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D L E F T E I N

Y A K Parteianhänger in : Volkssolidarität und Hanf-Parade

LINKE Che Guevaras ungleiche Töchter Die Partei Die Linke möchte ernst genommen werden. Sie muss sich nur entscheiden: Will sie weiter die Apo in den Parlamenten spielen? Oder will sie an die Macht? Ein Besuch bei drei Frauen, die sich einigen müssen. Von Barbara Supp

ektierer, Marxisten, Leninisten, Eine Dunkelrothaarige mit dunkler Stim - Herbst. Sie hat die Grünen knapp über - SPD-Hasser, Chaoten, Kryptokom - me, vom Rauchen möglicherweise; sie holt und führt sogar die Opposition an, Smunisten; die SPD hat viele Wörter fröstelt, es ist kühl draußen. Ein schwie - mit ihren 8,6 Prozent. für Leute wie , sie weiß das, riges Jahr ist vorbei. Sehr schwierig. Sie Es ist die SPD, die das Leben schwierig es ist ein altes Spiel. Sie wüsste auch ein raucht. macht, wieder einmal, aber anders als paar hübsche Wörter über die SPD, aber Die Partei ist nicht tot, das ist es nicht. sonst. Schwierig für die Linke in Nord - die sagt sie jetzt nicht. Es ist dunkel in Die Linke hat überlebt, hat nicht allzu rhein-Westfalen jedenfalls, also für Ulla Münster, Jelpke ist draußen und raucht. viel verloren bei der Bundestagswahl im Jelpke und ihre Leute.

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Denn jetzt sagt die SPD plötzlich: Sie Hat sich die Linke geändert? Wird sie ser als die üblichen Figuren, die sonst könne sich vorstellen, in absehbarer Zeit es tun? Wird sie einen ähnlichen Weg wie übermächtig in der Öffentlichkeit stehen. und unter bestimmten Voraussetzungen die Grünen gehen? Wird sie Traditionen Es lohnt sich, sich mit ihnen zu beschäfti - mit der Linkspartei zu koalieren. Eine und Glaubensbekenntnisse beiseiteräu - gen, will man den Charakter, die Grund - der Voraussetzungen war, dass die Chao - men, wenn die den Zugang zur Macht konflikte, die Widersprüche der Links - ten vernünftig werden. blockieren? partei verstehen. Regieren? Soll man das wollen? Ulla Jelpke möchte sich nicht als war mal Leistungsschwim - Drinnen ist Party, mit Partisanen - Sektiererin oder Chaotin sehen, aber merin, jetzt fährt sie viel Rad. Eine Frau liedern und Che-Guevara-Keksen und dass sie eine von denen ist, die SPD- mit Bürstenhaaren, zäh und durchtrai - Plakaten an der Wand, die Merkel, Politikern auf die Nerven gehen, das niert, die kurz nach der Bundestagswahl Trittin und Steinbrück als Militaristen und weiß sie schon. Als Innenpolitische Spre - auf einem Podium steht und sich als „Teil Rüstungsexporteure schmähen. Drinnen cherin der Linken-Bundestagsfraktion. einer Kompromisslösung“ beschreibt. Es spricht ein Mädchen im schwarzen Nie - Als Mitglied einer strikt antimilitaristi - ist Landesparteitag in Magdeburg, drei tendress das Wort „Kompromisse“ so schen Strömung namens Antikapitalisti - Tage zuvor wurde Sitte zur Parlamenta - aus, als ob es gleich brechen müsste, sche Linke (AKL), die, einem Grundsatz - rischen Geschäftsführerin der Linken ge - und ein Junge im Kapuzenhemd macht papier zufolge, das kapitalistische System wählt. Es gab Streit darum, um alle sich Sorgen um , die „in Frage stellen, angreifen und letztlich Posten gab es Streit, aber Sitte sagt den sei inzwischen ja schon sehr, aber wirk - überwinden“ will. Als Genossin, der zu - Delegierten, „wenn wir das nicht hin - lich sehr in die politische Mitte gerückt. allererst das Wort „Anbiederung“ ein - bekommen hätten, dann hättet ihr uns Die seltsame neue Offenheit der SPD fällt, spricht man von Kontaktversuchen den Arsch versohlt“. ist Partygespräch bei der Hinten im Saal ballt sich Linken. die Jugend, Mädchen mit „Das kann man nicht Strickmütze und Jungs mit ernst nehmen.“ antifaschistischem Kapuzen - „Sie werden das nicht hemd, sie führen leise Fach - machen.“ gespräche, als Petra Sitte ins So reden sie. Und den - Mikrofon sagt, dass sie für ken fieberhaft darüber Rot-Rot-Grün sei, „als Mit - nach, was sie tun sollen, tel zum Zweck“. Die da hin - wenn die SPD tatsächlich ten sehen das nicht so. meint, was sie sagt. Ein Junge geht nach vorn Es ist ein merkwürdiger und zitiert Marx und will Moment, eine Zäsur, so „die rücksichtslose Kritik al - fühlt es sich an. Nicht nur les Bestehenden“, die SPD für die Linken, auch für den sieht er als „gekaufte Lob -

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Parlamentarische Geschäftsführerin Sitte S noch in der Berliner Repu - I den jetzt gleich niederge - R H blik. Als die Grünen regier - C stimmt, egal. ten, spielten linksradikale Die Delegierten sind in Positionen in der Partei prak - Sie haben sich schnell von der DDR distanziert. ihrer Mehrzahl nicht jung, tisch keine Rolle mehr. Dann sie haben die DDR erlebt kam die Linkspartei, eine Neuer Staat, neues Glück. und für deren Ende bezahlt. Kombination aus ostdeut - Unterschiedlich schnell, un - scher PDS und westdeutscher „Wahlalter - ihrer Parteiführung in Richtung SPD – terschiedlich scharf haben sie sich von native Arbeit und Soziale Gerechtigkeit“, ein Verhalten, sagt Jelpke, das sie „ner - der DDR distanziert. Manche trauern im - und der Rest der Republik ging davon aus, vig“ finde. mer noch. Andere waren schnell bei dem der linke Spuk sei bald wieder vorbei. „Na ja“, sagt , Parteiche - Gedanken: neuer Staat, neues Glück. Sie Für den Rest der Republik war sie die fin der Linken, „klar gibt es bei uns Leute, wollen regieren. Sie fühlen sich wohl auf Partei der ewigen Reizfiguren, Gysi, La - die ihre Rolle darin sehen, auf die Bremse Parteitagen wie diesem, wo Sätze fallen, fontaine, Wagenknecht, Bartsch, ein zer - zu treten. Eine Sprecherin der AKL hat die an früher erinnern: „Die erste Schicht strittener Haufen, dem man gelassen da - da eine andere Rolle als ich.“ des Tagungspräsidiums verabschiedet sich bei zuschauen konnte, wie er sich zerlegt. „Na ja“, sagt Petra Sitte, Abgeordnete in die Mittagspause und bedankt sich für Für brave Sozialdemokraten waren es so - aus Sachsen-Anhalt und Parlamentari - die gute Disziplin.“ wieso die Leute, die man links liegenließ. sche Geschäftsführerin der Linken, „diese Sie „stehen bereit“ für Rot-Rot-Grün, Wegen ihrer Ideen – raus aus der Nato, Strömungen da, Antikapitalistische Linke besagt der „Dringlichkeitsantrag“, der weg mit Hartz IV. Und wegen des Perso - und Sozialistische Linke und was weiß zur Abstimmung steht. nals, wegen der PDS, die ja früher mal ich noch alles, ich kann das gar nicht recht Sie waren der Staat, und sie wären es SED hieß, wegen der Sektierer und Chao - unterscheiden. Muss ich auch gar nicht gern wieder. Politik, das unterscheidet sie ten in den westlichen Landesverbänden – wissen, bei dem, was ich tue.“ von den Jungen da hinten, besteht für sie und wegen Lafontaine, des Verräters, der Jelpke, Kipping und Sitte gehören aus Gremien, Konferenzen, Tischvorla - die SPD verlassen hatte und nach links derselben Partei an, was manchmal ver - gen, nicht aus Straßenprotest. außen übergelaufen war. wundert, wenn man sie reden hört. Drei Sie sind der Petra-Sitte-Flügel der Partei. Das gilt offenbar nicht mehr, weswegen Frauen, drei Gesichter der Linken – sie An einem windigen Tag läuft Petra Sit - sich nun neue Fragen stellen. repräsentieren diese Partei vielleicht bes - te über den Marktplatz von Halle, eine

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Gestalt in orangefarbener Allwetterjacke, sie fand: „Sie würden eine gute Sozial- Petra Sitte sagt: „Hass? Ich habe das sie parkt ihr Rennrad am Roten Turm, demokratin abgeben.“ Sie lacht. auch so erlebt. Ich weiß noch, wie ich zu packt Broschüren aus und spricht Passan - Wenn sie über Parteigrundsätze wie meiner Mutter sagte: ,Ich glaube, wir has - ten an. Ein dreiköpfiges Team vom MDR Pazifismus und die Ablehnung der Nato sen uns. ‘ Zu dem Zeitpunkt war das wohl ist auch da, mit Mikrofon und Kamera, spricht, die ja bei der Zusammenarbeit auch so.“ aber die sind nicht auf der Suche nach mit der SPD im Wege stünden, dann hört Ulla Jelpke sagt: „Es war furchtbar. der Linken, sondern nach dem Glück. sich das so an: „Das muss man politisch Aber Hass ist der falsche Ausdruck. Dass Der deutsche „Glücksatlas“ ist gerade aufschließen, um Entwicklungen möglich es einen Machtkampf gab, ist klar.“ erschienen, und im Vergleich der Bundes - zu machen. Da braucht es einen Diskus - Katja Kipping sagt: „Es war eine zu - länder steht Sachsen-Anhalt auf dem vor - sionsprozess in den Parteien.“ Mit ande - tiefst aufgeladene Situation.“ letzten Platz. Der MDR befragt Hallenser. ren Worten: Reden lässt sich über alles. Kipping wurde auf jenem Parteitag in Wie kommt das? Was tun? Es gibt Sätze von ihr über die West - Göttingen zur Parteichefin gewählt, und Wer das Glück sucht, der könnte einer linken, die im „Oppositionsdenken“ ver - um die Wahl des männlichen Parteichefs Empfehlung der vorbeifahrenden Stra - haftet seien und noch lernen müssten, mit gab es einen denkwürdigen Eklat. Der ßenbahn folgen, die für Lotto Sachsen- einer „gestalterischen Partei“ umzuge - Ostreformer kandidierte Anhalt wirbt („Dem Glück ein Stückchen hen. Ein bisschen herablassend von Ost gegen den Westlinken ; näher“), oder der Wurstbude hinter dem nach West, so hörte sich das an. Bartsch verlor, und seine Niederlage wur - Roten Turm („Don’t Worry, Be Curry“) Man blickte einigermaßen verwundert de gefeiert, von ein paar Siegern aus dem oder eben Petra Sitte mit ihren Bro - aufeinander, damals, 2007: hier die ost - Westen. Mit dem Absingen der Interna - schüren. deutsche PDS, entstanden aus einer tionale und einer Straßenparole, die sonst Es läuft nicht schlecht für im Antifa-Kampf den Rech - die Linke in ihrem Land, ten gilt: „Ihr habt den Krieg aber es lief schon besser. verloren.“ Sachsen-Anhalt hat prozen - Es war der jähe Ausbruch tual weniger Wohlstand, einer alten linken Krank - mehr Abwanderung, mehr heit: der Selbstzerflei - Arbeitslose als der Durch - schung im Streit um den schnitt der ostdeutschen besseren Weg zur besseren Länder, und bei der Bun - Welt. In Göttingen sah es destagswahl 2009 war die so aus, als sei es vorbei. Als Linkspartei stärkste Kraft sei die Linke gescheitert, als im Land. Das ist sie nicht gesamtdeutsche Partei. mehr, nur noch zweitstärks - So ist es nun doch nicht, te, sie hat achteinhalb Pro - Katja Kipping sitzt als zentpunkte verloren. Ihre deren Chefin bei Beuteltee

Wähler seien vor allem zu L im Karl-Liebknecht-Haus, E G E I

den Nichtwählern überge - P jenem historischen Bau, in S

R laufen. Viele denken offen - E dem schon KPD-Chef Ernst D

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bar: Linke wählen oder gar T Thälmann saß und die R E K

nichts mehr. R „Rote Fahne“ gedruckt wur - U B

Sitte, das Rennrad am N de und der Polit-Künstler A I T

Innenpolitische Sprecherin Jelpke S Arm, führt ins Schlachthof - I John Heartfield unterm R H viertel, wo sie seit 1979 C Dach ein Atelier hatte. wohnt, Einraumwohnung, Links sein: Das hieß kämp - „kleine Bude, viele Bü - Sie kommt von den westlichen Linksintellektuellen, fen, damals. cher“, die Eltern leben in Später in der DDR: Da Berlin, der Freund im Wes - die sich Marx als Buchstütze aufstellen. hieß es brav sein. Staats - ten, sagt sie; sie verbringt tragend. verflixt viel Zeit mit der Politik. Petra Sit - ehemaligen Staatspartei; da ein west - Was ist links, heute? te war 20, als sie in die SED eintrat, sie deutsches Konglomerat aus enttäuschten Katja Kipping, 1978 geboren, war elf, war in der FDJ-Kreisleitung, hier in Halle, Gewerkschaftern, enttäuschten Sozial - als die Mauer fiel. Klassensprecherin, wo sie Ökonomie studierte und promo - demokraten, enttäuschten Grünen, aus Schulsprecherin, Umweltgruppe, dann vierte, und sie blieb in der Partei, über Alt linken mit K-Gruppen-Geschichte und Studentenproteste an der Uni, Proteste die Wende hinweg. Globalisierungskritikern aller Art. wegen Hartz IV. Eine neue Generation Sie sagt, Politik sei ihr in die Wiege ge - Es gibt eine Anekdote aus jenen Tagen, also. legt worden, von den Eltern her, und den als man aufeinandertraf, ehemalige Was ist links? Fundamentalopposition? Großeltern. In der SED sei sie geblieben, Staatsdiener und ehemalige Freaks. Man Pragmatismus? weil sie es billig fand, „dass viele Dozen - stellte sich vor. Die SPD öffnet sich ja nicht für die Lin - ten, die mir eben noch die Ewigkeitsga - Stimme aus dem Osten, ein Polizist: ke, weil sie plötzlich so freundlich über rantie des Sozialismus begründet hatten, „Ich komme aus der Drogenkriminalität.“ die Genossen links außen denkt. Sigmar plötzlich anderer Meinung waren“. Stimme aus dem Westen, kein Polizist: Gabriels Ansage auf dem SPD-Parteitag Petra Sitte ist eine von denen, die früh „Ich auch. Is’ aber verjährt.“ im November folgte schierem Machtkal - schon mit der SPD kooperiert haben, als Da war’s noch lustig, in Göttingen dann kül: Mit einer rot-grünen Mehrheit im Fraktionschefin im Landtag, als Mitver - nicht mehr. Bund ist auf absehbare Zeit nicht zu rech - antwortliche für das sogenannte Magde - Göttingen: Das war der Parteitag vor nen. Um Merkels Macht doch noch zu burger Modell. Seit mehr als zehn Jahren anderthalb Jahren, als von brechen, braucht die SPD eine Option sagt sie: „Regieren ist besser als tolerie - „Hass“ sprach. Von „zwei Lokomotiven, auf Rot-Rot-Grün. ren.“ Sie erzählt unbefangen von den lo - die aufeinander zurasen“. Von einer Par - Also wird sich der Druck auf die Links - benden Worten, die ein SPD-Genosse für tei, die am Auseinanderfliegen sei. partei verstärken, sich dem anzupassen,

56 ! "  7/2014 Gesellschaft was die SPD unter „Regierungsfähigkeit“ bittere Kritik an der Präambel des quemer so. Nun steht man auf Partys wie versteht. Mit lauter Petra Sittes wäre das Europa papiers, es heißt da, die EU sei in Münster herum und fragt sich, ob man möglich. Aber ein bisschen langweilig „neo liberal, militaristisch, weithin unde - jemals ja sagen darf. Millionärssteuer, vielleicht, oder nicht? mokratisch“. Katja Kipping distanziert Mindestrente, Mindestlohn, Mindestsiche - Kipping sagt, sie hoffe, „dass wir nie - sich nun davon. rung: Da sind womöglich Kompromisse mals eine Partei ohne kritischen Wider - Ulla Jelpke sagt: „Natürlich“ müsse denkbar. Beim Pazifismus ist das anders. spruchsgeist werden“. Ja doch, sie steht man die EU so charakterisieren. Das Ab - Selbstverständlich will Ulla Jelpke raus einer merkwürdigen Partei vor, „Volks- solute verlangen: Das ist sie gewohnt. aus der Nato. Sie sagt: „Friedenspolitik: solidarität und Christopher Street Day, Es ist nicht üblich, dass im Vorzimmer Das ist der Knackpunkt. Da brauche ich Schrebergarten und Hanf-Parade“. Sie einer Bundestagsabgeordneten Genosse gar nicht lange zu diskutieren. Da kann ist bemüht, die Strömungen der Partei Lenin grüßt, lebensgroß als Plakat; bei es keinen Kompromiss geben. Ein biss - zu einem Reichtum zu erklären, das tat Ulla Jelpke ist das so. Es ist ein ironischer chen Frieden und ein bisschen Krieg – sie auch auf dem Parteitag in Magde - Leninismus, mehr Zitat als Propaganda, das geht nicht.“ Sie fürchtet das Vorbild burg. ein Zeichen, das besagt: Wo ich herkom - der Grünen. Jener Partei, die von Grund Katja Kipping sagt, sie glaube, dass die me, war Lenin nicht Staatsräson, sondern auf pazifistisch war, aber dann doch ent - Ost-West-Konfrontation in der Partei an subversiv. schied, für den Kosovo-Krieg zu sein, als Bedeutung verliere. Sie verweist auf die Sie kommt aus der Welt der westlichen sie endlich Teil einer rot-grünen Regie - jungen Leute in Magdeburg, die genauso Linksintellektuellen, in der man sich rung war. gut auf Ulla Jelpkes Party in Münster auf - Marx als Buchstütze aufstellt und die Jelpke sagt, sie habe in keiner wichti - gehoben wären. blauen Marx-Engels-Bände mit den Jah - gen Sache „eine 180-Grad-Wende ge - Sie erzählt, dass sie vor macht“, darauf ist sie stolz. dem Studium in Russland Schon 20 Jahre lang, mit war, in St. Petersburg, dort kurzer Unterbrechung, sitzt habe sie, als Konfessions- sie im und quält lose, für die Jugendgruppen die jeweilige Regierung mit von Mönchen Spenden ak - ihren Kleinen Anfragen quiriert. und ihren radikalen Reden, Ideologische Grenzen sie kennt das Stöhnen: Jetzt überwinden, das beherrscht kommt die Jelpke schon sie also, eine Fähigkeit, die wieder mit ihrem Repres - ihr nun nützen kann im sionsapparat. neuen Amt. Die Mönche in Als ein „Asylbewer - ihrer Partei: So könnte man berleistungsgesetz“ einge - Jelpke und ihre Leute nen - bracht wurde, das ihr nicht nen. Die Konfessionslosen gefiel, hackte sie ausführ - wären dann Sitte und ihre lich auf dessen „purem Ras - Fraktion. sismus“ herum und wartete Es geht ja nicht nur um darauf, dass das Präsidium Parteikader, um die Wähler sie aus dem Saal weisen geht es auch. Wie hält man würde, was zu ihrem Be - diejenigen in der Politik, dauern nicht geschah. Als

die sonst gar nichts mehr Parteivorsitzende Kipping O George Bush Jr. zum The - G A M glauben, die den Staat und I ma Krieg im Bundestag die Demokratie schon fast sprach, in Afghanistan stan - aufgegeben haben? Indem Sie steht einer merkwürdigen Partei vor, den schon westliche Trup - man kleine Kompromisse pen, im Irak noch nicht, aushandelt und kleine Maß - „Schrebergarten und Christopher Street Day“. hielt sie ihm mit zwei ande - nahmen trifft? Oder indem ren zusammen ein Transpa - man den Glauben am Leben erhält: Da ren nicht entsorgt, sondern auf den Dach - rent entgegen: „Mr. Bush + Mr. Schröder: ist eine Partei, die sich treu bleibt und boden geräumt hat; bei so manchem ka - Stop Your Wars“. Woraufhin sich ihr da - niemals ans Nachgeben denkt? men sie jetzt, mit der Finanzkrise, wieder maliger Fraktionschef bei Bush entschul - Kipping muss moderieren, wenn das zurück ins Regal. digte. geht. Es hilft, sagt sie, „dass Bernd Rie - Sie war im Hamburger Kommunisti - Sie ist eine Apo im Parlament, und viel - xinger und ich Leute sind, die ihr Ego schen Bund, einer undogmatischen K- leicht ist es ja gerade das, wofür man im auch mal zurückstellen können“. Gruppe mit feministischem Touch. Ge - Parlamentarismus Leute wie sie braucht: Es ist friedlicher jetzt, ruhiger, in der lernte Friseurin, Kontoristin, Buchhänd - Waden beißen, insistieren, Fakten ermit - Partei und der Fraktion. Aber man kann lerin und schließlich Soziologin auf dem teln über Kleine Anfragen, die ja beant - nie sicher sein, dass der Streit nicht wie - zweiten Bildungsweg; mit dem Absterben wortet werden müssen. Vielleicht ist die der aufflammt. der K-Gruppen fand sie zu den Grünen, Linke da ganz gut aufgehoben, in der Op - So wie jetzt im Vorfeld des Europa - und so saß sie dann für die GAL in der position, als scharfe Kritikerin der Ver - parteitags, der an diesem Wochenende Hamburger Bürgerschaft und strickte hältnisse – ohne in den Verhältnissen auf - in bevorsteht; wieder so ein Ter - Männerpullover, der Bedarf war groß zugehen. min, auf dem Ausbrüche vorkommen damals, und betrieb möglichst radikale Politik ist Protest: So sieht es der Ulla- könnten, die man wegmoderieren muss. Politik. Dann verloren die Grünen die Jelpke-Flügel der Partei, und auf den wird Laut Programmentwurf soll aus den mili - Radikalität, die sie schätzte, und Jelpke es ankommen, wenn es so weit ist. Wenn tärischen Strukturen der Nato ausgetre - ging zur PDS. die SPD tatsächlich vor der Tür steht. Auf ten werden, was einige Reformer ableh - Dort, und auch in der Nachfolgepartei, die Zweifler und Kritiker, die eben nicht nen; dies sei hinderlich für Rot-Rot-Grün. war man auf Bundesebene bisher sicher der Meinung sind, Opposition sei grund - Reformer, allen voran Gregor Gysi, übten vor Angeboten der SPD. Es war auch be - sätzlich Mist.

58 ! "  7/2014 „Alle wollen regieren, wir wollen ver - ändern“, hat „Die Linke. NRW.“ auf ein rotes Transparent geschrieben, es hängt im rotbeleuchteten Kulturhaus von Herne, das sich an einem kalten Tag in diesem Winter mit Delegierten füllt, unter Gesän - gen der Toten Hosen: „Es kommt die Zeit, in der das Wünschen wieder hilft.“ Man kann ahnen, bei vielen, die da kommen, dass ihr Leben Wünsche offen - lässt. Bei manchen sieht man’s, bei man - chen hört man’s, in kleinen Dialogen: „Ich bin ja jetzt in Rente.“ „Und, reicht es?“ „Nein.“ Sahra Wagenknecht, ein Schneewitt - chen im perfekten schmalen, roten Kos - tüm, schreitet zum Podium, sie sagt, es sei eine „Dreistigkeit“, von der Linken zu verlangen, sie müsse sich ändern, nein, sagt sie, die anderen müssen sich bewe - gen, „die SPD hat eine Bringschuld!“ Sie wolle niemandem die rot-rote Hoffnung nehmen, aber doch „Wein ins Wasser gie - ßen“, äh, andersherum, sie korrigiert sich. Sie glaube auf jeden Fall, der gesellschaft - liche Druck reiche noch nicht aus dafür, die Gegenwehr im Kapitalismus sei noch zu gering. Stehende Ovationen. Sie geht dann bald. Die anderen reden über kommunal - politische Leitlinien. Über Hebesätze der Grundsteuer B, Minimierung der Abwas - serbelastung, Bestattungsformen für Mus - lime. Über „Gesundheit als Menschen - recht“, auch das wird so beschlossen. Über Duisburg reden sie nicht. Über die rot-rot-grüne Kooperation dort im Stadtrat, die eine harte Haushaltssanie - rungspolitik mitträgt und deshalb bitter umstritten ist. Man könnte daran exem - plarisch untersuchen, was geht und was nicht geht in solchen Koalitionen, aber sie sprechen es nicht aus, sie beschweigen es wie ein schmutziges kleines Geheimnis. Welche Botschaft hat Duisburg? Regie - ren? Nicht regieren? Ulla Jelpke hat den Antrag gegen „ein Europa der Banken“ miteingebracht, ist aber krank, verpasst den Parteitag, liegt im Bett und macht sich Gedanken. Sie sei „keine grundsätzliche Gegnerin einer Regierung“, sagt sie inzwischen, wenn man sie danach fragt. Sondern „nur dann, wenn es Kompromisse gibt, die mit dem Programm der Linkspartei über - haupt nichts mehr zu tun haben“. Tragbare Kompromisse. Was Leute wie sie darunter verstehen, kann darüber ent - scheiden, wer Deutschland regiert. Innenministerin Ulla Jelpke? Ein schrä - ger Gedanke. Innenministerin Petra Sitte? Das würde womöglich gar funktionieren.

Animation: Die Geschichte der Linkspartei spiegel.de/app72014linke oder in der App DER SPIEGEL

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