Heimat: Herkunft – Wandel – Ankommen Heimat:

Herkunft – Wandel – Ankommen

Katalogbuch zu den Ausstellungen des Kreiskunstvereins Beckum- e.V. 2014 bis 2016

Mit Textbeiträgen von Hermann Ühlein Herausgegeben vom Kreiskunstverein Beckum-Warendorf e.V.

Heimat Herkunft Basilius Kleinhans INHALT 7 Vorwort 9 Einleitung: Heimat

12 Herkunft – Suche nach Wurzeln 15 Erdgeschichte 18 Erinnerung(en) 24 Region und Familie 28 Elternhaus – Kindheit – Jugend 42 Übergang: Herkunft als treibende Kraft

46 Wandel – Suche nach Identität 49 Transformationen 54 Subjekt im Wandel 59 Gesellschaft im Wandel 68 Welt im Wandel 74 Übergang: Transformation als Prinzip

78 Ankommen – Suche nach Heimat 81 Mein Zuhause bin ich 88 Gehen und Suchen 97 Boote und Häuser 106 Himmel und Erde 112 Übergang: Ankommen in der Gegenwart der Kunst

116 Künstlerverzeichnis 117 Literaturhinweise 118 Dank Heimat – The aim Peer Christian Stuwe 4 | 5 VORWORT

Der Begriff Heimat ist ein in den letzten Jahren unab- Wurzeln“, „Wandel – Suche nach Identität“ und „An- hängig vom jeweiligen regionalen Bezug viel disku- kommen – Suche nach Heimat“ nicht nur einen tie- tierter Begriff und angesichts tiefgreifender globaler fen und vielschichtigen Einblick in die Thematik ge- und gesellschaftlicher Veränderungen gerade in die- schaffen, sondern auch die Möglichkeit, Heimat neu sen Tagen hochaktuell. und anders zu sehen. Der künstlerische Ansatz war Als Gemeinschaft von Kunstinteressierten, Künst- frei wählbar und folgerichtig vielfältig: erdgeschicht- lerinnen und Künstlern fördert der Kreiskunstverein lich, historisch oder biografisch bis hin zu rein formal Beckum-Warendorf e.V. mit seinen jährlichen The- und abstrakt. menausstellungen den Dialog zwischen verschiede- Der scheinbar so verstaubte und sperrige Begriff nen Künstlergenerationen, der Künstlerschaft und Heimat entwickelte sich zu einer hoch komplexen dem kunstinteressierten Publikum. Angelegenheit und entfaltete über die drei Jahre der Welches Andere kann die Bildende Kunst zum Ausstellungen einen großen Bildreichtum, der viele Thema Heimat liefern, welche neuen Bilder kann Anreize gab, die eigene Position zu reflektieren und sie erschaffen, insbesondere da, wo Sprache an darüber in einen lebendigen Austausch zu treten. ihre Grenzen stößt? Welche Assoziationen kann die Wir, der Kreiskunstverein Beckum-Warendorf e.V., Kunst hervorbringen, welche unbeleuchteten Räume freuen uns, mit dem vorliegenden Katalogbuch diese zwischen den Bedeutungen des Begriffs Heimat umfangreichen Präsentationen im Wesentlichen zu sichtbar machen? dokumentieren und gleichzeitig einen wertvollen Ein- In drei aufeinander folgenden Ausstellungen in blick in das zeitgenössische, künstlerische Schaffen den Jahren 2014 bis 2016 haben insgesamt 52 zu geben. Künstlerinnen­­ und Künstler des Kreiskunstvereins Beckum-Warendorf e.V. mit ihren jeweils aktuellen Silvia Fassel Geschäftsführerin des Kreiskunstvereins Arbeiten zu den Themen „Herkunft – Suche nach Beckum-Warendorf e.V.

Ausstellung 2016, Museum Abtei Liesborn 6 | 7 EINLEITUNG

HEIMAT: HEIMAT IN BEWEGUNG

Kein Ausrufezeichen, kein Fragezeichen, kein Ge- Das polyzentrische hat längst das konzentrische Le- dankenstrich. Der Doppelpunkt ist wichtig. Da- bensmodell abgelöst. Berufliche und private Mobilität nach muss etwas kommen, eine kurze Erläuterung, lassen Merkmale von Heimat wie Orts- oder regionale eine differenzierende Aufzählung, etwas, das den Verbundenheiten und die Priorität familiärer Bindun- Begriff entfaltet und ausbreitet, das ihn begreif- gen in den Hintergrund treten oder zu einer temporä- bar (er) macht. „Heimat“ ist ein Begriff, der dies er- ren Erfahrung werden, die sich im Laufe des Lebens fordert, denn immer schon unscharf und diffus, an mehreren Orten machen lässt. Heimisch werden wurde und wird er politisiert (Konservative) und kann man zwar nicht überall, sicher jedoch vielerorts. ideologisch vereinnahmt (Neo-Nationalismen) so- Biographisch gesehen, erleben viele Menschen die wie kommerziell gelabelt (Tourismus, Film, Musik). Heimat sukzessive im Plural. Und es gab sie immer „Heimat“ galt lange als Begriff der Abgrenzung schon und gibt es auch heute, die „Weggeher“, wie und war in Teilen der Gesellschaft und bei vielen Edgar Reitz sie in einem Interview nannte1. Men- Menschen in Verruf geraten. Er ist inhaltlich offen und schen, die ihre Heimat bewusst und freiwillig verlas- ihn erschöpfend und abschließend zu definieren, ist sen (haben), in der klaren Erkenntnis, dass nur dieser nahezu unmöglich. Das macht diesen Begriff jedoch Schritt sie retten und zur Entfaltung bringen kann. überlebensfähig: „Heimat“ ist seit Jahren wieder Wenn heute auf der anderen Seite bei vielen jungen ins Gespräch gekommen, wohl weil er und das mit Menschen alle Formen der Sesshaftigkeit (Haus und ihm Bezeichnete nicht mehr selbstverständlich sind. Familie) wieder hoch im Kurs stehen, so dürfte auch „Heimat“ ist unter den aktuellen Bedingungen neu das eine Form der Suche sein nach eigener Identi- auszuloten. Der Doppelpunkt ist wichtig. Danach tät, nach Zugehörigkeit und Zusammenhalt in Zeiten muss etwas Neues (?) kommen. rasanten globalen Wandels.

Ausstellung 2015, Museum Abtei Liesborn 8 | 9 HEIMATLOSE IN DER HEIMAT HEIMAT 4.0 HEIMAT: EIN KATALOGBUCH

Nicht nur Flucht und Vertreibung, auch Grenzver- Die grundlegende Veränderung jedoch verbirgt sich Der Kreiskunstverein Beckum-Warendorf hat für drei Auf jedes Hauptkapitel folgt ein „Übergang“, in dem schiebungen schaffen Heimatlosigkeit. Eine solche hinter Begriffen wie „Industrie 4.0“ und „Internet der Jahresausstellungen das Thema „Heimat“ gewählt: jeweils ein über drei Jahre entwickeltes Kunstkonzept Grenz­änderung, die Aufhebung einer Grenze, erleb- Dinge“. Alles, was „Heimat“ vermeintlich ausmacht Herkunft – Suche nach Wurzeln (2014), Wandel – zusammenhängend dargestellt ist. Die „Übergänge“ ten wir in Deutschland 1989. Die Wiedervereinigung – Sprache, kulturelle Identität, (analoge) Beziehun- Suche nach Identität (2015), Ankommen – Suche verbinden die Hauptkapitel und machen strukturell führte bei vielen (Ost-)Deutschen zu einem Verlust gen, Privatsphäre, Individualität, Überschaubarkeit, nach Heimat (2016). In den Ausstellungstiteln finden sichtbar, dass „Heimat“ ein Bedeutungsgeflecht ist, in von Alltagsroutinen, der, wenn auch temporär, nichts Abgrenzung –, wird digital pulverisiert, selbst aktiv be- sich die Ankerbegriffe zu Heimat: Herkunft, Wurzeln, dem jeder Aspekt mit jedem anderen verbunden ist. anderes ist als ein Synonym für Heimatverlust. Es trieben (Social Media, Internet-Shopping, Payback- Wandel, Identität, Ankommen und: Suche. Immer Der Doppelpunkt hinter „Heimat“ weitet den Blick kommt nicht von ungefähr, dass die ersten großen Re- Systeme)­ oder staatlich institutionalisiert (Digita- wieder ging und geht es um Suche nach Heimat, auf die in den Kunstwerken greifbare und zugleich flektionen über und Neubestimmungen von „Heimat“ lisierung von persönlichen, Steuer- und Gesund- denn in Heimatverlust und Heimatlosigkeit, in Fern- assoziative Sinnlichkeit eines immer fordernden und in die 1990er Jahre zu datieren sind2. Ein wei­terer heitsdaten, Überwachung durch Geheimdienste) weh und Heimweh, im Nicht-Mehr und im Noch-Nicht sich immer wieder entziehenden Begriffs: Heimat. Themenkreis wird eröffnet durch die Zuwanderung und wirtschaftlich forciert (Industrie 4.0, Homeas- der Heimat erfahren wir sie am intensivsten. nach Deutschland in vielfältiger Form, jüngst und ak- sistent-Systeme). Wenn der Computer nicht mehr Zur Dokumentation der drei Ausstellungen liegt tuell durch die Aufnahme von Geflüchteten aus Syrien ein dem Menschen zur Verfügung stehendes Tool, dieses Katalogbuch vor. Es versucht, den Begriff und anderen Konflikt­regionen. Letztendlich sind die sondern der Mensch – unter vielen andern – ein „Heimat“ auszudifferenzieren, und ist in drei Haupt- in diesem Zusammenhang geführten Diskussionen Element im digitalen Netz ist, einem Netz, das ihm kapitel gegliedert: Herkunft, Wandel, Ankommen. über Kontingente und Integration Debatten über zudem die eine oder andere oder alle Entschei- Nun finden sich jedoch in den Haupt- und ihren Un- einen neuen Heimat-Begriff: Wie und mit wem wol- dungen algorhythmisch vorbereitet oder gar ab- terkapiteln keine Abhandlungen, sondern Bildabtei- len wir leben? Wie wird sich die deutsche Sprache nimmt, dann dürfte eine Transformation bevorstehen lungen, die ausgewählte Kunstwerke thematisch verändern? Wie lassen sich religiöse und kulturelle oder schon im Gange sein, die eine fundamentale gruppieren. Das Inhaltsverzeichnis gibt keine begriff-

Unterschiede friedlich und konstruktiv vermitteln? „Verwandlung der Welt“ bedeutet, wie Jürgen liche Einordnung der Kunstwerke vor – was widersin- 1 Heimat ist keine heile Welt. Ein Interview mit Edgar Reitz, in: Der Blaue Reiter. Journal für Philosophie, Wird die Gesellschaft in Deutschland ein Konglome- Osterhammel sie für das 19. Jahrhundert beschrie- nig wäre – , sondern es wurde von den Kunstwerken 23 (1/2007), 65-71, hier: 67. rat von Parallelgesellschaften, multiethnisch,­ multi­ ben hat. Ob es dann auch Heimat 4.0 geben wird? her entwickelt: Die Kapitelüberschriften bringen ins 2 Will Cremer/Ansgar Klein (Hg .), Heimat. Band 1: Analysen, Themen, Perspektiven; religiös, multilingual? Wort, woran Kunstwerke sich auskristallisiert haben. Band 2: Lehrpläne, Literatur, Filme, Bonn 1990. 10 | 11 INHALT

15 Erdgeschichte 18 Erinnerung (en) HERKUNFT 24 Region und Familie 28 Elternhaus – Kindheit – Jugend Suche nach Wurzeln

42 Übergang: Herkunft als treibende Kraft HERKUNFT ERDGESCHICHTE Suche nach Wurzeln

Einen unermesslichen Raum vermag das Wort „Her- Gleichermaßen wird Herkunft jedoch sehr konkret kunft“ zu eröffnen. Es ist ein Raum, der sich ausdehnt, ausbuchstabiert in einer Region, der Familie, in El- ein Kosmos, der sich in die Vergangenheit erstreckt: ternhaus, Kindheit und Jugend. Diese Seite der Her- Erdgeschichte und Mythologie sind verwoben, ein kunft gehört zu den Konstanten von Heimat. Jeder Ahnenschiff, das symbolisch steht für unzählige ano- Mensch hat eine solche Herkunft: sein Geburtsort, nyme Vorfahren, gleitet aus frühen Zeiten herüber in frühe Prägungen, vielleicht ein Dialekt, vom Schick- unsere Gegenwart. sal zugespielte Bezugspersonen. Die Herkunft ist die Wir vergegenwärtigen alles Vergangene in der erste, eigene Heimat, ob man will oder nicht: Familie Erinnerung. Wir alle wissen und erleben, dass Erin- als Herkunft ist ambivalent, das Schwarze Schaf darf nerung kein dokumentarisches Archiv ist, sondern nicht fehlen, intime Studien zur Mutter, das Elternhaus dass sie Vergangenes immer wieder anders einfärbt in seiner ganzen Symbolik. Die Kuscheldecke gehört oder verändert oder neu miteinander verbindet. Die dazu, das Spielzeug, der Sonntagsausflug mit Pick- Erinnerung schreibt unsere Geschichte(n) permanent nick, das Gefühl des Aufgehoben-Seins, da ist aber um, Bilder oder Gefühle, die vergessen schienen, tau- auch eine traurige Prinzessin, und natürlich haben chen wieder auf, und es gibt Erinnerungen an Kind- auch Kinder traumatische Erlebnisse und Ängste. heits- oder Erlebnisse in der Familie, die wir lieber gar Das alles ist unsere Herkunft, kollektiv und indivi­ nicht mehr hätten. Damit ist auch gesagt, dass in der duell. Suche nach Wurzeln? Am Ende eines Vortra- Erinnerung an unsere Herkunft das Schmerzliche mit ges rief Vilém Flusser einmal aus: “A man is not a dem Wohlgefühl, das Aufgehobensein mit dem Aus- tree!“, und der Ethnologe Konrad Köstlin bringt es geliefertsein und das Unbeschwerte mit dem Verzag- auf die Formel: „Bäume haben Wurzeln, Menschen ten verschränkt sind. Womöglich ist die Erinnerung haben Beine.“ selbst eine Form von Heimat.

Where I am coming from Who I am Richard A. Cox 14 | 15 Gravitation 2014 Colpodium sertina Gravitation 2013 Colpodium colpoda Thomas Stuwe Knut Kargel 16 | 17 ERINNERUNG (EN)

Ahnenschiff Kein Brot - Keine Kohle - Keine Heimat - Kriegsende Gordon Brown Doris Galla 18 | 19 Erinnerung Gisbert Hülsheger

Standort: Eingangsbereich des Hugin, Munin und der Deutsche Besen Museum Abtei Liesborn Peer Christian Stuwe 20 | 21 Erinnerungen Fäden der Erinnerung Dorothea Roß Melanie Becker-Hoffmann 22 | 23 REGION UND FAMILIE

Auf Rottendorf Heimat Walter Jasper Susanne Nahrath Herz-Felder Schwarzes Schaf Ulrike Willenbrink Paul Thierry 26 | 27 ELTERNHAUS – KINDHEIT – JUGEND

Prinzessin For our home Heide Drever Barbara Davis 28 | 29 ...endgültig abgehakt! Elternhaus Freckenhorst 1970 Otto Krummel Theora Krummel 30 | 31 aufgehoben Von Hof Haus Hund Nicolas Heiringhoff Maria Langenstroth 32 | 33 Könnte ich die Zeit drehen und nochmals beginnen verbrannt – Schuljahre der 50er Jahre Michel M. Annemarie Krummel 34 | 35 Mother‘s sex appeal Wounded woman Mother can‘t go My Kindheitstrauma Free again Martina Lückener Karin Ludwig-Nies 36 | 37 Herkunft MyHeimat 1 Katharina Ronge Brigitte Rühland 38 | 39 Alle unter einer Decke: Eigentum – recht so Eigentum – auf links gekrempelt Sonntagsausflug Home sweet home Gutenachtgeschichte Birgit Rumpf Elke Seppmann 40 | 41 ÜBERGANG Herkunft als treibende Kraft

Ein selbstgebautes Auto, aus Holz, einfach konstru- ierte, robuste Formen, ein echtes Spielzeug, das et- was taugt und etwas aushält, mit dem sich agieren und erkunden, mit dem sich eine Welt der Wege und Straßen erfinden lässt. Ein handfestes Ding, das rollt und fährt. Erste Erfahrungen sind ein Kinderspiel. Jahrzehnte später, funktionslos geworden als Spielgerät, lässt sich dieses, in einer Zwischen­phase dekonstruiert, umdeuten zum Kunstwerk. Es ist die gleich bleibende Form, welcher die treibende, die wandelnde Kraft innewohnt: aus der Kinderstube in die Ausstellungshalle, erwachsen geworden. Toy. Ein Objekt aus einem Guss, das die urwüchsige Energie des Holzes zwar noch verströmt, das noch umspielt scheint von der Aura seiner Herkunft und das dieser doch klar enthoben ist. Form follows fun- ction mag für das Spielzeug gegolten haben, form changes function gilt nun für das Kunstwerk.

Toy Werner Schlegel 42 | 43

INHALT

49 Transformationen 54 Subjekt im Wandel WANDEL 59 Gesellschaft im Wandel 68 Welt im Wandel Suche nach Identität

74 Übergang: Transformation als Prinzip WANDEL TRANSFORMATIONEN Suche nach Identität

Die Sinnsprüche für Wandel sind Legion. Knapp Bezogen auf die gesellschaftlichen Möglichkeiten 2500 Jahre liegen zwischen Heraklits „Panta Rhei/ der Identitätsbildung, die sehr vielfältig geworden Alles fließt“ und Bob Dylans „The times they are sind, spricht man heute von Mehrfachidentitäten. a-changing“, und etwa 2000 Jahre alt sind Ovids Wenn also der Wandel von Heimat sich im Außen- „Bücher der Verwandlungen“, seine „Metamorpho- bereich unserer Umgebung vollzieht (Mobilität, sen“ beeinflussen Literatur, Kunst und Kultur bis heu- Lebens­formen, Digitalisierung, Kommerzialisierung, te. Seit Menschengedenken ist „Alles verändert sich“ Manipulation der Umwelt), geschieht in wechsel- Binsen- und Lebensweisheit zugleich. seitiger Wirkung der Wandel unserer Identität als Die große Lehrmeisterin der Transformation ist die multipler Prozess. Natur mit ihren linear wechselnden Formen des Wer- Veränderungen und Wandlungen in unserem en- dens und Vergehens sowie ihren zyklischen Rhyth- geren und weiteren Bereich, in unserer Region und men der Jahreszeiten. Zwar ist der Mensch (nach in unserem Land sind eingewoben in europa- und wie vor) Teil dieser natürlichen Prozesse und insofern weltweite Zusammenhänge und Vernetzungen von Objekt des Wandels. Er tritt jedoch aus ihnen heraus Wirtschaft, Politik, Tourismus und Kultur, ermöglicht und wird zum Subjekt des Wandels: Er ist es, der sich und unterstützt durch die digitale Informationsstruktur als Individuum, der die Gesellschaft, der die (Um-) des Internets. Welt verändert, konstruktiv und kreativ, zerstörerisch Die Gegenwart ist die Zeit des Wandels. Im Da- und geistlos: Wandel wird gemacht, Ausgang offen. zwischen von Vergangenheit und Zukunft geschieht Der Mensch wandelt sich gewollt oder unfreiwillig, alles und wandelt sich alles. Wir sind also nie ganz und in jeder Veränderung blitzt die Frage nach (s)ei- heimisch, wir sind aber auch nie ganz heimatlos. ner Identität auf, als Beheimatung bei sich selbst, als einer Art von Einzigartigkeit, durchaus in Abgrenzung von anderen.

Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, Reflections of life Ulrike Amsbeck 48 | 49 Mensch, Frau, Gehen, Reden ohne Titel Ludger Wörtler Friedo Schange 50 | 51 ohne Titel ohne Titel Miriam Maskort Tatjana Scharfe 52 | 53 SUBJEKT IM WANDEL

ohne Titel Jacke, Strümpfe, Hose, Buch Martina Lückener Franz-Josef Kosel 54 | 55 Dazwischen Sein Orientierungslos Dazwischen Sein Neuorientierung Aufbruch Dieter Mense Ingeborg Katharina Leiber 56 | 57 GESELLSCHAFT IM WANDEL

Drei Frauen im Garten Transformation Theora Krummel Annemarie Krummel 58 | 59 Trinkhalle -Heessen Kiosk Zentrum ohne Titel Kiosk Ahlen Süd Manfred Brückner Elke Seppmann 60 | 61 Neue Orte I Neue Orte II Ute Hindahl 62 | 63 Heimat 2 Die fetten Jahre Haus und Boot Doris Galla Basilius Kleinhans Mars und Saturn regieren Abendland Krieg und Vertreibung (Diorama) Insel der Glückseligen (Diorama) Christine Mölleck Christine Mölleck 66 | 67 WELT IM WANDEL

A man is not alone No smoking Richard A. Cox Paul Thierry 68 | 69 1941 1531 When the doom rises over the Moehnesee Matthias Gödde Knut Kargel 70 | 71 MyHeimat 2 Vernetzungen – gegenseitige Abhängigkeiten Brigitte Rühland Heinz Schößler 72 | 73 ÜBERGANG Transformation als Prinzip

Transformation ist alt wie die Welt und bringt immer wieder Neues hervor. Eine schon in eine noch nicht bestehende Form zu überführen, ist das Wesen der Natur wie es das Grundprinzip der Kunst ist. Das Geäst eines Birnbaums, ein heimatliches Bild, wird zum natürlichen Grundmotiv der künstlerischen Intervention. Ausschnitte und Spiegelungen schaffen Symmetrien und neue Ordnungen. Das naturnahe Bild wird zum Netz, Zwischenräume werden zu Objekten. Die Formenwandlung geht einher mit dem Wechsel des Mediums: Bild, Wand- und Raumobjekt, wieder Bild. Es entsteht ein komplexes Werkensemble, des- sen Elemente zwar ein und denselben Ursprung ha- ben, in dem alles mit allem zusammenhängt und das doch aus verschiedenen, eigenständigen Arbeiten besteht. Ergebnis von Transformationen, vollziehen sie ein wirkungsvolles Wechselspiel: Sie sind kom- plex und einfach, begrenzt und offen, konkret-ding- lich wie abstrakt-immateriell, von zurückgenomme- ner und hervortretender Ästhetik. Innere und äußere Strukturen geben Halt und wandeln sich doch immer wieder. Von Form zu Form geht die Suche.

Unterm Birnbaum Silvia Fassel 74 | 75 Inseln im Netz Birnbaum - in mir Silvia Fassel Silvia Fassel INHALT

81 Mein Zuhause bin ich 88 Gehen und Suchen ANKOMMEN 97 Boote und Häuser 106 Himmel und Erde Suche nach Heimat

112 Übergang: Ankommen in der Gegenwart der Kunst ANKOMMEN MEIN ZUHAUSE BIN ICH Suche nach Heimat

Wer ankommen will, muss sich auf den Weg ma- die uns selbst im Wandel zur digitalisierten Welt chen oder auf dem Weg sein. In einer Zeit und Ge- stark und klar vor Augen gestellt werden als Konkre- sellschaft, die uns permanent Mobilität abverlangen tisierungen von Heimatverlust und neuer Suche. Wer (Ausbildung, Beruf, Termine) und bieten (Reisen, nach langem Weg oder nach langer Überfahrt in der Freizügigkeit) – jedoch mit festen Zielen – , verblasst Fremde ankommt, dem steht die Suche nach Heimat die existentielle Dimension des Unterwegsseins, die erst noch bevor. Metapher des risikoreichen Lebensweges, verliert Glücklich(er) diejenigen, die sie in sich zu tragen die sprichwörtliche „Reise ins Ungewisse“ ihre Ge- vermögen, denen es gelingt, selbst unter den wid- fahr, wird Ankommen zur Selbstverständlichkeit. So rigsten Gegebenheiten, die innere Heimat zu bewah- hat es an der Oberfläche den Anschein. ren, sie zu retten in den Strukturen eigener kultureller Doch wer sich bewegt, ändert die Perspektive, Prägung oder innerer Stärke. sucht den neuen Blick und wird auf dem Weg selbst Bei sich ankommen, gar bei sich angekommen zum Suchenden, getrieben vielleicht von diffuser sein, ist keine zeitgeistverseuchte Eventmeditation, Hoffnung auf ein gelingendes Ankommen oder ver- sondern Ziel geistiger Übung jeglicher Spiritualität. trieben aus einer Heimat, die unbewohnbar und töd- Freilich ist auch das Ankommen bei sich ein flüchtiger lich zu werden droht, so dass allein die Fahrt ins Un- Wimpernschlag, mehr ein innerer Hauch denn eine gewisse schon als Rettung erscheint, eine Reise, für „feste Burg“. Und doch vermag nur Heimat im Außen zu viele, ohne Ankommen. Es sind die uralten und tie- zu finden, wer sie in sich trägt. Suche nach Heimat ist fen Bilder von der Überfahrt im rettenden(?) Boot und heimisch werden in sich wie es zugleich Ankommen vom Ankommen und Wohnen im bergenden Haus, ist an ortlosen Orten zwischen Erde und Himmel.

Geborgenheit Ulrike Amsbeck 80 | 81 We will see 1 West I-13 We will see 2 Doris Galla Martina Lückener 82 | 83 Sweets for my sweet Me cocooning Karin Ludwig-Nies Nicci Tudorf 84 | 85 Heimat-Raum III Heimat-Raum IV Puste-Blume Ludger Wörtler Ulrike Willenbrink 86 | 87 GEHEN UND SUCHEN

Lebenswege ohne Titel Melanie Becker-Hoffmann Friedo Schange 88 | 89 „Brexit London“ ist angekommen ohne Titel Paul Thierry Manfred Brückner 90 | 91 Auf dem Weg nach Hause Falten Dirk Groß Kathrin Heyer 92 | 93 ohne Titel Vergangenheit in der Gegenwart I Markus Maier Miriam Maskort 94 | 95 BOOTE UND HÄUSER

Ankommen I Ankommen II Alle saßen im selben Boot Carmen Stock Knut Kargel 96 | 97 World of imaging 01 World of imaging 02 Zwischenkrieg Matthias Gödde Peer Christian Stuwe 98 | 99 Fliegendes Haus – Umziehen Fliegendes Haus Fliegendes Haus – Neu zu Hause Haus mit angelehntem Paddel Jaimun Kim Basilius Kleinhans 100 | 101 Ankommen 1 „Noah“ ohne Titel Theora Krummel Maria Langenstroth 102 | 103 Das Tor Gisbert Hülsheger

95% H2O Standort: Eingangsbereich Susanne Nahrath des Museum Abtei Liesborn 104 | 105 HIMMEL UND ERDE

Heimat ein Schattenspiel Die Farben des Waldes Ulrich Möckel Walter Jasper 106 | 107 Flat „mountains“ of Westphalia Stormy weather in Westphalia Vision Barbara Davis Tatjana Scharfe 108 | 109 MyHeimat 3 Vor lauter Bäumen II Brigitte Rühland Katja Beyer 110 | 111 ÜBERGANG Ankommen in der Gegenwart der Kunst

Ankommen und Wohnen in ortlosen Lebens­ räumen bieten eine Heimat, die nicht von der Ge- fahr umschwebt ist, durch äußeren, geographischen Wandel zu verschwinden. Solche ortlosen Lebens- räume vermag die Kunst zu eröffnen, Räume für die biographischen Wandlungen des Künstlers. Mit gezückter Feder gezeichnet, konzentriert und poin- tiert ver­gegenwärtigt, der Erinnerungsraum für die ersten Jahre im Puppenstuben-Format: Der Künstler ist anwesend (Lebensraum I). Die aktuelle „Doku- mentation“ heimatlicher Veränderungen aus Sicht der Lokalzeitung bleibt nicht unkommentiert: andere Sichtweisen, ironisierende Einmischung, Nachdenk- liches und Geistreiches. Der Künstler überschreibt und überzeichnet (Lebensraum II). Entgrenzung und Virtualität stehen für das WorldWideWeb, das der Künstler in Lebensraum III als „World-Wide-Heimat“ gestaltet und beschreibt. Die schützenden Wände der Kindheit sind gläsern geworden. Analoge Räume weichen digitalen Welten. Sie alle durchschreitet der Künstler im Laufe seiner Biographie in schöpferischer Aneignung: BioGraphie heißt Leben beSchreiben, heißt Leben beZeichnen. Lebensraum I Die ersten Jahre Manfred Kronenberg 112 | 113 Lebensraum II Dokumentation Lebensraum III Tableau XI/XIV (November 2014) World-Wide-Heimat Manfred Kronenberg Manfred Kronenberg 114 | 115 KÜNSTLERVERZEICHNIS LITERATURHINWEISE

Amsbeck, Ulrike 49, 81 Leiber, Ingeborg Katharina 57 – Bastian, A., Der Heimat-Begriff. Eine begriffsgeschichtliche Untersuchung in verschiedenen Funktionsbereichen der deutschen Sprache, Tübingen 1995. Becker-Hoffmann, Melanie 23, 88 Lückener, Martina 36, 54, 83 Beyer, Katja 111 Ludwig-Nies, Karin 37, 84 – Brautmeier, J. / Düwell, K. / Heinemann, U. / Petzina, D. (Hg.), Heimat Nordrhein-Westfalen. Identitäten und Regionalität im Wandel, Essen 2010. Brown, Gordon 18 M., Michel 34 – Cremer, W. / Klein, A. (Hg.), Heimat. Band 1: Analysen, Themen, Perspektiven; Brückner, Manfred 60, 91 Maier, Markus 94 Band 2: Lehrpläne, Literatur, Filme, Bundeszentrale für politische Bildung 294/I+II, Bonn 1990. Cox, Richard A. 15, 68 Maskort, Miriam 52, 95 – Daum, E., Heimat als Ort? Heimat als Raum? Subjektive Sinnsuche und Weltkonstruktion aus Davis, Barbara 29, 108 Mense, Dieter 56 geographischer Perspektive, in: Theologie und Glaube 105 (2015) 122-138. Drever, Heide 28 Möckel, Ulrich 106 – Ezli, Ö. / Staupe, G. (Hg.), Das neue Deutschland. Von Migration und Vielfalt. Ein Lesebuch, Fassel, Silvia 75 ff Mölleck, Christine 66 f Konstanz 2014.

Galla, Doris 19, 64, 82 Nahrath, Susanne 25, 104 – Flusser, V., Bodenlos. Eine philosophische Autobiographie, Düsseldorf, Bensheim 1992. Gödde, Matthias 70, 98 Ronge, Katharina 38 – Geipel, I., Generation Mauer. Ein Porträt, Stuttgart 2014. Groß, Dirk 92 Roß, Dorothea 22 – Hecht, M., Das Verschwinden der Heimat, Leipzig 2000. Heiringhoff, Nicolas 32 Rühland, Brigitte 39, 72, 110 Heyer, Kathrin 93 Rumpf, Birgit 40 – Heimat – Themenheft 23 / der blaue reiter – Journal für Philosophie, Stuttgart 2007.

Hindahl, Ute 62 f Schange, Friedo 51, 89 – MacGregor, N., Deutschland. Erinnerungen einer Nation, München 2015. Hülsheger, Gisbert 20, 105 Scharfe, Tatjana 53, 109 – Menasse, R., Heimat ist die schönste Utopie. Reden (wir) über Europa, Berlin 2014. Jasper, Walter 24, 107 Schlegel, Werner 43 ff – NRW-Stiftung (Hg.), Heimat NRW. Gestern Heute Morgen, Essen 2012. Kargel, Knut 17, 71, 97 Schößler, Heinz 73 – Piwitt, H. P., Heimat, schöne Fremde. Geschichten und Skizzen, Göttingen 2010. Kim, Jaimun 100 Seppmann, Elke 41, 61 Kleinhans, Basilius 2, 65, 101 Stock, Carmen 96 – Schlink, B., Heimat als Utopie, Frankfurt am Main 2000.

Kosel, Franz-Josef 55 Stuwe, Peer Christian 4, 21, 99 – Schmitt-Roschmann, V., Heimat. Neuentdeckung eines verpönten Gefühls, Gütersloh 2010. Kronenberg, Manfred 113 ff Stuwe, Thomas 16 – Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hg.), Krummel, Annemarie 35, 59 Thierry, Paul 27, 69, 90 Immer bunter. Einwanderungsland Deutschland, Bonn 2014.

Krummel, Otto 30 Tudorf, Nicci 85 – Ühlein, H., Heimaten. Ein Essay, in: Münsterland. Jahrbuch des Kreises Warendorf 65 (2016) 172 f. Krummel, Theora 31, 58, 102 Willenbrink, Ulrike 26, 87 Langenstroth, Maria 33, 103 Wörtler, Ludger 50, 86 116 | 117 DANK

Unser großer Dank gilt allen Künstlerinnen und Künst- lern für ihre Teilnahme an den Jahresausstellungen 2014 bis 2016. Wir danken des Weiteren den Jurymitgliedern für die jeweils differenzierte Auswahl und dem gesamten Team des Museum Abtei Liesborn für die erfolgreiche Kooperation im Rahmen der drei Ausstellungen. Für die finanzielle Förderung danken wir in besonde- rer Weise den Sparkassen im Kreis Warendorf sowie der Kulturabteilung des Landschaftsverbandes West- falen-Lippe und der Firma L.B. Bohle aus .

S Sparkassen im Kreis Warendorf

Ausstellung 2014, Museum Abtei Liesborn IMPRESSUM

Diese Publikation erscheint anlässlich der Ausstellungen zum Thema Heimat des Kreiskunstvereins Beckum-Warendorf e.V. in den Jahren 2014 bis 2016. Museum Abtei Liesborn, -Liesborn

Herausgeber: Kreiskunstverein Beckum-Warendorf e.V. www.kreiskunstverein-beckum-warendorf.de

Projektleitung / Redaktion: Silvia Fassel

Konzept / Lektorat: Dr. Hermann Ühlein

Gestaltung: Lasse Schlegel

Fotografie: weitblick medien Heiko Marcher Julia Schwippe (S. 25)

Projektmanagement, Kerber Verlag: Katrin Meder

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Gesamtherstellung und Vertrieb: Kerber Verlag, Windelsbleicher Str. 166–170 33659 Bielefeld Tel. +49 (0) 5 21 / 9 50 08-10 Fax +49 (0) 5 21 / 9 50 08-88 [email protected]

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© 2016 Kerber Verlag, Bielefeld/Berlin, Künstler und Autoren © VG Bild-Kunst Bonn, 2016 für die Werke von Gordon Brown, Richard A. Cox, Barbara Davis, Kathrin Heyer, Ute Hindahl, Michel M. (Michael Lange), Ulrich Möckel, Susanne Nahrath, Katharina Ronge, Werner Schlegel, Peer Christian Stuwe

ISBN 978-3-7356-0242-8 www.kerberverlag.com Printed in Germany