Politikaward

Der Toni hat viele verblüfft

Anton ... WER? Viele hatten noch nie von dem Mann gehört, der Anfang Oktober an die Spitze der Grünen-Bundestagsfraktion gewählt wurde. Nun muss beweisen, dass er die eigenwillige Truppe führen kann.

VON SANDRA SCHMID rigen Doktor“. Soviel Aufmerksamkeit für Gymnasiums klar, dass er Biologie stu- sein Haupthaar bekam zuletzt nur Chris- dieren will. Mit 16 Jahren wurde er offizi- ein!“ Anton Hofreiter schüttelt den tian Lindner, als er seine Haartransplan- ell Mitglied der Sauerlacher Grünen, mit Kopf. Er steht in seinem noch etwas tation via Twitter bestätigte. 18 ihr Sprecher. 2003 promovierte er über Nkahlen, neuen Büro mit Blick auf Wirkte Hofreiter, von seinen (Par- die „Bomarea“, eine Inka-Lilie, die er wäh- den Tiergarten. Links das Brandenburger tei-)Freunden „Toni“ genannt, anfäng- rend seiner Studienreisen im südamerika- Tor, rechts der Reichstag, vor dem Fenster lich irritiert, gibt er sich angesichts des nischen Regenwald erforscht hat. ein Kübel mit südamerikanischen Anthu- Medienrummels um seine Person inzwi- Eigentlich wollte Hofreiter seine wis- rien. Was der neue Fraktionsvorsitzende schen unaufgeregt: „Mir war klar, dass das senschaftliche Karriere fortsetzen: „Ein von Bündnis 90/Die Grünen so katego- kommt. Ich bin ja nicht seit gestern in der halbes Jahr vor der Bundestagswahl 2005 risch ablehnt, ist nicht etwa die geplante Politik.“ Tatsächlich ist der 1970 geborene war ich noch auf der Suche nach einer Ha- Energiepolitik der sich anbahnenden gro- Hofreiter, der im ländlich geprägten Sau- bilitationsstelle.“ Doch die vorgezogenen ßen Koalition, sondern die freundliche erlach südöstlich von München aufwuchs, Neuwahlen gaben seinem Leben eine völ- Bitte des Fotografen, für das Porträt ein- bereits seit seinem 14. Lebensjahr politisch lig andere Richtung: Seitdem ist er Ab- mal zu „headbangen“, also den Kopf kräf- aktiv. geordneter im , 2009 wurde er tig zu schütteln und die Haare fliegen zu Für den Jugendlichen, der aus einem verkehrspolitischer Sprecher, seit 2011 lei- lassen, wie es Heavy-Metall-Fans zum Takt „klassisch linken SPD-Elternhaus“ stammt, tete er den Ausschuss für Verkehr, Bau und der Musik tun. Das wäre ein tolles Foto, ein gab es schon früh kaum etwas anderes als Stadtentwicklung. Hingucker! Hofreiter findet das nicht. Er die Natur. Der Vater arbeitete bei der Ge- Einen Namen als sachkundiger Fach- bleibt dabei: „Wenn man lange Haare hat, sellschaft für Strahlenforschung, heute politiker hat er sich seitdem gemacht. Die muss es seriös sein.“ Teil des Helmholz-Zentrums München. Öffentlichkeit kennt den Mann mit dem Der 43-Jährige hat seine Lektion ge- Seinem Sohn war bereits zu Beginn des unverkennbar bayerischen Idiom insbe- lernt. Was ist nicht alles über sein Haar ge- sondere als wortgewaltigen Bahnkritiker. schrieben worden, seit es ihn, den bishe- Doch trotz seines bisherigen geraden Auf- rigen Vorsitzenden des Verkehrsausschus- „ Ich war sehr überrascht. stiegs – seine Kandidatur und Wahl an die ses, nach der verlorenen Bundestagswahl Wahrscheinlich Spitze der Fraktion haben viele Beobachter in den Fraktionsvorsitz gespült hat. Zusam- des parlamentarischen Betriebs erstaunt: men mit Katrin Göring-Eckardt soll der ge- habe ich ihn und Selbst langjährige Kollegen im Ausschuss bürtige Oberbayer die Bundestagsfraktion seinen Machtanspruch hatten ihn als Fraktionschef nicht auf der nun leiten. Kaum ein Porträt des Polit-Auf- Rechnung. „Ich war sehr überrascht“, ge- steigers kam seither ohne einen Hinweis unterschätzt.“ steht , Sozialdemokrat und auf seine „lange, blonde Mähne“ aus, die UWE BECKMEYER, SPD seit 2002 im Verkehrsausschuss. „Wahr- an einen „Grünen der ersten Stunde“ erin- scheinlich habe ich ihn und seinen Macht-

nere. Die „Welt“ nannte ihn gar den „haa- anspruch unterschätzt.“ Foto: Laurin Schmid

16 politik &kommunikation | Dezember 2013 / Januar 2014 Gestutzte Mähne, Anzug, freundliches Lächeln: Toni Hofreiter ist seit einigen Wochen der neue Frontmann der Grünen im Bundestag. Und hat sich äußerlich schon ein bisschen an seine neue Rolle angepasst.

politik &kommunikation | Dezember 2012 / Januar 2013 17 Politikaward

Tatsächlich täuschen tapsiger Gang, Bauchansatz und seine mitunter etwas un- beholfene Art – gemächlich ist Hofreiter nicht. Er kann durchaus temperamentvoll auftreten und scharf attackieren. Der ist offen, unverstellt, redet frei von der Leber weg, heißt es. Weggefährten attestieren ihm neben Sinn für Humor vor allem die Fähigkeit, blitzschnell Sachverhalte zu analysieren und strategisch anzugehen. Bei Hofreiter klingt es so: „Was Biologen auszeichnet, ist, dass sie in langen Linien denken können.“ So gesehen verwundert es nicht, dass seine Kandidatur für den Fraktionsvorsitz von langer Hand geplant war. Gefallen sei die Entscheidung „Monate“ vor dem Wahl- abend. Damals war die Situation bei den Grünen allerdings noch eine andere: „Wir haben auch geplant, dass wir in die Regie- rung kommen und einige Ministerämter übernehmen. Da brauchte es jemanden für den Fraktionsvorsitz.“ Nun kommt ihm die Aufgabe zu, die Anton Hofreiter (M.) mit Politikaward, Laudator (l.) und Moderator Hajo Schumacher mit 63 Abgeordneten kleinste Fraktion im Parlament geschlossen in die neue Dass Hofreiter ausgleichend wir- erkennend. Weich wird der zuweilen rup- Wahlperiode zu führen. Manche, die sei- ken kann – auch über Parteigrenzen hin- pig wirkende Politiker aber, wenn er über nen Karriereweg verfolgt haben, sind je- weg –, das hat er als Ausschussvorsitzen- seine Liebe zur „wilden, ungebändigten doch skeptisch, ob er ihr gewachsen ist. der schon bewiesen: Politische Gegner Natur“ spricht, wie er sie etwa auf Wan- Angesichts der Komplexität der Aufgabe jeglicher Couleur beschreiben Hofreiter derungen durch sein Lieblingsgebirge, die könnte es eine Nummer zu groß für ihn als fair und verlässlich. Den Verkehrsaus- Cordelliera Blanca, in den peruanischen sein, fürchten sie. Schließlich müsse er als schuss habe er ausgleichend und unpartei- Anden erlebt hat. „Die Natur dort hat erster Repräsentant der Fraktion jederzeit isch geführt. „Toni Hofreiter markiert zwar einen Zauber, der sich nicht erklären lässt, und zu jedem Thema sprechfähig sein. gern den wilden Mann vor den Kameras wenn man ihn nicht selbst erfahren hat.“ Hofreiter lässt jedoch keinen Zwei- oder im Plenum, aber hinter den Kulissen Vollends anpassen will sich auch Hof- fel daran, dass er, der Biologe, in der jet- habe ich ihn immer als konstruktiv, prag- reiter nicht: Fragen nach seinem Privat- zigen Situation der Richtige für den Job matisch und verbindlich erlebt“, sagt etwa leben blockt der zwar liierte, aber unver- ist: Schließlich will er „grüne Kernthemen“ Dirk Fischer, langjähriger verkehrspoliti- heiratete und kinderlose Politiker rigoros wieder betonen, insbesondere die Ener- scher Sprecher der CDU/CSU. Und Patrick ab, wie zuletzt gegenüber der „Bild“-Zei- giewende und eine ökologische Moderni- Döring, mit dem sich Hofreiter durchaus tung mit den Worten: „Habe ich. Danke.“ vortrefflich streiten konnte, lobt den Grü- Zu kleineren Zugeständnissen ist er aller- nen als „kooperativ und undogmatisch“. dings bereit: Aus Zeitgründen pendelt der „ Er markiert zwar gern den „Wir wussten, wann wir getrennt schlagen Fraktionschef zwischen Berlin und Mün- wilden Mann. Aber hinter und wann gemeinsam. Aber dann haben chen nicht mit der Bahn, sondern mit dem wir am gleichen Strang gezogen“, so der Flugzeug. Anzüge trägt er nur, weil er weiß, den Kulissen habe ich ihn frühere Generalsekretär der FDP. dass sonst die Gesprächspartner seine Ar- immer als konstruktiv und Diese Haltung spiegelt auch sein Enga- gumente nicht ernstnehmen. Und nun

gement in der Parlamentariergruppe „Frei scheint er auch einige Zentimeter seines Foto: www.baumannstephan.com pragmatisch erlebt.“ fließende Flüsse“ wider, deren Mitglieder Haares geopfert zu haben: Er trägt es neu- DIRK FISCHER, CDU sich überfraktionell gegen den Ausbau der erdings schulterlang. Donau und anderer Flüssen stark machen. Bruni Irber (SPD), 2009 aus dem Bundes- tag ausgeschieden, schätzt ihren frühe- Anton Hofreiter sierung der Wirtschaft vorantreiben. „Ich ren Mitstreiter als „gestandenen, aber stets ist seit Oktober 2013 Vorsitzender der Bun- denke auch, dass ich das soziale Geschick kompromissbereiten Bayern“. destagsfraktion der Grünen. Der 43-Jährige habe, die Fraktion so zu führen, dass sie Trotzdem hat auch sie sein Aufstieg sitzt seit 2005 im Bundestag. In den letzten den Hauptgegner nicht in den eigenen zum Frontmann der Grünen im Bundestag beiden Jahren war er Vorsitzender des Ver- Reihen, sondern beim politischen Mitbe- verblüfft: „Er ist schon auch gewöhnungs- kehrsausschusses. werber findet“, sagt er selbstbewusst. bedürftig“, sagt sie und lacht. Es klingt an-

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