib”. Zu den um- weltfreundlichen Details eines Hanok-Hauses, die heute wieder hochrelevant erscheinen, gehören die natürliche Kühlung im Sommer mittels Querlüftung und die einfache Beheizbarkeit im Winter mittels „Ondol”, einem Doppelbo- den aus gebranntem Ton. „Daecheong“ genannte Räume hingegen haben hölzerne Fußböden.

Die Holzstützen eines Hanok-Hauses, „Daedulbo” genannt, sind meist auf Fundsteinen gelagert, sodass sie im Erdbe- benfall Vibrationen absorbieren können und Feuchtigkeit aus dem Erdreich nicht in den Kapillaren des Holzes auf- steigen kann. Alle Baumaterialien wie Ton, Holz und Stein sind natürlichen Ursprungs und leicht wiederverwertbar. Das Tragwerk besteht aus einem Holzskelett, das dann mit Steinen ausgefacht wird. Die Fassadenöffnungen bestehen aus Bögen aus „Hanji” (Maulbeerbaumpapier, das mit Boh- nen-Öl getränkt wird, um das Bau-Papier wasserabweisend zu machen, aber dennoch atmungsaktiv zu belassen). Mit Hanji bespannte Fenster und Innentüren lassen gefiltertes, diffuses Tageslicht ins Rauminnere.

Seouler Stadtteile wie Bukchon im Bezirk Jung-gu und andere in Jongno-gu, in denen noch einige Straßen mit Hanoks erhalten geblieben sind, finden großes touris- tisches Interesse: Viele sind zu Cafés, Restaurants oder Teehäusern umgestaltet worden und zeigen die Qualitäten der traditionellen koreanischen Baukunst bis heute.

Ein Revival in Berlin und Seoul Was der einen Generation als altmodisch, überkommen und unkomfortabel erschien, wurde von der nächsten als umweltfreundlich, identitätsstiftend und schön wiederent- 1 deckt: So verhält es sich auch mit der traditionellen kore- anischen Architektur: Bis vor kurzem nahezu vollständig beseitigt, erlebt sie derzeit eine Renaissance – Beispiele dafür sind derzeit in Seoul und Berlin zu sehen. Kein Tourist verlässt Seoul, ohne Bukchon besucht zu haben. Das pitto- reske Altstadtviertel hat sich von einem verschlafenen, von der Modernisierungswelle verschonten Wohnviertel am Hang zu einem von angesagtesten und fußgänger- freundlichsten „In“-Quartiere gemausert. Der kleine und sympathische Maßstab der Hanoks und ihrer Gassen steht in starkem Kontrast zu den massenhaften Wohnhochhäu- sern, die Seouls Skyline heute prägen.

Einst als anachronistisch verschrien, gibt es heute ganz selbstverständlich „modernisierte Hanoks” mit Keller, Ein- bauküche und modernen Bädern. Die alten Bauprinzipien wirken dennoch weiter fort: Der charakteristische Über- stand der geschwungenen Dächer lässt die im Winter tief stehende Sonne hinein, während er im Sommer Schatten spendet. Die charakteristischen, geschwungenen Ecken 2 der Walm- und Satteldächer werden „Cheoma“ genannt. 1 Das Hanok des Architekten Doo-jin Hwang entfaltet selbst auf kleinstem Die Baumaterialien wie Holz, Lehm und Stein lassen Ha- Raum einen ungewöhnlichen räumlichen Reichtum. noks heute als umweltfreundlich und „grün“ erscheinen.

2 Innen- und Außenraum sind eng miteinander verzahnt. Fotos: Daniel Tändler

12 / KULTUR KOREA Kein anderer Architekt hat sich so eingehend mit dem Philosophy” (etwa: ‚das Traufendach der Philosophie‘). Die- alt-neuen Bautypus des Hanok beschäftigt wie der Ar- sen poetischen Namen hat der Bauherr für sein 13 pyeong chitekt Doo-jin Hwang aus Seoul: Er hält Hanoks für den (etwa 42 Quadratmeter) großes Haus gewählt. Der Hanok idealen Baustein für ein nachhaltigeres Bauen in Seoul, von 1936 dient einem frisch vermählten Ehepaar und wenn es gelänge, diese Bautypologie in die Höhe zu bringt das „traditionelle Ambiente eines Hanoks sowohl führen und mehrgeschossige Hanoks zu entwerfen. Diese in Spannung wie auch in Harmonie zur Moderne“, wie der „Über-Hanoks“ könnten das explosionsartige, flächenmä- Architekt sagt. Selbst auf kleinstem Raum entfaltet sich ßige Stadtwachstum in Seoul reduzieren. In der Architek- im philosophisch inspirierten Hanok ein ungewöhnlicher tur kann das Beharren auf hergebrachten Bauformen der räumlicher Reichtum: Der offene Grundriss mit kleinem Schlüssel zu einem „Schatz“ an räumlichen Qualitäten sein: Schlafraum und Bad und einem L-förmigen Wohn-Speise- Das Hanok als identitätsstiftende und unverwechselbar Raum mit Küche hat Sitzgelegenheiten auf dem Boden koreanische Bauform könnte in den Händen von mutigen und auf Sitzmöbeln, wie man es im Westen gewohnt ist. und kreativen zeitgenössischen Architekten nach Willen Im Dachstuhl hat der Architekt einen Lese- und Ruheraum von Hwang neu entdeckt und entworfen werden: Um die eingerichtet, in dem man unter einem traditionellen ko- einseitige Betrachtung von Hanoks als „bloßem histori- reanischen Dach in Ruhe lesen und sich der „Philosophie“ schem Kulturschatz“ zu überwinden, muss man die heuti- (oder anderen Texten) widmen kann. gen Wohnbedürfnisse genauer studieren, fordert Hwang: Der bodenständige koreanische Esprit des „Silsagusi“ Zwar lässt sich von Berlins neuester architektonischer könnte auch der koreanischen Architektur auf die Sprünge Errungenschaft, dem Pavillon am Potsdamer Platz, aus kein helfen: Traditionen sollen schließlich nicht um ihrer selbst Naturschauspiel bewundern, wie sonst bei koreanischen willen künstlich als bloßer Stil am Leben gehalten werden, Jeongja üblich, jedoch ist auch der Berliner Pavillon ein sondern müssen funktionieren. Pragmatisches Denken Ort der Einkehr und der Besinnung, von dessen erhöhtem hatte das „Hanok-Dorf“ Bukchon seinerzeit auch entstehen Plateau aus es sich gut über die Grenzen, die Menschen lassen. Es war einst von gänzlich nostalgie-freien Ge- zwischen einander ziehen, kontemplieren lässt. schäftsleuten eilig gebaut worden.

Um den in Seoul stets knappen Baugrund effektiv zu nutzen und auch moderne Computer-Heimarbeit in der Wohnung zu erleichtern, hat Hwang ein Terrassen-Haus entworfen, in dem kleine Gärten jeweils auf einem Teil der Dachfläche des Geschosses darunter angeordnet sind. Wohnen und Arbeiten sollen in diesem „Gebäude wie eine Schichttorte“ (Hwang) ganz selbstverständlich gleichzei- tig möglich sein. Hwang träumt von fünfgeschossigen Hanoks aus Holz, Stahlrahmen und Beton. Er versteht sich als Architekt eines ganzen Stadtquartiers, der über den Tellerrand eines Einzelgebäudes hinausschaut und den städtebaulichen Kontext im Blick hat. Für Hwang Doo-jin bleibt es eine Lebensaufgabe, Hanoks „aus der Denkmalpflege-Ecke herauszuführen“ und stattdessen zur Grundlage einer neuen städtischen Architektur in Korea zu machen.

Das „Mumuheon” genannte Haus im Bezirk Jongno-gu von Seoul, das Hwang Doo-Jin 2005 entworfen hat, stand am Beginn dieser neuen Entwicklung, die „Tradition wieder wachzuküssen“, wie Hwang es nennt. „Mumuheon” bedeutet „Haus des Nichts”. Aus einem einfachen Hanok aus den 30er Jahren hat Hwang ein kombiniertes Wohn- haus, Studio und Mini-Museum für Holzmöbel gemacht. Schlafraum, Daecheong, Bad und Küche wurden um einen Gartenhof ergänzt. Heizung und Beleuchtung des privat Foto: Mumuheons sind modern, auch Telefon und moderne Ulf Meyer ist ein Architekturkritiker aus Berlin, derzeit als Hausgeräte wurden eingeführt, ohne den Charakter des » Professor an der Tamkang University in Taiwan tätig. Hauses zu stören. Gerade erst im letzten Jahr fertiggestellt Im Antaeus Verlag ist sein SEOUL ARCHITEKTURFÜHRER wurde Hwangs neuestes Hanok in Seoul: Er heißt „Eaves of erschienen.

KULTUR KOREA / 13 TRADITIONELLE ARCHITEKTUR KOREAS

DER KOREANISCHE PAVILLON SANGNYANGJEONG IN DEN ANLAGEN DES PALASTES CHANGDEOKGUNG

Der Pavillon SangNyangJeong mit dem kreisförmigen Tor Manwolmun im Hintergrund Von Cho In-Souk, Architektin

er „Pavillon der Einheit“, der auf dem Potsdamer man die sich ständig wandelnde Natur beobachten kann. Platz in Berlin errichtet wurde, ist dem Pavillon DSangNyangJeong in den Anlagen des Palastes Der Pavillon SangNyangJeong, der auf einer Anhöhe hinter Changdeokgung in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul der Halle Nakseonjae steht, erzielt eine Harmonie mit den nachempfunden. noch erhalten gebliebenen Gebäuden der Nakseonjae-Hal- (welche auch die angrenzenden Seokbokheon1- und Die Pavillons im hinteren Garten dieses Palastes aus dem Sugangjae2-Hallen umfasst) und ermöglicht einen schönen Joseon-Reich (1392-1910) haben eine unterschiedliche Blick auf die Landschaft. Der SangNyangJeong wurde als Entstehungsgeschichte, weisen eine Vielfalt an Formen sechseckige Holzkonstruktion auf einem hohen Grundstein auf und wurden über einen langen Zeitraum genutzt. Am aus Granit errichtet. Er war zunächst als „Cheonji Jangnam Palast Changdeokgung und seinem hinteren Garten, die Jigung“ („die Residenz des Kronprinzen in Himmel und 1997 Aufnahme in die Weltkulturerbeliste der UNESCO Erde“) bekannt. Man geht davon aus, dass der sechseckige fanden, wurden während des Joseon-Reiches über 110 Pa- Pavillon Mitte des 19. Jahrhunderts in der Ära von König villons errichtet. Heute sind noch etwa 40 davon erhalten Heonjong (1827-1849) erbaut wurde. Das Schild mit dem geblieben. Auch wenn sie sich bei flüchtigem Hinsehen ursprünglichen Namen des Pavillons, „Pyeongwonru“ (im ähneln, gibt es nicht einen Pavillon, dessen Form der eines Besitz des National Palace Museum of Korea), wurde aus anderen völlig gleicht. Dies ist auf den jeweiligen Ent- einem Grund, der nicht näher bekannt ist, irgendwann stehungshintergrund, den Standort, die Präferenzen des ausgetauscht und durch ein Schild mit dem jetzigen jeweiligen Königs und andere Faktoren zurückzuführen. Namen, „SangNyangJeong“, ersetzt. Es heißt, dass das Wort Der Unterschied zwischen koreanischen und westlichen „Pyeongwonru“ auf dem Schild sowohl von König Gojong Pavillons besteht darin, dass koreanische Pavillons nicht (1852-1919) als auch von dem Kalligrafen Weng Shukun „wie mit dem Lineal geplant“ waren. Anders als in der stili- (1786-1815), dem Sohn von Weng Fanggang (1733-1818)3 sierten westlichen Gartenkunst wurde in Korea ein Pavillon aus dem Qing-Reich, per Hand geschrieben worden sein an einer Stelle erbaut, an der die natürliche Umgebung am könnte, der in freundschaftlicher Beziehung zu dem besten zur Geltung kam. Indem das Bauwerk möglichst berühmten koreanischen Literaten „Chusa“ Kim Jeong-hui kleine Maße hatte, wurde die Wirkung der Natur, die der (1786-1856) stand. Mensch von dort erleben konnte, maximiert: Je nach Licht- verhältnissen und Jahreszeit ließ die Natur von Augenblick Lassen Sie uns die Architektur des SangNyangJeong näher zu Augenblick ein völlig unterschiedliches Bild entstehen. betrachten, der aus den Materialien Stein, Holz und Toner- So besitzt ein traditioneller viereckiger Pavillon (Samo- de mit althergebrachten Techniken innerhalb der Palastan- jeong) vier Sichtfelder und ein traditioneller sechseckiger lage errichtet wurde: Pavillon (Yukmojeong) sechs Sichtfelder, von denen aus

1 Residenz für die Konkubine des Königs (zwischen der Residenz des Königs und der Residenz seiner Mutter) Cho In-Souk Foto: 2 Residenz der Königinmutter 3 Weng Fanggang: chinesischer Philosoph, Kalligraf, Schriftsteller und Sammler 14 / KULTUR KOREA Der Grundstein und die hexogonale steinerne Plattform Das sechseckige Ziegeldach wird durch eine Spitze na- des Pavillons bestehen aus Granit. Auf die erste steiner- mens Jeolbyeongtong abgeschlossen. Für das Dach wurde ne Plattform wurde eine zweite gesetzt. Am Fuß ist die eine Sutgiwa („Mönch“) genannte Ziegelform verwen- Plattform mit Sand, Lehm und Kalk ausgefüllt. Die Höhe det, die mit einer Glasur in der Farbgebung Mittelasiens der sechs steinernen Säulen (Juchoseok) beträgt nach überzogen ist. Auf diese Weise wurde eine etwas exotische historischen koreanischen Maßen 6 Ja4 6 Chi5 (1,98 m). Der Wirkung erzielt. Diese Farbigkeit wird heute als Hinweis auf untere Teil der Säulen hat eine Dicke von 6 Chi 6 Pun6, was den kulturellen Austausch in der damaligen Zeit gedeutet. etwa einem Zehntel der Säulenhöhe entspricht. Im oberen Die Abschlussziegel – Ammaksae (halbmondförmiger Bereich verjüngen sich die Säulen, was nicht nur eine Stabi- Abschlussziegel, „Nonne“) und Sumaksae (runder Ab- lisierungsmaßnahme ist, sondern auch der Ästhetik dient. schlussziegel, „Mönch“) – besitzen alle die unterschiedlichs- ten Abbildungen wie Spinnen, Drachen und Zeichen für Die Stützenzone, die den mittleren, eigentlichen Teil des Langlebigkeit. Sie gelten als Symbole für ein langes Leben, Pavillons ausmacht, besteht aus hölzernen Säulen und Freude und Glück. Türen. Der Säulenabstand beträgt nach damaligen Maßen 7 Ja (ca. 2,145 m), und die Säulen sind ebenfalls sechseckig. Der Dachstuhl besteht aus einem Zweikonsolensystem. Die Papierschiebetüren an den sechs Seiten des Pavillons In historischen Schriften spricht man von „Dapo Yang- sind in jeweils vier Elemente unterteilt. Die Holzrahmen sik“ (Form mit mehreren Konsolensystemen). Zwischen der Papierschiebetüren sind gitterförmig. In sie wurde ein den Säulen verläuft ein horizontaler Verbindungsbalken Muster integriert, das zwei Kreise darstellt, die einander (Changbang), aber darüber fehlt ein weiterer horizontaler überschneiden. Das Muster stellt zwei ineinander ver- Verbindungsbalken (Pyeongbang), was eher ungewöhn- schlungene Geldstücke dar, die für Reichtum und Ruhm lich ist; denn dieser zweite Balken findet sich bei vielen stehen. Das Innere des Pavillons ist mit einem Holzdielen- traditionellen koreanischen Pavillons. Die erste Schicht von boden (Maru) ausgelegt, der ein rautenförmiges Muster Pfetten, welche die Dachsparren unterstützen, hat eine hat. Um die Außenseite des Pavillons verläuft ein Steg aus runde Form. Über der Schicht mit den runden Pfetten gibt Holzdielen, der von einer Balustrade mit Stützelementen es noch eine weitere mit eckigen. Dieses Zweischichtensys- in Hahnenkammform eingefasst ist. So sollte der beeng- tem verleiht dem Dach des Pavillons eine helle und heitere te Raum im Pavilloninneren erweitert werden, um ein Ausstrahlung. Sicherheitsgefühl zu vermitteln und die Ästhetik des Baus zu erhöhen. Als Besonderheit befindet sich im Inneren des An den Laub- und Obstbäumen in der Nähe des Pavil- Pavillons eine Eingrenzung mit Gittermuster, die „Gyoran“ lons SangNyangJeong sprießen je nach Jahreszeit Blüten genannt wird. Wenn man die unterteilten Türen öffnet, hat und reifen Früchte. Himmel, Pavillon, Bäume und Mauer diese Eingrenzung die Funktion eines inneren Geländers. bilden eine perfekte Einheit. Das auffälligste Merkmal So wird der Raum visuell vergrößert, und gleichzeitig wird des Pavillons SangNyangJeong sind das Tor Manwolmun ein zusätzliches Gefühl der Sicherheit erzeugt. An den („Vollmondtor“, steht für den Himmel) und die traditionelle Balustraden mit Stützbalken in Hahnenkammform gibt „Blumenmauer“, eine mit Blumenmustern verzierte Mauer. es durchbrochene Zierelemente, die in Korea „Auge des Während in Wäldern gewöhnlich die Natur die natürliche Elefanten“ genannt werden. An der unteren Kante des Pa- Umgrenzung von Pavillons bildet, ist der Pavillon Sang- villoncorpus befindet sich eine hölzerne Zierleiste namens NyangJeong, der auf einer Anhöhe steht, von einem künst- Nakyang, die ein Verziehen des Holzes verhindern sollte lichen Bauwerk in Form dieser Mauer umgeben, welche die und für eine räumliche Harmonie sorgt. Jahreszeiten und die Natur symbolisiert. Es scheint, dass auf diese Weise das räumliche Empfinden des Pavillons Die Holzdecke im Inneren des SangNyangJeong weist von noch deutlicher hervorgehoben wird. allen Decken sechseckiger Pavillons aus der Joseon-Zeit das präziseste Design auf. In die Kassettendecke wurden 12 (Übersetzung aus dem Koreanischen rautenförmige Holzelemente eingefügt. Bei der Konstruk- ins Deutsche: Gesine Stoyke) tion des SangNyangJeong wurden von den Säulen bis zur Decke genaueste geometrische Berechnungen angestellt, und durch die Muster wurde dem Gebäude eine symbo- lische Bedeutung verliehen. In den Deckeneinfassungen finden sich Muster von Fledermäusen, Pfirsichen und

Bulsugam (ein Zitrusbaum, welcher der Hand Buddhas privat Foto: ähnelt). Die sechs Holzelemente am Rand sind mit Wolken und einem Drachen mit Geweih verziert, und die sechs in Dr. Cho In-Souk ist Architektin und Vorsitzende von der Mitte mit Wolken und zwei Kranichen, die sich gegen- » DaaRee Architect & Associates, Seoul. Darüber hinaus ist sie überstehen. internationale Co-Direktorin des Arbeitsprogramms „Cultural Identity – Architectural Heritage“ der Union of International Architects (UIA). 4 Koreanische Fuß 5 Koreanische Zoll 6 Alte koreanische Maßeinheit KULTUR KOREA / 15 KALEIDOSKOP

E T E R 0 K I L O M 1 4 . 4 0 QUER DURCH ASIEN UND EUROPA Der Eurasien-Freundschaftszug beendet seine Reise in Berlin

Von Gesine Stoyke, Redaktion „Kultur Korea“

er Abend des 30. Juli war wolkenverhangen der Reise blieb ein Wermutstropfen: und relativ kühl. Eigentlich war es ein Tag wie Aufgrund der Teilung der koreani- Djeder andere am Berliner Hauptbahnhof - schen Halbinsel musste der Strecken- Pendler und Fernreisende hasteten zu ihren Zügen abschnitt, der durch nordkoreani- – wäre da nicht auf der Anzeigetafel von Gleis 13 ein sches Territorium führte, ausgespart Hinweis zu lesen gewesen, der eine Abweichung werden. 1945 wurde die koreanische vom normalen Fahrplan ankündigte: „Zug endet hier Halbinsel in eine amerikanische und – Sonderzug von Warszawa Wschodnia – Bitte nicht eine sowjetische Besatzungszone einsteigen!“. geteilt, was 1948 die Entstehung von zwei getrennten Staaten nach sich Über 14.000 km hatte der Eurasien-Freundschaftszug zog. 2015 begeht Korea nicht nur den 70. Jahrestag zurückgelegt, bevor er am Donnerstag, den 30. Juli, der Unabhängigkeit von japanischer Kolonialherr- um 19.46 Uhr im Bahnhof der deutschen Hauptstadt schaft, sondern auch den 70. Jahrestag der Teilung eintraf. Darin saßen 200 Passagiere aus Korea. Sie des Landes. Aus diesem Anlass wurde der Eurasi- hatten ihre Expedition im Süden der koreanischen en-Freundschaftszug auf die Gleise geschickt, ein Halbinsel begonnen und waren über China, die Projekt des Außenministeriums der Republik Korea Mongolei, Russland und Polen bis nach Deutschland und der südkoreanischen Eisenbahngesellschaft gereist. Ebenfalls mit an Bord: der Außenminister der KORAIL. Mit der Zugreise sollte der Wunsch nach Republik Korea, Yun Byung-se, und die Präsidentin Frieden und Wiedervereinigung auf der koreani- der Korea Railroad Association (KORAIL), Dr. Choi schen Halbinsel und nach einer stärkeren Verbin- Yeon-hye; sie waren allerdings nur einen Teil der dung zwischen Asien und Europa sichtbar gemacht Strecke mitgefahren. Auf dem Bahnsteig wurden sie werden. vom Botschafter der Republik Korea in Deutschland, S.E. Lee Kyung-soo, einem Vertreter des Landes Berlin Korea blickt auf Deutschland, das im vergangenen und einem Repräsentanten der Deutschen Bahn Jahr den 25. Jahrestag des Mauerfalls und in die- empfangen. Ein koreanisches Mädchen in Landes- sem Jahr den 25. Jahrestag der Wiedervereinigung tracht überreichte Blumen. Es folgten Fotosessions zelebrierte. So war es nur natürlich, dass die Organi- und Willkommensreden. satoren der Reise als Endstation Berlin wählten - die Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands im Trotz aller Freude über den gelungenen Abschluss Herzen Europas.

16 / KULTUR KOREA E T E R 0 K I L O M 1 4 . 4 0

Abend des 31. Juli: Festakt am Brandenburger Tor aus Anlass der Ankunft des Eurasien-Freundschaftszuges in Berlin

Am 14. Juli hatten die Expeditionsmitglieder des nent - sind etwa 70 Prozent der Weltbevölkerung an- Eurasien-Freundschaftszugs am Bahnhof Seoul an ei- gesiedelt. Der Kontinent umspannt zwölf verschiede- ner Auftaktveranstaltung teilgenommen.1 Ihre Reise ne Zeitzonen und ist die Wiege antiker Zivilisationen, begann jedoch nicht an besagtem Bahnhof mit dem die durch den Austausch entlang der Seidenstraße Zug, sondern am Internationalen Flughafen Incheon gefördert wurden. Mit der Reise, welche das Netz mit dem Flieger: Eine Gruppe brach nach Peking auf der Transsibirischen Eisenbahn, der Chinesischen und die andere nach Wladiwostok - dort erfolgte Eisenbahngesellschaft und der Transmongolischen der Umstieg in die Bahn mit dem Reiseziel Irkutsk. Eisenbahn miteinander verband, wurde die Idee der In Irkutsk trafen sich die beiden Teams wieder, um Seidenstraße mit neuem Leben erfüllt. gemeinsam auf dem Schienenweg über Warschau bis nach Berlin zu reisen. Ihre Fahrt führte sie durch Fast 20 Tage hatte die Reise quer durch den eurasi- verschiedene asiatische und europäische Länder. schen Kontinent gedauert, die am 30. Juli in Berlin An den einzelnen Zwischenstopps gab es Festivals, endete. Die Expeditionsteilnehmer/innen bildeten Empfänge mit Regierungsvertretern, Exkursionen zu einen Querschnitt der koreanischen Gesellschaft: historischen Orten, Konzerte, Ausstellungen und vie- Ganz normale Bürger saßen neben Regierungsver- les mehr – mit dem Ziel, die Freundschaft zwischen tretern, Repräsentanten des Wirtschaftsbereichs den Zugreisenden und den Menschen an der Strecke neben Mitarbeitern der Medienbranche. Unter den zu stärken und für die Wiederbelebung Eurasiens zu Zugreisenden waren Künstler, Nachkommen von werben. In Eurasien – ein geografisch-geologischer Aktivisten der koreanischen Unabhängigkeitsbe-

Fotos: Koreanisches Kulturzentrum Koreanisches Fotos: Begriff für Asien und Europa als ein geeinter Konti- wegung, Koreaner, die als Bergarbeiter oder Kran- 1 Eigentlicher Ausgangspunkt der Reise waren die südkoreanischen Hafenstädte Busan und Mokpo.

KULTUR KOREA / 17 Koreanisch-deutsches Orchester mit Sängerin Jo Sumi (li.); nach Konzertende wird eine riesige koreanische Flagge (Taegeukgi) entrollt (Mitte); Pianist Paik Kun-Woo (re.).

kenschwestern in Deutschland gearbeitet hatten, Halbinsel und ist für die Menschen aus dem Süden Studierende und Menschen, die die Sprache der ein unerreichbarer Ort der Sehnsucht. bereisten Länder beherrschten. „Ich hoffe, dass der Tag kommen wird, an dem Süd- Den Abschluss des Projekts bildeten am 31. Juli ein und Nordkorea wiedervereinigt sind und an dem Forum über die koreanische Wiedervereinigung für man einen Zug besteigen kann, der im südkoreani- koreanische und deutsche Studierende, ein Friedens- schen Busan aufbricht, Nordkorea durchquert und in marsch von der Siegessäule bis zum Brandenburger Berlin ankommt!“ Diese Ansage der beiden Modera- Tor und ein Festakt auf dem Pariser Platz vor eben toren des Festaktes in koreanischer und deutscher jenem Tor. Für den Festakt am Brandenburger Tor, Sprache fand bei den über 500 anwesenden Gästen einem Symbol für die deutsche Teilung und Wieder- große Zustimmung. Sollte die koreanische Wieder- vereinigung, war ein koreanisch-deutsches Orchester vereinigung Wirklichkeit werden, könnten tatsäch- engagiert worden, das sich aus 70, in Deutschland lich Züge von den südkoreanischen Städten Busan wohnhaften, koreanischen und deutschen Musi- und Mokpo ohne Unterbrechung bis in die deutsche kern und Musikerinnen zusammensetzte. Ganz im Hauptstadt fahren. „Natürlich sind wir Koreaner be- Zeichen der Völkerverständigung zwischen den müht, die Nord-Süd-Verbindung innerhalb Koreas zu beiden Nationen wurden vor allem koreanische und öffnen, die Wiedervereinigung zu erreichen und den deutsche Werke gespielt, abwechselnd dirigiert von Eurasien-Freundschaftszug eines Tages ungehindert dem koreanischen Dirigenten Jee Joongbae und seinen Weg über den Kontinent antreten zu lassen“, dem deutschen Dirigenten Jürgen Bruns. Unter den sagte Botschafter Lee Kyung-soo in einem Interview Gästen waren der Außenminister der Republik Korea, (Frankfurter Rundschau, 25.07.15). „Um dieses Ziel zu der Botschafter der Republik Korea in Deutschland, erreichen, möchten wir Vertrauen schaffen und hof- der ehemalige Präsident des südkoreanischen fen auch auf Unterstützung von deutscher Seite.“ Parlaments, Gang Chang-hui; der Gouverneur der Provinz Nord-Gyeongsang, Kim Kwan-yong; der Das Konzert endete mit dem Entfalten einer riesigen erste demokratisch gewählte und zugleich letzte koreanischen Flagge und dem gemeinsamen Singen Ministerpräsident der DDR, Lothar de Maizière; des Liedes „Uri-ui Sowon-eun Tongil“ (,우리의 소원은 통 der stellvertretende Leiter der Konzernpressestelle 일‘: ,Unser Wunsch ist die Wiedervereinigung‘), bevor Deutsche Bahn, Achim Stauß, und die Passagiere des die Passagiere des Eurasien-Freundschaftszugs den Eurasien-Freundschaftszugs. Als Interpreten traten Bus bestiegen, der sie zu ihrem Hotel brachte. die Sopranistin Jo Sumi, der Pianist Paik Kun-Woo und der Meister der koreanischen Perkussionskunst So ging eine symbolträchtige Reise zu Ende – mit Samulnori, Kim Duk Soo, auf. Mit dem Lied „Schönes dem Wunsch, dass die koreanische Wiedervereini- Geumgang-Gebirge“ verlieh Jo Sumi dem Wunsch gung in nicht mehr allzu ferner Zukunft liegen möge. nach einer Wiedervereinigung der koreanischen Halbinsel noch einmal Nachdruck. Denn das Geum- gang-Gebirge liegt im Norden der koreanischen

18 / KULTUR KOREA KALEIDOSKOP WIE DATE ICH IN KOREA RICHTIG?

Lee Myeong Gil war früher ein Casanova und jetzt, als Familienvater, berät er diejenigen, die keine Beziehungen finden

Von Sören Kittel

ee Myeong-Gil hat ganz weiße Zähne. Sie sind so weiß, dass sie aus seinem Mund hervorstrahlen. Das Lunterstreicht sein perfektes Äußeres: Das kurzärmli- ge Hemd spannt am Bizeps, die Frisur sitzt wie aus Stein gemeißelt perfekt auf seinem Kopf, und der Händedruck ist so fest und selbstsicher wie der stechende Begrü- ßungsblick. Alles an Lee Myeong-Gil stellt sich auf das Gegenüber ein, und das muss er auch, denn Verbindlich- keit, das ist sein Geschäftsmodell. Er weiß so viel über das Daten wie kaum ein anderer Südkoreaner außer ihm. Weiße Zähne sind dabei nicht so wichtig wie gesundes Selbstbewusstsein, sagt er: „Man sollte sich fragen, ob man selbst jemand ist, mit dem man ausgehen würde.“ Diese Frage sollte man jeden Tag mit „Ja“ beantworten.

Lee Myeong-Gil hat auch ein bisschen gut reden: Er hat mit 34 Jahren seinen persönlichen Wunschzettel kom- plett erfüllt: Er wollte eine Frau, eine Familie, ein Einkom- men über 100.000 Dollar im Jahr und ein Buch geschrie- ben haben. Gerade ist sein neuntes Buch erschienen, es handelt - wie alles in seinem Leben - vom Daten. All der Erfolg hat auch damit zu tun, dass Lee Myeong-Gils Dating-Agentur ihren Hauptsitz direkt an der Station „Gangnam“ hat, mitten im Zentrum seiner Zielgruppe, könnte man sagen. „Die meisten meiner Klienten sind weiblich, Mitte 30 und Single.“ Ihnen will er mit seiner Agentur „Duo“ helfen, den Partner fürs Leben zu finden. Mit Tricks, mit Kursen, mit Anleitungen und sehr vielen schlauen Sätzen. Mehr als 500 Fernsehauftritte haben bei ihm dazu geführt, dass er die wichtigsten Probleme der Frauen von heute schon im Schlaf wiederholen kann.

KULTUR KOREA / 19 Links: Dating-Coach Lee Myeong-Gil Rechts: Ein koreanisches Pärchen im „Love Land“ auf der Insel Jeju - ein Park mit 140 Statuen zum Thema Liebe und Sexualität. „Love Land“ ist ein beliebtes Ausflugsziel für Koreaner.

„Früher“, beginnt er, „bedeutete die Heirat das Ende für Korea oft ein Problem seien – sowohl beim Treffen als auch ein gesellschaftliches Leben der Frauen.“ Aber heute seien beim Chatten. „Manche Frauen schreiben zu oft SMS oder Koreanerinnen wirtschaftlich unabhängig. Das bedeute erwarten zu viel“, sagt er, „und Männer müssen lernen, auch: Sie brauchen den Mann nicht. Lee sagt: „Männer aber Komplimente zu verteilen.“ Sogar der Handschlag zu wollen nicht zum ‚Rollladen-Mann‘‚ werden.“ Das ist im Beginn des Abends ist etwas, das er seinen Schützlingen Koreanischen der abfällige Begriff für die Ehemänner, die erst beibringen muss. Genauso ist es mit Codewörtern, abends im Geschäft ihrer Frauen die Rollläden herunter- die selbst viele Koreaner noch falsch verstehen. Eines der lassen. „Ich rate meinen Klientinnen, dass sie zu Hause eine berühmtesten ist der Satz: „Möchtest Du mit mir Ramyeon kaputte Lampe nicht reparieren sollen, sondern einen be- (Nudeln) essen?“. Lee sagt, dass noch immer viele nicht freundeten Mann darum bitten – das schmeichelt ihnen.“ wissen, dass das eine Einladung zum Sex ist.

Daten, das ist in Südkorea weitestgehend noch immer eine Entstanden ist der Satz vor rund zehn Jahren, nachdem konventionelle Art, jemanden kennenzulernen. In seltenen eine Sängerin im Refrain immer wieder vom Nudeln-Es- Fällen passiert das in Kneipen oder auf Partys. Den meisten sen schwärmte. Seitdem sprechen Koreanerinnen auch Dates geht auch heute noch die Frage an die Freunde vor- offener davon, dass sie eine lose Beziehung zu einem ihrer an: „Kennst Du jemanden, der zu mir passen würde?“ Dann Freunde haben. Männer sagen dann, sie haben „Some“ gehen die beiden zusammen aus, und wenn es gut läuft, mit einer Frau. Das komme vom englischen Wort für „et- treffen sie einander wieder. Wenn nicht, fragt man weiter was“, man hat also „etwas miteinander“. Im Koreanischen im Freundeskreis – ab 30 beginnen auch die Eltern einen funktioniert das als Verb: Ich some, du somest, wir somen. Partner vorzuschlagen. „Sogaeting“ ist das koreanische Vielleicht geht man nur miteinander ins Kino oder man Wort für solch ein „Blind Date“, eine Art des Kennlernens, macht Pärchenfotos mit einem Selfie-Stick – oder trifft sich für die es inzwischen auch mehrere Apps gibt, allerdings in einem der vielen Liebeshotels, die es in jeder koreani- nur auf Koreanisch. Sie sehen meist ähnlich aus wie Tinder, schen Stadt gibt. Davon wissen darf nur niemand: Nicht nur mit kleinen Comic-Kätzchen als Symbole. umsonst schrieb der „New Yorker“ kürzlich über Seoul, dass die Stadt die Technik aus dem Jahr 2050 habe und die Dating-Coach Lee Myung-Gil bringt zunächst seinen Moralvorstellungen von 1950. Zwar werden hier die besten Klienten und Klientinnen bei, das richtige Maß zu finden Mobiltelefone der Welt hergestellt, aber Eltern enterben beim Flirten, also der Zeit vor dem Date. „Alle wollen daten, ihre Töchter, wenn diese mit ihrem Freund unverheiratet aber niemand hat ihnen die richtigen Regeln beigebracht.“ zusammenziehen. Er sagt, dass Smalltalk und langsames Kennenlernen in Fotos: Sören Kittel Sören Fotos:

20 / KULTUR KOREA Lee kennt diese Einschränkungen seiner Kundinnen und Gangnam, wo das Büro steht, ist dafür der perfekte Ort. Kunden, hat selbst in seiner Jugend genug angestellt. „Ich Nirgendwo sonst im Land ist ein Ort mit mehr Hoffnung war früher ein Casanova und lebe jetzt wie der Dalai Lama.“ aufgeladen: Hier laufen viele junge, gutaussehende Er habe in seiner Jugend leicht Frauen zu einem Date Menschen durch die Straßen, lassen sich operieren, um überreden können, jetzt konzentriere er sich darauf, seinen mitzuspielen bei den von Natur aus Schönen, und hier Kindern ein guter Vater zu sein. Als er sich nach seinem in Gangnam sieht auch die Kleidung noch teurer aus, als Studium dann überlegte, was er am besten kann, dachte ohnehin schon in vielen Teilen Seouls. Der „Gangnam er: Frauen kennenlernen. So kam er in die Partner-Agentur Style“ ist Lee natürlich bekannt, das Lied von PSY, das die und stellte sich als Paartherapeut vor, sagte, er kenne sich Oberflächlichkeit der Koreaner kritisiert. Und ja, er achte mit allen Altersklassen und Gesellschaftsschichten aus. auf sein Äußeres, pflegt sich, putzt seine Zähne und macht Doch der Chef wies ihn ab. Lee ging auf die Herren-Toilette regelmäßig Sport. Doch Gangnam erinnert auch ihn und verteilte seine Visitenkarten an jeden der Liebes- immer daran, dass es letztlich eben doch nicht nur das Äu- suchenden, der dort vorbeikam. Das bemerkte der Chef - ßere ist, das zählt: „Viel wichtiger ist gerade hier bei all der und stellte ihn schließlich ein. Ablenkung in Gangnam das konzentrierte Zuhören.“ Auch das müsse er seinen Klienten immer wieder sagen: „Stellt Seitdem unterrichtet er Singles im richtigen Daten. Bei Lee das Mobiltelefon aus!“ Schon allein deshalb wird er noch Myeong-Gil gibt es Regeln für das perfekte Rendezvous: viel Arbeit haben in den nächsten Jahren. „Genauso wie wir „Am besten sollte es immer Donnerstag gegen Sonnen- essen und schlafen müssen, müssen wir lieben – und dafür untergang stattfinden, so gegen 18.30 Uhr.“ Donnerstag müssen wir daten, zum Glück.“ sei einerseits nahe am Wochenende, aber noch nicht mit den privaten Terminen vom Samstag belastet, und bei Sonnenuntergang scheine das Licht am sanftesten auf das Gesicht. Studien hätten gezeigt, das beste Date dauere zwei Stunden und 27 Minuten durchschnittlich. Doch auch wenn es kürzer sei, müsse man sich noch keine Sorgen machen. Frauen müssen nicht pünktlich sein und Männer müssen warten können. Dann spricht Lee von der Sitz- haltung („möglichst mit der Wand im Rücken“, sodass der Gesprächspartner möglichst wenig Ablenkung hat), vom Alkohol (wenig, auf keinen Fall Soju-Schnaps) und schließ- lich von Themen, die vermieden werden sollten: Compu- terspiele für Männer und Kinderwunsch für Frauen. „Die

Rechnung bezahlt nach wie vor der Mann und den Kaffee privat Foto: danach inzwischen meist die Frau“, sagt Lee Myeong-Gil. Sören Kittel war freier Journalist in Aber weil in Korea die Dessert-Cafés inzwischen aufgerüs- » Südkorea und ist derzeit Redakteur der tet haben, ist der Unterschied inzwischen meist minimal. Funke-Mediengruppe in Berlin.

KULTUR KOREA / 21 KALEIDOSKOP SCHAUSPIELSTUDIUM AUF KOREANISCH Von Anna Rihlmann 1

m Rampenlicht stehen. Auf der Bühne, vor der Kamera um, sah auf den grauen Gebäudeklotz und dachte: Hier – viele junge Menschen auf der ganzen Welt teilen den will ich hin. ITraum vom Beruf des Schauspielers/der Schauspielerin. Ich bin eine davon! Diesen Entschluss teilte ich mit rund 5000 Bewerbern, die sich jährlich für die Aufnahmeprüfung an der KARTS Jetzt studiere ich Schauspiel an der KARTS – der Korea anmelden. Dementsprechend schwer sind auch die Prü- National University of Arts in Korea - im ersten Semester. fungen. Dank der hilfreichen Tipps von Professor Park fing ich mit meinen Vorbereitungen an. Die Aufnahmeprüfung Während meiner Schulzeit in Kaiserslautern machte ich für den Masterstudiengang Schauspiel ist in drei Bereiche einige Schauspielerfahrungen im Schulunterricht und als unterteilt: eine schriftliche Bewerbung, einen Englisch-Test Statistin im Theater meiner Heimatstadt. Mein Interesse und eine praktische Prüfung. für Filme, vor allem für koreanische, war groß. So fing ich mein Studium der Medienwissenschaft und Koreanistik an Die schriftliche Bewerbung musste bis Ende September der Universität Tübingen an. Während meines Auslands- eingereicht werden. Mit großer Sorgfalt schrieb ich mein jahrs in Korea besuchte ich den Theaterclub und stand Motivationsschreiben, erstellte eine Bewerbungsmappe das erste Mal auf einer koreanischen Bühne – und wusste: mit meinen künstlerischen Leistungen, kopierte alle ange- Hier gehöre ich hin. Deshalb informierte ich mich über forderten Unterlagen und brachte alles mit klopfendem koreanische Schauspielschulen und entschied mich dafür, Herzen zum Bewerbungsbüro an der Universität. Dort nach Abschluss meines Bachelors zum Schauspielstudi- wurde mir gesagt, dass meine akademischen Nachweise um nach Korea zu ziehen. Korea bietet eine Vielzahl von so nicht akzeptiert werden könnten – es fehle die engli- Studiengängen an. Ich besuchte einige der bekannten sche Übersetzung und Apostille (ein vom deutschen Staat Universitäten und informierte mich in Gesprächen mit vergebener Beglaubigungsstempel), und zwar für jedes Professoren und dem Kollegium der Theaterwissenschaf- Dokument, angefangen vom Zeugnis der Grundschule! Die ten über die Aufnahmebedingungen, das Studium und das Zeit war knapp und ich verzweifelt. Unter Tränen versuchte Studentenleben. ich, die Büroangestellten um mehr Zeit zu bitten. „Eindeu- tig School of Drama, was?“, bemerkte die Verantwortliche Im Frühling 2014 sprach ich das erste Mal mit Professor und gab mir 2 Wochen Verlängerungsfrist. Nun begann für Sang-Ha Park von der Theaterabteilung der Korea National meine Eltern die Arbeit in Deutschland: Übersetzungen University of Arts. Das Büro im zweiten Stock war sehr anfertigen lassen, Apostillen besorgen. Alles musste auf klein, die Wand voll mit Theaterpostern. In den Bücherre- schnellstem Wege nach Seoul geschickt werden. So schaff- galen stapelten sich Bücher auf Koreanisch, Englisch und te ich die erste Hürde. Russisch - Professor Park hatte 5 Jahre lang in Russland Schauspiel studiert. Er führte mich in das Leben der KARTS Mit Selbstbewusstsein ging ich nun in die Englisch-Prü- ein: Organisatorisches, Inhaltliches und eine Handvoll fung Anfang November. Mit Englisch-Leistungskurs und Anekdoten. Anschließend begleitete mich ein Student aus viel Praxiserfahrung war ich mir sicher, ein gutes Ergebnis dem höheren Semester zu einer Tour über den Campus. zu erzielen – für die Masterstudenten zählt diese Prüfung Auf den Treppen probten zwei Studenten in mittelal- 30 Prozent. Selbstsicher lächelte ich die anderen Bewerber terlicher Aufmachung mit lauter Stimme Szenen – ich an, die nervös bis zum letzten Moment in ihren Vokabel- vermutete Shakespeare. Die Rasenfläche diente als Drehort heften und Grammatikaufzeichnungen blätterten. Ich las für einige Studenten der Filmabteilung. Die Atmosphäre die Prüfungstexte durch und freute mich, dass ich alles sprühte nur so vor Kunst und unterschied sich so sehr von verstand. Als ich dann aber die Aufgabenstellungen las, allen anderen Universitäten, die ich bisher besucht hatte. verging mir das Lächeln augenblicklich. „Übersetzen Sie Auf meinem Weg zur U-Bahn drehte ich mich noch einmal folgenden Abschnitt ins Koreanische“.

22 / KULTUR KOREA 1,3,4 Schauspielunterricht 2 Membership Training (MT) 2 3

Nach dieser zweiten großen Hürde war ich mir gar nicht oder Fernsehen mehr sicher, ob ich auf diese Universität wollte, die es ihren strengstens ver- Bewerbern so schwer machte. Ende November wurde ich boten. „Einwände? dann zur praktischen Prüfung eingeladen. An einem reg- – Dann mögen Sie nerischen Freitagnachmittag nahm ich den Bus zur Univer- sich exmatrikulie- sität und fand mich in einem Raum voll nervöser Bewerber ren.“ Besonders bei wieder. Komplett in schwarzer Trainingskleidung dehnten den Masterstuden- sich die schlanken Frauen und gut aussehenden Männer. ten handelt es sich Mit meinem kurzen Kleid fühlte ich mich etwas deplatziert um Schauspieler, die und versuchte in einer Ecke, provisorisch meine Schultern bereits viele prak- zu dehnen. Als letzte Bewerberin des Tages wurde ich mit tische Berufserfah- meiner Nummer aufgerufen. Im dunklen Klassensaal trat rungen mitbringen. ich in das Scheinwerferlicht. Sechs Professoren der Univer- Darunter auch viele 4 sität saßen vor mir. In der Mitte erkannte ich im Dunkeln Angewohnheiten das Gesicht von Professor Park. und Marotten. Um uns diese „auszutreiben“, sind im ersten Studienjahr keine Ferien vorgesehen, und die Ausbildung „Guten Tag, Bewerberin Nummer 2“, stellte ich mich vor wird am Stück durchgezogen. „Einwände? – Dann mögen und führte meinen eingeübten Monolog auf Koreanisch Sie sich exmatrikulieren.“ Nicht ein Mucks kam von den vor – eine Szene aus Anne Frank. Anschließend wurde Studenten. Auch ich machte mich seelisch darauf gefasst, mir ein Stuhl angeboten und ich wurde etwa 20 Minuten erst einmal nicht in die Heimat reisen zu können. Das interviewt. „Danke sehr, wir melden uns“ – und die letzte ist der Preis, den ich für meine Aufnahme an der KARTS Chance war vorüber. zahlen musste. Nach der offiziellen Einführung ging es zu einem weiteren wichtigen Teil der koreanischen Universi- Es folgten Wochen des Bauchkribbelns und Wartens - dann tätskultur über – dem Trinken! Das wird für gewöhnlich bei kam endlich Anfang Dezember der Anruf. „Wir freuen uns, einem verpflichtenden „MT - Membership Training“ zele- Sie als erste ausländische Bewerberin zum Masterstudien- briert. So fuhren wir mit unserem Studiengang in die Nähe gang Schauspiel an unserer Universität zu begrüßen.“ Ich Seouls und verbrachten zwei Tage in der Natur zum Ken- weinte. Und freute mich unglaublich auf das kommende nenlernen. Das war im Januar. Im Februar stand das MT mit Jahr. unseren vorangegangenen Semestern an, im März wurden auch die Alumni zum MT eingeladen, und im April unter- Noch vor Studienbeginn war ein Treffen für die Auser- nahm die komplette Abteilung der Theaterwissenschaften wählten vorgesehen. Professor Park begrüßte seine neue einen Ausflug in den Süden Koreas. Diese Reisen dienen Elf: Die Studenten des Masters-Schauspieljahrgangs 2015. den zwischenmenschlichen Beziehungen – besonders in Sechs Männer, vier Frauen und ich. Eine bunt gemischte der Schauspielbranche sind wir auf die enge Kooperation Gruppe im Alter von 23 bis 38 Jahren. Während manche mit ganz unterschiedlichen Menschen angewiesen – da ist schon im Bachelor Schauspiel studiert hatten, gab es auch es wichtig, diese Zusammenarbeit schon früh zu fördern. solche, die Jura, Anglistik, Französisch studiert hatten. Und außerdem macht es Spaß.

Auch ein Militärgeneral gehört zu unserer Gruppe. Profes- Anfang März begann nun der Unterricht. Der Stundenplan sor Park klärte uns über die nächsten 3 Jahre Studium auf ist straffer als der eines Gymnasialschülers. Um 9.00 Uhr und verkündete schon vorweg einige Bedingungen: Für 3 beginnt gewöhnlich der Unterricht. Alle zwei Wochen Semester dürfen wir uns nur auf das Studium konzentrie- müssen um 8.00 Uhr die Klassensäle geputzt werden – das ren. Deshalb sind jegliche Tätigkeiten beim Theater, Film Schicksal der Erstsemester. Fotos: privat Fotos:

KULTUR KOREA / 23 Dafür ist der Lehrplan sehr abwechslungsreich: Auf dem diese oft einen Teil von Theaterstücken, Soap-Operas und Stundenplan standen Schauspielunterricht, Körperarbeit, Filmen bilden, werden die Studenten an der KARTS im Stimmbildung, Sprecherziehung, Gesang, Trommeln und Trommeln und Tanz ausgebildet. In den Ferien, die keine Tanz. Dazu kamen noch theoretische Fächer wie Film- und Ferien sind, steht ein zweiwöchiger Intensiv-Workshop Theatergeschichte, Dramaturgie und Drehbuchschreiben. der traditionellen Musik auf dem Plan. 6 Stunden am Tag Den Hauptteil bildet der praktische Schauspielunterricht. wurde getrommelt, getanzt und musiziert. Zur Aufführung Wir lernten bei Professor Park nach dem Stanislawski-Sys- waren die Professoren, Schulkameraden, Freunde und tem (russische Schauspielschule). Familien eingeladen. Und dann geht es schon wieder los mit dem Schauspielunterricht bei Professor Park. Russlands Schauspieltheoretiker Stanislawski sagte einmal, dass die Schauspielkunst nicht gelehrt werden kann, sie Das Studium an der Korea National University of Arts hat kann nur erlernt werden. Demnach lag es nun an unserem meine Erwartungen übertroffen. Ich kann nicht behaup- Fleiß und nicht am angeborenen Talent, uns im Unterricht ten, dass es leicht ist. Oftmals verfolgt mich mein auslän- zu beweisen. Volle Konzentration war gefordert. In den ers- discher Akzent, und das Heimweh nagt an mir. Jedoch bin ten Wochen ging es um die ganz essentiellen Elemente der ich sehr froh über die tolle Ausbildung, die ich genießen Schauspielkunst – Aufmerksamkeit, Rhythmik, Körperbe- darf, und freue mich schon auf das nächste Semester. herrschung. Szenen aus unserem Alltag führten wir auf der Bühne, dem heiligen Ort für uns Studenten, vor. „Schau- spielere nicht“, wurden wir oft von Professor Park ermahnt, der die Natürlichkeit auf der Bühne forderte. Zum Ende des Semesters fingen wir auch mit kleinen Szenen zu zweit an. So verbrachten wir in der Woche den Großteil unserer Zeit an der Universität mit Proben, Gesprächen und Vorberei- tungen. Für einen Nebenjob bleibt da keine Zeit. Freunde und Familie sahen wir mit etwas Glück am Wochenende, und besonders kurz vor den Prüfungen verbrachten wir auch das Wochenende an der Universität.

Auch die anderen Fächer waren sehr zeitintensiv. Bei Pro- fessor Nam lernten wir Körperarbeit. Fünf Jahre lebte der zierliche Professor mit den lustigen Augen in Frankreich und erhielt an der Schauspielschule von dem berühmten Pantomimen Marcel Marceau Unterricht. Mit vielen humor- vollen Anekdoten aus seinem Leben in Frankreich lernten wir Körperbeherrschung und waren nach den anstrengen- den Akrobatikübungen immer sehr erschöpft.

Für Schauspieler ist eine gute Stimmbildung und Aus- sprache von großer Bedeutung. Vier Stunden die Woche lernten wir somit nach der englischen ‚Alexander Technik’ von null an, unsere Stimme zu benutzen. Das fing mit dem richtigen Atmen an – allein dafür waren zwei Unterrichts-

wochen vorgesehen. Anschließend wurde uns das ‚richtige’ privat Foto: Aufstehen, Sitzen, Gehen gelehrt. Während des Unter- richts erfuhr man viel über sich selbst. So wurde ich auch Anna Rihlmann (koreanischer Name: 윤안나) im Alltag viel entspannter, Nacken, Rücken, Knie taten » machte ihren Bachelor der Medienwissenschaft und Koreanistik an der Eberhard-Karls-Univer- weniger weh, und wir hatten die Chance, mit Meditation sität Tübingen. Derzeit belegt sie als erste aus- jede Woche eine ‚Reise zu uns selbst’ zu machen. Dieser ländische Studierende den Masterstudiengang Zustand null ermöglicht einem dann als Schauspieler, sich Schauspielstudium an der KARTS. Sie wohnt mit in Zukunft in andere Rollen einzuarbeiten. ihrer Gastfamilie im Norden Seouls. Ihr Traum ist es, über Länder- und Sprachgrenzen hinweg Koreaner sind sehr stolz auf ihre traditionellen Künste. Da eine internationale Schauspielerin zu werden.

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FLIEGENDE TURTLE SHIPS SÜDLICH DER ELBE Hamburger Schachlehrer veranstaltet erstes Janggi-Turnier außerhalb Asiens

Von René Gralla

ie Fahne der Republik Korea neben einem Entsprechend zeigt sich Konsul Tong-Q Lee in seiner Be- schwarz-rot-goldenen Wimpel: Die beiden grüßungsansprache angenehm überrascht, ein derartiges DTischständer scheinen hinzudeuten auf bilaterale Event eröffnen zu dürfen: Das habe er in Hamburg „nicht Gespräche, die hier gleich beginnen. Und tatsächlich ist erwartet“, zumal jenes Janggi in der jungen Generation denn auch Konsul Tong-Q Lee von der konsularischen Ver- seiner Heimat bisher nicht gerade zu den Rennern gezählt tretung der Republik Korea in der Hansestadt persönlich habe. Ungleich populärer sind dort E-Games wie „Star- in Hamburgs südlichen Stadtteil Heimfeld geeilt, um die Craft II“. Bei Weltmeisterschaften räumen südkoreanische besondere Bedeutung dieses Tages zu unterstreichen. Computerstrategen regelmäßig ab, und wichtige Matches werden von den Fans vor riesigen Public Viewing-Screens Wobei das ein Dialog der ganz außergewöhnlichen Art ist, bejubelt. zu dem der 51-jährige Diplomat als Ehrengast geladen ist. Im Nebenflügel der Integrativen Grundschule Grum- Im Verhältnis zur digitalen Konkurrenz hat es das traditio- brechtstraße wird am ersten Freitag im Juli ein Turnier im nelle Janggi schwer. Obwohl das koreanische Schach - so koreanischen Strategiespiel „Janggi“ (장기) ausgetragen. die Einordnung nach der Spieltheorie, weil das Schicksal Und das ist eine echte Weltpremiere: Noch nie zuvor hat einer Führungsfigur über Sieg und Niederlage entschei- es einen vergleichbaren Wettkampf im „Janggi“, wie be- det - weniger angestaubt ist, als es die Teens und Twens sagter Denksport in der Landessprache heißt, außerhalb der K-Pop-Generation vermuten mögen. Zwar dürfte das Asiens gegeben. älteste Set vor Ehrfurcht gebietenden 800 Jahren gefer- tigt worden sein; denn im Wrack des 2010 entdeckten Foto: DörteFoto: Adler

Janggi-Turnier in der Integrativen Grundschule Gumbrechtstraße in Hamburg KULTUR KOREA / 25 Mado-Schiffes, das 1208 vor der Westküste Koreas sank, Grumbrechtstraße, und das ist einmalig in Deutschland. wurden neben Keramiken und den Resten einer Getrei- Die Heimfelder Mädchen und Jungen sind begeistert und deladung auch Janggi-Steine in der Form abgerundeter haben auch für den Wettkampf am 3. Juli 2015 wochen- Kiesel gefunden. Jedoch ist Koreaschach andererseits lang trainiert. gewissermaßen die reformierte Ausgabe eines deutlich betagten Vorgängers: Das ist Chinas „Xiangqi“, vermutlich Konsul Tong-Q Lee startet die erste Runde, indem er stell- um 200 vor Christus entstanden und später adaptiert vertretend für einen der jungen Kandidaten den Auftakt- von den Koreanern, die den Import radikal modernisiert zug am Brett ausführt. Anschließend wird entschlossen haben. losgeklackt: Virtuos setzen Jürgen Woscidlos Schützlinge ihre Steine, und die Kids scheint es überhaupt nicht zu Vor allem die Elefantentruppe, deren Radius sich im stören, dass im Janggi keine Figuren, die auch für Laien Xiangqi-Original wegen eines auf dem Brett markierten verständlich sind, sondern mit koreanischen Schriftzei- Grenzflusses auf 50 Prozent des Spielfeldes beschränkt, chen markierte flache Plättchen zum Einsatz kommen. ist im Janggi zu einer echten Macht aufgestiegen und Die Schüler zocken, als wäre das Spielmaterial so simpel kann überall zuschlagen. Außerdem haben die kreativen gestaltet wie „Mensch ärgere Dich nicht“-Pöppel, und Koreaner die Beweglichkeit des Generals - entspricht dem Konsul Tong-Q Lee ist beeindruckt: „Ein guter Tag, der „König“ im internationalen Schach - und seiner Offiziere den Kulturaustausch zwischen Deutschland und Korea spürbar erhöht in der zentralen Zone, die als „Palast“ gilt. fördert.“ Beinahe futuristisch muten die Kanonen an, die ebenfalls zum Arsenal der Janggi-Armeen gehören. Sie nutzen Am Ende hängt Turniergewinner Konrad-Leo Adler, 10, eigene oder fremde Steine, die vor einem anvisierten Ziel- seine Verfolger Caner Kurt, 11, und den Drittplatzierten punkt liegen, als Rampen für flotte Raumsprünge. Haben und erst achtjährigen Adriano Americo ab. „Das ist ein die Schöpfer des Janggi etwa die Schriften von Leonardo hoffnungsvoller Anfang“, kommentiert Konsul Tong-Q da Vinci (1452-1519) studiert? Schließlich tüftelte das itali- Lee. Und er verspricht spontan, das ehrgeizige Folgepro- enische Universalgenie bereits in den Tagen der Renais- jekt des Hamburger Janggi-Pioniers Jürgen Woscidlo zu sance am Konzept eines Hubschraubers. Und Koreaner unterstützen: ein Online-Match zwischen Heimfeld und sind stets an der Spitze des Fortschritts marschiert, heute, einer Schule in Südkorea. im dritten Jahrtausend, aber auch gestern. Man denke nur an Admiral Yi Sun-sin, dessen revolutionäres „Turtle Ship“ Das Janggi ist in Deutschland angekommen. Und das (,Schildkrötenschiff‘, Koreanisch 거북선/Geobukseon), kann der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sein. eine Art früher Panzerkreuzer, Ende des 16. Jahrhunderts gegen die Japaner und deren Flotte tödliche Schläge austeilte.

Die Helikopter-Kanonen im Janggi sind, was ihre Mobi- lität und Durchschlagskraft betrifft, quasi die fliegenden „Schildkrötenschiffe“ des Nationalhelden Yi Sun-sin. Wer will da noch länger behaupten, Janggi sei hoffnungslos Old School? Abgesehen davon, dass sich in Südkorea, wo das eigene Schach bisher als Freizeitspaß für Rentner galt, neuerdings eine Trendwende anbahnt: ein Verdienst des Rappers Psy, der in einer kurzen Sequenz seines Megahit-Videoclips „Gangnam Style“ zwei Männer zeigt, die sich über ein Janggi-Brett beugen. Foristen in den so- zialen Medien fordern Stolz auf den Denksport der Ahnen ein, und das öffentlich-rechtliche Fernsehen KBS berichtet über wichtige Turniere.

Ein Revival des Janggi, zu dem das Hamburger Turnier perfekt passt. Organisator Jürgen Woscidlo, der neben dem klassischen Schach westlicher Provenienz auch exoti- sche Seitenlinien unterrichtet - im Angebot sind Thailands „Makruk“ oder Äthiopiens fast vergessenes „Senterej“ - , outet sich als leidenschaftlicher Anhänger des korea- privat Foto: nischen Strategiespiels: „Du kannst von Anfang an mit Dr. René Gralla, Rechtsanwalt und allen Figuren attackieren, das finde ich toll!“ Konsequenz: » freier Journalist aus Hamburg Janggi gehört jetzt zum Schachlehrplan an der Schule

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DAS XIV. DEUTSCH-KOREANISCHE FORUM Vom Han an die Warnow Von Rhan Gunderlach ls ob auch das Wetter sich von seiner besten Seite large, langjähriger Herausgeber der Wochenzeitung Die zeigen wollte, schien vom 15. bis zum 17. Juli die Zeit und einer der Gründungsväter des Deutsch-Koreani- ASonne über Rostock. Die koreanische Flagge wehte schen Forums, insbesondere für die koreanischen Teilneh- am Mast des Tagungshotels vor einem strahlend blauen mer einen Überblick über die aktuelle politische Situation Himmel. Pünktlich zum 18. Juli, dem Abreisetag, regnete in Deutschland. Für die deutschen Teilnehmer erläuterte es dann in Strömen, sodass die koreanischen Gäste einmal Kim Young-Hie, ebenfalls Editor-at-large der Tageszeitung mehr die Unbeständigkeit deutschen Wetters miterleben Joongang Ilbo, die Lage auf der südkoreanischen Halbinsel. durften. Erwartungsgemäß stand das innerkoreanische Verhältnis Rund 100 Gäste waren zum XIV. Deutsch-Koreanischen am Vormittag im Fokus des Forums. Sowohl der Botschaf- Forum in der Hansestadt an der Ostsee erschienen. Gut die ter der Republik Korea in Deutschland, Lee Kyung-soo, als Hälfte der Teilnehmer war aus Korea angereist. Vertreterin- auch der deutsche Botschafter in Südkorea, Rolf Mafael, nen und Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. verwiesen darauf, dass die Regierung unter Präsidentin Park Geun-hye trotz der Provokationen des Nordens (Rake- Der Auftakt fand im Barocksaal (siehe Bild oben) statt, im ten- und Nukleartests) auf Nordkorea zugehe. Botschafter Zentrum Rostocks, am Universitätsplatz gelegen, 1750 Lee Kyung-soo ging noch weiter und erklärte, Südkoreas erbaut, einer der schönsten Konzertsäle Norddeutsch- Regierungen, egal welcher Partei sie zugehörig sind/wa- lands. Ein würdiger Rahmen für die hochkarätigen Gäste, ren, hätten auf Signale eines Annäherungsversuchs aus die unter der Leitung der zwei Vorsitzenden, Frau Profes- dem Norden stets offen reagiert. Er erwähnte die Notwen- sor Kim Sun-Uk, und Herrn Hartmut Koschyk, MdB und digkeit der Vermittlerrolle deutscher Nichtregierungsorga- Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen nisationen und der deutschen politischen Stiftungen. Sie und nationale Minderheiten, zwei Tage lang zu relevanten könnten sich, im Gegensatz zu südkoreanischen Institutio- Fragen der bilateralen, deutsch-koreanischen Beziehung nen, in Nordkorea einbringen und Themen vorantreiben. diskutieren und sich austauschen sollten. Dr. Thomas Schäfer, deutscher Botschafter in der Demokra- tischen Volksrepublik Korea, erläuterte, dass die deutsche Nach der Eröffnung durch die beiden Vorsitzenden und Wiedervereinigung – genauer gesagt die Absorption der

Fotos: Rhan Gunderlach Fotos: nach den Grußworten gab Dr. Theo Sommer, Editor-at- DDR - als Modell von der nordkoreanischen Seite abge-

KULTUR KOREA / 27 tieren. Die EU, so der Vorschlag weiter, könnte als Gastgeber neutralen Raum für diese Dialoge bieten.

Die Ergebnisse des Juniorforums wurden von einem Delegations- team am zweiten Tag des Forums dem gesamten Plenum vorge- stellt und diskutiert. Die Empfeh- lungen des Juniorforums wurden den Regierungsoberhäuptern mit den Empfehlungen des

TeilnehmerInnnen am XIV. Deutsch-Koreanische Forum (15.-18.07.2015) Deutsch-Koreanischen Forums zugesandt. lehnt würde. Die Elite des Landes habe kein Interesse an einer Wiedervereinigung nach deutschem Vorbild. Den- Das Deutsch-Koreanische Forum war nach Einschätzung noch betrachte Nordkorea Deutschland als wichtigsten aller Teilnehmer ein großer Erfolg. In Zeiten von Inter- Ansprechpartner in Europa. net und digitaler Kommunikation mag man sich fragen: „Warum der Aufwand und so viele Personen in Rostock ver- Am Nachmittag diskutierten die Teilnehmer des Forums in sammeln“? In der Tat können Informationen auch digital vier Arbeitsgruppen zu den Themen „Wirtschaft“, „Migra- ausgetauscht werden. Aber keine virtuelle Kommunikation tion, Integration und nationale Minderheiten“, „Stand der vermag Menschen einander so nahezubringen, wie die Perspektiven der Kulturbeziehungen“, „Fortentwicklung persönliche Begegnung. Es ist ein offenes Geheimnis, dass der Koreanistik in Deutschland und der Germanistik in kleine Gesten, Mimiken oft mehr verraten als das Gesagte, Korea“. Außerdem wurde die Frage gestellt: „Wie können dass die Gespräche am Rande solcher Konferenzen manch- wir die jungen Generationen beider Länder für die Fortent- mal besser zur Verständigung beitragen als wohlformulier- wicklung unserer Beziehungen gewinnen?“. Die Resultate te Sätze und Stellungnahmen. Diese Wahrheit trifft auch der Diskussionen sollten in die Schlussdiskussion und in auf die Deutsch-Koreanischen Foren zu. Es ist bezeichnend, die Empfehlungen an die Regierungsoberhäupter Koreas dass sich zu Beginn des Forums die Teilnehmer förmlich und Deutschlands einfließen. begrüßen. Bei den Verabschiedungen am Ende werden Wie immer wurde jede Formulierung, jede Wendung disku- herzliche Umarmungen ausgetauscht und der Wunsch tiert und wohlüberlegt zu Papier gebracht. Üblicherweise geäußert, man möge sich im nächsten Jahr, beim nächsten geschieht dies unter dem Vorsitz und der Moderation Forum 2016, dann in Korea, Gyeongju, wiedersehen. durch die zwei Ko-Vorsitzenden. In diesem Jahr musste mit dieser Tradition gebrochen werden, da der deutsche Ko-Vorsitzende Hartmut Koschyk kurzfristig nach Berlin zu einer wichtigen, außerordentlichen Abstimmung im Bundestag gerufen wurde.

Parallel zum Deutsch-Koreanischen Forum fand das Junior- forum statt. 35 Studierende aus Korea und Deutschland waren zusammengekommen. Einladung und Auswahl waren durch die Freie Universität Berlin und die Ewha Womans University in Seoul erfolgt. Die Agenda sah fol- gende Themen vor: „Menschenrechte“, „Meinungsfreiheit“, Rhan Gunderlach ist als Kind nach Deutschland ge- „Friedens- und Sicherheitspolitik“ und „Lebensmittelsicher- » kommen und hat an der Ludwig-Maximilians-Universität heit“. Wie die „Senioren“ sollten auch sie diskutieren und München (LMU) Deutsch und Geschichte studiert. Sie Empfehlungen formulieren. war über zehn Jahre als Fernsehjournalistin u.a. für die Deutsche Welle und den ARD-Sender mdr sowie als Pres- Was den Dialog zwischen Süd- und Nordkorea anbelangt, sesprecherin bei der EXPO 2000 in Hannover tätig. Seit schlugen die Teilnehmer die Etablierung eines nordostasi- 2001 ist sie Mitinhaberin einer Agentur für Presse- und atischen Energiedialogs vor. Statt einer Fokussierung auf Öffentlichkeitsarbeit mit dem Schwerpunkt Internationa- sensible Sicherheitsfragen böte ein solches Format mit le Politik / Entwicklungspolitik. Seit 2009 ist sie Geschäfts- niedrigem Institutionalisierungsniveau die Gelegenheit, führerin der Deutsch-Koreanischen Gesellschaft. Sie energiebezogene Fragen auf regelmäßiger Basis zu disku- betreut das Deutsch-Koreanische Forum seit 2009.

28 / KULTUR KOREA KALEIDOSKOP NEUGEBURT IN KOREA DURCH KIM KEUM HWA Wie ich zur Schamanin wurde Von Andrea Kalff-Cordero ch bin der Bezeichnung nach Schamanin. Früher war remonie des Schamanenkongresses am Mondsee, wurde dies der Oberbegriff für Hebammen, Medizinmänner, ich von einem von Frau Kims Mitarbeitern nach meiner IRatgeber und Berater. Der Schamanismus ist die Wurzel Telefonnummer gefragt. Sie wolle in Verbindung mit für unser Wissen in der Medizin, wie wir sie heute kennen. mir treten, wurde mir gesagt. Skeptisch verweigerte ich Leider vergessen das viele Menschen und tun Schamanismus als „esoteri- schen Humbug“ ab. Einige Menschen, die mich konsultieren, waren zuvor bei Ärzten und oft auch bei Psycho- logen, die die Ursache ihres Leidens nicht finden konnten. Die Aufgabe des Schamanen ist es, eine Brücke zwischen Leben und Tod und auch zwischen Natur- und Schulmedizin zu bilden. Meine erste Begegnung mit Kim Keum Hwa, der weltbekannten koreanischen Meisterschamanin und meiner heutigen spirituellen Mutter, gleicht fast einem Märchen. Auch jetzt denke ich noch manchmal, dass alles ein Traum war und ich irgendwann wach werde.

2006 besuchte ein Freund von mir ei- nen Schamanenkongress in Österreich und fragte mich, ob ich ihn begleiten Andrea Kalff-Cordero bei einer schamanistischen Zeremonie in Korea (neomudang.com) wolle. Zu dem Zeitpunkt empfand ich eine derartige Veranstaltung als ab- surd. Mein damaliger Mann und auch meine Tochter rieten zunächst die Kontaktaufnahme und ließ mich schließlich mir jedoch zur Teilnahme, denn schließlich hätte ich nichts doch auf ein Gespräch mit ihr ein, zu dem mich mein zu verlieren. Also begleitete ich meinen Bekannten - unter damaliger Mann begleitete. Frau Kim konnte uns Einzelhei- der Bedingung, dass ich an keinem Workshop teilnehmen ten aus unserem Leben berichten, die mich erschütterten, und auch in keinerlei engeren Kontakt mit den Schamanen denn diese entsprachen der Wahrheit und waren höchst treten würde. Bereits bei Ankunft am Mondsee, noch vor persönlich; außer meinem Mann und mir konnte eigentlich dem Aussteigen aus dem Auto, schwirrte eine Gruppe niemand davon wissen. Frau Kim gab mir die strikte Anwei- Koreaner in farbenprächtigen Kleidern an uns vorbei. Mein sung, mich einem Initiationsritual bei ihr zu unterziehen, Freund wollte diesen sofort folgen. Ich war sehr zögerlich, da ich, wie sie es nannte, an der „Schamanenkrankheit“ litt. da ich ja keinen der Workshops besuchen wollte. Sie erklärte mir, dass Personen, die dazu bestimmt sind, Schamane zu sein, und sogar ihre Angehörigen bis zu Doch irgendetwas fesselte mich, und ich ging für ein ihrer Weihung zum Schamanen körperliche und seelische paar Minuten mit in den Saal. Dort hatte ich meine erste Beschwerden aufweisen, was als „Schamanenkrankheit“ Begegnung mit Kim Keum Hwa. Als sie anfing, eine Rede bezeichnet wird. zu halten, und ich ihre Stimme vernahm, fing mein Herz an zu rasen. Ich verließ sofort den Raum. Tief beeindruckt von diesem Treffen und mit der Bitte von Frau Kim, ich solle sie in Korea besuchen, hatte ich Später an diesem Abend, in der Pause der Eröffnungsze- versucht, in mein altes Leben zurückzukehren. Das war na-

KULTUR KOREA / 29 hezu unmöglich. Kurze Zeit später erkrankte ich an Krebs. Nach meiner Initiation zur Schamanin hat mich meine spi- rituelle Mutter Kim Keum Hwa stets begleitet, damit ich in Dass die Krebserkrankung von der „Schamanenkrankheit“ meiner Berufung als Schamanin wachsen konnte. Sie war rührt, kann ich nicht zweifelsfrei beweisen. Allerdings war immer unterstützend für mich da, wenn auch manchmal ich immer anders als alle anderen, schon als Kind. Natürlich streng und rätselhaft für mich. Sie hat mich in Hawaii und befürchtete ich nun auch schwerwiegende Folgen für mei- Deutschland mehrmals besucht, um zusammen kranke ne Familie. Verzweifelt nahm ich zunächst eine Auszeit von Menschen zu heilen. Wir arbeiten sehr eng zusammen. allem und fuhr für eine Woche ans Meer, saß am Strand und dachte nach. Als schließlich mein damaliger Mann Manchmal gibt es sprachliche und kulturelle Hürden, die mir riet, nach Korea zu fliegen, machte ich mich auf den wir aber meistern. Unsere starke Herzensverbindung trägt Weg. 2006 wurde ich von der weltberühmten Kim Keum uns durch die Welt, auf unseren Reisen und in unserer Hwa zur „Mudang“ (Schamanin, Brückenträgerin) geweiht, Berufung. Durch weitere Lehre und Prüfungen führte sie und seitdem ist mein Leben ein anderes. In Korea gibt es mich immer stärker an die Selbständigkeit heran. Seit ein inzwischen sogar eine Ausstellung über meine Person, die paar Jahren hat sie mir den Mut und die offizielle Erlaubnis von einem ehemaligen Krebskranken ins Leben gerufen gegeben, eigene Schüler zu weihen und auszubilden. Die- wurde. Sie berichtet über mich, meine Tätigkeit und die se Verantwortung trage ich mit viel Respekt, Achtung und Zusammenarbeit mit dem Kranken. auch der nötigen Strenge, die dieser Weg erfordert.

Oft stelle ich mir die Frage, welche Kräfte am Werk waren, Kim Keum Hwa beteuert immer wieder die Liebe zu mir die mich auf diesen Weg, zu diesem Ort in Österreich und und wie stolz sie auf mich ist. Wie kann ich ihr jemals für zu dem Zusammentreffen mit Kim Keum Hwa führten. Es all dies danken? Sie ist neben meinen wundervollen fünf gibt nur eine Erklärung: Es müssen spirituelle Kräfte und Töchtern die wertvollste und wichtigste Person in meinem mein verstorbener Bruder gewesen sein. Kräfte, die über Leben. uns wachen und uns verbinden, die uns den Weg im Leben zeigen. Es liegt an uns, ob wir ihn annehmen.

Nach meiner Initiation hatte ich viel geweint: In Deutsch- land gab es niemanden, der mich verstand, niemanden, den ich fragen konnte, wie man als Mudang lebt, wie man den Alltag gestaltet, wie man richtig betet. Doch Kim Keum Hwa und ihre Geister sprachen bei meinem Initiati- onsritual 2006 folgende Worte zu mir: „Andrea, dein Weg ist sehr einsam, geh raus hoch erhobenen Hauptes, und du wirst viele Menschen heilen. Bete viel.“

Ich versuchte so oft wie möglich, nach Korea zu fliegen, um Kim Keum Hwa zu besuchen, um bei Ritualen dabei zu sein und zu lernen. Korea und die damit verbundene Kul- tur waren mir anfangs sehr fremd, bis ich ins Schamanen- haus nach Ghangwando kam. Plötzlich fühlte ich mich zu Hause, wie nie zuvor in meinem Leben. Nichts war fremd. Unerklärlich für mich, da der Verstand wusste, dass ich hier noch nie gewesen war.

Eine mir völlig fremde Frau aus einem fremden Land hat

mich zu neuem Leben erweckt, mich auf meine Fähigkei- privat Foto: ten und meine Berufung aufmerksam gemacht, mit allen Andrea Kalff-Cordero ist im Chiemgau Konsequenzen. Ich sehne mich sehr, so viel mehr über » geboren und dort aufgewachsen. Bis zu ihrem die koreanische Kultur, über die Schamanen in Korea zu 32. Lebensjahr war sie weit entfernt von ihrem lernen. Meine Beziehung zu „Oma“ (Kim Keum Hwa) ist ein- spirituellen Weg. Im Jahr 2006 wurde sie von Kim zigartig, wir sind uns wohl schon in einem früheren Leben Keum Hwa auf einem Schamanenkongress aus- begegnet. Es bedarf zwischen uns nicht vieler Worte. Sie erkoren. Frau Kim erkannte die Fähigkeiten und war immer bei mir, ist immer bei mir und wird es immer Berufung von Andrea, und so wurde sie 2006 als sein. Sie erscheint mir oft nachts, steht einfach an meinem erste Europäerin in den koreanischen Schamanis- Bett und streichelt mir über den Kopf. Diese Verbindung mus initiiert. „Andreas Sky“ (Natacha Nisic Echo) besteht über den Tod hinaus. wurde 2014 bei ARTE ausgestrahlt.

30 / KULTUR KOREA KUNST, MUSIK, FILM

DAS JAZZKOREA FESTIVAL 2015 Trio Closer Von Dr. Nabil Atassi

Das JazzKorea Festival ist inzwischen eine bekannte Größe Am Anfang stand die Idee des Münchner Bassisten Martin im Kulturkalender des Koreanischen Kulturzentrums Zenker, der selbst vier Jahre als Professor für Jazzbass und in Berlin – und auch anderswo. Im dritten Jahr seines Jazzgeschichte an der Jazzhochschule in Daejon/Südkorea Bestehens finden innerhalb von 11 Festivaltagen über 20 lehrte, einige Jazzmusiker aus Südkorea nach Deutschland Konzerte in sechs deutschen und drei europäischen Städ- zu holen. Schon im ersten Jahr (2013) wurde daraus ein ten statt. Neu ist unter anderem die starke internationale umfangreiches Clubfestival in acht deutschen Städten, die Ausrichtung des Festivals mit Konzerten in Warschau, Bud- Resonanz in allen Bereichen war überraschend gut. 2014 apest und Madrid. Möglich wird das durch die Kooperation kamen als Neuerung ein Galakonzert im Berliner Tempo- der Koreanischen Kulturzentren in ganz Europa. Einziger drom mit der koreanischen Formation „MosaiKorea“ und Wermutstropfen: Die geplanten Konzerte in Brüssel muss- ein erster internationaler Ausflug nach Warschau hinzu. ten aus aktuellem Anlass aufgrund der Terrorwarnstufe In diesem Jahr wurde die Anzahl der Bands, Spielstätten abgesagt werden. und Konzerte in Deutschland etwas reduziert, aber es Das diesjährige Programm aus insgesamt fünf südkorea- kamen neue Orte hinzu: Leipzig und Kempen. Neben den nischen Bands ist stilistisch vielseitiger denn je. Und wie Konzerten in drei europäischen Hauptstädten, Warschau, es aussieht, übertrifft JazzKorea 2015 in puncto Besucher- Budapest und Madrid, fand in diesem Jahr erstmals ein zahlen, Reaktionen und Medienecho einmal mehr alle großes Eröffnungskonzert im Kesselhaus der Kulturbraue- Erwartungen. rei in Berlin statt – vor ausverkauftem Haus. Und vorläufig kann man feststellen: In puncto Besucherzahlen in den JazzKorea – eine Erfolgsgeschichte Spielstätten, Publikumsreaktionen und Medienecho dürfte es ein Rekordjahr werden. Interessant ist, wie JazzKorea „Wir sind auch nach den tollen Reaktionen aus den letzten inzwischen in Südkorea selbst wahrgenommen wird. Das beiden Jahren immer wieder positiv überrascht von der zeigt sich nicht zuletzt an der exponentiell gestiegenen Resonanz auf das Festival“, sagt Festivaldirektor und Anzahl der Bewerbungen von Musikern. Aus deren Kreisen Gesandter-Botschaftsrat Jong Seok Yun. Dabei war das ist zu hören: Die Teilnahme bei JazzKorea wird in Korea JazzKorea Festival schon immer ein ambitioniertes Projekt. inzwischen als Karriereschub betrachtet. Fotos: Koreanisches Kulturzentrum Koreanisches Fotos:

KULTUR KOREA / 31 Han Seung Seok Nam Kyungyoon Trio und Toine Thys (Saxofon) Kim Sungsu, Trio Closer

Der Jazz in Korea: zwischen Imitation und Entwicklung auf der Bühne des Koreanischen Kulturzentrums in Berlin spontan von ihrem schwierigen Weg hin zum Traumberuf Das Herzstück des JazzKorea Festivals ist die Musik. Ziel der Jazzschlagzeugerin in Südkorea – und sorgte damit für war und ist es, den koreanischen Jazz hier in Europa zu einen emotionalen Höhepunkt. präsentieren. Mehr denn je wurde in diesem Jahr der Fokus auf die Entwicklung des koreanischen Jazz hin zu Jazz aus Korea – der Weg einem eigenständigen Stil gelegt. Doch wo steht der Jazz in Südkorea überhaupt? Gregor Dotzauer beschreibt ihn Einmal mehr ist JazzKorea zu einem eindrucksvollen Fes- ganz aktuell im Tagesspiegel im Zustand der „Emulation“. tival und sehenswerten Event geworden. Dahinter steckt Übersetzt heißt das: „Die Phase, die nach dem Kopieren unermüdliches Engagement und ein seit nunmehr fast vier und vor dem Schöpferischen kommt.“ Im Line-up des Jahren konstant und erfolgreich arbeitendes Team. Das Ko- Festivals finden sich mehr oder weniger alle von Dotzauer reanische Kulturzentrum als Kulturabteilung der Botschaft beschriebenen Phasen wieder. Das Trio Closer zum Beispiel der Republik Korea in Deutschland steht als Organisator weckt berechtigte Hoffnungen auf kulturelle Jazzinnovati- von Anfang an hinter JazzKorea. Musikalisch dürfte es auch onen aus Korea – mit komplexen rhythmischen Verwebun- in Zukunft spannend bleiben, denn die südkoreanische gen, bis ins Detail ausstaffierten musikalischen Phrasen Jazzszene entwickelt sich rasant weiter – und das nicht nur und echter Spielfreude. Dass sich die koreanischen Musiker in der Hauptstadt Seoul. Die Phase des Erstaunens über die mehr und mehr ihrer eigenen musikalischen Traditionen Präsenz von Jazz im Land der Morgenstille ist lange vorbei, bewusst werden und diese auch für sich einnehmen, inzwischen ist Südkorea ein HotSpot auf der globalen zeigten eindrucksvoll Han Seung Seok & Jung Jaeil. Sie Karte des Jazz. Allein in Seoul gibt es über 40 Jazzclubs, kombinierten in ihrem Programm traditionelle koreanische und das Jarasum Jazz Festival zählt mit jährlich ca. 150.000 Vokalmusik, das Pansori, mit modernen Elementen aus Besuchern zu den wichtigsten seiner Art in Asien. Publi- Elektronik, Pop, Blues und Jazz. Mit dieser energetischen kum ist derweil in Südkorea mehr als genug vorhanden, Mischung und ihrer Bühnenshow erspielten sie sich die auch und gerade junge Leute lieben den Jazz. Stilistisch Herzen des Publikums von München bis Madrid. Heyjin, bekommen sie inzwischen alles geboten, vom Mainstream die Jazzvokalistin im Programm, sang sich gekonnt into- über Post-Bop, Swing und Electronica bis hin zu Jazz mit nierend und locker durch Jazzstandards und eigene Stücke traditionellen Einflüssen. Das JazzKorea Festival kann jedes und wusste mit ihrer charmanten Bühnenpräsenz den Weg Jahr jeweils nur einen kleinen Teil davon abbilden. Umso in die Herzen des Publikums zu finden. Die Sängerin und spannender wird es sein, zu sehen, welche Entwicklungen ihre hervorragende Begleitband rund um Martin Zenker dieses neue und wichtige Fenster des südkoreanischen (b), Bernhard Pichl (p) und Kim Minchan (dr), hielten es Jazz nach Europa in Zukunft zeigen kann und wird. musikalisch eng am swingbetonten Modern Jazz. Lyrisch und modern zugleich klingen die Linien der drei jungen Weitere Informationen unter http://jazzkorea.kulturkorea.org Musiker rund um den Gitarristen Jo Young Deok. Sie hatten 2012 beim renommierten Jarasum Jazz Festival in Südkorea den Nachwuchspreis erhalten. Ihre Performance bei JazzKorea: musikalisch vielversprechend, elegant und etwas introvertiert. Ganz anders bei Nam Kyungyoon, der gemeinsam mit seiner Frau, der Schlagzeugerin Seo Mihyun, dem Bassisten Ko Jaekyu und – als special guest - dem belgischen Saxofonisten Toine Thys, bei JazzKorea Foto: privat Foto: auftrat. Ihre rhythmisch-moderne Pianomusik mit europäi- schen Einflüssen, garniert mit Thys’ leichtfüßigen Saxofon- Dr. Nabil Atassi ist Journalist, Hörfunkmoderator und Arzt. soli, wurde zum Ohrenschmaus für das Publikum. Schlag- » Er arbeitet unter anderem für den Norddeutschen Rund- zeugerin Seo Mihyun erzählte während des Konzertes funk, auf http://onlinejazzradio.de moderiert er seine eigene Talkshow als Podcast.

32 / KULTUR KOREA KUNST, MUSIK, FILM

VOM SCHMERZ DER TEILUNG Wie Heryun Kim in Deutschland und Korea ihre künstlerische Heimat fand

Von Anne Schneppen

Foto: © Kim Heryun KULTUR KOREA / 33 enige Wochen liegen zwischen ihren letzten beendete 1994, als Meisterschülerin von Professor Klaus beiden Ausstellungen in Berlin und Paris: An der Fussmann, ihre Studien der Malerei. Wissbegierig, zielstre- WSpree, im Koreanischen Kulturzentrum, zeigte big und immer auf der Suche nach weiterer Erleuchtung Heryun Kim im Februar 2015 „Golden Tears“ (‚Goldene setzte Heryun Kim eine Doktorarbeit in Kunstwissenschaft Tränen‘), kurz darauf präsentierte sie sich an der Seine mit an der Technischen Universität Berlin (TU) obenauf. Darin „Plus léger que le vent“ (‚Leichter als der Wind‘). Hier das befasste sie sich mit Emil Nolde, der auf ihr späteres Werk Thema Teilung und Vereinigung, dort Flucht und Freiheit, erkennbar Einfluss nahm. Gleich auf den Abschluss folgte künstlerisch umgesetzt. Die Traurigkeit der Betrachterin die erste Einzelausstellung der jungen Künstlerin, die ein beim Anblick eines lachenden nordkoreanischen Soldaten; positives Echo fand. die Sehnsucht angesichts eines in den Himmel aufsteigen- den Papierdrachen. Das Schwere und das Schwebende Es war eine Zeit politischer Umwälzungen, in Korea wie in sind für die südkoreanische Künstlerin nur scheinbar ein Deutschland. Dort das Ende der Diktatur, das Erwachen Widerspruch. der Demokratie, hier die Wiedervereinigung. Heryun Kim, die zu Wendezeiten 1990 nach Berlin gekommen war, Heryun Kim, die in Korea und Deutschland lebt und arbei- nahm dies zwar wahr, aber aus einiger Distanz: „Politische tet, lässt sich ungern festlegen, in Schubladen stecken. In Aktion war nicht mein Weg, Demonstrationen nicht meine Deutschland ist sie die Künstlerin aus Korea, in Korea die Ausdrucksform“. Ihre Welt bestand damals, wie sie mit Künstlerin aus Deutschland. Lange hat sie ihren eigenen einem feinen Lächeln sagt, „aus Klassik, Kunst, Schönheit, Weg gesucht, „und erst mit 50 Jahren hatte ich das Gefühl, Vertrautheit, Natur“. Wenn Heryun Kim sich heute im Rück- künstlerisch angekommen zu sein“. Sie sagt dies nicht blick beschreibt, dann hat man eine begabte und erfolg- etwa kokettierend, wie man angesichts ihres umfang- reiche, aber auch orientierungslose und wenig selbstbe- reichen Werkes vermuten könnte, sondern bescheiden wusste junge Frau vor Augen. „Ich hatte Angst, gesehen zu und doch bestimmt. „Es ist, als hätte ich viele Jahre lang werden. Ich stand ungern im Mittelpunkt. Und ich wagte experimentiert. Aber nun fühle ich, dass Körper und Pinsel mich nicht an mutige Themen.“ 1998, sie hielt gerade das korrespondieren. Der Pinsel ist zu einem Teil meines Kör- ersehnte Künstlervisum in Händen, hatte ihr Ziel erreicht, pers geworden. Ich muss nicht mehr kämpfen. Ich bin eins feierte die ersten Erfolge, empfand sie - Leere. Was sollte, mit meiner Kunst.“ was wollte sie malen, schaffen? Es fehlte das Thema, die Richtung. So ungewöhnlich wie ihre gesamte Karriere war schon der Anfang, der über die Wissenschaft und Theorie in die Male- Statt zu warten, was das Leben bringen würde, tat Heryun rei führte. „Ich war ein sogenanntes Literaturmädchen, ich Kim, was sie immer tat: sie nahm den nächsten Schritt. las Rinser und Rilke, sogar unter der Schulbank während Diesmal zurück nach Korea, mit Mann und Sohn. Die des Unterrichts“, erinnert sich Heryun Kim, die 1964 in Heimkehr erwies sich aber als schwerer als gedacht. Seoul, Changwon geboren wurde. Der Vater, aus bürgerlich-aka- im Vergleich zu Berlin eine Weltstadt, war ihr fremd ge- demischem Milieu, erwartete, dass seine Tochter „etwas worden. Sie vermisste Ruhe, Natur. Durch Zufall geriet sie Solides“ studierte, und dachte an Rechtswissenschaft. Aber nach Paju, eine Stadt nordwestlich Seouls, in deren Nähe das erschien ihr kalt und langweilig. „Mich interessierten gerade ein Künstlerdorf entstand: Heyri. Heryun Kim be- die großen existenziellen Fragen. Ich war feinfühlig und schreibt dies als einen - persönlichen und künstlerischen - sensibel für Stimmungen und Emotionen“. Wendepunkt in ihrem Leben. Heyri besteht heute aus einer Gruppe von mehr als 300 Malern, Schriftstellern, Musikern An der renommierten Seoul National Universität studierte und Architekten, die dort ihre Werkstätten, Ateliers und sie in den Achtzigerjahren zunächst deutsche Sprache und Theater führen, und liegt nur wenige Kilometer vor der Literatur und schloss 1990 mit einem Magister in Kunst- Entmilitarisierten Zone (DMZ). „Ich war sehr erschrocken“, geschichte ab. Schon im Literatur-Studium vollzog sich sagt Heryun Kim, die mit dem Fahrrad Ausflüge in die Um- der Schritt vom Text zum Bild. Langwierige Analyse und gebung unternahm. „Ich sah endlosen Stacheldraht den Interpretation lagen ihr nicht. Wichtiger waren ihr Vision, Fluss Imjingang entlang, vor dieser einzigartigen Land- Gefühl, spontane Vorstellung. „Für das Erfassen eines Tex- schaft. Körperlich und psychisch, mit meinem Herzen habe tes braucht es Zeit. Ein Bild kann ich in einer Minute lesen.“ ich den Stacheldraht gespürt. Ein Land so schön, und doch Folgerichtig entschied sie sich für die Kunstwissenschaft, zerstört. Diesen Tag kann ich nicht vergessen.“ mit besonderem Interesse für die klassische Moderne, die in Korea bis dahin nur in der Literaturwissenschaft wahr- Die Jahre im wiedervereinten Berlin hatten sie empfäng- genommen worden sei. Die Theorie indessen genügte ihr lich gemacht für die Wunden und Narben der Heimat. Zum bald nicht mehr: „Ich wollte Künstlerin werden“. ersten Mal verstand sie die Tragik der Teilung. „Ich hatte meinen Weg aus den Augen verloren, nur die Schönheit So bewarb sich die junge Germanistin an der Universität gesehen, und dann trat der Stacheldraht in mein Leben.“ der Künste in Berlin (UdK), wurde angenommen und Aus dieser Erfahrung entstand eine Serie aus 30 Werken:

34 / KULTUR KOREA Vernissage der Ausstellung „Golden Tears“ von Kim Heryun im Koreanischen Kulturzentrum in Berlin, 13. Februar 2015

„The river Imjingang - Injured Landscape“ (‚Der Fluss Imjin- Landscape“ (‚Verletzte Landschaft‘) am Fluss Imjingang, wo gang. Verletzte Landschaft‘). Die mit Messern „verletzten“ die Farben noch warm leuchten, erscheint diese Version, Leinwände symbolisierten Kims eigenen Schmerz. Damit im wiedervereinten Berlin geschaffen, indes ungleich hatte die Künstlerin ihr Thema gefunden. „DMZ, Stachel- härter und schmerzhafter. Rot und schwarz brennt nun der draht, Teilung. Meine Wurzel, meine Identität, in Korea, als Himmel, davor ein Busch aus unkontrollierbar wildem koreanische Künstlerin“. Stacheldraht. In den folgenden Jahren wurden die Leinwände größer, ihre Sprache mutiger und expressiver. „Ich hatte mit „Your Face“ (‚Dein Gesicht‘), eine Serie von mit Tusche deutscher Kunst begonnen und kehrte über Deutschland auf koreanischem Papier gezeichneten Porträts (2014), zu den koreanischen künstlerischen Wurzeln zurück. Ich unlängst in Berlin zu sehen, zeigt einen nordkoreanischen verstand: Ich kann mich nicht von der politischen Realität Soldaten, den Kim auf einem alten Foto entdeckt hatte trennen.“ (siehe Bild oben). Der porträtierte Soldat war als junger Mann in Panmunjeom stationiert, wo sich Nord und Süd Im Jahr 2014 war in dem Ort Panmunjeom an der innerko- bis heute feindlich gegenüberstehen. Auf dem Foto lächelt reanischen Grenze eine Installation aus 16 Leinwänden mit er - und es war dieses „hinreißende und liebenswürdige“ dem Titel „The Last Barbed Wire - Ladder to the Sky“ (‚Der Lächeln unter widrigsten Umständen, das Kim bewegte, letzte Stacheldraht – Himmelsleiter‘) zu sehen. Es war die ihn wieder und wieder zu zeichnen. Insgesamt 59 Mal. Leid erste und bislang einzige Kunstausstellung in Panmun- und Hoffnung, für Heryun Kim untrennbar. jeom, am verbliebenen Symbol des Kalten Krieges, das nur wenigen Zivilpersonen überhaupt zugänglich ist. Es war schwierig und nicht ohne Risiko, in der gemeinsamen Sicherheitszone (Joint Security Area, JSA) eine Ausstel- lung einer südkoreanischen Künstlerin zu ermöglichen. Die Landschaftsmalereien an diesem hochsensiblen und hochpolitischen Ort kamen nach dem Urteil von Exper-

ten gut an. Schwierige Motive „freundlich“ erscheinen zu privat Foto: lassen, mit den Kontrasten von schön und grausam, hell Anne Schneppen lebte von 2005 bis 2007 mit ihrer und dunkel gleichsam zu spielen, sei ihre „Waffe“, sagt Kim » Familie in Seoul und arbeitete von dort – wie schon zuvor dazu. Auch auf der „Ladder to the Sky“ (‚Himmelsleiter‘) aus Tokio - als Fernost-Korrespondentin der Frankfurter All- ist Stacheldraht zu sehen. Zehn Jahre nach der „Injured gemeinen Zeitung. In Korea beschäftigte sie sich vor allem mit politischen, aber auch gesellschaftlichen Themen. Foto: Koreanisches Kulturzentrum Koreanisches Foto:

KULTUR KOREA / 35 KUNST, MUSIK, FILM VON DER POESIE DES WIDERSTANDES ZUR SPIRITUALITÄT Zum Preisträgerkonzert des Europäischen Kirchenmusikfestivals am 22. Juli 2015

Von Dr. Shin-Hyang Yun

Younghi Pagh-Paan (Mitte) mit der Cellistin Christina Meissner und dem Organisten Poul Skjölstrup Larsen beim Preisträgerkonzert

‚Mitten im Leben‘ hieß das Motto des 27. europäischen ische, indische, koreanische, altdeutsche – kreuzten den Kirchenmusikfestivals in Schwäbisch Gmünd (17.07.– Kirchenraum, den abendländischen Gedächtnisraum. Zu- 09.08.2015), einer kleinen Stadt mit lebendiger Kirchen- gleich wechselten die Sänger flexibel und leicht zwischen musiktradition. Die zwei Pole der menschlichen Existenz, Renaissance-Motetten und Gesängen der Gegenwart. ‚Leben und Tod‘, und die alltagsnahe Spiritualität sollten Psalmentexte und Gedichte aus verschiedenen Weltreligio- im Mittelpunkt des Festivals stehen, so der Intendant Klaus nen standen nebeneinander. Stemmler. So unterschiedlich die Bauwerke sind, die in dieser kleinen Stadt stehen, so bunt war das Repertoire Mit Hwang To II [Gelbe Erde] (1989/1992) für 5 Männerstim- des Festivals. Nicht nur alte und zeitgenössische Musik aus men, mit dem Singer Pur bereits vertraut war, intensivierte Europa, sondern auch Jazz und ein Repertoire mit außereu- sich die Sprachkreuzung. Die Verse des koreanischen ropäischen Sujets fachten die Hitze der heißen Sommerta- Gedichtes In einer regnerischen Nacht [Bi nae ri nun Bam e] ge weiter an. wurden in der Muttersprache der Komponistin gesungen, die sie in das lateinische Alphabet beziehungsweise in eine Das Programm des 22. Juli widmete sich der Musikwelt eigene Lautschrift umschrieb. Das Gedicht tauchte bereits der diesjährigen Preisträgerin Younghi Pagh-Paan. Das aus im dritten Teil von Hwang To I (1988/89) auf, wobei drei München angereiste Vocal Ensemble Singer Pur würdigte lyrische Gedichte aus dem Band Hwang To [Gelbe Erde] des die Komponistin mit Musik, deren Vokaltexte aus verschie- koreanischen Widerstandsdichters Chi-Ha Kim verwendet denen Weltreligionen stammen. Neben ihren Vokalwerken wurden. Aus diesem Teil machte Pagh-Paan ein weiteres schufen Motetten aus der Renaissance und Gesänge zeit- Stück, Hwang To II. Was wird aber vom Singen in der Mut- genössischer Komponisten gleichsam einen stilistischen tersprache der Komponistin erwartet? Man mutet weder Ausgleich. Durch die Umrahmung der Motetten Media vita den Sängern noch dem Publikum die Verinnerlichung der in morte sumus [Mitten im Leben] von Nicolas Gombert und bedeutungsimmanenten Worte zu, es geht vielmehr um Orlando di Lasso wurde das Motto des ganzen Festivals das Anzeigen der in dieser Poesie enthaltenen leidvollen

noch einmal deutlich. Die diversen Sprachklänge - hebrä- Emotion: ‚Aussichtslose Suche nach der Heimat‘. Eung Rae PARK Foto:

36 / KULTUR KOREA Die vier Gesangsreihen von Atish – e – Zaban [Fires of the Stück Bleibt in mir und Ich in euch (2007) zum ersten Mal die tongue] [2006] von Sandeep Bhagwati hinterließen bei Orgel, deren Klang jedoch von der Akkordeonstimme des dem an Motetten gewöhnten Publikum einen besonderen Werkes Ne Ma-Um übernommen wurde, so schuf sie mit Eindruck. Die Gesänge bezeugten zeitgenössisch-spezi- Unterm Sternlicht zum ersten Mal ein neues Orgelstück. In fische Ausdrucksqualität: Der Geräuschklang der Konso- den Orgelklang jedoch, der die Wanderszene des Priesters nanten mit der Handgeste bei Fires I und der dazu kontras- durch die dunklen Wälder nachzeichnen sollte, floss das tierende Meditationsklang ohne Worte bei Fires IV Miind Klangimage des Schneelichtes jener Jahre – wenn auch rahmten weitere Gesänge mit indischer Liebeslyrik ein, die sporadisch - ein, und bei der Aufführung des Stückes Au- von einem pakistanischen Poeten stammen. Der aus der genblicke – Gebete war auch die Spur eines solchen Images nordindischen Musik abgeleitete Titel ,Miind‘ meint, so der nicht zu verkennen. Komponist „ein emotionales Glissando“, das „viele Gestal- ten annehmen“ kann. Somit zeigte dieses Repertoire, wenn Im Hinblick auf die Inspirationsquelle des ersten Orgelstü- auch stilistisch unterschiedlich, eine gewisse Verbunden- ckes von Pagh-Paan ist angesichts der kulturellen Biogra- heit zum Hwang To II [Gelbe Erde], welches Pagh-Paan aus phie des Instrumentes nicht schwer nachzuvollziehen, der koreanischen Lyrik des Widerstandsdichters schöpfte. dass ihre Orgel-Kompositionen mit dem Lichtkonzept fast zusammenfallen. Unter ‚Licht‘ versteht Pagh-Paan jedoch Die Schaffenskraft der über 40 Jahre in Europa lebenden weniger eine Metapher des Himmels als vielmehr seine Komponistin lässt seit ihrer Emeritierung von der Bremer wandelbare Eigenschaft, wie ein Wasserspiegel. Insofern ist Hochschule kaum nach. Einzigartig ist dabei nicht nur die ihre Wende zum Licht-Topos nicht als ein Bruch des frühe- Konsequenz ihres Kompositionsstils, die von der Erfindung ren Konzeptes, sondern als eine Wandlung von diesem zu des Mutterakkordes ausging, sondern auch die Konzepti- verstehen. War in der Trauer jenes Schneelichtes bereits ein on, die alle ihre Schaffensphasen durchzieht. Vor allem fällt künftiger Lichtstrahl enthalten? auf, dass das Image des Schnees beim Sonnenuntergang, aus dem Nun [Schnee] (1979) konzipiert wurde und die „Wo bist Du? Oh immer einsames Herz, wo erstarrst Du weiteren Werke Hin Nun I [Weißer Schnee] (1985) und Hin grausam zu Stein?“ Dieser Ausdruck von Emotionalität Nun II [Weißer Schnee] (2005) entwickelt wurden, in das wird nicht allein die Komponistin selbst, sondern möge alle Licht-Topos übergeht. Allein die Titel, Unterm Sternenlicht Menschen, die inmitten des digitalen Rituals leben, betref- (2009), Im Lichte werden wir wandeln (2010/11), Der Glanz fen. Je ratloser die Sprache zersplittert, umso drängender des Lichtes (2013) - die Überarbeitung von Hohes und tiefes ist heute die Suche nach Gott – der spirituellen Mitte Licht (2010/2011) - lassen diese Tendenz erkennen. schlechthin - geworden, und dies ist überall spürbar. Wie verhalten sich aber jene Verse aus Hwangto, die Younghi Anders als frühere Lichtwerke bringt Younghi Pagh-Paan Pagh-Paan in ihren Vokaltext einfließen ließ, zur Suche als Vokaltexte des Auftragswerkes In deinem Licht sehen wir: nach Gott im spirituellen Sinne? Sie drückt die spirituellen das Licht die kulturell weit auseinanderliegenden Texte für Bedürfnisse durch die gesamten Vokaltexte hindurch aus. den A-Cappella-Gesang zusammen: Psalm 36 und 150 aus Das wandelbare Lichtbild des Auftragswerkes ist Teil dieser der Bibel sowie das vierte und achte Kapitel Tao Te King von Suche. Laotse. Die Intention, dass sie hier keine Lyrik, sondern Bi- belverse und asiatische Lehrverse verwendete, ließ sich aus der Vertonungsweise der Verse ablesen. Im Text stehen die akzentuierten Verse aus dem Psalm 36 und die Verse aus dem vierten Kapitel von Tao Te King asymmetrisch gegen- über: „Du bist die Quelle des Lebens, in deinem Licht sehen wir: das Licht“/„Es birgt seine Spitze, gießt aus seiner Fülle, bequemt seinen Glanz an“. Die Kreuzung der Worte ‚Quelle‘ Foto: privat Foto: und ‚Glanz‘ hat wohl mit ihrer jüngsten Auseinanderset- zung mit der Spiritualität „im Spiegel der Kulturen“ zu tun. Dr. Shin-Hyang Yun studierte Musikwissenschaft, Das Stück mündete schließlich in den durch asiatisches » Philosophie und Germanistik an der Universität Freiburg im Breisgau. 2001 promovierte sie in Musikwissenschaft Klangkolorit gefärbten Kanon. an der Universität Köln. Anschließend folgten mehrere Lehraufträge an den Universitäten in Korea. Von 2003- Auch zwei jüngste Orgelwerke der Preisträgerin bereicher- 2004 war sie Postdoc. Researcher am Korean Art Research ten den Abend: Unterm Sternlicht (2009) für Orgelsolo, zu Center der Korean National University of Arts, Seoul, und dem sie ein lateinischer Brief des verfolgten katholischen von 2006–2008 Gastprofessorin an der Fakultät für Musik koreanischen Priesters Yang-Up Choi veranlasste, und und Darstellende Kunst der Keimyung-Universität, Taegu. Augenblicke – Gebet (2013) für Cello und Orgel, welches Seit 2011 unterrichtete sie an zahlreichen deutschen Uni- zum 200. Geburtsjahr des dänischen Philosophen und versitäten, unter anderem an der Universität der Künste Theologen Søren Kierkegaard entstand. Verwendete sie im Berlin, an der Universität Leipzig, an der Universität der Künste Graz sowie an der Humboldt-Universität Berlin.

KULTUR KOREA / 37 KUNST, MUSIK, FILM

Abbildung: Eun Nim Ro, Vogel und Schmetterling, 62x92 cm, Mischtechnik auf Maulbeerpapier, 2015 Eun Nim Ro: Der Pinsel führt mich. Ich folge ihm! Von Prof. Claus Mewes

m Koreanischen Kulturzentrum Berlin, Kulturabteilung Zwischen diesen Polen ist auch die künstlerische Arbeit der Botschaft der Republik Korea, wurde von Oktober von Eun Nim Ro angelegt - von der intimen Zeichnung bis Ibis Dezember 2015 eine umfangreiche Schau mit neuen zur Glasfenster-Ausführung und zum Leuchtwand-Design. Werken von Eun Nim Ro gezeigt. Aus den vielen Bonmots Die Wirkung ihrer Lehr- und Leitungstätigkeit geht über der Künstlerin ist für die Ausstellung das Motto „Der Pinsel die Grenzen der Hochschule in Hamburg weit hinaus. Die führt mich. Ich folge ihm!“ herausgesucht worden. Der Künstlerin ist vielfach mit Stipendien und Preisen aus- Satz verweist auf das Arbeitsgerät der Künstlerin, den gezeichnet worden und hat umfangreiche Aufträge im Malpinsel, und damit auf das von ihr favorisierte Medium, Rahmen von „Kunst im öffentlichen Raum“ realisiert. 1995 die Malerei. Allerdings ist nicht der klassische europäische erhielt sie die Ehrenbürgerschaft der Hauptstadt ihres Feinhaarpinsel als Instrument akademisch altmeisterlicher Geburtslands Südkorea Seoul, wohin sie zwölfjährig mit Darstellungstradition gemeint, sondern eine Skala von ihren Eltern 1958 wechselte, die Highschool besuchte und asiatischen Kalligrafiepinseln verschiedener Größe, mit de- ein Medizinstudium begann. nen Eun Nim Ro auf Papier zeichnet. Für freie Malerei war sie von 1990 bis 2010 Professorin an der Hochschule für 1967 veränderte der Tod ihrer Mutter schlagartig die Gestaltung (HAW) in Hamburg, und ab 1994 erhob sie die Perspektiven der jungen Studentin, sie zog in das Grenz- dort jährlich stattfindende Sommerakademie „Pentiment“ gebiet zwischen Süd- und Nordkorea am 38sten Brei- als künstlerische Leiterin auf ein anerkannt hohes Niveau. tengrad, um sich dort mit medizinischen Hilfeleistungen Sie öffnete „Pentiment“ für angewandte Bereiche und im Rahmen eines Gesundheitsprogramms der Unicef zu Alltagsästhetik wie Illustration, Mode, Design, Kalligrafie betätigen. Aus der zivilisierten Großstadt ins damals harte, und Fotografie. archaische Leben der koreanischen Bergdörfer verschla-

38 / KULTUR KOREA gen, in denen noch schamanische und animistische Kulte paaren, manchmal mit einäugig stechender Autorität oder praktiziert wurden und ein Mondkalender galt, war Eun unverhohlener Neugier. Je nach Verfassung der Betrachter, Nim Ro konfrontiert mit wilder Natur unter vorindustriellen oder nach Aufladung der Motive durch einen expressiven Bedingungen. 1970 geht sie nach Hamburg und arbeitet Pinselstrich, oszilliert der Anmutungseffekt zwischen im Hafenkrankenhaus als Krankenschwesterhelferin, dort Schrecken und Sympathie, zwischen Irritation und Kom- zeigt sie 1972 erstmals ihre Zeichnungen in einer kleinen munikation. Ros Figuren lassen einen nicht kalt. Sie fordern Ausstellung. Die Reaktionen auf ihre Arbeiten ermutigen die Aufmerksamkeit des Gegenübers heraus. Sie behaup- die Autodidaktin, sich auf ein Studium an der Hochschule ten stets ihre Glaubwürdigkeit und ihre Identität, selbst für bildende Künste in Hamburg zu bewerben, es 1973 wenn sie aus einer fremden Welt zu stammen scheinen. aufzunehmen und 1979 erfolgreich abzuschließen. Ihre Lehrer Hans Thiemann (1910 -1977) und Kai Sudeck Dabei wird der Stimmungsgehalt der Bilder erzeugt (1928 – 1995) werden von der Künstlerin in allen Publi- durch eine - über die Jahre zunehmende - schwelgerische kationen zu ihrem Werk genannt, damit signalisiert Eun Farbpalette, in der sich teppichartig ein buntes Dickicht Nim Ro, welche grundlegenden Anregungen sie während wuchernder Natur mit Pflanzen und Tieren in den Ele- ihres Studiums erfahren hat. Konnte sie bei Thiemann menten des Wassers, der Erde, der Luft und des Feuers ihre aus Korea mitgebrachten künstlerischen Energien ausbreitet. Wenn zum Beispiel auf dem Papier leuchtend ungebremst ausbauen, so schärften Sudecks zeichenhafte rote Abdrücke der Handflächen Eun Nim Ros erscheinen, Schwarz-Weiß-Strukturen und deren Medienästhetik ihre ist diese Künstlersignatur mit der Bedeutung des vierten Kenntnisse kalligrafisch asiatischer Traditionen. Besonders Elements, des Feuers, verbunden: „Ich arbeite aber auch durch die Lehre des Spätsurrealisten Thiemann erhielt die an den vier Elementen. (...) Es ist mir klar, dass die vielen Fi- Künstlerin wesentlichen Spielraum zur Entfaltung. sche Vertreter für das Element des Wassers sind. Und Erde, das symbolisiert die Menschen und die Krabbeltiere sowie In dem ästhetischen Spannungsfeld zwischen Fabulier- die Bäume. Und die Luft wird durch die Vögel präsent. Aber fülle und zeichenhafter Strenge ist Eun Nim Ros Schaffen dann sage ich, das Feuer, das muss ich selbst sein.“ (1) bis heute zu verorten. Ihre Figurenwelt zeugt sowohl von Kindheitserinnerungen als auch von einer Kenntnis Außer den fixierenden, wachsamen Augen besteht die der europäischen Kunstgeschichte, besonders auf den Stärke der Figuren in einer eigenständigen Position des Spuren derjenigen Künstler und Künstlerinnen, die sich Gleichgewichts, denn selbst wenn sie schweben, wirken sie gegen akademische Dogmen gewendet haben, als sie, stabil. Der Betrachter wird auf Abstand gehalten wie durch wie Picasso, Klee, Ernst, Dubuffet und Niki de St. Phalle, eine gläserne Scheibe, zu der die Wesen ihre Hände, Füße, an Ausdrucksformen der außereuropäischen Kulturkreise, Flossen, Fühler und Flügel in Parallelstellung bringen, der Kinderkunst und der Manifestationen von psychisch als wenn sie sich im Aquarium befänden – faszinierten Unangepassten anknüpften. Auch die märchenhaften und menschlichen Blicken ausgesetzt. Mit dem Gedanken, Paul gespenstischen Fabeltiere der „Cobra“-Künstler gehören Klees 1925 gemalter „Goldfisch“ (Hamburger Kunsthalle) zum künstlerischen Referenzfeld von Eun Nim Ro. hätte für Eun Nim Ros Bildkonzeptionen Pate gestanden, Ihre Erlebnisse aus Korea sind bis heute jedoch ein uner- lässt sich äußerlich ein Aspekt ihrer Bilder erfassen, wobei schöpflicher Bildfundus von Lebewesen in seltsamen Kon- die Vorstellung des Blicks in ein Aquarium als Bildraum we- stellationen und magisch aufgeladenen Situationen. Ohne sentlich ist. Mit den frontalen Abdrücken der Innenfläche perspektivische Raumzwänge rücken die Tiere, Menschen ihrer eigenen Hände befindet sich die Künstlerin auf der und Mischwesen dem Betrachter nah vor den Blick und anderen Seite der gedachten Glaswand und signalisiert fesseln ihn unausweichlich mit fragend großen Augen- Anwesenheit im Bild und Abstand zum Betrachter. Dies Foto: Koreanisches Kulturzentrum Koreanisches Foto:

KULTUR KOREA 39 Vernissage der Ausstellung „Der Pinsel führt mich. Ich folge ihm!“ von Eun Nim Ro am 22.10.2015 im Koreanischen Kulturzentrum in Berlin / erscheint plausibel in der Kenntnis, dass die Künstlerin seit morvoller Kollegenstichelei bis zu pointierten Inversionen. ihrer Kindheit eine Affinität zum Blick in das Wasser entwi- Demontiert zum Beispiel werden die großen Meister der ckelt hat und als passionierte Taucherin die Meereswelten Kunstgeschichte, etwa wenn Eun Nim Ro auf das kolpor- und Korallenriffe erlebt. Schon am Ort ihrer Kindheit such- tierte Picasso-Zitat „Ich suche nicht, ich finde“ antwortet te sie die Nähe des kleinen Bachs hinter dem Elternhaus, mit „Ich suche, was ich nicht verloren habe“. (3) um täglich ihre „playmates“, die Fische, anzutreffen und um sich sogar nachts mit der Taschenlampe zu vergewissern, dass sie auch gut schlafen. (2)

Kurz: Eun Nim Ro zielt auf die Grenze zwischen Produk- tion und Rezeption. Für sie verschmelzen das Werk und seine Schöpferin untrennbar. Ro schafft eine Verbindung Nachweise zwischen der unmittelbaren Ganzheitlichkeit kindlicher Ausdrucksformen, der zeichenhaft magischen, frühkultu- 1. Vgl. kunststreifzüge. Porträts Hamburger Künstlerinnen und rellen und noch über den Globus verbreiteten Artefakte, Künstler. Ein gemeinsames Projekt des Norddeutschen Rundfunks, sowie den wahrnehmungspsychologisch auf schnelle der Hamburgischen Kulturstiftung und des Kunsthauses, Hamburg. Erfassung angelegten Piktogrammen der hochmodernen 3. Band, Teil 3 der Schriftenreihe der Hamburgischen Kulturstiftung, industriellen Kommunikation. Die gemalten Botschaften Hamburg 1997, S. 24 werden von jedem verstanden – so komplex auch immer der hergeleitete Zusammenhang zwischen Natur- und 2. Zu den „playmates“ vgl. Eun Nim Ro. Textes/Texts Eddy Devol- Kulturgeschichte sein mag. ver, Phillippe Giumiot Editeur, Bruxelles 1990 (s. Biographie). – Zur nächtlichen Begegnung mit den Fischen vgl. das Zitat in: Eun Nim Wie eine Bestätigung wirken die vielen textlichen Äu- Ro. Arbeiten 2010 – 2011, Mein Pinsel führt mich. Ich folge ihm, ohne ßerungen der Künstlerin, die häufig, programmatisch Ortsangabe, Verlag B*Hands, 2011, S. 6 verkürzt, Gedichtform annehmen und asiatische Weisheit 3. Motto der Ausstellung in der Fabrik der Künste, Hamburg, 12. - 27. mit europäischen Denkmustern verknüpfen. Die in den Juli 2008, Eun Nim Ro. Ich suche, was ich nicht verloren habe, Ham- Aphorismen versteckten Anspielungen reichen von hu- burg 2008, Cover.

Prof. Claus Mewes ist Kunsthistoriker, Kurator » und Museumspädagoge. Von 1993 - 2013 war er Geschäftsführer und Kurator der Kunsthaus Ham- burg gGmbH, von 2003 – 2013 Dozent an der Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik, Studiengang Medienmanagement, und seit 2010 ist er Professor an der Beijing Normal University, Dept. DFI, Zhuhai/China. Zur Kunst des 19.–21. Jahrhunderts hat er zahlreiche Texte veröffent- licht und Vorträge gehalten. Seine Schwerpunkte sind die Kunst im Exil, die zeitgenössische Kunst

und die Kunst in Hamburg. Hamburg Heye, Hayo Foto:

40 / KULTUR KOREA KUNST, MUSIK, FILM GESCHICHTE DER MODERNEN KOREANISCHEN MUSIK

Der Vortrag ,,Geschichte, Generation und Spuren der modernen koreanischen Musik“

Von Sebastian Claren

nter dem Titel „ Geschichte, Generation und Spuren Jahrhundert, über das Frau Yun ausführlich sprach, ist die der modernen koreanischen Musik“ hat Frau Dr. Entstehung der koreanischen Nationalhymne: Die erste UShin-Hyang Yun im September 2015 am Koreanischen koreanische Nationalhymne ‚Daehan Jeguk ‘ wurde Kulturzentrum in Berlin eine Reihe von Vorträgen gehalten, 1902 von dem deutschen Komponisten Franz Eckert bear- in denen sie eine Einführung in die Geschichte der koreani- beitet. 1910 wurde sie nach der Eingliederung Koreas in das schen Musik im 20. Jahrhundert gab. Dabei ging es nur am Japanische Kaiserreich durch die japanische Nationalhymne Rande um die traditionelle koreanische Musik, die mündlich ersetzt, die ebenfalls von Franz Eckert bearbeitet worden überliefert und von den Musikern, die sie hervorgebracht war. Der Text der heutigen Nationalhymne Südkoreas wurde haben, auch ausgeführt wird, sondern um Musik, die nach bereits Ende des 19. Jahrhunderts entweder von dem westlich-europäischem Vorbild von einzelnen Komponisten Politiker Chi-Ho Yun oder von dem Unabhängigkeitsakti- schriftlich ausgearbeitet und festgehalten wird, und dann in visten Chang-Ho An geschrieben und ursprünglich auf die der Regel von anderen Musikern aufgeführt wird. schottische Volksmelodie ‚Auld Lang Syne‘ gesungen. Der international erfolgreiche koreanische Komponist Eak-Tai Es ist offensichtlich, dass es sich hierbei um zwei grundsätz- Ahn komponierte 1937 eine neue Fassung dieser Hymne, lich entgegengesetzte Konzeptionen von Musik handelt, die bis heute in Gebrauch ist. und es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, zu welchen Verwerfungen es kommen muss, wenn eine historisch über- Eak-Tai Ahn selbst ist ein perfektes Beispiel für den Umbruch mächtige Musikkonzeption wie die westlich-europäische im koreanischen Musikleben in der ersten Hälfte des 20. in eine musikalische Kultur einbricht, die auf völlig anderen Jahrhunderts. Geboren in Pjöngjang, war seine musikali- Grundlagen beruht. Auch wenn Frau Yun diesen Punkt nicht sche Erziehung so international geprägt, wie man es sich in dieser Schärfe herausgestellt hat, spricht vieles dafür, dass nur wünschen kann: Sie führte ihn über und die USA genau dieses Aufeinandertreffen zweier grundsätzlich un- nach Wien und Budapest. Er dirigierte viele der großen terschiedlicher Musikkulturen und die dadurch erzwungene Orchester Europas und erhielt von Richard Strauss Hilfe bei Auseinandersetzung mit schriftlich komponierter Musik der Vollendung seines bekanntesten Werkes, der ‚Symphoni- Koreas Eintritt in die musikalische Moderne markiert. schen Korea Fantasie’, in der der Einfluss von Strauss deutlich hörbar ist. Ab 1955 dirigierte er das Seoul Philharmonische Ein Kuriosum der koreanischen Musikgeschichte im 20. Orchester und organisierte drei Jahrgänge des Seoul Inter-

KULTUR KOREA / 41 national Music Festivals. 2008 wurde er als pro-japanischer als eine eigene Bewegung an, die sich bewusst von den ihr Kollaborateur eingestuft, weil er 1941 ein Konzert zum zehn- vorangegangenen Generationen distanzierte, indem sie sich jährigen Bestehen des von Japan besetzten Mandschukuo1 von der westlichen Avantgarde abwandte und als Gegen- dirigiert hatte. konzept die Idee der ‚dritten Welt‘ in den musikalischen Dis- kurs einführte. Geon-Yang Lee, der offenbar eine Art Wort- Für die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts iden- führer der Komponistengruppe war, versuchte in Stücken tifizierte Frau Yun drei Generationen von Komponisten, wie ‚Pun-No Üi Si’ (‚Gedicht des Zorns’, 1985) volkstümliches in denen sich die moderne koreanische Musik etablierte Musikvokabular aus Korea mit europäischer Kirchenmusik und von einer zu engen Bindung an westlich-europäische zu verbinden und dabei gesellschaftskritische Anliegen Vorbilder befreite. Als Vertreter der ersten Generation vorzutragen. Seong-Ho Hwang mischte in seiner elektroa- erwähnte Frau Yun die Komponisten Ki-Su Kim (1917-1986), kustischen Musik computergenerierte Klänge mit Samples Dong-Jin Kim (1913-2009) und Isang Yun (1917-1995). Ki-Su traditioneller koreanischer Instrumente, um so diese beiden Kim ist hier aus heutiger Sicht besonders interessant, weil er sehr gegensätzlichen Welten aufeinanderprallen zu lassen. der erste Komponist war, der sich intensiv mit der traditi- Man-Bang Yi schließlich, der allerdings nicht unmittelbar onellen koreanischen Musik auseinandergesetzt hat und zum Zirkel der dritten Generation gehört, bezog sich in sowohl Transkriptionen traditioneller koreanischer Musik, seiner Musik auf deutlich subtilere Weise auf die koreanische als auch neue Kompositionen für traditionelle koreanische Tradition, indem er etwa in seinem Orchesterwerk ‚Mudang‘ Instrumente erarbeitete. Dagegen stellte Frau Yun von (1982) die Harmonik von auf koreanische Modi bezogenen Dong-Jin Kim ein koreanisches Klavierlied vor, das ganz in Obertönen erforschte oder in seinem Streichquartett ‚Amita‘ der Tradition des europäischen Kunstliedes des 19. Jahr- (1989) koreanische Rhythmuszyklen verwendete. hunderts befangen war. Isang Yuns Schaffen erfuhr durch seine Konfrontation mit der westlichen Avantgarde bei den Frau Yun gelang es, ihre Geschichte der komponierten kore- Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik eine deutliche anischen Musik im 20. Jahrhundert durch zahlreiche weitere Wende, da er sich von diesem Zeitpunkt an einerseits mit Beispiele, die zum Teil auch aus der Populärkultur stammten, den Techniken der westlichen Neuen Musik auseinander- sehr anschaulich zu machen; angesichts der Menge des setzte, und andererseits einen bewussten Rückbezug auf die angeführten Materials war es leider unvermeidlich, dass traditionelle koreanische Musik vollzog. sich selten die Gelegenheit zu einer Vertiefung der Betrach- tungsweise ergab. Zur zweiten Generation der koreanischen Komponisten zählte Frau Yun die Komponisten Sok-Hi Kang (*1934), 1 Von Japan errichtetes Kaiserreich in der Mandschurei (Anm. d. Red.) Byong-Dong Paik (*1936) und Byong-Gi Hwang (*1936). Sok-Hi Kang studierte in Hannover und Berlin bei Isang Yun und Boris Blacher und gründete nach seiner Rückkehr nach Korea das ‚Pan-Festival‘ für Neue Musik. Er schrieb mit ‚Won- Saek Ui Hyang Yon’ (‚Bankett der Originalfarbe‘, 1966) die erste elektroakustische Musik eines koreanischen Kompo- nisten und setzte sich in ‚Buru‘ für Stimme und Instrumente mit dem koreanischen Buddhismus und Schamanismus aus- einander. Auch Byong-Dong Paik studierte bei Isang Yun in Hannover, wo er sich die Techniken der westlichen Avantgar- de erarbeitete. Im Unterschied zu Sok-Hi Kang findet bei ihm sehr früh eine Rückbesinnung auf die koreanische Tradition privat Foto: statt, die sich in Titeln wie ‚Changjak Gukak‘ und ,Changjak Dr. Sebastian Claren studierte Komposition, Gayagum’ niederschlägt. Byong-Gi Hwang, der in diesem » Musikwissenschaft, Kunstgeschichte und Zusammenhang meistens nicht erwähnt wird, ist ein Son- Philosophie in Berlin, Freiburg und Heidelberg. derfall, da er als Gayageum-Virtuose fest in der traditionellen Seine Doktorarbeit schrieb er über das Ge- koreanischen Musik verwurzelt ist und fast ausschließlich für samtwerk von Morton Feldman (Neither, Die traditionelle koreanische Instrumente komponiert hat. Da er Musik Morton Feldmans, Hofheim 2000). Er dabei viele Techniken der westlichen Neuen Musik auf die erhielt Arbeitsstipendien für Los Angeles, New traditionellen Instrumente überträgt, stellt sein Werk einen York, Paris und Rom und zahlreiche Preise, u.a. sehr persönlichen Standpunkt im Aufeinandertreffen von den Kranichsteiner Musikpreis, den Stuttgarter westlicher Avantgarde und koreanischer Tradition dar. Kompositionspreis und den Ernst von Siemens Förderpreis. 2014 wurde er zu dem International Im Unterschied zu den beiden ersten Generationen Gugak Workshop in Seoul eingeladen. Seit 2014 koreanischer Komponisten sah sich die dritte Generation, nimmt er Daegeum-Unterricht bei Hong Yoo in zu der Frau Yun die Komponisten Geon-Yang Lee (*1947), Berlin. Ausführliche Informationen unter www. Seong-Ho Hwang (*1955), und Man-Bang Yi (*1945) zählte, sebastianclaren.wordpress.com.

42 / KULTUR KOREA KUNST, MUSIK, FILM

Mutter I, 100 x 95cm, Öl auf Leinwand, 2012 Dieses Bild von Ukn Lee hängt in dem koreanischen Restaurant „JoLee“ in Berlin

„DIE FRAUEN IN MEINEN BILDERN SIND ALLE MEINE MUTTER“ Im Gespräch mit dem Maler Ukn Lee über Erinnerung, Abschied und Neubeginn

as wichtigste Bild von Ukn Lee hängt in dem Informationen auf seiner Website verbergen sich hinter koreanischen Restaurant „JoLee“ in Berlin. Beim diesem Bild. Ein Klick auf den Künstlernamen führt den DBetreten dieses ansprechend designten Raums fällt Besucher zu „Mutter I“. Niemand kommt vorbei an diesem es unmittelbar ins Auge, hebt sich ab von der tiefgrünen Bild. Er hat es verkauft – dennoch. An die Besitzerin des Wand, fasziniert geschützt hinter Museumsglas, als ruhte „JoLee“, eine Freundin. Es diene als Schutzengel und erset- es oder thronte gar, als sei es dem lärmenden Geschehen ze auch der Freundin eine leibliche Mutter – symbolisch freudig plauschender Gourmets enthoben. „Mutter I“ lautet versteht sich. der Titel, 2012 ist es entstanden. Die Geschichte hinter dem Bild bewegt. Das Gesamtwerk des Malers wird von einer Farbenvielfalt Ukn Lee war zwei Jahre alt, als seine Mutter verstarb, dominiert. „Bunt bedeutet Lebensfreude. Mein Leben ist und je länger er an diesem Abend über sein Leben, seine nicht immer leicht“, sagt Ukn Lee, „meine Gedanken sind Arbeit, seine Gedanken erzählt, umso deutlicher wird, wie oft schwer, aber in meinen Bildern möchte ich das Gegen- schmerzlich präsent der Verlust bis heute ist. „In meiner teil zum Ausdruck bringen; alles soll hell und leicht sein. Familie wurde über den frühen Tod meiner Mutter nicht Ich möchte den Betrachtern etwas Positives vermitteln, das gesprochen, weil es in der traditionellen koreanischen ist meine Botschaft als Künstler.“ Ukn Lee verändert seine Gesellschaft nicht vorgesehen war, dass eine Frau vor Bilder, indem er sie übermalt - Pentimenti nennt sich diese ihrem Mann starb. Ich selbst hatte keine Erinnerung an sie, Technik. Deshalb malt er vornehmlich in Öl. es gab keine Memorabilien, das Thema war mit einem Tabu belegt.“ Als Ukn Lee viel später, im Alter von 24 Jahren, „Ich möchte, dass Kunst immer lebendig bleibt, denn schließlich vom Schicksal seiner Mutter erfuhr, war das ein Lebendigkeit ist Ausdruck für die Energie unseres Lebens“, „Schock“. erklärt er. „Im Laufe der Jahre male ich immer wieder viele Schichten übereinander. Manchmal sehe ich ein altes Bild Heute ist er Anfang fünfzig und hat vor drei Jahren zum nach 10 Jahren wieder und übermale es dann mit anderen ersten Mal ein Foto von seiner Mutter gesehen - das einzi- Farben und Figuren.“ Da auch der Galerist WangHohmann ge Foto, das es von seiner Mutter gibt - im Miniaturformat in Wiesbaden um Lees Vorliebe für diese Technik weiß, hat zumal. Sein Vater hatte es ein halbes Jahrhundert lang bei er vor Beginn der zweiten großen Solo-Ausstellung von sich getragen - und ein halbes Jahrhundert lang darüber Ukn Lee im September/Oktober dieses Jahres die Gemälde geschwiegen. Ukn Lee hat es abgemalt, auf 100 x 95 cm früh genug in Berlin abholen lassen, vorsichtshalber… Und vergrößert und in Öl auf Leinwand verewigt. Sämtliche eine junge Studentin konnte von Glück sagen, dasselbe Foto: © Galerie WangHomann © Galerie Foto:

KULTUR KOREA / 43 Menschenraum, 72 x 91 cm, Öl auf Leinwand, 2007-2013

Bild, das sie einst gesehen und nicht mehr vergessen hatte, langsam hinterhergehen.“ 10 Jahre später unverändert vorzufinden und endlich kaufen zu können. Ukn Lee ist jemand, der es ruhig mag. Das Malen ist zu- weilen ein einsamer Prozess. Er schätzt diese Zurückgezo- Die Bilder entstehen auf der Vorlage von Fotos, vielfach auf genheit und hat wenig Sympathien für Menschenmengen, Reisen. Es fällt auf, dass Ukn Lee vornehmlich Gruppen- Lärm und Hektik. „Seoul ist krank und verrückt“, hat er einst bilder malt, vielfach in Rückansicht. Eine Gruppe symbo- gesagt und wiederholt es nun. „Ich habe fast 30 Jahre in lisiere für ihn die Gesellschaft, erklärt er. Sie sei quasi der dieser Metropole gelebt, aber heute kann ich es dort nicht Gegenentwurf zu einer zunehmend individualisierten und einmal mehr drei Tage aushalten. Die Stadt ist viel zu laut, weniger im Verbund lebenden Gesellschaft – er prognos- man kann dort keine Gedanken entwickeln.“ Ungeachtet tiziert eine Verstärkung dieser Tendenz und hofft zugleich, dessen fliegt er etwa zweimal jährlich für einige Monate er möge Unrecht behalten. Seine Gruppen versteht er als nach Korea, um dort zu arbeiten. Sein Atelier liegt weit Interessens- und Schicksalsgemeinschaft, die gemeinsame außerhalb vom Zentrum Seouls und hat sechs Meter hohe Ziele und Gedanken haben. Sein Faible für die rückwär- Wände – für die ganz großen Bilder. „In Korea kann man tige Ansicht habe vielleicht mit seinem Charakter zu tun, nicht ‚Nein‘ sagen. Der Kollektivgedanke prägt die Gesell- mutmaßt er: „Von Angesicht zu Angesicht entsteht eine schaft, man ist ständig mit Kollegen zusammen, geht fast Spannung, aber wenn ich als Betrachter im Rücken der jeden Abend zusammen essen und trinken. Ich kann das Menschen stehe, kann ich das Geschehen beobachten.“ nicht, deshalb lebe ich lieber in Deutschland.“ Und genau das will er: beobachten. Eines seiner Bild trägt den Titel „Heimreise“ und impliziert Im weiteren Sinne bedeutet dies für Ukn Lee auch, die Feh- vielleicht eine biblische Bezugnahme? Es zeigt Jesus, ler der Nachkriegsgeneration in Korea zu ‚beobachten‘, sie vielleicht auch einen Jünger, die Mutter Gottes mit Heili- zu analysieren, und er wünschte, er könnte das Tempo des genschein, andere Personen, vielleicht auch den Tod – eine rapiden Wirtschaftswachstums in seinem Land drosseln, kleine Gruppe. Es sei ein wenig schwierig zu erklären, wel- das diese Generation vorgelegt und ‚weitervererbt‘ hat. che Botschaft sich hinter dem Bild verberge. Seine großen An diesem Punkt wird die Rückansicht in seinen Bildern Themen seien immer Mutter und Kind und die Gruppe gewissermaßen zu einer philosophischen Haltung. Die als Symbol der Gesellschaft. Beide Themen finden sich erste Gruppe/Generation solle vorausgehen und „wir als auch hier in Gestalt der Mutter Gottes und der von Jesus

Nachfolger müssen sie genau beobachten und möglichst sowie in der Darstellung der Kleingruppe wieder. „Ich bin WangHomann © Galerie Fotos:

44 / KULTUR KOREA zwar Christ, fühle mich aber auch dem Buddhismus sehr verbunden. Das deutet auf mein grundlegendes Problem hin, immer in einem Spannungsverhältnis zwischen zwei Dingen zu stehen. Ich habe mit Korea und Deutschland zwei Heimaten, fühle mich zwei Religionen zugehörig, schwanke stark zwischen Positiv- und Negativenergien. Mein Wunsch wäre es, aus diesen zwei Welten eine Einheit zu bilden.“ Heimreise bedeute Weggehen von etwas und zugleich auch Rückkehr, nach Hause kommen, sagt er. Auf die Frage, was Heimreise, Heimat, nach Hause kommen für ihn bedeute, antwortet er: „Die Mutter“.

Immer wieder kehrt er dorthin zurück. „Die Frauen in meinen Bildern sind alle meine Mutter und die anderen Figuren sind alle ich. Obwohl meine Mutter tot ist, habe ich sie mein ganzes Leben lang beschützt.“ Wäre es nicht denkbar, dass auch der Vater für ihn Heimat bedeutet? Mutter II, 100 x 95cm, Öl auf Leinwand, 2012 „Nein. Niemals.“ Warum nicht? „Ehrlich gesagt: Es mangelt Männern an Emotionen und an Geistigkeit. Als Künstler missfällt mir diese Inhaltsleere. Über meine Kunst und Kunstwerke, die sie betrachten. Hier in Deutschland ist das meine Arbeit habe ich vor allem mit Frauen gesprochen. ganz anders. Die Besucher kommen und sind wissbegierig, Männer verstehen das nicht und wollen es auch nicht wis- fragen ständig nach, was sich hinter den Bildern verbirgt. sen. Sie sind nicht neugierig, nicht sensibel genug. Sie sind Das finde ich toll! Ich wünsche mir diese Art der Resonanz.“ nicht am Detail interessiert. Sie sind das Haus, das Gerüst, das Außen. - Vielleicht ist das auch gut so.“ Im Anschluss an die Vernissage schwärmte die Galerie: „Die Akzeptanz war durchweg positiv. Viele sprachen von einer Die Nähe zu seiner Mutter scheint ihn zu beschweren, zu weiter gewachsenen, positiven Offenheit in den Bildern, beengen. Das Bild „Mutter II“, ebenfalls aus dem Jahr 2012, die in Farbe und Darstellung zum Ausdruck komme. Ein ist ein Versuch der Befreiung. „Ich möchte endlich fröhlich großer Teil der Gäste suchte zudem das direkte Gespräch sein und meine Mutter vergessen. Umgekehrt soll auch mit dem Künstler, um mehr über Motiv und Technik zu meine Mutter mich vergessen, wir müssen uns endlich erfahren.“ Damit war ein Wunsch schon in Erfüllung ge- loslassen, Abschied nehmen.“ Das Bild ist die Wiederauf- gangen. „Staunen löste hier insbesondere der Auftrag von nahme des Motivs von „Mutter I“. Die Hälfte des Gesichts Öl auf seidenem Malgrund aus, ein Verfahren, das für viele ist mit koreanischen Schriftzeichen beschrieben. Es sind gänzlich unbekannt war“, schrieb der Galerist. Worte des Dankes und Worte des Abschieds. „Ich wünsche mir, dass die Spannung zwischen uns wegfällt, damit ich Seide erinnere Ukn Lee an die traditionelle koreanische mich auch als Künstler öffnen, frei sein und andere Motive Kleidung Hanbok, erklärt er während unseres Gespräches malen kann, z.B. Landschaften und keine Menschen mehr. in Berlin. Vielfach verwende er Seide als Grundlage, die er Ich möchte das schon so lange!“ dann übermalt. Und auch dieses Mal findet sich der Bezug zu seiner Mutter, die in der Seide symbolhaft als schützen- Ukn Lee spricht über die alten Meister und Vorbilder Piero de Grundlage anwesend ist. Seine Kunst gefällt. Die Kenner della Francesca und Fra Angelico, über die Prägung durch seiner Arbeiten erfreuten sich nach Ausstellungsbeginn an seinen Lehrer und Meister Norbert Tadeusz, den die fröhli- den „Naturelementen“ in den Bildern, die „in den beinahe chen Farben und das Leichte in den Bildern seines Schülers durchweg figurativen Darstellungen bisher keinen Platz an Ronald Brooks Kitaj erinnerten und der ihn gern zu sich hatten“. Sie lobten auch die „Erweiterung in den außerstäd- nach Düsseldorf geholt hätte. Ukn Lee wollte lieber eigene tischen Raum“, bzw. das „Hereinbrechen der Natur in die Wege gehen, sich auch an dieser Stelle lösen von jeman- Stadt“, berichtet die Galerie weiter. dem, der „wie ein Vater für mich“ war. Ist das der Beginn des Abschieds von einem großen Thema? Vielleicht geht ja bald noch ein anderer Wunsch in Vom 12. September bis 31. Oktober war seine zweite große Erfüllung. Einzelausstellung in der Galerie WangHohmann - contem- porary east asian art - in Wiesbaden zu sehen. Er hat sich Das Gespräch führte Dr. Stefanie Grote gewünscht, dass seine Kunst auf alle Betrachter positiv Redaktion „Kultur Korea“ wirkt. Und sonst? „Wenn ich in Korea ausstelle, kommen ganz viele Leute, aber sie reden nur sehr wenig über die Weiterführende Informationen: http://uknlee.de

KULTUR KOREA / 45 KUNST, MUSIK, FILM

DAS GROßE THEATER DES ERZÄHLENS Pansori „Jeokbyeokga“ das „Lied vom Roten Felsen“ in Düsseldorf und Hamburg

Von Matthias R. Entreß Foto: © DKGH 2015 Foto:

46 / KULTUR KOREA ür Pansori in Deutschland ein Publikum zu finden, seinen besten Jahren, besitzt bei einer grundsätzlichen erscheint im ersten Moment ziemlich aussichtslos. Klarheit der Stimme das volle Spektrum des Ausdrucks. FEin Sänger und ein Trommler, die zusammen einen Manche ältere Sänger - zum Beispiel war es so bei Yuns Roman vortragen? Auf Koreanisch? Und den Text soll man Lehrer Jeong Gweon-jin - haben im höheren Alter eine „simultan“ mitlesen? „Willy-Brandt-Stimme“. Der Qualität des Gesangs tut das keinen Abbruch, solang der Ausdruck nicht darunter Die weißgewandeten Musiker auf dem Plakat machen aber leidet. Ausdruck ist die Substanz des Pansori-Gesangs, und einen fröhlich-feierlichen Eindruck, und Erzählen wird hier der Ausdruck greift tief in die Seele des Menschen. Es sind offenbar doch zu einem Geschehnis. Und so ist es auch die allgemeinverständlichen Urlaute des Leidens und der tatsächlich. Pansori ist ein minimalistisches Gesamtkunst- Freude und aller Dinge im Leben, die im Pansori-Gesang werk, das Literatur, Musik und Darstellende Kunst in größ- gestaltet werden. Die Melodien, die gleichwohl sorgfältig ter Kompaktheit und größter Effizienz in sich vereint. Alle vom Lehrer auf den Schüler übergehen, verlieren dadurch künstlerischen Elemente kulminieren im Erzählen. Aber die Dominanz, die sie im klassischen westlichen Kunstlied waren sie je getrennt? Ist der Ursprung dieser Kunst nicht oder in der Oper haben. Die zahlreichen Exaltationen des das wunderbare alte Talent der Koreaner zum Erzählen Stimmlichen bringen den Pansori-Gesang aber in die Nähe und Zuhören? Und wurde im Pansori nicht das Sprechen sowohl von Rock und Blues, als auch von westlicher Avant- zum Gesang, die Geschichte zum Roman und sogar die Re- garde, hat doch z.B. in der Musik von Helmut Lachenmann aktion der Zuhörer zu der Konvention, die man „Chuimsae“ das instrumentale Geräusch eine hohe Stellung, oder bei nennt, die lobenden Anfeuerungsrufe? Giacinto Scelsi der subtil gestaltete Klang.

Im Pansori wird die aktive Phantasie des Zuschauers zum So auch bei Yun Jin-chul! Ausdrucksvolle Heiserkeiten wichtigen Teil des Erlebnisses. Denn anders als ein Kinofilm stehen ihm neben einer klaren Sprechstimme in großer ist Pansori kein Fertigprodukt aus Ton, Text und Bild. Und Zahl zur Verfügung. anders als im Theater gibt es nicht die Schauspieler, in die sich der Zuschauer per Identifizierung hineindenken Die Aufführung begann wie üblich mit einem Dan‘ga, ei- könnte. Die Kunst des Pansori-Sängers und seines Beglei- nem Lied zum Aufwärmen der Stimme und des Publikums, ters besteht nämlich darin, den Zuschauer einzuladen, das Yun nutzte, die Chuimsae vom Publikum einzufordern. dem Erzählen beizuwohnen und das Erzählte gegenwärtig Das Pansori „Jeokbyeokga“ hub dann gemächlich an, mit werden zu lassen. Die Textprojektion, immer nah über einer langen Erzählpassage (Aniri), die die Erwartung dem Kopf des Sängers, ist da bei uns unverzichtbar und steigerte und sich im ersten Gesang (Sori) entlud, und die hocheffektiv. Da der Zuschauer aufgefordert ist, die Erzähl- Überraschung war den Zuschauern wohl die größte, dass situation ganz persönlich zu nehmen und gern mit kleinen ein krähendes Überschlagen der Stimme, das in schmerz- Ausrufen (Chuimsae) zu reagieren, wird eine Pansori-Auf- volles Heulen mündet und sich in einem Louis-Arm- führung zum Gemeinschaftserlebnis. Ein Pansori ist eben strong-würdigen Knurren ausrollt, so sehr wohl tut. kein Klavier-Abend. Yun und Cho sind schon seit vielen Jahren ein einge- Doch das muss der Deutsche erst einmal wissen. spieltes Team. Cho Yong-su war als Gosu (Begleiter) nicht Am 29. September im Düsseldorfer Theatermuseum und nur ein aufmerksamer Wächter über die komplizierten am 3. Oktober im Hamburger Völkerkundemuseum (das Jangdan genannten Rhythmusmuster, sondern auch ein sich schon zum vierten Mal seit 2004 für Pansori enga- wunderbarer erster Zuhörer. Ihm wandte sich Yun immer gierte) wurde das Pansori „Jeokbyeokga“ - das „Lied vom wieder lebhaft zu, und dieser ließ oft ganze Kaskaden Roten Felsen“, mit dem Sänger Yun Jin-chul und Cho seiner Chuimsae hören, als wäre er drei Männer in einem. Yong-su als Begleiter aufgeführt. Ohne die Einladung der Deutsch-Koreanischen Gesellschaft Hamburg, die sogar Das Schlachtengemälde „Jeokbyeokga“ ist unter den fünf die Flugkosten für die Künstler übernahm, der großzügi- noch existierenden Pansoris das anspruchsvollste und war gen Zuwendung eines privaten Düsseldorfer Sponsors in Korea unter den Aristokraten, die ja erst Mitte des 18. und die selbstlose und tätige Unterstützung des dortigen Jahrhunderts begannen, Pansori als Kunst anzuerkennen, Theatermuseums wäre die kleine Tournee nicht zustan- das beliebteste. Aber, nur Männer, keine Liebesgeschichte, degekommen. Trotz vollkommener Nichtbeachtung unglaublich viele Namen historischer Helden und ausführ- vonseiten der Presse waren beide Säle rappelvoll, und die liche Schilderungen von Politik und Strategien!? Wäh- Seelen aller quollen über vor Vergnügen und Belebung rend die anderen vier, die jedes für sich keinem anderen durch die intensive Ansprache - – eine Wirkung, die man in gleichen, auf Volkserzählungen beruhen, welche in vielen den westlichen Künsten so nicht kennt. asiatischen Kulturen existieren, geht „Jeokbyeokga“ direkt auf den riesigen „Roman von den Drei Reichen“ des chine- Die Stimme eines Pansori-Sängers entwickelt sich auch sischen Autors Luo Guanzhong aus dem 14. Jahrhundert nach der Ausbildung weiter. Yun Jin-chul, jetzt mit 51 in zurück. Dieser handelte von den kriegerischen Ereignissen

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/ KULTUR KOREA einiger Kürzungen erleben können. erleben einiger Kürzungen auchtrotz die Zuschauer inHamburg undDüsseldorf die Wonne dieser „himmlischen Längen“anfühlte, haben Zusammensein unddemAmüsieren besteht. Undwiesich Bestandteil desPansori-Erlebnisses, welches auchausdem Caos wenigen Soldaten überlebenden nicht bei,sindaber derwahnwitzigenSchilderung Verstümmelungen von Cao den bevorstehenden Verlust desLebens, oderdielange der Wettstreit derSoldaten umdiegrößte Trauer über hatten. Zur Handlungalssolchertragen Szenen wiez.B. an Steigerungen von RührungundGroteske ihren Spaß selber,genannten derSänger Hinzufügungen dieoffenbar bestellt hatten, sowie dieDoneum des 19.Jahrhunderts fügungen von edlenGedichten, welche dieAristokraten durch gewitzte Strategien zubrechen, findensichdieEin- Han-Reiches, Cao Cao, aufzustehen unddessenÜbermacht des den Plan gegendenKanzler dreier Kriegshelden, noch immergutauffindbar, dennnebender über „Story“ Entstehungsgeschichte sindim Text von „Jeokbyeokga“ Die Spuren dieserlangenundabwechslungsreichen ergänzt. so Yun, und ihnsichaufihre Art Weise angeeignet und Volkswissens gegolten. DiefrühenPansori hätten,-Sänger des undsohabeerselbstalsBesitz schon vorher bekannt, auch inKorea äußerstbeliebtgewesen, die Legenden auch ren seischonbaldnachErscheinen Roman Stücken. Der mir,erklärte esgebegarkeinenUnterschied zudenande sich dasPansori beziehe, nochaufdiesenRoman under Felsen imJangtse-Fluß. Ichfragte Herrn Yun, inwieweit amRoten Schlacht unddieschicksalhafte des Krieges sichaufdenHöhepunkt konzentriert sori „Jeokbyeokga“ im untergehenden DasPan derHan-Dynastie. Kaiserreich » päische Musik, fürDLR,BR,DLF.päische Musik, Schwerpunkte undAußereuro sindNeueMusik denen erauchmitarbeitete. Musikjournalistische ersten deutschenÜbersetzungenvon Pansori, an und Volksmusik erdie (2011).2005initiierte mitPansoriKonzerttourneen (2009/2013/2015) FestivalsItalien mitkoreanischer sowie Musik und2007in 2004inBerlin kuratierte FU Berlin, undKunstgeschichte Germanistik schaft, ander nalist und-kurator. Erstudierte - Theaterwissen alsfreierund arbeitet inBerlin Autor, Musikjour Matthias R.Entreß,

geb.1957 inHamburg, lebt Foto: privat - - - - 1 2 Konzert von BlockB von BlockB

1 © mduangdara (https://www.flickr.com/photos/mduangda- ra/20521199478/), https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/ 2 Foto: Maira Naba KUNST, MUSIK, FILM

In dem Gespräch verwies er auch stets auf Block B, für deren Erfolg er arbeitet. Aus der anhal- tenden Welle von immer neuen Boygroups in Südkorea werden nur wenige wirklich bekannt und eine davon ist Block B, obwohl sie seit ihrer Gründung 2011 unter der Plattenfirma schon eine Reihe von Höhen und Tiefen durchlebt habt. Sie sind mit Songs gestartet, die sich in K-Pop einreihen lassen wie beispielsweise „Tell them“ oder „Freeze“ (2011). Letzterer wurde aber trotz seiner leichten Art wegen einiger Textpassagen erst ab 18 Jahren freigegeben. Dieser Widerspruch zwischen leicht zugänglicher Musik mit einem Mix aus HipHop und Ballade und der Kritik an den Tex- ten ist sicher auch auf die Zusammensetzung der Band zurückzuführen. Die sieben Mitglieder 3 vertreten sehr unterschiedliche Richtungen, wie dies häufig der Fall ist bei Pop-Gruppen. Drei Rapper, Zico, P.O., Kyung, und vier Sänger, Taeil, B-bomb, Jaehyo, U-kwon, die sich je nach Stil gut ergänzen: Taeil ist der Sänger, der für BLOCK B die Gesangseinlagen und Balladen steht. P.O. ist mit seiner tiefen Stimme die ideale Ergänzung Eine Boygroup mit vielen Facetten zu Taeils klarer Stimme, ebenso wie sein Rap im Dialog zu Zicos Rap steht. Zico, der Bandlea- der, gilt als Underground Rapper, der einer der Von Ute Fendler wenigen in der HipHop-Szene Südkoreas ist, der zwischen Rapper und Idol hin- und herwechselt, ohne dass sein Image dabei größeren Schaden m Februar 2015 hatte ich die Gelegenheit, nehmen würde. 2011 brachten sie ihr erstes Zico von der Boygroup „Block B“ in seinem Album heraus „New Kids on the Block“ mit IStudio in Seoul zu treffen. Der Begründer von „Nalina“ und 2012 „Welcome to the Block“ mit Block B, ChoPD, hatte mir schon zuvor von dem „Nilili Mambo“. Diese beiden Songs waren nicht charismatischen Leader erzählt, was sich nun nur sehr eingängige, von HipHop beeinflusste in dieser Begegnung bestätigte. Zico betrat Songs, sondern sie erlangten durch die ge- den kleinen Raum und füllte ihn sogleich mit konnte visuelle Inszenierung Aufmerksamkeit. einer - für einen Dreiundzwanzigjährigen - „Nilili Mambo“ kombiniert HipHop mit traditi- überraschenden Präsenz. Fast eine Stunde lang onellen Elementen aus einem alten Volkslied. diskutierten wir über Musikvideos, die Resonanz Das Video zum Song ist narrativ angelegt und auf Filme, über Ideen für neue Songs. Er war inszeniert die Mitglieder als moderne Piraten, - hochkonzentriert, sehr präsent, sodass man sich die in kriminelle Geschäfte verwickelt sind und gut vorstellen kann, wie er arbeitet. Dabei ist er lässt sie in die Rolle von „Helden“ schlüpfen, sehr höflich, nicht distanziert, nur interessiert, die sich dennoch nicht zu ernst nehmen. Dabei offen und auf sein Gegenüber eingestellt. Die unterstreichen das Outfit ebenso wie Kame- Anspannung fiel erst nach dem Gespräch ab, als raeinstellungen die Individualität der einzelnen er mir mit einem Lächeln seinen Boss vorstellte Mitglieder. und plötzlich sehr jung wirkte, eher wie ein Student und nicht mehr wie ein professioneller Auch „Nalina“ greift Motive aus populären Producer und Performer, der ganz in seiner Ar- Filmen auf, in diesem Fall aus dem japanischen beit aufgeht und von genialen Einfällen beseelt Film „Crows Zero“, in dem zwei Gangs ihre Kon- zu sein scheint. In dem Vermarktungstrubel flikte mit Gewalt austragen. Damit reiht sich das rund um K-Pop-Idols1 bleibt zu hoffen, dass er Video in eine Tradition von Filmen und Videos, sich nicht darin verliert, sondern weiterhin mit die die Anlehnung an HipHop und Street- seinem Talent überzeugt. gang-Kultur verstärken und Block B in diese Reihe eingliedern. 3 © mduangdara (https://www.flickr.com/photos/mduangda ra/20682991946/), https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/ ra/20682991946/),

KULTUR KOREA / 49 2013 mussten Block B eine Zwangspause einlegen, da einer Während Block B Erfolge feiert, kann auch Zico zusätzlich der Manager bei Stardom Entertainment Gelder der Band eigene Wege gehen: Schon vor der Gründung von Block B veruntreut haben soll. Zwangsläufig wechselte die Gruppe war er Mitglied der Crew „Buckwilds“ und hatte eine Reihe zu der Plattenfirma Seven Seasons, womit ein Wandel im von Raps online veröffentlicht, die sich vorwiegend mit Stil einherging. Presseberichten zufolge ist Seven Seasons sozialen Problemen, bzw. sich - wie im HipHop üblich - mit eigens für Block B gegründet worden. Die Tatsache, dass der Positionierung in der Szene beschäftigen. Daran an- das Label bislang nur Block B vertritt, würde diese Version knüpfend brachte er Ende 2014 den Song „Tough Cookie“ bekräftigen. Damit wäre Block B wohl die erste K-Pop- (feat. Don Mills2) mit Musikvideo heraus. In Interviews Boygroup, die unter einem eigenen Label läuft. Das erste, betonte er, dass das Video sich dem Spirit des amerika- unter Seven Seasons entstandene Minialbum, „Very Good“, nischen Rap annähern sollte. Leider wirkt das Video zu erschien 2013. Es bringt verstärkt Rockelemente in die Hip- bemüht, fast wie eine Aneinanderreihung visueller Zitate. Hop-Songs mit ein, ebenso wie Balladen. Visuell überrascht Im März 2015 trat er bei einem Konzert von einer der inter- das Comeback mit der neuen Company, denn das Video national renommiertesten Rap-Gruppen Südkoreas, „Epik zum Titelsong „Very Good“ zeigt einen Banküberfall, der High“, auf. Ebenfalls 2015 war Zico in der populären MNet mit Sequenzen durchsetzt ist, in denen die Mitglieder sich Fernsehshow „Show me the Money“ zu sehen, die eine in surreal anmutenden Settings wiederfinden. „Jackpot“, Plattform für Nachwuchstalente unter den Rappern bieten der Titelsong des Minialbums von 2014, setzt dies im dazu- will. In der vierten Staffel, die von Juni bis September 2015 gehörigen Video insofern fort, als die Mitglieder erneut mit ausgestrahlt wurde, betreute er zusammen mit dem Rap- Masken - wie schon bei der Banküberfall-Szenerie in „Very per Paloalto ein Team. Von den vier Teams waren drei durch Good“ - als zum Leben erwachte Puppen oder als Komö- Labels vertreten (YG, AOMG, Brandnew). Das vierte Team dianten einer Zirkusszenerie auftreten. Während die ersten nannte sich „ZiPal“. Dieser Name, der sich lediglich aus den Lieder sich also durch Assoziationen und spielerische Anfangssilben von Zico und Paloalto zusammensetzt, zeigt Elemente auszeichnen und dabei von HipHop beeinflusst erneut, dass hier keine große Company dahintersteht. sind, setzen die neuen Alben auf eine Inszenierung der Dennoch hat Zico, der Leader von Block B, neben den gro- Gruppe, die sie stärker stilisieren, wodurch ihr Profil neue ßen etablierten Namen der Szene seinen Platz gefunden. Facetten erlangt. Ebenfalls 2014 kam das Mini-Album Parallel hierzu hat er eine Reihe von Songs mit anderen „Her“ heraus, das auf theatrale Elemente zurückgreift, aber Künstlern produziert und im Oktober einen neuen Song Neues ankündigt: Die Gruppe zeigt sich selbst als Teilneh- mit einem Animationsvideo herausgebracht. mer einer Fernsehshow und schafft damit eine ironische Distanzierung zur eigenen Arbeit. Zugleich war es ihr In den letzten beiden Jahren nahm Block B damit an allen erklärtes Ziel, ein Liebeslied zu schreiben, das anders als großen Musikevents in Korea teil, startete eine Karriere in die abertausend anderen sein sollte. Kennzeichnend ist Europa, Japan und den USA. Dieser Erfolg ist sicher auch daher für ihre Arbeit, dass sie Genres häufig wechseln und Ergebnis einer ständigen Suche nach etwas Neuem und sie auch miteinander kombinieren, immer darauf bedacht, der Tatsache, dass die Gruppe dabei auch ihren Anfängen etwas neu oder anders zu machen. als HipHop-Gruppe im Grunde treu bleibt. Damit wurde sie in kurzer Zeit zu einer der vielversprechendsten Boygroups Oberstes Ziel von Zico ist es erklärtermaßen, für die Gruppe Südkoreas. zu arbeiten, Block B erfolgreich zu machen. Betrachtet man das Jahr 2015, so ist dem Bandleader dies mit seiner Grup- 1 Idols sind K-Pop-Künstler, die von einer südkoreanischen Talentagen- pe gelungen, denn vieles konsolidiert sich und zugleich tur ausgebildet und repräsentiert werden (Anm. d. Red.). zeichnen sich neue Wege ab. Im Frühjahr 2015 begann 2 Featuring Don Mills. Don Mills ist Koreaner aus Kanada und gilt als Taeil eine Solokarriere, während die Subunit mit B-bomb, „underground rapper“, was gerade diesem Song auch den Anschein U-kwon und P.O ein Debüt als „Bastarz“ starteten - mit dem geben sollte, dass er nicht nur Idol in der Boygroup Block B ist. Song „Zero for Conduct“. Damit haben sie ihre Position als „bad boys“ behaupten wollen, und nicht umsonst wurde das Stück von Zico geschrieben und produziert. Im Sep- tember 2015 schließlich ging Kyung mit einem Liebeslied an den Start. Foto: privat Foto: 2015 ist auch das Jahr, in dem Block B sich dem Ausland Prof. Dr. Ute Fendler, Lehrstuhl für Romanische und Verglei- zuwendet. Sie starteten eine erste Europatournee (Paris, » chende Literatur- und Kulturwissenschaften an der Universität Warschau, Milan und Helsinki), gaben ihr Debüt in Japan Bayreuth. Forschungsschwerpunkte u.a. Intermedialität, Inter- und hatten erste Konzerte in den USA - im August 2015 kulturalität, Ästhetik, Populärkulturen, Performance/Tanz. Seit traten sie schließlich bei der KCon in Los Angeles auf. Damit ihrem ersten Besuch in Seoul im September 2013 mehrere For- vertreten sie K-Pop im Ausland. Ein sicheres Zeichen für schungsaufenthalte in Seoul zu Musikvideos und Intermedialität den Erfolg der Gruppe ist unter anderem auch ihr Auftritt ebenso wie zu HipHop und Reggae. Seit April 2014 Beauftragte bei MAMA (). der World Association of Hallyu Studies (WAHS) in Deutschland.

50 / KULTUR KOREA KUNST, MUSIK, FILM A DAY IN THE PALACE Das Tanztheater des National Gugak Center im Berliner Tempodrom

Von Sebastian Claren

m 24. September 2015 gastierte das Tanztheater des lung choreographierte, bevor sie zurück nach Korea ging: National Gugak Center aus Seoul im Rahmen seiner „Alte und Neue Traditionen aus Korea. Frau Han gelingt in AEuropatournee zum ersten Mal in Deutschland. Auf ihrer Choreographie ,Zeremonie für die Seele‘ eine völlig dem Programm der gut besuchten Vorstellung im Berliner unakademische Verbindung zwischen dem Neuen und Tempodrom stand mit „A Day in the Palace“ ein Abend, den dem Alten“. die Tänzerin und Choreographin Han Myeong-ok entwor- fen hat, die seit drei Jahren die Tanzabteilung des National Im Gegensatz zum europäischen Publikum, das sich von Gugak Center leitet. der Fremdheit der koreanischen Tänze und der Farben- freude der koreanischen Kostüme angezogen fühlt, hat Han Myeong-ok begann im Alter von fünf Jahren, den das moderne koreanische Publikum laut Han Myeong-ok traditionellen koreanischen Tanz zu erlernen. Ihre gesamte zumindest teilweise das Verständnis für die langsamen Ausbildung und ihr gesamtes weiteres Leben hat sie dem Bewegungen und subtilen Gesten des traditionellen Hof- Ziel gewidmet, ihre Kenntnisse des traditionellen koreani- tanzes verloren. Ein Schlüsselerlebnis in dieser Hinsicht war schen Tanzes zu vervollkommnen. Nach einer umfangrei- für Han Myeong-ok eine Vorstellung ihres Ensembles am chen Ausbildung in Korea folgte sie in den 1980er Jahren National Gugak Center, bei der sie in der Nähe des Aus- ihrem Mann für einige Zeit in die USA, wo sie sich intensiv gangs stand. Nach einer halben Stunde stand ein Mann aus mit der zeitgenössischen US-amerikanischen Tanzszene dem Publikum auf, ging auf den Ausgang zu und stöhnte: auseinandersetzte. Sie steht seit mehr als fünfzig Jahren „Diese Aufführung ist eine Qual.“ auf der Bühne und ist eine der bedeutendsten Tänzerinnen und Choreographinnen Koreas. Daraufhin fragte sich Han Myeong-ok, wie man dem mo- dernen Publikum die traditionellen Tänze wieder verständ- Doch Han Myeong-ok ist nicht nur eine Bewahrerin des tra- lich machen könne. Es war klar, dass die Tradition des Hof- ditionellen koreanischen Tanzes, sondern nimmt auch neue tanzes bewahrt werden musste und daher die Tänze selbst Ideen in ihr Repertoire auf, um die Tradition zu bereichern nicht verändert werden durften. Was verändert werden und am Leben zu erhalten. So titelte die New York Times konnte, war ihre Präsentation. Wenn das moderne Publi-

Fotos: Koreanisches Kulturzentrum Koreanisches Fotos: schon 1991, als Han Myeong-ok eine Art Abschiedsvorstel- kum die Bedeutung der Tänze nicht mehr verstand, musste

KULTUR KOREA / 51 Frage, was für sie eine gute Tanzauf- führung ist, hat Han Myeong-ok ge- antwortet, dass Tanz mit innerlicher Aufrichtigkeit ausgeführt werden müsse. Diese Aufrichtigkeit entstehe aus der Reinheit des Herzens, aus Erfahrung, aus Anstrengung, und aus Leidenschaft.

Als Laie hatte man allerdings den Eindruck, dass die Ideale, die Han Myeong-ok im Gespräch vertritt, in einer Aufführung wie „A Day in the Palace“ im Bemühen um einfache diese Bedeutung auf der Bühne spielerisch erklärt werden. Verständlichkeit ein wenig in den Hintergrund treten. Es So kam Han Myeong-ok auf die Idee, die Tänze in eine war offensichtlich, dass die Dramaturgie des gesamten Geschichte einzubinden, die, ähnlich wie im klassischen Abends darauf ausgerichtet war, das Gefühl von Län- europäischen Ballett, in der Aufeinanderfolge der Tänze ge oder Ereignislosigkeit um jeden Preis zu vermeiden. erzählt wird. Im Unterschied zum europäischen Ballett fügt Das führte schon bei den Volkstänzen zu einer sehr eng sie zusätzlich kleine Szenen und Dialoge ein, die es dem getakteten Abfolge von Eindrücken, die in ihrer Fülle dazu Publikum leichter machen, der Handlung zu folgen. tendierten, sich gegenseitig zu schwächen. Bei den Hoftän- zen, die in einer stark eingekürzten Version aufgeführt Eine solche Choreographie ist auch „A Day in the Palace“. wurden, hatte man das Gefühl, dass der ihnen zugestan- Die Handlung lässt sich in wenigen Sätzen zusammenfas- dene Zeitrahmen nicht ausreichte, um ihren zeremoniellen sen: Der Kronprinz soll das Regierungsamt übernehmen. Charakter zu entfalten. Bevor er gekrönt wird, gibt ihm sein Vater, der König, den Auftrag, inkognito, also ohne dass er als Kronprinz erkenn- Auch bei den Kostümen entstand der Eindruck, dass das bar ist, die verschiedenen Provinzen Koreas zu durchwan- Bemühen um Unterhaltsamkeit wichtige Charakteristika dern und das Leben der einfachen Leute kennenzulernen. der Tradition verwischte: Han Myeong-ok macht selbst Die verschiedenen Stationen seiner Reise werden in ein- darauf aufmerksam, dass die Hoftänze in der farbenfrohen zelnen Tänzen dargestellt. Nach der Rückkehr des Prinzen Kleidung der Adligen aufgeführt werden, während die findet ein großes Bankett statt, bei dem das eingeladene Volkstänze durch die weiße Kleidung der arbeitenden Be- Volk eine Reihe von Tänzen präsentiert. völkerung charakterisiert sind. Dieser Gegensatz war in „A Day in the Palace“ nur schwer zu erkennen, da die Diese einfache Geschichte gibt Han Myeong-ok Gelegen- Kostüme der Volkstänze kaum weniger prächtig waren als heit, eine Vielzahl unterschiedlichster Tänze in einer über- die Kostüme der Hoftänze. Die einzige Ausnahme bildete greifenden Handlung zusammenzufassen. Dabei erhalten der Han Myeong-ok besonders wichtige „Salpuri Chum“, wir einen umfassenden Überblick über die Gattungen des der aus der schamanistischen Geistesvertreibung entwi- traditionellen koreanischen Tanzes mit Hoftänzen, alten ckelt ist und, so Han Myeong-ok, das Gefühl des „Han“, der Volkstänzen und neueren Volkstänzen, die im Laufe des 20. Trauer und Bitterkeit, durch die Gesten und Bewegungen Jahrhunderts entstanden sind. der Tänzerin vertreiben soll. Hier stellte das traditionelle weiße Gewand der Tänzerin einen wohltuenden Ruhepunkt Han Myeong-ok sagt, dass der Betrachter eine gewisse inmitten der häufigen Kostümwechsel dar. Geduld mitbringen muss, um die langsame Musik und die langsamen Bewegungen der Hoftänze zu genießen, und Die Anforderungen an die Ausführenden sind an einem sol- die Schönheit der Leere, die in der ostasiatischen Kunst chen Abend ohne Zweifel sehr hoch, da sie eine besonders betont wird, zu verstehen. Da diese Tänze für den König große stilistische Bandbreite zwischen meditativer Ruhe in aufgeführt wurden, empfiehlt sie, sich in den König hin- den Hoftänzen und akrobatischen Sprungeinlagen in den einzuversetzen und sich die Schönheiten der Natur, die in Volkstänzen beherrschen müssen, was den Tänzerinnen diesen Tänzen dargestellt werden, wie Blumen, Schmetter- und Tänzern des National Gugak Center ohne Ausnahme linge und Vögel, vor dem inneren Auge vorzustellen. souverän gelang. Im Gegensatz zu ähnlichen Veranstal- tungen, bei denen vorproduzierte Musik eingesetzt wird, Ihren Studentinnen und Studenten sagt sie, dass ihre Bewe- wurde der Abend von einem Hofmusik- und einem Volks- gungen den Raum zwischen den langsamen Schlägen der musikensemble des National Gugak Center konzentriert Musik voll ausfüllen müssen und dass sie nicht an den kom- und einfühlsam begleitet. menden Tanzschritt denken, sondern sich voll auf die gera- de auszuführende Bewegung konzentrieren sollen. Auf die

52 / KULTUR KOREA KUNST, MUSIK, FILM

„SO FERN... SO NAH... KOREA“ Eine Keramikausstellung zum Thema „Korea“ in Münster Von Angela Hoebink

Vase mit Fahrradfahrern (Ausschnitt)

eit Jahren lese ich mit großem Interesse das Magazin Was ist Raku? „Kultur Korea“ der Kulturabteilung der Botschaft der Die Raku-Brenntechnik stammt aus dem 17. Jahrhundert SRepublik Korea, früher „Ullim“. und nicht, wie die meisten annehmen, aus Japan. Sie wur- de von dem Töpfermeister Chojiro angewandt. Er war der Ich bin Lehrerin und vor allem seit 30 Jahren Keramikerin, Sohn eines von den Japanern deportierten koreanischen die sich der altkoreanischen Brenntechnik „RAKU“ ver- Handwerkers. Von dem Teemeister Sen-no Rikyo erhielt schrieben hat. In meinem Kreativzentrum ___punkt___. er den Auftrag, die Schalen für seine Teezeremonien zu in Münster vermittle ich in meiner Töpferwerkstatt das fertigen. Heute sind seine Schalen hochberühmt, und die Modellieren und Brennen und organisiere Ausstellungen, Raku-Technik erfreut sich bei vielen Töpfern seit einigen die unter anderem auch Korea zum Thema haben. Dieses Jahrzehnten großer Beliebtheit. Land habe ich mehrfach besucht. Eine große Ausstellung Vom 08. Bis zum 23. August 2015 habe ich in der Orange- fand vor 10 Jahren in Berlin statt, in einer Galerie am Perga- rie des Botanischen Gartens in Münster zusammen mit monmuseum. Gabriele Hungerberg die Ausstellung unter dem Titel „Ton Ein Artikel in der Jubiläumsausgabe des Magazins „Kultur ART. Keramik + Bilder“ gezeigt. Um sie zu erklären, muss Korea“ hat mich sehr gefreut, ja begeistert. Er berichtet ich etwas weiter ausholen: unter dem Titel „Die Wiedervereinigung ist die Zukunft“ Reiner Kunze, ein bekannter Lyriker, musste 1977 die DDR davon, wie sich 70 Fahrradfahrer vom Brandenburger Tor verlassen. Seine Kurzprosa „Die wunderbaren Jahre“ und aus aufmachen, um nach Seoul zu fahren. Das wollte ich seine Gedichte waren dort unerwünscht. Genau diese gern ins Bild setzen, es war eine wunderbare Inspiration kurzen Texte und Gedichte aber las ich 1990 mit einer für meine neue Ausstellung am 8. August 2015. Und da Klasse, in der plötzlich Schüler aus dem Westen und aus ich aus einer Fahrradstadt komme, gestaltete ich spontan der gerade zusammengebrochenen DDR saßen. Wir lasen eine Vase, auf die 70 Fahrradfahrer eingeritzt sind. Sie auch Auszüge aus den Stasi-Akten, die Reiner Kunze selbst radeln hier vom Brandenburger Tor über 15.000 km zum veröffentlicht hatte. Er wurde unter dem Decknamen Parlament in Seoul. Als Grundfarbe wählte ich Grün, eine „Lyrik“ bespitzelt. Referenz an die klassische Seladon-Glasur, die ich nur Ich modellierte aus Ton einen Kasten, um dieses Buch darin bewundern kann, aber nie erreichen werde. Die Radler und aufzubewahren. So werden sie nicht vergessen, aber man die beiden Gebäude sind mit eingelegter gelber Engobe kann buchstäblich einen Deckel darauf machen. hervorgehoben. Schon lange verfolge ich die Geschichte Koreas. Als ich von der Sonnenscheinpolitik des Präsidenten Kim Dae-jung1 erfuhr, wollte ich auch dies irgendwie darstellen. Fotos: Angela Hoebink Fotos:

KULTUR KOREA / 53 Kasten für das „Sonnenschein-Buch“ Kasten „Deckname ,Lyrik‘ “

So gestaltete ich ein Leporello, das sich in der Form an das Österreich. „Trauerbuch“ anlehnt, das früher für verstorbene Könige Auf einem Stein daneben steht: zum Trost angefertigt wurde. „Die Botschaft: Der Pavillon soll die Kraft der Poesie bezeu- Es entstand das von mir so genannte „Sonnenschein-Buch“. gen, Kontinente miteinander zu verbinden und mahnend Die verschiedenfarbigen Tafeln wurden mit Gedichten von an das gemeinsame Schicksal Koreas und Deutschlands Reiner Kunze versehen – grün – und mit zeitgenössischen erinnern, an Teilung und Diktatur.“ koreanischen Gedichten – mehrfarbig. Begeistert von der Botschaft modellierte ich 70 kleine Drei dieser Platten schickte ich 2005, als Korea Gastland Poesie-Pavillons, um diesem wunderbaren Gedanken der Buchmesse in Frankfurt war, an den koreanischen Ausdruck zu verleihen. Die Zahl 70 kommt von den 70 Präsidenten. Nun liegen sie in seiner Bibliothek (KDJPLM) Fahrradfahrern. Und ich begann Gedichte zu sammeln, die in Seoul. von Flüchtlingen aus meiner Umgebung stammen. Die Diese Platten können in einem Keramik-Kasten aufbewahrt Botschaft gilt auch für sie. werden, der ein Gegenstück zum Deckname-„Lyrik“-Kasten Einige der Gedichte habe ich in der neuen Schrift „Han- ist. gulatin“ geschrieben. Sie wurde von Frau Anita Jürgeleit Eine weitere Arbeit befasste sich mit dem Schicksal der bei- entwickelt, auch davon erfuhr ich durch die Jubiläumsaus- den Länder Deutschland und Korea: gabe des „Kultur Korea“–Magazins. Sie hat unsere lateini- die Brücke. sche Schrift mit dem Schriftbild und der Schreibweise des Ich besuchte in Südkorea einen der drei wichtigsten Tem- koreanischen Hangeul verbunden. pel, den Tongdo-sa. Auf dem Weg dorthin gibt es eine steil In der Ausstellung hingen sie leicht und luftig an Bambus- gerundete Brücke – ohne Geländer. Flache Stufen führen stäben oder waren auf Bambusstäbe aufgerollt. hinauf, dann wölbt sie sich hoch über ein wild fließendes Ein letzter Aspekt der Ausstellung: An den Wänden hingen Gewässer. Ich habe sie mutig überquert. Bilder, darunter eines, das noch einmal das Thema Brücke Diese Brücke hat mich zu meiner Arbeit angeregt. Auch aufgreift. Darauf das Gedicht: hier führen Stufen hinauf, an ihrem Scheitelpunkt bricht sie jedoch jäh ab. An der Stirnseite und an der Vorderseite ist ERASMUS VON ROTTERDAM das Diamantgebirge, der Geumgang-san, mit einem seiner Er wusste, was brücken wissen: Sie verbinden imposanten Wasserfälle angedeutet. Dieses wunderschöne über wasser, was unter wasser Gebirge liegt in Nordkorea. Die Keramik-Brücke wird von verbunden ist einer Wand begrenzt, hier hat sich auf schmalem Grat ein Pferd aus Bronze hochgearbeitet. Oben angekommen, Doch das eine ufer war sumpf, kommt es nicht weiter. Es steht über dem angedeuteten das andere Feuer Brandenburger Tor, das seine mauerfreie Öffnung zeigt. Das Tor ist nicht nur für uns Deutsche das unbestrittene Von Reiner Kunze (durchgehende Kleinschreibung von ihm) Symbol einer gelungenen, gewaltlosen Wiedervereini- Dies und noch viel mehr war in meiner Ausstellung zu gung. sehen. Im Jahre 2013 wurde Reiner Kunze 80 Jahre alt. Ich schenkte ihm ebenfalls drei Platten aus dem „Sonnen- 1 Von dem damaligen südkoreanischen Präsidenten Kim Dae-jung schein-Buch“ zum Geburtstag und erfuhr bei dieser Gele- initiierte Annährungspolitik an Nordkorea, für die er 2000 den genheit, dass er seit kurzem auf seinem Grundstück einen Friedensnobelpreis erhielt. koreanischen Poesie-Pavillon stehen hat. Er erhielt ihn von seiner koreanischen Übersetzerin des Gedichtbandes „Lindennacht“, Frau Prof. Young-Ae Chon, geschenkt. Der Pavillon wurde dem Original aus dem Garten des Königspalastes in Seoul genau nachgebaut, wieder ausei- nandergenommen und nach Deutschland verschifft. Hier Foto: privat Foto: errichteten ihn eigens eingeflogene koreanische Zimmer- leute und Spezialdachdecker neben seinem Haus. Angela Hoebink, Keramikerin Sitzt man darin, so blickt man über die Donau hinweg nach » www.haiku-in-raku.de

54 / KULTUR KOREA KUNST, MUSIK, FILM

NEUE MUSIK KOREA++ KOREANISCHE IDENTITÄT IM SPANNUNGSFELD WESTLICHER AVANTGARDE

Eine Konzertreihe im Koreanischen Kulturzentrum

Von Matthias R. Entreß

eue Musik aus Korea – dieser Begriff allein löst eine Künstlern, die alte koreanische Musik, etwas grob gesagt, Lawine von Fragen und Diskussionen aus, denn, auf vom überzeitlichen Kollektiv, das sich um ein musikali- Ndie Musikgeschichte als Ganzes bezogen, ist er voller sches Ideal bemühte, weshalb auch die Anzahl der Werke Überraschungen und Widersprüche. sehr gering ist.

„Neue Musik“ als Begriff kam in den deutschsprachi- Die westliche Klassik, eingeführt zwar von der japanischen gen Ländern auf mit dem Sprung in die Atonalität, dem Besatzungsmacht (1910-45), wurde in Korea die Quelle Verzicht auf die Dur- und Molltonarten in der Musik ganz neuer Freuden. Wer schon erlebt hat, wie sehr die Anfang des 20. Jahrhunderts. Dieser „Bruch“ war aber Koreaner das Schöne, das Hübsche verehren, erkennt nur die natürliche Folge einer in der Spätromantik stetig darin ein anderes Kunstverständnis und kann die so sich steigernden Expressivität: von Wagner zu Bruckner „unangenehme“ Neue Musik dort nicht einordnen. Aber zu Mahler zu Arnold Schönberg, welcher schließlich um überraschenderweise hat die Begegnung mit Neuer Musik 1921 die Ordnung der Zwölftonmethode in das Brodeln des Westens das Gefühl für die große koreanische Tradi- der Dissonanzen brachte. Die westliche Kunstmusik ist von tion neu geweckt. Nun, über 50 Jahre nach ihrer ersten jeher eine über zahllose Generationen von Komponisten Begegnung, fragen wir, was aus der Schnittmenge dieser verlaufende Entwicklung. Erneuerung, Innovation und beiden Musikkulturen – die Langsamkeit, die schmerzhafte deutliche Zäsuren bilden die Geschichte der westlichen Rauheit der Klänge und die philosophischen Konzepte – Musik. Die koreanische Kunstmusik hingegen lebte durch geworden ist. Rekonstruktion und Anpassung; in der Hofmusik finden sich überall Spuren aus dem alten China, und die Musik Die von dem jungen Dirigenten und Komponisten Yun der Volkstraditionen wuchs aus dem instrumentalen Lärm Hyun-jin kuratierte Konzertreihe „Neue Musik Korea++“ und den Klagegesängen der schamanistischen Rituale. (das Doppelplus steht für die Einbeziehung der Klassik Westliche Musik ist traditionell die Musik von individuellen wie auch Neuer Musik anderer asiatischer Länder) ließ Foto: Koreanisches Kulturzentrum Koreanisches Foto:

KULTUR KOREA / 55 nun ein überaus lebendiges Bild eines eigenen durchaus dessen unersättliches Interesse am Neuen und Fremden in heterogenen „Länderstils“ erstehen. Aber halt! Neue Musik so wunderbarer Weise auf Chin übergegangen ist. ist, zumindest heute, nach dem Zusammenbruch des In diesen Tagen wird die Komponistin und ehemalige Serialismus (erweiterte 12-Tonmethode), nicht „eine“ Mu- Bremer Kompositionsprofessorin Younghi Pagh-Paan 70. sik, also etwa ein Epochen-Stil, sondern jeder Komponist Ihre beiden relativ frühen Werke im ersten Konzert, dem erfindet sich seine Musik neu. Es fließen seine persönlichen Solo-Cello-Stück „Ag-Ga I,“ einem expressiven Monolog, bei und kulturellen Erfahrungen ein, und es spiegeln sich dem kein Ton bleibt, was er war - fast jeder wird mit einem die Kämpfe mit großen Vorbildern. Also wie und unter Glissando, einem Ausweichen, mitunter auch mit dem welchen Bedingungen erfinden sich die koreanischen weiten Vibrato der koreanischen Volkstradition versetzt. In Komponisten ihre Musik neu? „Man Nam I für Klarinette und Streichtrio“ von 1977 steht die hyperaktive Unruhe, die Frau Pagh-Paan unverkennbar Cho Eun-hwa, derzeit Gastprofessorin an der Hochschule von ihrem damaligen Lehrer Brian Ferneyhough (dem für Musik „Hanns Eisler“ Berlin, wo sie auch studiert hat, ist Frontmann der New Complexity) „geerbt“ hat, in einem mit ihrer impulsiven und mitreißenden Musik schon seit interessanten Konflikt mit den mäßigenden Tendenzen längerem international eine bedeutsame Stimme in der der asiatischen Philosophie. Die Unterwürfigkeit des zeitgenössischen Musik. Im ersten Konzert der Reihe „Neue koreanischen Schülers zu seinem Meister wird in diesem Musik Korea++“ am 1. Oktober waren ihr Klaviersolo „Et in faszinierenden Stück unbewusst, so will es mir scheinen, arcadia ego“ und das Ensemblestück „protos chronos“ zu zwiespältig diskutiert. hören. Als Inspirationsquelle dienten ihr in beiden Werken Gegenstände der klassischen westlichen Geistesgeschich- Die 1985 geborene Jeong Miseon brachte ins zweite te, ein mystisches Bild, bzw. eine antike griechische Rhyth- Konzert am 5. November, das auch Komponisten aus China mustheorie. Sie lässt musikalische Gestalten nach dem und Japan vorstellte, zwei Werke sehr unterschiedlichen Plan verborgener Gedanken tanzen. Ich fragte Frau Cho, Charakters ein. Ihr Geigenduo „Tik Tok“ bezog sich auf ein ob ihre Musik denn koreanisch sei? – Sie sei Koreanerin, koreanisches Kinderspiel und arbeitete den Rhythmus antwortete sie, also sei ihre Musik doch auch koreanisch. eines Uhrwerks in einer Folge interessanter Charaktervaria- tionen unter Verwendung teils bruitistischer, teils virtuoser Als in den sechziger Jahren die initiale Begegnung Koreas Spieltechniken (Bartok-pizzicato, Glissandi, Flageoletts mit der europäischen Avantgarde stattfand, erschien der u.a.) ab, während das Ensemblestück „Tumbleweed“ aus Schritt zur koreanischen Tradition nur klein, und Neue Mu- Energiestößen von kurzen Klangexplosionen bestand. Das sik zeichnet sich ja durch totale Offenheit gegenüber allen eigens für dieses Repertoire gegründete multinationale Denkbarkeiten des Klangs aus. Die typisch koreanischen ProjektEnsemble zeigte hier, wie durchweg in beiden Kon- Stilmittel und Denkweisen integrierten sich spielend leicht zerten, rückhaltlose Hingabe und technische Bravour. und wirkten keineswegs als Exotismen, sondern entfalte- ten einen für den westlichen Hörer gänzlich neuen Aus- „Wir können“, erklärte Jeong Miseon mir in der Pause, druck. Da die koreanischen Komponisten der Konzertreihe „unser traditionelles Gefühl in Neuer Musik nicht deut- fast alle in Deutschland ausgebildet wurden (nur Yim lich zeigen, sondern müssen es in ihr verdecken, es in sie Jongwoo hat in Holland und Frankreich studiert) und unter hinein verschieben.“ Das war klug gesprochen; es schließt den liberalen Bedingungen des deutschen Musiklebens den Exotismus aus, der sich mit traditionellen Instrumen- arbeiten, richtete sich das Interesse auf die Frage, wie der ten hineindrängen würde, und es distanziert sich auch von Einzelne mit seiner doppelten kulturellen Erfahrung jeweils der ersten koreanischen Avantgarde der 60er Jahre. Wenn umgeht. Wie sich Neue Musik in Korea selbst entwickelt, man aus diesem Treffen dreier koreanischer Komponisten- wurde offen gelassen. Denn ich weiß von Erfahrungen generationen und ihrer allesamt eher frühen Werke eine von nach Korea zurückgekehrten Komponisten, die mit Tendenz ersehen möchte, so scheint es die Emanzipation ihren hier erlernten Fertigkeiten dort auf komplettes vom Nationalgefühl zu sein. Die jüngsten unter ihnen, die Unverständnis gestoßen waren und ganz andere Wege des um die 30 – das gilt auch für die Chinesin Cong Wei und musikalischen Ausdrucks entwickelten. die Japanerin Eiko Tsukamoto – stehen nun da mit großem Talent und einer großen Zukunft: aber die Idole der „Neuen Die international erfolgreichste koreanische Komponistin Musik“ sitzen ihnen noch im Nacken, und die Krisen der ist die in Berlin lebende Unsuk Chin, Trägerin des kore- Selbstfindung und der Durchbruch zu ihrem eignen, wahr- anischen Nationalpreises, die in ihrem Werk zahlreiche lich Neuen liegen noch vor ihnen. Kulturen und Epochen umarmt, Renaissance, indonesische Musik, China..., aber ihre spielerische aus 2003 stammende „Etude Nr.5“ für Klavier, wegen der Steifheit der Töne das unkoreanischeste Instrument schlechthin, war eindeutig eine luzide Hommage an die genialischen und rhythmisch vertrackten Klavieretüden ihres Lehrers György Ligeti,

56 / KULTUR KOREA KUNST, MUSIK, FILM

Filmstill: „Stop“ (Regie Kim Ki-duk)

„DERZEIT WIRD DAS SPANNENDSTE KINO IN KOREA GEDREHT“ Eindrücke vom Busan International Film Festival 2015 Von Fabian Kretschmer, Seoul

n manchen Tagen tanzt Jung-won in knappem kennst du eine geeignete Brücke?”. Minirock und mit aufgesetztem Lächeln zu über- Aschwänglicher Popmusik, um vor neu eröffneten Das Busan International Film Festival (BIFF) (01.-10. Okt. Restaurantfilialen um Laufkundschaft zu werben. Die Pas- 2015), das wichtigste in ganz Ostasien, bietet viele solch santen würdigen sie dann meist keines Blickes, sie wirken schwer zu verdauenden Geschichten wie die des Regis- ebenso kalt wie die Minustemperaturen um sie herum. In seurs Cho Chang-ho in seinem Film „Another Way“. Die ihrem zweiten Nebenjob richtet die junge Südkoreanerin meisten Plots sind auf den Schlachtfeldern der südkorea- Dekorationen für Hochzeitsfeiern her, und auch dort muss nischen Gesellschaft angesiedelt: in den Bürotürmen der sie sich die größte Mühe geben, um ebenso fröhlich zu neoliberalen Arbeitswelt, an den Wohnzimmertischen der wirken wie die anderen Leute im Raum. Erst unter der erstummten Familien, und auch die grassierende Selbst- Bettdecke, wenn der Feierabend-Soju ihre wahren Gefühle mordepidemie schleicht sich in fast jede Handlung hinein. zum Vorschein gebracht hat, chattet Jung-won heimlich auf dem Smartphone mit ihrem digitalen Seelenverwand- Benommen von der Melancholie schreite ich aus dem ten: „Wie wollen wir es machen? Und wo?” lautet eine ihrer Kinosaal - und stehe schon bald an der sonnigen Promena- Nachrichten. Der Zuschauer denkt da noch, dass sich gera- de von Busans berühmtem Strand Haeundae, die mit ihren de zwei Liebende zum Rendezvous verabreden. Bis die ver- Cocktailparties am Abend ein bisschen an die Croisette in störende Antwort auf dem Display erscheint: „Hauptsache, Cannes erinnert. Zwischen Screenings voller Weltschmerz es tut nicht weh. Ich kann Kohlebriquetts besorgen. Oder und Konsumkritik nehme ich ein Wellenbad am Strand, Fotos Filmstills: © Busan Film Festival Filmstills: Fotos

KULTUR KOREA / 57 LITERATUR UND SPRACHE

Filmstill: „Another Way“ von Regisseur Cho Chang-ho

atme die salzige Meeresluft ein und schlendere entlang Speck mit verantwortlich, der in Busan nun für seine jah- der unzähligen Grillrestaurants, an deren Tischen junge relange Förderung koreanischer Filme einen Sonderpreis Pärchen frisch gefangenen Tintenfisch brutzeln lassen. erhielt. „Gerade um die Jahrtausendwende waren die Filme Während dekadenter Sektempfänge am Abend bin ich in ja extrem gewalttätig“, sagt der Kurator der Panorama-Rei- Gedanken bereits bei meinem morgigen Filmprogramm, he der Berlinale, und dabei zieht er das Wort „extrem“ das von früh bis spät mit Dramen über Einsamkeit, Ent- derart in die Länge, dass man vorm inneren Auge förmlich fremdung und Konsumkritik vollgespickt ist. Eben jener sehen kann, wie sich der Protagonist aus Park Chan-wooks Widerspruch macht auch den Reiz des Filmfestivals Busan Rache-Epos „Old Boy“ mit einem Schlaghammer durch aus. die Schädel seiner Peiniger wütet: „Die Ästhetiken waren brüllend. Da musste was raus aus dem Gefängnis.“ Im Pressezentrum eilen die Filmkritiker zwischen den Vorstellungen hastig zu ihren Laptops, um noch schnell Und was hatte sich in Südkorea nicht alles angestaut: Aus ein paar Einschätzungen über das gerade Gesehene in die bitterer Armut explodierte das Land am Han-Fluss inner- Welt zu schicken. Nur in den Raucher- und Kaffeepausen halb weniger Jahrzehnte zur zwölftgrößten Volkswirtschaft haben sie manchmal Zeit für ein kurzes Gespräch, doch in der Welt – und bot auch den Regisseuren genug Material, diesem Jahr scheinen sie dann merklich öfter zu meckern, sich an den rasanten gesellschaftlichen Veränderungen als es ohnehin in ihrer Natur liegt: Um einen eher schwa- abzuarbeiten. In jeder Einstellung merkte man den Filmen chen Jahrgang würde es sich handeln, bislang fehle unter die Dringlichkeit ihrer Geschichten an. den koreanischen Filmen noch ein klarer Favorit. Darum bleibt es auch weiterhin spannend, dabei zuzuse- Dabei staunten noch um die Jahrtausendwende Cineasten hen, wie Südkorea den gesellschaftlichen Teppich im Kino aus allen Erdteilen, was sich da in diesem fernen, vorher lüftet. In diesem Jahr war dies vor allem bei „The Battle of international wenig beachteten Kinoland auftut: Schnell Gwangju“ der Fall, der das Massaker an den Anhängern war von einer koreanischen Welle die Rede, Regisseure von der Demokratiebewegung mit Brecht‘schem Verfrem- Martin Scorsese bis Quentin Tarantino lobten ihre Kollegen dungseffekt aufgreift. Im letzten Jahr sorgte hingegen Bong Joon-ho und Hong Sang-soo in den höchsten Tönen. eine Dokumentation über das Sinken der „Sewol“ für einen Schon bald war sich auch das Feuilleton einig: Derzeit wird handfesten Skandal. Der künstlerisch eher durchwachse- das spannendste Kino in Korea gedreht. ne Film prangerte die politischen Verstrickungen in das Fährunglück an. Dieses Jahr hat der Staat seine Filmförde- Für diese Bewunderung ist auch der deutsche Wieland rung für Busan nun um die Hälfte gekürzt.

58 / KULTUR KOREA Filmstill: „The Battle of Gwangju“ von Lee Ji-sang

Auch Südkoreas Enfant terrible wurde dieses Jahr nach Mönch. einem spektakulären Kassenflop von seinen Geldgebern fallen gelassen: Dass Kim Ki-duks neuestes Werk „Stop“ für Am Abend sitze ich schließlich im Jjimjjilbang, dem nur wenige Tausend Euro in zehn Tagen gedreht wurde, koreanischen Badehaus, und notiere meine Gedanken sieht man dem Film natürlich an: Die Aufnahmen sind mit bei Instant-Nudeln und eingelegten Eiern. Bevor ich mich wackliger Handkamera auf den Straßen von Tokio gedreht auf dem Steinboden zum Schlafen lege, schreite ich noch – und, wie die Blicke der unfreiwilligen Statisten hin und einmal auf die Dachterasse, von der sich ein beeindrucken- wieder verraten, wohl meist ohne Drehgenehmigung. der Panoramablick über der südkoreanischen Küstenstadt Ein junges Pärchen zieht in dem Ökothriller während der auftut. In der Ferne ist die Gwangan-Brücke zu sehen, die Nachwehen von Fukushima einen Jungen auf, der auf- majestätisch über dem Meer aufleuchtet. Unweigerlich grund erhöhter Radioaktivität an einer unnatürlichen Hör- muss ich an Jung-won denken, die verzweifelte Protago- empfindlichkeit leidet. Nach 80 langen Minuten schluss- nistin aus „Another Way“, die sich im Internet-Chat zum folgert der Film ein simples „Atomkraft: Nein danke“, und anonymen Selbstmord verabredet: Sie würde die Brücke auch sonst schreckt „Stop“ nicht vor direkten politischen sicher mit ganz anderen Augen sehen Botschaften zurück. Vom Schnitt bis zur Beleuchtung hat Kim Ki-duk den Film als Ein-Mann-Crew gestemmt - und allein dieser Kraftakt dürfte wohl Tausenden Jungfilmern rund um den Globus eine Blaupause für ihr Debüt liefern.

Nach der Vorführung schreitet Kim Ki-duk ganz unange- kündigt auf die Bühne des Kinosaals, die Arme wie immer verschränkt, die grauen Haarsträhnen zum Zopf gebun- den. Mit erstaunlicher Offenheit sagt er über sein Werk: „Natürlich bin ich mit dem Resultat nicht zufrieden, doch Fabian Kretschmer, 1986 in Berlin geboren, studierte der künstlerische Prozess an sich hat mir große Freude be- » Publizistik- und Kommunikationswissenschaften in reitet“. An Korea habe sich Kim bereits abgearbeitet, seinen Wien, Shanghai und Seoul. Er arbeitet seit 2010 als freier nächsten Film werde er in China drehen, und überhaupt Journalist für Zeitungen, Magazine, Onlinemedien und sei er der Meinung, dass seine künstlerische Schaffenskraft das Radio. Seit September 2014 ist er Korrespondent bereits am Verblühen sei. Bei anderen Regisseuren blieben in Seoul, unter anderem für die taz, Wiener Zeitung und solche Aussagen wohl nichts als Koketterie, Kim Ki-duk je- den Standard. Im August 2015 folgte die erste Buchver- doch sprach aufrichtig und stoisch wie ein buddhistischer öffentlichung im rowohlt Verlag: „So etwas wie Glück“. Foto: Heinrich Holtgreve Foto:

KULTUR KOREA / 59 LITERATUR

In Seouls U-Bahnen sind Bücher lesende Fahrgäste eher die Ausnahme (1) Seoul International Book Fair 2015, Messehalle im COEX (2)

BUCHLESER UNTER ARTENSCHUTZ Über einen Besuch der Internationalen Buchmesse Seoul Von Fabian Kretschmer, Seoul

„Gutenberg? Der kam doch erst 78 Jahre später“, ruft Kim wird dieser Fortschrittsglauben auch für die Besucher Gi-il, ein älterer Herr in Karohemd und weit geschnittener der Seouler Buchmesse, die auf ihrem Anfahrtsweg die Stoffhose, während sich an seinem Stand auf der Seoul gläsernen Bürotürme des Stadtteils Gangnam passieren, International Book Fair (SIBF) (07.-11.Okt. 2015) allmählich hinter denen sich in kleinen Seitenstraßen die boomenden eine Menschentraube ansammelt. Wie zum Beweis deutet Startups angesiedelt haben, und auch der erste Google der Südkoreaner mit seinem rechten Zeigefinger auf eine Campus in ganz Asien ist nur einen Steinwurf entfernt. Im Druckplatte vor sich: Unscheinbar sieht sie aus, nicht Schimmer der abertausenden Neonlichter wirken gedruck- größer als ein handelsüblicher Laptop. Auf einem solchem te Bücher ein bisschen wie ein Relikt vergangener Tage – Gerät sei das weltweit erste, mit beweglichen Metalllettern doch weit gefehlt. gedruckte Buch entstanden, und zwar nur zwei Autostun- den entfernt, im Heungdeok-Tempel in Cheongju. „In meiner Klasse lesen die meisten auch in der Freizeit – und zwar wie ich, am liebsten richtige Bücher“, sagt die „Jikji“ heißt das buddhistische Gelehrtenwerk aus dem Jah- 11-jährige Hyo-ri, die gemeinsam mit ihrer Freundin Na- re 1377, und jedem interessierten Besucher der Internati- kyeong über eine Stunde mit der U-Bahn gefahren ist, um onalen Buchmesse Seoul druckt Herr Kim nun im Original- sich an diesem Samstagvormittag die Seouler Buchmesse verfahren eine Seite an Ort und Stelle: Hauchdünnes Papier anzuschauen. Zuletzt habe auf ihrem Nachttisch übrigens legt er dafür auf die mit Druckerschwärze bepinselten „A Mango-Shaped Space“ gelegen, ein Jugendbuch der Lettern, beschwert es kräftig mit Holzkeilen und wartet amerikanischen Autorin Wendy Mass – „natürlich auf Eng- ab, bis sich die schwarze Schrift auf der anderen Seite lisch“, wie Hyo-ri stolz anmerkt, bevor sie mit ihrer Freun- abzeichnet. „Damals war die koreanische Technologie des din in freudiger Erwartung in Richtung Ausstellungshalle Buchdrucks der europäischen weit überlegen“, führt Kim schlendert. aus. Das Papier sei leichter gewesen, die Druckerplatten stabiler und weitaus zuverlässiger. „Leider jedoch wurde Dort, zwischen den Buchständen aus Aserbaidschan, das Verfahren später nicht mehr weiterentwickelt“. Saudi-Arabien und Deutschland, sticht merklich ins Auge: Auffallend jung ist das Publikum und vorwiegend weib- Ausgerechnet in Südkorea also nahm der Buchdruck lich. Ein Blick auf die Statistiken belegt: Wenn es um das seinen Ausgang, dem Land der meisten Smartphones, Leseverständnis geht, das Einordnen von komplexen schnellsten Internetverbindungen und der wohl techni- Textinhalten und deren Reflexion, dann tauchen südkore- kaffinsten Bevölkerung der Welt. Altbacken, so möchte in anische Schüler im OECD-Vergleich stets in den vordersten Südkorea wirklich niemand bezeichnet werden. Sichtbar Rängen auf. Foto (1): Park Shi-hyeong (1): Foto

60 / KULTUR KOREA Und dennoch liest der durchschnitt- Natürlich bieten die rasanten gesellschaftlichen Entwick- liche Koreaner gerade einmal etwas lungen Südkoreas einen fruchtbaren Nährboden für die Li- über drei Stunden pro Woche in teratur. Nicht zuletzt sind es doch die Schriftsteller, die sich Büchern; Deutsche erzielen in dieser eben den Geschichten jener widmen, die im Mainstream Kategorie fast einen doppelt so hohen oft keinen Platz finden: den Schwachen der Gesellschaft, Wert. Anders ausgedrückt: Auch wenn den Unterdrückten und Außenseitern. Oft schwingt dieser Seoul über 160 öffentliche Bibliothe- ganz spezielle Weltschmerz in den Romanen mit, „Han“ ge- ken verfügt und die Lese-Cafés zu den nannt, dessen Bedeutung nur Koreaner so recht verstehen. schönsten der Stadt zählen, bleiben Ko Un weiß genau um dessen Bedeutung. Mit Stroh- die Bücherstapel in den Auslagen oft hut und schwarzer Rahmenbrille hat er sich zur Lesung nur dekorative Zierde. Meist kleben eingefunden, und da es an diesem Sonntagmittag um das die Blicke der Leute dann doch eher diesjährige Ehrenland Italien gehen soll, philosophiert er auf dem Smartphone. Am extrems- voller Inbrunst über Dantes „Inferno“, schwärmt von seinem ten ist dies in den U-Bahnwagons zu liebsten Spaghetti-Restaurant in Venedig und lächelt nach Seoul International Book Fair 2015, Messehalle im COEX (2) beobachten, in denen Zeitungs- oder der Veranstaltung auf Dutzenden Selfies mit dem vorwie- Buchleser fast schon unter Artenschutz stehen. gend studentischen Publikum.

Noch vor 15 Jahren gab es in Südkorea über fünftausend Dabei weist seine Biografie eben jene traumatischen Buchläden, heute sind es kaum mehr 1500. Gleichzeitig Schwankungen auf, von denen die gesamte Nation in ihrer hat sich der Umfang des E-Book-Marktes innerhalb von nur jüngeren Vergangenheit nachhaltig erschüttert wurde: drei Jahren laut Angaben des Korea Information Society In der Nachkriegszeit des zerbombten Landes bereiste Development Institute mehr als verdoppelt: Wurden 2010 der heute 82-Jährige als buddhistischer Bettelmönch das gerade einmal 204 Millionen Euro umgesetzt, stieg die Zahl Land, später drohte er auf der Insel Jeju der Alkoholsucht bis 2013 auf über 428 Millionen Euro an. Für die Folgejahre zu verfallen und wurde später für seine Aktivitäten in der liegen zwar noch keine genauen Daten vor, doch erwar- Demokratiebewegung mehrmals inhaftiert. Doch vom tet wird, dass der Trend weiter anhält. Trotz des rasanten Schreiben konnte ihn nichts und niemand abbringen. Wachstums ist der E-Book-Markt im internationalen Ver- Heute gilt Ko Un als einer der profiliertesten Literaten des gleich dennoch relativ klein. So macht der Verkauf digitaler Landes, der in den vergangenen Jahren immer wieder für Publikationen in Südkorea gerade einmal zwei Prozent des den Literaturnobelpreis gehandelt wurde. gesamten Buchmarktes aus. Auf dem eher konservativen deutschen Markt sind es immerhin 4,3 Prozent, in den USA 2015 ehrte die Seouler Buchmesse schließlich die Kin- hingegen über 15. derbuchautorin Hwang Sun-mi als Schriftstellerin des Jahres, die mit „Das Huhn, das vom Fliegen träumte“ auch Die Seouler Buchmesse, die dieser Tage bereits zum 20. in Deutschland Bekanntheit erlangte. Das Schreiben war Mal stattfand, soll die Faszination für die jahrhunderteal- jedoch auch Hwang keinesfalls in die Wiege gelegt: Aus te Kulturtechnologie wieder ins Zentrum rücken – auch ärmlichen Verhältnissen stammend, blieb ihr die Oberschu- auf innovativen Wegen: So rief etwa die Stadtbibliothek le aufgrund der für ihre Eltern nicht aufzubringenden Stu- im Rathaus zu einer Leseperformance in der U-Bahn auf. diengebühren verwehrt. Nur dank eines verständnisvollen Deren Teilnehmer fuhren eine halbe Runde mit der Seouler Lehrers, der ihr den Schlüssel zum Klassenzimmer überließ, Ringbahn, trugen dabei die Bücher in der einen, das Handy konnte sie Nacht für Nacht die Schulbücher wälzen – und in der anderen Hand. Denn natürlich wurde auch in Echt- büffelte so bis zum Studium. Mit dem Schreiben fing die zeit von der Veranstaltung getwittert, Hashtags inklusive. heute 52-Jährige jedoch erst an, als sie ihre zwei Söhne Das europäische Ausland hat Südkorea, diesen Delfin bekam – die Inspiration für ihre Bücher. Und was für eine zwischen den zwei Walen China und Japan, lange auf Muse: Über eine Million Exemplare hat Hwang weltweit eine Handvoll gesellschaftlicher Eckdaten reduziert: den von ihren Werken bereits verkauft. Konflikt mit dem Norden etwa, den aberwitzig rasanten Wirtschaftsaufschwung am Han-Fluss und die fleißigen Vor dem Hintergrund dieser starken globalen Resonanz ist Samsung-Manager. Auch heute steht die koreanische es umso bedauerlicher, dass die Seoul International Book Literatur in der internationalen Wahrnehmung noch immer Fair ihrem Namen nur insofern gerecht wird, als er sich auf ein wenig im Schatten der beliebten Fernsehserien, des die unterschiedliche Herkunft der ausstellenden Verlage K-Pop und der Autorenfilmer. Umso stärker jedoch werden bezieht. Tatsächlich bleibt es den Besuchern ohne Korea- interessierte Leser von dieser faszinierenden Welt in ihren nischkenntnisse weitgehend verwehrt, wirklich tief in das Bann gezogen, die sich in fast 50.000 neuen Publikationen Programm einzutauchen. Bei den meisten Lesungen gibt pro Jahr manifestiert. es keine Übersetzungen, und auch das Gros der Veranstal-

Foto (2): Fabian Kretschmer (2): Foto tungen wird lediglich in koreanischer Sprache abgehalten.

KULTUR KOREA / 61 LITERATUR Stille der Blüten und Winternacht 0 Uhr 5 Minuten Der koreanische Dichter Hwang Tong-gyu auf Lesereise in Europa

Von Yun-Chu Cho „Neben einem, der inständig auf etwas wartet, redet man nicht über Finsternis oder Licht!“ (Aus: Winternacht 0 Uhr 5 Minuten)

Kürzlich erschienen zwei Gedichtbände 꽃의 고요 (Stille der Blüten) und 겨울밤 0시 5분 (Winternacht 0 Uhr 5 Minuten) des koreanischen Dichters Hwang Tong-gyu in deutscher Übersetzung. In diesem Herbst besuchte der Dichter Europa, um seine Werke persönlich dem Publikum in Deutschland vorzustellen. Am Abend des 16. Oktobers 2015 fanden sich mehr als 50 Gäste zu seiner Lesung im Koreanischen Kulturzentrum in Berlin ein.

Hwang Tong-gyu, emeritierter Anglistik-Professor der Seoul National University (SNU), ist einer der bekanntesten privilegiert angesehen wurden. Seine etwa 800 Gedichte, zeitgenössischen Lyriker und Literaturkritiker Südkoreas. die 15 Gedichtbände umfassen, wurden trotz solcher Kritik Er ist das älteste von vier Kindern des renommierten mehrfach ausgezeichnet und sicherten ihm einen festen Schriftstellers Hwang Sun-won, dessen Kurzgeschichte Der Platz im dichterischen Kanon Koreas: 1968 beispielsweise Regenschauer in Südkorea ebenfalls ein fester Bestandteil gewann er den Hyundae-Munhak Newcomer Preis und des literarischen Kanons ist. Hwang Tong-gyu wurde am 1980 den Literaturpreis Koreas. Für Winternacht 0 Uhr 9. April 1938 in Suckchon, Pyongan-namdo (Region im 5 Minuten erhielt Hwang 2009 zudem den Kim Dal-jin heutigen Nordkorea) geboren und wuchs in der Nähe von Literaturpreis. Pjöngjang auf. 1946 zogen seine Eltern kurz nach dem Ende der Kolonialzeit mit den Kindern aus dem Norden Die Mehrheit seiner Gedichte beschreibt alltägliche „hinunter“ in den Süden nach Seoul. Wenige Zeit später Begebenheiten, ausgeschmückte eigene Erfahrungen. brach der Koreakrieg (1950-53) aus. Hwang gehört somit Die Fröhlichen Briefe aus seiner Anfangszeit beispielsweise der Generation an, die sowohl die japanische Kolonial- sind von einer einseitigen, unglücklichen Liebe inspiriert. herrschaft (1910-45) als auch den Koreakrieg als Zeitzeuge Sie gelten als Werke, die den Anfang der Moderne in der miterlebte. koreanischen Dichtung eingeläutet haben, da sie sich Seit rund sechs Jahrzehnten publiziert er Gedichte über von der Tradition des wehmütigen gasiri (Bedeutung in die Liebe, die Natur und das Leben. etwa: „Gehen Sie?“) der Liebeslyrik des Joseon-Reiches (1392-1910) abgrenzen. An Stelle von Abstraktion beginnt Zu Hwangs bekanntesten Gedichtbänden zählt Windbe- Hwang, die konkrete Realität literarisch zu erkunden. stattung, veröffentlicht 1984. Allerdings wurde schon 1956 Sein prägnanter Sprachstil kehrt die traditionelle Verslehre in einer Schülerzeitung der Gedichtzyklus Fröhliche Briefe um und bemüht sich darum, eine realistischere Darstel- des jungen Hwang abgedruckt. Sein literarisches Debüt lungsform und einen simpleren Ton zu finden. legte er im Jahre 1958 in der bekannten Literaturzeitschrift Hyundae Munhak (Zeitgenössische Literatur) mit seinen Hwang wird in Korea gefeiert als ein Autor, der aus den Gedichten Si-wol (Oktober), Dongbaek-namu (Kameli- Inspirationen des Alltags wunderschöne Gedichte zaubert, enstrauch), und Jeulgeo-un pyeonji (Fröhliche Briefe) vor, die der die Wahrheiten des Lebens besingt. Unlängst wurden er aufgrund einer Empfehlung des renommierten Dichters seine Werke als solche beschrieben, die „die kleinsten Seo Jeong-ju veröffentlichte. Teilweise kritisierte man in Veränderungen der Natur, die leichtesten Gemütsbewe- seinen Gedichten „den Ton der Bourgeoisie“ aufgrund gungen“ auffangen. seiner Kontakte, die wegen seines berühmten Vaters als Foto: Koreanisches Kulturzentrum Koreanisches Foto:

62 / KULTUR KOREA damit zu beschäftigen.

In dem weiteren Gespräch mit den Gästen offenbarte Hwang, dass er die Werke von Charles Baudelaire, Art- hur Rimbaud, Georg Trakl, und William Butler Yeats sehr schätze.

Zu seinem Gesamtwerk befragt, merkte er an, dass er an diesem Abend nur sieben seiner über 800 Gedichte vor- tragen werde, und dass er all seine Werke nicht in ein paar Worten zusammenfassen könne, da er sich auch als Dichter weiterentwickelt habe. Seine frühen Werke widmeten sich beispielsweise der Demokratisierung Koreas. Generell aus- gedrückt seien seine Arbeiten inhaltlich jedoch ständige Auseinandersetzungen mit dem eigenen Leben, und heute auch mit dem eigenen Altern. Gedichte würden mit Wor- ten geschaffen, die aus dem Leben an sich kämen.

Zu seinem Gedichtband Stille der Blüten, in dem er bei- spielsweise im Gedicht Flammen der Hölle das Christentum (in Form der Jesusfigur) und den Buddhismus (verkörpert durch Buddha) mittels eines Dialogs aufeinanderprallen lässt, erklärte er, dass beide Religionen zu seinem Leben gehören. Für ihn repräsentierten Jesus und Buddha Werte, die einander glichen oder ähnelten, jedoch auch manch- mal im Gegensatz zueinander stünden und in seinem Schauspieler Michael Hase, Dichter Hwang Tong-gyu (re.) Inneren einen immerwährenden Wechsel zwischen „Ko- operation und Ringen“ darstellten. Diesen inneren Kampf Im Koreanischen Kulturzentrum in Berlin präsentierte beschrieb er bisher in etwa 30 Gedichten. Diese Erklärung Hwang die vier Gedichte In einem Maß, kaum zu ertragen, zeigte noch einmal mehr, wie der Poet mit den inneren Ich wollte mich tief verbeugen, Bleistiftzeichnung, und Das und äußeren Konflikten in seinen Werken umgeht. Orakel von Delphi aus seinem Werk Stille der Blüten, dem dreizehnten Gedichtband auf Koreanisch aus dem Jahr Das Gespräch in Berlin hinterließ das Bild eines ständig 2006. Es folgten drei Gedichte aus Hwangs fünfzehntem über sich selbst und über die Welt nachdenkenden, immer- Band Winternacht 0 Uhr 5 Minuten aus dem Jahr 2009, wel- zu und alles beobachtenden Literaten. che exemplarisch für seine Auseinandersetzung mit dem alltäglichen Leben stehen: Daß man das Leben durchlebt, Im Oktober 2015 sind seine beiden Bände Stille der Blüten Winternacht 0 Uhr 5 Minuten und Fremde Einsamkeit. Der aus dem Jahr 2006 und Winternacht 0 Uhr 5 Minuten aus deutsche Schauspieler Michael Hase trug die deutschen dem Jahr 2009 in deutscher Übersetzung und jeweils mit Übersetzungen vor. Abdruck der koreanischen Originale im OSTASIEN Verlag erschienen. Nachdem das Publikum den Gedichten gebannt gelauscht hatte, gab es großen Applaus und viele Fragen, die zeigten, wie sehr sich die Gäste für Hwangs Lyrik interessierten.

Ob er immer schon Schriftsteller habe werden wollen, lautete eine Frage aus dem Publikum. Eigentlich habe er eine andere Karriere geplant, antwortete Hwang. Zu seiner Schulzeit glich Seoul aufgrund des vorangegangenen Foto: privat Foto: Krieges einem riesigen Schlachtfeld, und da er deswegen keinerlei „visuelle Freuden“ mehr entdecken konnte, kon- Yun-Chu Cho B.A., B.A., M.A., arbeitet freiberuflich als zentrierte Hwang sich nunmehr auf die Musik. Nach der » Dolmetscherin und interkulturelle Unternehmensberate- Schule besuchte er täglich ein Musikcafé, um klassische rin (koricon.de). Sie lehrte und promoviert an der Musik zu hören. Er wünschte sich, später ein Komponist Humboldt-Universität zu Berlin. Ihre Aufsätze, Texte und zu werden. Leider war er musikalisch recht wenig begabt, Rezensionen finden sich in Jahrbüchern und Sammel- erzählte er und brachte das Publikum zum Lachen. Da bänden, wissenschaftlichen Zeitschriften und online er von Kindesbeinen an durch seinen Vater mit Literatur (academia.edu). Sie ist Gründerin des Kultur-Magazins aufgewachsen war, beschloss er, sich nunmehr ebenfalls stylistberlin.de.

KULTUR KOREA / 63 LITERATUR

„AUCH IN FREMDEN LEBENSWELTEN GIBT ES INNIG VERTRAUTES“

Interview mit Tobias Burghardt, Verleger der Stuttgarter Edition Delta, die kürzlich ihren Verlagslesekatalog „Koreanische Literatur“ vorstellte.

Der Stuttgarter Literaturverlag Edition empfehlen? Delta verlegt ausschließlich ausländi- sche Literatur in deutscher Übersetzung, Anlässlich der ersten darunter auch aus eher ungewöhnli- zehn koreanischen Bü- chen Sprachen wie Maya-K’iche‘, eine cher in der Edition Delta Maya-Sprache, und Sephardisch. Wie haben wir diese neue kam es zu dieser Ausrichtung? Literaturreihe auszugs- weise vorgestellt und Im Bereich der Belletristik erscheinen sowohl als gedrucktes in Deutschland ebenso viele Über- Lesebuch als auch online setzungen aus anderen Sprachen wie herausgebracht. Dabei deutschsprachige Originalbücher. Wir wird ein freier Einblick in selbst sind Übersetzer, vor allem aus jedes einzelne Buch ge- sicherlich zwei Werke zu empfehlen: dem Spanischen, und haben folglich geben, teilweise sogar zweisprachig, die Romane „Schwertgesang“ von Kim den Schwerpunkt auf übersetzte also mit dem koreanischen Original- Hoon (* 1948) und „Mondestrunken“ Literatur gelegt. In der Edition Delta text, zum Beispiel bei Kim Sun-Woo von Jung Young Moon (* 1965), zu erscheinen mehrere Buchreihen, (* 1970) aus ihrem Lyrikband „Unter dem ein Essaywettbewerb stattfand. darunter lateinamerikanische Lyrik, Pfirsichblüten eingeschlafen“, bei Shin Ihre koreanische Literaturreihe entstand zu der natürlich auch die moderne Dal Ja (* 1943) aus ihrer Werkauswahl in Kooperation mit dem Koreanischen indigene Poesie gehört, etwa aus dem „Morgendämmerung“ oder bei Park Institut für Literaturübersetzungen Maya-K’iche‘ von Humberto Ak’abal, Hijin (* 1931) aus seiner Gedicht- (KLTI) in Seoul. Seit wann besteht diese oder eben die sephardischen Gedichte sammlung „Himmelsnetz“. So liegt die Kooperation, und wie ist die Auswahl der mit dem Titel „dibaxu“ (,darunter‘) des Auswahl bei den LeserInnen selbst, übersetzten Werke erfolgt? großen argentinischen Autors Juan die sich hier einlesen können, um Gelman (1930-2014). Zudem veröf- herauszufinden, welche koreanische Seit etwa zehn Jahren arbeiten wir fentlichen wir katalanische Poesie, Autorin, welcher koreanische Autor mit dem Koreanischen Institut für lusophone Lyrik, d.h. portugiesisch- ihnen darunter besonders gefällt. Bei Literaturübersetzungen (KLTI) vielfäl- sprachige AutorInnen aus mehreren der Lyrik wäre das Buch „Augen aus tig zusammen. Was die koreanische Kontinenten wie Lateinamerika (Bra- Tau“ von Mah Chonggi (* 1939) zu Buchreihe der Edition Delta seit 2007 silien), Afrika (Angola und São Tomé e nennen, der von dem Philosophen betrifft, so erhielten wir erst Empfeh- Príncipe) und Europa (Portugal), sowie und versierten Rezensenten Ludger lungen mit Textauszügen oder aber spanische Poesie und neuerdings Lütkehaus in der Neuen Zürcher Zei- auch vollständig übersetzte Manu- auch koreanische Literatur. tung mit dem Lyriker Gottfried Benn skripte, aus denen wir dann auswäh- (1886-1956) verglichen wurde: weni- len konnten, welche wir zur Veröffent- Seit Herbst dieses Jahres liegt Ihr Ver- ger „Kälte“ und „Nihilismus“ als jener, lichung annehmen würden. Meist sind lagslesekatalog „Koreanische Literatur“ dafür mehr „Naturnähe des Taoismus, die koreanischen AutorInnen und ihre vor, der in kurzen Auszügen fünf Lyrik- der buddhistischen Empathie“. Oder Themen hier unbekannt, weshalb die und fünf Prosawerke der koreanischen der neokonfuzianische Denker Toegye Vermittlungsarbeit im Vordergrund Literatur vorstellt, die in der Edition (1501-1570), eine Berühmtheit in steht, wie wenn es sich um ein Debüt Delta veröffentlicht wurden. Welches der Korea, der hier als Dichter vorgestellt handelt. Werke würden Sie den Lesern besonders wird. Bei den Prosaschriftstellern sind Fotos: Delta-Archiv, Stuttgart Delta-Archiv, Fotos:

64 / KULTUR KOREA Gute tradierte Literatur steht und fällt le & Körper, Heiliges & Weltliches./ Drei den Dichter-Ärzte Gottfried Benn und mit der Übersetzung. Wie erfolgte die Elemente im Vierzeiler – Himmel, Erde Mah Chonggi ist doch ein treffliches Auswahl der Übersetzer? und Mensch –“ (사행시 안에 지·수·화·풍 Beispiel interkultureller Betrachtung. 이, 현실과 꿈이 있소. / 영혼과 육체, 聖· Auf die Auswahl der Übersetzer hatten 성·속이 꼬리를 물고 도오. / 사행시 안 Inwiefern kann der Blick auf eine fremde 俗 wir bisher keinen Einfluss, diese ge- 에 천·지·인 삼재의 조화가 있소.). Park Lebenswelt eine Bereicherung für unser 三才 schah vor Ort, während natürlich bei Hijin ist schon ein bemerkenswerter eigenes Leben sein? der Übersetzung das Verlagslektorat Lyriker. Der Auswahlband von Toegye Auch im Vertrauten gibt es Fremdes, eine entscheidende Rolle spielt, das trägt den Titel „Als der Hahn im Dorf wie es in fremden Lebenswelten innig für die Rezeption wesentlich ist, um am Fluss krähte, hing der Mond noch Vertrautes gibt. die authentische Stimme des Autors in im Dachgesims“, den der Schriftsteller der anderen Sprache noch zu hören. Matthias Ulrich in seiner Buchbespre- Das Interview führte Gesine Stoyke, Deshalb bevorzugen wir gerade bei chung als „einen der schönsten Titel Redaktion „Kultur Korea“ der Lyrik zweisprachige Ausgaben, die für einen Gedichtband“ bezeichnet ja die beiden Ufer und die Überfahrt hat: „Poetisch und einprägsam.“ sinnfällig für uns Leser veranschauli- chen sowie all die Mühen der Über- Korea wird seit einigen Jahren in der Link zum Verlagslesekatalog: setzer in den konkreten Rahmen deutschen Öffentlichkeit immer stärker http://www.edition-delta.de/koreanische-lite- zwischen zwei Kulturen stellen. wahrgenommen: Koreanische Marken- ratur/edition-delta-koreanische-literatur/ produkte, K-Pop, die koreanische Küche Onlineversion: http://issuu.com/yaez/docs/edition_delta_ko- In Zusammenhang mit der koreanischen und Taekwondo erobern sich zunehmend reanische_literatur Literatur sprechen Sie davon, dass „die einen Platz in unserem Alltag. Denken Sie, Peripherien der Weltliteraturen die kreati- dass dieses Phänomen auch das hiesige ven Innovationszentren bilden“. Inwiefern Interesse an der koreanischen Literatur sehen Sie Korea und seine Literatur als beeinflusst? „kreatives Innovationszentrum“? Sicherlich sind solche Trends hinwei- Neue Literaturen entstehen ständig send auf die Annäherungen zwischen weltweit. Der übersetzerische Ansatz diesen Kulturen, die sich auch im der Edition Delta gilt dieser transkul- literarischen Austausch widerspiegeln, turellen Vermittlung der koreanischen dank zunehmender Übersetzungen Poesie und Prosa, die etliche interes- und Veröffentlichungen, die hier auf sante, herausragende und lesenswerte mehr Weltoffenheit, Sympathie und Werke hervorgebracht haben. Inno- Einfühlung treffen. vativ und kreativ sind zum Beispiel Tobias Burghardt (Jahrgang 1961) formale oder auch inhaltliche Ansätze Bislang hat die koreanische Literatur in » ist Lyriker, Übersetzer und Verleger wie etwa der Roman „Mondestrunken“ Deutschland eher ein Nischendasein ge- der Stuttgarter Edition Delta des jungen Schriftstellers Jung Young fristet. Welche Impulse gehen gerade von (www.edition-delta.de). Er veröffentlich- Moon, „ein seltener Versuch der Refle- der koreanischen Literatur aus, die sie für te mehrere Lyrikbände, darunter seine xion östlichen Denkens mit den Mit- deutsche Leser lesenswert machen? Fluss-Trilogie und zuletzt »September- teln experimenteller Prosa“, worauf uns erde & August-Alphabet« (2010). Seine der Übersetzer Philipp Haas aufmerk- Die allgemeinen Kenntnisse der chi- Gedichte wurden in zahlreiche Sprachen sam macht. Oder auch die Naturphilo- nesischen und japanischen Weltlitera- übersetzt, und Einzeltitel erschienen in Argentinien, im Irak, in Japan, Portugal, sophie Pung ryu do (,Weg des Pneu- turen, die hier bislang eher verbreitet Serbien, Schweden und Venezuela. Er ma‘), in der alles Leben vom Fließen und geschätzt sind, werden endlich ist Mitbegründer und Koordinator des des Pneuma (Chi) im All hergeleitet erweitert durch die koreanische Weltli- »Babylon Festivals für Internationale wird und die drei großen Strömungen teratur und vertiefen den neugierigen Kulturen & Künste«, das seit 2012 jährlich des Konfuzianismus, Buddhismus und Blick in den äußersten Fernen Osten. in Babylon und Bagdad stattfindet. Taoismus zusammenfließen, wie bei Die Edition Delta legt darauf auch ihr Mit seiner Frau Juana Burghardt, der Park Hijin und Toegye in vorzüglichen besonderes Augenmerk. Vielleicht Herausgeberin und Illustratorin der ko- Hanshi-Vierzeilern oder einzeiligen spielen zudem noch gewisse Paralle- reanischen Literaturreihe in der Edition Vier-Zeichen-Sprüchen (Sa ja song o) len der historischen Erfahrungen einer Delta, überträgt er lateinamerikanische zu entdecken ist. Park Hijin schreibt Teilung des Landes (hier: Ost-West, Lyrik, katalanische Poesie, lusophone Lyrik und spanische Poesie. Sie sind Her- poetologisch in seinem Gedicht „In ei- dort: Nord-Süd) eine wiedererken- ausgeber und Übersetzer der Werkreihe nem Vierzeiler“ (사행시 안에, Sahaeng-si nende Rolle, die koreanische AutorIn- von Miquel Martí i Pol und seit Herbst an-e) über den koreanischen Vierzeiler: nen und ihre Werke interessant und 2014 der Stuttgarter Werkausgabe des „Der Vierzeiler verbindet Erde, Wasser lesenswert machen. Und der oben argentinischen Dichters und Denkers und Mond, / Wirklichkeit & Traum, See- genannte poetische Vergleich der bei- Roberto Juarroz.

KULTUR KOREA / 65 REISEN UND KULINARIK

Kochkursteilnehmer/innen, Simply Korean Food

SIMPLY KOREAN FOOD! Auftaktveranstaltung zum gemeinsamen Kochvergnügen

Von Dr. Stefanie Grote Redaktion „Kultur Korea“

ur Begrüßung gab es „Makgeolli“. Von Ferne erinnert diesem und am nächsten Tag auf dem Kochkurs-Speiseplan der in Korea so beliebte koreanische Reiswein eher stehen. Koreanische Küche sei im Vergleich zu der Vielzahl Zan ein Joghurtgetränk oder eine trübe Reissuppe als chinesischer und vietnamesischer Restaurants in Berlin an Wein. Wer aber zum Auftakt der vom Koreanischen Kul- immer noch unterrepräsentiert, bedauert er. Aber glück- turzentrum organisierten Kochkurs-Veranstaltung am 29. licherweise gebe es da ja Bewegung. „Mich interessieren und 30. September in das Küchenstudio SieMatic am Leip- auch die Unterschiede zu den anderen Küchen und die ziger Platz gekommen war, wollte die koreanische Küche Frage, was das spezifisch Koreanische eigentlich ist, wenn schließlich kennenlernen. Entsprechend wurde mögliches es das überhaupt gibt.“ Befremden gegenüber dem milchigen Getränk in bauchi- gen Weingläsern überwunden und einfach probiert. Dann kommt schon die nächste Etappe der Zubereitung. Die koreanische Köchin, Frau Oh Hyon-hwa, demonstriert Da die Anmeldeliste der Interessenten zu lang war für mit großem Geschick, wie Lauchzwiebeln erst geschlitzt die begrenzten Räumlichkeiten im Küchenstudio, hatte und dann zerkleinert werden. Sie schneidet Rindfleisch, schließlich das Los über die Teilnahme von jeweils 15 Perso- häckselt Möhren, wäscht Bambussprossen, zermalmt Se- nen entscheiden müssen. samkörner, mischt Sojasoße, Knoblauch- und Pfefferpulver, „Ich koche leidenschaftlich gerne“, sagt ein Herr mittle- erklärt, beantwortet Fragen, schmeckt ab und motiviert ren Alters, „und die koreanische Küche kenne ich bislang die Teilnehmer, es ihr gleichzutun. Bei Bibimbap „isst das kaum.“ Diese Lücke möchte er schließen und begibt sich Auge mit“, da sollen rote, grüne, orange, beige und gelbe eifrig an die Zubereitung der Gerichte Bulgogi (Feuer- Gemüsesorten harmonisch arrangiert werden, deshalb will fleisch) und Bibimbap (Reisgericht mit Gemüse), die an das Schneiden von Gemüse gelernt sein.

66 / KULTUR KOREA Fotos: Koreanisches Kulturzentrum nicht nur in Berührung, sondern wortwörtlich aufdenGe nicht nurinBerührung, wortwörtlich sondern zueinemKoreanerBeziehung mitderkoreanischen Küche wie eine Teilnehmerin diedurch erzählt, ihre vormalige blättern, anLiebgewonnenes, bishinzumAnknüpfen Küche mitvielFisch und Algen undSprossen und Feigen- bereits Vertrautem, überdieAnnäherung aneinegesunde von undder derNeugier aufUnbekanntes Vertiefung von Die Motive fürdie Teilnahme sindvielfältigundreichen Weite, Transparenz. modernstes Interieur, Akzente, geschmackvolle räumliche ist –warmes Licht, ansprechendes Linien, Design, klare auch demAmbiente desKüchenstudios zuverdanken fällt nicht schwer, sichhierwohlzufühlen, was nicht zuletzt derAppetit wirdDuft, größer unddieStimmung heiter. Es Langsam verbreitet sicheinangenehmsüßlich-würziger vom Gegenteil lassen. überzeugen erfreulicherweise schälendenundschnippelndenMänner geschürzten, chen seiFrauensache, konnte sichangesichts derzahlreich KüchenzeilenAn wird zwei geübt, undwer glaubte, Ko - - Mann. sie nicht mehrverzichten: istdieFrau!“„Selbst -Undder schmack gekommenist. Auf dieseGaumenfreude möchte KULTUR KOREA / 67 REISEN UND KULINARIK

68 / KULTUR KOREA Foto: Rainer Rippe Byeonsanbando Koreas einzigerNationalpark, derBergeundMeerbietet Von Rainer Rippe KULTUR KOREA / 69 er Saemangeum Seawall trennt seit 2010 eine Einen Steinwurf von uns entfernt hatte sich ein Auto im Fläche so groß wie Köln vom Gelben Meer ab. Die Sand festgefahren. Einige Gruppenmitglieder halfen beim DTrockenlegung eines Teils des bis dahin zweitgröß- Anschieben. Zwar gelang es ihnen, den Wagen kurz zu ten Wattenmeers der Welt soll Platz für eine neue Stadt befreien, doch fuhr er sich gleich wieder fest. Als unsere namens Ariul schaffen, die einmal das koreanische Dubai Gruppe weiterging, gehörte ich zu den Nachzüglern. werden könnte. Am südlichen Ende dieses fast 34 Kilome- Die Frau des Fahrers hatte rasch ein paar große Flaschen ter langen Deichs liegt auf einer Halbinsel der Byeonsan- Energy-Drinks gekauft und drückte sie uns für die Helfer in bando-Nationalpark. Die bis zu 500 Meter hohen Berge in die Hand, die schon vorausgegangen waren. Wir bedank- seinem Zentrum laden ebenso zu Wanderungen ein wie ten uns und steckten die Flaschen in unsere Rucksäcke. seine Küste. Ihr Mann rief derweil offenbar telefonisch eine Abschlep- philfe. Vor ein paar Jahren hatte ich schon einmal ein Wochenen- de dort verbracht, um im südlichen Teil des Gebirges den Hinter der nächsten Biegung hatten sich einige Dutzend Naesosa-Tempel zu besuchen. Sein Hauptgebäude wurde Möwen im flachen Wasser niedergelassen. Kurz darauf 1633 nur aus Holz errichtet – ohne einen einzigen Nagel wurde es zu felsig, um am Ufer weiterzugehen, und wir – und ist einer der Nationalschätze Südkoreas. Der Tempel mussten eine Steigung erklimmen. Glücklicherweise hatte zählt zwar zu den kleineren des Landes, aber während jemand ein Seil mitgenommen, an dem wir uns hoch- meines Besuchs blühten gerade Kirschbäume und Magno- ziehen konnten. Oben angekommen, erwartete uns ein lien, und die ersten Lotuslaternen hingen schon, um das Waldweg, der schon bald zu einer Straße wurde und durch Tempelgelände für Buddhas Geburtstag zu schmücken. eine Siedlung führte. Es war herrliches Frühlingswetter; Jung und Alt waren auf den Beinen, um die wunderbare Atmosphäre zu genießen. Von dort aus gelangten wir zum Gosapo-Badestrand. Nur ein paar Fischer in einem Motorboot waren auf dem Meer Damals war ich in der Pension BS Windflower an der Süd- zu sehen und einige Camper am Rande des Strands, die küste der Halbinsel untergekommen. Mein gemütliches vor ihren Zelten saßen. Wie gerne wäre ich dort schwim- Zimmer bot nicht nur holzverkleidete Wände, sondern men gegangen, denn das Wandern in der Mittagssonne sogar eine Badewanne aus Holz und einen Blick direkt hatte mich ins Schwitzen gebracht, aber dafür sollte erst aufs Meer. Schon lange wollte ich gerne noch einmal am Ziel Zeit sein. So zog ich stattdessen mit einigen ande- den Byeonsanbando-Nationalpark besuchen, um seine ren zusammen die Schuhe aus und ging von da an barfuss Strände kennenzulernen. Daher sagte ich sofort zu, als die durchs Wasser, das sanft rauschend und angenehm warm Freizeitgruppe «Climbing in Korea» (CIK) Mitte September unsere Füße umspülte. eine Wanderung entlang dieser Küste anbot. Am Horizont waren mehrere kleine Inseln zu sehen und Der koreanische Herbst ist deutlich wärmer als der deut- vor uns ein dicht bewaldeter Fels, der bis ans Meer ragte. sche, und als wir am späten Vormittag etwas südlich des Der spektakulärste Anblick: Unzählige Möwen, so weit das Saemangeum Seawalls den Bus verließen, bedauerte ich Auge reichte, bevölkerten das Ufer. Wenn einige von uns bereits, dass ich eine lange Hose angezogen hatte. Doch näher kamen, erhob sich eine Schar und flog kreischend vorerst war zum Umziehen keine Zeit, denn der Leiter, von dannen. Herr Kim, drängte die fast 50 Wanderer zum Aufbruch. Um den Fels zu umrunden, mussten wir dem Strand den Der 66 Kilometer lange, Byeonsan Masilgil genannte Küs- Rücken zukehren. Wir gingen an ausgebreiteten Netzen tenweg ist in acht Abschnitte gegliedert, von denen wir und aufgebockten Motorbooten vorbei, bis wir wieder zu an diesem Tag die ersten drei bewältigen wollten. Für die einem Waldweg kamen, der bergauf führte. Die Aussicht insgesamt 18 Kilometer hatten wir viereinhalb Stunden auf den Strand, das Meer und die Inseln in der Ferne war eingeplant, Pausen nicht mitgerechnet. atemberaubend. Trotz der Schönheit der Natur wurden ei- nigen von uns langsam die Beine schwer. Als wir wieder zu Zunächst gingen wir durch weites Watt, dann wurde der einer Straße gelangten, versuchte die neben mir laufende Untergrund etwas felsig. Jen, eine Kanadierin, die schon Christina, ein Auto zu stoppen, aber es fuhr vorbei. Vijay, im Bus neben mir gesessen hatte, bückte sich immer wie- einer der Organisatoren, konnte sie motivieren, weiterzu- der, um Meerglas aufzuheben – kleine, vom Wasser rund gehen. Der Weg führte etwa eine Viertelstunde durch den geschliffene Glasstücke. Nach etwa einer Stunde legten Wald, bevor er erneut auf die Straße traf. wir am beinahe menschenleeren Byeonsan-Badestrand eine Mittagspause ein, die ich nutzte, um eine kurze Hose Dieses Mal hatte Christina Glück: Zwei Koreaner hatten mit anzuziehen. Von einem nahegelegenen Kiosk holten wir ihrem Auto am Straßenrand angehalten, um Fotos von der uns Eis und kühle Getränke, setzten uns in den Schatten Landschaft zu machen. Sie fragte die beiden, ob sie uns der Kiefern, die den makellos weißen Strand säumten, und nach Gyeokpo mitnehmen könnten, wo der Bus auf uns packten unsere Lunchpakete aus. warten sollte. Ehe ich mich versah, saß ich mit Christina

70 / KULTUR KOREA Tempel Naesosa Nationalpark Byeonsanbando

auf dem Rücksitz, und wir fuhren mit den beiden Männern Weitere Informationen: die grandiose Küste entlang. Wenig später wurden wir am Der Byeonsanbando-Nationalpark (변산반도국림공원) liegt in der Busbahnhof abgesetzt. Dort zeigte uns jemand den Weg Provinz Nord-Jeolla (전라북도). Nehmen Sie am Seoul Central City zum Meer, der an zahlreichen Fischrestaurants vorbei- Bus Terminal (U-Bhf. Express Bus Terminal; Linie 3, 7, 9) einen Bus führte. Am Strand trafen wir unsere Gruppe wieder. Einige zum Buan Intercity Bus Terminal (Fahrtzeit: ca. 3 Stunden). Von dort Wanderer kamen gerade zurück aus dem Wasser, und ich nehmen Sie den Expressbus nach Byeonsan (Ausgangspunkt unserer nutzte die durch die Autofahrt gewonnene Zeit, um auch Wanderung; Fahrtzeit: 30 Minuten) oder Gyeokpo (Endstation der noch rasch eine Runde zu schwimmen. Wanderung). Die Busse verkehren von 7.15 bis 20.40 Uhr und fahren alle 10 Minuten. Eigentlich hätten wir gleich danach zurückfahren wollen, doch einige von uns hatten sich noch in einem der Wanderungen mit «Climbing in Korea» (CIK) finden das ganze Jahr Restaurants eine Pfanne mit Meeresfrüchten bestellt, die über regelmäßig statt. Man kann sie buchen unter https://www. größer war als gedacht. Das Verspeisen der Riesenportion facebook.com/ClimbingInKorea und unter http://www.meetup.com/ würde länger dauern, das war klar. So kam es, dass auch climbinginkorea/. Die Mitgliedschaft bei Meetup.com ist kostenlos. ich noch gemütlich auf einer Terrasse saß, eine leckere Die Busfahrt mit CIK hat 28.000 Won gekostet (ca. 21,45 Euro). Haemul Kalguksu (Nudelsuppe mit Meeresfrüchten) aß Die Pension BS Windflower (변산바람꽃) findet man hier: http:// und der Sonne dabei zusah, wie sie langsam dem Horizont bswindflower.co.kr/, Karte: https://goo.gl/xlvsZ2, Anschrift: 전라북도 entgegensank. 부안군 진사면 운호리 343, Tel. +82-10-9584-1559. Der Naesosa-Tempel bietet auch ein Tempelstay-Programm an. Kurz überlegte ich, den Bus ohne mich fahren zu lassen, Mehr dazu unter: http://naesosa.org/, Karte: https://goo.gl/u7G12C, mich in der BS Windflower einzuquartieren und die Nacht Anschrift: 전라북도 부안군 진사면 내소사로 243, Tel. +82-63-583- in Byeonsanbando zu verbringen. Ich fuhr dann doch mit 7281 bzw. -3035. den anderen heim.

Aber ich werde wiederkommen, und dann werde ich mehr Zeit mitbringen, in Ruhe Vögel beobachten, am Strand liegen und schwimmen – und wieder meine Wanderschu-

he einpacken für einen Abstecher in die Berge. Inga Sommer Foto: Rainer Rippe lebt – mit einjähriger Unterbrechung – seit » 2008 in Korea. Er ist seit Dezember 2012 Mitarbeiter der Fried- rich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Fotos: Rainer Rippe Fotos:

KULTUR KOREA / 71 REISEN UND KULINARIK

DIE KOREANISCHE KÜCHE - PASSEND ZU JEDEM ANLASS Koreanische Gerichte zu Feiertagen und anderen besonderen Gelegenheiten

Von Hyein Kim

In Korea sind viele Gerichte mit einer besonderen Bedeutung verbunden. Das fand ich als Koreanerin normal, bis ich andere Kulturen besser kennengelernt habe. - Und überrascht war, dass es zwar in anderen Ländern einige Traditionen gibt, aber nicht so viele wie bei uns. Vor allem eine gute deutsche Freundin von mir hat sich sehr für diese Bräuche interessiert, und so kam ich auf die Idee, über einige Esstraditionen aus Korea zu berichten.

NEUJAHR – Reiskuchensuppe (떡국/ Tteokguk) Das Neujahrsfest nach dem Mondkalender ist einer unserer beiden höchsten Fei- ertage (der andere ist das Erntedankfest Chuseok). Familien versammeln sich, ko- chen und essen zusammen, wie an Weihnachten in Deutschland. Weil die meisten Familien eine Zeremonie (zum Gedenken an die Ahnen) begehen, werden dafür immer spezielle Speisen zubereitet, und nach der Feier frühstücken alle zusam- men an einem riesigen Tisch. Ebenso geht es beim Chuseok-Fest zu. Das wirklich besondere Essen zum Neujahrsfest ist die Reiskuchensuppe: Wir Koreaner sagen, dass man ein Jahr älter wird, wenn man dieses Gericht isst, da man nach der kore- anischen Altersberechnung am Neujahrstag (nicht am Geburtstag) ein Jahr älter wird. Es gibt lokale Unterschiede bei der Zubereitung der Suppe: In einigen Regio- nen unterscheidet sich die Form der Reiskuchen von der flachen, ovalen Standard- form. Im Norden (des ungeteilten Koreas) isst man eigentlich keine Reiskuchen-, sondern Mandu-Suppe (Mandu sind gedämpfte Teigtaschen mit Fleisch darin, ähnlich wie Maultaschen), in Mittelkorea isst man in der Suppe Reiskuchen und Mandu zusammen, und im Süden der Halbinsel nur Reiskuchen. Was mir immer Spaß macht: mit den Verwandten zusammen auf dem Boden zu sitzen, Mandu zuzubereiten und zu quatschen.

IN DER VOLLMONDNACHT AM 15. TAG DES ERSTEN MONATS NACH DEM MONDKALENDER (정월 대보름/ Jeongwol Daeboreum) – Reis aus fünf Getreidear- ten (오곡밥/ Ogokbap) An diesem Abend ist es Tradition, Reis mit vier weiteren Getreidearten (üblicher- weise Hirse, Kolbenhirse, rote Bohnen und Bohnen) zu essen. Dadurch soll der Wunsch nach einer guten Ernte im neuen Jahr in Erfüllung gehen. Ein weiterer Brauch heißt Bureom – man knackt spät in der Nacht Hülsenfrüchte mit einer harten Schale (z.B. Walnüsse, Pinienkerne, Kastanien) und kaut auf ihnen, um mögliche Beulen und Geschwülste, die im neuen Jahr auftreten könnten, im Voraus zu „zerstören“. Die erste Nuss muss man wegwerfen, und ab der zweiten darf man sie essen.

BOK-NAL(복날) – Samgyetang (삼계탕) Bok-Nal (Cho-Bok, Jung-Bok, Mal-Bok) sind die drei heißesten Tage des Sommers. Zehn Tage nach der Sommersonnenwende kommt Cho-Bok, zehn Tage danach Jung-Bok, und weitere zehn Tage danach Mal-Bok. Um den Energieverlust durch die Hitze auszugleichen, isst man Samgyetang, eine Suppe (koreanisch Tang), die Ginseng (Sam), Hühnerfleisch (Gye), Klebreis, koreanische Datteln und andere Zutaten enthält. http://archive.nfm.go.kr/Search/sub_search. http://archive.nfm.go.kr/Search/sub_search.jsp?query=00073164&contents=search_end.jsp, Ogokbap ( Volksarchiv) ( Volksarchiv) Tteokguk Fotos: (Volksmuseum), Samgyetang http://efw.nfm.go.kr/service/book/photo/109/138172/ jsp?query=00070722&contents=search_end.jsp

72 / KULTUR KOREA CHUSEOK (추석) – Songpyeon (송편) Was das Erntedankfest Chuseok vom Neujahrsfest unterscheidet, außer der Bedeutung des Tages an sich, sind die Songpyeon, mit Kiefernadeln gedämpfter Reiskuchen mit Sesamkernen (oder Bohnen oder Kastanien) und Zucker bzw. Honig darin. Ebenso wie die Mandu sind auch die Songpyeon sehr aufwendig herzustellen: Alle müssen sich stundenlang damit beschäftigen. Daher kaufen heute viele Menschen, die für solche Dinge keine Zeit mehr haben, Songpyeon einfach im Supermarkt. Ich persönlich finde das zwar traurig, aber ich kann die Leute auch verstehen. Außerdem bin ich fast die Einzige in der Familie, die immer noch Songpyeon zu Hause zubereiten will. Deswegen muss ich zu jedem Chuseok-Fest meine Oma darum bitten.

DONG-JI (동지, Wintersonnenwende) – Rote Bohnensuppe (팥죽/ Patjuk) Die Wintersonnenwende ist der Tag, an dem die Sonne am kürzesten scheint. Die Vorfahren der Koreaner glaubten, dass an diesem Tag die negative Energie extrem hoch sei - und dass daher sehr viele böse Geister anwesend seien. Um sie abzuwehren und Glück für das nächste Jahr zu wünschen, wurde Rote Boh- nensuppe gegessen und auch an die Außenwände von Häusern geworfen, denn rote Bohnen stellen symbolisch eine positive Energie dar. Man isst dieses Gericht normalerweise mit kleinen Stückchen Reiskuchen, Sae-Al-shim. Sae-Al bedeutet „Ei des Vogels“, und die Reiskuchen heißen so, da sie in der Größe von Vogeleiern zubereitet werden.

Sonstiges AM GEBURTSTAGSMORGEN – Seetang-Suppe (미역국/ Miyeokguk) Am frühen Morgen des Geburtstags duftet das Haus beim Aufstehen nach Seetang. Die Mutter kocht an jedem Geburtstag Seetang-Suppe mit Rindfleisch. Auch nach der Geburt eines Kindes spielt die Suppe eine besondere Rolle: Ei- gentlich nehmen die Wöchnerinnen ihre wesentliche Nahrung, die die Erholung von der Entbindung unterstützt, über diese Suppe auf.

VOR EINER WICHTIGEN PRÜFUNG – Bonbons aus Getreide und Malz (엿/ Yeot) oder Reiskuchen (찹쌀떡/ Chapssaltteok), aber keine See- tang-Suppe! Auf Koreanisch hat der Ausdruck ,(eine Prüfung) bestehen’ die gleiche Bedeutung wie ‚kleben’. Aus diesem Grund schenkt man klebrige Süßigkeiten wie Yeot und Reiskuchen, um Glück zu wünschen - damit der andere wie die Süßigkeiten an der Prüfung ,klebt’ (= sie besteht) Vor allem aber sollte man keine Seetang-Suppe essen. Der Seetang ist nämlich aalglatt, sodass man nicht kleben, sondern ausrutschen (= durchfallen) wird.

STRAFENTLASSENE - Tofu privat Foto: Wenn jemand aus dem Gefängnis kommt, schenken ihm Familie oder Hyein Kim lebt in Seoul und Freunde Tofu. Es gibt zwei Theorien dafür. Die erste Theorie: In der » studiert Psychologie und BWL an Zeit der japanischen Besetzung waren die Gefängnisinsassen ziemlich der Seoul National University (Ba- schlecht ernährt. Nach ihrer Entlassung schlangen sie allerdings Fleisch chelor). Von 2014-2015 nahm sie und fettiges Essen sehr schnell hinunter, und infolgedessen sind viele an einem Austauschprogramm an der Freigelassenen an Verdauungsstörungen gestorben. Um solche der Freien Universität Berlin teil. Tragödien zu verhindern, wurde öfter das gut bekömmliche Tofu ge- Sie liebt das Reisen und interes- schenkt. Die zweite Theorie: Die Farbe Weiß steht für den Wunsch nach http://blog.naver.com/ssanai9068/220217165374 Bohnensuppe Rote http://blog.naver.com/ssanai9068/220217165374 © Moon Duk-gwan, Songpyeon Fotos: Seetang-Suppe http://program.lifestyler.co.kr/olive/todaymenu/5/board/view?b_seq=42 siert sich für andere Kulturen. einem Neubeginn. Die anderen hofften, dass die Person niemals wieder in die dunkle Vergangenheit zurückkehren werde.

KULTUR KOREA / 73 TAEKWON-DO IM FOKUS

1 2 3 DIE ANFÄNGE DES TAEKWON-DO1 IN EUROPA Von Shin-Gyu Kang VOR 50 JAHREN BEGANN DIE ERFOLGSSTORY DES und Kim Joong-Geun (siehe Abb. 1). Sie landeten am 18. TAEKWON-DO IN DEUTSCHLAND... . Oktober 1965 in Frankfurt am Main. Das Taekwon-Do Goodwillteam bereiste auf seiner Tour Als im Dezember 1964 der damalige Präsident der Repub- 6 Länder auf 3 Kontinenten und führte das Taekwon-Do lik Korea Park Chung-Hee mit seiner Frau und 18 Regie- offiziell als koreanischen Nationalsport im Ausland ein. rungsmitgliedern für einen einwöchigen Staatsbesuch in In Deutschland besuchte es 5 Städte in 8 Tagen, präsen- Deutschland eintraf, wurden sie am Münchener Flughafen tierte 8 Taekwon-Do-Vorführungen und veranstaltete ein freundlich von einer Menschenmenge begrüßt, die Mini- Seminar. aturausgaben der koreanischen Nationalflagge schwenk- te. Da Präsident Park nicht mit solch einer Begrüßung STATION 1 rechnete – Korea war zu der Zeit noch sehr unbekannt und 18. Oktober 1965 - Frankfurt am Main (Siehe Abbildung 1) wirtschaftlich unbedeutend - war er sehr überrascht und Die erste offizielle Taekwon-Do-Vorführung auf dem euro- informierte sich, woher diese Menschen Korea kennen. päischen Kontinent fand in Frankfurt am Main statt. Ca. 300 Er erhielt die Information, dass einige von ihnen mit der Zuschauer wurden registriert. Bei der 2. Vorführung waren es ca. 500 Zuschauer. Heinz Günther (Jiu Jitsu – Offenbach) und koreanischen Kultur durch die Ausübung von Taekwon-Do George Klein waren an den Vorbereitungen für diese Veranstal- in Berührung gekommen seien. tung beteiligt.

US-Soldaten in Deutschland, die während ihrer Stationie- STATION 2 rung in Korea mit koreanischen Kampfkünsten in Kontakt 20. Oktober 1965 - Garmisch-Partenkirchen (Siehe Abbildung 2) gekommen waren, und koreanische Bergarbeiter im Ruhr- Mike Anderson und Hans Vierthaler bereiteten die Vorführungen in Garmisch-Partenkirchen vor. Die 3. Vorführung des National gebiet gründeten die ersten Trainingsgruppen im Land. Taekwon-Do Goodwillteams fand in einer Eishalle der Sheri- dan-Kaserne (ehemals Jägerkaserne: Ritter-von-Epp-Kaserne) Präsident Park veranlasste nach diesem Erlebnis die mit ca. 300 Zuschauern statt. Entsendung eines Taekwon-Do-Demonstrationsteams nach Europa zur Bekanntmachung dieser koreanischen STATION 3 Kampfkunst und Koreas. 21. Oktober 1965 – Kaufbeuren In Kaufbeuren fand die 4. Taekwon-Do-Vorführung statt. Es wa- ren ca. 800 Zuschauer anwesend, darunter viele in Kaufbeuren General Choi Duk-Shin, der damalige südkoreanische stationierte US-Soldaten. Botschafter in Bonn, nahm Kontakt zu den führenden Kampfsportexperten in Deutschland auf, um die Tour vor- STATION 4 zubereiten. Zu diesen Personen gehörten: Carl Wiedmeier, 22.-24. Oktober 1965 - München (siehe Abbildung 3) Mike Anderson, George Brückner und George Klein. Drei Tage verbrachte das National Taekwon-Do Goodwillteam in München. Diese Station wurde von Carl Wiedmeier vorberei- tet. Im Oktober 1965 wurde das „National Taekwon-Do 22. Oktober 1965: Erster Tag in München 2 Goodwillteam“ (국기 태권도 친선 사절단, 1965 ) offiziell im Am 22. Oktober wurde das Team nach Fernsehaufnahmen Auftrag der koreanischen Regierung nach Europa ent- zum Mittagessen von dem damaligen Ministerpräsidenten von sandt, um Taekwon-Do und Korea in der Welt bekannt zu Bayern, Dr. Alfons Goppel, eingeladen. Am Abend fand dann die machen. Die fünf Mitglieder dieses Teams waren General 5. Taekwon-Do-Vorführung der Delegation in Europa statt. Choi Hong-Hi, Han Cha-Kyo, Park Jong-Soo, Kwon Jae-Hwa 23. Oktober 1965: Zweiter Tag in München

Am 23. Oktober wurde das erste Taekwon-Do-Seminar in taekwondo-europe.eu Fotos:

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Europa in der Schule von Carl Wiedmeier durchgeführt. 41 Teil- Abbildung 5: nehmer aus den verschiedensten Kampfkunstbereichen kamen Dieses Plakat ist womöglich das erste veröffentlichte Plakat einer zusammen, um mit den Großmeistern aus Korea zu trainieren. offiziellen Taekwon-Do-Veranstaltung mit einer Regierungsdele- Dies war das erste offizielle Taekwon-Do-Seminar auf dem -eu gation der Republik Korea in Deutschland oder sogar in Europa. ropäischen Kontinent. Im Rahmen dieser Veranstaltung fand in Obwohl es sich um eine Taekwon-Do-Veranstaltung handelte, den selben Räumlichkeiten die 6. Taekwon-Do-Vorführung statt. wurde für das Plakat als Haupttitel die Überschrift „Karate Welteli- 24. Oktober 1965: Dritter Tag in München (siehe Abbildung 3,4) te“ gewählt. Zur damaligen Zeit war das Land Korea in Deutsch- Am 24. Oktober fand eine große Vorführung mit ca. 1500-2000 land so gut wie unbekannt, im Gegensatz zu Japan oder China. Zuschauern unter großer Aufmerksamkeit der Medien (Wochen- Karate war in Deutschland schon weit verbreitet und wurde von schau TV) in der MTV–Halle in der Häberlstraße 11 in München der Bevölkerung bewusst wahrgenommen. Um den potentiellen statt. Diese Veranstaltung wurde unter dem Titel „Karate Welt- Zuschauern eine gewisse Vorstellung von Taekwon-Do zu vermit- elite“ angekündigt. Die damalige MTV-Basketballhalle wurde teln, wählte man also den bereits verbreiteten Begriff „Karate“. für dieses Ereignis mit Stuhlreihen und einer großen Bühne aus- Die japanische Kriegskunst Jui-Jitsu war in Deutschland ebenfalls gestattet. Der Botschafter der Republik Korea besuchte dieses schon verbreitet, jedoch nicht so weit verbreitet und bekannt wie deutsch-koreanische Freundschaftstreffen, das unter dem Motto Karate. „München grüßt Seoul“ stand. Der Botschafter der Republik Korea, General Choi Duk-Shin, war anwesend und unterstützte die Veranstaltung. Er war wesentlich STATION 5 an den Vorbereitungen für diese Goodwilltour beteiligt. 25.-27. Oktober 1965 - Berlin Die Namen der Mitglieder des Goodwillteams sind teilweise falsch Veranstaltungsort der letzten Vorführung in Deutschland war geschrieben. am 25. Oktober die Columbia-Halle im damaligen West-Berlin. Neben Taekwon-Do ist auf dem Plakat auch der Name „Tae Soo Diese Halle wurde seinerzeit von den Alliierten als Sporthalle Do“ zu lesen. Seinerzeit gab es noch Uneinigkeiten bei der gemein- genutzt. Heute ist dieser Ort ein beliebter Aufführungsort für samen Namensfindung für die Zusammenführung der koreani- Konzerte und andere Veranstaltungen. Zu dieser Vorführung schen Kampfkunstschulen (Kwans) mit ihren unterschiedlichen fanden sich ca. 300 Zuschauer ein, darunter 20 koreanische Stilen unter einem offiziellen Namen und einer gemeinsamen Studenten, die sich zu der Zeit in Berlin aufhielten. Anschließend Stilrichtung. hatte das Team noch bis zum 27. Oktober Zeit, um die Stadt zu besichtigen. Am 27. Oktober um 13 Uhr ging die Reise dann mit dem Zug weiter nach Rom. Üben von Taekwon-Do erfährt – hervorzuheben. Außerdem war - dies die erste offizielle Schreibweise für Taekwon-Do, die bei der Diese Tour markierte den Ausgangspunkt für die immer Goodwilltour verwendet wurde, wie man auf dem Pokal und an der größere internationale Popularität des Taekwon-Do, das Aufschrift der Taekwon-Do-Anzüge sehen kann (siehe Abbildung 4). seit 2000 als olympische Disziplin anerkannt ist.

Genau 50 Jahre später verabschiedete sich Großmeister Kwon Jae-Hwa (Mitglied des ersten National Taekwon-Do Goodwillteams von 1965) von seiner aktiven Lehrtätigkeit aus Europa mit einer dreitägigen Taekwon-Do-Tour (23.-25. Oktober 2015) durch Deutschland, in der er die Städte Frankfurt, Kempten, München, Kaufbeuren, Fürth und privat Foto: Berlin besuchte. Nun ist es an der heutigen Generation von Shin-Gyu Kang (geboren 1983) studierte Physik an der Taekwon-Do-Lehrern, das Erbe dieser Mission, die vor 50 » Christian Albrechts Universität in Kiel. Zusätzlich absolvierte Jahren erfolgreich begann, würdig zu pflegen und Taek- er das 2. Staatsexamen zum gymnasialen Lehramt für die won-Do weiterzuentwickeln und zu verbreiten. Fächer Physik und Mathematik in Hamburg. 1988 begann er, Taekwon-Do zu lernen. Er ist direkter Schüler von Großmeister Weitere Informationen unter: www.taekwondo-europe.eu Kwon Jae-Hwa. Shin-Gyu Kang ist Gründer und Leiter der www.taekwondo-deutschland.de Traditionellen Taekwon-Do-Gruppen im Hochschulsport der Universitäten Kiel und Hamburg. Zurzeit arbeitet er als Lehrer 1 Eine weitere Schreibweise ist „Taekwondo“. In diesem Beitrag wird an einem Gymnasium in Hamburg und betreibt zusammen die Schreibweise „Taekwon-Do“ verwendet, um das „Do“ (,der Weg‘) – in anderen Worten die geistige Entwicklung -, die man durch das mit seinem Kollegen Hans Buck zwei Taekwon-Do-Schulen in Kiel und Hamburg.

KULTUR KOREA / 75 TAEKWON-DO IM FOKUS

DER INTERNATIONALE TAEKWONDO-CUP 2015 IN BERLIN Von Selahattin Turap

Das Taekwondo-Demonstrationsteam des Kukkiwon

m 31. Oktober 2015 fand unter der Schirmherrschaft sich die Sporthalle nun auch mit Zuschauern. Es nahmen des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Michael Mannschaften aus unterschiedlichen Bundesländern und AMüller, der Internationale Taekwondo-Cup 2015 in unseren Nachbarländern teil, darunter auch aus Polen und der deutschen Hauptstadt statt. Schweden. Insgesamt beteiligten sich ca. 300 Sportler, und es kamen rund 600 Zuschauer. Die Vorbereitungen für das Turnier begannen bereits im April dieses Jahres. Es wurden konstruktive Gespräche zwi- Für das Turnier waren vier Kampfflächen vorgesehen, die schen Großmeister Chae Su-Ung, Inhaber der Sportschule wir bereits am Abend vor der Veranstaltung aufgebaut hat- Chae in Berlin, und Andreas Schwager, dem Leiter des Per- ten. Der Cup begann mit dem Formenlauf, dem klassischen sönlichen Büros des Regierenden Bürgermeisters, geführt, Poomsae1. die schließlich in den Internationalen Taekwondo-Cup mündeten. Fleiß hat auch seinen Preis. Sowohl der Erfolg Punkt 11 Uhr erschienen unsere ersten Gäste: der Botschaf- und die Anzahl der Teilnehmer/innen am Cup als auch die ter der Republik Korea, S.E. Kyung-soo Lee, Vertreter der Begeisterung der Zuschauer/innen zeigten uns, dass sich Kulturabteilung der Botschaft der Republik Korea sowie der unermüdliche Einsatz aller Beteiligten gelohnt hat. weitere koreanische Gäste, die von Großmeister Chae persönlich zu ihren Plätzen begleitet wurden. Anlass für diese besondere Veranstaltung war das 50-jäh- rige Jubiläum der Entsendung des ersten Taekwondo-De- Pünktlich um 12 Uhr trafen unsere Gäste aus dem Büro des monstrationsteams von Korea nach Deutschland. 1965 Bürgermeisters ein. Zu den geladenen Gästen aus Berlin gab es aus Korea erste Bestrebungen nach einer Interna- gehörten: Dilek Kolat, Stellvertreterin des Regierenden tionalisierung des Sports. In diesem Zusammenhang war Bürgermeisters von Berlin, Andreas Schwager, Leiter des Deutschland eine der ersten Anlaufstätten. Persönlichen Büros des Regierenden Bürgermeisters, sowie Dennis Buchner, Landesgeschäftsführer der Berliner SPD. Am Tag der Veranstaltung war es für mich als Mitorgani- sator und verantwortliche Person sehr wichtig, dass alles Der Auftritt des geladenen Taekwondo-Demonstrati- nach Plan läuft. Als Erster erschien ich an der Sporthalle onsteams aus Korea führte insbesondere die Disziplin am Sachsendamm in Berlin-Schöneberg. Der Einlass war dieses koreanischen Kampfsports vor Augen. Das Team für 8.30 Uhr geplant, aber die meisten Mannschaften präsentierte eine weltweit einzigartige, atemberaubende waren bereits deutlich früher da und warteten ungedul- Vorführung, die viele akrobatische Elemente enthielt. Die dig. Um 9.00 Uhr begannen wir mit der Registrierung Kultur des Landes wurde durch einen traditionellen Tanz der Teilnehmer für die Wettkämpfe. Nach und nach füllte repräsentiert, der von Tänzerinnen aus Korea aufgeführt Fotos: Koreanisches Kulturzentrum Koreanisches Fotos:

76 / KULTUR KOREA Der Internationale Taekwondo-Cup am 31. Oktober 2015 in der Sporthalle Schöneberg, Berlin wurde. Nach der Vorführung überreichte der Leiter des Nationen zusammengebracht. Das hat auch einmal mehr Taekwondo-Demonstrationsteams des Kukkiwon, Herr Suh der Internationale Taekwondo-Cup in Berlin unter Beweis Chang Hoon, Frau Kolat einen großen Blumenstrauß sowie gestellt. ein Schreiben und einen Taekwondo-Anzug mit schwar- zem Ehrengürtel für den Regierenden Bürgermeister von Zum Schluss möchte ich mich bei dem Regierenden Berlin. Auch Andreas Schwager erhielt einen Taekwon- Bürgermeister von Berlin sowie bei Großmeister Chae do-Anzug mit schwarzem Ehrengürtel, überreicht von Su-Ung und bei der Botschaft der Republik Korea für die Großmeister Chae Su-Ung. Spontan zog sich Herr Schwa- freundliche Unterstützung und vor allem für die zeitauf- ger das Oberteil des Taekwondo-Anzugs über, was vom wendige Vorbereitung und Planung bedanken, ohne die Publikum mit viel Applaus begleitet wurde. Im Anschluss die Realisierung des Turniers nicht möglich gewesen wäre. hatten die Anwesenden die Möglichkeit, auf der Veranstal- Auch möchte ich mich bei allen beteiligten Mannschaften tungsfläche Fotos mit dem Taekwondo-Demonstrations- und Gästen bedanken, deren Enthusiasmus diese Veran- team und den geladenen Gästen zu machen. staltung zu einem ganz besonderen Erlebnis gemacht hat.

Es folgte ein spannendes Turnier, bei dem folgende Plätze 1 Poomsae stellen einen Kampf gegen imaginäre Gegner dar und belegt wurden: wurden insbesondere für die bessere Erlernbarkeit der Taekwon- do-Grundtechniken ohne Verletzungsgefahr geschaffen Platz 1: Taekwondoschule Pyo, Berlin (Anm. d. Red.). Platz 2: Taekwondo-Akademie, Hankensbüttel Platz 3: Taekwondoschule Chae, Berlin Platz 4: Taekwondoschule Chae, Schweden.

Der Umgang zwischen den Teilnehmern unterschiedlicher

Nationen war harmonisch und respektvoll – unabhängig privat Foto: davon, ob die Wettkämpfe gewonnen oder verloren wur- Selahattin Turap (42) hat sich seit 1990 mit verschiede- den. Dies spiegelt die Kultur des Taekwondo wider. Sport » nen Kampfsportarten beschäftigt, erkannte aber schnell, verbindet! dass seine Vorlieben und Stärken beim Taekwondo liegen. Heute trägt er mit Stolz den 3. DAN und arbeitet neben- Sport und Internationalität sind für unsere Stadt Berlin sehr beruflich als Taekwondo-Meister in der Sportschule Chae. wichtig: Sport bereichert die Vielfalt unserer Stadt. Durch Er ist Mitorganisator des Internationalen Taekwondo-Cups sportliche Turniere werden Menschen aus verschiedenen 2015, der Ende Oktober in Berlin stattfand.

KULTUR KOREA / 77 TAEKWON-DO IM FOKUS

TRADITIONELLES TAEKWON-DO EIN SPORT WIE JEDER ANDERE? Gesundheitliche und andere Aspekte

Von Prof. Dr. med. Frank Moosig

örperliche Aktivität kann das Leben erheblich verlängern. Nicht grenzenlos, aber immerhin: bis zu sechs Jahre lassen sich doch gewinnen. Noch erfreulicher: dieser Effekt setzt nicht lebenslanges Training voraus, sondern greift Küberwiegend auch dann noch, wenn man erst relativ spät, z.B. mit über 40, startet. Umgekehrt sieht die Weltgesund- heitsorganisation (WHO) in körperlicher Inaktivität den viertgrößten Risikofaktor für Sterblichkeit, noch vor Übergewicht und übertroffen lediglich von Rauchen, Bluthochdruck und Zuckerkrankheit. Die WHO empfiehlt mehrmals wöchentlich moderate, oder besser intensive sportliche Aktivität.

DIE WELTGESUNDHEITSORGANISATION (WHO) EMPFIEHLT:

• …150 Minuten moderate aerobe körperliche Aktivität pro Woche oder 75 Minuten intensive aerobe körperliche Aktivität • …Trainingseinheiten von mindestens 10 Minuten • …für zusätzliche positive Effekte eine Steigerung des Pensums auf 300 Minuten moderate oder 150 intensive Aktivität • …an mindestens zwei Tagen pro Woche ein muskelkräftigendes Training

Quelle: WHO: Global recommendations on physical activity for health. 2010 ISBN 9789242599979 KUKKIWON Foto:

78 / KULTUR KOREA Bleibt nur, aus der Fülle der Möglichkeiten zu wählen. wirkungen, speziell des traditionellen Taekwon-Do, wurden Meine Wahl fiel auf traditionelles Taekwon-Do. Warum? u.a. von Dr. Aman, selbst Schulleiter, eingehend untersucht. Zugegeben, eine Analyse der gesundheitlichen Vor- und Seine Studie (siehe nachfolgende Infobox) konnte u.a. eine Nachteile lag auch meiner Entscheidung fürs Taekwon-Do deutliche Verminderung von Arzneimittelverbräuchen zunächst nicht zugrunde. Vielmehr interessierten sich mei- nachweisen. Dieser, auf den ersten Blick sehr bemerkens- ne Kinder für Kampfkunst, probierten dies und das aus und werte Erfolg ist keineswegs überraschend, bedenkt man waren schließlich vom traditionellen Taekwon-Do fasziniert. nur, dass sehr häufig Medikamente allein wegen chroni- Die traditionelle Form des Taekwon-Do unterscheidet sich scher Schmerzen des Bewegungsapparates eingenommen von der olympischen Variante durch die Kontaktlosigkeit werden. Diese lassen sich, abgesehen von Muskelkater, und den überhaupt eher in den Hintergrund tretenden durch Taekwon-Do nachhaltig verringern. Wettkampfgedanken. So in Kontakt gekommen, versuchte ich es selbst und bin seitdem überzeugter Anhänger dieser EINE BEFRAGUNG VON 1300 TAEKWONDO-AKTIVEN Bewegungskunst. ERGAB: Nach der unmittelbaren Erfahrung, der spürbaren Steige- rung des Wohlbefindens nach jeder einzelnen Unterrichts- • ...bei 38% eine Reduktion von Medikamentenbedarf stunde, kam die Rationalisierung später nach. Tatsächlich • ...bei 2/3 einen sehr guten Einfluss auf Beschwerden gibt es eine veritable Menge an sportwissenschaftlichen am Bewegungsapparat und sonstigen Untersuchungen über Taekwon-Do. • ...bei 2/3 einen positiven Einfluss auf psychische Faktoren Für den lebensverlängernden Effekt von Sport ist wesent- lich die Reduktion des Risikos von Herz-Kreislauferkrankun- • ...bei 50% einen positiven Einfluss auf Allgemein- gen, also Schlaganfälle, Herzinfarkte u.a. verantwortlich. erkrankungen Taekwon-Do-Training ist Ausdauertraining mit dem zusätz- lichen Charakter eines Intervalltrainings. Es fällt - unabhän- Daten freundlichst überlassen von Herrn Dr. RJ Aman, Kulmbach gig von den Unterschieden einzelner Schulen - sicher in die Kategorie einer intensiven körperlichen Aktivität und zählt Schwieriger zu messen, in der medizinischen Literatur aber zu den Sportarten mit dem höchsten Energieumsatz über- auch gut belegt und für den Erhalt der Motivation sicher haupt. Kardiovaskuläres Training ist allerdings bei weitem sehr wichtig, sind die oft als „mental“ bezeichneten Effekte. nicht alles, was Sport zur Gesundheit beitragen kann. Inso- So führen schon wenige Trainingseinheiten zu messbarer fern schöpfen einseitig hierauf ausgerichtete Betätigungen Stimmungsaufhellung, fördern eine optimistische und wie z.B. Laufsport, die Möglichkeiten nicht annähernd aus. selbstbewusste Haltung und reduzieren Ängstlichkeit und So sind zusätzliche Kräftigungsübungen sinnvoll und ent- Aggressivität. Exemplarisch wurden diese Eigenschaften sprechen den WHO-Empfehlungen. Hierdurch kann nicht des Taekwon-Do sogar erfolgreich therapeutisch einge- nur eine Verbesserung der Muskelkraft selbst erreicht wer- setzt, z.B. beim heute oft diagnostizierten „Zappelphil- den. Die gestärkte Muskulatur hilft auch dem Stoffwech- ippsyndrom“ (ADHS). sel, z.B. durch Vermeidung von Zuckerkrankheit, und ist Aber wie sieht es in Anbetracht der oft spektakulär wichtige Energiereserve. Kräftigungsübungen sind darüber vorgeführten und beeindruckenden Techniken, etwa bei hinaus gesund für die Knochen und helfen, Osteoporose zu den Bruchtests, bei denen Bretter oder Steine zerschlagen vermeiden. Im Taekwon-Do gehören solche Übungen, die werden, oder den schnellen Partnerübungen mit dem Ver- abwechslungsreich und ohne Geräte eingebunden werden, letzungsrisiko aus? Dank der Gründlichkeit des deutschen zu jeder Trainingsstunde. Ebenso sind Dehnungsübungen Versicherungswesens lässt sich hierüber Auskunft geben: ein ständiger Bestandteil des Programms. Hierdurch lassen Wie bei anderen Kampfsportarten auch, ist das Risiko von sich auch für den Alltag die Bewegungsumfänge verbes- Verletzungen überraschenderweise extrem gering (siehe sern und erhalten. Gutes Dehnen beugt zudem Sportver- Abbildung nächste Seite) und innerhalb der Kampfsport- letzungen vor. Koordination und Konzentration runden die arten beim Taekwon-Do mit am Geringsten. Grund hierfür umfassende körperliche Ausbildung im Taekwon-Do ab. dürfte die angestrebte große Körperbeherrschung, die Durch komplexe - und je nach erreichtem Leistungsstand insbesondere wegen der Kontaktlosigkeit trotz dynami- immer komplexer werdende - Bewegungsfolgen wird ein scher Techniken notwendig ist, sein. Hinzu kommt die hohe hohes Maß an Konzentration und Koordination entwickelt, Befähigung der Lehrer - unterrichten dürfen nur hochgra- das sich auch außerhalb des Taekwon-Do messen lässt wie duierte Taekwon-Doin (Praktizierender des Taekwon-Do)1 z.B. Studien zur Verbesserung der allgemeinen Konzentra- nach jahrelanger gründlicher Vorbereitung. Wer weniger tionsfähigkeit bei über 40-jährigenTaekwon-Do-Anfängern risikobereit ist, kann sich eigentlich nur dem Schachsport schon bei geringer Trainingsfrequenz beweisen. All dies zuwenden. trägt zudem zu einer Verringerung des alltäglichen Unfall- und Verletzungsrisikos bei. Die allgemeinen Gesundheits-

KULTUR KOREA / 79 Nach Raschka C et al. 1999, Rose T et al. 2006 & aus Engelhardt M. Sportverletzungen Urban & Fischer 2009

Laut Daten deutscher Versicherungen ist das Verletzungsrisiko beim Taek- won-Do vergleichsweise sehr gering. Beim Volleyball hingegen werden mehr als 40 Verletzungen pro 1000 Trainingsstunden angeben.

Wie auch der Gesundheitsbegriff heute nicht mehr nur eng Zum Schluss: Natürlich kommt Taekwon-Do aus Korea. als Abwesenheit von Krankheit definiert wird, so reichen Die Beschäftigung mit Taekwon-Do weckt zwangsläufig auch die positiven Eigenschaften des Taekwon-Do deutlich Interesse für das Land und die Leute, vor deren Flagge man weiter. So tragen die Grundprinzipien, die besonders im sich bei Trainingsbeginn und –ende verneigt. Das Wecken traditionellen Taekwon-Do gelebt werden, zur „Charak- von Neugier auf Unbekanntes ist zweifelsfrei etwas sehr terbildung“ im klassischen Sinne bei. Respekt, Höflichkeit, Gesundes und Taekwon-Do damit ein großartiger Bot- Toleranz und Geduld, aber auch Stärke und Unbezwingbar- schafter Koreas. keit sind Ziele, die durch die besondere Art des Trainings und das Vorbild der Meister verfolgt und vermittelt 1 Die Endung „–in“ kommt ursprünglich aus dem Chinesischen und werden. Schließlich gehören zur Gesundheit auch soziale bedeutet „Mensch“ (Anm. d. Red.). Aspekte. Ganz ohne Studien und wissenschaftliche Litera- tur: Offenbar zieht diese Art der körperlichen Betätigung besonders angenehme Zeitgenossen an. Jedenfalls bin ich beim traditionellen Taekwon-Do bisher auf keine unsym- pathischen „Hau-drauf-Typen“ getroffen, wie es gelegent- lich das Image von Kampfsport fürchten lassen könnte, sondern auf ein buntes Völkchen weltoffener Menschen. Der Umstand der Kontaktlosigkeit ermöglicht zudem, ge- meinsam mit Kindern, z.B. den eigenen, zu trainieren, ohne dass die in anderen Sportarten vorhandenen Leistungs- unterschiede zu stark zum Tragen kämen. Traditionelles Taekwon-Do ist damit auch idealer Familiensport. Alters- grenzen, auch für den Einstieg, gibt es praktisch nicht, privat Foto: da die Vielfältigkeit der Übungen und die Einstellung der Frank Moosig lebt in Kiel und ist Facharzt für Innere Lehrer jeden bei seinem Leistungsniveau „abholen“ und » Medizin, Rheumatologie und Hämato-Onkologie. individuell fördern. Seit einigen Jahren ist er begeistertes Mitglied des Kang-Center Kiel und trainiert dort, zusammen mit sei- ner Familie, in der Schule für traditionelles Taekwon-Do unter der Schulleitung von Meister Shin-Gyu Kang und Meister Hans Buck.

80 / KULTUR KOREA TAEKWON-DO IM FOKUS

TAEKWON-DO FÜR JEDES ALTER

Ein faszinierender Sport und eine soziale Kultur des Respekts

Von Prof. Dr. Jörn Düwel

port ist für viele nicht nur eine Nebensache. Kein nehmen, warten Eltern geduldig oder erledigen Besor- Wunder, schließlich fördert regelmäßiges Training gungen. Ein gemeinsames Trainieren der Kinder mit den Sdas allgemeine Wohlbefinden. Längst sind die Zeiten Eltern ist jedoch die unerhörte Ausnahme. Im Hamburger vorbei, in denen sportliche Betätigung kaum mehr war, als Kang-Center, einer Schule für traditionelles Taekwon-Do, eine feste Unterrichtsstunde in der Woche in der Schule. zählt das Miteinander von Kleinen und Großen zum Selbst- Stand für manche allein der gesundheitsfördernde Aspekt verständlichen. im Vordergrund, sind inzwischen auch die positiven Folgen des Sports auf soziale und kulturelle Verhaltensweisen eine Shin-Gyu Kang, Meister und Inhaber der Schule, kam unbestrittene Selbstverständlichkeit. Sport ist Lifestyle, selbst im Alter von fünf Jahren zum Taekwon-Do. Für ihn oder, ohne angelsächsische Entlehnung, ein herrliches Le- ist das Taekwon-Do nicht einfach eine Sportart, sondern bensgefühl! Die Möglichkeiten und Varianten sportlichen eine bewusste Lebenshaltung. Sportliche Leidenschaft Vergnügens sind ebenso zahlreich wie unterschiedlich. und charakterliche Sekundärtugenden sind für ihn eins, Es kommt darauf an, eine individuell passende Sportart deshalb gehören beide auch im Training zusammen. Die zu finden. Erwachsenen fällt es naturgemäß leichter, sich Kinder schätzen und achten diese Haltung. Unser Sohn, zu entscheiden. Sie haben bereits Verschiedenes kennen- der als einer der Jüngsten mit drei Jahren zum Taek- gelernt und ausprobiert. Ungleich schwieriger ist es, für won-Do kam, nahm diese Form des Trainings von Anfang Kinder ein geeignetes Angebot zu finden. Gewiss, schon an an. Seine Begeisterung behielt er auch nicht für sich. im Kindergarten und erst recht in der Schule werden auch Er teilte sie zunächst mit Freunden im Kindergarten und die Kleinen mit Naheliegendem versorgt. An erster Stelle später mit Klassenkameraden in der Schule. Klar, im Laufe dürfte der Fußball stehen. Dafür braucht es zunächst nicht der Zeit machten sich die Kleinen im Training selbständig. viel: Ein Ball, ein paar Mitspieler und eine fast beliebige War es anfangs gut, gemeinsam vor dem Meister zu trai- Fläche. Dem Volkssport Nummer eins ist kaum zu entkom- nieren, und zu sehen, dass die Eltern keinesfalls schneller men. Doch darum geht es hier nicht. Vielmehr möchte ich lernen und auch nicht besser sind, emanzipierten sich von einer Entdeckung berichten, die schon das zweite Jahr die Kleinen rasch. Nichtsdestotrotz trainieren wir noch in Folge unsere ganze kleine Familie verzaubert. immer gemeinsam. Neben dem speziellen Kindertraining freut er sich auf die souveräne Teilnahme am Training der Am Anfang stand eine Annonce: „Mudo-Kids für Kinder Erwachsenen. Inzwischen hat mein Sohn uns beide, meine zwischen 4 und 6 Jahren, das Training findet mit den Frau und mich, überholt. Scheinbar mühelos eignet er sich Eltern statt“. Das Angebot ließ aufhorchen. Üblicherweise die mannigfaltigen Bewegungsfolgen an, die zum Kanon haben Eltern nur die Aufgabe des Bring- und Abholservice des Taekwon-Do gehören. Wenngleich er uns vorauseilt, zu leisten. Während die Kleinen Freizeitangebote wahr- stehen wir ihm in der Freude am Training nicht nach. Foto: Swenja Ericsson Swenja Foto:

KULTUR KOREA / 81 Denn Taekwon-Do fördert und stärkt Körper und Geist. ausgeführt. Dies erfordert ein Höchstmaß an Körper- Deshalb begeistert Taekwon-Do und beflügelt stets zu beherrschung. Die vielgestaltigen Bewegungsfolgen neuen Leistungen. Seinen Ursprung hat die waffenlose verlangen neben körperlicher Kondition auch geistige Kunst der Selbstverteidigung in Ostasien. Der koreanische Konzentration. Im Einklang zwischen beidem liegt das Sport ist geprägt von Höflichkeit und Integrität, er mo- eigentliche Ziel dieser nunmehr seit fünfzig Jahren auch in tiviert zur Geduld und stärkt die Selbstdisziplin. Sinnge- Deutschland beheimateten Kunst des Kampfsports. mäß bedeutet Taekwon-Do „der Weg des Fußes und der Rituale stiften Sicherheit und Zusammenhalt. Diese Hand“. Die drei Silben des Taekwon-Do umfassen also die Erfahrung nimmt Taekwon-Do auf. Dazu zählt auch das Gesamtheit von Bewegungen mit dem Fuß – Tae – sowie Verneigen. Es artikuliert Respekt und dient ferner der mit der Hand – Kwon – und beschreiben auch die geisti- eigenen Sammlung und Konzentration. Trainiert wird im ge Konzentration – Do. Schnelligkeit und Kraft gehören weißen Dobok, einem weit geschnittenen Anzug, der auch ebenso zum Taekwon-Do wie eine ritualisierte Choreo- Arme und Beine bedeckt. Die Füße bleiben unbekleidet. graphie von Bewegungen. Gewiss, ein Mannschaftssport Jedes Training beginnt mit einem höflichen Begrüßungs- ist Taekwon-Do nicht, vielmehr steht hier die individuelle zeremoniell. Kein Training ohne intensives Aufwärmen der Entwicklung der Persönlichkeit im Vordergrund. In Inter- Muskulatur und kräftigende Dehnübungen. Im kulturellen aktion mit dem Meister ist das ausdauernde Üben in der Kontext Koreas entstandene und exakt festgelegte Hyongs Gruppe die unverzichtbare Voraussetzung für das Erlernen bilden den Kern des Taekwon-Do. Das sind Bewegungs- der ebenso kraftvollen wie dynamischen Abläufe und abläufe unterschiedlicher Komplexität, die mannigfaltige Figuren. Ein beweglicher, kraftvoller Körper und präzise Grundtechniken der Bewegung immer wieder neu kombi- Technik gepaart mit anmutigen Bewegungen spiegeln sich nieren. in dieser Kampfkunst wider, die nicht zuletzt auch wegen ihrer Schönheit begeistert. Die Vielseitigkeit des Taekwon-Do fördert körperliches und geistiges Wohlbefinden. Kondition, Kraft und Konzen- Die Geschichte des traditionellen Taekwon-Do ist noch tration stehen im Mittelpunkt dieses Sports und haben heute untrennbar mit dem Streben nach Freiheit und selbstredend großen Einfluss auf unsere Lebensfreude. Gerechtigkeit verbunden. Schließlich war nach der Anne- Taekwon-Do stärkt somit auch das eigene Selbstvertrauen. xion Koreas 1910 auch die jahrhundertalte Tradition der vielseitigen Kampfkunst des Landes unterdrückt worden. Im Taekwon-Do bewegen sich Körper und Geist. Diese Nach der Unabhängigkeit Koreas 1945 entstand das Taek- Grunderfahrung hat inzwischen auch unsere Familie won-Do in seiner noch immer gültigen Form. Von Anfang geprägt. an verkörperte dieser Sport den Willen zur stolzen Selbst- behauptung, verbunden mit dem Anspruch, ein friedliches Miteinander zu sichern. Diese Tugend ist allgegenwärtig.

Die Grundtechniken des Taekwon-Do sind in variantenrei- chen Schritt- und Technikfolgen festgelegt. Wenngleich Taekwon-Do ein Kampfsport ist, ist der Gegner nur ima- ginär. Im Unterschied zu vielen anderen Kampfsportarten wird das traditionelle Taekwon-Do ohne Körperkontakt Foto: Foto: Daniela Walter Prof. Dr. Jörn Düwel ist seit dem Jahr 2002 Professor für » Geschichte und Theorie der Architektur an der HafenCity Universität Hamburg (HCU). Vor zwei Jahren entdeckte er für seine Familie und sich das Taekwon-Do.

82 / KULTUR KOREA PORTRÄT HERR „SO-MO“

IN SEOUL

Von Sören Kittel

In Südkorea fand das erste internationale 1 Musikfestival für geistig Behinderte statt. Jörn Sommer aus Buxtehude hatte seinen größten Auftritt

nieschloddern. Das ist das Gefühl, das Jörn Sommer hatte, als er auf die Bühne in Korea trat. „Es war ja Knicht nur mein größtes Konzert“, sagt er, „sondern auch gleichzeitig vor so vielen Politikern und Kulturschaf- fenden.“ Dann erzählt er, wie er vor den 250 Gästen sein Lied singt, zusammen mit einer Gitarristin, die er erst ein paar Tage zuvor kennengelernt hat. „Natürlich hatte ich da ganz schön Knieschloddern.“ Geholfen hat ihm ein Trick: „Ich habe immer in das Scheinwerferlicht gesehen“, sagt er. „So habe ich nicht so sehr gemerkt, wie viele Leute da vor mir sitzen.“ Doch was danach kam, hat er sehr wohl noch im Kopf. Doch dazu später. 2 Zunächst muss man über Jörn Sommer wissen, dass er sehr langsam spricht, wenn er von seinem Auftritt in Asien erzählt. Er kann sich zwar gewählt ausdrücken, redet deutlich, und doch klingt es, als wäre seine Zunge dreimal schwerer. Das hat mit einem Autounfall zu tun, in den Jörn Sommer als Zweijähriger verwickelt war. Sechs Tage Koma, die Eltern bangten um ihn, aber er hat überlebt. Geblieben ist bis heute eine starke Sprech- und Gehbehinderung, auch ist er etwas langsamer als seine Altergenossen in der Schule. Trotz dieser „Halbseitendifferenz“ begann Jörn Sommer mit zehn Jahren, Instrumente zu spielen, erst Schlagzeug und später Klavier. Er schrieb Lieder und ließ sich dabei begleiten. Er trat ein paarmal bei kleineren Festen und einmal im Radio seiner Heimat auf. Mit seinem englischen Künstlernamen beweist er Humor: „Slow-Joe“.

Doch dass er mit diesem Künstlernamen einmal im südkoreanischen Pyeongchang auftreten würde, hätte er nicht gedacht. Dazu gekommen ist es fast spontan: Im Juni 3 dieses Jahres hörte seine Gesangslehrerin in Deutschland vom „Special Music Festival“ in Pyeongchang, es ist das 1 Jörn Sommer in Seoul dritte Festivaljahr, aber zum ersten Mal mit „internationalen 2 Auftritt von Jörn Sommer beim Pyeongchang Special Music Festival 3 Abschlussveranstaltung des Pyeongchang Special Music Festival Gästen“. Von jetzt an sollen jährlich Menschen mit Behinde- rungen aus aller Welt zusammenkommen, Musik machen – und von den besten lernen. In diesem Jahr waren Teilneh- mer aus den USA, Südamerika, Deutschland, Frankreich, Brasilien und Ungarn dabei. Sie spielten Pop-Lieder und Foto1: Sören Kittel, Fotos 2/3: Pyeongchang Special Music Festival Pyeongchang 2/3: Fotos Kittel, Sören Foto1:

KULTUR KOREA / 83 klassische Musik. Darunter war zum Beispiel der Stargast schen wurde Sommer immer wieder interviewt, was die Nicholas McCarthy aus England. Er wurde mit nur einer Aufregung vor seinem Auftritt und das „Knieschloddern“ Hand geboren – und gilt als einer der besten Klavierspieler, bei der Abschiedsfeier nicht unbedingt verminderten. „Die füllt Säle mit seiner Musik. hatten so viele Fragen“, sagt er, „wie mir Korea gefalle, seit wann ich Musik komponiere, worum es in meinen Liedern Die Direktorin der Veranstaltung Na Kyung-Won hofft, dass geht, die ich vortrage.“ So wurde Jörn Sommer zu einem dieses Festival für die kommenden Jahre noch mehr Türen Star für ein paar Tage, auch wenn sein Name in Korea etwas öffnet. „Menschen mit Behinderungen sollen sich inspiriert anders klingt: „So-Mo“. fühlen“, sagt sie, „sich von Musik herausfordern zu lassen.“ Besonders beim gemeinsamen Spielen habe sie gese- Außerdem musste er noch mit einem Chor die ABBA-Lieder hen, dass Teilnehmer mit unterschiedlichen Religionen, „Dancing Queen“ und „Thank you for the music“ einüben Sprachen und Behinderungen zusammen Musik machen – letzteres sogar auf Koreanisch: „Uri-chum-eul-chul-dae“, konnten. „Wir möchten, dass die Teilnehmer, die einmal das kann er auch Wochen später noch rezitieren. Es ist sein hier waren, wiederkommen und zeigen können, wie sie Text aus einem ABBA-Lied. In seinen eigenen Liedern verar- sich entwickelt haben.“ Die Teilnahme von Jörn Sommer beitet er Erfahrungen, Freundschaften, seine erste Liebe. Er hat sie besonders beeindruckt, weil er nicht nur singt und hätte hier in Südkorea auch sein englisches Lied „Trust me“ Instrumente spielt, sondern auch selbst komponiert. „Das singen können, aber er hat sich für das entschieden, das hat mich inspiriert, noch im kommenden Jahr eine Katego- so heißt wie er selbst: „Sommer“. Er meint konkret in dem rie Komposition einzuführen.“ Lied den Sommer 2001, Jörn war 16 Jahre alt, er singt von einem Urlaub in Ungarn mit seiner Familie. Ein Straßenfest Als Ort für das Festival wurde bewusst Pyeongchang in Budapest und Maiskolben am Strand. In einer Strophe gewählt, jene Stadt in Südkorea, in der im Jahr 2018 die singt er das Wort „glücklich“ und den Refrain gleich vier Olympischen Spiele ausgetragen werden sollen. Zudem Mal, weil er sich so schön reimt: „Ich fahr so gern zum fand dort gerade eine Kunstbiennale statt. UN-Generalse- Ballaton, und das jedes Jahr, ich packe meine Koffer schon, kretär Ban Ki-moon betonte in seinem Grußwort zu Beginn und das im Januar.“ des Special Music Festivals denn auch, dass gerade an die- sem Ort die Message an alle Menschen gesendet werden Das, was danach kommt, wird Jörn Sommer zu Hause in sollte, dass Musik, Kunst und Sport eine universale Sprache Buxtehude immer wieder erzählen - noch bevor er vom sprechen und die Macht hätten, „die Welt zu verändern“. guten, scharfen Essen schwärmt, von den tollen Ausflügen Südkorea hatte im Umgang mit Menschen mit Behinde- zu den Tempeln und den Seouler Hochhäusern, und sogar rungen lange Zeit eher ein gespaltenes Verhältnis, da gera- bevor er über die Luftfeuchtigkeit schimpft, die so hoch de in einer Stadt wie Seoul oft auf Perfektion hingearbeitet war während seines Besuchs. Vor all dem wird er von dem wird. Da passt eine Behinderung nicht ins Bild. Doch ein Moment erzählen, als er nicht mehr in die Scheinwerfer Festival wie dieses trägt mit Sicherheit zu mehr Akzeptanz blickte, sondern in sein größtes Publikum. Da sind rund und Offenheit in der Bevölkerung bei. 250 Menschen, die für ihn klatschten und aufstanden. Er sagt: „Es gab wirklich Standing Ovations für mich.“ Das So ist es für das Festival aber eine Selbstverständlichkeit, Knieschloddern ist in dem Moment sehr weit weg. dass Musik-Größen wie Lee Byung-Woo mitmachen, er ist nicht nur einer der bekannten südkoreanischen Musik- professoren, sondern hat auch die Filmmusik für „Mother“ oder „The Host“ geschrieben. Lee also, mit seiner großen Kastenbrille auffällig, setzte sich mehrere Stunden mit Jörn Sommer hin und bearbeitete mit ihm zusammen das Lied für den großen Auftritt. „Es war natürlich nicht einfach, weil ich mein Englisch nicht so gut ist“, sagt Jörn Sommer, „aber ich hatte es bisher nur mit der Gitarre gespielt und deshalb nur einige Akkorde aufgeschrieben.“ Jörns Bruder Bastian Sommer übersetzte für ihn, und so konnte sich Lee ausführlich dem Stück widmen und bastelte daraus ein Arrangement. „Schon nach zwei Proberunden waren wir so weit, es mit einer Schülerin von ihm einzuüben.“ Ihr gelang die Umsetzung auch sehr schnell, und so konnten sie noch Variationen proben.

Zwischen diesen Übungseinheiten hatten die Organisato- ren immer wieder Touren und Ausflüge geplant, dazwi-

84 / KULTUR KOREA PORTRÄT

MAN SOLLTE NICHT NUR EINEN HASEN JAGEN Im Wohnzimmer Moon Suk empfängt in ihrem Berliner Salon

„Gesamtkunstwerk“ und „Königin von Berlin“ – so wird die Wohnung der Spiegel der Seele sei. Und tatsächlich scheint in Berlin lebende Sopranistin, Dichterin, Schauspielerin, die Bewohnerin auf dieser Fläche von 200 qm all die Dinge Moderatorin und Künstlerin Moon Suk zuweilen in den versammelt zu haben, die ihr in ihrem Leben besonders deutschen Medien beschrieben. Als ich an einem sonnigen wichtig sind. Herbstnachmittag vor ihrem Wohnhaus stehe, das sich in einer ruhigen Nebenstraße des Kudamms befindet, habe Vom Flur der geräumigen Beletage-Wohnung gehen ich keine Vorstellung, was mich gleich erwarten könnte. Ich mehrere Türen ab. Wir betreten den ersten Raum, das betrete das von außen eher unscheinbar wirkende Haus Wohnzimmer. Hier befinden sich ein Flügel, ein riesiges aus der Gründerzeit. Über die gediegene, dunkle Treppe Sofa und ein langer, einladender Holztisch. Die Wände sind geht es in den ersten Stock, und schon stehe ich in Moon mit Malereien und Familienfotos dekoriert; eine Tür führt Suks Wohnung. An den Wänden des Eingangsbereichs hän- zu einem Balkon, den die Blumenliebhaberin Moon Suk gen schätzungsweise hundert Hüte in den unterschied- in einen kleinen Urwald verwandelt hat. Doch zu diesem lichsten Formen und Farben. Durch eine halb geöffnete Zimmer später mehr. Tür blicke ich auf großformatige Malereien in leuchtenden Schattierungen. Bevor ich alles in mich aufnehmen kann, Weiter geht es in eine Art Durchgangszimmer, in dem werde ich auch schon herzlich von der Gastgeberin be- zwei Schreibtische stehen. Hier geht die Künstlerin einem grüßt, die an diesem Tag eine schlichte, weiße Tunika, eine Projekt nach, das ihr sehr am Herzen liegt, ihrem 2011 weiße Hose und einen beigen Hut trägt. Vor mir steht eine gegründeten gemeinnützigen Verein „Fun-For-Writing e. Frau, deren Freundlichkeit nichts Aufgesetztes hat und V.“. Nachdem Moon Suk in einer Charlottenburger Bezirks- deren Zugewandtheit auf Anhieb für sie einnimmt. versammlung sehr engagiert über das Thema Integration gesprochen hatte, wurde sie von der Integrationsbe- Als erstes bietet sie mir eine Führung durch die Räume an. auftragten und dem Bezirksbürgermeister gebeten, ein Ich bin gespannt, denn nicht umsonst heißt es, dass die Konzept für ein Projekt zu erarbeiten. „Ich spreche immer Foto: SALON MOON Foto:

KULTUR KOREA / 85 Im Wohnzimmer

noch nicht so perfekt Deutsch, aber ich liebe die deutsche besuchte als einziges von ihren Geschwistern die Kirche. Sprache!“, bekennt sie. Beim Reden achte sie nicht so sehr Denn sie hatte beobachtet, dass Leute, die in die Kirche auf die Richtigkeit von Deklination oder Artikeln. Erst das gingen, „gut reden und gut singen“ konnten. Später, als sie Schreiben zwinge sie zu einem reflektierteren Umgang mit bereits an der renommierten EWHA Womans University in der deutschen Grammatik. So entstand die Idee für einen Seoul Kirchenmusik und Gesang studierte, war sie in ihrer Verein für kreatives Schreiben, der sich insbesondere an Gemeinde nicht nur Bibellehrerin, sondern auch Leiterin Menschen mit Migrationshintergrund richtet und sie darin des Jugendchors und Solistin des Erwachsenenchors. Am unterstützen soll, durch die bewusste Auseinandersetzung Abend besuchte sie den Lesekreis für Studierende, wo sie mit der Sprache ihre Fähigkeiten im schriftlichen Aus- Werke von Heidegger, Joyce, Kafka, Kant, Hegel, Sartre und druck zu vertiefen. Viel wichtiger als ein hoher literarischer de Beauvoir las. Durch ihre kirchlichen Ämter und Aktivitä- Anspruch sei aber der Spaß am Schreiben, betont die ten finanzierte sie nicht nur zur Hälfte ihr Studium, sondern Initiatorin und 1. Vorsitzende des Vereins. „Fun-For-Writing“ entdeckte auch ihre Liebe zur Literatur und Philosophie. Ihr veranstaltet regelmäßig den Schreibwettbewerb „Feder- Lieblingsphilosoph ist der Däne Søren Kierkegaard, der sie leicht“, der die Kategorien SMS, Liedtext, Gedicht, Brief, lange auf ihrem Lebensweg begleitete. Kurzgeschichte, Märchen, Roman und neuerdings auch Schönschreiben umfasst. Die Gewinnertexte wurden in Wieder im Wohnzimmer angelangt, lassen wir uns an dem vielen Genres vertont – von Klassik bis Rock – und verwan- langen Holztisch nieder. Moon Suk erzählt nun über die delten die Preisverleihungen der vergangenen Jahre in ein Tätigkeit, die gegenwärtig den Großteil ihrer Zeit bean- musikalisches Theaterstück. Die diesjährige Preisverleihung sprucht, ihren SALON MOON. Hier, in diesem großen, reprä- fand am 6. November in der Berliner Filmbühne statt. sentativen Raum, empfängt sie regelmäßig ca. 50 Gäste. Der Salon verbindet ein anspruchsvolles Klassikprogramm Aber nun zurück zur Wohnung: An den Raum schließt sich mit Kulinarik und zeichnet sich durch eine besondere ein weiterer an, das Arbeitszimmer von Moon Suks Lebens- Mischung des Publikums aus: An diesem Ort treffen Promi- gefährten. Er ist ein kulturbegeisterter Wissenschaftler nente und Nichtprominente, Jung und Alt, Klassikliebhaber und unterstützt mit großem Engagement ihre Projekte. Ein und Menschen aufeinander, die erst nach dem Besuch des allseitiges, deckenhohes Bücherregal mit sowohl kore- SALON MOON zu Klassikfans werden. Während andere anischen als auch deutschen Publikationen nimmt alle Salons Künstler engagieren, steht in Moon Suks Salon die Wände ein. Hier kommt Moon Suk auf ein weiteres Thema Salonnière selbst als Sängerin auf der Bühne. Nach dem zu sprechen, das ihr besonders viel bedeutet, die Bildung. musikalischen Vortrag gibt es ein informelles Beisammen- „Der Bildungswille ist in mir immer noch massiv präsent“, sein mit Snacks und Spezialitäten wie schwäbisch-koreani- bekräftigt sie. Das glaubt man ihr gern, wenn man ihre scher Maultaschensuppe. Dazu wird ein exzellenter Wein Lebensgeschichte hört: Weil sie ohne Eltern aufwuchs, gereicht. Im November wurde das einjährige Jubiläum konnte sie nur bedingt auf familiäre Kontakte zurückgrei- gefeiert, im Dezember ist eine Weihnachtsgala geplant, fen, die für eine Karriere sehr nützlich sein können. So und im Januar 2016 ein mehrtägiges Festival mit dem schien ihr die Bildung schon früh der einzige Weg, um ihr Titel „SALON MOON spielt verrückt“, bei dem jeden Tag ein Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Die Protestantin anderes Kammermusikensemble auftritt. Foto: SALON MOON Foto:

86 / KULTUR KOREA Blick vom Salon Moon Suk

1999 entschied sich Moon Suk für den Umzug von Süd- Nach ungefähr zwei Stunden muss die Gastgeberin das deutschland nach Berlin, da sie das Unfertige, nicht Glatte Gespräch beenden. Der nächste Termin wartet auf sie: die der Stadt mochte und sich hier als Künstlerin einbringen Einladung zu einer Filmpremiere. wollte. Sie tauchte ein in die Avantgarde-Szene, die expe- rimentelle Szene, die Szene für Kunst und Literatur und Das Gespräch führte Gesine Stoyke saugte alles in sich auf. Es folgten Filmrollen, Auftritte als Redaktion „Kultur Korea“ Moderatorin im ZDF-Morgenmagazin, eine Fotoausstel- lung, ein Gedichtband, ein Interviewband mit 22 Promi- nenten, eine eigene Opernproduktion und vieles mehr. Inzwischen ist sie wieder zu ihren Wurzeln zurückgekehrt Weitere Informationen zum SALON MOON: und möchte sich in den nächsten Jahren ganz auf ihre www.salonmoon.de Tätigkeit als Sopranistin konzentrieren. Weitere Informationen zu Moon Suk: Woher nimmt sie die Motivation für ihr Handeln, und was www.moonsuk.de bietet ihr Orientierung im Leben? Schon in Korea hat sie sich beigebracht, was es heißt, ganzheitlich zu leben: Nicht hinter den Möglichkeiten, die das Leben bietet, zurückzu- bleiben. Als elternloses Kind musste sie früh lernen, eigene Entscheidungen zu treffen, selbstständig und unabhängig zu sein. Das gab ihr ein Selbstvertrauen, aus dem sie bis heute schöpft. Inzwischen hat sie sich in der deutschen Gesellschaft etabliert: Zu ihren Freunden und Bekannten zählen Prominente und bekannte Vertreter der Medien- branche. Sie versteht es, Menschen für ihre Projekte zu gewinnen und mediale Aufmerksamkeit zu erzielen. Nie hat sie sich auf ein Genre festgelegt, stets hatte sie den Mut, Neues auszuprobieren. Mit der selben Zielstrebigkeit studierte sie an der Musikhochschule Karlsruhe zwei Stu- diengänge parallel – Operngesang und eine künstlerische Ausbildung in Lied und Oratorium. „In Korea gibt es ein Sprichwort: ,Man sollte nur einen Hasen jagen‘. Aber wenn man weiß, wie man zehn Hasen jagt, warum sollte man dann nur einen Hasen jagen?“. Dieser Kommentar Moon Suks scheint ihre Lebenseinstellung ziemlich gut zu treffen. Foto Salon: SALON MOON, Foto Moon Suk: Karsten Bartel Moon Suk: Foto SALON MOON, Salon: Foto

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HERAUSGEBER Koreanisches Kulturzentrum Kulturabteilung der Botschaft der Republik Korea Leipziger Platz 3, 10117 Berlin www.kulturkorea.org

LEITER Gesandter-Botschaftsrat Jong Seok Yun

REDAKTION Dr. Stefanie Grote Gesine Stoyke

GESTALTUNG Setbyol Oh

KONTAKT Tel: (030) 269 52-0 Fax: (030) 269 52-134 E-Mail: [email protected]

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VERTRIEB Koreanisches Kulturzentrum Kulturabteilung der Botschaft der Republik Korea

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Diese Printausgabe ist eine Zusammenstellung ausgewählter Beiträge unseres Online-Magazins „Kultur Korea“ (www.kulturkorea.org).

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