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DISDezember 2010 PUT

Klaus Ernst: Es liegt an uns. Politik für soziale Gerechtigkeit, mehr Demokratie und Frieden Widerstand: An der Seite der Betroffenen. Versuch einer ersten Bilanzierung DIE LINKE in Nordrhein-Westfalen: Hort des Wahnsinns? Umfrage: Gut, besser, DISPUT? Welche Parteimedien wünschst du dir? Reederei und reine Leere – der stillose Jahresrückblick 2010

Stuttgart, 11. Dezember: Der Widerstand gegen den Milliardenbau »S 21« geht weiter. © Stefan Richter © Stefan Liebe Genossin, lieber Genosse! Deine Meinung ist gefragt. Wünschst du ein bundesweites Mitglieder- magazin? Welche Themen sind dir wichtig? Wie zufrieden bist du mit DISPUT? Seite 17

ZAHL DES MONATS 4 PARTEI 29 ENTWICKLUNGSPOLITIK : Es liegt an uns Klimaschutzpolitik nach Art des Hauses Niebel 2011 5 KOMMENTIERT Hamburg wählt 30 ZITATE Im Kalender 2011 stehen wichtige Reederei und reine Leere – der stillose Wahltermine: (voraussichtlich) 6 PRESSEDIENST Rückblick 2010 20. Februar: Hamburg, 20. März: 7 FEUILLETON Sachsen-Anhalt, 27. März: Baden- 32 BERICHT Württemberg und Rheinland-Pfalz, 8 WIDERSTAND Der fl iegende Teppich der Grünen 22. Mai: Bremen, voraussichtlich An der Seite der Betroffenen 4. September: Mecklenburg-Vorpom- 34 WIDERSTAND mern, 18. September: . 10 WIDERSTAND gegen »Stuttgart 21« Rote Karte für Sozialabbau Dazu Kommunalwahlen in Hessen 36 DEBATTE (27. März) und Niedersachsen 12 LANDESVERBAND Strömungen als Chance verstehen (11. September). DIE LINKE in NRW: Hort des Wahnsinns? 38 INTERNATIONAL 13 DEMNÄCHST San Juan Chamula: Maya-Traditionen in der mexikanischen Kleinstadt 14 KREISVERBAND Rheingau-Taunus und die thürin- 41 DEBATTE gischen Freunde Programm, Produktivkräfte, Produkti- onsverhältnisse 15 WAHL ’11 ZITAT Warum der Kinderarzt 42 BRIEFE Lothar Schuchmann kandidiert 43 SOLIDARITÄT Heute haben die Regierungsfrakti- Eine Partei auch für Festtage onen im den neuen 16 KOMMUNAL Ein Jahr Rot-Rot-Grün in Saarbrücken Hartz-IV-Regelsatz beschlossen. 44 INTERVIEW Schwarz-Gelb nutzt Rechentricks 17 UMFRAGE »Nur kleinliche Geister fi nden so etwas und Abschläge, um das Existenzmi- Gut, besser, DISPUT? Welche Partei- zweifelhaft« nimum kleinzurechnen. Dabei geht medien wünschst du dir? es nicht nur um Tabak und Glücks- 46 BÜCHER 19 RENTE spiele. Es werden ein Drittel der 47 DEZEMBERKOLUMNE Ausgaben der Ärmsten nicht als Schön, schöner, geschönt – der erste »regelsatzrelevant« anerkannt. Prüfbericht zur Rente erst ab 67 48 SEITE ACHTUNDVIERZIG Dazu gehört u. a.: das Halten von 20 PFLEGEVERSICHERUNG Haustieren – gestrichen. Geld für Röslern nach Riesterart das Benzin, um die Oma im entle- genen Dorf zu besuchen – gestri- 21 DOKUMENTIERT chen. Übernachtung selbst auf dem 22 STIFTUNG billigsten Campingplatz – gestrichen. Analyse, Bildung, Austausch: Das Glas Bier oder den Glühwein zu die Rosa-Luxemburg-Stiftung Weihnachten – gestrichen. Selbst der Weihnachtsbaum – gestrichen. 24 ANTIFASCHISMUS Was Schwarz-Gelb hier treibt, ist In Dresden, Februar 2011: Existenzminimum-Dumping! Nazis blockieren! , 3. Dezember

26 EUROPÄISCHE LINKE Friedmann © Ronald Stabwechsel mit Aktionsplan Mexiko – ein Land der Widersprüche, 28 MEDIEN vor allem auch der Traditionen. Die LiMa regional Seite 38

IMPRESSUM DISPUT ist die Mitgliederzeitschrift der Partei DIE LINKE, herausgegeben vom Parteivorstand, und erscheint einmal monatlich über Neue Zeitungsverwaltung GmbH, Weydingerstraße 14 – 16, 10178 Berlin REDAKTION Stefan Richter, Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin, Telefon: (030) 24 00 95 10, Fax: (030) 24 00 93 99, E-Mail: [email protected] GRAFIK UND LAYOUT Thomas Herbell DRUCK MediaService GmbH BärenDruck und Werbung, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin ABOSERVICE , Druckerei und Verlag GmbH, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin, Telefon: (030) 29 78 18 00 ISSN 0948-2407 REDAKTIONSSCHLUSS 13. Dezember 2010 DER NÄCHSTE DISPUT 20. Januar 2011

INHALT DISPUT Dezember 2010 02 MATTHIAS GRUBER Der gelernte Geigenbauer, 31, verheiratet und Vater von drei Kindern, spielt ge- sellschaftlich auf unterschiedlichen »Instrumenten«. Er ist Kreistagsabgeord- neter, Mitglied im Stadtrat von Klingenthal (Sachsen), betreut das Online-Ange- bot seines Ortsvereins, engagiert sich für Freie Software und Open Source, ist Mitglied der IG Metall, von Attac und des Bundesausschusses der LINKEN. © privat

Was hat dich in letzter Zeit am meisten überrascht? Die beeindruckende Größe und Mächtigkeit des Erfurter Doms.

Was ist für dich links? Den Menschen positiv zu sehen, seine Potenziale freizusetzen, anstatt seine negativen Eigenschaften als Motivation zu benutzen. Konsequent aufseiten der Unterdrückten zu stehen, die Überzeugung, dass eine bessere Welt machbar ist, sowie das starke Bewusstsein für Solidarität und Mitgefühl.

Worin siehst du deine größte Schwäche, worin deine größte Stärke? Ich rede zu viel und höre zu wenig zu – sagt meine Frau zumindest. Ich bin ein Allrounder.

Was war dein erster Berufswunsch? Ich wollte Schnitzer werden. In der Nachbarschaft wohnte ein Hobbyschnitzer, welcher seine Kunstwerke im Fenster ausstellte. Ich war davon so begeistert und blieb immer wieder stehen, um sie mir anzusehen. Das hat er mitbekom- men und mir sein Gesellenstück geschenkt. Ich war so stolz ...

Wie sieht Arbeit aus, die dich zufrieden macht? Wenn ich genug verdiene, dass ich davon leben kann, wenn die Arbeit sinnvoll erscheint, meine Begabungen fordert, mich immer wieder neu lernen und mir genug Freiraum lässt.

Wenn du Parteivorsitzender wärst ...... würde ich mehr Humor verordnen.

Was regt dich auf? Wenn ich erlebe, dass Menschen lieber ihre eigene Ausbeutung ertragen, resignieren und nicht für ihre Rechte kämpfen. Und wenn Genossen das Kind mit dem Bad ausschütten.

Wovon träumst du? Mit einer Zeitmaschine durch die Geschichte zu reisen und mit Jean Luc Picard durch den Weltraum.

Wofür gibst du gerne Geld aus? Für Bücher und Technik.

Müssen Helden und Vorbilder sein? Ja und Nein. Vorbilder sind wichtig, aber wenn sie zu einem Dogma werden, welches die Menschen »versklavt«, fi nde ich Idole weniger hilfreich.

Wann fühlst du dich gut? Wenn ich Zeit und keinen Druck habe. Wenn im Frühling alles grün leuchtet. Wenn ich am Meer steh’ und mir der Wind ins Gesicht bläst.

Wo möchtest du am liebsten leben? Am Meer

Wovor hast du Angst? Vor Krieg

Welche Eigenschaften schätzt du an Menschen besonders? Humor, Ehrlichkeit, Einfühlungsvermögen, Solidarität, Standhaftigkeit.

Wie lautet dein Lebensmotto? »Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.« (Immanuel Kant)

30 DISPUT Dezember 2010 FRAGEZEICHEN Es liegt jetzt an uns allen Politik für soziale Gerechtigkeit, mehr Demokratie und Frieden Von Klaus Ernst

Der Wechsel hin zu einer Politik der konstruktiv an unserem gemeinsamen werden wir die über zweijährigen Ar- sozialen Gerechtigkeit, der Demokra- Programm mitzuarbeiten. Gleichzeitig beiten an unserem Programm abge- tie und des Friedens ist und bleibt die werden wir mehrere öffentliche »Rat- schlossen haben. Dabei muss es unser Aufgabe der LINKEN auch im Jahr 2011. schläge« veranstalten, die sich mit The- Ziel bleiben, unsere Partei in die Ge- Wollen wir die Menschen für einen Po- men und Fragen beschäftigen, bei de- sellschaft hinein attraktiv zu machen litikwechsel gewinnen, dann sind an- nen sich im bisherigen Debattenverlauf und die Menschen zum Mitmachen zu dere gesellschaftliche und parlamen- gezeigt hat, dass wir an der einen oder bewegen. Nur dann werden wir erfolg- tarische Mehrheiten notwendig. Die anderen Stelle unsere Positionen noch reich sein können. Unzufriedenheit mit den herrschenden justieren müssen. Außerdem wollen Zugleich fi nden von Februar bis Sep- Zuständen und der herrschenden Poli- wir zudem intensive Gespräche mit Ge- tember sieben Landtagswahlen und tik muss in eine Aufbruch- und Wech- werkschaften, Sozialverbänden, sozi- mehrere Kommunalwahlen statt. DIE selstimmung münden. Das nächste alen Bewegungen sowie Wissenschaft- LINKE kämpft hier in unterschiedlichen Jahr ist deshalb in vieler Hinsicht ein lerInnen, MedienvertreterInnen und Ausgangskonstellationen und mit un- wichtiges und zentrales Jahr für DIE KünstlerInnen über den Programment- terschiedlichen Wahlzielen für einen LINKE. Die Arbeit an unserem neuen Grundsatzprogramm, die Wahlkämp- fe 2011, die Projekte der Parteientwick- lung und die zentralen politischen Vor- haben der Partei markieren die zentra- len Wegmarken hin zu einem anderen Gesellschaftsmodell. Dies kann aber nur durch innerparteiliche Geschlos- senheit und gemeinsam mit außerpar- lamentarischen Kräften gelingen. Un- sere Aufgabe ist es deshalb, gemein- sam mit Gewerkschaften, Nichtregie- rungsorganisationen, Verbänden und Bürgerinitiativen den Protest an der herrschenden Politik deutlich zu ma- chen und in den Betrieben, Vereinen und im alltäglichen Leben für unsere Positionen zu kämpfen. Nur dann kann DIE LINKE ihren Anspruch, ein Motor für ein alternatives Gesellschaftsmo- dell jenseits des Finanzkapitalismus zu sein, verwirklichen. Mit der Verabschiedung des Partei- programms durch den Mitgliederent- scheid 2011 wird die nächste Etappe im Aufbau unserer neuen Partei ab- geschlossen. Unser Anspruch muss es sein, ein Programm zu verabschie- den, das im Mitgliederentscheid eine große Zustimmung bei unseren Mit- gliedern erhält und so die program- © DIE LINKE.Niedersachsen matische Identität der neuen Partei In Hannover fand eine der großen Gewerkschaftsdemonstrationen statt. für die Zukunft prägt. Mit dem erfolg- reichen Programmkonvent im Novem- wurf und ihre Erwartungen an ein linkes Politikwechsel und für eine entspre- ber dieses Jahres haben wir einen wich- Parteiprogramm in Deutschland führen. chende Veränderung der parlamenta- tigen Schritt nach vorne gemacht. Da- Auch hier wollen wir die Ergebnisse für rischen Kräfteverhältnisse. Gleichzeitig bei hat sich gezeigt, dass wir trotz man- die weitere Arbeit am Entwurf nutzbar fi nden die Wahlen zu einem Zeitpunkt cher kontroverser Debatten auf dem machen. Im Mai oder Juli soll der Leit- statt, in dem die Regierung Merkel/We- richtigen Weg sind. Das Gebäude steht, antrag durch den Parteivorstand ver- sterwelle unbeliebt ist wie nie. SPD und jetzt gilt es, dass die Mitglieder es mit abschiedet und veröffentlicht werden. Grüne werden, trotz ihres nach wie vor Leben füllen. Wir beginnen deshalb An- Vom 21. bis 23. Oktober wird dann der vorhandenen Glaubwürdigkeitspro- fang Januar mit der elektronischen Pro- Programmparteitag stattfi nden. Mit der blems, von den Medien als die Träger grammdebatte, um möglichst vielen Verkündung des Ergebnisses des Mit- der Oppositionsrolle gefeiert. Insge- Mitgliedern die Möglichkeit zu bieten, gliederentscheides am 18. Dezember samt wächst jedoch das Misstrauen

PARTEI DISPUT Dezember 2010 04 in der Bevölkerung gegenüber der po- erhöhen und eine gute Voraussetzung KOMMENTIERT litischen Klasse. Der Eindruck, dass für einen erfolgreichen Wahlkampf die Parteien an den Problemen vor- 2013 bedeuten. Das wird uns aber nur beireden, nicht mehr wissen, wie das gelingen, wenn wir uns alle bei Veran- wirkliche Leben ist, unhaltbare Ver- staltungen, im Straßenwahlkampf und sprechungen machen und speziell ge- bei der Mobilisierung unserer Wähle- gen die Verursacher der Krise ohne- rinnen und Wähler voll engagieren. Wir hin nichts Entscheidendes durchset- haben in den vergangenen Jahren ein- zen können, ist weit verbreitet. Unse- drucksvoll bewiesen, dass wir dazu in re gemeinsame Aufgabe als LINKE wird der Lage sind! es deshalb sein, den Menschen Ge- Über die Mobilisierung in den Wahl- hör zu verschaffen und konsequent ih- kämpfen hinaus müssen wir aber auch   In Hamburg hat die GAL die ren Forderungen Nachdruck verleihen: dafür sorgen, zentrale Schwerpunktthe- schwarz-grüne Koalition aufge- Weg mit Hartz IV! Für eine deutliche Er- men so konkret wie möglich als poli- kündigt. Deshalb wird es (voraus- höhung der Regelsätze, um ein men- tische Alternativen sowohl zu Schwarz- sichtlich) am 20. Februar vorgezo- schenwürdiges Existenzminimum zu Gelb als auch zu Rot-Grün aufzuzeigen. gene Neuwahlen sowohl zur Bür- garantieren, und einen gesetzlichen Die Schwerpunkte der LINKEN sind be- gerschaft wie auch zu den Bezirks- Mindestlohn von zehn Euro bis 2013. kannt: die Verteilungsfrage, die Sozial- versammlungen geben. Einen Stopp der Rente erst ab 67 und staatsfrage, die Demokratiefrage und Damit wird die Reihe der Land- für Röslers Kopfpauschale im Gesund- die Friedensfrage. Gleichzeitig müs- tagswahlen 2011 an der Elbe er- heitssystem. Einen Abzug der Bundes- sen wir kontinuierlich an unserem po- öffnet. Wir stehen deshalb als DIE wehr aus Afghanistan. Die Verteilung litischen Profi l und neuen Themen ar- LINKE.Hamburg vor der besonde- der Krisenkosten nach dem Verursa- beiten. Das betrifft vor allem die Frage, ren Herausforderung, ein gutes cherprinzip: Steuergerechtigkeit, unter wie wir nach der Krise für den notwen- und die Partei insgesamt moti- anderem durch Einführung einer Millio- digen sozialökologische Umbau neue vierendes Ergebnis zu erreichen. närssteuer! Die Banken und die Super- Impulse leisten können und so für ei- Dafür bestehen gute Vorausset- reichen müssen zahlen! Wir wollen da- nen anderen ökonomischen Entwick- zungen. Nach aktuellen Umfragen bei nicht nur die Themen, sondern zu- lungspfad der Gesellschaft beitragen erreichen wir Zustimmungswerte erst die Betroffenen ansprechen, auch können. Es bleibt dabei: Für DIE LINKE zwischen sechs und sieben Pro- und gerade diejenigen Menschen, die ist die soziale Frage von zentraler Be- zent – eine Zustimmung, die auch in letzter Zeit politisch resigniert haben. deutung. wegen der guten Arbeit von Bür- Dabei ist immer klar: DIE LINKE macht Die fortwährende Integration neuer gerschafts- und Bezirksversamm- Politik, um konkrete Verbesserungen und langjähriger Mitglieder in ein ak- lungsfraktionen und Partei noch zu erreichen. Und sie hat einen klaren tives Parteileben, das Zusammenwach- deutlich Luft nach oben lässt. Standpunkt – an der Seite der Arbeit- sen der Landesverbände bei gleichzei- Die knappe Frist bis zu den nehmerinnen und Arbeitnehmer, Er- tiger Herausbildung regionaler Erkenn- Wahlen stellt uns vor große He- werbslosen, Rentnerinnen und Rent- barkeit ist ein weiteres zentrales Hand- rausforderungen. Wir müssen in ner, Familien, Studierenden, Auszubil- lungsfeld im nächsten Jahr. Wenn wir kürzester Zeit sowohl auf Bezirks- denden und SchülerInnen – gegen die also für die Gewinnung gesellschaft- wie auf Landesebene ein Wahlpro- organisierten Interessen der Konzerne, licher Mehrheiten kämpfen und von gramm erstellen und die Kandida- Besitzer großer Vermögen, der privaten den Menschen als treibende Kraft für tInnen wählen. Und wir wollen in Banken. einen Politikwechsel wahrgenommen einem wirkungsvollen Wahlkampf Es geht aber auch darum, die sozi- werden wollen, dann sind engagierte unsere Position als kritische, lin- alen Proteste im Herbst dieses Jahres, Mitglieder unerlässlich. Dabei gilt es, ke politische Kraft in der Stadt aus- getragen von den Gewerkschaften und die bestehenden Strukturen zu erhal- bauen. Zum neuen Senat – aktuell Sozialverbänden sowie den sozialen ten und gleichzeitig die Handlungsfä- sieht es nach einer Wiederaufl age Bewegungen und Bündnissen, wei- higkeit der Kreisverbände auch in der von Rot-Grün aus – muss es unbe- ter zu verfolgen: Es geht um die Betei- Fläche zu sichern und zu verbessern. dingt eine starke linke Opposition ligung der Arbeitnehmerinnen und Ar- Dabei haben unsere Kreis- und Lan- geben. beitnehmer an den aktuelle Gewinnen desverbände unterschiedliche Heraus- Hamburg ist eine sozial tief ge- der Wirtschaft, den Widerstand gegen forderungen zu bewältigen: Es gilt so- spaltene Stadt. Wir plädieren für die Abwälzung der Krisenkosten auf Er- wohl neue Mitglieder – insbesondere eine Mischung aus Sofortmaßnah- werbslose, Lohnabhängige und Rent- Jüngere und Frauen – zu gewinnen, ak- men gegen die dringendsten sozi- nerInnen und um das Verursacherprin- tive Mitglieder aufzubauen und zu qua- alen Nöte (Armut, Wohnungen) und zip bei den Krisenfolgen und um Steu- lifi zieren, Beitragseinnahmen zu stabi- Investitionen in Bildung, Gesund- ergerechtigkeit statt Sozialabbau. Und lisieren und zu steigern. Mit den vom heit, soziale und öffentliche Infra- es geht um Großprojekte wie »Stutt- Parteivorstand angeschobenen Pro- struktur (ÖPNV) und Wohnungs- gart21« oder die Verlängerung der AKW- jekten »Linke 2020«, »Come together« bau. Zur Finanzierung schlagen wir Laufzeiten sowie um den Kampf gegen und dem Konzept zur Herstellung von Umschichtungen im Haushalt (Ver- die Politik der Privatisierung und für die Geschlechtergerechtigkeit haben wir zicht auf etliche geplante Großpro- Wiedergewinnung der öffentlich orga- dafür erste Schritte unternommen. jekte), einen effektiveren Steuer- nisierten Daseinsvorsorge. Es liegt jetzt an uns allen, ob es uns vollzug und Hamburger Initiativen Ein guter Verlauf des Wahlzyklus’ gemeinsam gelingt, die Vorausset- unter anderem zur Wiedereinfüh- 2011 würde bundespolitisch die anhal- zungen für einen Politikwechsel, für so- rung der Vermögenssteuer vor. tende und wachsende Stärke der LIN- ziale Gerechtigkeit, für mehr Demokra- KEN unter Beweis stellen, ihre entspre- tie und Frieden zu schaffen. Ich bin mir Bernhard Müller, Geschäftsführender chende Wirksamkeit in diesem Rahmen sicher: Wir sind auf dem richtigen Weg. Landesvorstand

50 DISPUT Dezember 2010 PRESSEDIENST

  Bayern: Die bayerische LINKE hat   Baden-Württemberg: Am 20. No- Hamburgerinnen und Hamburgern die auf ihrem Parteitag am 11. Dezember vember wählte Baden-Württembergs Möglichkeit, darüber zu entscheiden, den Gewerkschafter Xaver Merk zum LINKE ihr Spitzenduo zur Landtags- in welche Richtung sich die Stadt ent- neuen Landesvorsitzenden gewählt. Er wahl am 27. März 2011. Der Landespar- wickeln soll. DIE LINKE ist darauf vorbe- erhielt im schwäbischen Asbach-Bäu- teitag in Stuttgart entschied sich für die reitet, kann auf gute Arbeit zurückbli- menheim 56 Prozent der 168 Stimmen. Ethnologin Marta Aparicio aus Stuttgart cken und hat klare Vorstellungen für ei- Ein Abwahlantrag gegen die Landes- und für Roland Hamm von der IG Metall nen Politikwechsel.« vorsitzende Eva Mendl scheiterte klar. in Aalen. Am 21. November nahm die Neue Schatzmeisterin und Nachfolge- Süd-West-LINKE das Landtagswahlpro-   Hamburg II: Der Landesparteitag rin von Ulrich Voß wurde die Regens- gramm an. Schwerpunktthemen sind in Hamburg am 20. November verab- burgerin Gaby Braun. soziale Gerechtigkeit, Gleichberechti- schiedete Leitlinien für eine linke Kli- gung, eine Politik gegen Kinderarmut mapolitik. Darin setzt sich DIE LINKE   Berlin: Der Landesparteitag in und Armutslöhne, für gebührenfreie für den »Erhalt der natürlichen Lebens- Berlin wählte am 27. und 28. Novem- Bildung sowie Rekommunalisierung. grundlagen als Teil sozialen Fortschritts ber einen neuen Landesvorstand. An Ein zentrales Thema soll der Ausstieg für alle« ein. Neben dem sofortigen der Spitze steht erneut Klaus Lederer. aus dem Bahnprojekt »Stuttgart 21« Ausstieg aus der Atomkraft und dem Als stellvertretende Landesvorsitzen- sein, befürwortet wird ein Volksent- Umstieg auf erneuerbare Energien de wurden Katrin Lompscher, Katrin scheid darüber. DIE LINKE wird in allen fordert DIE LINKE eine Verkehrswen- Möller sowie Wolfgang Albers gewählt. Wahlkreisen mit Direktkandidaten an- de, den Aufbau regionaler Wirtschafts- Sylvia Müller wurde Landesschatz- treten. kreisläufe sowie sozialverträgliche Ge- meisterin, Carsten Schatz Landesge- bäudesanierung und Sozialwohnungs- schäftsführer. LINKE strebt   Niedersachsen I: Der Landespar- bau. – als Ergebnis der Abgeordnetenh- teitag der LINKEN Niedersachsen vom auswahl 2011 – erneut das Ziel einer 19. bis 21. November in Emden votierte   : Auf der Aktivenkon- Regierungsbeteiligung an. Sie will wei- für Giesela Brandes-Steggewentz und ferenz der brandenburgischen LINKEN terhin Motor bei der Schaffung einer Manfred Sohn als Landesvorsitzen- in Teltow diskutierten am 19. und 20. sozialen Stadt sein. de. Der bisherige Vorsitzende Diether November rund 100 Genossinnen und Dehm hatte nach sieben Jahren an der Genossen über den Zustand der Partei.   Mecklenburg-Vorpommern I: Mit Spitze der Landespartei nicht noch ein- Impulsreferate und Diskussionen wur- großer Mehrheit wurde auf dem Lan- mal kandidiert. Maren Kaminski wur- den ergänzt durch acht Workshops, un- desparteitag am 27. November in Lin- de Landesgeschäftsführerin, Edmond ter anderem zur innerparteilichen Kul- stow ein Antrag zum konsequenten Worgul Schatzmeister und Hannelore tur, zu Frauen, Mitgliedergewinnung, Umgang mit politischen Biografi en be- Profus stellvertretende Schatzmeiste- neuen Medien, zur Landeszeitung und schlossen. DIE LINKE beteiligt sich an rin. Der Parteitag verabschiedete ein zur Zusammenarbeit von Landtagsfrak- den Protesten gegen die Castor-Trans- Rahmenwahlprogramm für die Kom- tion und Landesverband. porte nach Lubmin. munalwahlen 2011.   Schleswig-Holstein: DIE LINKE im   Mecklenburg-Vorpommern II: Der   Niedersachsen II: Hans-Henning schleswig-holsteinischen Landtag hat erste Tag der Migrantinnen und Migran- Adler wurde neuer Vorsitzender der am 30. November turnusgemäß den ten fand im November in Mecklenburg- Linksfraktion im Niedersächsischen Fraktionsvorstand neu gewählt. Ran- Vorpommern mit mehr als 100 Teilneh- Landtag. Der Oldenburger übernahm ka Prante ist neue Fraktionsvorsitzen- merInnen statt. DIE LINKE beriet auf der das Amt von Manfred Sohn, teilte die de, ihre Stellvertreterin ist Antje Jansen, Konferenz mit Zuwanderinnen und Zu- Fraktion am 23. November mit. Vervoll- alter und neuer Parlamentarischer Ge- wanderern, Vereinen sowie Wissen- ständigt wird die Fraktionsspitze von schäftsführer Uli Schippels. schaftlerInnen über die Lage von Zuge- Kreszentia Flauger, die bei der turnus- wanderten in Deutschland und formu- mäßigen Wahl in ihrem Amt als Vorsit- ANZEIGE lierte Anforderungen an die Integrati- zende bestätigt wurde. Neue stellver- onspolitik. tretende Fraktionsvorsitzende wurde Ursula Weisser-Roelle, Parlamentari-   Bremen: DIE LINKE in Bremen sche Geschäftsführerin bleibt Christa strebt im kommenden Jahr den Wie- Reichwaldt. dereinzug in die Bürgerschaft an. Der Parteitag am 27. und 28. November de-   Hamburg I: Den Ausstieg der GAL battierte dazu das Wahlprogramm, am (Grün-Alternative Liste) aus der Koaliti- 16. Dezember fi ndet eine weitere Par- on mit der CDU hat Hamburgs LINKE am Weydingerstraße 14–16 teitagssitzung statt. Rechenschaft über 28. November als längst überfälligen 10178 Berlin die Arbeit der Fraktion gaben Monique Schritt begrüßt: »Neuwahlen sind die Telefon (030) 24 72 46 83 Troedel und Peter Erlanson. richtige Entscheidung und geben den

DISPUT Dezember 2010 06 in jeder weiß: Nässe plus Kälte tons mit Silvesterböllern an verschie- = Glatteis. Aber sobald der Win- dene Regierungschefs und auch ans E ter naht, verdoppeln und verdrei- Kanzleramt. Die Hauswache hat das fachen sich die Verkehrsunfälle, weil Zeug aussortiert. Aber die Krawall- manche das Bein nicht vom Gas krie- medien riefen gleich »Königsmord!«. gen. In anderen Bereichen des öffent- Dann kam in Afrika ein leerer Münzkof- lichen Lebens ist das ähnlich, zum Bei- fer in die Hände der Flughafenpolizei. spiel in der Diplomatie. Jeder Politiker Das klappt, sobald man die Kisten der weiß: Vertrauen plus Verrat = Skandal. Luftfracht genauso streng prüft wie die Aber die »Ausrutscher« auf dem dip- Handtaschen der Passagiere. Schließ- lomatischen Parkett sind endlos. US- lich erfuhr die Nation, dass sechs Ter- Außenministerin Hillary Clinton macht roristen im Anmarsch sind, von denen Überstunden am Telefon, um den ver- zwei schon eingetroffen seien, »um En- grämten Amtsbrüdern zu sagen: »Wir de November im Reichstag ein Blut- haben ein Loch im Panzerschrank! Da bad anzurichten«. Wer so etwas so di- sind etwa 250.000 Berichte unserer lettantisch ankündigt, kann kein Pro- Botschafter ins Internet geraten. Vie- fi sein. Der Innenminister riet deshalb, le waren ›vertraulich‹ und sind bri- unsere Lebensgewohnheiten nicht auf- sant. Wir bitten dies zu entschuldigen zugeben. und versichern unsere Verbundenheit!« Trotzdem bleibt Glatteisgefahr, denn Oder so … auch gutwillige Moslems möchten ihre Aber was ist da- »Lebensgewohnheiten« nicht aufge- durch ans Licht ge- ben. Sie wollen in einer Moschee zu ih- Stellenweise Glatteis kommen? Nichts, rem Gott beten, auch wenn sie keine was man nicht wuss- Baugenehmigung erhalten. Sie brau- te oder ahnte: Die chen statt Glocken das Minarett, auch Berliner Botschaft wenn der Stadtbaurat es zur Litfaßsäu- der USA nennt Frau le verkleinert. Sie möchten ihre Töchter Merkel »Miss Tef- zur Keuschheit erziehen, auch wenn lon«, weil alle Prob- die Sportlehrer das nicht verstehen. Von Jens Jansen leme bei der Kanz- Alles veränderbar, nur nicht mit Druck lerin abtropfen wie oder Hass oder Sarrazynismus. das Wasser von der Gans oder wie das Eine andere Glatteisfläche zeigte Fett von der Teflon-Pfanne. Na und? sich auf dem Berliner Landespartei- So wird sie zum Fels in der Brandung. tag der LINKEN. Seit 2002 regiert ein Wenn sie nur nicht so taub für die so- rot-roter Senat die Bundeshauptstadt. zialen Probleme beiderseits der El- Wer hätte das gedacht? DIE LINKE hat be wäre! Von Westerwelle heißt es, er drei Stühle im Senat, zwei Bezirksbür- sei arrogant, aggressiv und kein Gen- germeisterinnen und elf Stadträte und scher. Weiß doch jeder! Schäuble wird Stadträtinnen. DIE LINKE regiert mit, als »zorniger alter Mann« beschrieben. um zu verändern. Ohne sie wäre die Stimmt doch! Putin wird »Alpha-Rüde« Stadt »kälter, ungerechter und weniger genannt. Respekt! Aus dem Nahen Os- demokratisch«, sagt der wiedergewähl- ten wird berichtet, wer dem Iran an die te Landesvorsitzende Klaus Lederer. Da Gurgel will. Alles realistisch, nur nicht zählen der öffentliche Beschäftigungs- diplomatisch. sektor, die besonnene Wirtschaftspoli- Es gehört zum Tagewerk der Bot- tik, die nicht allein auf Dienstleistung schafter, dass sie Land und Leute ein- setzt, der Verzicht auf Studiengebüh- schätzen. Dazu nutzen sie jeden Emp- ren, die Beispiele direkter Demokratie, fang, jede Sauna, jedes Kantinenge- die Verteidigung des kommunalen Ei- spräch. Und in der Kantine des Bundes- gentums und manches mehr. Doch im tages spricht man genauso ungeniert Wahlkampf stecken sich nun auch an- über die Minister in Berlin wie in dere, die vom Sitzenbleiber zum Ab- Washington. Der Skandal ist die Veröf- schreiber wurden, diese Federn an den fentlichung mit diesem Absender im In- Hut. Die personifi zierte Schlacht zwi- ternet. Aber das ist auch kein Skandal, schen Landeschef Wowereit (SPD) und denn so viel muss jeder Bürger, Bot- Renate Künast als grüne Herausforde- schafter oder Banker wissen: Was ich rin droht nun, DIE LINKE zwischen die dem Handy oder Computer anvertraue, Mühlsteine zu bringen. Noch sagt DIE das kann ich auch auf dem Marktplatz LINKE: »Sachlich währt am längsten«. ausrufen! Der Markt hat hier eine Dop- Wie aber, wenn sie zum »Blutspender« pelrolle, denn Informationen bringen für die SPD wird? Wenn die tonange- Geld, je geheimer umso mehr. Das benden CDU-Medien sie totschweigen? ist das Glatteis in einer Welt, wo alles »Wer nicht wirbt, der stirbt!«, heißt es käufl ich ist. im Konkurrenzkampf. Also den Mund Ähnliches Glatteis bietet die Terro- spitzen und pfeifen! Dann schmilzt rismus-Psychose. Da gingen Pappkar- auch das politische Glatteis.

70 DISPUT Dezember 2010 FEUILLETON An der Seite der Betroffenen Was lässt sich aus den Protesten gegen Kürzungspaket, Rösler-Reform und Rente ab 67 lernen? Versuch einer ersten Bilanzierung Von Christoph Kröpl und

Am 26. November hat der Bundestag mit den Stimmen von CDU und FDP das größte Kürzungspaket in der Geschich- te der Bundesrepublik Deutschland ver- abschiedet. Ohne mit der Wimper zu zu- cken, lassen Merkel, Westerwelle & Co. Erwerbslose, Geringverdiener und Fami- lien für die Kosten der Finanzmarktkrise zahlen. Zuvor hatte Schwarz-Gelb schon Röslers Kopfpauschale im Gesundheits- system durchgewunken und sich für die Beibehaltung der Rente erst ab 67 aus- gesprochen. Offenkundig haben die Herbstproteste nicht ausgereicht, um Schwarz-Gelb von der Umsetzung ihrer Vorhaben abzuhalten. Und das, obwohl in den Wochen zuvor im gesamten Land rund 200.000 Menschen gegen die un- sozialen Pläne der Regierung auf die

Straße gegangen waren und sich dar- © DIE LINKE über hinaus eine vielfache Anzahl von Mehr als 30.000 – darunter LINKE – protestierten in Nürnberg gegen Sozialabbau. Menschen an Betriebs- und Personal- versammlungen beteiligt haben, in de- sinnen und Genossen unter dem Motto mehr praktischer Unterstützung sei- nen die Gewerkschaften über die Pläne »Sparschweinerei« auf die desaströsen tens der Bundesebene reichen kann. der Bundesregierung und Alternativen Auswirkungen der Kürzungspolitik auf Letztlich waren wir jedoch auch dazu aufklärten. die Kommunen aufmerksam gemacht. mit einer Reihe von grundsätzlichen Insgesamt war der Herbst von einer In einigen Bundesländern wie Sach- Schwierigkeiten konfrontiert. Zuvor- Protestvielfalt und -dynamik geprägt, sen oder Baden-Württemberg ist DIE derst ist hier der Strategie- und Tempo- wie wir sie in diesem Lande schon LINKE zudem de facto bereits Mo- wechsel der Bundesregierung zu nen- lange nicht mehr gesehen haben. So tor breiter Bündnisse gegen die herr- nen: »Kanzlerin und Kabinett beweisen wurde zumindest die Delegitimie- schende Kürzungspolitik auf Landes- (…), dass sie (…) imstande sind, Öffent- rung der schwarz-gelben Bundesregie- und Bundesebene, und auch vor Ort lichkeit und Demokratie durch beinahe rung weiter vorangetrieben. Denn wä- beteiligt sich DIE LINKE an Bündnissen im Stundentakt einprasselnde Geset- ren am kommenden Sonntag Bundes- mit Gewerkschaften, Vereinen und lo- zesvorlagen zu fordern – wenn nicht tagswahlen, hätte Schwarz-Gelb keine kalen Initiativen. Im bundesweiten lin- zu überfordern«, so beschrieb die Wo- Mehrheit mehr, die Mövenpick-Partei ken Bündnis »Wir zahlen nicht für eu- chenzeitung »Freitag« die politische FDP müsste gar um ihren Einzug in den re Krise!« ist DIE LINKE aufgrund ihres Lage Anfang Oktober treffend. Wer er- Bundestag bangen. kontinuierlichen Engagements zu ei- innerte sich zu diesem Zeitpunkt noch DIE LINKE hat in diesen Protesten ei- nem der Motoren für gemeinsame Ak- daran, dass nur wenige Monate zuvor ne maßgebliche Rolle gespielt. Als ein- tionen geworden, wie der gemeinsam kaum ein politischer Leitartikler der zige im Bundestag vertretene Partei hat mit Attac durchgeführte bundesweite Merkel-Regierung Handlungsfähig- sie verlässlich an der Seite der Betrof- »Bankenaktionstag« am 29. Septem- keit attestieren wollte? Dabei zeich- fenen gestanden – im Bundestag wie ber oder die »Bundestagsbelagerung« nete sich der von der Bundeskanzlerin auf der Straße. Während nicht nur die am 26. November gezeigt haben. ausgerufene »Herbst der Entscheidun- Grünen, sondern auch die SPD ihre Mo- gen« vor allem durch eines aus: Er ließ bilisierung auf Bundesebene überra- einem weder Atem noch Zeit. Der Ka- Unterschiedliche Beteiligung schenderweise weitestgehend auf das talog der schwarz-gelben Grausamkei- Thema Anti-AKW konzentrierten, waren Ein ehrlicher Blick auf unsere eige- ten, die im Eilverfahren durch das Par- bundesweit Tausende LINKE aktiv mit nen Aktivitäten als Partei zeigt aber lament gepeitscht wurden, war umfas- bei den großen und kleinen Demonst- auch, dass die Beteiligung an den Pro- send – genau wie es DIE LINKE nach der rationen gegen Kürzungspolitik und So- testen gegen Kürzungspolitik und So- Bundestagswahl immer wieder prophe- zialabbau dabei. Genossinnen und Ge- zialabbau sehr unterschiedlich ausge- zeit hatte. Doch als es dann so richtig nossen aus mehr als 150 Kreisverbän- prägt war und ist. Dies hat erfahrungs- losging, waren wir wohl selbst hier und den haben sich an der Aktion »Sparpa- gemäß sehr verschiedene Gründe, die da überrascht, wie brachial Merkel, ket zurück zum Absender«, initiiert von von einer überbordenden Zahl an or- Westerwelle & Co. die Spaltung des Klaus Jann (Rote Reporter Nordrhein- ganisatorischen und politischen Auf- Landes vorantreiben. Westfalen), beteiligt und ihre Fotos ein- gaben bis hin zum bloßen Mangel an Die erhöhte Schlagzahl der Bundes- gesandt. Und vielerorts haben Genos- Informationen oder zum Wunsch nach regierung führte zu einer starken Über-

WIDERSTAND DISPUT Dezember 2010 08 lappung zentraler Themen in der öffent- lichen Wahrnehmung. Haushaltsbera- tungen und Kürzungspaket, Röslers Gesundheitsreform, AKW-Laufzeitver- längerung, Hartz-IV-Regelsatz-Debatte, Stuttgart 21, Einführung der Rente ab 67 – im Wechsel und ohne klare Dra- maturgie dominierten diese Themen die politische und mediale Agenda. Einzig das Thema AKW-Laufzeitverlän- gerung und, nach dem brutalen Poli- zeieinsatz im Stuttgarter Schlossgar- ten, das Thema Stuttgart 21 blieben mit einer gewissen Konstanz im Fokus der Aufmerksamkeit. Eine Konzentration der Herbstproteste auf klar formulier- Thüringen © Linksfraktion bare Ziele und zugespitzte Forderun- Kommunen in Not – DIE LINKE fordert eine vernünftige Finanzausstattung. gen wurde dadurch objektiv erschwert. So gelang es nicht, die verschiede- onalen Großdemonstrationen der Ge- sen erfolgreichen Selbstvermarktungs- nen Aspekte der Kürzungspolitik in ei- werkschaften mehr als 150.000 Men- strategien der Anti-AKW-Proteste weiter ne übergreifende »Erzählung« einzu- schen in Stuttgart, Nürnberg, Hanno- zu lernen, wird für den Erfolg künftiger betten, die eine weitergehende Mobili- ver, Dresden, Erfurt oder Dortmund Protestbewegungen gegen Sozialab- sierungsdynamik hätte tragen können. auf die Straße gingen und diese durch bau womöglich von entscheidender Das lag letztlich auch an einer unzurei- vielfältige kleinere Aktionen im Vorfeld Bedeutung sein. chenden Koordination sowohl inner- begleitet wurden, spiegelte sich dies halb des DGB als auch zwischen den nur begrenzt in der medialen Bericht- Kampagnen- und Aktionsfähig- Gewerkschaften und anderen Akteuren. erstattung. Es dominierten die Protes- keit kritisch refl ektieren Das Ergebnis war eine Protestdrama- te gegen die Atom-Politik der Bundes- turgie, die auf einen Höhepunkt, zum regierung und gegen Stuttgart 21 und Die schwarz-gelbe Bundesregierung Beispiel in Form einer gemeinsamen die Erzählung eines neuen sogenann- ist weiter im Amt, und von ihr ist auch Großdemonstration in Berlin, verzich- ten bürgerlichen Protestes, der für so- künftig wenig Gutes zu erwarten. Die tete und der unschwer anzusehen war, ziale Themen, Gewerkschaften und ih- nächsten sozialen Auseinanderset- dass sie das Ergebnis eines kaum ka- re Aktionsformen wenig Aufmerksam- zungen stehen bereits vor der Tür. Hier schierten Formelkompromisses inner- keit übrig hatte. Das sagt recht viel sei nur die Frage genannt, ob sich halb des DGB darstellte. Dieses grund- über Interessen und Wahrnehmungs- Schwarz-Gelb trotz Einführung der voll- sätzliche Problem konnte auch DIE LIN- muster in den deutschen Redaktions- ständigen Arbeitnehmerfreizügigkeit KE nicht lösen. stuben aus. Der obige Befund ist aber zum 1. Mai 2011 weiterhin der Einfüh- Zu einem vollständigen Bild ge- auch Ausdruck der erfolgreichen Ver- rung eines gesetzlichen Mindestlohns hört schließlich in diesem Zusam- marktung der zum Teil sehr kreativen, versperrt. Und natürlich ist nicht aus- menhang auch die selektive mediale zum Teil auch konfrontativen Protest- zuschließen, dass auch die Kürzungen Widerspiegelung der Proteste in den formen der Anti-Atom-Bewegung, die bei Erwerbslosen und die Einführung Medien. Obwohl in absoluten Zahlen den Aufmerksamkeitskriterien der Me- von Kopfpauschalen im Gesundheits- alleine Anfang November auf den regi- dien stark entgegenkommen. Von die- system noch einmal eine ganze ande- re öffentliche Aufmerksamkeit erfah- ren, wenn die Bürgerinnen und Bürger die Auswirkungen dieser Entscheidun- gen erstmalig in ihrem eigenen Geld- beutel spüren. DIE LINKE muss solche Szenarien schon jetzt vorbereiten und die Stär- ken und Schwächen der eigenen Kam- pagnen- und Aktionsfähigkeit kritisch refl ektieren. Dazu müssen wir die viel- fältigen praktischen Erfahrungen der letzten Wochen jetzt gemeinsam aus- werten. Einen Beitrag dazu soll eine Befragung aller Kreis- und Ortsverbän- de bzw. Basisorganisationen liefern, die noch vor dem Jahreswechsel star- ten soll. Dafür bitten wir alle Genossin- nen und Genossen schon jetzt um tat- kräftige Unterstützung.

Christoph Kröpl ist Mitarbeiter, Pascal Meiser Leiter des Bereiches Kampagnen

© DIE LINKE.Westsachsen und Parteientwicklung in der Bundesge- Die Fotowette aus bitterem Anlass: Sozialkürzungen – nicht mit uns! schäftsstelle der LINKEN.

90 DISPUT Dezember 2010 Rote Karte für Sozialabbau

Während am 26. November im Bundestag die schwarz- gelbe Regierungsmehrheit den Haushalt 2011 verabschiedet, protestieren vor dem Brandenburger Tor Mitglieder der LINKEN, Gewerkschafter/innen sowie Schüler/innen gegen einschnei- dende soziale Kürzungen. © Erich Wehnert (5)

WIDERSTAND DISPUT Dezember 2010 010 11 0 DISPUT Dezember 2010 Hort des Wahnsinns? DIE LINKE in Nordrhein-Westfalen Von Katharina Schwabedissen, Landessprecherin

Entwicklungen in Deutschland. Die Po- litik in NRW war oftmals Trendsetter für Koalitionsbildungen, Regierungsstile und Grundströmungen des Parteien- wettbewerbs.

Ein bisschen anders So bunt und vielfältig wie das Land und seine Menschen ist hier auch DIE LINKE. Mit fast 9.000 Mitgliedern ist NRW der größte Landesverband im Westen. Und vieles ist in NRW ein bisschen anders als in anderen Landesverbänden. Hei- ße Debatten gab es im Herbst 2009 um das Landtagswahlprogramm der LIN- KEN. Während für uns die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit im Mittel- punkt stand und steht, arbeiteten sich zahlreiche Medien – und auch der eine

© Kay Lipka © Kay oder andere Genosse – an der Forde- Jubel am Wahlabend: Katharina Schwabedissen und rung nach dem Recht auf Rausch oder der Abschaffung des Religionsunter- Nordrhein-Westfalen ist das Land »tief bildet es die Metropolregion Rhein- richtes ab. im Westen« Deutschlands. Zwischen Ruhr, in der über zehn Millionen Men- Wird DIE LINKE gezähmt, oder bleibt Selfkant im Westen und Höxter im Os- schen leben auf einem Gebiet von fast sie unberechenbar? Kaum eine Fra- ten, Hellenthal im Süden und Rahden 10.000 Quadratkilometern. Das Ruhr- ge beschäftigte offenbar mehr als die im Norden leben 18 Millionen Men- gebiet ist durch den Strukturwandel nach der Regierungs- und Politikfähig- schen – rund 8,75 Millionen Männer der 70er und 80er Jahre geprägt. Heu- keit unserer kleinen, erfolgreichen Par- und 9,2 Millionen Frauen – auf einer te sind noch rund 8,9 Prozent der Be- tei. Fläche von mehr als 34.000 Quadratki- schäftigten im produzierenden Sek- Während die medialen Wellen um lometern. NRW ist damit nicht nur das tor beschäftigt. NRW verzeichnet mit die Bundespartei Anfang 2010 hoch bevölkerungsreichste Bundesland, es 8,9 Prozent die im Durchschnitt zweit- schlugen, kämpften die Genossinnen hat auch mehr Einwohner/innen als höchste Arbeitslosigkeit in den alten die Niederlande, Belgien, Österreich Bundesländern. Im Ruhrgebiet liegt sie oder die Schweiz. Es ist in fünf Regie- sogar durchschnittlich bei 11,2 Prozent. Landesgeschäftsstelle rungsbezirke unterteilt: Düsseldorf, Corneliusstraße 108 Köln, Münster, Detmold und Arnsberg. 40215 Düsseldorf Oftmals Trendsetter Es gibt 31 Kreise mit 373 kreisangehöri- Telefon (0211) 358907, Fax (0211) 358908 gen Kommunen und 23 kreisfreie Städ- Nordrhein-Westfalen ist eine der wirt- [email protected] te. 29 Städte haben mehr als 100.000 schaftlich stärksten Regionen Europas. katharina.schwabedissen@ Einwohner. Gemessen an politischem Gewicht und www.dielinke-nrw.de Nordrhein-Westfalen ist weit stärker ökonomischer Leistungsfähigkeit fän- durch Zuwanderung geprägt, als sich de man einen souveränen Staat Nord- und Genossen vor Ort mit dem vier- dies in der Zahl der ausländischen Mit- rhein Westfalen im oberen Drittel der ten Wahlkampf innerhalb eines Jah- bürgerinnen und Mitbürger widerspie- Mitgliedsstaaten der Europäischen res. Bei allen Kontroversen blieben die gelt. 2008 hatten hier nahezu 4,16 Mil- Union. So wird auch verständlich, wa- Akteurinnen und Akteure hier solida- lionen Menschen (23,1 Prozent) einen rum wichtige politische Ereignisse in risch und erkämpften zusammen den »Migrationshintergrund«. NRW nicht nur die Aufmerksamkeit Erfolg bei der Landtagswahl am 9. Mai. Knapp die Hälfte Nordrhein-West- der deutschen und europäischen Öf- Gemeinsam wurde der Wahltag gefei- falens wird landwirtschaftlich genutzt, fentlichkeit auf sich ziehen. Landtags- ert und die Sondierungsgespräche er- ein Viertel ist von Wald bedeckt. Mit- wahlen werden im In- und Ausland als staunt bilanziert. Der vielbeschwore- ten in NRW erstreckt sich das Ruhrge- »kleine Bundestagswahlen« wahrge- ne Knall in NRW blieb aus. Eine kleine biet mit etwa fünf Millionen Einwohne- nommen. Regierungsbildungen und Landtagsfraktion der LINKEN sitzt nun rInnen und einer Fläche von etwa 4.435 Regierungskrisen kommen Signalwir- mit sechs Frauen und fünf Männern im Quadratkilometern, der größte Bal- kungen für die Bundespolitik zu. Rich- Landtag. Auch wenn es SPD und Grü- lungsraum Deutschlands und der dritt- tungsentscheidungen in Düsseldorf nen nicht schmeckt, FDP und CDU Gift größte Europas. Mit seinem Umland gelten als Indikatoren für zukünftige und Galle gegen die »Terroristen« im

LANDESVERBAND DISPUT Dezember 2010 012 Landtag speien: DIE LINKE ist das Züng- die Atompolitik der Bundesregierung DEMNÄCHST lein an der Waage. Ob sie es nutzt oder protestiert haben. Das aktuelle Verbot sich die Zunge verbrennt, wird die Zu- des Transports von Ahaus nach Russ- kunft zeigen. land verbuchen wir gemeinsam mit Im Juli stand die Wahl eines neu- den vielen Akteurinnen und Akteuren en Landesvorstandes an. Wir nehmen der Anti-AKW-Bewegung als kleinen die Trennung von Amt und Mandat Teilerfolg. sehr ernst. Nur 20 Prozent der Landes- Doch mitten durch NRW steht der vorstandsmitglieder dürfen ein Man- nächste Transport schon vor der Tür: dat haben oder Beschäftigte der Partei, von Jülich nach Ahaus. Über breite Un- Jubiläen und Jahrestage der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der Bun- terstützung unseres Protestes aus an- des- oder Landtagsfraktion oder des Ju- deren Landesverbänden würden wir 17. Dezember 1960 gendverbandes sein. Was in manchen uns freuen. Ebenso unterstützen wir un- Gründung der Deutschen Friedens- Ohren irre klingen mag, ist gewolltes sere GenossInnen gern bei den Protes- union (DFU) Konzept: Breit aufgestellt zu sein, Ar- ten um Stuttgart 21, die dortige Protest- 18. Dezember beit, Wissen und Macht zu teilen sind bewegung wird von unseren Mitglie- Internationaler Tag der Migranten Prinzipien, die auch zwei Jahre nach dern aufmerksam verfolgt. 19. Dezember Gründung der LINKEN auf der Landes- Auch Traditionen der LINKEN spie- Tag der UN für Süd-Süd- ebene Konsens sind. Von den 24 Lan- len bei uns eine Rolle. Alte und Junge Zusammenarbeit desvorstandsmitgliedern sind seit Juli mit Erfahrung in linker Politik versu- 19 ganz neu im Amt. chen mit alten und jungen Neulingen, 26. Dezember 1920 Durch die Mandatsträger/innenab- eine gemeinsame linke Kultur zu entwi- Gewerkschaftsführer Carl Legien gaben unserer Landtagsabgeordne- ckeln. Der 1. Mai an der Seite der Arbei- stirbt in Berlin. ten und zusätzliche Spenden der Bun- ter/innenbewegung, der 8. Mai als Tag 2011 destagsabgeordneten aus NRW an die der Befreiung und unsere antifaschis- Europäisches Jahr der Freiwilligen- Landespartei wurde nun auch endlich tischen Aktivitäten vor Ort, der Anti- tätigkeit zur Förderung der aktiven möglich, was lange schon nötig war: kriegstag am 1. September und unse- Bürgerschaft Sprecherin, Sprecher und Schatzmeis- re starke Verankerung in der Friedens- 1. Januar terin wurden mit einer 30-Wochenstun- bewegung sind Beispiele. Dass für DIE Weltfriedenstag (katholisch) den-Stelle hauptamtlich. Dieses Ziel LINKE in NRW Einsätze der Bundeswehr, war nur durch solidarische Umvertei- egal unter welcher Helmfarbe und auch 4. Januar lung zu machen: 1.000 Euro monat- nicht im Rahmen der UN-Charta, nicht Welt-Braille-Tag lich kommen von den Abgeordneten in Frage kommen, hat der Landespar- 16. Januar der Landtagsfraktion, 500 Euro zah- teitag im Juli bereits beschlossen. Welttag der Migranten und Flücht- len die Bundestagsabgeordneten. Die- Wir bereiten uns auch bereits auf linge 2011 (katholisch) ser Praxis vorausgegangen waren eine den kommenden 8. März vor, an dem 17. Januar 1991 breit geführte Debatte im Landesver- der internationale Frauentag seinen Erster gesamtdeutscher Bundes- band und ein mit sehr großer Mehrheit 100. Geburtstag feiert. Die Anknüpfung tag wählt Helmut Kohl (CDU) zum gefasster Beschluss des Landespartei- an die alte und neue Frauenbewegung Kanzler. tages. des letzten Jahrhunderts spielt bei uns eine zunehmende Rolle. Mit unserem Frauenwahlkampf waren wir Trendset- Mit feministischem Anspruch terinnen für neue Konzepte auch auf Termine Dennoch kann von einer Gleichstellung der Bundesebene, und an der Umset- bis 16. Dezember von Partei und Fraktion aufgrund der zung des Konzepts zur Herstellung von Sitzungswoche im Europa- strukturellen, materiellen und media- Geschlechtergerechtigkeit arbeiten wir parlament len Macht von Fraktionen in der parla- derzeit. mentsfi xierten deutschen Politik nicht Herausforderungen bleiben das bis 17. Dezember die Rede sein. Als LINKE in NRW ste- Wachstum und die Stabilisierung der Sitzungswoche im Bundestag cken wir aber den Kopf nicht in den Partei vor Ort. Mit Hunderten von Abge- 17. Dezember Sand, sondern arbeiten weiter an einer ordneten in den Stadträten und Kreis- Plenarsitzung Bundesrat starken Partei vor Ort und im Land. tagen muss die Balance zwischen par- 9. Januar 2011 Neben unserem Versuch, eine de- lamentarischer und außerparlamenta- Luxemburg-Liebknecht-Ehrung, mokratische Partei zu entwickeln, in der rischer Arbeit vielerorts noch gefunden Berlin-Lichtenberg, Gedenkstätte politische Entscheidungen tatsächlich werden. der Sozialisten von unten nach oben getroffen werden, Eines haben wir hier in NRW jeden- setzen wir politisch unsere Akzente als falls immer, wie der Ruhrpott formuliert: 15. Januar Klassenpartei an der Seite der Lohnab- Leben inne Bude. Mitgliederversammlung Bremen hängigen und Erwerbslosen, als Partei Zuschreibungen wie den »Hort des zur KandidatInnenaufstellung für in Bewegung mit Friedens-, Antifa- und Wahnsinns« nehmen wir mit rheini- die Bürgerschaftswahl Umwelt-AktivistInnen und nicht zuletzt schem Humor und westfälischer Gelas- 17. Januar als Partei mit feministischem Anspruch. senheit auf und wollen vor allem eins Sitzung Geschäftsführender Partei- Im Herbst hat uns die Unterzeich- sein und bleiben: DIE LINKE in NRW – vorstand nung von »Castor Schottern« medial Ort der Bewegung. und besonders bei den Menschen be- Über Antworten auf den Beitrag, An- 17. bis 21. Januar kannt gemacht, mit denen wir in Gor- regungen und Kritik freuen wir uns im- Sitzungswoche im Bundestag leben gegen den Castor-Transport und mer. Zusammenstellung: Daniel Bartsch

13 0 DISPUT Dezember 2010 Ein »Fall« für zwei Wie die Kreisverbände Rheingau-Taunus (Hessen) und Saale-Orla (Thüringen) im Alltag zusammenarbeiten Von Petra Heimer-Dietz und Wolfgang Weis

Der Kreisverband DIE LINKE Rheingau- fen in Suhl (April 2010), bei der Konfe- trotz ihrer eigenen Kreismitgliederver- Taunus in Hessen wurde im August renz der Kreisvorsitzenden in Kassel sammlung am selben Tag zu uns ent- 2008 gegründet. Der große Flächen- (24. April 2010) und beim Bundespar- sandt. Auch außerhalb geplanter Akti- kreis Rheingau Taunus ist von der Mit- teitag in Rostock (15. und 16. Mai 2010). vitäten stehen wir dank der modernen gliederzahl noch recht klein, wir zählen Vom 3. bis 7. September 2010 be- Kommunikationsmittel in regelmäßi- zur Zeit 51 Genossinnen und Genossen. suchten uns ca. 50 Mitglieder aus dem gem Kontakt. 57 Prozent von ihnen sind zwischen Saale-Orla-Kreis, um den Rheingau Unser nächstes Treffen fi ndet am 10. 21 und 55 Jahre, die übrigen zwischen Taunus besser kennenzulernen. Ein Dezember statt. Dann besuchen knapp 56 und 70 Jahre. Die meisten Mitglie- buntes Programm wurde erstellt, da- ein Dutzend Genossinnen und Genos- der leben in Niedernhausen und Tau- mit die Genossinnen und Genossen sen aus dem Rheingau-Taunus-Kreis nusstein. Leider sind nur wenige ak- ein paar schöne Tage verleben konnten. den Landtag in Erfurt auf Einladung tiv. Unser größtes Problem wird sein, Am 27. November 2010 unterstütz- der Thüringer Landtagsabgeordne- sämtliche Aktionen vor der Kommu- ten uns Dana Oertel, Helga Weithase ten Michaele Sojka. Wir werden im An- nalwahl am 27. März nächsten Jahres – und Klaus Möller als Versammlungslei- schluss noch gemeinsam über den Er- wie plakatieren, Wahlmaterial stecken tung und Wahlkommission bei unserer furter Weihnachtsmarkt bummeln und und Infostände – abzudecken. Wahl der Kandidatenliste zur Kommu- sicherlich Zeit fi nden, den Austausch Zum thüringischen Kreisverband nalwahl 2011. Die GenossInnen wurden fortzusetzen. Saale-Orla besteht seit Gründung unse- Für nächstes Jahr ist zum 3. Okto- res Kreisverbandes eine freundschaft- ber eine Veranstaltung in Thüringen liche und solidarische Verbindung. Ih- geplant unter dem Titel »21 Jahre deut- ren bisherigen Höhepunkt erreichte sche Einheit – eine Republik wird er- sie mit unserer gemeinsamen Klausur- wachsen«. Insbesondere auch auf die tagung vom 22. bis 24. Oktober 2010 in angedachte Geschichtskonferenz freu- Schleiz. In diesen Tagen wurde eine Ko- en wir uns. Die Arbeit an einem ge- operationsvereinbarung abgeschlos- meinsamen Antrag für den Bundespar- sen, die weitere positive und konstruk- teitag wird uns bereichernde Diskussi- tive Ergebnisse in unserer Zusammen- onen bringen. arbeit erwarten lässt. Treffen zwischen Vorständen und Petra Heimer-Dietz ist die Vorsitzende Mitgliedern beider Kreisverbände fan- des Kreisverbandes Rheingau-Taunus den in den letzten Monaten zu ver- und Wolfgang Weis Kreisschatzmeister. schiedenen bundesweiten Anlässen Ende Oktober unterschrieben die Kreis- www.dielinke-rheingautaunus.de statt: zum Beispiel beim Ost-West-Tref- verbände ihre Kooperation. www.die-linke-saaleorla.de © Wolfgang Weis © Wolfgang

KREISVERBAND DISPUT Dezember 2010 014 Gleichheit, Solidarität, Mitgefühl Wofür ich als Mitglied der LINKEN stehe, wofür ich für DIE LINKE kandidiere Von Lothar Schuchmann

Brennpunkt in Freiburg sah ich beson- litikerverdrossenheit. Es ist diese Arro- ders seit der Hartz-IV-Gesetzgebung ei- ganz der Regierenden und der hinter ih- ne zunehmende Verarmung und sozi- nen stehenden großen Unternehmen, ale Ausgrenzung von Kindern und ih- Banken und Versicherungen, es ist die- ren Familien mit all ihren negativen se Intransparenz politischer Vorgänge Folgen für die Lebensperspektive die- und der Parteienfi nanzierung, die vie- ser Kinder, mit schlechteren Bildungs- le so empört. und Berufschancen und einem deutlich Gesetze, Vorschläge, Pläne und Vor- schlechteren Gesundheitszustand. Zu- haben wurden und werden heute oft

© privat dem werden lohnabhängige Berufstäti- im kleinen Kreis beschlossen, zügig Es stellen sich einfache Fragen: Wie ge- ge immer häufi ger – nicht nur als Leih- durchs Parlament geschleust, wobei of- hen wir hier und heute mit unseren Mit- arbeiter – unterbezahlt, bis zur Aus- fenbar manchmal selbst Abgeordnete menschen um? Und als Kinderarzt fra- beutung, hin und hergeschoben und zum unmündigen Volk gerechnet wer- ge ich: Wie gehen wir als Eltern, Erzie- schließlich in die Arbeitslosigkeit ent- den. DIE LINKE fordert deshalb Bürger- herinnen und Erzieher, Lehrerinnen lassen, während Unternehmer und Ak- beteiligung und direkte Demokratie auf und Lehrer mit unseren Kindern und Ju- tionäre sich mit Unterstützung neolibe- der Ebene der Kommunen, der Bundes- gendlichen um? Und vor allem: Wie ge- raler Politiker schamlos bereichern. Oli- länder, des Bundes und der EU. hen wir alle mit unseren Alten, Armen, garchen beherrschen unser Land und Die selbst ernannte Staatspartei Arbeitslosen und Migranten um? zerstören durch Privatisierung der Da- CDU in Baden-Württemberg, eine wirk- In unserem Land herrscht – und wer seinsvorsorge und Ökonomisierung al- lich mächtige Obrigkeit, herrscht seit häufi g an Info-Ständen weilt, weiß es – ler Lebensbereiche Gemeinwesen, So- vielen Jahrzehnten über das Bundes- vielfach ein eisiger Jargon der Verach- zialstaat und Demokratie. Profi tlogik land. Verfi lzt bis ins letzte Dorf, zeigt tung gegenüber den weniger Leistungs- lässt sich nicht mit Humanität und So- sie wenig Respekt vor dem Souverän, fähigen und Robusten, manchmal eine lidarität vereinbaren, und insoweit ist dem Volk. Die Verfilzung liegt auch unglaublich aggressive Rohheit, insbe- der aktuelle Marktradikalismus auch an einer zu langen Regierungszeit ei- sondere vonseiten der Angehörigen so- nicht mit unserer sozialen Demokratie ner Partei, die sich inzwischen zu einer genannter Eliten – MitbürgerInnen mit in Einklang zu bringen. Staatspartei mauserte, einer Art christ- hohem Einkommen – gegenüber Alten, licher Einheitspartei, wie wir es in de- Armen, Arbeits- und Wohnungslosen Bürgerbeteiligung auf mokratiefeindlichen Regimen beob- und selbst gegenüber armen Kindern. allen Ebenen achten konnten. Sarrazin ist überall. 2,6 Millionen arme Kinder leben in Und wie gehen die aktuell Regieren- Deutschland führt wieder Kriege für unserer reichen Bundesrepublik. Es den mit uns Bürgerinnen und Bürgern seine Wirtschaftsinteressen, obwohl ist die Gefühllosigkeit und Ungerech- um? Es ist nicht nur der brutale Polizei- diese Art von »Problemlösung«, die tigkeit der Herrschenden, die mich als einsatz gegen die S21-Gegner in Stutt- darin besteht, möglichst viele Men- Kinderarzt zu einer konsequent linken gart ... – was uns immer mehr auffällt schen zu vernichten, ihre Häuser und Politik motiviert. Viele Jahre war ich ist: Unaufrichtigkeit, Mauschelei, In- ihre Lebensgrundlage zu zerstören, Mitglied der SPD, später (weitgehend transparenz, sinkende Glaubwürdig- ebenso unglaublich primitiv wie voll- passiv) bei den Grünen. Im Juli 2004 keit, eine Amtssprache, die bewusst kommen erfolglos ist – und dies schon wurde ich Mitglied der WASG, seit Ju- unverständlich gehalten wird, das Feh- seit der Steinzeit. Haben wir nichts da- li 2007 bin ich im Freiburger Kreisvor- len von Mitgefühl und das oft schon ak- zu gelernt? Als Kind hörte ich Adenau- stand der LINKEN. Ich war Initiator der tive Desinteresse an den Sorgen und ers Slogan: »Die Hand soll verdorren, Landesarbeitsgemeinschaft Gesund- der Lebenswirklichkeit breiter ausge- die je wieder ein Gewehr ergreift«. Da- heit und Soziales, bin Mitglied der BAG grenzter Bevölkerungskreise. Denn die von sind wir schon wieder weit abge- Gesundheit und Soziales und arbeitete Unterschiede zwischen Arm und Reich kommen. Warum eigentlich sollen un- in der Freiburger Bürgerinitiative »Woh- in Deutschland wachsen weiter, der sere Söhne für fremde Händel sterben? nen ist Menschenrecht«, die mit einem soziale Frieden ist ernsthaft gefährdet. Dies alles erzeugt meinen anhalten- erfolgreichen Bürgerentscheid 2006 Die reichsten zehn Prozent der Bevöl- den Zorn. Wir fordern eine andere Po- den Verkauf der kommunalen Wohnun- kerung besitzen 61 Prozent des gesam- litik, für die Menschen statt für Profi te, gen verhinderte. 2009 wurde ich in den ten Vermögens. Dies weist auf die vie- für ein sozial gerechtes Wirtschaftssys- Stadtrat gewählt. len Missstände in unserer Gesellschaft tem, für Rüstungskontrolle und gegen Am 27. März 2011 will ich als Direkt- hin, die DIE LINKE besonders anpran- die aktuelle Kriegspolitik. Ziel ist eine kandidat in Freiburg zum erstmaligen gert: Leiharbeit, Niedriglohn (erklärbar strikte Abkehr von Shareholder-Kapita- Einzug der LINKEN in den Landtag von auch durch den fehlenden Mindest- lismus und neoliberaler Ideologie. Baden-Württemberg beitragen. lohn) und nicht zuletzt die Rente mit 67, Mit Politikverdrossenheit und De- eine schlichte Rentenkürzung. mokratie-Distanz wird die steigende Dr. med. Lothar Schuchmann, 70, ist Als häuslicher Facharzt für Kinder- Zahl von Nichtwählern erklärt; es han- häuslicher Facharzt für Kinder- und und Jugendmedizin in einem sozialen delt sich auch um eine chronische Po- Jugendmedizin in Freiburg.

15 0 DISPUT Dezember 2010 WAHL ‘11 Wahlversprechen: erfüllt! Ein seltenes Dreierbündnis feiert Geburtstag: ein Jahr Rot-Rot-Grün im Saarbrücker Stadtrat Von Martin Sommer

2010. Das Land, in dem eine schwarz- gelb-grüne Jamaika-Koalition regiert, hatte von der Stadt heftige Einsparun- gen verlangt und ein Gutachten in Auf- trag gegeben, das zeigen sollte, wo ge- nau gespart werden könnte. Die Gut- achter plädierten unter anderem für Stellenabbau und die Schließung von Schwimmbädern. Beides lehnt DIE LIN- KE entschieden ab. Im Bündnisvertrag mit SPD und Grünen ist deutlich festge- schrieben, dass weder in der Stadtver- waltung noch in den städtischen Eigen- betrieben Arbeitsplätze abgebaut wer- den. Tatsächlich hat Rot-Rot-Grün ein Maßnahmebündel geschnürt, das den städtischen Haushalt allein in diesem

© Martin Sommer Jahr um 4,8 Millionen Euro verbessert, Amtseinführung von Harald Schindel, der erste hauptamtliche Beigeordnete der LIN- ab 2013 sogar um 16 Millionen – ohne KEN in einer westdeutschen Kommune. Stellenabbau, ohne Privatisierungen und ohne Schwimmbadschließungen. Es war 1976, als das Saarbrücker Rat- kann man etwa in Saarbrücken-Bur- Auf Initiative der LINKEN hat der Stadt- haus schon einmal im Fokus der Re- bach sehen, einem Stadtteil, in dem be- rat im Mai die Einführung einer Betten- publik stand. Damals betrat ein Mann sonders viele Menschen von Arbeitslo- steuer beschlossen: Nachdem Hoteli- die politische Bühne, der diese Stadt sengeld und Hartz IV leben müssen. An ers vom Bund 12 Prozent an Steuern ge- und das Land gehörig verändern sollte: der Weyersberg-Grundschule sind in- schenkt bekommen haben, fordert die Mit 32 Jahren wurde zwischen alle Essensplätze belegt, jetzt Stadt fünf Prozent davon zurück. Im- jüngster Oberbürgermeister Deutsch- nehmen 100 Kinder mehr am Mittages- merhin bezahlt die Stadt ja auch die In- lands. Tatsächlich hat er die saarländi- sen teil als noch vor den Sommerferien. frastruktur, von der Hotels und ihre Gäs- sche Landeshauptstadt in seiner Amts- Denn hier und an der Ganztagsgrund- te profi tieren – ob Straßen, Schwimm- zeit deutlich geprägt. Er ließ die herun- schule Folsterhöhe – einem zweiten so- bäder, Museen oder die Messe. Und tergekommene Altstadt sanieren und zialen Brennpunkt – ist das Mittages- klar ist: Ohne eine Verbesserung der zur Fußgängerzone machen – heute sen nun für alle Schülerinnen und Schü- Einnahmeseite kann keine hochver- eines der Aushängeschilder der Stadt. ler kostenlos. Weitere Schulen werden schuldete Kommune auf Dauer überle- Das verfallene Saarbrücker Schloss ließ im nächsten Jahr folgen. 250.000 Euro ben. Ohne die Hilfe des Bundes und der er restaurieren und legte den Grund- hat der Stadtrat für das Projekt in die- Länder auch nicht. stein für das Max-Ophüls-Filmfestival sem Jahr bereitgestellt. Was jetzt nicht Gerecht sparen und gleichzeitig in – heute noch der bedeutendste Nach- ausgegeben wird, steht im nächsten Bildung, Familien und soziale Projekte wuchspreis Deutschlands. Jahr zusätzlich zur Verfügung. investieren heißt die Devise. Im nächs- Jetzt, Ende 2010, zieht das Saarbrü- 2009 ist DIE LINKE in Saarbrücken ten Jahr will das Bündnis einen Windel- cker Rathaus wieder einmal die Blicke zum ersten Mal bei den Kommunalwah- bonus einführen, damit Familien mit der Republik auf sich. Denn seit genau len angetreten und hat auf Anhieb mehr kleinen Kindern und inkontinente Er- einem Jahr regiert hier ein äußerst sel- als 17 Prozent eingefahren. Nach einem wachsene nicht bei den Müllgebühren tenes Dreierbündnis: DIE LINKE, SPD Jahr sind zwei der zentralen Wahlver- bestraft werden. und Grüne haben hier das einzige sprechen schon so gut wie erfüllt: Der »Wir sind also auf einem guten We- Bündnis dieser Art in einer deutschen Einstieg in das kostenfreie Mittagessen ge«, erklärt Rolf Linsler, der Frakti- Landeshauptstadt geschlossen, das für alle Kinder an Ganztagsgrundschu- onsvorsitzende der LINKEN im Stadt- erste in Westdeutschland. Und mit Ha- len ist seit August geschafft. Und An- rat. Lob für das Bündnis gab es auch rald Schindel hat DIE LINKE hier auch ih- fang nächsten Jahres sollen Arbeitslo- schon von Oskar Lafontaine: »DIE LIN- ren ersten hauptamtlichen Beigeordne- se und Geringverdiener in Saarbrücken KE kann durchaus den Mut haben, Hal- ten in einer westdeutschen Kommune, mit einem Sozialpass kostenfreien oder telinien oder Grundbedingungen für ei- zuständig für Bürgerdienste, Sicherheit, ermäßigten Zugang zum Zoo, zu den ne Regierungsbeteiligung zu formulie- Soziales und Sport. Unter der Über- Bädern der Stadt, Museen, zur Stadt- ren: keine weitere Sozialkürzung, keine schrift »Sozial gerecht, wirtschaftlich bibliothek, zur Musikschule und zum weitere Privatisierung, kein weiterer Ar- erfolgreich, ökologisch innovativ« wol- kommunalen Kino erhalten. Das Geld beitsplatzabbau. In der Stadt Saarbrü- len die drei Parteien den Stadtrat und dafür steht im Haushalt schon bereit. cken, wo wir eine rot-rot-grüne Zusam- die Stadt verändern. Die bislang größte Bewährungspro- menarbeit vereinbart haben, steht dies Wie diese Veränderung aussieht, be für das Bündnis war der Haushalt im Koalitionsvertrag.«

FRAKTION DISPUT Dezember 2010 016 Liebe Genossinnen und Genossen, wie auf dem Parteitag 2010 in Rostock beantragt und vom Unter allen Teilnehmenden, die uns ihre Adresse angeben Parteivorstand beschlossen, wird sich der Parteivorstand möchten, verlosen wir einen Besuch im Karl-Liebknecht- im ersten Quartal 2011 mit einem Medien- und Publikati- Haus mit einem Essen mit der Bundesgeschäftsführerin onskonzept der Partei beschäftigen. sowie ein Jahres-Abo für den DISPUT. Anony- Dazu brauchen wir deine Meinung! Es wäre sehr nett, wenn mität und Datenschutz werden selbstverständlich gewähr- du ein paar Minuten Zeit erübrigst, um uns deine kurze Ein- leistet*. schätzung zum Thema Mediennutzung und Mitgliederkom- Vielen Dank für dein Engagement. munikation mitzuteilen. Anbei fi ndest du den Fragebogen – bitte faxe oder schi- Caren Lay Werner Dreibus cke ihn per Post an uns zurück bis zum 15. Januar 2011. Bundesgeschäftsführerin Bundesgeschäftsführer

*Datenschutzhinweis: Die Angaben dienen der statistischen Auswertung der Nutzung des DISPUT und der Verbesserung der Kommunikation innerhalb und außerhalb der Partei DIE LINKE. Sie werden im Parteivorstand, in den Landesvorständen und in den Gliederungen der Partei DIE LINKE entsprechend den Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) gespeichert, verarbeitet, übermittelt und aufbewahrt.

Bitte zurück an Absender (Angaben freiwillig) Fax-Nr. (030) 24009-777 oder: Bundesgeschäftsstelle ...... der Partei DIE LINKE Name, Vorname Bereich Bürgerdialog, Medien, Öffentlichkeitsarbeit Kleine Alexanderstraße 28 ...... Straße, Nr. 10178 Berlin

...... Postleitzahl, Ort

Mitgliederumfrage zum Thema Mediennutzung und Mitgliederkommunikation

1. Liest du regelmäßig eine regionale oder überregionale Tageszeitung?

ja nein Wenn ja: welche? ......

2. Welche der nachfolgenden Medien nutzt du, um dich über die Arbeit der Partei DIE LINKE zu informieren?

Newsletter der Bundespartei Mitgliederzeitschrift DISPUT Zeitung des Landesverbandes/der Landtagsfraktion Zeitung des Kreisverbandes/der Kreistagsfraktion Die Zeitung KLAR der Bundestagsfraktion Das Magazin Clara der Bundestagsfraktion

3. Fühlst du dich gut informiert über die Arbeit der Partei?

ja, es gibt schon fast zu viel an Informationen ja, genau richtig weniger nein

4. Würdest du es begrüßen, wenn DIE LINKE ein bundesweites Mitgliedermagazin für alle Mitglieder einführt

ja, sehr ja interessiert mich weniger interessiert mich gar nicht

5. Sollte jedes Mitglied dieses Mitgliedermagazin …

automatisch zugeschickt bekommen nur dann automatisch erhalten, wenn es abonniert wurde nur in Geschäftsstellen abholen können?

170 DISPUT Dezember 2010 UMFRAGE 6. Wärest du bereit, dafür einen Kostenbeitrag zu zahlen?

ja, bis zu 2,– € pro Ausgabe ja, bis zu 1,– € pro Ausgabe nein

7. Würdest du ein Printmedium (Papierzeitung) bevorzugen oder ein Onlinemagazin?

Print Onlinemagazin

8. Welche Themenfelder erwartest du in einem Mitgliedermagazin? (Mehrfachnennung möglich.)

aktuelle politische Themen Hintergrundinformationen Porträts Argumentationshilfen Feuilleton regionale Themen Unterhaltungselemente (Kreuzworträtsel, Steckbrief etc.) Aktionen vor Ort Diskussion/Debatte Anregungen für meine politische Arbeit vor Ort Informationen aus der Partei

Informationen aus den Landesverbänden Sonstiges: ......

9. Wie häufi g würdest du ein Mitgliedermagazin der Partei lesen wollen?

monatlich 6 Mal im Jahr vierteljährlich halbjährlich

Fragen zu DISPUT 10. Liest du regelmäßig DISPUT, die Mitgliederzeitschrift der LINKEN?

ja, regelmäßig ja, gelegentlich selten nie kenne ich nicht Wenn nie/kenne ich nicht: gehe zu Frage 13

11. Wie zufrieden bist du mit DISPUT?

sehr gut weniger gar nicht

12. Bist du Abonnent/in?

ja nein

13. Wenn keine Nutzung/ kein Abonnement: Warum nicht?

zu teuer die Gestaltung spricht mich nicht an die Themen interessieren mich nicht keine Zeit

Sonstiges: ......

Fragen zur Person: 14. Wie alt bist du?

unter 18 18–29 30–45 46–60 61–80 über 80

15. Du bist

männlich weiblich

16. Bist du Mitglied der LINKEN?

ja nein Wenn ja: seit wann? ...... Landesverband: ......

Bist du Funktionsträger bzw. -trägerin? ja nein

17. Arbeitest du ehrenamtlich für eine »Kleine Zeitung«/ Publikation der LINKEN?

ja nein

18. Bist du organisiert in der BAG Rote Reporter?

ja nein

UMFRAGE DISPUT Dezember 2010 018 Schön, schöner, geschönt Der erste Prüfbericht zur Rente erst ab 67 Von Matthias W. Birkwald

»Und die Anhebung der Regelalters- rentennahen Altersgruppen bewertet Rentenkürzungen durch Abschlä- grenze darf nicht zu einer verdeckten werden. Es geht also um die 60-Jähri- ge – Anteil benannt, Höhe verschwie- Rentenkürzung führen.« – Dieser gen und Älteren – insbesondere um die gen: Abschläge sind nichts anderes als Satz ist so oder so ähnlich seit eini- 64-Jährigen. Doch davon will die Bun- Rentenkürzungen. Die Rente erst ab 67 gen Wochen immer häufi ger zu hören. desregierung nichts wissen. Das ist wird dafür sorgen, dass mehr Rentne- Er kommt nicht von der LINKEN. Denn schäbig! rinnen und Rentner noch höhere Ab- wir sind der Überzeugung, dass die schläge werden verkraften müssen. Rente erst ab 67 eine offene Renten-  Erwerbstätigenquote – falscher Bereits heute sind die Hälfte aller Neu- kürzung ist – sie wird nur nicht so ge- Maßstab, trickreich dargestellt: Die rentner/innen von Kürzungen betroffen. nannt. Deswegen ist DIE LINKE ohne Erwerbstätigenquote ist für die Fra- Auch hier berichtet die Bundesre- Wenn und Aber gegen die Rente erst ge, ob die Rente erst ab 67 vertret- gierung nicht einmal die halbe Wahr- ab 67. Von der SPD oder den Grünen bar ist oder nicht, der falsche Maß- heit. Die Abschlagsquote ist ein Durch- stammt der Satz auch nicht, obwohl stab. Sowohl Selbstständige, Beam- schnittswert, hinter der die besonders beide es genau so hätten sagen kön- tInnen, mithelfende Familienangehö- heftige Rentenkürzung für bestimmte nen. Sowohl SPD als auch Grüne wollen rige und selbst Menschen mit Minijob Berufsgruppen versteckt wird: Mehr die Rente erst ab 67. Aber sie drehen werden mitgezählt. Und jede Arbeits- als 70 Prozent der Dienstleistungskauf- noch ein wenig am Rad der Bedingun- stunde zählt, egal ob schlecht (Mini- leute, Chemiearbeiter/innen, Bergleu- gen, und das umso schneller, je stär- Jobs) oder gar nicht (mithelfende Fa- te und Elektriker/innen müssen Kür- ker sie zu spüren bekommen, dass die milienangehörige) bezahlt, ob Vollzeit zungen hinnehmen, wenn sie in Ren- Mehrheit der Bevölkerung, die Sozial- oder mindestens eine Stunde in der te gehen. verbände und die Gewerkschaften den Woche. 38 Prozent erwerbstätige 60- Auch die Höhe der Abschläge ver- Weg der längeren Lebensarbeitszeit für bis 64-Jährige im Jahr 2009 sind also schweigt die Regierung: 2009 lagen falsch halten. kein Erfolg. Die Quote für in Vollzeit Er- sie bei durchschnittlich 117 Euro – je- Den Satz könnte auch CSU-Chef werbstätige ist mit 27 Prozent bei den den Monat, bis zum Lebensende! gesagt haben. Er hat in 60- bis 64-Jährigen und 14 Prozent für der Union allein damit für Aufregung 64-Jährige schon deutlich geringer. Für Von der Schönfärberei zur Lüge: gesorgt, dass er nicht mehr und nicht Frauen sieht die Vollzeiterwerbstäti- »Entweder man kürzt die Renten oder weniger als das gefordert hatte, was genquote mit 14 Prozent bei den 60- man erhöht den Beitragssatz dras- ohnehin im Gesetz steht: Es muss ge- bis 64-Jährigen und nicht einmal sie- tisch«, drohte die Arbeitsministerin als prüft werden, ob der Arbeitsmarkt ei- ben Prozent bei den 64-Jährigen noch Alternativen zur Rente erst ab 67 an. ne längere Lebensarbeitszeit auch tat- schlechter aus. Hier wird die Schönfärberei zur Lüge. sächlich hergibt. Bis heute verhält sich Denn eine drastische Rentenkürzung Schwarz-Gelb so, als sei die im Gesetz Sozialversicherungspfl ichtige Be- ist nicht die Alternative, sondern die festgeschriebene Überprüfungsklausel schäftigung – richtiger Maßstab, unvermeidliche Folge der verordneten eine Zumutung. Doch nicht die Über- trickreich dargestellt: Für die gesetz- längeren Lebensarbeitszeit. Und die prüfungsklausel ist eine Zumutung, liche Rentenversicherung zählt nur so- als drastisch bezeichneten höheren sondern die Rente erst ab 67. zialversicherungspfl ichtige Beschäfti- Beiträge schrumpfen bei genauer Be- Seit dem 17. November liegt der ers- gung, am besten in Vollzeit. Doch der trachtung auf einen halben Beitrags- te Prüfbericht mit dem Titel »Aufbruch Regierungsbericht enthält weder Quo- satzpunkt bis zum Jahr 2030 zusam- in die altersgerechte Arbeitswelt« vor. ten für Vollzeitbeschäftigung noch nach men. Bei einem heutigen durchschnitt- Er entspricht voll und ganz unseren Be- Geschlecht und auch nicht für 64-Jähri- lichen Verdienst wären das knapp sie- fürchtungen: Vermeintliche Erfolgsquo- ge. Knapp ein Viertel der 60- bis 64-Jäh- ben Euro im Monat. ten werden bejubelt, harte Fakten der rigen ist sozialversicherungspfl ichtig Der eingangs zitierte Satz stammt miserablen Arbeitsmarktlage Älterer beschäftigt. Das ist an sich schon kei- übrigens von der CDU. Sie hat ihn im werden verschwiegen. ne Jubelquote. Sie schrumpft ins Mick- Rahmen eines Antrags zum Thema Al- rige, wenn die Vollzeit Beschäftigten in tersarmut auf ihrem 23. Parteitag, der Altersgruppe der 50- oder 55- bis den Blick genommen werden. Darüber vom 14. bis 16. November stattfand, 64-Jährigen – falscher Maßstab: Es steht im Prüfbericht der Bundesregie- beschlossen. Einen Tag später stell- geht nicht um die Rente ab 50, auch rung kein einziges Wort: Die Vollzeit- te Ministerin von der Leyen den ersten nicht um die Rente ab 55, sondern nur beschäftigungsquote beträgt nämlich Prüfbericht der Presse vor. Sie lächelte um die Rente ab 65 oder erst ab 67. Wer bei den 60- bis 64-Jährigen nicht ein- – wie immer – über die Grausamkeiten mit 60 keinen Job mehr hat oder aus mal ein Fünftel, genau 17 Prozent, und hinweg. Was auch sonst? Verkündete gesundheitlichen Gründen nicht mehr bei den 64-Jährigen nur sechs Prozent. sie doch Zahlen, die nach dem Mus- arbeiten kann, dem oder der wird die Auch hier ist die Situation von Frauen ter schön, schöner, geschönt gestrickt Rente gekürzt – egal, ob er oder sie besonders schlecht: Die Vollzeitquote worden sind. mit 50 oder 55 noch in Lohn und Brot der 60- bis 64-Jährigen beträgt gerade war oder nicht. Deswegen muss aus- mal zehn Prozent, die der 64-Jährigen Matthias W. Birkwald ist rentenpoli- schließlich die Arbeitsmarktlage der nicht einmal vier Prozent. tischer Sprecher der Bundestagsfraktion.

190 DISPUT Dezember 2010 RENTE Röslern nach Riesterart Projekt Zerschlagung der sozialen Pfl egeversicherung Von Regina Stosch

Kaum ist das GKV-Finanzierungsgesetz Der GKV-Spitzenverband hat vor- , CDU, berichtete bei (GKV = Gesetzliche Krankenversiche- sorglich ein Gutachten beim Kölner »Hart aber Fair« vom Rat, den seine rung) verabschiedet, da holt Schwarz- Versicherungsrechtler Christian Rolfs Großmutter ihm gab: »Spare in der Gelb zum nächsten Angriff auf den So- in Auftrag gegeben, das zu dem Er- Zeit, dann hast du in der Not«. Wir wis- zialstaat aus: 2011 steht der System- gebnis kommt, der angestrebte Kapi- sen, wenn die Regierung vom Sparen wechsel in der bisher umlagefinan- talstock ist bei den gesetzlichen Kas- spricht, dann meint sie Sozialabbau. zierten Pfl egeversicherung bevor. Die sen gut aufgehoben und geschützt vor Jetzt ist die Pfl ege dran. FDP wäre für eine vollständige Kapital- dem Zugriff des Gesetzgebers. Sozial- Omis Rat funktioniert in der Volks- deckung der Pfl ege, CDU/CSU möch- versicherungsrechtliche Anwartschaf- wirtschaft nicht. Aller Sozialaufwand ten zumindest teilweise am Umlage- ten genießen den verfassungsrecht- muss aus dem Volkseinkommen der verfahren festhalten. Geeinigt hat man lichen Schutz des Eigentums wie Le- laufenden Periode gedeckt werden. Je- sich auf eine verpfl ichtende private Zu- bensversicherungen, wenn das Kapi- des Wertpapier, jede Aktie, jedes Spar- satzversicherung. Im Koalitionsvertrag tal zur Deckung konkreter Risiken dient buch benötigt Käufer der zukünftigen heißt es, man brauche neben dem be- (zum Beispiel der stationären Pfl ege) Generation. Genauso ist es mit Im- stehenden Umlageverfahren eine er- und getrennt verwaltet wird. Bei der mobilien oder Versicherungen. Schon gänzende Kapitaldeckung, die »ver- Privatversicherung drohen »erhebliche Oswald von Nell Breuning und Walter pfl ichtend, individualisiert und genera- Effi zienzdefi zite« durch laufende Kos- Schreiber, die Berater Adenauers bei tionengerecht ausgestaltet sein muss«. ten und Provisionen. Die PKV argumen- der Rentenreform 1956, hielten am Um- Der pfl egepolitische Sprecher der tiert anders: Man habe jede Menge Er- lageverfahren fest. Das Brötchen, das Union, Willi Zylajew, plauderte auf ei- fahrung mit dem Verwalten von Alters- ich später esse, muss von einem dann ner Tagung im Oktober aus dem Näh- rückstellungen (144 Milliarden Euro in lebenden Bäcker gebacken werden. kästchen. Die Pfl egereform sei »von pri- der privaten Vollversicherung und 16,5 Willi Zylajew sieht es wie weiland die vaten Instituten hinter dem Ministeri- Milliarden Euro in der privaten Pfl ege- christlichen Soziallehrer. »Wenn Blüm um entwickelt« worden. Das Vorhaben versicherung). Mit keinem Wort wird er- 1995 Kapitaldeckung eingeführt hät- trägt also die Handschrift der Privaten wähnt, dass diese Rücklagen durch die te, hätte es bis heute keinen Rückfl uss Krankenversicherungen (PKV). Der Bei- Finanzkrise stark zusammengeschmol- gegeben.« Die Kapitaldeckung hat auf- trag werde acht oder neun Euro im Mo- zen sind und die PKV dadurch existen- grund der Risiken der Kapitalmärkte in nat betragen, jedes Jahr um einen Euro ziell bedroht ist. Nicht einmal der ge- der sozialen Absicherung nichts zu su- steigend. Mehr könne man der Bevöl- setzlich vorgeschriebene Rechnungs- chen. kerung derzeit nicht zumuten. Bis 2027 zins von 3,5 Prozent konnte langfristig werde ein vernünftiger Kapitalstock erwirtschaftet werden. Eine Geldspritze Fazit: aufgebaut, der selbstverständlich bei durch Röslers Pfl egereform kommt ge- den privaten Versicherungen verwal- rade recht. Der PKV-Verband weiter: In Das Umlageverfahren ist sicher und tet wird. Der Freiburger Finanzwissen- einer sozialen Pfl egeversicherung gebe hat sich bewährt. Zukünftig werden schaftler Professor Raffelhüschen, den es keine Sicherheit vor dem Zugriff der mehr Menschen Leistungen der Pfl e- die »Nachdenkseiten« »Mietmaul und Politik. Hier wird argumentativ an die geversicherung beziehen. Mit der so- Versicherungslobbyist« nennen, rech- Politikverdrossenheit und das Miss- lidarischen Bürgerinnen- und Bürger- net anders: »Je nachdem, wie stark der trauen der Bevölkerung angeknüpft. versicherung wollen wir die Pfl egever- Kostendruck im Pflegesektor ausge- Der Boden für Entsolidarisierung, sicherung dauerhaft stabil fi nanzieren prägt ist, müsste ein im Jahr 2007 Neu- Individualisierung und Egoismus wird und für soziale Gerechtigkeit sorgen: geborener monatlich zwischen 14,40 ideologisch in den Medien vorberei- Alle Menschen – auch heute privat Ver- Euro und 26,00 Euro für die kapitalge- tet. »Wer jetzt in die Pflegeversiche- sicherte – zahlen entsprechend ihrem deckte Zusatzversicherung aufwenden, rung zahlt, spart das Geld nicht für sich Einkommen aus Löhnen, Gewinnen ein 30-Jähriger, der weniger Zeit für den selbst an, sondern zahlt für die Gene- und Kapitalerträgen in die Bürgerver- Kapitalaufbau hat, zwischen 20,60 Eu- ration, die jetzt Leistungen in Anspruch sicherung ein. Die Arbeitgeber über- ro und 34,40 Euro.« nimmt. … Die jungen Menschen müs- nehmen die Hälfte der Pfl egeversiche- Vorgegeben für die kapitalgedeckte sen heute anfangen, an morgen zu rungsbeiträge ihrer Beschäftigten. So Säule der Pfl egeversicherung ist drei- denken und fi nanziell vorzusorgen.« kann eine Pfl ege ermöglicht werden, erlei: Sie soll verpfl ichtend sein (an- So Rösler im »Hamburger Abendblatt« die sich am individuellen medizini- ders als die Riesterrente), der Kapital- vom 15. November 2010. Das jahrhun- schen und persönlichen Bedarf orien- stock soll später nicht für andere, son- dertealte Prinzip der Solidarität in der tiert. dern nur für die eigene Pfl egeleistung Sozialversicherung wird durch indivi- DIE LINKE wird ihr Konzept vehe- zur Verfügung stehen, und die Politik duelles Sparen ersetzt. Das nützt den ment in die Debatte um die Pfl egever- darf keinerlei Zugriff haben. Daher soll Versicherungen, nicht den Pflegebe- sicherung einbringen. das Kapital bei den privaten Versiche- dürftigen. DIE LINKE muss um die Deu- rern verwaltet werden, nicht bei den ge- tungshoheit für eine solidarische Pfl e- Regina Stosch ist Mitglied im Sprecher/ setzlichen Kassen. Ein Riesengeschäft geversicherung auch in den Köpfen innerat der BAG Gesundheit und Soziales von jährlich über zehn Milliarden Euro. streiten. und im Landesvorstand Bayern.

PFLEGEVERSICHERUNG DISPUT Dezember 2010 020 Ein verfassungswidriges Gesetz Aus der Bundestagsrede von am 3. Dezember in der abschließenden Debatte über das Gesetz zur Neuregelung des Hartz-Regelsatzes

Die Neuregelung der Hartz-IV-Regelsät- (Beifall bei der LINKEN – Markus lage des Bundesverfassungsgerichts ze ist verfassungswidrig, weil die Regel- Kurth (Bündnis 90/Die Grünen): Das – nämlich die verdeckten Armen her- sätze nicht bedarfskonform sind, son- hat er überhaupt nicht gesagt! Erzäh- auszurechnen. »Verdeckte Arme« sind dern allein haushaltskonform zurecht- len Sie doch keinen Quatsch! – Jürgen Leute, die einen Anspruch auf Hartz IV getrickst wurden. Das wird Ihnen das Trittin (Bündnis 90/Die Grünen): Er ist oder ähnliche Sozialleistungen hätten, Bundesverfassungsgericht, falls es wieder in seinem Element!) aber diesen Anspruch nicht geltend dort hinkommen sollte, nicht durchge- Aber es passt natürlich dazu, dass machen. Nun haben wir bei der Regie- hen lassen. Hartz IV ja eine Erfi ndung von SPD und rung, beim Statistischen Bundesamt (Beifall bei der LINKEN sowie des Grünen ist und dass alle Fraktionen im der Regierung, nachgefragt, was es ei- Abg. (Spandau) (SPD)) Bundestag dem verfassungswidrigen gentlich für eine Änderung nach sich Ich befürchte trotzdem, dass der Ge- Gesetz, weshalb wir ja jetzt hier sitzen, zöge, wenn man nicht 15, sondern 20 setzentwurf eine Mehrheit im Bundes- zugestimmt haben: Union, FDP, SPD Prozent der Geringverdienenden ge- tag fi ndet. Der Bundesrat könnte aber und Grüne. nommen und die verdeckten Armen am 17. Dezember Nein sagen und da- (Beifall bei der LINKEN) herausgerechnet hätte. Und das Sta- mit das Ganze kippen. Herr Trittin, er- Ich glaube, das Bundesverfassungs- tistische Bundesamt teilt mit: Allein klären Sie mir doch Folgendes: Die Grü- gericht hat für dieses Gesetz eine deut- dadurch würde sich bereits der Regel- nen haben in der Koalition mit der CDU liche Ohrfeige erteilt. satz um 28 Euro monatlich erhöhen. – in Hamburg fast alle Positionen aufge- (Beifall bei der LINKEN) Das ist so was von eindeutig verfas- geben und wollten da raus; das kann Aber es gibt eine Hoffnung. Die Hoff- sungswidrig – ich weiß gar nicht, wie ich nachvollziehen. nung besteht darin, dass auf den An- Sie darauf kommen, dass Sie jemals Aber für mich ist es völlig unverständ- trag unserer Fraktion hin die Mehrheit damit durchkommen könnten. lich, dass Sie da zur Unzeit rausgegan- im Landtag von Nordrhein-Westfalen (Beifall bei der LINKEN sowie des gen sind. Warum konnten Sie nicht bis beschlossen hat, dass die Regierung Abg. Swen Schulz (Spandau) (SPD)) zum 17. Dezember warten? Dann hätten eine Organklage erheben soll, falls das Außerdem haben Sie die Aufstocker wir eine klare Mehrheit im Bundesrat Gesetz so Gesetz werden sollte. Darauf nicht herausgerechnet. (...) gehabt. Die geben Sie jetzt einfach auf. beruht auch meine Hoffnung, dass es Was haben Sie noch gemacht? Sie (Beifall bei der LINKEN – Markus Kurth möglichst schnell zum Bundesverfas- haben das Elterngeld für Hartz-IV-Emp- (Bündnis 90/Die Grünen): Kümmern sungsgericht geht. fänger und für die Kinder gestrichen. Sie sich mal um die Union!) (Beifall bei der LINKEN) Sie haben das Übergangsgeld für Ar- Jetzt hat unsere Fraktion in Ham- Nun habe ich ja gesagt, Frau von der beitslose beim Übergang vom Arbeits- burg beantragt, dass man beschlie- Leyen, dass Sie die Aufl agen des Bun- losengeld zu Hartz IV gestrichen. Sie ßen soll, dass die Regierung aufgefor- desfi nanzministeriums von 2008 – üb- haben Milliarden für die Bildungsmaß- dert wird, im Bundesrat mit Nein zu rigens damals noch unter der Leitung nahmen gestrichen. – Das alles haben stimmen. Herr Trittin, das Bundesver- der SPD – erfüllt haben. Damals wurde Sie damit begründet, dass ein Schul- fassungsgericht hat aber entschieden, gesagt: fünf Euro mehr darf es geben. denabbau stattfi nden müsse. Massiv dass das eine Entscheidung der Regie- Dann haben Sie bei den Berechnungen neue Schulden haben wir aufgenom- rung und nicht des Parlaments ist. Wie- getrickst und geschummelt, bis Sie ex- men dank der Banken und ihrer Spe- so Sie die CDU im Bundesrat am 17. De- akt auf diese fünf Euro gekommen sind. kulationen, aber die zahlen dafür kei- zember 2010 allein agieren lassen, ist Das darf man Ihnen nicht durchgehen nen Euro, auch nicht die Vermögenden, nicht erklärbar. (Beifall bei der LINKEN) lassen. auch nicht die Bestverdienenden. Dar- Nun haben wir aber immer noch (Beifall bei der LINKEN) an wird das sozial Ungerechte an dem eine Stimme Mehrheit im Bundesrat, Ich nenne nur drei Tricks. Der ers- gesamten Vorgang deutlich. wenn ich alle Oppositionskräfte zu- te Trick bestand darin, die Verbrauchs- (Beifall bei der LINKEN) sammennehme. Aber Herr Ulrich aus stichprobe zu ändern. Nicht mehr 20 Lassen Sie mich noch etwas zu den dem – nicht schlecht von Prozent der Geringverdienenden wur- Kindern und Jugendlichen sagen. Sie der FDP bezahlt – hat erklärt, dass er den herangezogen, sondern nur noch sollten eine substanzielle Verbrauch- sich noch überlege, ob es bei der Ent- 15 Prozent. Das bedeutete, dass Sie sprobe machen. Das haben Sie aber haltung bleibe. Man könne auch Ja sa- die fünf Prozent der Bevölkerung, die nicht gemacht. Stattdessen nehmen gen, allerdings unter einer Bedingung, schon etwas mehr verdienten als die Sie wieder nur einen Prozentsatz des nämlich dass etwas für das Saarland unteren 15 Prozent, ausgelassen ha- Regelsatzes der Erwachsenen. Das herausspringe. Ich bitte Sie! Überlegen ben. Bundesverfassungsgericht hat aber Sie sich doch mal, was er sagt! Ihm ist (Widerspruch bei der CDU/CSU) klar gesagt: Kinder sind keine kleinen das Grundgesetz egal, ihm ist die Ar- Die haben Sie nur ausgelassen, um Erwachsenen. (...) mut der Hartz-IV-Empfänger egal. Wenn auf Ihre komischen fünf Euro zu kom- Ich kann es nicht ändern, dass Sie er ein Haus für das Saarland bekommt, men. Das ist der Trick, der dahinter- trotz meiner Warnung auch heute wie- dann sagt er Ja zu diesen Sätzen. Das steckt. Das lässt Ihnen das Bundes- der ein verfassungswidriges Gesetz be- ist überhaupt nicht hinnehmbar und verfassungsgericht nicht durchgehen. schließen werden. verantwortungslos. Dann gab es eine zweite direkte Auf- (Beifall bei der LINKEN)

210 DISPUT Dezember 2010 DOKUMENTIERT Die parteinahe Ro- sa-Luxemburg-Stif- tung, das sind Wis- senschaftler/in- nen, AutorInnen, StipendiatInnen, Vertrauensdozen- tInnen sowie Hun- derte ehrenamt- liche Akteure. Das sind rund 130 Mit- arbeiter/innen, 13 Regionalbüros, jährlich 2.000 Ver- anstaltungen und 14 Auslandsbüros.

STIFTUNG DISPUT Dezember 2010 022 Analyse, Bildung, Austausch Vor 20 Jahren wurde die heutige Rosa-Luxemburg-Stiftung gegründet. Die Bildungs- und Forschungsstätte feierte Geburtstag © Erich Wehnert (5)

230 DISPUT Dezember 2010 Gemeinsam blockieren! Den Nazis im Februar 2011 in Dresden erneut entgegentreten! Von Jens Thöricht © Erich Wehnert Unüberhörbar und unübersehbar: ziviler Ungehorsam gegen Naziaufmärsche wie im Februar 2010.

Anlässlich der Luftangriffe durch Alli- den bei Temperaturen unter null Grad und überregionalen Medien: In Dres- ierte im Februar 1945 auf Dresden pla- in Blockaden ausgeharrt. Parallel dazu den fand kein Nazi-Großaufmarsch nen Nazis für 2011, wie schon seit vie- wurde am Neustädter Bahnhof verhan- statt, Blockaden rund um den Bahn- len Jahren, einen Marsch durch Dres- delt. Endlich kam die erlösende Nach- hof Dresden-Neustadt hatten dies ver- den. Dazu mobilisieren sie europaweit. richt des Ordnungsamtes Dresden und hindert. Nachdem lokale Medien in ih- Die Zahlen der Demonstrationsteil- der Polizei, dass der Aufmarsch der Na- rer Berichterstattung zunächst vom al- nehmerinnen und -teilnehmer im Jahr zis aus Sicherheitsgründen abgesagt leinigen Erfolg der Menschenkette der 2009 sprechen für sich: Mit 7.000 Na- wird. Viele junge Menschen, aber auch Oberbürgermeisterin berichteten, gab zis auf der Straße hat Dresden eine Ältere, mehrheitlich nicht aus Dresden es auch hier unter dem Druck der Öf- herausragende Bedeutung in faschis- – geschätzt 70 bis 80 Prozent der Teil- fentlichkeit am 17. Februar eine Wende. tischen, nationalsozialistischen und nehmerinnen und Teilnehmer waren Die Menschenblockaden wurden end- rechtskonservativen Kreisen. Seit Be- mit Bussen nach Dresden angereist – lich als das dargestellt, was sie tatsäch- ginn der Aufmärsche stiegen die Zah- errangen diesen Erfolg! Die Medien ta- lich waren, nämlich die wirklichen Ver- len und die Umfeldaktivitäten stetig. ten sich zunächst schwer, diesen Erfolg hinderer des Naziaufmarsches vier Ta- Aber wir haben es geschafft: Am 13. als solchen darzustellen. ge zuvor. In der Stadtratssitzung vom Februar 2010 zog kein Trauermarsch Im Vorfeld des 13. Februar 2010 war 25. Februar 2010 schließlich konnte der Nazis durch Dresden. Dem Aufruf in der Dresdner Presse das Aktions- Frau Orosz nicht umhin, in einem Ne- von »No pasaran« folgend, entstand bündnis »Nazifrei! – Dresden stellt sich bensatz auch den »Menschen in der das Bündnis »Nazifrei! – Dresden stellt quer« als Gruppe linksradikaler Chao- Neustadt« für ihr Engagement zu dan- sich quer«. In diesem Bündnis schlos- ten verunglimpft wurden. Die von der ken. sen sich Parteien, Verbände, Organi- Oberbürgermeisterin Frau Orosz ange- Immer wieder wird die Frage gestellt, sationen und Einzelpersonen zusam- regte Menschenkette wurde zum einzi- warum sich die rechten Parteien und men. Auf der Basis des Aktionskonsen- gen akzeptablen Mittel stilisiert, wel- Gruppierungen gerade Dresden für ih- ses »Wir leisten zivilen Ungehorsam ches einen Trauermarsch der Nazis ver- re größte international beworbene De- gegen den Naziaufmarsch. Von uns hindern könne. Damit wurde in der lo- monstration ausgewählt haben. geht dabei keine Eskalation aus. Unse- kalen Presse versucht, die Bürger der In der DDR wurde dieser Tag von of- re Massenblockaden sind Menschen- Stadt zu spalten, geplante Aktionen in fi zieller Seite zum Tag für das Geden- blockaden. Wir sind solidarisch mit al- demokratische und »extremistische« ken an die Opfer von Krieg und Faschis- len, die mit uns das Ziel teilen, den Na- zu teilen. Schließlich ging der 13. Feb- mus. Immer wurde an die Verantwor- ziaufmarsch zu verhindern« hatten bis ruar 2010 von Dresden aus um die Welt. tung des faschistischen Deutschlands zu 15.000 Menschen an die zehn Stun- Zuerst berichteten die ausländischen für die Verbrechen dieses Krieges er-

ANTIFASCHISMUS DISPUT Dezember 2010 024 innert. Der Tag stand unter der Forde- breitere Füße zu stellen, sondern ihn len den Mythos von der unschuldigen rung »Nie wieder Faschismus, nie wie- auch nachhaltig zu verankern – das ha- Stadt Dresden kritisch in den Blick neh- der Krieg«. Es gab Kranzniederlegun- ben die antifaschistischen Proteste der men und die Opfer des nationalsozia- gen auf dem Heidefriedhof, bei denen, letzten Jahre in Dresden gezeigt. listischen Terrors sowie des Zweiten mehr als das heute der Fall ist, den Op- Weltkrieges in den Fokus rücken. Wir Lehren für die Zukunft fern des Krieges in der Welt, wie in den wenden uns gemeinsam gegen jede Art Städten Leningrad, Warschau oder Co- 2011 ist der 66. Jahrestag der Luftan- von Geschichtsrevisionismus. ventry, gedacht wurde. Das Gedenken griffe auf Dresden. Im Februar 2010 ha- In diesem Sinne: Stoppen wir auch an die Opfer stand immer in Einheit ben wir den faschistischen Kräften ei- im Februar 2011 die Nazis in Dresden mit der Mahnung an die Ursachen und ne Niederlage zugefügt. Von den Jun- und blockieren dort, wo es notwendig Urheber des Krieges. Dresden stand gen Landsmannschaften bis zur NPD sein wird, um einen Marsch zu verhin- symbolisch für die Rückkehr des Krie- gab und gibt es Überlegungen, 2011 dern! Menschen, die sich mit friedli- ges an seinen Ursprung. In der offi ziel- die Niederlage wieder wettzumachen. chen Blockaden den Nazis entgegen- len Lesart wurden unschuldige Zivilis- Ihr genaues Konzept werden die Nazis stellen, sind keine linken Chaoten. Es ten, Frauen, Kinder, ältere Menschen, mit uns nicht verhandeln. Aktuell schei- sind Menschen, die aus der Geschichte Flüchtlinge zu Opfern der Bombenan- nen sie am 13. und 19. Februar 2011 die richtigen Schlussfolgerungen gezo- griffe. Der Diskussion um die Kriegs- marschieren zu wollen. Das fordert von gen haben: Nie wieder Faschismus, nie schuld, der Auseinandersetzung mit uns ein hohes Maß an Flexibilität und wieder Krieg! No pasaran! Sie werden der Verantwortung bis hin zum Versa- Kreativität. nicht durchkommen! gen von Parteien und Organisationen, Wir wollen im kommenden Jahr auch Dazu brauchen wir euch! Mobilisiert bis hin zum Einzelnen für die Entwick- inhaltlich einen Schritt weiter gehen, eure Freundinnen und Freunde sowie lung von Faschismus und Krieg wurde indem wir uns kritisch mit der offi ziel- Bekannte! Kommt nach Dresden und zu wenig Raum gegeben. len Erinnerungskultur auseinanderset- beteiligt euch an den Blockaden! Um Naziaufmärschen dieser Grö- zen. Wir wollen gemeinsam diskutieren, ßenordnung wirksam entgegentreten warum die Nazis sich den 13. Februar in Jens Thöricht ist Mitglied des Landes- zu können, ist es notwendig, den an- Dresden Jahr für Jahr als Aufmarschort vorstandes Sachsen. tifaschistischen Protest nicht nur auf zu diesem Datum vornehmen. Wir wol- www.antifa.dielinke-sachsen.de

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25 0 DISPUT Dezember 2010 Stabwechsel mit Aktionsplan Vom 3. Kongress der Partei der Europäischen Linken Von Andreas Günther

großen Industrienationen keine neu- en Kriterien für eine erfolgreiche Wirt- schafts-, Sozial- und Gesellschaftspo- litik entwickeln … Für uns stehen zu- erst eine Begrenzung von Außenhan- delsüberschüssen und die Sicherung einer sozial und ökologisch nachhalti- gen Entwicklung an.« Mit Blick auf die Eurokrise musste er feststellen, dass »die Linke … vor einer doppelten He- rausforderung (steht): Wir stehen da- für, dass die soziale Frage in den Mit- telpunkt der Politik gestellt wird … wir (haben) im Aktionsprogramm … diese Krise auch als eine Krise der demokra- tischen Institutionen charakterisiert.« Krisenbekämpfung ohne die Beseiti- gung der Krisenursachen, ohne nach- haltige Armutsbekämpfung weltweit werde erfolglos bleiben. Vom 3. bis 5. Dezember fand in Paris im Europäischen Parlament. Der Kon- setzte auf das gemeinsame Handeln, der 3. Kongress der Partei der Europä- gress dankte ihm für sein verdienst- das schnelle Ende einer weiteren Zer- ischen Linken (EL) statt. Lothar Bisky volles Wirken. In seiner letzten Rede splitterung der linken Kräfte. gab, wie lange angekündigt, den Vor- als EL-Vorsitzender ging er auf die Fi- Zum neuen Vorsitzenden der EL sitz der Partei, den er seit 2007 inne nanzkrise ein und konstatierte: »Al- wurde mit großer Mehrheit Pierre Lau- hatte, ab und konzentriert sich künftig le Rettungsschirme sind umsonst, rent, Vorsitzender der Französischen auf den Vorsitz der GUE/NGL-Fraktion wenn die Europäische Union und die Kommunistischen Partei, gewählt (DIS- © Michel Soudais (2), Octave Honorin Soudais (2), Octave © Michel Erst Blumen, dann viel Arbeit für die neue Spitze der Europäischen Linken.

EUROPÄISCHE LINKE DISPUT Dezember 2010 026 Ich abonniere DISPUT

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Ich bestelle ab sofort Exemplar(e) Bisheriger EL-Vorsitzender Bisky: Gemeinsam handeln! der Zeitschrift DISPUT im

PUT interviewte ihn im Novemberheft.) sinnvolle Infrastrukturprojekte und Halbjahresabonnement zum Preis von Ihm zur Seite steht ein Führungsteam Verbesserungen im Umweltschutz för- 12,00 Euro inkl. Versandkosten mit vier Vize-Vorsitzenden: Maite Mola dert. Das Geld dafür soll von der Euro- von der Spanischen Kommunistischen päischen Zentralbank und durch eine Jahresabonnement zum Preis von Partei, die Europaabgeordnete Mari- Finanztransaktionssteuer aufgebracht 21,60 Euro inkl. Versandkosten sa Matias vom portugiesischen Links- werden. block, , Vorsitzender des Die Europäische Bürgerinitiative und nutze den vorteilhaften Bankeinzug griechischen , sowie Gri- braucht eine Million Unterschriften gore Petrenco von der Partei der Kom- von EU-Bürgerinnen und -Bürgern, ei- munisten der Republik Moldau. ne hohe Hürde, die von der Europäi- Zum Schatzmeister wurde Diether schen Linken immer kritisiert wurde. Geldinstitut Dehm (DIE LINKE) gewählt. Der weitere Um diese Hürde zu meistern, will die EL Vorstand besteht, unter Beachtung der eine breite, gut vorbereitete Kampag- Geschlechterparität, aus je zwei Vertre- ne von der Basis aus in ganz Europa or- terInnen der Mitgliedsparteien. Für DIE ganisieren, in allen Sprachen und mit Bankleitzahl LINKE sind das Claudia Haydt und Hel- Veranstaltungen in den verschiedenen mut Scholz. Hauptstädten. Es geht darum, das Ins- Die Europäische Linke hat auf ih- trument der Bürgerinitiative für die Mo- Kontonummer rem Kongress einstimmig eine »Agen- bilisierung der Bürgerinnen und Bürger da für ein soziales Europa« als einen gegen die Logik der europäischen Ver- oder politischen Aktionsplan für die nächs- träge zu nutzen, um die gegenwärtigen ten Jahre, als eine Plattform für Wider- Machtverhältnisse an einem ganz kon- bitte um Rechnungslegung (gegen stand und Alternativen zur herrschen- kreten Punkt in Frage zu stellen. Gebühr) an meine Adresse. den Politik der Sparprogramme und Der Kongress ratifizierte die Bei- des Sozialabbaus beschlossen. Es sei tritte weiterer Mitgliedsparteien: der Zeit, aktiv zu werden. Nur starke euro- Belarussischen Partei der Linken »Ge- päische Initiativen könnten eine Syste- rechte Welt«, der Bulgarischen Linken, Das Abonnement verlängert sich automatisch um den malternative aufzeigen zu einer Wirt- der Rot-Grünen Einheitsliste aus Dä- angegebenen Zeitraum zum gültigen Bezugszeitraum, falls ich nicht 15 Tage (Poststempel) vor dessen Ablauf schaft, die auf den Finanzmärkten auf- nemark, des fi nnischen Linksbundes, schriftlich kündige. baut. Deshalb müsse die Europäische der Finnischen Kommunistischen Par- Linke ihre Fähigkeit beweisen, auf die tei, der Linkspartei Frankreichs und Herausforderungen zu reagieren und der Vereinten Linken aus Frankreich. ihren Platz in der Gesellschaft auszu- Die Europäische Linke umfasst nun- Datum, 1. Unterschrift füllen. So beschloss die Europäische mehr 27 Mitglieds- und 11 Beobachter- Linke weiterhin, als erste Partei die parteien aus 24 Ländern. Damit setz- Ich habe zur Kenntnis genommen, dass ich die Bestellung Europäische Bürgerinitiative zu nut- te die Partei eine Periode der Verbrei- innerhalb von 10 Tagen widerrufen kann. zen, die durch den Vertrag von Lissa- terung fort. Nach dieser müsse sie nun Zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung des bon in der Europäischen Union einge- das Schwergewicht auf ihre Einheit le- Widerrufs. führt wurde. Ziel der Initiative soll die gen, sagte der neu gewählte Vorsitzen- Schaffung eines »Europäischen Fonds de Pierre Laurent und führte damit ei- für soziale Entwicklung« sein (im Ge- nen Gedanken seines Vorgängers fort. Datum, 2. Unterschrift gensatz zum jetzt geplanten Fonds Denn Europa braucht mehr denn je ei- Coupon bitte senden an: Parteivorstand DIE LINKE, für Finanzmarktstabilisierung), der öf- ne schlagkräftige linke Alternative! Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin. fentliche Investitionen zur Beschäfti- Bestellungen auch möglich unter: www.die-linke.de gungssicherung, Bildung, Forschung, www.european-left.org

270 DISPUT Dezember 2010 Aufgepasst: LiMA regional! Die Linke Medienakademie sorgt in Frankfurt am Main, Stuttgart und Erfurt für mehr Medienkompetenz und Gegenöffentlichkeit vor Ort Von Nina Körner und Paul Wellsow

Schreiben, sprayen, sprechen – der Gesellschafts- und Politikanalyse der gesinnten zu vernetzen. Der Wissen- Mix aus »media, art’s and politics« Universität Frankfurt die Entwicklung schaftler und Autor Christoph Bieber hat’s gemacht bei der ersten LiMAregi- von der Honoratiorenpartei der frühen beschrieb, wie die »digitale Herausfor- onal in Frankfurt am Main. 120 Medien- BRD über große Volksparteien zur heu- derung« durch Facebook, Twitter & Co. macher, NetzaktivistInnen und Blogger tigen Auffächerung in kleinere Klientel- die deutsche Parteienlandschaft, Wahl- oder solche, die es werden wollen, wa- parteien aufgezeigt. kämpfe, Wahlen und Protestbewegun- ren am 20. November zu Workshops, »Linke Medien machen authentisch gen bereits verändert hat. In sechs Vorträgen und Podiumsdiskussion in und vor Ort« – Das Motto der LiMAregi- Workshops ging es dann ums Konkre- die Fachhochschule Frankfurt gekom- onal-Premiere hatte am 9. Oktober 50 te: Kampagnenplanung, Layout, Web- men. Das Ziel: Medien kompetent nut- Teilnehmer/innen zu den Workshops sitegestaltung, Umgang mit Bildern, zen, selbst gestalten und Gegenöffent- und Vorträgen an der Universität Stutt- Agenda-Setting und Öffentlichkeitsar- lichkeit schaffen. gart gelockt. Ein Sonderthema: »Fa- beit. Zum Abschluss diskutierten die Kreativ macht das Sprayer und Work- schismus 2.0« und »Extremismus und Professorin Christine Brückner, der shopleiter Helge Steinmann. »Streetart politische Gewalt«. Renate Angstmann- Medienpolitische Sprecher der Thürin- ist eine Form der Kommunikation und Koch, Vorstandsmitglied der Deut- ger Linksfraktion, André Blechschmidt, schen Journalistenunion (DJU), mode- und Christoph Nitz von der »Linken Me- rierte »Hofi ert, belächelt, totgeschwie- dienakademie« über den Qualitätsver- Die 8. Akademie der LiMA fi ndet gen – das linke Spektrum in eigenen fall der Thüringer Medienlandschaft, vom 9. bis 13. März 2011 in Berlin statt. und klassischen Medien«. Auf dem Po- die vom MDR und dem WAZ-Medien- Mehr zur LiMA unter: dium saßen Martin Hofmann, Redak- konzern dominiert werde. Linke Poli- http://www.linke-medienakademie.de teur der »Südwestpresse«, Peter Streiff, tik müsse daher stärker auch auf eige- Redakteur von »Contraste« – Monats- ne Medien setzen, waren sich alle einig. eine Reaktion auf die einseitige Kom- zeitung für Selbstorganisation, Karl- Um die Öffentlichkeitsarbeit der munikation der Werbung«, erklärte Martin Matt von StattZeitung/stattweb. Fraktion DIE LINKE im Thüringer Land- er den Workshopteilnehmern. »Diese de in Südbaden und Oliver Hermann, tag auszubauen und sich den Anforde- soll man eigentlich nur rezipieren, oh- Journalist des Freien Radios S. rungen des web 2.0 zu stellen, bot die ne reagieren zu können. Streetart ist »Wie web 2.0 die Politik verändert« Fraktion Ende November gemeinsam eine mögliche Reaktion und auch ei- thematisierte die LiMAregional am 4. mit der »Linken Medienakademie« ei- ne Karikatur der Konsumgesellschaft!« Dezember an der Fachhochschule Er- ne eigene Schulung an. Nach soviel Sprayertheorie ging’s mit furt. Denn gerade im digitalen Zeitalter Für alle, die die LiMAregional-Ver- Sprühdose und Atemschutz zur Praxis gilt es, Kommunikation und Kunst zu anstaltungen in diesem Jahr verpasst an die Leinwand. Gut argumentieren, verbinden, um Informationen an Frau haben, lautet die gute Nachricht: Im das richtige Foto schießen, ein Video und den Mann zu bringen. 120 Men- nächsten Jahr gibt es sie wieder: in schneiden oder die Pressemitteilung schen aus Thüringen nutzten den Tag Stuttgart am 8. Oktober, in Frankfurt informativ formulieren lernten die Teil- auf dem Campus, um den Einsatz von am 19. November und in Erfurt am 3. nehmer in den Workshops zu Rhetorik, Medien zu lernen und sich mit Gleich- Dezember 2011. Fotografi e, Video und Öffentlichkeits- arbeit. Auch Kampagnenplanung, Me- dienrecht, Netzaktivismus und Whist- leblowing standen auf dem Programm. »Schlagzeilen um jeden Preis oder Maulwurfsarbeit? – Linke (und) Medien in Hessen« war das Motto der abendli- chen Podiumsdiskussion linker Medi- envertreter/innen. Mit Moderator Mu- rat Cakir, Leiter der Rosa-Luxemburg- Stiftung Hessen, diskutierten Pitt von Bebenburg, Ressortleiter zu Landespo- litik bei der »Frankfurter Rundschau«, Kirsten Huckenbeck, Redakteurin des »Express«, Zeitung für Betriebs- und sozialistische Gewerkschaftsarbeit, Jo- achim Legatis, Vorsitzender der dju- Hessen, und Klaus Schaake, Heraus- geber der »Stadt-Zeit« Kassel. Im Eröff- nungsvortrag »Verändert die Fünf-Par- teien-Landschaft die Bundesrepublik?« © LiMa hatte Dr. Jens Becker vom Institut für Linke Politik muss stärker auf eigene Medien setzen.

MEDIEN DISPUT Dezember 2010 028 Ausgeklinkt Klimaschutzpolitik nach Art des Hauses Niebel Von André Hagel

Die einen pflegen in Fragen des Kli- Artenvielfalt und die Bewahrung des ungeklärt. Zudem trieb den obersten maschutzes Unverbindlichkeit. Ande- Lebensraumes indigener Völker. deutschen Entwicklungspolitiker die re wieder handeln sehr verbindlich – Vor vier Jahren hatte das südame- Furcht vor dem guten Beispiel um: In gegen das Klima. Die Politik des deut- rikanische Ecuador mit der sogenann- starrem Politneusprech hieß es in ei- schen Entwicklungshilfeministeriums ten Yasuní-ITT-Initiative vorgeschlagen, nem Brief an die Regierung Ecuadors, ist ein Beispiel dafür, wie man heute seinerseits auf die Förderung von rund eine Unterstützung könne »eine Prä- schon an den Katastrophen von mor- 850 Millionen Barrel Erdöl im Yasuní- zedenzwirkung im Hinblick auf Kom- gen arbeiten kann. Nationalpark zu verzichten, zugunsten pensationsforderungen der Erdöl pro- Dass eine verbindliche, der Nach- der Umwelt sowie der in dem National- duzierenden Länder in den Klimaver- haltigkeit verpfl ichtete Klimaschutzpo- park lebenden Indigenen. Das unter handlungen haben«. Ergo, ließ Minister litik ein wesentlicher Beitrag zur Ein- Naturschutz stehende Gebiet im Ama- Niebel verlauten, werde sein Ressort dämmung künftiger Katastrophen wäre, zonas-Regenwald, in dem die Erdölre- Einzahlungen in den Treuhandfonds gehört zum Allgemeinwissen der im 21. serven entdeckt worden waren, weist nicht in Betracht ziehen. (Pikant: In sei- Jahrhundert angelangten Menschheit. eine der höchsten Artenvielfalten welt- ner Kritik blendete Niebel gefl issentlich Die versucht sich mittlerweile darauf weit auf. Im Gegenzug zum Erdölver- aus, dass etwa die Frage der von ihm einzurichten, dass Überschwemmun- zicht, so das Ansinnen der ecuadori- geforderten Garantien längst Eingang gen, Wirbelstürme und Dürren weitaus anischen Regierung, sollte die inter- in die im August unterzeichneten Re- mehr als bisher das Schicksal vieler be- nationale Gemeinschaft als Ausdruck gelungen zum Fonds gefunden hatten.) stimmen werden. ihrer Mitverantwortung in den nächs- Dem Niebel-Ministerium geht es Allein, seit dem enttäuschenden Kli- ten 20 Jahren 2,7 Milliarden US-Dollar wenig um Klimaschutz und Entwick- magipfel von Kopenhagen ist die Hoff- in einen Treuhandfonds einzahlen, ei- lungspolitik, sondern im Falle der ecu- nung arg gesunken, die Staatenlenker nen Betrag, welcher der Hälfte der ver- adorianischen Initiative und des Treu- würden noch zu Konzepten fi nden, die anschlagten Einnahmen des Landes handfonds anscheinend weit eher um dem Planeten Erde und seinen Bewoh- aus der Yasuní-Ölförderung entspricht. Rohstoffsicherung mit allen Mitteln. ner wieder etwas Luft verschaffen. »Die Aus den Zinseinnahmen des unter UN- Unbeschadet des Umstandes, dass Zeit zum Handeln wird knapp – aber Verwaltung laufenden Fonds wieder- Staaten wie Italien, Spanien und Por- wo ist die internationale Klimapolitik? um sollten entwicklungspolitische und tugal inzwischen zu den Unterstützern In der Bedeutungslosigkeit verschwun- ökologische Projekte in Ecuador geför- des Yasuní-Vorhabens zählen und an- den«, stellte kürzlich Martin Kaiser, Lei- dert werden. dere wie Frankreich und Norwegen zu- ter für Internationale Klimapolitik bei mindest schon positive Signale gesen- Greenpeace Deutschland, resigniert det haben. Eine ähnliche Haltung wie Furcht vor gutem Beispiel in einem Zeitungsbeitrag fest. Ratlo- die Deutschlands ist jedenfalls nir- sigkeit und Mutlosigkeit überall: keine Anfang August dieses Jahres wurde der gendwo zu verzeichnen. gute Perspektive für den Klimagipfel im Treuhandfonds mit dem UN-Entwick- Es ist mehr als ein politischer Flur- mexikanischen Cancun, der in diesen lungsprogramm unterschrieben. Ein schaden, den der deutsche Entwick- Wochen stattfand. wichtiger Schritt zu Verhandlungen mit lungshilfeminister angerichtet hat – Die Industrieländer lieben es, aufs den Geberstaaten. der geplante Staatsbesuch des ecua- Gesamte gesehen, in Klimaschutzfra- Nur hat Ecuador die Rechnung oh- dorianischen Präsidenten Rafael Cor- gen unverbindlich. Was beschämend ne seinen ersten und bislang stärksten rea in Berlin Anfang November wurde genug ist. Einige politische Offi zielle Verbündeten in dieser Frage – Deutsch- nach Niebels Entscheidung abgesagt des reichen Nordens jedoch gehen so- land – gemacht. Zwar hatte der Bun- und auf unbestimmte Zeit verschoben, gar noch einen Schritt weiter – und un- destag im Sommer 2008 fraktionsüber- und der Minister weiß in der Sache al- terstreichen auf ganz eigene Weise ihre greifend das Votum gefällt, Haushalts- le Bundestagsparteien gegen sich. Viel Verantwortung für das, was sich bereits mittel für den Treuhandfonds bereitzu- mehr noch zeugt die Absage aus Berlin jetzt als im wahrsten Sinne des Wortes stellen; eine Entscheidung, die später von einer Anti-Klimaschutzpolitik mit katastrophale globale Perspektive ab- mehrmals offi ziell bekräftigt wurde. Im dem Brecheisen. zeichnet. September dieses Jahres aber stell- Dass dies kein nachvollziehbarer te nun der neue liberale Hausherr im Weg ist, scheint man inzwischen auch Wertvolle Ansätze sind nicht Bundesministerium für wirtschaftliche im Ministerium des Herrn Niebel er- von Wert? Zusammenarbeit und Entwicklung fest, kannt zu haben. Man ziehe »unter den dass der Yasuní-ITT-Initiative ein »ein- gegebenen Umständen« auch eine Un- So hat Deutschlands Entwicklungshil- heitlicher Begründungszusammen- terstützung in Betracht, »wenn die of- feminister (FDP) die Zeit seit hang« fehle, ebenso »eine klare Ziel- fenen Fragen beantwortet sind«, hieß dem September damit verbracht, ein struktur und konkrete Aussagen darü- es Ende Oktober plötzlich. Offenbar neue Wege weisendes Vorhaben Ecu- ber, welche Garantien für einen dauer- wird jetzt auf Zeit gespielt. Dass, um adors zu torpedieren, das in sich vier haften Verzicht auf die Ölförderung im mit Martin Kaiser zu sprechen, in Sa- wertvolle Ansätze vereint: Klimaschutz, Yasuní-Gebiet gegeben werden«. Auch chen Klimaschutz die Zeit zum Handeln Ressourcenschonung, Erhaltung der zu weiteren Geldgebern seien Fragen knapp wird, kümmert da wenig.

290 DISPUT Dezember 2010 ENTWICKLUNGSPOLITIK REEDEREI UND REINE LEERE 2010 – DER STILLOSE JAHRESRÜCKBLICK. ZEHNTE AUSGABE

Als ich vor einem halben Jahr in den schäftsführer/innen und Landesschatz- diese Partei. Bundestag gewählt wurde, hätte ich meister/innen, 19. Februar Steffen Harzer, Bürgermeisterkonferenz, nicht gedacht, dass ich hier so häufi g 5. November reden muss. Dein Kenntnisstand ist nicht zutreffend, , Bundestag, 4. März egal wie dieser ist! Es gibt drei Arten der Parteistrafe: den , Beratung der Landesge- Nichteintritt, den Ausschluss und die Ich würde gerne etwas sagen wollen, ich schäftsführer/innen und Landesschatz- Mitgliedschaft in der Schiedskommis- weiß nur nicht was! meister/innen, 19. Februar sion. Corinna Pilatzki, Beratung der Landesge- Hendrik Thomé, Parteitag, 15. Mai schäftsführer/innen und Landesschatz- Egal wie der Parteitag ausgeht, er wird meister/innen, 19. Februar gut ausgehen. Vereinfachen, ohne zu verfl achen, ist Marc Mulia, Parteivorstand, 27. Februar gar nicht so einfach. Jetzt komme ich zur Sache, nachdem ich Heinz Hillebrand, Beratung, 19. Mai hoffe, das Publikum kann folgen. Fairerweise muss ich allerdings darauf Gunhild Böth, Landtag NRW, hinweisen, dass wir dafür außer Strand- Nachdem Hannelore Kraft gestern in 30. September

Da gibt es mehr Fragen als offene Ant- worten. , Parteivorstand, 20. März

Es ist deshalb natürlich spannend, weil es nicht langweilig wird. Klaus Ernst, Parteitag, 15. Mai

Meine Herren, provozieren Sie mich nicht. Ich habe noch 27 Minuten und 25 Sekunden Redezeit. Provozieren Sie mich nicht, das auszuschöpfen. Janine Wissler, Landtag Hessen, 7. September Frau Homburger, an Ihnen schätze ich Seid die Vuvuzelas des Saarlandes – am meisten, dass dieses Pult hochge- fahren werden muss, wenn Sie vor mir Laut und penetrant für unsere Alternativen! gesprochen haben. Das ist bei mir so , Rede, 15. Juni selten der Fall. Gregor Gysi, Bundestag, 25. März fl ächen und einer Stadtmöblierung kei- der ZDF-Sendung »Maybritt Illner« ih- Das war kein Handy-Ton, ich bin Bauch- ne Leistungen erbringen können. re Maske fallen ließ und eine Koalition redner! Dietmar Bartsch, Brief, 8. März mit der LINKEN generell ausschloss, hat Axel Troost, Parteivorstand, 4. Juli sich Oskar Lafontaine terminlich freige- Ihr wisst, ich bin Amtsrichter, Familien- schaufelt ... Herr Reif, ich habe gehört, dass Sie mich richter. Das ist eigentlich ideal für die Ralf Michalowsky, Erklärung 15. April gerade als »Kalaschnikow« bezeichnet Schiedskommission. haben. Dann hören Sie einmal gut zu, Hendrik Thomé, Parteitag, 15. Mai Kommen Sie aus der Mottenkiste her- Schrotfl inte, was ich Ihnen hier zu sa- aus; es würde Ihnen guttun! gen habe. Ohne Kandidatur kann man nicht Vorsit- Diana Golze, Bundestag, 17. Juni Janine Wissler, Landtag Hessen, 20. Mai zender werden. Heinz Josef Weich, Parteitag, 15. Mai Die Grünen müssen Farbe bekennen. Die Vorlage heißt »DIE LINKE 2020«. Da Klaus Ernst, Pressekonferenz, 4. Oktober haben wir ja noch ein bisschen Zeit. Man kann bei der LINKEN kandidieren, Klaus Ernst, Parteivorstand, ohne Mitglied sein zu dürfen. Schieben Sie den Schwarzen Peter nicht 25. September Klaus Ernst, Pressekonferenz, auf andere! 29. November Barbara Höll, Bundestag, 8. Juli Die Arbeit mit Prognosen ist schwierig, weil sich diese auf die Zukunft beziehen. So lange ich in diesen Parteivorstand ... ich mache mittlerweile so lange Inter- Heinz Pingel, Beratung der Landesge- gewählt werde, gibt es eine Chance für netkurse für Anfänger, dass ich auch in

NACH-SICHT DISPUT Dezember 2010 030 dieses Haus ein bisschen Sachkenntnis mission für die Rentnerinnen und Rent- Die Einstimmigkeit des Beschlusses war reinbringen werde. ner ... ohne Gegenstimme und Enthaltung. Heinz-Werner Jezewski, Landtag , Erklärung, 28. Mai Ulrike Zerhau, Parteivorstand, 20. März Schleswig-Holstein, 8. Oktober Wir brauchen keinen Landesvati, der Überraschen Sie die folgenden zwei Begrabt die Doppelrennbahn an der es mit salomonischen Plattitüden al- Zahlen? Nur zwei Prozent aller Ost- Kehre des Geläufs! len recht machen will, nach dem Mot- deutschen glauben, dass der Afghanis- Joachim Bischoff, Erklärung, 4. März to: Das bisschen schwanger halten wir tankrieg mit mehr deutschen Soldaten auch noch aus. zu gewinnen ist. Die Daten sind das Er- Brüderle gärtnert als Bock in Peking. Kurt Herzog, Landtag Niedersachsen, gebnis einer repräsentativen Studie ... Sahra Wagenknecht, Erklärung, 18. August Gesine Lötzsch, , Erklärung, 12. Oktober 24. Juni Wir suchen noch den Urnenträger mit Als erstes Bundesland hat Berlin Kin- der Nr. 14. Die Menschen sind von Klimaerwär- derlärm privilegiert. Geräusche von Kin- Vorsitzende Wahlkommission, Parteitag, mung und sozialer Kälte bedroht. dern sind damit auch juristisch sozial 16. Mai 1. Entwurf für ein Programm der Partei DIE adäquat und zumutbar. LINKE DIE LINKE, Newsletter, 24. Februar Rösler gescheitert und verheizt , Erklärung, 4. Juni Alter Kaffee neu aufgewärmt bringt kei- Das ist nicht die Kasse von Herrn Wolf. ne Verbesserung für Alleinerziehende. Gucken Sie sich doch mal seinen An- Konsequent für Frieden in Afghanistan – Jörn Wunderlich, Bundestag, 1. Juli zug an! Termin verschoben! Klaus Lederer, Abgeordnetenhaus Berlin, www.die-linke-hef-rof.de, Mitte Juli Ich möchte noch einmal darauf hinwei- 11. November sen, dass ich, wenn ich sage, dass man Bundesregierung läuft ins verfassungs- zum Schluss kommen möge, nicht zur Für dieses Geld würden Sie morgens rechtliche Messer. Halbzeit pfeife. nicht einmal Ihr Augenlid heben. Wolfgang Neskovic, Erklärung, Helga Paschke, Landtag Sachsen-Anhalt, Klaus Ernst, Bundestag, 5. März 14. September 17. Juni

Die Zwangslage ist als Zwangsjacke vor- Johanna Voß kündigt an, im Bundestag Wie Sie sehen, gibt es viel zu diskutie- handen. »das Übel bei den Hörnern zu packen« ... ren. Es ist höchste Zeit, damit anzufan- Hans Modrow, Parteivorstand, www.linksfraktion.de, 2. November gen. Ich sehe: Meine Zeit ist abgelaufen. 27. Februar

Hiermit möchte ich Katrin Kunert für die Sitzung am 5.10. entschuldigen. Sie legt zu dieser Zeit ihr Sportabzeichen im Olympiastadion ab. Bundestagsfraktion, Hausmitteilung, 30. September

Schlupflöcher für unwirksame Pillen sind so groß wie Garagentore. , Erklärung, 29. September

Weltgesundheitsbericht ist schallen-

de Ohrfeige für Gesundheitspolitik der (2) © Klaus Stuttmann Bundesregierung. Martina Bunge, Erklärung, 22. November Der Kanzlerin laufen die Köpfe weg. Da wir ja noch mehr auf dem Zettel ha- Caren Lay, Podcast, 1. Juni ben jedes Mal, wird zum Ende des Tref- fens immer jemand für den nächsten Monat verhaftet, der oder die dann Sit- Elektroautos sind kein Königsweg. Daher kommt jetzt das Wichtigste: der zungsvorbereitung und -leitung inne hat. , Erklärung, 29. April Schluss. Mittenmang (Hamburg-Mitte), Juli Richard Pitterle, Bundestag, 8. Juli Die Kanzlerin verteilt ungedeckte Einbürgerungsrecht ist kein Spielfeld für Schecks, die sehr schnell platzen wer- Ich komme jetzt zum Ende. – Oh, da Kalte Krieger. den. muss ich ja ganz viel kürzen. , Erklärung, 18. März Gesine Lötzsch, Erklärung, 20. Mai Ranke Prante, Landtag Schleswig- Holstein, 8. Oktober Liebe Leserin, lieber Leser, die Nutzung Mit einer 100%tigen Mehrheit wurde ich des Atoms macht die Welt nicht siche- ... zum Direktkandidaten der Landtags- Zusammenstellung: Stefan Richter rer ... wahl Rhld.Pf 2011 für den Wahlkreis 40 Daniel Bartsch, Newsletter, 14. April aufgestellt. Der Dank gilt allen Mitwürgenden! Robert Drumm, Vorwärts zu allem Möglichen in, auf, Totsparen heißt das Rezept der EU-Kom- www.drummruthweiler.eu über, vor, bei, an 2011!

310 DISPUT Dezember 2010 Der fl iegende Teppich der Grünen Zur Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen in Freiburg im Breisgau Von Jochen Weichold

»Wir bleiben auf dem Teppich, auch plett auf erneuerbare Energien umge- arm ist, sei häufi ger krank und habe wenn der gerade fl iegt«, erklärte un- stellt sein. Der CO2-Ausstoß soll bis schon heute meist einen schlechteren längst die Galionsfi gur der Grünen in 2050 um 95 Prozent reduziert werden. Zugang zu medizinischer Versorgung. Baden-Württemberg Winfried Kretsch- Das Konzept sieht (mit Ausnahme des Es werde künftig noch mehr vom eige- mann angesichts des Umfragehochs Standorts Gorleben) eine grundsätz- nen Geldbeutel abhängen, welche Ge- für seine Partei. Und nicht nur in der lich offene Endlagersuche für alle Ar- sundheitsversorgung man erhält. Bei Landeshauptstadt, wo die Grünen die ten von Atommüll vor. den gesundheitlichen Chancen – so ei- Schlichtungsverhandlungen zu »Stutt- Politisch haben es die Grünen ver- ne Delegierte – gehe damit die Schere gart 21« öffentlichkeitswirksam für die standen, mit diesem Konzept im Be- genauso auseinander wie bei der Ein- Darstellung ihrer Positionen nutzten, reich ihrer Kernkompetenz weiter kommensentwicklung. sieht sich die Öko-Partei durch breite zu punkten. Ihre Botschaft lautet: Bürgerproteste befl ügelt. Bürgerversicherung Kretschmann war denn auch der Star des jüngsten Parteitages der Grü- Dagegen hoben die grünen Basisver- nen, der erstmals tief im Südwesten treter immer wieder die Vorteile des der Bundesrepublik, in Freiburg im Konzepts der Grünen Bürgerversiche- Breisgau, stattfand. Mitte November rung hervor. Sie soll grundsätzlich al- 2010 befassten sich die rund 750 De- le Bürgerinnen und Bürger – auch legierten unter dem betont nüchter- gut verdienende Angestellte, Selbst- nen Motto »Auftrag: Grün«, das mehr ständige, Abgeordnete und Beamtin- nach angestrengter Arbeit als nach ba- nen und Beamte – versichern und da- discher Lebensart mit ihren vielfältigen mit die fi nanzielle Basis des Systems Genüssen schmeckte, mit den Themen verbreitern und den Solidargedanken Energiepolitik, Gesundheitspolitik und verankern. Zu den Eckpfeilern der in

Kommunalpolitik. Weichold © Jochen Freiburg beschlossenen Bürgerversi- Die neu gewählte Spitze mit einer von cherung gehört, dass an ihrer Finan- der Grünen Jugend überreichten Liste zierung alle Einkommen beteiligt wer- Eine Abkehr von Aufträgen. den – neben den Einkommen aus ab- Im Zusammenhang mit dem letztge- hängiger Beschäftigung auch Einkom- nannten Politikfeld bekräftigte die Schwarz-Gelb macht energiepolitisch men aus Kapitalanlagen, Vermietung Öko-Partei ihr Nein zum Bahn- und eine Rolle rückwärts. Die SPD und DIE und Verpachtung sowie Gewinne. Das Immobilienprojekt »Stuttgart 21«. Ge- LINKE würden eine gefährliche Kohle- Prinzip der paritätischen Beitragstei- nerell setzen sich die Grünen für eine Romantik pfl egen, indem sie sich für lung zwischen Arbeitnehmern und Ar- bessere Finanzausstattung der Kom- den Neubau von Kohlekraftwerken ein- beitgebern soll vollständig wiederher- munen ein, sie wollen die Grundsteu- setzen. Zukunftsfähig sei dagegen nur gestellt werden. Die Finanzierung der er stärken und ökologisch reformieren das grüne Energiekonzept, mit dem Grünen Bürgerversicherung soll über und die Gewerbesteuer zu einer kom- die Grünen ihren Alleinvertretungsan- die einkommensabhängigen Beiträge munalen Wirtschaftssteuer ausbau- spruch auf eine ökologische Energie- und den Bundeszuschuss – und damit en. Die Partei fordert eine Rekommu- politik zu begründen versuchen. nicht über Patienten-Selbstbeteiligun- nalisierung zentraler Aufgaben der Da- In der Debatte zur Gesundheitspo- gen – erfolgen. seinsvorsorge, insbesondere der Ener- litik kritisierten die Delegierten vor al- gieversorgung, der Abfallentsorgung lem den Kurs der schwarz-gelben Bun- GKV-Einheitsbeitrag abschaffen und der Wasserversorgung – eine Ab- desregierung als Weg in die Zwei-Klas- kehr von bislang vertretenen neolibe- sen-Medizin. Die faktische Einfüh- In diesem Kontext soll auch die Bei- ralen Privatisierungsthesen auf die- rung der Kopfpauschale, die Abkehr tragsbemessungsgrenze, die derzeit sem Gebiet. von der paritätischen Finanzierung in der GKV bei 3.750 Euro liegt, ange- Auf dem Feld der Energiepolitik des Gesundheitssystems zuguns- hoben werden. Den Delegierten wur- machten die Delegierten vor allem ih- ten der Unternehmen, die Besserstel- den dazu zwei Alternativen zur Ent- rer Empörung über den Ausstieg der lung der Privaten Krankenversicherung scheidung vorgelegt: Alternative A sah Bundesregierung aus dem Atomaus- (PKV) zulasten der Gesetzlichen Kran- eine Anhebung auf das Niveau der stieg Luft und plädierten für den Aus- kenversicherung (GKV), die eingelei- heutigen Beitragsbemessungsgren- bau der erneuerbaren Energien, für teten Fehlentwicklungen bei der Ge- ze (West) der gesetzlichen Rentenver- mehr Energieeffizienz und für Ener- sundheitsprävention und insbeson- sicherung vor (2010: 5.500 Euro), Al- giesparen. Nach dem in Freiburg be- dere die Umverteilung der Finanzmit- ternative B auf das Niveau der heuti- schlossenen umfangreichen energie- tel im Gesundheitssystem zugunsten gen Versicherungspfl ichtgrenze (2010: politischen Konzept sollen die Strom- der Pharma-Konzerne würden zu ei- 4.162,50 Euro). Obwohl Realo-Politiker produktion möglichst bis 2030 und ner krassen Benachteiligung von Mil- wie davor warnten, grüne die Wärmeproduktion bis 2040 kom- lionen von Versicherten führen. Wer Anhänger mit zu hohen Belastungen

BERICHT DISPUT Dezember 2010 032 Klaus Stuttmann GEDANKENSTRICH

zu verprellen, folgten die Delegierten hen Umfragewerte bestärken sie dar- wurde – für die Grünen ungewöhnlich mit deutlicher Mehrheit dem Finanzpo- in ebenso wie die Tatsache, dass sie – Geschlossenheit demonstriert. litiker , der für Alternati- in den letzten zwei Jahren rund 5.000 Die Grünen haben mit dem Green ve A plädiert und sie damit begründet neue Mitglieder hinzugewonnen ha- New Deal ein in sich stimmiges und da- hatte, dass die geplante Abschaffung ben. Mit insgesamt über 51.600 Mit- mit für ihre Wählerklientel glaubwürdi- der Praxisgebühren, Arzneimittelzu- gliedern nähern sie sich wieder der ges Zukunftskonzept entwickelt. Trotz- zahlungen und anderen Selbstbeteili- Höchstmarke, die sie zu Beginn ihrer dem werden sie den Spagat bewälti- gungen fi nanziell aufgefangen werden Regierungsjahre 1998 erreicht hatten gen müssen zwischen ihren alten Wäh- müsste. (51.813 Mitglieder). Sie sind zudem lern und den neuen Schichten, die sich Die Grünen möchten den Einheits- kommunalpolitisch gut verankert: Nur ihnen zuwenden. Denn deren Interes- beitrag zur GKV abschaffen. Stattdes- in drei Kreistagen gibt es bisher noch sen sind keineswegs deckungsgleich. sen sollen die Krankenversicherer die keinen grünen Mandatsträger. Aber obwohl die Grünen (auch mit den Höhe der einkommensabhängigen Bei- Die Öko-Partei will 2011 in die Land- in Freiburg gefassten Beschlüssen) träge wieder jeweils selbst festsetzen. tage von Rheinland-Pfalz, Sachsen-An- speziell ihrer Wählerklientel, den gut Nach dem Willen der Öko-Partei sollen halt und Mecklenburg-Vorpommern verdienenden Mittelschichten, erheb- Krankenversicherer unterschiedlicher einziehen, um dann erstmals in ihrer liche materielle Belastungen zumuten, Rechtsformen innerhalb des gleichen Geschichte in allen Landtagen vertre- scheinen sie nach dem Spekulations- Rechtsrahmens miteinander konkur- ten zu sein. Darüber hinaus hofft sie, desaster der Finanzmarktkrise mit ih- rieren. Parteichefi n ließ in Baden-Württemberg oder in Ber- ren auf den sozialen Zusammenhalt keinen Zweifel daran, dass die Grünen lin erstmals den Ministerpräsidenten der Gesellschaft zielenden Vorstellun- das Urheberrecht an der Bürgerversi- bzw. den Regierenden Bürgermeister gen und Werten eher den Nerv dieser cherung für sich beanspruchen: Die stellen zu können. Derartige Aussich- Schichten zu treffen als eine FDP, die SPD habe zwar den Begriff übernom- ten wirken – wie in Freiburg zu erleben nur brüchige Steuersenkungsverspre- men, aber über den Inhalt überhaupt war – ungemein disziplinierend auf chen anzubieten hat. noch nicht debattiert. die Partei. Man setze in beiden Bun- Die Grünen gehen optimistisch in desländern »auf Sieg, nicht auf Platz«, Dr. Jochen Weichold ist Bereichsleiter in das Wahljahr 2011. Die anhaltend ho- erklärte die Parteiführung dazu. So der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

330 DISPUT Dezember 2010 Oben bleiben! Der Widerstand gegen »S 21« geht weiter Von Stefan Richter

Stuttgart, 11. Dezember, kurz vor 14 Uhr: Im Zentrum der Landeshaupt- stadt vergnügt sich Jung und nicht mehr so Jung auf einer großen Eis- fl äche, nebenan dampft im Märchen- land eine Kindereisenbahn, und auch rundherum herrscht anheimelnde Ad- ventsstimmung. Und dennoch zieht es zu eben dieser Stunde viele, sehr vie- le direkt vor den Hauptbahnhof. Dort sprechen auf der letzten Kundgebung in diesem Jahr gegen das Milliarden teure Bahn- und Immobilienprojekt »Stuttgart 21« mehrere Zehntausend ein eindeutiges Urteil über Geißlers Schlichterspruch und über die Zukunft von »S21«. Dass so viele Menschen und so un- terschiedliche Menschen zusammen- kommen – die Dame mit Perlenkette ebenso wie der Junge im Parka –, be-

eindruckt Hannes Rockenbauch beson- Sprechchöre schallen über Platz und scheid!«, »Mappus muss weg!« Die ders. Und als der Sprecher des Aktions- Nebenstraße, wieder und wieder. Mit Sprüche auf Transparenten, Kartons, bündnisses gegen »S21« (Vorsitzender Trillerpfeifen und Tröten werden die Schals und auf einfachen Papierblät- der Fraktionsgemeinschaft aus SÖS kurzen Ansprachen unterstützt. Den tern schwanken zwischen fast poe- und DIE LINKE im Stadtrat ist er eben- Faktencheck fasst der Grüne Boris tisch und radikal. falls) die große Menge fragt, wer nach Palmer zusammen: »Wir wissen heu- Auch DIE LINKE ist mittendrin, der dem Schlichterspruch weiterhin für ei- te: ›Stuttgart 21‹ ist ein zerfl edderter Landesverband ohnehin, und der Par- nen modernisierten Kopfbahnhof (K21) Zombie, und der ›Kopfbahnhof 21‹ ist teivorstand hat seine reguläre Sit- und nun für »Widerstand plus« sei, das bestgeplante Alternativprojekt al- zung nach Stuttgart verlegt, um beim werden die Arme in die Höhe gereckt, ler Zeiten.« Die zahlreichen Vorteile Protest dabei zu sein. Gesine Lötzsch und Rockenbauch verkündet unter fre- des Kopfbahnhofes, in der Schlich- und Gregor Gysi werden mit Beifall netischem Applaus: »Es steht 50.000 tung bestätigt, müssten in den Mo- begrüßt. Die LINKE-Bundestagsabge- zu 0!« naten bis zur Landtagswahl den Mit- ordnete Sabine Leidig betont von der »Oben bleiben!«, »Volksent- bürgerinnen und Mitbürgern erläutert Bühne aus, dass es stets um Demo- scheid!«, »Mappus muss weg!« Die werden. »Oben bleiben!«, »Volksent- kratie, Nachhaltigkeit und Gerechtig-

WIDERSTAND DISPUT Dezember 2010 034 lage. Von einer Fußgängerbrücke ha- mit Gittern, Polizei und einer Pferde- ben sich zwei Aktivisten abgeseilt, um staffel abgesperrt. Nach einer weite- auf die Baumbesetzer zu verweisen, ren Stunde erreicht die Spitze des Zu- die seit Sommer die bedrohten Plata- ges den Bahnhofsvorplatz. nen im Schlosspark schützen. Die De- Dort hatte mir Stunden zuvor ein monstration nimmt jede Idee, mal mit Stuttgarter Genosse den »Kurswech- Beifall, mal mit Gejohle, dankend auf. sel«, ein Informationsblatt des Lan- Vorbei geht’s am Landtag, weiträumig desverbandes, in die Hand gedrückt.

keit gehe. Notwendig seien völlig an- dere Großprojekte wie der Umbau der Autoindustrie und die Verkürzung der Arbeitszeiten für ein gutes Leben. Am Abend lud die Partei zur Veranstaltung »Kultur in der Demokratie-Krise« ein. Nach der gut einstündigen Kundge- bung mit mehreren Rednern, mit zün- dender Live-Musik und einer Wort- meldung von Matthias Deutschmann (»Stuttgart zieht Kabarettisten ma- gisch an. Das liegt auch am politi- schen Personal.«) läuft ein Großteil der Menschen zum Cityring und ums innere Zentrum. Am Straßenrand bie- tet eine mittelalterlich gekleidete Gruppe an, mit Ruten auf Geld-, Filz- und andere Säcke einzuschlagen; »Sackparade 21« nennen sie ihre Ein-

Zehntausende beendeten mit der Kundgebung am 11. Dezember in der Stuttgarter Innenstadt das erfolgreiche Protestjahr 2010. Auf ein Neues im Januar: Der Widerstand gegen »S 21«

soll nicht erlahmen! (5) Richter © Stefan

Er wirkte durchgefroren, bereits am Vor- mittag war er unterwegs gewesen, um Unterschriften für den Wahlantritt der Partei zur Landtagswahl zu sammeln. In der Woche nach Geißlers Spruch sei die Stimmung unter den K21-Anhän- gern gedrückt gewesen, sagte er mir; inzwischen habe sich dies jedoch ge- wandelt. Wie recht er hatte! Die nächste Demonstration fin- det am 10. Januar statt; übrigens: An der allerersten »Demonstration« ge- gen »S21« beteiligten sich an einem Herbsttag 2009 in der Königstraße drei Teilnehmer!

35 0 DISPUT Dezember 2010 Linke Strömungen Verschiedene Strömungen nicht als Schwäche, sondern als Vorteil, als Chance verstehen Von Harry Nick

I. Dass es eine Mehrheit jenseits aller nen keine Programme der »Flügel«, sie In politischen Bewegungen gibt es im- Flügel gibt, erfährt man von den Flügel- müssen vor allem Programme der Mit- mer drei unterscheidbare Strömungen. Sozialisten nicht. te sein. Warum nicht zwei oder vier? Weil es im- mer drei deutlich unterschiedene An- II. III. sichten über die herrschenden Zustän- Verständlich, dass in einer sozialisti- Linke Parteien tendieren zu ganz nor- de und deren notwendige und mögli- schen Partei diese drei Strömungen malen Parteien auch in der Weise, dass che Veränderungen gibt. Die einen mit besonderer Deutlichkeit hervor- auch in ihnen der herrschende Zeit- sind mit den herrschenden Zuständen treten, die Auseinandersetzungen zwi- geist weht, wenngleich nicht so hef- im Ganzen zufrieden und halten grund- schen ihnen besonders lebhaft sind. tig und mit mehr oder weniger Gegen- legende Veränderungen für nicht nötig. In einer sozialistischen Partei kann wind. Wie in dieser Gesellschaft weht Das ist der konservative Flügel, der auf es nicht, wie heutzutage in den sozial- der Zeitgeist auch hier von rechts nach Tradition, Beharrung setzt. Andere sind demokratischen Parteien, nur um Vari- links. Für die jeweils Linkeren ist auch mit den herrschenden Zuständen un- anten einer bürgerlich-kapitalistischen in der LINKEN der Zeitgeist ein Gegen- zufrieden, halten Veränderungen, Ver- Gesellschaft gehen, sondern um Kapi- wind, der ihnen ins Gesicht bläst; für besserungen für nötig. Die »Mitte« talismus und Antikapitalismus, um al- die Rechteren ist er Rückenwind. schließlich ist für Veränderungen, aber ternative Gesellschaftsmodelle. Das bedeutet: Die Rechte hat auch in einer »angemessenen«, »vernünfti- Die Linkssozialisten schätzen die in einer Linkspartei nicht nur größere gen« Weise. Möglichkeiten grundlegender sozia- Möglichkeiten des Hineinwirkens in Seit Langem ist es üblich, diese drei ler Verbesserungen in dieser kapita- die Gesellschaft, größere Chancen me- politischen Strömungen als Rechte, listisch-marktwirtschaftlichen Ord- dialer Wahrnehmung und Artikulation; Linke und die Mitte zu benennen. Die- nung, das heißt ohne Umwälzungen sie hat auch die Sympathien und prak- se Dreiteilung gibt es aber nicht nur in der Macht- und Eigentumsverhältnis- tische Beihilfe der politischen Klas- der politischen Landschaft einer Ge- se, als sehr gering ein oder leugnen se, des Zeitgeistes, die Unterstützung sellschaft, sie »wiederholt« sich inner- sie gar. Sie betonen ihre fundamen- der Medien in den innerparteilichen halb der großen politischen Bewegun- tale Opposition zu dieser Gesellschaft Auseinandersetzungen. gen, Parteien. und lehnen Regierungsbeteiligungen Die Mechanismen der repräsentati- Es gibt also rechte Sozialdemokra- im Prinzip ab. ven Demokratie bewirken in einer so- ten und Linksliberale. Das sind Be- Die Rechtssozialisten vertreten kei- zialistischen Partei in besonders star- zeichnungen, gegen die auch von den ne deutlich erkennbaren antikapitalis- kem Maße eine »Aufwärts-Favorisie- jeweils Gemeinten meist nichts einge- tischen Positionen. Für sie bieten die rung« des rechten Flügels. wandt wird. Wobei natürlich jeder weiß, heutigen Gesellschaften genügend Die Zahl der Anhänger und der Ein- dass rechte Sozialdemokraten nicht zu Raum für demokratische Fortschrit- fl uss des linken Flügels sind in der Ba- den Rechten im politischen Spektrum te, soziale Verbesserungen. Sie sind sis stärker als auf der nächsten Ebene, der Gesellschaft gehören; und Linksli- für Regierungsbeteiligungen auch bei den Hauptversammlungen, auf denen berale würden sich zu Recht dagegen weitreichenden Kompromissen. die Parteitagsdelegierten gewählt wer- wehren, zu »den Linken« gerechnet zu Die Linkssozialisten neigen zu nos- den, und in den Hauptversammlungen werden. talgischer Verklärung der DDR-Gesell- stärker als auf den Parteitagen. Ana- Heftige Einwände gegen die Unter- schaft. Sie betonen vor allem deren log nimmt das Gewicht der Vertreter scheidung in Linke und Rechte inner- soziale Errungenschaften. Die Rech- des rechten Flügels von Ebene zu Ebe- halb ihrer Bewegung gibt es offenbar ten in der LINKEN meinen, dass dieser ne zu; es ist auf den Parteitagen deut- vor allem unter den Linken. Sozialismus der sozialistischen Bewe- lich stärker als in der Parteibasis. Gern wird hier eine andere Teilung gung eher geschadet denn sie voran- Es sind zunächst die elementaren bevorzugt, eine Zweiteilung: »Es gibt gebracht hätte. Manche meinen gar, Gepflogenheiten in der Vertretungs- uns, die wir Recht haben, und dann dass die DDR überhaupt nicht eine so- Demokratie, welche einen bestimm- gibt es noch die anderen«. Aus der zialistische Gesellschaft gewesen war. ten Personenkreis favorisieren. Wer rechten Ecke tönt es: »Wir«, die Krea- Die »Mitte« bilden keineswegs, wie hat auf den Hauptversammlungen die tiven, Aktiven, die Reformer, Moderni- ein linkes Vorurteil das sieht, die un- besten Chancen, das Delegiertenman- sierer, Erneuerer, und die anderen, die schlüssigen, ängstlichen und ewig dat für einen Parteitag zu erhalten? Na- Traditionalisten, Konservativen, Ewig- schwankenden Kleinbürger. Die »Mit- türlich diejenigen, die man am besten Gestrigen, »Bedenkenträger«, wenn te« setzt sich ein für eine realistische kennt. Das sind vor allem die bisheri- nicht gar »Betonköpfe«. Und aus der Politik notwendiger Veränderungen in gen Amts- und Mandatsträger. Die dür- linken Ecke: »Wir«, die Hüter der rei- dieser Gesellschaft und lässt sich hier- fen natürlich nicht unter den General- nen Lehre, die »wahren« Sozialisten, von weder durch Einbindungen in die verdacht gestellt werden, sich von ma- die unerschrockenen Kämpfer, und heutigen Macht- und Interessenstruk- teriellen Erwägungen leiten zu lassen. die anderen, die Reformisten, Revisio- turen noch durch illusionäre Vorstel- Aber sie sind auch persönlich nicht nisten und Opportunisten, wenn nicht lungen abhalten. nur an Wahlerfolgen der Partei, son- gar Verräter. Parteiprogramme der LINKEN kön- dern auch an Erhalt und Aufstieg in ih-

DEBATTE DISPUT Dezember 2010 036 ren Positionen interessiert. Und das ist Die Fundamentalisten wähnen sich der, es muss die Widersprüchlichkeit nun Mal über den rechten Flügel am nicht nur als Wächter der reinen Leh- der Wirklichkeit »mitdenken«, Gegen- aussichtsreichsten. re, als Fundamentalisten können sie sätzliches »zusammen« denken. Fun- Der Einfl uss der Parteibasis kann gar nicht anders, sind sie es. Ihr an- damentalistisches Denken ist eine Art gestärkt werden durch die Verringe- gemaßtes Richteramt kommt ihnen von grausamem Denken, grausam ge- rung des Schlüssels bei Delegierten- als Fundamentalisten ganz selbstver- gen die Widersacher und die Wirklich- wahlen; wenn auf zehn Mitglieder ein ständlich zu. keit vergewaltigend. Delegierter entfällt, hat ein einfaches Fundamentalisten unter den Mar- Der fundamentale methodologi- Mitglied eine größere Chance, auch xisten sind die genuinen orthodo- sche Irrtum der Fundamentalisten ist delegiert zu werden, als wenn auf 20 xen Marxisten, von denen Joseph Alo- ihre Annahme, dass die scheinbar fol- Mitglieder ein Delegierter entfällt. is Schumpeter sagte, dass sie ihre Wi- gerichtige »Verlängerung« wahrer Aus- Denkbar wäre auch eine Quotie- dersacher nicht nur beständig als im sagen zu höheren Wahrheiten führe, rung; zum Beispiel, wenn von zehn Irrtum, sondern auch als in der Sün- jedenfalls von der Wahrheit nicht weg- Delegierten mindestens drei auf führen könne. Wie sich in Wahr- solche entfallen müssten, die heit in die Unendlichkeit ver- kein Einkommen aus politischen längerte parallele Geraden dort Funktionen beziehen. schneiden und seitenverkehrt Am allerwichtigsten sind wohl wiederkehren, können Extensio- die Stärkung der direkten Demo- nierungen wahrer Sätze aber auch kratie, Abstimmungen der ge- zur Unwahrheit führen. samten Mitgliedschaft über be- sonders wichtige Fragen. IV. Die Linken sollten sich der Ver- Die Stärke gerade einer Bewe- führungen fundamentalistischer gung der LINKEN, ihrer inneren Weltsicht und Politik und ihrer Kraft und ihrer Ausstrahlung in Gefahren bewusst werden. die Gesellschaft hängt entschei-

Fundamentalismus gibt es vor © istockphoto.com dend von der politischen Kultur, allem an den Rändern des rechten von der Art des Umgangs mitei- Flügels rechter und an den Rän- nander ab; schließlich erstreben dern linker Flügel in linken Bewe- sie eine Welt, in der alle Men- gungen. Fundamentalismus ist im- schen in einem menschlichen Ver- mer auch eine Art von religiösem hältnis zueinander leben. Denken. Er kommt der menschli- Unbedingte Voraussetzung chen Sehnsucht nach Verlässlich- hierfür ist, dass die verschiede- keit, Klarheit, einer menschlichen nen Strömungen akzeptiert wer- Welt besser entgegen, als bloße den, dass dies nicht als Schwä- Rationalität dies vermag. che, sondern als Vorteil, als Chan- Fundamentalisten stehen fest ce verstanden wird. Das aber auf den Fundamenten einer Leh- hängt davon ab, ob DIE LINKE ih- re. Ihre wichtigste Waffe ist die re innerparteilichen Auseinander- Wiederholung, der Appell an setzungen für einen produktiven Überzeugungen, die alle, auch ih- Lernprozess zu nutzen vermag, re Widersacher in derselben Par- ob sie zu größerer Klarheit führen tei oder Bewegung, haben. Fun- oder ob sie die Energien verzeh- damentalismus versteht sich des- Wichtig für den ren, die Kräfte lähmen, Selbstzer- halb als die »reine Lehre«. Funda- Flug, wichtig für störung bewirken. mentalismus spart sich jeglichen den Meinungs- Natürlich muss es unter den Zweifel, die Arbeit des Suchens, streit: die Flügel. LINKEN auch Gemeinsamkeiten des ständigen Lernens aus. in der Weltsicht und in den politi- Der Fundamentalist wandelt schen Positionen geben. Alle LIN- im Lichte und kennt nicht die KEN haben die Pfl icht, sich für die Qualen und Gefahren und Stol- gegenwärtigen Interessen der ar- persteine, die Irrwege und Irrlich- beitenden Menschen, der sozial ter in diesem Dämmerlicht, das zwi- de befangen sehen. Das rationale Ar- Benachteiligten, der Frauen, der Kin- schen Wissen und Nicht-Wissen, zwi- gument aus dem Munde des Funda- der und Alten einzusetzen. Die Vertrös- schen Gewissheiten und Ratlosigkeit mentalisten ist immer auch ein mora- tung auf ein »Jenseits«, auch wenn ein liegt. Er ist selbstsicher und immer lischer Vorwurf. Jenseits des Kapitalismus gemeint ist, ausgeruht. Die scheinbare Stärke fundamen- ist nur ein anderes des von Heinrich Die rationale Stärke der Fundamen- talistischen Denkens ist auch sei- Heine zu Recht geschmähten »Eiapo- talisten ist vor allem die scheinbar ne Schwäche: die von Wahrheit und peia vom Himmel«. Kapitalismuskriti- bruchlose, folgerichtige Verlängerung Wirklichkeit wegführende Vereinfa- sche Positionen gibt es heute nicht der Fundamentalthesen der Grund- chung. Es hat die Kraft einer allgemei- nur unter den LINKEN. Das »Alleinstel- leger hin zu den von ihnen, den Fun- nen Schwäche des »gesunden Men- lungsmerkmal« der Sozialisten kann damentalisten, gegebenen konkreten schenverstandes« für sich, von dem nur der Antikapitalismus sein. Und der Handlungsanleitungen. Fundamenta- Friedrich Engels sagte, dass sie im ist nach aller Erfahrung unentbehrlich listen sind mit Verweisen auf die Fun- mechanischen Denken bestehe. Das für den Kampf gegen die kapitalisti- damentalthesen kaum zu widerlegen. dialektische Denken ist anstrengen- schen Übel schon heute.

370 DISPUT Dezember 2010 In der mexikanischen Kleinstadt werden Maya-Traditionen in einer katholischen Kirche gelebt Von Ronald Friedmann San Juan Chamula

Aus der ersten Hälfte des 16. Jahr- hunderts stammt die Hauptkirche.

Der kleine Ort San Juan Chamula liegt etwa ner – Maya-Indianer aus dem Volk der Tzotzil – untereinan- zehn Kilometer von San Cristóbal de las Ca- der: In San Juan Chamula darf nur leben, wer dort geboren sas entfernt, der wichtigsten Stadt im Hoch- wurde. Einzige Ausnahme sind die Frauen, die einen Mann land von Chiapas. Auf den ersten Blick un- aus dem Ort geheiratet haben. Heiratet dagegen ein Mann terscheidet sich der Ort kaum von unge- eine »Auswärtige«, so muss er seinen Geburtsort für immer zählten anderen Kleinstädten im gebirgi- verlassen. gen Herzen von Mexiko, doch wie so häufi g In keinem anderen Ort Mexikos ist die Kriminalität so täuscht der erste Blick. So gibt es in San Ju- niedrig wie in San Juan Chamula. Das Stadtgefängnis steht an Chamula keine Hotels. Touristen sind fast immer leer. Es ist vor allem das Schamgefühl, das po- nicht wirklich willkommen. Man fi ndet sich mit ihrer Anwe- tenzielle Täter abschreckt: Vom zentralen Platz des Ortes aus senheit ab, denn sie bringen Geld. Aber mit Einbruch der kann jeder Einwohner von San Juan Chamula sehen, wer ge- Dunkelheit müssen sie, genau wie die übrigen Ortsfremden rade im Gefängnis einsitzt. Zu den Erziehungsmaßnahmen, aus der näheren oder weiteren Umgebung, den Ort wieder die gegen Gesetzesbrecher angewandt werden, gehört die verlassen. Nicht weniger streng ist der Umgang der Einwoh- Verpfl ichtung, eine nicht geringe Stundenzahl gemeinnüt-

INTERNATIONAL DISPUT Dezember 2010 038 ziger Arbeit zu verrichten. Doch eine Strafe im eigentlichen ter zu einer Zusammenkunft auf dem zentralen Platz des Or- Sinne ist dies nicht, denn freiwillige Arbeit für die Gemein- tes ein, wo sonst an den Wochentagen ein großer und bun- de ist für die Einwohner von San Juan Chamula ein selbst- ter Markt stattfi ndet. verständlicher Teil ihres Alltagslebens. Es gibt eine große Das erstaunlichste Erlebnis in San Juan Chamula ist je- Zahl von öffentlichen, hoch angesehenen Funktionen, für doch der Besuch der Hauptkirche, die aus der ersten Hälf- die man sich bewerben kann. Wer jedoch eine höhere Funk- te des 16. Jahrhunderts stammt. Auch hier täuscht der ers- tion anstrebt, muss erst nachgewiesen haben, dass er auch te Blick. Von außen erscheint das weiß getünchte Gebäude in den niederen Funktionen gute Arbeit geleistet hat. Die An- mit dem landestypischen, grün und blau abgesetzten ein- gelegenheiten des Ortes werden regelmäßig im Beisein al- fachen Stuckdekor wie eine ganz gewöhnliche Kirche. Aber ler Einwohner beraten. Jeden Sonntag lädt der Bürgermeis- wenn man durch die schwere Flügeltür tritt, gelangt man in © Ronald Friedmann (3) Friedmann © Ronald

390 DISPUT Dezember 2010 © Ronald Friedmann © Ronald

An Wochentagen ruft hier der Markt, am Sonntag der Bürger- meister zur Einwohnerberatung. eine vollkommen fremde Welt: Dies ist keine katholische Kir- Anschein – Gebete. Sie werden dabei von Musikinstrumen- che, wie man sie aus anderen Teilen der Welt kennt. Dies ten unterstützt, die man als Mischung aus Harfe und Zither ist eher eine Stätte heidnischer Kulte, wo Schamanen ge- bezeichnen kann und deren Klang wesentlich dazu beiträgt, heimnisvolle Rituale zelebrieren. In der Tat kommt ein ka- die Gläubigen in einen tranceartigen Zustand zu versetzen. tholischer Priester nur zwei Mal im Jahr nach San Juan Cha- Bei den Ritualen wird sehr viel Posh getrunken, ein Mais- mula, um eine Messe zu lesen: zu Ostern und zu Weihnach- schnaps mit Zimtgeschmack, Verwendung fi nden aber auch ten. Gelegentlich werden Taufen vorgenommen, doch auch – vor allem wegen der Farbe – Cola und Orangenlimonade. hier bestimmen die Bewohner von San Juan Chamula den Gelegentlich, so ist zu erfahren, wird in der Kirche ein Ritus selbst. Huhn geschlachtet. Der Schamane versucht dann, einen Im Halbdunkel des überraschend großen Innenraumes Kranken zu heilen: Die Krankheit soll den Körper des Men- werden die Unterschiede zu einer »klassischen« katholi- schen verlassen und in den Körper des toten Huhnes über- schen Kirche sofort sichtbar: Der Boden ist über und über mit gehen. frischen Piniennadeln bedeckt. Es gibt kein Kirchengestühl, Ethologen aus dem In- und Ausland sind seit vielen Jah- dafür stehen überall auf dem Boden Hunderte brennende ren bemüht, die Vorgänge in der Kirche zu beschreiben und Kerzen. Jeden Augenblick, so der unmittelbare Eindruck, vor allem zu verstehen. Doch die Einwohner von San Ju- kann eine der Kerzen umstürzen und die Piniennadeln und an Chamula hüten ihre Geheimnisse. Sie machen deutlich, damit die ganze Kirche in Brand setzen. Das scheint jedoch dass sie keine Folklore leben, sondern dass die für Außen- niemanden zu stören. stehende geheimnisvollen und seltsamen Rituale und Zere- An der Stirnseite des lang gezogenen Raumes, der eigent- monien ein wirklicher Teil ihres Lebens sind, dass sie die Ge- lich das Kirchenschiff ist, gibt es tatsächlich einen Altar mit bräuche und Sitten aus der vieltausendjährigen Geschichte einer Christusfi gur. Aber wichtiger für die vielen Gläubigen ihres Volkes – in angepasster Form – in die Gegenwart ge- scheinen die zahllosen Heiligenfi guren zu sein, die in reich bracht haben. geschmückten Behältnissen aufbewahrt werden. Einige die- Im Inneren der Kirche von San Juan Chamula ist das Fo- ser Figuren sind wohl tatsächlich Schnitzarbeiten, andere tografi eren übrigens streng verboten, weil es im Verständ- sehen eher aus wie Modepuppen aus einem Geschäft für nis der Einheimischen eine Entweihung des Heiligtums und Kinderbekleidung. Alle sind aufwendig mit handgearbeite- eine Beleidigung der Gläubigen wäre. Zuwiderhandlungen ten Stoffen drapiert. Die Luft im Innern der Kirche ist zu jeder werden deshalb streng bestraft. Dass es in diesem Heft doch Tageszeit weihrauchgeschwängert. An verschiedenen Orten ein Foto gibt, ist dem »Tatendrang« eines Unbekannten zu sitzen Schamanen und sprechen – so hat es zumindest den verdanken, der sein Foto anonym im Internet veröffentlichte.

INTERNATIONAL DISPUT Dezember 2010 040 Der Fehdehandschuh Die Produktionsverhältnisse müssen den Produktivkräften angepasst werden Von Berthold Kühn

Das Programm der Partei DIE LINKE ist für die Umwälzung im 21. Jahrhundert wertes durch die gesamte Gesellschaft dem Aufbruch in den Sozialismus des nicht ignoriert werden. abzielt. Emanzipation wird an vielen 21. Jahrhunderts gewidmet. Dazu wer- Im nächsten Absatz des Entwurfs Stellen in dem Entwurf gefordert. Was den in Kapitel III »Demokratischer So- folgt dazu die zweite grundlegende ist aber alle Emanzipation wert, wenn zialismus des 21. Jahrhunderts« zwei Aussage: »Demokratischer Sozialis- die Ausbeutung weiter besteht? Eman- grundlegende Aussagen gemacht. mus fördert die Entfaltung der zivilisa- zipation muss doch zuerst in der Über- Die erste sagt Folgendes: »Heute be- torischen Entwicklungspotenziale der windung der Ausbeutung des Men- steht die Möglichkeit, jedem Menschen Gesellschaft und zielt auf grundlegen- schen durch den Menschen bestehen. ein Leben in sozialer Sicherheit und de Veränderungen der bestehenden Ei- Das ist letztlich die zentrale Begrün- Würde zu gewährleisten. Not und Elend gentums-, Verfügungs- und Machtver- dung des ganzen Projektes. können überall auf der Welt überwun- hältnisse.« Mit der Umgestaltung der Eigen- den werden.« Hier wird der herrschenden Klas- tumsverhältnisse ändert sich auch Das heißt: Die materiellen Voraus- se der Fehdehandschuh hingeworfen. der Charakter der Lohnarbeit. Lohnar- setzungen sind geschaffen, dass alle Dieser Satz ist die Kernaussage des beit bedeutet dann nicht länger Lohn- Menschen ohne Sorgen um ihre physi- Entwurfs, gewissermaßen das Leitmo- sklaverei für den Maximalprofi t, son- sche Existenz in angemessenem Wohl- tiv des gesamten Projektes. Diese Aus- dern Dienst zur Befriedigung der Be- stand leben und arbeiten können. Da- sage fordert den vollständigen Um- dürfnisse der Menschen. Auch diese für haben die technologischen Entwick- bau der bestehenden Produktions- Frage ist einige Bemerkungen im Pro- lungen der letzten 200 Jahre gesorgt. In verhältnisse. Auf diesen Punkt muss gramm wert. den letzten Jahrzehnten hat die soge- das ganze Programm zugeschnitten Ein weiterer Punkt bezüglich der Ei- nannte dritte industrielle Revolution werden. Dazu müsste auf verschiede- gentumsfrage bleibt bisher unterbe- auf dem Gebiet der Informationstech- ne wesentliche Kategorien der politi- lichtet, nämlich eine Erläuterung, was nologien die Produktivität der gesell- schen Ökonomie des Sozialismus ein- wir unter der »Vergesellschaftung« von schaftlichen Arbeit in kaum noch zu gegangen werden. Auf der Tagesord- Eigentum verstehen wollen. Das wurde überschauendem Maße vorangetrie- nung steht die wissenschaftliche Ent- in dem Artikel von Dieter Klein (Neues ben. Es fragt sich aber, ob die Entwick- wicklung einer politischen Ökonomie Deutschland, 6. April 2010) nachgeholt lung der Produktionsverhältnisse mit des demokratischen Sozialismus des und sollte so auch in das Programm dem technischen Fortschritt mitgehal- 21. Jahrhunderts. Das ist und kann na- aufgenommen werden: »Selbst die ten hat. türlich nicht die Aufgabe des Parteipro- Ausweitung von öffentlichem Eigentum Auf der einen Seite ist in wenigen gramms sein. Es wäre aber sicherlich ist aber noch nicht die ganze Lösung. Händen unermesslicher Reichtum ent- nützlich, in ihm eine Forderung nach Zur realen Vergesellschaftung von Ei- standen, auf der anderen Seite wur- der Aufnahme von Untersuchungen zu gentum gehört, die Wirtschaftstätig- den Millionen Menschen in existen- diesem Problem aufzunehmen. keit von Unternehmen tatsächlich am zielle Not getrieben: Arbeitslosigkeit, Gemeinwohl zu orientieren, sowie eine Minilöhne, Rentenkürzungen, Abbau neue Balance von ökologischen Stan- Überwindung der Ausbeutung im Gesundheitswesen usw. Trotz groß- dards, betriebswirtschaftlicher Effi zi- spuriger Programme breiten sich Hun- Der Entwurf behandelt von dieser The- enz, ›guter‹ Arbeit für die Belegschaf- ger, Kindersterblichkeit und Epidemi- matik im Wesentlichen nur die Eigen- ten, Geschlechtergerechtigkeit, be- en weiter aus. Das ist einer der grund- tumsfrage, den neuralgischen Punkt trieblicher Mitbestimmung und den legenden Widersprüche des Kapitalis- der neuen Gesellschaftsordnung. Das Interessen von Kommunen oder Regio- mus. Die Verteilungsverhältnisse in der kommt sehr richtig in dem Satz zum nen zu fi nden sowie Transparenz und Gesellschaft bedürfen dringend einer Ausdruck: »Eine entscheidende Frage öffentliche Kontrolle herzustellen.« Umwälzung (Siehe auch Kapitel II des gesellschaftlicher Veränderung ist und Meinem Erachten nach fehlen hier Entwurfs »Krisen des Kapitalismus«). bleibt die Eigentumsfrage«. Sie wird noch zwei Punkte: Wo bleibt die einer Entwicklung der dann auch in verschiedenen Aspekten 1. gesellschaftliche Verfügung über Produktivkräfte entsprechende Um- diskutiert. den Mehrwert (Das müsste eigentlich gestaltung der Produktionsverhältnis- Ein Defizit in diesen Ausführun- an erster Stelle stehen) und se? Nach der Marx’schen Analyse füh- gen ist aber, dass auf die Quelle die- 2. gleicher Lohn für gleiche Arbeit. ren Produktionsverhältnisse, die nicht ses Eigentums, nämlich die Aneignung Soweit einige Bemerkungen zur Ver- in Einklang mit den Produktivkräften des Mehrwertes durch die Kapitaleig- vollständigung des Entwurfs. Wir hof- stehen, zu unerträglichen Widersprü- ner, das heißt die Ausbeutung, mit kei- fen, dass letztlich ein Programm ent- chen in der Gesellschaft. Dies ist der nem Wort eingegangen wird. Warum ei- steht, unter dessen Banner sich alle Ausgangspunkt im »Kommunistischen gentlich nicht? Die Anerkennung dieses antikapitalistischen und oppositionel- Manifest« für die These von der zu for- Faktes ist doch die moralische und ju- len Kräfte vereinen können. dernden und zu erwartenden Ablösung ristische Rechtfertigung für die Umge- des Kapitalismus durch eine neue Ge- staltung der Eigentumsverhältnisse, Prof. Berthold Kühn ist in der Arbeitsge- sellschaftsformation. Diese Erkenntnis die auf die Abschaffung der Ausbeu- meinschaft Wirtschaftspolitik Dresden kann in einem Programm der LINKEN tung und auf die Aneignung des Mehr- aktiv.

410 DISPUT Dezember 2010 DEBATTE BRIEFE

Präzisieren von Kriegseinsätzen ohne Wenn und widerwilligen und niveaulosen Verlauf Aber wachsende Bedeutung. Präzisie- der Diskussion zu dieser Forderung. Die Der Kreisverband Nordwestmecklen- ren sollte man im Entwurf, dass es dabei Bundestagsabgeordnete Sabine Zim- burg hat auf seinem Parteitag am 6. No- gegen jeden Außeneinsatz der Bundes- mermann sagte, das BGE solle es dem vember 2010 die folgende Stellungnah- wehr geht, also nicht nur gegen direk- Einzelnen ermöglichen, dem Elend der me zum Stand der Programmdiskussion te Kriegseinsätze. In der Außenwirkung kapitalistischen Lohnarbeit zu entkom- verabschiedet. Damit ist die Hoffnung hat DIE LINKE als einzige Antikriegspar- men, sich individuell selbst zu verwirkli- verbunden, dass mehr Basisorganisati- tei ihr stärkstes Markenzeichen. chen. Wann kommen wir endlich davon onen und Kreisverbände ihre Sicht zum • Arbeitslosigkeit und Niedriglohnbe- ab, dem Gegner Motive anzudichten, Programmentwurf öffentlich machen: schäftigungen verletzen die Würde des die es leicht machen, darauf einzuprü- Der Programmentwurf hat sich als Menschen und gehören beseitigt. Dazu geln? Unsere Motive sind nachlesbar: gute Diskussionsgrundlage erwiesen. gehören die Abschaffung von Hartz IV Das BGE ist ein Weg, massenhafte Ar- Klare Aussagen gibt es zur Macht- und und die Sicherung eines Mindestlohns mut und massenhafte Arbeitslosigkeit Eigentumsfrage, zur außenpolitischen sowie gleicher Lohn für gleiche Arbeit nachhaltig zu beseitigen, Vermögen Ausrichtung unserer Partei sowie zu auch bei Männern und Frauen. Im Pro- und Einkommen von oben nach unten möglichen Regierungsbeteiligungen. grammentwurf ist dargelegt, dass DIE umzuverteilen, die Stellung der Lohnab- Auf der Grundlage einer Gesellschafts- LINKE diese Forderungen nur gemein- hängigen zu stärken, die Binnennach- analyse, die eine Absage der kapita- sam mit gewerkschaftlichen Kräften frage nach Waren und Dienstleistun- listischen profi torientierten Marktwirt- und den Bürgerbewegungen durchset- gen zu verbessern, die Zahl der in Pfl e- schaft enthält, benennt DIE LINKE be- zen kann, das heißt wie ihre Veranke- ge und Erziehung Tätigen zu erhöhen, reits in der Präambel Alternativen für rung in der Gesellschaft gelingt. andere Formen gesellschaftlich nützli- eine bessere Zukunft. Dazu gehören ei- • Einen hohen Stellenwert muss in un- cher Arbeit aufzuwerten. Die vorhande- ne Wirtschaft im Einklang mit der Natur, serem Programm auch das Eintreten ne Lohnarbeit soll gerecht verteilt wer- das Recht auf eine existenzsichernde für das Menschenrecht eines ungehin- den – nach dem Grundsatz »Jedem nach Arbeit, gleichberechtigte Bildungschan- derten Zugangs zu Gesundheitsfürsor- seinen Bedürfnissen«. Das Recht auf Ar- cen und Gesundheitsfürsorge für jeden ge und Bildung für jeden, das heißt un- beit soll endlich verwirklichbar werden. sowie die Verurteilung von Problemlö- abhängig von seiner sozialen Situation, Wir hatten kritischen Einwänden ent- sungen durch Krieg. seinem Geschlecht oder seiner Religion, gegengesehen. Noch über manches an- Wir unterstützen diese Grundaus- behalten. dere wäre sachlich zu diskutieren. Au- sagen und legen größten Wert darauf, Nicht ausreichend artikuliert ist im ßerhalb unserer Partei gibt es Leute dass diese nicht abgeschwächt werden. Programm der Weg, wie es gelingen genug, die schon diese Ziele für falsch Weitere Präzisierungen könnten die kann, die hoffnungslos und utopielos halten. In unserem Parteiprogramm Klarheit und somit Wirksamkeit der in- unzufriedenen Menschen aus der Apa- müssen sie unübersehbar stehen, und haltlichen Aussagen noch erhöhen. Da- thie zu wecken und die Hoffnung auf es muss deutlich werden, dass sie auch ran werden wir uns bei der weiteren Dis- Veränderbarkeit der Welt wieder herzu- erreichbar sind. Wenn es außer dem kussion beteiligen. stellen, damit sie ihre Kräfte einbringen BGE noch andere Wege dazu gibt, mö- • Die kritische Analyse der gegenwärti- in den Kampf um gesellschaftliche Alter- gen auch sie genannt werden. Bislang gen kapitalistischen Weltordnung ist für nativen. (…) fi nde ich sie nicht. uns deshalb so unverzichtbar, weil die- Wir wünschen euch und uns Erfolg Der Entwurf wirkt viel zu sehr auf das se Politik zur rücksichtslosen Zerstörung bei der weiteren Präzisierung des vorlie- hier und heute Machbare verengt. Mit der natürlichen Lebensgrundlagen führt genden Programmentwurfs. einer solchen Haltung wäre die Arbei- und real die Menschheit in ihrer Existenz Roy Rietentidt, Vorsitzender des Kreis- terbewegung niemals groß geworden. bedroht. verbandes Nordwestmecklenburg Klaus Rauschert, per Mail Der Begriff »Globalisierung« ist auch bei LINKEN oft mit Illusionen verbunden, zum Beispiel dass es sich um eine im- Aufnehmen Danken mer umfangreichere Zusammenarbeit der Völker handelt. Wir sollten klar sa- Unter der Überschrift »Es ist eine sozi- betr.: DISPUT 11/2010, Ein Orden fürs gen, dass es dabei einzig um die private alistische Idee« hatte »DISPUT« vor ei- Ehrenamt Aneignung der gesamten gesellschaftli- nem Jahr eine Entschließung des Orts- Solche Genossinnen wie Karin Denk chen Reichtümer der Völker in den Hän- vereins Springe-Wennigsen (Nieder- gibt es viele in unserer Partei: Sie sind den des Großkapitals geht, das heißt sachsen) veröffentlicht, mit der sich für andere da, ohne darüber große Wor- der Naturressourcen, der Kulturschätze dieser für die Aufnahme der Idee des te zu verlieren. Vielen Dank! und Produktionsergebnisse. Bedingungslosen Grundeinkommens Auch Elfriede Brüning imponiert mir • Neben der amerikanischen wird auch (BGE) ins Parteiprogramm einsetzte. sehr. Wie fi t die Hundertjährige ist! Und die deutsche und europäische Außen- Als einer der am Zustandekommen die- wie konsequent sie all die Jahre für ihre politik immer stärker militärisch ausge- ser Entschließung Beteiligten resümie- Überzeugung eingestanden hat! richtet. Daher gewinnt die Ablehnung re ich nach einem Jahr einen betrüblich R. Müller, Erfurt

DISPUT Dezember 2010 042 © Erich Wehnert (4)

Die letzten Tage des Jahres regen vieler- orts zu besonderen Aktivitäten an. Wäh- Eine Partei rend Mitarbeiter/innen der Bundesge- schäftsstelle in einem »Weihnachts- auch für subbotnik« im Nachbarschaftszentrum »Alte Apotheke« (Berlin-Heinersdorf) Spachtel und Pinsel schwangen, mach- Festtage ten andernorts Genossinnen und Ge- nossen traditionell Kindern aus sozial schwächeren Familien und von Migran- tinnen und Migranten eine Freude. Im Asylbewerberheim Luckenwalde (Bran- denburg) bedachten Heimleiter Rainer Höhn und DIE LINKE 20 Kinder unter an- derem aus Kenia, Kamerun, Iran und Afghanistan mit kleinen Geschenken. Plätzchen und Kuchen hatten Genossin- nen gebacken. Anfangs verständlicher- weise sehr zurückhaltend, später herz- lich und dankbar reagierte beispielswei- se eine afghanische Familie: Mutter und ihre drei Töchter. Dazu die mit betreu- te Schwester der Mutter, selbst erst 16 und elternlos. Ohne »ordentliches« Sor- gerecht sollte sie abgeschoben werden, was letztlich verhindert werden konnte.

43 0 DISPUT Dezember 2010 SOLIDARITÄT »Nur kleinliche Geister ...... fi nden so etwas zweifelhaft«. Er ist schwer vors Mikrofon zu bekommen – DISPUT hat es geschafft: Der Weihnachtsmann im Interview

Er ist kein Mensch wie jeder andere. Ei- weiß. Das hängt mir bis heute nach. tes: Die Menschen in den Vereinigten gentlich ist er gar kein Mensch. Auch Aber die Sache wird nicht wahrer da- Staaten glauben, ich lebe am Nordpol; wenn er so aussieht. Was aber genau durch, dass sie ständig wieder und wie- die Finnen sind der Auffassung, dass ist er? Im Exklusivinterview mit DISPUT der kolportiert wird. ich in Korvatunturi in Lappland wohne; packt der Weihnachtsmann mal so rich- die Dänen wähnen meine Heimat in tig aus. Ein Gespräch über das sichtba- Also ist alles bloß ein Gerücht? Grönland und die Schweden in Dalarna. re Wirkliche, populäre Missverständ- Sagen wir besser so: Die Geschich- Nein, junger Mann, so kommen wir nisse, menschliche Wünsche, Schoko- te beruht auf einem Missverständnis. nicht weiter. Wesentlich ist in meinen Weihnachtsmänner und Unmögliches. Anfang der 30-er Jahre des vergange- Augen etwas ganz anderes: Ich ent- Im Büro des Weihnachtsmannes. nen Jahrhunderts lebte in den USA ein stamme den Wünschen der Menschen. Es ist muckelig warm. Am Kopf des aus Norwegen stammender Grafiker Mein Ursprung liegt in ihren Sehnsüch- Raumes knistert ein Kaminfeuer. Der namens Haddon Sundblom. Damals ten. Das ist der eigentliche Ort meiner Weihnachtsmann hat es sich in einer stellte man sich in Amerika meine Per- Geburt. Von dorther stamme ich. Der Sitzecke auf einem roten Sofa aus wei- son mit rotem Mantel, mit Mütze und Rest ist Interpretation. chem Plüsch bequem gemacht und bie- mit Bart vor. So, wie Sie sich mich heu- tet dem Besucher Tee mit braunem Kan- te vorstellen und wie ich vor Ihnen sit- Welche Wünsche und Sehnsüchte der dis an. Das Band startet. ze. Haddon Sundblom griff diese Vor- Menschen meinen Sie? Die nach vielen stellung auf und zeichnete für Coca-Co- Weihnachtsgeschenken? Sind Sie eigentlich wirklich? la im Rahmen einer Werbekampagne – Man sollte die Menschen nicht ma- Sehen Sie mich? Oder sehen Sie mich. Und zwar so, wie es dem damals terialistischer machen, als sie ohne- mich etwa nicht? und bis heute gängigen Bild entsprach. hin schon sind. Natürlich, es gibt auch Nur: Sundbloms Weihnachtsmann-Ko- solche, die sich viele, teure, aufwen- Nun ja, ich sehe Sie vor mir sitzen. pie bekam das Gesicht eines pensi- dige Geschenke zu Weihnachten wün- Aber bekanntlich ist nicht alles, was onierten Mitarbeiters der Brausema- schen und glauben, ich sei der Haus- sich unseren Augen darbietet, real cher. Ich weiß nicht, ob sich der Rent- lieferant dafür. Ich glaube aber unbe- existent. ner hierüber gefreut hat. Wahrschein- irrt, dass es vielen Menschen eigent- Was man sieht, das gibt es auch. lich ist er bis zu seinem Lebensende lich um etwas anderes geht, wenn sie auf der Straße von Kindern angespro- ihre weihnachtliche Vorstellung von mir Darüber ließe sich philosophisch zu- chen und gefragt worden, warum er entwickeln: Sie suchen Frieden, Gebor- mindest treffl ich streiten. plötzlich einen Anzug statt den Weih- genheit, Freundlichkeit, Wärme, Herz- Ich bin kein Philosoph, sondern nachtsmannmantel trage. Aber sei’s lichkeit, mitunter vielleicht auch eine Weihnachtsmann. Wollen Sie diese drum. Jedenfalls hat besagter Haddon wohlwollende väterliche Strenge. Fra- Diskussion mit mir führen, müssen Sie Sundblom bis Mitte der 1960-er Jah- gen Sie Kinder, was sie mit dem Weih- sich schon auf mein Terrain begeben. re jedes Jahr für die Colabrauer einen nachtsmann verbinden! Und deuten Wollen Sie aber eine Auseinanderset- Reklame-Weihnachtsmann gezeichnet. Sie die Antworten, die bei Kindern ja zung über Ethik oder dergleichen füh- Seitdem schreiben einige mich als Er- meistens etwas mit Geschenken zu ren, bin ich gerne bereit, mich philo- findung dem Coca-Cola-Konzern zu. tun haben, richtig! Schauen Sie hinter sophisch handfester Begrifflichkei- Wie gesagt: ein Missverständnis, aber das Vordergründige! Dann besteht die ten und Denkschemata zu befl eißigen. ein hartnäckig sich behauptendes. Chance, einen Zipfel der Wahrheit zu Aber ich glaube, dafür sitzen wir nicht erhaschen. hier, oder? Wie stellt sich denn Ihr wirklicher bio- grafi scher Werdegang dar? Der Weihnachtsmann lächelt freund- Also noch einmal: Sind Sie wirklich? Du meine Güte! Wollen Sie wirklich lich und gießt seinem Besucher noch So wirklich, wie Sie mich vor sich sit- einen lückenlosen Lebenslauf? einen Tee ein. zen sehen. Ich bitte darum. Nun ja, zumeist sind es ja auch Kin- Ich frage nur deshalb gleich zu Anfang Dann säßen wir ja noch Weihnach- der, die noch an den Weihnachtsmann unseres Gespräches, weil Ihre Existenz ten 2011 hier. Nun, lassen Sie es mich glauben. Bei Erwachsenen stellt sich weithin als nicht gesichert gilt. Und kurz machen: In einschlägigen Lexika die Sache wohl etwas realistischer dar. man will ja wissen, wen man vor sich und Enzyklopädien fi nden Sie alle we- Wenn Sie nicht an mich glaubten, hat – beziehungsweise, ob man über- sentlichen Theorien über mich. Dass würde ich jetzt nicht hier vor Ihnen sit- haupt jemanden vor sich hat. ich als Figur an den Heiligen Nikolaus zen und Ihnen ein Interview geben kön- Sie hegen dahin gehend Zweifel? angelehnt sei. Dass meine Wurzeln nen. in einer nordischen Sagengestalt lie- Es heißt, Sie seien einst als Werbegag gen, die irgendwo in Lappland wohnt. Sie meinen also, dass Sie vor mir sit- einer bekannten Brausemarke erson- Folgt man den Lexika, wird die Sache zen, hat seinen tiefsten Grund in mei- nen worden. mit meinem Lebenslauf genauso ver- nem Wunsch, es möge Sie geben? Diese Coca-Cola-Geschichte, ja, ich zwackt wie die Frage meines Wohnor- Ja, und ich halte das für nichts

TRADITION DISPUT Dezember 2010 044 © Erich Wehnert

Schändliches! Ich halte so etwas viel- de – den Bremsweg und die hierfür in Ach! I wo! Ich deute das als Zunei- mehr für eine höchst realistische Sa- kürzester Zeit nötige Energie mal ganz gung der Menschen zu mir. Und so wer- che! Mich würde ja interessieren, wel- beiseitegelassen. Der Fehlschluss aus den sie immerhin immer an mich erin- cher Wunsch bei Ihnen den Ausschlag dieser Fehlrechnung: Ich existiere nicht. nert. zu meinem Hiersein gibt. Da sage ich nur: Ho ho ho! Es gibt Menschen, die Ihnen vorhalten, Das wird mir jetzt etwas zu persönlich. Ihre Antwort an die Zweifl er? Sie verdrängten immer stärker das vor Nun gut, wir müssen das nicht ver- Etwas, das seinen Ursprung in den allem in Süddeutschland und Öster- tiefen. Sie stellen die Fragen – ich ant- Wünschen der Menschen hat, unter- reich traditionell verbreitete Christ- worte. liegt keinen physikalischen Gesetzen. kind. In Österreich hat sich vor Jahren Ich bin nicht einfach nur schnell – ich sogar eine Initiative »Pro Christkind« Vor einigen Jahren wurden wissen- kann sogar an vielen Orten gleichzei- gegründet … schaftliche Anstrengungen unternom- tig sein. Zwei Menschen in München … und in Deutschland ein Verein men, mit dem Ziel, Ihre Nichtexistenz und Hamburg, die mich am selben Tag »Pro Weihnachtsmann«. Ich halte bei- zu beweisen. zur selben Sekunde vor sich stehen se- des für unsinnig. Will man Menschen Sie meinen diese Sache, die als hen, haben beide recht: Ich stehe vor ihre Vorstellung von etwas, das sie sich »Weihnachtsmann-Physik« Furore ihnen. An zwei Orten. Zur selben Zeit. wünschen, vorschreiben? Ich bitte Sie. machte. Ja, das war sehr amüsant. Ich Nur kleinliche Geister fi nden so etwas Das Christkind und ich schütteln den habe herzlich darüber gelacht, vor al- zweifelhaft. Kopf über solche Unartigkeiten. Und lem über folgende Theorie: Einige Leu- zwar synchron. te haben ein Rechenmodell aufgestellt, Der Weihnachtsmann lächelt gü- welches besagt, dass ich mit 1.040 Se- tig. Irgendwo draußen hört man leises Letzte Frage: Was vermag der Weih- kundenkilometern reisen müsse, um Glöckchenklingeln. nachtsmann nicht? in der Weihnachtsnacht alle Kinder Alles, was wahrlich überirdisch ist. der Welt zu beschenken. Da diese Ge- Noch Fragen? Leider. Bei dem, was ich manchmal zu schwindigkeit unterhalb der Lichtge- sehen bekomme, wünsche ich mir mit- schwindigkeit liegt, wäre das physika- Nur ein paar noch. Was bringt Sie auf unter beinahe, ich wäre der liebe Gott lisch im Prinzip möglich. Nach diesem die Tanne? oder wenigstens ein bisschen wie er. Rechenmodell würde ich allerdings Wenn Leute Heiligabend mit Eilig- Dann könnte ich … Aber schreiben Sie beim Beschleunigen und Abbremsen abend verwechseln. das besser nicht. Das gibt am Ende nur jedes Mal mit einer Kraft von 20,6 Mil- Ärger mit ihm. – Noch Tee? lionen Newton belastet, was kein be- Stört Sie der Verzehr von Schokoladen- kanntes Lebewesen überleben wür- Weihnachtsmännern? Interview: André Hagel

45 0 DISPUT Dezember 2010 BÜCHER

Frauen in Zeiten gisch geht das bis zu erotischen Träu- in einem Zustande der Unterwerfung men der über 70-Jährigen. gehalten wurden, als nicht mehr gültig starker Männer Was mit dem ersten Eindruck ziem- ansieht. Die Freiheit wird einem nicht lich banal und egozentrisch erschei- gegeben, man muss sie nehmen.« Das Zwei Bücher über selbstbestimmte nen mag, ist die Hinterlassenschaft ei- hatte der 1861 in St. Petersburg gebo- weibliche Lebensläufe. Gelesen von ner eigenwilligen Frau und Künstlerin, renen Louise von Salomé niemand ge- Ingrid Feix die diese anstelle ihrer Memoiren hin- sagt, dennoch begann auch sie bereits terließ, und ist im Kontext zu ihrer Bio- als Teenager, ihren eigenen Weg zu be- ier geht es in dieser Jahreszeit mal grafi e zu sehen. stimmen. Das jüngste Kind eines rus- H nicht um Weihnachtsmänner, son- Meret Oppenheim ging schon früh- sischen Generals mit hugenottischen dern um Frauen, die von Männern in- zeitig ihren selbstbestimmten Weg. Ih- Vorfahren trat mit 16 Jahren aus der spiriert wurden bzw. Männer inspiriert re Großmutter war Malerin und Kin- Kirche aus und suchte sich selbst ei- haben und dabei doch, ganz gegen die derbuchautorin, und auch Meret be- nen Lehrer aus, der sie mit dem Werk Konvention, ihren eigenen Weg gingen. schloss mit 17 Jahren, Künstlerin zu der großen Philosophen vertraut mach- Seit ihrem 14. Lebensjahr protokol- werden, brach die Schule ab, ging mit te. Sie studierte in Zürich und fuhr zur lierte die 1913 in Charlottenburg, nahe einer Freundin nach Paris, lernte dort Erholung nach Rom … Berlin, geborene Tochter eines Ham- die Surrealisten André Breton und Max Da gewissermaßen setzt Kerstin burger Arztes und seiner Schweizer Ernst kennen (vor allem ein Männer- Deckers sehr anschaulich und ein- Frau ihre Träume. Wer jetzt an Sigmund klub), gehörte bald als Frau zu ihnen fühlsam geschriebenes biografi sches Freud denkt, liegt falsch. Anstoß für und galt auch als ihre temperament- Buch ein. Es ist die Begegnung Lous solche Aufzeichnungen gaben die im volle und eigenwillige Muse, Oppen- mit Friedrich Nietzsche, der sich umge- Elternhaus besprochenen Lehren des heims »Pelztasse« wurde eine »Ikone hend in die intelligente junge Russin Psychoanalytikers Carl Gustav Jung. des Surrealismus«. Diese Festschrei- verliebte … Über ihre ungewöhnlichen bung rief bei der jungen, auch noch suchenden Künstlerin allerdings eine langjährige Schaffenskrise hervor. Zu- Meret Oppenheim dem beendeten auch die Ereignisse in Kerstin Decker Träume den 1930er Jahren die von den Surre- Lou Andreas-Salomé Aufzeichnungen alisten verbreitete Aufbruchstimmung, Der bittersüße Fun- 1928–1985 mit der sie gegen die verkrusteten Vor- ke Ich Suhrkamp Verlag stellungen des 19. Jahrhunderts ange- Propyläen 118 Seiten treten waren. Oppenheims Familie leb- 364 Seiten

16,90 Euro Repro te inzwischen in der Schweiz, wohin 22,95 Euro Repro auch sie zurückkehrte, nach dem Krieg Meret Oppenheim ist 72 Jahre alt heiratete und ab 1954 wieder intensiv Liebesbeziehungen, ihre nahezu puri- geworden, da müsste also ein opulen- ihre künstlerische Arbeit aufnahm. Sie tanische sexuelle Enthaltsamkeit bis tes Werk zusammengekommen sein, entwarf Theaterkostüme und Masken, in die Ehe sowie ihre späteren heftigen vorausgesetzt, sie hätte fast täglich zeichnete, schrieb, stellte aus und er- Liebschaften mit jüngeren Männern geträumt. In dem von Christiane Mey- schuf selbst in ihrem Todesjahr 1985 wie Rainer Maria Rilke, ihre Ausbildung er-Thoss herausgegebenen Bändchen eine Brunnenskulptur. durch Freud zur Psychoanalytikerin so- nehmen diese Aufzeichnungen jedoch Auch wenn Meret Oppenheims wie ihre Bekanntschaft mit den Frauen- nur etwa 60 Seiten ein. Diese enthal- Kunst und Leben (für sie stets eine un- rechtlerinnen ihrer Zeit ist schon viel ten zudem Kommentare und Deutungs- trennbare Einheit) nicht vordergründig geschrieben worden. Alles Ungewöhn- versuche von Meret Oppenheim. Hin- politisch bestimmt waren, hat sie sich liche verführt zu oberflächlicher Be- zu kommen Abbildungen von den No- doch immer mit ihrer gesellschaftli- trachtung. Dieses Buch nun versucht in tizen, die oft auch mit kleinen zeichne- chen Rolle auseinandergesetzt. Bewei- die Tiefen dieser Frau zu dringen, die rischen Darstellungen versehen sind. se dafür fi nden sich auch in den Traum- auch mit ungewöhnlichen Themen und Oppenheim selbst hat bereits eine aufzeichnungen und in dem sachkun- Ansichten in Romanen und Essays von Auswahl ihr wichtiger Traumaufzeich- dig-hilfreichen Nachwort der Heraus- sich reden machte. Kerstin Decker hat nungen zusammengestellt und im Lau- geberin. Eine interessante Frau, ein versucht, die Gedanken und Erkennt- fe der Jahre immer wieder bearbeitet. interessantes Buch. nisse dieser viel herumreisenden Frau, Die 1984 an die Herausgeberin aus- die in ihrer Selbstbestimmtheit vielen gehändigte Sammlung enthält Traum- ls Meret Oppenheim 1974 den oft als hart und unnahbar erschienen fragmente wie diese ersten von 1928: A Kunstpreis der Stadt Basel erhielt, ist, zu rekonstruieren. Letztlich aber »Ich renne in furchtbarer Angst durch sagte sie, dass eine Frau die Verpfl ich- bleibt doch vieles an Lou Andreas-Sa- den Wald …« oder »Eine Treppe an ei- tung habe, durch ihre »Lebensführung lomé rätselhaft, weil sich Individuali- ner hohen Backsteinmauer, an der im- zu beweisen, dass man die Tabus, mit tät schlecht mit allgemein Gültigem be- mer wieder Stufen fehlen …« Chronolo- welchen die Frauen seit Jahrtausenden schreiben lässt.

DISPUT Dezember 2010 046 n Zeiten der schwersten Weltwirt- gen NPD-Funktionäre anzustreben. Weil schaftskrise, leerer Staatskassen, so- er die richtigen Themen anspreche, bie- I zialer Verwerfungen und neuer dro- tet Voigt ihm sogar an, künftig »als Aus- hender Kriegsabenteuer scheinen länderrückführungsbeauftragter der Ausgrenzungen und moralische Ab- NPD« zu fungieren. wertungen ganzer Bevölkerungsgrup- In erschreckendem Gleichklang sind pen Konjunktur zu haben. So rief Ber- in den vergangenen Monaten gut be- lins sozialdemokratischer Innensena- zahlte Wirtschaftslobbyisten und pro- tor Ehrhart Körting im Zuge der von der minente Politiker verschiedenster Cou- schwarz-gelben Bundesregierung ver- leur gegen Ausländer und Hartz-IV- lautbarten Terrorwarnungen die Bevöl- Betroffene öffentlichkeitswirksam zu kerung dazu auf, die Behörden über Felde gezogen. Aber die in Zeitungen »seltsam aussehende Menschen« zu und Fernsehen publizierten Schlagzei- unterrichten, insbesondere wenn »die len hat nicht etwa ein Thilo Sarrazin pro- nur Arabisch oder eine Fremdsprache duziert – wie es die »Rheinische Post« sprechen, die wir nicht verstehen«. Der ihren Lesern glauben machen will. Über gezielten Provokation folgte die stan- Titelblätter und Schlagzeilen entschei- dardmäßige Relativierung: Er habe sich den die Redaktionen und Zentralen der »möglicherweise unglücklich« ausge- Medienkonzerne. Sie bestimmen letzt- drückt, ließ Körting wissen. So redet je- lich darüber, was gedruckt wird und was mand, der sich von nichts distanzieren nicht, was kritisch auseinandergenom- will. men oder intensiv beworben wird. Kurt Ein anderer, der Pätzold weist in der »Sarrazin-Debat- Die Bauchredner mit beinahe beses- te« darauf hin: Gedrucktes »gibt über sener Unterstützung seinen Inhalt hinaus häufi g auch Aus- Sarrazins der hiesigen Medien- kunft über den Autor, das Echo dagegen landschaft von sich viel über die Gesellschaft, in der es ent- reden macht, ist Thi- steht«. lo Sarrazin. »Weil Die die öffentliche Meinung im We- viele ihm Recht ge- sentlichen bestimmenden Medien ga- Von Sahra Wagenknecht ben, ebenso viele ben und geben Sarrazin ein Forum und

seinen Stil kritisie- benutzen dessen rassistische und sozi- © Aris ren, aber alle der Meinung sind, dass er aldemagogische Sprüche für ihren Kam- die richtigen Themen anspricht«, des- pagnenjournalismus. Wolfgang Lieb, zu- halb mache Thilo Sarrazins neues Buch sammen mit Albrecht Müller Herausge- »Deutschland schafft sich ab« seit Wo- ber der NachDenkSeiten, beschreibt chen Schlagzeilen, schreibt – scheinbar dies so: »Die Bild-Zeitung benutzte Sar- distanziert und differenzierend – die razin wie ein Bauchredner seine Puppe. »Rheinische Post«. Die »BILD«-Zeitung Die Puppe durfte all das aussprechen, nennt den Sozialdemokraten den mu- was eigentlich aus dem Bauch der Re- tigen »Klartext-Politiker«, der gegen ei- daktion kam und was man sich selbst ne verlogene Politik ankämpfe. nicht zu sagen traute.« Die Puppe Sarra- Nur wenige Prominente äußern sich zin wird benutzt, um Migranten, Hartz- kritisch und setzen sich wohltuend von IV-Betroffene und Geringverdiener ge- den Boulevard-Schlagzeilen ab, so der geneinander auszuspielen, also aus- Politikwissenschaftler Hajo Funke. Für gerechnet jene in lähmender Selbst- ihn besorge Sarrazin das Geschäft der beschäftigung zu halten, deren Unmut NPD. Sind die Sorgen und kritischen über Sparpakete, Rentenkürzungen und Bemerkungen Hajo Funkes und ande- Kopfpauschale wächst. Statt aber auf- rer Kritiker Sarrazins schlichtweg über- zubegehren und ein System infrage zu trieben oder gar böswillige Unterstel- stellen, welches Arme ärmer und Reiche lungen? Sarrazin selbst gibt die Antwort: reicher macht, wird die zunehmende »Demografi sch stellt die enorme Frucht- Unzufriedenheit mit den herrschenden barkeit der muslimischen Migranten ei- Verhältnissen ganz im Sinne der poli- ne Bedrohung für das kulturelle und zi- tischen und wirtschaftlichen Eliten nach vilisatorische Gleichgewicht dar«, heißt rechts kanalisiert. Dies ist brandgefähr- es in seinem von den Medien zum Ver- lich. kaufsschlager gepushten »Sachbuch«. Nicht zuletzt anhand der »Sarrazin- Dafür erhält er nicht nur Beifall aus der Debatte« wird deutlich, dass die wach- konservativen Ecke, auch die NPD ju- sende ökonomische und meinungs- belt ihm zu. So gibt der NPD-Vorsitzen- bildende Macht weniger Medienzaren de Udo Voigt vor laufenden Fernsehka- und privater Medienkonglomerate ei- meras offen zu, der gesellschaftliche ner wirklich demokratischen Medien- Umgang mit Sarrazin und seinen Äuße- kultur im Wege steht. Wer über Rassis- rungen mache Positionen der NPD sa- mus redet, darf über den enormen Ein- lonfähiger und damit werde es künftig fl uss der führenden Meinungsmacher schwerer, Volksverhetzungsurteile ge- nicht schweigen.

470 DISPUT Dezember 2010 DEZEMBERKOLUMNE Auslese

Florian Werner

Die Kuh. Leben, Werk und Wirkung

© Nagel & Kimche 2010 19,90 Euro ISBN: 978–3–312–00432–4

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