Aufstieg – Mit Engagement zu Chancengleichheit
Freude – Was gute Organisation möglich macht
Zukunft – Wo Ehrenamtliche Entlastung brauchen Liebe Leserin,
Eckhard Ostermann und sein „Patenkind“ Arda. Die lieber Leser, beiden haben im Projekt Yoldaş der Bürgerstiftung Hamburg zueinander gefunden. Mehr dazu auf die Aktive Bürgerschaft fördert bürgerschaftliches aktuelles Beispiel ist die Datenschutzgrundverord- Seite 28. Engagement, speziell Bürgerstiftungen und Service nung (ab Seite 39). Wir geben praktische Hilfen, Learning. Was die Menschen, die wir unterstützen, setzen uns für Bürokratieabbau ein und machen dort bewirken und für sich gewinnen, freut uns Vorschläge, um die Rahmenbedingungen für Enga- immer wieder. In diesem bürgerAktiv Magazin gement zu verbessern. Im März 2018 haben sich möchten wir Sie daran teilhaben lassen. Zum Bei- Politiker sowie Vertreter aus Wirtschaft und Gesell- spiel beschäftigte uns, wie der heute 26-jährige schaft bei unserem Forum Aktive Bürgerschaft Denis Brijani auf sein Engagement als Schüler damit auseinandergesetzt (Seite 48). bürgerAktiv zurückblickt (Seite 18). Er hat im ersten Jahrgang bürgerAktivNachrichtendienst Bürgergesellschaft unseres Programms sozialgenial mitgemacht, das Dort diskutierten auch Dr. Cornelius Riese, DZ BANK, Ausgabe 116 – September 2011 seit 2009 läuft und dessen Teilnehmerzahl 2018 die und Katja Suding, MdB. Sie arbeiten in unserem der größte Nachrichtendienst der Marke von 100.000 überschritten hat. Stiftungsrat zusammen. Im Gespräch mit bürger- Aktiv (ab Seite 8) loteten sie den Handlungsbedarf Bürgergesellschaft Um Engagement zu ermöglichen, müssen Men- für Bildung und Chancengleichheit aus. schen in gemeinnützigen Organisationen Ver- antwortung übernehmen. Leider machen ihnen Es ist viel passiert! Wir wünschen eine anregende Vorschriften und Regularien das Leben schwer, Lektüre.
> informativ > kritisch > kompakt Die wichtigen Ereignisse und Entwicklungen rund um das bürgerschaftliche Engagement im In- und Ausland > aus Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Medien > einmal Dr. Peter Hanker Dr. Stefan Nährlich Gudrun Sonnenberg pro Monat > zusammengestellt von der Stiftung Aktive Vorstandsvorsitzender der Geschäftsführer der Redaktionsleiterin Bürgerschaft > kostenlos > unabhängig > online Stiftung Aktive Bürgerschaft Stiftung Aktive Bürgerschaft bürgerAktiv
Die gemeinnützige Stiftung Aktive Bürgerschaft ist das Kompetenzzentrum für Bürgerengagement der Genossenschaftlichen FinanzGruppe. Sie steht unter der Schirmherrschaft des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken. Wir wollen bürgerschaftliches Engagement und gemein- nützige Organisationen nachhaltig stärken. Unsere Schwerpunkte liegen auf der bundesweiten Förderung von Bürgerstiftungen und Service Learning in nordrhein-westfälischen und hessischen Schulen. www.aktive-buergerschaft.de/buergeraktiv STIFTUNG AKTIVE
FOTOS: Andreas Bender (links), Julia Grossi/Aktive Bürgerschaft (rechts). TITELSEITE: Michael Taterka / BürgerStiftung Hamburg BÜRGERSCHAFT
2 BÜRGERAKTIV MAGAZIN 2018 3 Inhalt
Aufstieg
„Hier haben wir unseren Beitrag 8 zu leisten“ 39 50 Cornelius Riese, DZ BANK, und Katja Suding, FDP, im Gespräch über Chancen, Versuch und Irrtum Was ist zu tun? Engagement und Bildung
Bodenständig 14 Was drei engagierte Schüler in Köln-Porz aus ihrem Leben machen wollen
8 „Sie bekommen viel zurück“ Zukunft Teilhabe konkret 17 Wie sich das Engagement der Schüler 47 Meinung: Stefan Nährlich plädiert für „Beitrag leisten“ und Lehrer in Köln-Porz auf das Die nächste Generation Ein-Prozent-Philanthropie auch in Zusammenleben in der Schule auswirkt 32 Wie Verantwortliche der Deutschland
sdorf / amigo pictures (li.), Meinzahn / istock.com (re.) Gründungsgeneration und neue Fürs Leben gelernt Gremienmitglieder in Bürgerstiftungen Fördern und gestalten 18 Denis Brijani, einer der ersten sozialgenial- ihre Aufgaben sehen 48 Forum Aktive Bürgerschaft 2018: Teilnehmer, blickt zurück Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft diskutierten über bessere Poster: Mitmachen bei den Engagementförderung 35 Bürgerstiftungen in Deutschland Was Menschen mit Geld, Zeit und Ideen Was ist zu tun? Freude erreichen können 50 Drei Fragen von der Aktiven Bürgerschaft, sechsmal Antworten von Bundespolitikern „Beglückende Erfahrung“ und Wissenschaftlern 22 Ein Bielefelder Stifterpaar und sein Versuch und Irrtum Engagement 39 Wie Bürgerstiftungen mit den immer neuen Vorschriften und Anforderungen der Ein Jahr mit einer sozialgenial- Behörden fertig werden Jahresbericht 2017 24 Projektleiterin 56 Zehn Punkte zur Transparenz über die Vorbereiten, nachbereiten, motivieren „Es wird mit der Angst gespielt“ Stiftung Aktive Bürgerschaft – und vermitteln, wenn es Konfl ikte 42 Interview mit dem bayrischen Fünf Punkte zur Arbeit und Wirkung der gibt. Wie eine Siegburger Lehrerin das Datenschützer Thomas Petri über Sinn und Stiftung Aktive Bürgerschaft Schülerengagement managt Unsinn der Datenschutzgrundverordnung Weiterlesen – Weitermachen # Mitmachen Jedes Jahr an die Gemeinnützigen 70 Impressum 14 28 Bürgerstiftungen greifen Ideen 44 denken engagierter Menschen auf und helfen Ein Bericht aus Polen, wo die Bürger einen Bodenständig bei der Umsetzung. Oder sie regen Teil ihrer Einkommensteuer umwidmen
Engagement an FOTOS LINKE SEITE: Kai Bienert / Werner Kissel / Aktive Bürgerschaft (oben), Petra Krimphove (unten); RECHTE SEITE: Thomas Herm können
4 INHALT BÜRGERAKTIV MAGAZIN 2018 5 Aufstieg
Etwas aus seinem Leben machen, Ziele erreichen: Dafür ist Bildung der Schlüssel. Gesellschaftliches Engagement gehört dazu. Service Learning öffnet allen jungen Menschen diesen Weg und trägt zu Chancengleichheit bei. FOTO: baona / istock.com
6 AUFSTIEG BÜRGERAKTIV MAGAZIN 2018 7 GESPRÄCH „Hier haben wir unseren Beitrag zu leisten“ Cornelius Riese und Katja Suding beim Forum Aktive Bürgerschaft 2018
Was muss Bildung verbessern, um mehr Chancengleichheit in Deutschland herzustellen, und was können Unternehmen und Politik dafür tun? RIESE: Wir haben drei Kinder, und sicher hat das beitung – sind durch die Digitalisierung „bedroht“. Elternhaus einen prägenden Charakter auch in Das heißt, wir brauchen Mitarbeiter, die lebenslang DZ-BANK-Vorstand Dr. Cornelius Riese und die FDP-Bundestagsabgeordnete Bildungsfragen. Daran ist aus meiner Sicht nichts lernen, mit Unsicherheit umgehen können und auf Katja Suding im Gespräch mit bürgerAktiv. Schlechtes. Gleichzeitig ist die Chancengleichheit Methodenkompetenz zurückgreifen können. Das in Sachen Bildung – über Generationen hinweg – hat gegenüber der reinen Fachkompetenz stetig an ein hohes Gut und für unseren gesellschaftlichen Bedeutung gewonnen. Zusammenhalt von herausragender Bedeutung. Hier BÜRGERAKTIV: Was war das Wichtigste, was Sie in der lichen Menschen. Das geht natürlich nicht ohne haben auch wir als Unternehmer unseren Beitrag BÜRGERAKTIV: Ist es schwer, geeignete Bewerber zu Schule gelernt haben? weltbeste Bildung. zu leisten. Auch möchte ich in Erinnerung rufen: fi n d e n ? Als ich meine ersten Lebensläufe zur Bewerbung SUDING: Ach, das war so vieles! BÜRGERAKTIV: Was bedeutet das für mich als Person geschrieben habe, war es tatsächlich noch üblich, RIESE: Für die klassischen Bankkaufl eute kann man und meine Verantwortung, mir Bildung anzueignen? den Beruf der Eltern anzugeben – aus heutiger Sicht als Daumenregel sagen: Früher haben sich auf RIESE: Ich betrachte die Schule inzwischen mehr aus ein absoluter Anachronismus. Jedenfalls können einen Ausbildungsplatz 30 Bewerber beworben. der Vaterrolle heraus, das überlagert meine Erinne- SUDING: Dass jedes Kind, jeder Jugendliche, jeder wir als Unternehmen heute nur noch eingeschränkt rung… Erwachsene selbst dafür verantwortlich ist, die nachvollziehen, welchen familiären Hintergrund Bildungschancen, die sich ihm bieten, auch zu unsere Mitarbeiter haben. Das ist auch gut so! „Wir brauchen Mitarbeiter, die auf BÜRGERAKTIV: Gut, dann zur Politik: Frau Suding, Sie nutzen, ist das eine. Aber wir Politiker setzen Methodenkompetenz zurückgreifen können“ sind Vorsitzende des Arbeitskreises „Weltbeste Bil- natürlich die Rahmenbedingungen, dass weltbeste BÜRGERAKTIV: Wo sehen Sie die größte Herausforde- dung“. Was muss man sich vorstellen unter „welt- Bildung möglich ist. Und wir haben immer noch rung, um junge Menschen und Unternehmen für die bester Bildung“? eine Situation, wo die Herkunft aus dem Elternhaus Zukunft fi t zu machen? Heute sind – auch durch aktive Suche unserer- einen erheblichen Einfl uss auf den Bildungserfolg seits in den sozialen Medien – vielleicht noch fünf, SUDING: Bildung ist das zentrale Element, mit dem eines Kindes hat. 78 Prozent der Akademikerkinder RIESE: Früher bestand das klassische Berufsbild sechs Kandidaten zu fi nden. Mehr junge Menschen junge Menschen in die Lage versetzt werden, ihr besuchen eine Schule, die Abitur und Hochschul- oftmals darin, dass jemand eine fachliche Ausbil- als früher nehmen dann anschließend ein Studium Leben in die Hand zu nehmen, die Chancen zu zugang ermöglicht. Es sind aber nur 44 Prozent der dung machte, in diesem Beruf 35 Jahre arbeitete auf. Das ist sicher positiv, aus Sicht des Arbeitge- nutzen, die sich ihnen bieten, und sich zu entfalten. Nicht akademikerkinder. Das ist ein ganz erhebli- und dann in Rente ging. Doch die Halbwertszeit bers aber zwiespältig. Insgesamt ist eine ausge- Damit sie für sich und ihre Familie sorgen können cher Unterschied. So etwas darf in einem reichen des Wissens hat sich reduziert und gleichzeitig wogene Balance zwischen Studienabgängern und und der Gesellschaft etwas zurückgeben. Wir set- Industrieland wie Deutschland einfach nicht vor- verlängert sich die Lebensarbeitszeit. Traditionelle Menschen, die das duale System der Ausbildung
zen ja auf den selbstbestimmten, eigenverantwort- kommen. FOTOS: Kai Bienert (li.) / Aktive Bürgerschaft, Werner Kissel / Aktive (re.) Bürgerschaft Berufsgruppen – zum Beispiel in der Sachbear- durchlaufen, wünschenswert. Für uns ist ein
8 AUFSTIEG BÜRGERAKTIV MAGAZIN 2018 9 Maß an nationalen Standards und Vergleichbarkeit, als das jetzt der Fall ist.
BÜRGERAKTIV: Was können die Unternehmen leisten?
RIESE: Wenn wir lebenslang lernende Mitarbeiter brau- chen, müssen wir selbst eine lernende Organisation werden. Das betrifft unter anderem die Karrierepfade. Es ist gut, wenn Menschen ihre normale Linientätig- keit für Projekttätigkeit verlassen. Oder wenn sie eine gewisse Zeit lang in unserem InnovationLab oder in einer Prozessfabrik an anderen Themen arbeiten. Dies sind Formate, in denen Mitarbeiter Methoden- kompetenz entwickeln und gleichzeitig die eigene Arbeitstätigkeit optimieren können.
„Wenn man Schulen Freiraum gibt, sind sie an Brennpunkten oft sehr erfolgreich“
Teilnehmer des Projekts „Joblinge“. Es hilft jungen Menschen mit Startschwie- BÜRGERAKTIV: Werden Sie auch nach außen aktiv? rigkeiten, eine Ausbildung zu machen. Die DZ BANK fördert das Projekt.
RIESE: Ja, die andere Dimension ist das gesellschaft- liche Engagement. Bei vielen Bewerbern steht oft- mals die Leistungsorientierung nicht mehr ganz oben. Jüngere Menschen fragen: Trägt mein Beruf Wertschöpfendes zur gesamten Gesellschaft bei? aktuelles Spezialthema, dass – unter anderem kümmern, dass der Unterricht sowohl für die Kinder, BÜRGERAKTIV: Ist der Bildungsföderalismus mit 16 Hier kann gerade die Genossenschaftliche Finanz- durch den Brexit – einige Berufsfelder besonders die gefördert werden, funktioniert, als auch für die Bundesländern und ihrer Hoheit zum Thema Schule Gruppe besonders punkten. Gleich zeitig unter- umkämpft, etwa in Funktionen wie Compliance oder anderen. Und wir haben die Aufgabe, Gefl üchtete nicht ohnehin ein überholtes Modell einer Kleinstaa- stützen wir Bildungseinrichtungen und Universitäten. Risikocontrolling. Das sind oftmals Absolventen der und Kinder von Einwanderern zu integrieren. terei, die man eigentlich abschaffen müsste? Wobei wir in der Flüchtlingskrise gemerkt haben, sogenannten MINT-Fächer, zum Beispiel Mathema- dass wir eine besonders große Wirkung entfalten tiker und Physiker. Da ist es wirklich sehr schwer, BÜRGERAKTIV: Was kann die Schule dafür tun, dass SUDING: Nein, ich will den Bildungsföderalismus nicht können, wenn wir unsere Mitarbeiter für gesell- gute Leute zu kriegen. Herkunft und Bildung stärker entkoppelt werden? abschaffen. Ich will ihn reformieren. Mit der stärke- schaftliche Fragen mobilisieren. Denn sei es für das ren Involvierung des Bundes, was die Standards Thema Flüchtlinge oder seien es Initiativen wie „Job- BÜRGERAKTIV: Frau Suding, wo setzt da die Bildungs- SUDING: Der Bund muss mehr Verantwortung über- angeht, muss auf der anderen Seite das Konzept linge“, bei der Schüler mit Lernschwäche gefördert politik an? nehmen. Finanziell, aber auch inhaltlich: Wir müs- der selbstverantwortlichen Schule weiter gestärkt werden: Wenn wir alle Volksbanken und Raiffeisen- sen hohe Bildungsstandards schaffen, die bundes- werden. Wenn ich auf Hamburg schaue, wo ich her- banken zusammen nehmen, kommen wir auf SUDING: Lehrer müssen ihre Schüler heute ausbilden weit einheitlich sind. Genauso wenig wie es einen komme: Da müssen Sie an einer Schule in Blanke- 180.000 Mitarbeiter, bei der DZ-BANK-Gruppe allein für Berufe und Tätigkeiten, die sie noch gar nicht Unterschied machen darf, aus welchem Elternhaus nese zum Beispiel ganz anders arbeiten als in Stadt- sind es 30.000. kennen, das ist eine paradoxe Situation und eine ein Kind kommt, darf es auch keinen Unterschied teilen, in denen es einen hohen Anteil von Kindern riesengroße Herausforderung für die Schulen. Sie machen, aus welchem Bundesland ein Kind kommt. mit Migrationshintergrund gibt. Wenn man Schulen müssen deshalb die digitale Unterstützung beim Und wir müssen die berufl iche Bildung weiter Freiraum gibt, eigene Konzepte zu entwickeln, sind Lernen nutzen können, um Schüler individueller zu stärken, um die von Herrn Riese angesprochene sie oft gerade an Brennpunkten sehr erfolgreich. fördern. Das setzt die entsprechende Infrastruktur Gleichwertigkeit gegenüber der akademischen Aus- voraus – also Breitbandanschlüsse, entsprechende bildung zu schaffen. Es gibt inzwischen viele Inter- RIESE: Es gibt schon sehr viele praktische Lebens- Endgeräte, Bildungsclouds – und entsprechend aus- netunternehmen in Deutschland, aber es gibt die probleme, die der im Grundsatz sicher sinnvolle Bil- Das Gespräch gebildete Lehrer. Wir müssen uns insgesamt um das entsprechenden Ausbildungsberufe gar nicht. Die dungsföderalismus mit sich bringt. Beispielsweise Thema Lehrkräfte kümmern, denn in den nächsten Ausbildungsverordnung ist seit vielen Jahren nicht beim Thema G8/G9, also der Dauer der gymna- Im März 2018 diskutierten Cornelius Riese und Jahren werden tausende von ihnen fehlen. Und wir angepasst worden. Wir meinen auch, dass man sialen Schulzeit. Wenn Mitarbeiter über Bundes- Katja Suding beim Forum Aktive Bürgerschaft zum müssen uns darum kümmern, dass die Inklusion in mehr Module anbieten muss, so dass man nach landgrenzen hinweg mit Kindern umziehen und in Thema „Nur helfen oder auch einmischen?“ über die gesellschaftspolitischen Aspekte von Engagement. den Schulen läuft. Wir haben viele Kinder mit För- einem Jahr eine Grundausbildung hat, mit der man neue Schulsysteme wechseln, ist diese Vielfalt an Sie arbeiten im Stiftungsrat der Aktiven Bürgerschaft derbedarf, die in den Regelschulen unterrichtet wer- schon etwas anfangen kann, und später vielleicht G8/G9-Modellen nicht gerade hilfreich. Auch bei zusammen. Im Juni 2018 führten sie mit bürgerAktiv ein telefonisches Interview. den. Da fehlen Sonderpädagogen, die sich darum eine Weiterbildung darauf setzt. JOBLINGE FOTO: den Schulabschlüssen bräuchten wir ein höheres
10 AUFSTIEG BÜRGERAKTIV MAGAZIN 2018 11 Katja Suding ist stellvertretende Vorsitzende Lehrpläne immer umfangreicher werden. Das ist auseinandersetzt: Wie schafft man sicherzustellen, der FDP und seit Herbst 2017 Mitglied nicht immer ganz einfach. Aber wenn es funktioniert, dass die jungen Menschen den Umgang mit Geld des Deutschen Bundestags. Sie lebt mit ist es sicher eine sehr gute Sache. lernen. Das ist auch ein recht wichtiges Thema in ihren zwei Söhnen in Hamburg, wo sie von 2011 bis 2017 Fraktionschefi n ihrer Partei der heutigen Zeit. Und ja: Ich denke, Engagement in der Hamburgischen Bürgerschaft war BÜRGERAKTIV: Zum Schluss: Haben Sie sich privat, per- bereichert das Leben! und weiterhin FDP-Landesvorsitzende ist. sönlich, ehrenamtlich engagiert und wenn ja, wo? Nach einem Studium (Kommunikations- und BÜRGERAKTIV: Ein schöner Schlusssatz – vielen Dank Politikwissenschaft, Romanistik) arbeitete sie in der PR-Branche. Katja Suding SUDING: Mein parteipolitisches Engagement fi ndet für das Gespräch! setzt sich seit Jahren für Verbesserungen in weiten Teilen ehrenamtlich statt, ob als Mitglied im Bildungssystem ein. Unter anderem des Kreisvorstandes, Landesvorsitzende in Ham- Das Gespräch führten Dr. Stefan Nährlich und ist sie stellvertretendes Mitglied im burg oder stellvertretende Bundesvorsitzende. Als Gudrun Sonnenberg Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung im Bundestag. Jugendliche war ich beim Malteser Hilfsdienst auf Seit Mai 2018 ist sie Mitglied des Stiftungsrats Veranstaltungen als Sanitäterin, habe beim Blut- der Aktiven Bürgerschaft. spendedienst mitgeholfen. In meinem Auslandsjahr in den USA wurde es in meiner Gastgeberfamilie selbstverständlich verlangt, dass man sich enga- giert, und da hab ich in der örtlichen Bücherei BÜRGERAKTIV: Setzen Sie auf Service Learning – wie Gemeinschaft und Teamgeist funktionieren. ehrenamtlich geholfen. die Verbindung von Lernen und Engagement – und Gerade im Sport ist es möglich, Diskriminierung spielt es für Sie eine Rolle, ob sich ein Bewerber zu überwinden, dadurch dass hier unabhängig von BÜRGERAKTIV: Was haben Sie gelernt? bürgerschaftlich engagiert hat? Sprachkenntnissen und Herkunft alle gleich sind. Bei den Pfadfi ndern oder in den politischen Jugend- SUDING: In der Partei natürlich, mit so einer Organi- RIESE: Auf jeden Fall. Denn indem in einem gemein- organisationen lernen junge Menschen, Verantwor- sation und mit Menschen klarzukommen, Projekte nützigen Umfeld eigenverantwortlich und selbst- tung zu übernehmen und Probleme zu lösen. Sie zu organisieren. Bei den Maltesern habe ich in der organisiert Projekte durchgeführt werden, erwirbt können viele Kontakte knüpfen, auch außerhalb des Ersten Hilfe und in der Grundausbildung als Sanitä- man die bereits erwähnte Methodenkompetenz eigenen Umfeldes und der Familie, und eine wichtige terin eine Menge Fachliches gelernt. Grundsätzlich: und Sozialkompetenz. Das ist ein wichtiger Baustein Netzwerkmischung aufbauen, die ihnen später noch Einfach zu wissen, okay, ich bekomme was von der neben der reinen Wissensvermittlung in der Schule. von Nutzen ist. Gesellschaft und ich gebe auch was zurück, ohne Das Service-Learning-Programm sozialgenial der nach einer Gegenleistung zu fragen. Zu wissen, Aktiven Bürgerschaft ist ja in Nordrhein-Westfalen BÜRGERAKTIV: Machen Sie in Ihrem Umfeld persönli- dass es Spaß machen kann, sich für das Gemein- geboren – ich hoffe, dass wir das noch stärker in che Erfahrungen mit Service Learning? wohl zu engagieren, weil man neue Menschen trifft, andere Bundesländer tragen können. Freundschaften schließt. SUDING: Mein älterer Sohn, der in die 10. Klasse geht, BÜRGERAKTIV: Ermöglichen Sie Ihren Auszubildenden macht gerade ein zweiwöchiges Sozialpraktikum. BÜRGERAKTIV: Herr Riese, wo haben Sie sich engagiert auch, sich bürgerschaftlich zu engagieren? An seiner Schule ist das im Lehrplan verankert. Das und was haben Sie gelernt? fi nde ich sehr sinnvoll, um alle Kinder, auch die, die RIESE: Wir haben für unsere Nachwuchskräfte einen es von sich aus nicht machen würden, dazu zu RIESE: Das ist auf jeden Fall einfacher zu beantwor- sogenannten Malteser-Social-Day, das heißt, dass bringen, etwas zu suchen, wo sie sich einbringen ten als die Frage, was man in der Schule gelernt sie sich im Rahmen ihrer Ausbildung oder ihrer können, und da diese wertvollen Erfahrungen zu hat! – Ich habe die meiste Zeit meines Jugend- Traineeprogramme ein oder zwei Tage in einem machen. lebens auf dem Tennisplatz verbracht. Das brachte sozialen Umfeld bewegen. Aber das hat Grenzen es mit sich, dass ich früh Mannschaftsführer und stellt etwa in einem 18-monatigen Trainee- BÜRGERAKTIV: Könnten Sie sich vorstellen, dass man und Koordinator von Tennismannschaftstrainings Programm eher eine Beimischung dar. Das primäre Service Learning fl ächendeckend an allen Schulen wurde. Und das hat mir einerseits extrem viel Dr. Cornelius Riese ist Mitglied des Vorstands der Anwendungsfeld für Service Learning sehe ich in der und allen Hochschulen anbietet? Spaß gemacht. Aber man muss auch dafür sorgen, DZ BANK. Er studierte Betriebswirtschaftlehre an der Universität Mannheim und promovierte 2005 an der Schule und in den Universitäten. dass alles läuft. Später war ich beim Technischen Technischen Universität Chemnitz über die Industrialisie- SUDING: Ich fi nde es auf jeden Fall sinnvoll, wo es Hilfswerk tätig, als Ersatzdienst zur Bundeswehr. rung von Banken. Bevor er in die Genossenschaftliche BÜRGERAKTIV: Frau Suding, was spielt Service Learning machbar ist. An vielen Schulen geht das ja. Ich kann Heute engagiere ich mich – berufsnäher – vor allem FinanzGruppe eintrat, arbeitete er acht Jahre lang als in Ihren Konzepten für eine Rolle? Herrn Riese ja verstehen, dass das in so einem in Stiftungen. Die Aktive Bürgerschaft gehört dazu. Unternehmensberater. Cornelius Riese, der aus einer Lehrerfamilie stammt, engagiert sich für bessere Bildung 18-monatigen Traineeprogramm vielleicht nicht so Eine andere, die mir sehr am Herzen liegt, ist die unter anderem im Kuratorium der Stiftung Deutschland SUDING: Eine große. Zum Beispiel lernen Kinder und einfach unterzubringen ist. Das ist ja auch in Schu- Stiftung Deutschland im Plus, die sich an Schulen im Plus. Im September 2018 hat er den Vorsitz des Stif-
Jugendliche im Sport als Trainer und Übungsleiter, len die Schwierigkeit, dass die Anforderungen an FOTOS: Werner Kissel / Aktive Bürgerschaft (ii.), Kai Bienert / Aktive Bürgerschaft (re.) mit dem Thema der Überschuldungsprävention tungsrats der Aktiven Bürgerschaft übernommen.
12 AUFSTIEG BÜRGERAKTIV MAGAZIN 2018 13 on der oft behaupteten „vielleicht in Hennef, da ist es grüner“ Ihr Kosmos ist Köln. Zur Berli- Lethargie einer „Null-Bock- meint Cara. Eine eigene Familie, daran ner Bundespolitik und ihren Themen Generation“ ist bei ihnen verschwendet sie noch keine Gedan- verspüren sie keine Verbindung, was V nichts zu spüren, sie klingen ken. „Erst einmal das Leben leben auch an den Politikern liegt, die sie zielbewusst: Léon Wittwer und Cara und reisen“, sagt sie. Nach Kroatien, aus den Medien kennen. „Barack Tomasseti haben Zusagen für Ausbil- in die USA – und auch mal zum Bal- Obama, den fand ich toll. Der hat die dungsstellen in der Tasche, Ricarda lermann, um zu sehen, ob an all den Fehler gesehen und was getan“, sagt Holz hat einen festen Berufswunsch. Berichten in den Medien über die wil- Cara. Das vermisst sie bei Angela Weiter als drei Jahre, bis zum Ende den Partys auf Mallorca wirklich etwas Merkel. Sonst fällt ihnen kein Politi- der Lehre, schaut derzeit niemand dran ist. ker ein, der sie begeistert. „Wenn ich von ihnen. Wie ihre weitere Zukunft, In eine andere Stadt oder gar in 18 bin, werde ich aber auf jeden Fall ihr Leben, genau aussehen wird, das die weite Welt zieht es derzeit keinen wählen gehen“, sagt Cara. „Sonst darf wird sich dann schon zeigen. von den dreien. Köln-Porz ist ihre Hei- man sich nicht darüber aufregen, was Im Sommer beginnt Léon eine mat, hier wohnen ihre Familien und vor einem nicht passt.“ Ricarda und Léon Lehre bei einem Armaturenhersteller allem auch ihre festen Freundinnen stimmen zu. Einige Dinge bringen sie in der Nähe. In dessen großem Lager und Freunde. Léons Freundin ist erst bereits jetzt auf die Palme: Cara hat Ricarda Holz, Léon Wittwer, Cara Tomasseti (v.l.n.r.) lässt er sich zur Fachkraft für Lager- vor kurzem in seine Straße gezogen, kürzlich Videos im Internet gesehen, logistik ausbilden. Er freut sich darauf, mit ihr verbringt er den größten Teil in denen Menschen einen Hund brutal sein Ausbildungsplatz ist ihm nicht seiner Freizeit. Shoppen, ins Kino, verstümmelt haben. „Das waren Kin- in den Schoß gefallen: „Ich habe 30 spazieren gehen, einfach zusammen der, das muss man sich mal vorstel- bis 40 Bewerbungen geschrieben“, sein. In drei Jahren, so der Plan, wenn len“, sagt sie wütend. Ricarda stimmt SCHÜLER erzählt Léon. Dann hat es geklappt. das erste richtige Gehalt auf dem zu. Tierschutz und die Verletzung von Cara wird nach den Sommerferien in Konto ist, will er mit ihr zusammen- Kinderrechten berühren sie als The- einer Klinik in Porz eine Ausbildung ziehen. Bis dahin wird er bei seinen zur Zahnarzthelferin beginnen. „Ich Eltern wohnen, so wie Cara auch. arbeite gerne mit Menschen“, sagt „Barack sie. Insofern sei dies der ideale Beruf Gute Beziehung zu den Eltern Obama fand für sie. Die beiden fi nden das nicht schlimm, Bodenständig Die Lise-Meitner-Schule war in und das hat auch mit der guten Bezie- ich toll“ den vergangenen sechs Jahren neben hung zu ihren Eltern zu tun. Sie ent- Cara Tomasseti ihren Familien ein wichtiger Anker- stammen nicht einer Generation, die punkt in ihrem Leben. Vor ihnen liegt sich an ihren autoritären Eltern abar- Der Sommer 2018 ist kein gewöhnlicher für Léon (17) und Cara (17): Die beiden nun ein Alltag ohne die Vertrautheiten beitet und für sich selbst einen kom- men. Sie ärgert zudem der viele Müll Teenager erhalten ihre Abschlusszeugnisse der Lise-Meitner-Gesamtschule in Köln- der Schule, ohne ihre Zwänge. Aber plett anderen Lebensentwurf entwirft. auf der Straße, dass Menschen ihren auch ohne all die Begegnungen, die Die 16-jährige Ricarda wird in Abfall einfach fallen lassen. Porz. Für Ricarda (16) wird es ein Jahr später soweit sein. Alle drei haben sich im Schule automatisch mit sich bringt. einem Jahr ihren Realschulabschluss sozialgenial-Schulprojekt „Helping Hands“ und auch privat engagiert. „Das ist schon ein komisches Gefühl“, machen und dann eine Ausbildung zur Kirche, Schülervertretung Wie stellen sie sich ihre Zukunft vor? sagt Léon beim Gang über das Schul- Hebamme beginnen. Ein Praktikum Ihr Engagement docken sie in ihrem gelände. Cara nickt. Es klingt fast ein in diesem Sommer soll zeigen, ob es direkten Umfeld an, nicht an den wenig wehmütig. das Richtige für sie ist. Derweil ver- großen Konfl ikten in Berlin oder Ihre Träume sind bodenständig. dient sie ihr eigenes Geld mit Jobs wie anderswo in der Welt. Léon hilft in Führerschein, Ausbildung, nach der Einkaufen und Rasenmähen, die eine seiner Kirchengemeinde beim Kon-
FOTOS: Petra Krimphove Lehre eine eigene Wohnung suchen, lokale Taschengeldbörse vermittelt. fi rmandenunterricht. Ricarda ist
14 AUFSTIEG BÜRGERAKTIV MAGAZIN 2018 15 ZUSAMMENGEWACHSEN
Helping Hands
Neunt- und Zehntklässler der Lise-Meitner-Gesamtschule Köln-Porz engagieren sich in einer sozialen Einrichtung ihrer Wahl im Stadtteil, jeweils zwei Stunden pro Woche. Das Projekt läuft in den Ergänzungsstunden und dauert jeweils zwei Jahre. Im ersten Halbjahr lernen die Schüler, was bürgerschaftliches Engagement ist und wo sie sich engagieren können. Regelmäßig refl ektieren sie das Erlernte und Erlebte. Die Schule ist sozialgenial-Mitglied. „Sie bekommen viel zurück“ Im Helping-Hands-Projekt haben sie ihren Stadtteil von neuen Seiten Was das Schülerengagement für das Zusammenleben in der Lise-Meitner- kennengelernt Gesamtschule und die Vernetzung im Stadtteil bedeutet.
Messdienerin und nimmt wie Léon Schulprojekts einmal in der Woche in regelmäßig an den Versammlungen einem Jugendzentrum bei der Betreu- eweils zwei Stunden in der treffen an jedem Tag im Mikrokosmos lächelt spontan bei ihrem Anblick und der Schülervertretung teil. Dort dis- ung von Kindern. „Wir gehen zum Woche engagieren sich die Schulgelände aufeinander. Die Lise- rappt: „Frau Lebens, Frau Lebens, die kutieren interessierte Schüler, wie sie Beispiel gemeinsam einkaufen und Schülerinnen und Schüler Meitner-Schule hat sich ein friedliches macht immer mit, die ist immer dabei.“ ihren Schulalltag verbessern können, kochen dann zusammen“, erzählt sie. J im Rahmen von Ergänzungs- und respektvolles interkulturelles und Der Gemeinschaft fühlen sich zum Beispiel durch die Umgestaltung Das hat sie sich selbst bei ihrer Mut- stunden in den verschiedensten interreligiöses Miteinander auf die einige auch nach ihrer Schulzeit noch des Raums für die Schülervertreter. ter abgeschaut. Der Umgang und die sozialen Einrichtungen im Stadtteil. Fahnen geschrieben. verbunden. Eine ehemalige Schülerin, Léon, Cara und Ricarda mögen Verantwortung für die Jüngeren tun ihr Klar, sie setzen sich ein, „aber sie Bei Petra Lebens, der didakti- mittlerweile Fußballtrainerin und Lehr- ihren Stadteil und ihre Stadt. Hier gut. Sie sei dadurch selbstbewusster bekommen auch so viel zurück“, sagt schen Leiterin, laufen die Fäden des amtsstudentin, trainiert die Mädchen- ist ihr Zuhause. Was bedeutet das? geworden, sagt sie. Cara ist Einzel- Petra Lebens, didaktische Leiterin der Schüler-Engagements zusammen. mannschaft der Schule. Ein anderer kind, Ricarda hat sich hingegen eine Schule. Sie ärgert es, wenn das Umfeld der Ex-Schüler, mittlerweile Wirtschafts- ruhigere Tätigkeit gesucht. Sie, die Die Schüler spüren, dass sie Lise-Meitner-Schule städtebaulicher informatiker, hilft der Schule bei ihrem „Zuhause ist, zuhause häufi g auf ihre drei jüngeren gebraucht werden, schulen ihre Sünden der Vergangenheit wegen Internetauftritt. Zwei Nachbarn, pen- dass ich mich hier Brüder aufpasst, hilft in der Bücherei, sozialen Kompetenzen, gestalten auf als „Problemkiez“ bezeichnet wird. sionierte Karosseriebauer, basteln mit Bücher einzusortieren und Veranstal- Augenhöhe mit alten Menschen und Der Begriff sei stigmatisierend und Schülern an Fahrzeugen herum. wohl fühle, dass tungen zu organisieren. kleinen Kindern den Alltag. Kommu- unfair gegenüber ihren Schülern, die Der Umgang an der Lise-Meitner- meine Familie hier nikation ist dabei der Schlüssel. In sie ganz und gar nicht so erlebt, wie Gesamtschule zeigt: Es lohnt sich, ist“ Wie will er selbst im Alter leben? Köln Porz, wo viele Bewohner einen es dieses Label vermuten lässt. „Das Kindern und Jugendlichen unvoreinge- Léon wiederum hat seine Helping- Léon Wittwer Hands-Stunden mit Senioren im Altersheim verbracht, bei der Bewir- Die Schüler profi tieren auch sprachlich von ihrer tung der Bewohner mit Kaffee und Arbeit in den sozialen Einrichtungen „Dass ich mich hier wohl fühle, dass Kuchen geholfen oder Spiele mit meine Familie hier ist“, sagt Léon. ihnen gespielt. Der 17-Jährige mag „Sich angenommen fühlen und Sicher- den Umgang mit den alten Men- Migrationshintergrund haben, profi - sind tolle Kinder und Jugendliche. Die nommen und mit Respekt zu begeg- heit“, fügt Cara hinzu, das Gefühl, sich schen. „Das habe ich mir bewusst tieren die Schülerinnen und Schüler schlagen mir keine Bitte aus“, sagt sie. nen, und dafür steht das Kollegium der frei auf der Straße bewegen zu kön- ausgesucht“. Wie will er selber im daher auch sprachlich von ihrer Arbeit Petra Lebens ist Vertrauens- und Schule ein. „Die brauchen keine Rat- nen. Was nicht heißt, dass die beiden Alter leben? „Keine Ahnung“. Für ihn in den sozialen Einrichtungen und den Respektperson in einem, das ist schläge“, sagt Petra Lebens, „sondern nicht schon einmal in brenzlige Situa- selbst ist diese Lebensphase noch Nachbesprechungen im Unterricht. schnell zu spüren, wenn man an jemanden, der ihnen zuhört.“ tionen geraten sind. Léon wurde mal sehr weit weg. „Darüber mache ich Manchmal eröffnet das Engagement ihrer Seite durch das weit verzweigte von Gleichaltrigen verprügelt, weil mir noch keine Gedanken.“ in einer sozialen Einrichtung auch die Schulgebäude läuft. Alle paar Meter Dr. Petra Krimphove diese sich schief angeschaut fühlten. Tür zu einem Ausbildungsvertrag. wird sie mit einer Bitte angesprochen, Angst hat er deshalb nicht. Dr. Petra Krimphove Für die Lehrer werden wiederum mal schütten Schüler ihr Herz aus und Sie kennen die vielen Seiten von im Engagement der Schüler neue Sei- sie tröstet über schlechte Noten hin- Köln-Porz auch aus ihren Helping- ten offenbar, die im regulären Schul- wegt, mal spricht sie ein ernstes Wort Hands-Projekten an der Lise-Meit- unterricht nicht zum Vorschein kom- mit jenen, die nicht alles gegeben
ner-Schule. Cara hilft im Rahmen des FOTO: Petra Krimphove men. 1.300 Schüler aus 60 Nationen haben. Eine Schülerin mit Dreadlocks
16 AUFSTIEG BÜRGERAKTIV MAGAZIN 2018 17 SCHÜLER Fürs Leben gelernt
Seit 2009 läuft das Service-Learning-Programm sozialgenial. 2018 überschreitet die Zahl der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler die 100.000. Denis Brijani hat im ersten Jahrgang mitgemacht und profi tiert bis heute – berufl ich und privat.
er heute 26-jährige Denis und dass ich gerne in den Vertrieb sönliche Beratung zuständig. Zuvor Brijani gründete 2009 mit möchte.“ hat er hier eine Ausbildung gemacht. Mitschülern in seiner Stein- Im Projekt spielten die Schüler Bei der Auswahl seines Ausbildungs- Dfurter Handelsschule eine bis zum Verkauf auf dem Markt alle betriebs war ihm der Qualitätsan- Schülerfi rma für den Verkauf von Fair- Prozesse durch, kauften ein und spruch wichtig: Sein Arbeitgeber trade-Produkten. Sie boten sie in der disponierten. „Wir haben unterneh- achte sehr auf gute Produktionsbe- Schule und auf dem Wochenmarkt an. merisches Denken entwickelt“, sagt dingungen bei den Herstellern der von Denis Brijani gewann dabei zwei Ein- Brijani.Er kann sich noch gut daran ihm vertriebenen Büromöbel, sagt er: sichten. Die erste: „Mir war vorher gar erinnern, wie er hinter dem Wochen- „Meine Chefi n legt auf diesen Punkt nicht bewusst, dass es so etwas wie marktstand und in den Schulpau- sehr viel Wert.“ Fairtrade überhaupt gibt“. Seit damals sen Kunden für die fair gehandelten Auch in seinem privaten Konsum Schüler der Verbundschule Möhnesee (Nordrhein-Westfalen) auf dem Weg zum Umweltprojekt schaut er beim Einkaufen auf ökologi- Waren gewinnen wollte. Es brauchte wirkt das sozialgenial-Projekt nach. sche und fair produzierte Waren. Die Argumente, warum die Produkte ihren So greife er zu, wann immer Bananen zweite: Verkaufen macht ihm Freude. höheren Preis wert waren, und er mit einem Fairtrade-Siegel angebo- „Mir hat das Gespräch mit den Kunden hatte sie: Die Schülerfi rma hatte sich ten würden. Und im Büro überlege er sehr viel Spaß gemacht“, sagt er. „Ich zuvor damit auseinandergesetzt, unter zweimal, ob er eine Datei nun wirklich sozialgenial – Schüler habe gemerkt, dass mir der Kontakt welchen sozialen und ökologischen ausdrucken müsse. engagieren sich mit Menschen und die Beratung liegen Bedingungen die Waren in welchen Darüber hinaus steht gesellschaft- Ländern geerntet oder hergestellt liches Engagement derzeit zwar nicht ... ist das Service-Learning-Programm der Stiftung wurden. Erhielten die Arbeiter einen auf seiner Agenda. Denn sein Alltag Aktive Bürgerschaft. Es startete 2009 auf Initiative der WGZ BANK (heute DZ BANK) in Nordrhein- fairen Lohn oder wurden sie ausge- ist mit seinem Job und Hobbies wie Westfalen (NRW) und läuft seit 2016 auch in Hessen. beutet? Wirtschaft hat immer auch Fußball, Fitness und Musik ausgefüllt. Bis Mitte 2018 haben sich insgesamt mehr als 106.000 eine gesellschaftliche, eine ethische Doch ein politisches Thema treibe ihn Schülerinnen und Schüler aus 708 Mitgliedschulen in Komponente. Hinter dem Marktstand um: „Ich mache mir Sorgen, ob ich 2.640 Projekten engagiert. Sozialgenial wird gefördert von der DZ BANK und weiteren Genossenschaftsbanken lernten Denis Brijani und seine Mit- später ein ausreichendes Auskommen und unterstützt vom Ministerium für Schule und schüler, dass Kunden bereit sind, für durch meine Rente haben werde“, Bildung des Landes NRW und vom Hessischen diese Faktoren einen höheren Preis in sagt Denis Brijani. In diesem Punkt Kultusministerium. Kauf zu nehmen. werde für seine Generation zu wenig www.sozialgenial.de Heute ist Brijani Groß- und Außen- getan. Da könne er sich vorstellen, handelskaufmann in einem Büromö- sich in die Debatte einzubringen. belvertrieb in Münster und dort für die Schüler präsentieren ihr Engagement: In Vechta (Niedersachsen) lief Denis Brijani Auftragsabwicklung und für die per- Dr. Petra Krimphove FOTOS: privat (li.), Ralf Emmerich / Aktive Bürgerschaft (re. oben), Timo Lutz Werbefotograife (re. unten) 2015 ein sozialgenial-Modellprojekt an drei Schulen.
18 AUFSTIEG BÜRGERAKTIV MAGAZIN 2018 19 Gute Taten machen zufrieden. Doch wenn die Motivation dazu von Dauer sein soll, muss Engagement gut organisiert sein. Bei Bürgerstiftungen fi nden Engagierte, was sie brauchen.
Freude FOTO: Thorsten Arendt / Aktive Bürgerschaft
20 FREUDE BÜRGERAKTIV MAGAZIN 2018 21 mehr umtrieben als die Produktion Wieder geht es um den Aufbau eines Erzieherinnen und Erziehern nicht von Fahrradteilen. Also ging er 1995 Netzwerks. Unter dem Dach der Bür- mehr in deren Ausbildung fest veran- wieder an die Uni, nebenberufl ich, und gerstiftung leitet er eine ehrenamtliche, kert ist. Nun begann eine ganz neue studierte Gesundheitswissenschaften. interdisziplinäre Fachgruppe: „Projekt- Engagement-Erfahrung für Barbara In der gleichen Zeit machte seine Frau, management mit gut ausgebildeten Junker, eine mit Freude und Sinn. unausgefüllt in ihrem Berufsalltag als interessierten Menschen, das macht Die Zeit mit den kleinen Kindern war medizinische Fachangestellte, eine Spaß.“ „eine beglückende Erfahrung“ erin- Ausbildung zur Heilpraktikerin. „Die Sorgen bereiten ihm hingegen die nert sie sich und ihr Gesicht beginnt neunziger Jahre waren für uns eine minimalen Erträge seiner Stiftung auf zu strahlen. Sie hat erlebt, wie völlig spannende Zeit“, erinnern sie sich. dem Kapitalmarkt. Sie reichen nicht verschüchterte Kinder sich langsam Dietrich Junker schloss 1997 sein mehr aus, um sinnvolle Projekte zu durch die Musik öffnen, wie das Sin- Studium als „Master of Public Health“ fi nanzieren. Daher entschied er sich gen ihre sprachliche Ausdruckskraft ab, blieb aber noch in der Geschäfts- vor drei Jahren, die Hälfte des Vermö- verbessert, wie hyperaktive Kinder leitung seines Familienbetriebs. 2005 gens für die Verwendung freizugeben. zur Ruhe kommen, wie Jungen und überließ er einem Geschäftsführer die So kann er jedes Jahr neu entschei- Mädchen aus unterschiedlichen sozi- operative Leitung und gründete eine den, wohin sein Geld fl ießt. Unter Stiftung zur Förderung der ambulan- anderem fi nanziert er eine Koordinie- ten Palliativmedizin. Er gliederte sie als rungsstelle in einem Sportverein, der Manche trauen sich nicht Treuhandstiftung der Bielefelder Bür- in das Sieker-Projekt eingebunden ist. gerstiftung an. „Das war damals die Wie erfolgreich dies sein wird, wird alen und kulturellen Hintergründen einzige Adresse, mit der ich zusam- die Zukunft zeigen. Das sieht er recht durch das Singen zusammenfi nden. menarbeiten wollte“, erinnert er sich. gelassen, denn gute Ideen brauchen Von den Kindern Woche für Woche STIFTER Mit den Erträgen aus seiner Stif- Zeit für eine nachhaltige Entwicklung. begeistert begrüßt zu werden, das tung, die inzwischen über ein Kapital Barbara Junker schätzt hinge- sei zudem eine wunderbare Beloh- von 600.000 Euro verfügt, und seiner gen das unmittelbare und ehrliche nung. Junker koordiniert als Projekt- Das Bielefelder Ehepaar Barbara und Dietrich Junker engagiert sich mit und bei der Bielefelder Bürgerstiftung Expertise als Gesundheitswissen- Feedback, das sie als Singpatin im leiterin auch die Einsätze der anderen Singpaten und vermittelt interessierte Bielefelder an Kitas und Kindergärten. Das ist eine Herausforderung, denn es fehlt an Freiwilligen. „Viele trauen „Beglückende Erfahrung“ sich nicht“, bedauert sie. Die Junkers haben die für sie pas- senden Engagementfelder gefunden. schaftler half Dietrich Junker, das Bie- Kita-Projekt erlebt: „Die Kinder zei- Und auch was den Familienbetrieb Mal ist ein strahlendes Gesicht die Belohnung, mal treibt der Wunsch nach lefelder Palliativnetzwerk für die häus- gen direkt, ob ihnen etwas gefällt. betrifft, hat sich alles gut gefügt: Ab liche Versorgung unheilbar kranker Das ist richtig schön.“ Ohne diese dem kommenden Jahr wird der jün- gesellschaftlichen Veränderungen an: Bürgerschaftliches Engagement speist sich und alter Menschen mit aufzubauen. direkte Rückkopplung leidet die Moti- gere, fahrradbegeisterte Sohn als aus den unterschiedlichsten Quellen. So auch bei Barbara und Dietrich Junker. Er brachte die Kooperation von Ärz- vation, so weiß sie aus persönlicher Geschäftsführer das Unternehmen in ten, Pfl egekräften und Hospizdiensten Erfahrung. Vor 20 Jahren leitete sie die nächste Generation führen. auf den Weg und war viele Jahre lang das „Kinder und Jugendtelefon“ des Manager des Netzwerks. Und da in Kinderschutzbundes Bielefeld unter Dr. Petra Krimphove ietrich Junker ist ein Macher, Ihre Heimat, das ostwestfälische ihres Mannes leitete in fünfter Gene- den neuen Strukturen Fachkräfte fehl- dem Dach einer bundesweiten Initia- der Veränderungen bewir- Bielefeld, ist eine unaufgeregte Stadt. ration eine heute 150 Jahre alte Fabrik ten, fi nanzierte er unter anderem die tive, bei der Kinder und Jugendliche ken will. Der Westfale setzt „Bodenständig und solide“, seien die für Fahrradzubehör. Ausbildung von 15 Palliativpfl egern. in Not ein offenes Ohr fi nden. Sie Dsein Geld und seine Kräfte Menschen, so Dietrich Junker. Das Nun stehen die Strukturen des organisierte die Zuständigkeiten und für einen strukturellen Wandel ein: Er Paar fi ndet, dass die Dinge hier ganz Lebensaufgabe gesucht Palliativnetzes in Bielefeld und Jun- war auch selbst am Hörer. „Aber es förderte den Aufbau eines Palliativ- gut laufen. „Das ist eine wichtige Dietrich Junker übernahm die Firma ker hat sich weitestgehend daraus war eine sehr einsame Geschichte“,
netzwerks und engagiert sich mit der Triebfeder, sich zu engagieren“, sagt in den neunziger Jahren, obwohl er zurückgezogen. „Das läuft“, sagt er. erinnert sich Barbara Junker. Nicht Bielefelder Bürgerstiftung Bürgerstiftung für Kinder aus sozial Dietrich Junker. Wo es dennoch hake, keine rechte Berufung dazu verspürte. Zeit für Neues: Er baute das Ärztenetz nur wegen manchen Scherzbolden Sie vernetzt engagierte Bürger und bietet schwachen Familien. Seine Frau Bar- müsse man sich einbringen: „Immer „Ich bin meinem Vater zuliebe einge- Bielefeld auf, das er nun managt. Vor am anderen Ende der Leitung, son- Dienstleistungen für Stifter. bara koordiniert die Initiative „Musik im nur stöhnen und meckern hilft schließ- stiegen“, sagt er. Das Ende des Fami- drei Jahren verlagerte er zudem seine dern sie vermisste in und nach den Kindergarten“ der Bielefelder Bürger- lich keinem.“ lienbetriebs einzuläuten, war damals Zusammenarbeit mit der Bürgerstif- Gesprächen auch das Gefühl, dass www.bielefelder-buergerstiftung.de www.aktive-buergerschaft.de/ stiftung. Das Projekt vermittelt ehren- Barbara und Dietrich Junker sind keine Option für ihn. Doch: „Es gärte tung auf die Gesundheitsprävention ihr Einsatz etwas beim Gegenüber buergerstiftungsfi nder amtliche Singpaten in Kitas und Kin- beide in Bielefeld aufgewachsen und in mir. Das war einfach nicht meine von Kindern in dem sozial schwa- bewirkte. dergärten. Barbara Junker freut sich haben zwei Söhne großgezogen. Lebensaufgabe.“ chen Bielefelder Stadtteil Sieker. „Wir 2011 hörte sie vom Singpaten-Pro- Die Bürgerstiftung Bielefeld wird unterstützt jede Woche auf und über den Spaß, Dietrich Junker wurde 1955 geboren, Dann erkrankte der Vater an Par- fördern dort über Bewegungsprojekte jekt „Musik im Kindergarten“ bei der von der Volksbank Bielefeld-Gütersloh. den die Kleinen am Singen haben. Barbara 1958, beide als Kinder von kinson. Da wurde Dietrich Junker klar, nachhaltig die Kinder in Grundschu- Bürgerstiftung, das initiiert wurde, um Deren direktes und unmittelbares Selbständigen. Ihr Vater führte eine dass ihn die Versorgungsdefi zite im len und zwei Kitas mit fast 100 Pro- Musik nachhaltig in Kitas zu etablieren
Feedback ist ihre größte Motivation. Drogerie in der Innenstadt, der Vater deutschen Gesundheitswesen weit FOTO: Petra Krimphove zent Migrationshintergrund“, sagt er. – da die musikalische Ausbildung von
22 FREUDE BÜRGERAKTIV MAGAZIN 2018 23 EIN JAHR MIT … … einer sozialgenial- Projektleiterin
An der Gesamtschule Siegburg haben sich im Schuljahr 2017/18 zehn Schüler „sozialgenial“ engagiert. Für ihre Lehrerin Barbara Schmiedek hieß das: Vorbereiten, nachbereiten, motivieren. Und vermitteln, wenn Erwartungen und Realität auseinanderklafften. Eine Aufzeichnung.
September 2017 September/Oktober In der folgenden Phase spielt sich Ser- vice Learning nicht nur in Schmiedeks Barbara Schmiedek schreibt einen Vorarbeit: Die Schülerinnen und zwei Wochenstunden ab, sondern, so Was sind eure Stärken und Schwächen? Was habt ihr im Engagement gelernt? Lehrerin Barbara Schmiedek (li.) im Dialog mit ihren Schülern Brief an die Neuntklässler ihrer Schule. Schüler sollen sich selbst besser hat sie es mit den Kollegen abgespro- Es ist eine Art Werbetext für ihr sozial- einschätzen können mit Hilfe einer chen, die Deutschlehrerin übt parallel genial-Angebot, Service Learning wird Stärken-Analyse. Für so etwas gibt in ihrem Unterricht Bewerbungsschrei- für die Neuntklässler in sogenannten es erfreulicherweise schon gut entwi- ben und Lebenslauf. Die Gesellschafts- November 2017 es nochmal suchen. Die Schülerin Tätigkeit der Sozialarbeiter, die sie als Ergänzungsstunden angeboten. Die ckelte Instrumente. Schmiedek arbeitet lehre-Kollegen thematisieren, warum bewirbt sich bei einem Seniorenheim, „rumstehen und quatschen“ wahrzu- Schülerinnen und Schüler haben mit dem „Profi lpass“, der, anders als Engagement wichtig ist. Gute Nachricht nach den Ferien: Fast doch irgendwie ist der Wurm drin – nehmen behaupten. Schmiedek hängt die Wahl – sie könnten sich auch als manche anderen Tools, nicht komplett alle Schülerinnen und Schüler haben hier kommt überhaupt keine Reak- sich rein: „Für die Jungs wäre es gut, Streitschlichter ausbilden lassen, im berufsorientiert ist. einen Platz für ihr Engagement in tion. Also nochmal suchen. Am Ende wenn sie das Projekt durchhalten“. Sanitärdienst der Schule engagieren Dann besucht die Lehrerin mit Oktober 2017 einer Einrichtung bekommen. Zwei klappt es bei einem Seniorenzentrum Denn: Für viele der Schülerinnen oder einen Kunstkurs wählen. Für ihren Schülern die Freiwilligenagen- gehen in ein Jugendzentrum, andere nahe der Schule, wenn auch erst ab und Schüler ist das Projekt eine diejenigen, die seit der achten Klasse tur Siegburg. Die hat schon über ein Rechtzeitig vor Beginn der Herbstferien Einsatzorte sind ein Wohnheim für Januar. Aber: geschafft! Chance, außerhalb der schulischen Spanisch lernen, steht ohnehin schon Patenprojekt Kontakt zur Schule, in am Ende des Monats müssen die Erwachsene mit Beeinträchtigungen, Leistungserwartungen, die sie manch- fest, dass sie den Ergänzungsunter- dem ehrenamtlich handelnde Erwach- Bewerbungen abgeschickt sein. Aus- eine Offene Ganztags-Grundschule, mal nicht erfüllen können, ihre Stärken richt mit der Sprache belegen müssen. sene Schülern zur Seite stehen, die gerechnet das Tierheim, das ganz eine inklusive Kindertagesstätte, ein Dezember 2017 zu zeigen und Selbstwirksamkeit zu Schmiedeks Brief verteilen die Schwierigkeiten mit dem Lernen oder oben auf der Engagement-Wunschliste Se niorenzentrum. Schmiedek hält spüren. Daher ist es für sie besonders Klassenlehrer, bevor die Schüler die der Selbstorganisation haben. Schmie- vieler Schüler steht, scheidet als Ein- sich so lange wie möglich aus den Bis auf die Nachzüglerin verbringen wichtig, Phasen der fehlenden Moti- Kurse wählen. Erfolg: Zwölf junge deks junge Leute erhalten hier eine Ein- satzort aus. Denn es macht zur Bedin- Bewerbungen heraus. „Aber wenn jetzt alle Schüler ihre Ergänzungsstun- vation durchzuhalten. Schmiedek hält Leute fi nden sich zum ersten Tref- führung: Was genau ist eigentlich unter gung, dass die Schüler Vereinsmitglied es hakt, schalte ich mich einma- den in den Einsatzorten. Schmiedek sie immer wieder dazu an. Die Unter- fen bei Schmiedek ein. Sie gleicht bürgerschaftlichem Engagement zu werden. Aber es gibt genug Alternativen. lig ein, maile oder telefoniere“, sagt hält über die elektronischen Medien stützung des Projekts durch die Eltern die Vorstellungen ab: Was schwebt verstehen? Was ist ein Ehrenamt? Wel- Barbara Schmiedek schreibt wie- sie. Kommt dann nichts, rät sie den Kontakt. Wer will, kann sie in ihrem ist in diesem Engagementkurs eher ihnen vor und was ungefähr kommt che Möglichkeiten zum Engagement der, diesmal: Infobriefe an die Leitun- betroffenen Schülern umzudisponie- Büro in der Schule aufsuchen. gering, sprachliche Verständigungs- auf sie zu? Zwei Schüler entscheiden gibt es? Jeder erhält eine Mappe, in gen der Einrichtungen, die sie den ren. Probleme gibt es im Jugendzen- schwierigkeiten, fehlende Zeit und sich nochmal um. Zehn werden sich der die Einrichtungen verzeichnet sind, Schülerinnen und Schülern mitgibt, In diesem Jahrgang hakt es tat- trum: Die beiden 15-jährigen Jungs vielleicht auch eine andere Vorstellung „sozialgenial“ engagieren. die freiwillige Helfer suchen. Zurück in wenn sie dort vorstellig werden. Was sächlich bei einer Schülerin. Erst identifi zieren sich nicht so recht mit von „Lernen“ spielen dabei eine große Nun muss Schmiedek einen wei- der Schule, gleichen die jungen Leute zwei Schüler sogar noch vor den ist sie krank, dann bewirbt sie sich ihrer Aufgabe dort. Sie sollen mit jün- Rolle. teren Brief schreiben, diesmal an die diese möglichen Einsatzorte mit den Ferien schaffen. „Manche sind ganz bei einer Einrichtung für psychisch geren Kindern kochen und einkau- Mit der Jugendzentrumsleiterin Eltern. Sie müssen ihr Einverständnis Ergebnissen aus ihren Stärkenanaly- schön aufgeregt“, erzählt Schmiedek, Kranke. Dort bekommt sie eine fen, fi nden die damit verbundenen vereinbart Schmiedek, bis Februar geben, dass die Schüler sich außer- sen ab. Sie fragen sich: Was kann ich „aber viele gehen auch zu zweit in die Zusage. Doch dann überlegt die Ein- Anforderungen aber nicht angemes- abzuwarten. In der Schule bindet
halb der Schule engagieren. gut, was anderen nützt? Einrichtungen, dann geht das.“ Franke Maximilian FOTO: richtung es sich anders. Nun heißt sen. Lieber orientieren sie sich an der sie den Abteilungsleiter ein, eine
24 FREUDE BÜRGERAKTIV MAGAZIN 2018 25 Barbara Schmiedek
... unterrichtet seit 2016/17 Deutsch und Praktische Philosophie an der Gesamtschule der Kreisstadt Siegburg, deren Didaktische Leiterin sie ist. Mit sozialgenial sammelte sie zuvor bereits in Sankt Augustin und Bonn Erfahrungen. In Siegburg führte sie sozialgenial 2016/17 als AG für die Siebtklässler ein und bietet es seit 2017/18 auch im Rahmen des Ergänzungsunterrichts für ältere Schüler an. Regelmäßig engagiert sie sich in den Kreativwerkstätten der Aktiven Bürgerschaft.
Die Gesamtschule Siegburg
... ist eine vierzügige Oberschule im Aufbau. Sie startete im Schuljahr 2013/14 mit einem 5. Jahrgang. Im Schuljahr 2017/18 hatte sie rund 540 Schülerinnen und Schüler und 52 Lehrende.
Hier jubeln und winken die Schülerinnen und Schüler der Gesamtschule Siegburg. Sachliches Ambiente: der Eingang zur Schule
zusätzliche männliche Ansage fällt Februar 2018 ist schön!“, sagt Schmiedek. Denn Schmiedek führt Refl exionsgespräche Juli 2018 bei diesen beiden Schülern, bedingt hier kann sie die jungen Menschen mit ihnen: Wie bewerten sie ihr Enga- durch ihr Rollenverständnis, auf frucht- Barbara Schmiedek erkundigt sich in neuen, anderen Rollen erleben. Sie gement? Schriftlich lässt sie sie Sätze Krönender Abschluss: Die Schülerin- bareren Boden, hofft sie. beim Jugendzentrum, wie sich die sind stolz, sie kennen sich aus, sie vervollständigen, die zum Beispiel mit nen und Schüler erhalten ihre Zertifi - beiden Jungen machen. Die Rück- können viel erklären. Freudige Über- „Besonders gefallen hat mir...“ beginnen. kate und gefeiert wird mit einem gro- meldung ist durchwachsen, aber raschung: Die beiden „Sorgenkin- Es kann ja nicht jeder alles gut in Worte ßen Eisessen. Und dann sind Ferien! Januar 2018 insgesamt geht es jetzt in Ordnung. der“ aus dem Jugendzentrum haben fassen – unter dem Strich können aber Für die Schüler. Die Lehrerin hat noch Offenbar hat das Gespräch des Kol- ihren Rollenwechsel bewältigt, viel- fast alle etwas für sich mitnehmen. eine Aufgabe zu bewältigen, nämlich Die Nachzüglerin kann nun auch ihr legen Abteilungsleiter mit den Jungs leicht auch, weil sie vom Hausmeister mit der Schulleitung die Planung des Engagement beginnen. In der Schule die erhoffte Wirkung entfaltet. Der aus der Küche abgezogen und zum nächsten Schuljahres abzusprechen: ist es jetzt tatsächlich ruhig. Ab und Einsatz kann also weitergehen. Für Bauen von Palettenmöbeln einge- Juni 2018 Lässt sich Service Learning als Ergän- zu fragen die Klassenlehrer bei den die Zukunft macht Schmiedek schon- setzt wurden. Auffl iegen tut dagegen zungsfach auf die Klassen 8, 9 und 10 sozialgenial – Schüler Schülern nach, wie es läuft. Gele- mal ein kleines Fragezeichen an das ein Mitschüler, der in einem Heim für Barbara Schmiedek bestellt bei der ausweiten und in den siebten Klassen engagieren sich gentlich kontrolliert Barbara Schmie- Jugendzentrum als geeigneten Ein- behinderte Menschen arbeiten sollte: Aktiven Bürgerschaft die Zertifi kate, als AG anbieten? Wenn ja, wie müs- dek die Anwesenheitsbögen, die sich satzort: „Es ist vielleicht schwierig für Er ist nur dreimal hingegangen. Doch mit denen sie den Schülerinnen und sen die Stundenpläne aussehen? Nach ... ist das Service-Learning-Programm die Schüler von den Einrichtungen die Schüler, die Rolle zu wechseln, insgesamt ist die Rückmeldung aus Schülern ihr Engagement bescheinigt. dem Schuljahr ist vor dem Schuljahr. der Stiftung Aktive Bürgerschaft. Es startete 2009 in Nordrhein-Westfalen abzeichnen lassen müssen. Einmal wenn sie das Zentrum auch ganz nor- den Einsatzorten sehr positiv. „Die Diese schreiben ihrerseits mithilfe der Aber jetzt sind trotzdem erstmal Ferien. (NRW) und läuft seit 2016 auch meldet sich eine Grundschullehrerin, mal in ihrer Freizeit aufsuchen.“ Schüler haben sich super entwickelt“, Lehrerin Dankeskarten an ihre Ein- Auch für Barbara Schmiedek. in Hessen. Bis Mitte 2018 haben weil der Schüler, der sich in der Offe- lautet der Satz, den Barbara Schmie- richtungen. Schmiedek wiederum sich insgesamt mehr als 106.000 nen Ganztagsgrundschule engagiert, dek am meisten zu hören bekommt. holt Rückmeldungen der Einrichtun- Gudrun Sonnenberg Schülerinnen und Schüler aus 708 Mitgliedsschulen in 2.640 Projekten geschwänzt hat. Er begeistert dort gen ein: Wie ist es aus ihrer Sicht März/April 2018 engagiert. Sozialgenial wird gefördert die Kinder mit einer Fußball-AG, sie gelaufen? Soll es im nächsten Jahr von der DZ BANK und weiteren haben ihn prompt vermisst. Ein klei- Jetzt macht Schmiedek eine Rund- Mai 2018 mit neuen Schülern weiter gehen? Genossenschaftsbanken und unterstützt nes Gespräch reicht zum Glück, um tour durch alle Einrichtungen, ver- Im vergangenen Jahr, als Schmiedek vom Ministerium für Schule und Bildung des Landes NRW und vom Hessischen die Sache in Ordnung zu bringen. einbart Besuchstermine und lässt Ende des Monats kehren die Schü- eine sozialgenial-AG mit Siebtkläss- Kultusministerium. sich dann von den Schülerinnen und lerinnen und Schüler aus den Ein- lern betreute, waren alle Einrichtungen Schülern die Einsatzorte zeigen. „Das sätzen in die Schule zurück. Barbara FOTOS: Maximilian Franke Barbara (li.), Schmiedek (re.) sehr zufrieden. www.sozialgenial.de
26 FREUDE BÜRGERAKTIV MAGAZIN 2018 27 FREIWILLIGENMANAGEMENT Bürgerstiftung Wiesloch
Die BürgerStiftung Wiesloch initiiert und stärkt bürgerschaftliches Engagement in # Mitmachen der Stadt. www.buergerstiftung-wiesloch.de www.aktive-buergerschaft.de/ buergerstiftungsfi nder Zeitstifter sind bei Bürgerstiftungen in bereits laufenden Projekten willkommen. Die Bürgerstiftung Wiesloch wird unter- Sie können bei ihnen aber auch eigene Ideen umsetzen. stützt von der Volksbank Kraichau.
chwimmen lernen? In einem wollen, als historisch interessierter Hausaufgaben. „Ich bin stolz auf den Kurs mit Fünfjährigen? Nicht Mensch. Doch blieb er im Sommer Jungen und wie er sich entwickelt“, Zuwendung beabsichtigt: Sven Peterhänsel (li.) und Michael Segler auf ihrer Smalltalk- zu machen mit Arda, er ist 2015 auf dem Hamburger Straßenfest sagt er. Im Grunde ist sein Enga- Bank in Wiesloch, dahinter die Plakate der Schulkinder Sschließlich schon acht. Also „Altonale“ an einem Stand mit einem gement ein Selbstläufer. Trotzdem muss Eckhard Ostermann ran. großen Stadtplan von Hamburg und nimmt er gerne an den Aktivitäten teil, Geduldig versucht er, dem Jungen die der Frage „Wo ist dein Lieblingsort?“ die die BürgerStiftung Hamburg den Schwimmzüge beizubringen. Der hängen. Eine Frau von der Standbe- Mentoren anbietet: Moscheebesuche, Kleine rutscht und spielt lieber. Doch treuung zog ihn ins Gespräch. Fünf Ausfl üge, Workshops etwa über türki- Minuten später hatte Ostermann sche Kultur und Gepfl ogenheiten. „Die BürgerStiftung Hamburg begriffen, dass er bei der Bürger- sind super organisiert und da kommt stiftung gelandet war, und dachte: unheimlich viel bei rum“, sagt Oster- ilo Krieg-Sieber ist „Zeitschen- Inzwischen ist Krieg-Sieber auch soll. „Uns war die gelebte Nachbar- Sie wirbt gezielt um Ehrenamtliche und begleitet „Warum sich eigentlich nicht für Kinder mann. Und die Mentoren geben sich kerin“ bei der Bürgerstiftung in das Organisationsteam des Pro- schaft wichtig“, sagt Peterhänsel. Die ihr Engagement mit Workshops und Coaching. engagieren?“ gegenseitig Ausfl ugstipps. Wiesloch. Das geht so: Men- jekts mit eingestiegen. „Wir organi- Bürgerstiftung sagte ihre Unterstüt- Eckard Ostermann hat sich anregen lassen. Yoldaş, das Projekt der Bürger- Arda ist inzwischen zehn Jahre alt. L schen spenden ebendiese in sieren die Erstkontakte, lernen die zung zu, und daraufhin holten Segler stiftung, in dem sich Hamburger Manchmal hat er Verabredungen mit Form von Gesprächen und Gesell- eines Abends erwischt Ostermann ihn Bürger um türkischstämmige Kinder Freunden und er entwickelt eigene schaft an Senioren, die viel allein sind. Bürgerstiftung Wiesloch dabei, wie er selbstvergessen ein paar kümmern, gefi el ihm. Der 53-jährige Interessen. Irgendwann wird Oster- Krieg-Sieber besucht seit den sechs Für Menschen, die sich mit eigenen Ideen engagieren wollen, Züge macht. Jetzt packt er den Jun- Unternehmensberater hat selbst mann loslassen. „Ich hoffe aber, dass Jahren des Projektbestehens einmal gen: „Du kannst es!“ Drei Wochen spä- keine Familie, aber sieben Nich- ich eine Bezugsperson für ihn bleiben pro Woche eine inzwischen 96-jäh- hat sie die passenden Prozesse. ter hat Arda sein Seepferdchen und ten und Neffen. „Mit denen komme kann“, sagt er. Nicht auszuschließen, rige Dame, spricht mit ihr, hört ihr zu. Ostermann ein Erfolgserlebnis mehr. ich gut zurecht, deshalb konnte ich dass er mit einem neuen Patenkind Rund 40 engagierte Menschen tun es Betreffenden auf beiden Seiten ken- und Peterhänsel die Kunstpädago- Dabei hatte er sich doch eigent- mir vorstellen, mich um ein Kind zu weitermacht, wenn Arda keine Zeit ihr gleich. nen und stellen passende Tandems gin Constance Berger ins Boot und lich im Denkmalschutz engagieren kümmern.“ Wie alle Yoldaş-Mentoren mehr für ihn hat. Das Projekt entstand aus einem zusammen“, sagt sie. Sie fragen diese ihre Nachbarin, die Grafikerin musste Ostermann sich mit einem Runden Tisch zur Unterstützung der nach, wie es läuft, und unterstützen, Jessica Füllenbach. Sie gestalteten Lebenslauf und einem Motivations- älteren Mitbürger in Wiesloch. Dort wenn es Probleme gibt. Für Krieg- mit Zeichnungen von Bergers Zweit- schreiben bewerben und ein poli- bildete sich eine Arbeitsgruppe, die Sieber bietet die Bürgerstiftung, zu klässlern die Plakate, während sich zeiliches Führungszeugnis vorlegen. das Zeitgeschenk-Konzept entwi- deren Gründungsstiftern sie gehörte, Segler und Peterhänsel eigenhändig Dann besuchten ihn die beiden pro- ckelte. Bei der Bürgerstiftung fand die noch mehr; sie hat auch im Netzwerk an die Herstellung der Bank mach- jektverantwortlichen Frauen von der Gruppe die benötigte organisatori- Asyl mitgemacht. ten. Eine gute Erfahrung, bilanzie- Bürgerstiftung in seiner Wohnung, um sche Unterstützung. Getreu ihrem Ziel, Projektbezogener haben Sven ren die vier rückblickend. Jessica zu sehen, wie er lebte. Es folgte eine den Ideen der Wieslocher Bürger eine Peterhänsel, Michael Segler, Cons- Füllenbach: „Das besondere an sol- erste Einweisung: Zu Beginn zusam- Heimat zu bieten, siedelte die Bür- tance Berger und Jessica Füllenbach chen ehrenamtlichen Projekten ist ja men mit der Mutter treffen, zuhause, gerstiftung das Projekt unter ihrem mit der Bürgerstiftung zusammen- auch, dass Menschen, die sich teil- das Kind kennenlernen, da kam auch BürgerStiftung Dach in ihrem Schwerpunkt „Plus- gearbeitet: Zu den Gesprächen zur weise vorher gar nicht kannten, mit die Betreuerin von der Bürgerstiftung punkt Alter“ an. Seither fördert sie Verbesserung des Zusammenlebens, Unterstützung der Bürgerstiftung ein mit. Das fünfte Treffen verbrachte Hamburg die Zeitschenker mit Geld für Fortbil- die die Stiftung 2017 veranstaltete, Projekt zusammen entwickeln, und
Ostermann schon mit dem Jungen Die BürgerStiftung Hamburg will dungen – dazu gehören Schulungen brachte Michael Segler zwei Ideen dass am Ende etwas ganz eigenes allein. zur Selbsthilfe anstiften und das im Umgang mit alten Menschen, über mit: Eine Smalltalk-Bank, die mit entsteht.“ Aus der Runde verlautet, Arda wird von einer alleinerziehen- Verantwortungsbewusstsein junger ihre Krankheiten und ihre psychische Mulden in der Sitzfläche dafür sorgt, ein Folgetreffen zum Nachdenken den Mutter großgezogen, Ostermann Menschen fördern. Situation – und mit Öffentlichkeitsar- dass die Menschen, die auf ihr sitzen, über weitere Aktionen sei bereits sieht ihn im Durchschnitt einmal die beit, die vor allem darin besteht, zum sich einander zuzuwenden. Und eine geplant. www.buergerstiftung-hamburg.de Woche. Sie unternehmen was zusam- www.aktive-buergerschaft.de/ Mitmachen aufzurufen, wenn neue Plakataktion, die Freundlichkeit und Eckhard Ostermann mit „Patenkind“ Arda men, oder Ostermann hilft bei den buergerstiftungsfi nder FOTOS: Michael Taterka / BürgerStiftung Hamburg (li.), Rosemarie Stindl / Bürgerstiftung Wiesloch (re.) Ehrenamtliche gebraucht werden. Rücksichtnahme in der Stadt fördern Gudrun Sonnenberg
28 FREUDE BÜRGERAKTIV MAGAZIN 2018 29 Zukunft
Bürokratie und der Kampf mit den Finanzen: Das sind die ständigen Begleiter vieler Verantwortlicher in Nonprofi t-Organisationen. Wie kann ihre Arbeit erleichtert werden? FOTO: ChristianFOTO: Keller / istock.com
30 ZUKUNFT BÜRGERAKTIV MAGAZIN 2018 31 GREMIEN Die nächste Generation
In vielen Bürgerstiftungen übernehmen zurzeit neue Gesichter Verantwortung. Wo sehen sie die Herausforderungen, und wie passt das zu den Vorstellungen ihrer Aus dem Fotobewerb der Bürgerstiftung: Am U-Bahnhof Rathaus Neukölln. Kollegen aus der Gründungszeit?
Aufgabe, neben dem Bewährten krete Projekte kennen, die uns sonst auch die Öffnung für Neues voranzu- nicht begegnen.“ Um jüngere und Lauffähig machen treiben“, sagt er. Genau dafür holen berufstätige Menschen über die schließlich die Vorstandskollegen Unterstützung eines Projekts hinaus Einer konsolidiert, einer treibt die Öffnung voran: Im Vorstand der Bürgerstiftung Leute wie ihn ins Team. Heim küm- für die Mitarbeit in der Bürgerstif- Neukölln spiegelt sich der Wandel des Stadtteils wider Bürgerstiftung Neukölln mert sich um die Onlinekommunika- tung zu gewinnen, will Heim auch die tion. Berufl ich in der Kampagnenkom- interne Kommunikation digitalisieren. Sie fördert Kultur und Bildung und kümmert sich um Kinder und oziales Elend, Gewalt an Philippe Laville, Gründungsstifter Er meint damit: sich auf die Schwer- munikation unterwegs, macht er hier „Denn Menschen, die berufstätig sind, Jugendliche im Bezirk. Schulen, Straßenkriminalität und, bis auf eine Unterbrechung, seit punkte konzentrieren, auf Professio- sein berufl iches Wissen nutzbar. „Die haben nicht so viel Zeit für Sitzungen und Banden: Als „Bronx von damals bis heute Vorstandsmitglied. nalität setzen – „wir brauchen Leute, Reichweite der sozialen Medien ist in Gremien.“ Wenn diese Strategie www.neukoelln-plus.de Berlin“ galt Berlins größter „Und was für eine Stiftung wir sein die Projekte managen können“ – und größer als ein Flyer“, sagt er. Online aufgeht, wird es schon klappen mit www.aktive-buergerschaft.de/ S buergerstiftungsfi nder Stadtbezirk Neukölln 2005 – dem Jahr, wollten: Andere fördern? Oder selbst bei allen Projekten von Anfang an auf Spenden, Crowdfunding und digitale der Verstärkung. Er selbst ist ja das als eine Gruppe kämpferischer Bürger Projekte machen?“ eine solide Finanzierung achten. Vernetzung sind seine Stichworte: beste Beispiel dafür, dass die Zusam- Die Bürgerstiftung Neukölln wird die Bürgerstiftung gründete. Sie woll- Sie ließen sich zu beidem einiges „Ja, aber“, sagt zu diesen Zielen „Da lernen uns Menschen über kon- menarbeit funktioniert. unterstützt von der Berliner Volksbank. ten das Zusammenleben verbessern einfallen. Eine Trödelmarktgruppe sein jüngster und neuer Vorstands- und dem Image „Problembezirk“ das fi nanziert aus Verkaufserlösen Mini- kollege Thomas Heim. Er wurde im Bild der Initiativen, Kreativen und des projekte im Bezirk. Die Bürgerstiftung November 2017 in das Gremium kulturellen Lebens entgegensetzen, entwickelte ein Mentorenprojekt für gewählt, nachdem er sich erst als – all das, was es in dem Bezirk auch Schüler aus Haupt- und Sekundar- Pate bei den „Neuköllner Talenten“ Viel schöner geworden gibt. Aber wo anfangen? schulen, rief einen Bürgerpreis ins und dann in der Geschäftsstelle bei Am Anfang kannte sie keiner, heute schmiedet der Vorstand Drei-Jahres-Pläne: Die „Damals haben wir nach Ideen Leben, unterstützte Kulturprojekte. der Bürgerstiftung engagierte. Ja: Bürgerstiftung Region Neumarkt setzt auf eine Kontinuität des Wandels. gesucht, was wir machen könnten. Sie veranstaltete Theater-Wettbe- Er möchte auch die vorhandenen Vielfalt galt allgemein als Problem, wir werbe für Kinder und einen jährlichen Projekte auf eine gute Basis stellen – hingegen sahen dieses interkulturelle Fotowettbewerb, sie initiierte Dialoge nicht zuletzt, weil die Bürgerstiftung ine Stadt mit 40.000 Ein- lang war sie die einzige in der Ober- Vorstand, weitere sechs Jahre im Gemeinwesen als Chance, Potenzial und einen Chor gibt es auch. ihr Geld immer neu einwerben muss. wohnern und 90.000 Men- pfalz. „Wir haben sehr viel Aufbauar- Stiftungsrat, und seit Juni 2018 ist und Stärke von Neukölln“, sagt Jean- Nachdem die Bürgerstiftung dank Aber: Heim, 35 Jahre alt, will die schen in der Region: Das ist beit und Öffentlichkeitsarbeit geleistet“, sie wieder im Vorstand, dessen vier einer Förderung der Aktion Mensch Bürgerstiftung auch für neue Ideen E das Einzugsgebiet der Bür- sagt Finn. Sie mussten sich Projekte Vorgänger im Frühsommer 2018 nach e.V. für das Projekt „Neuköllner und Zielgruppen öffnen. Menschen gerstiftung Region Neumarkt in der ausdenken und Kooperationspartner jahrelanger Arbeit aus Zeit- oder per- Talente“ fi nanziell und organisatorisch wie er, die seit ein paar Jahren neu Oberpfalz im Nordosten Bayerns. Es suchen, und immer wieder galt es zu sönlichen Gründen ihr Amt abgegeben in eine andere Liga aufgestiegen ist, nach Neukölln hinzuziehen, Kreative, sei „überschaubar“, meint Vera Finn, erklären, was eine Bürgerstiftung ist. haben. „Um die Kontinuität zu halten“, steht für Laville heute die Konsoli- Familien, Berufstätige. Sie sollen die 2. Vorstand der Bürgerstiftung, „man „Wir haben wirklich bei Null angefan- sei sie wieder eingestiegen, sagt Finn. dierung im Vordergrund. „Wir haben Bürgerstiftung als Anlaufstelle für ihre kennt sich.“ Leider betraf das nicht gen“, sagt Finn. Damit läuft sie offene Türen ein: „Wir einen guten und seriösen Ruf“, sagt Projekte wahrnehmen. immer auch die Bürgerstiftung. Die Sie hat die Bürgerstiftung von bauen voll auf die Basisarbeit des er, „und jetzt müssen wir die Bürger- „Als neues und jüngeres Vor- musste nach ihrer Gründung 2006 Anfang an begleitet, als Gründungs- alten Vorstands, der die Bürgerstif-
Thomas Heim Jean-Philippe Laville stiftung auf Dauer lauffähig machen.“ standsmitglied sehe ich es als meine FOTOS: Rebecca Rodenwald (li.), privat (re.) erst bekannt gemacht werden; jahre- stifterin, die ersten sechs Jahre im tung sehr gut in der Region ver-
32 ZUKUNFT BÜRGERAKTIV MAGAZIN 2018 33 Eine Nestschaukel für die Kleinsten, fi nanziert von der Bürgerstiftung Region Neumarkt
netzt hat“, sagt Helmut Rauscher, fi ndet sie gut, was die Bürgerstiftung Bürgerstiftung Region der der neue 1. Vorstand ist. Er hat macht. Besonders am Herzen liege sich schon in vielen Stiftungsgremien ihr das Vorhaben, die Bürgerstiftung Neumarkt engagiert und wurde von einem Mit- über die Stadt Neumarkt hinaus in Sie fördert Initiativen und organisiert glied des Stiftungsrats gefragt, ob er den Dörfern der Region bekannter zu eigene Projekte, um Versorgungslücken im Vorstand mitarbeiten kann. Als ehe- machen. Ganz wie ihre Vorgänger und zu schließen. maliger Finanzvorstand der Pfl eiderer Mitstreiter setzt sie dabei auf persön- AG bringt er Erfahrung, Stiftungs- liche Kontakte: „Es geht immer am buergerstiftung-region-neumarkt.de www.aktive-buergerschaft.de/ Know-how und Steuerkenntnisse mit. besten, wenn die Leute ein Gesicht buergerstiftungsfi nder Die dritte im Bunde, Sophie Stepper, vor Augen haben.“ Ziel ist, dass bald kommt aus der örtlichen Raiffeisen- auch aus den Dörfern Menschen Die Bürgerstiftung Region Neumarkt bank. Sie wurde von ihrem Vorgänger sich mit Projektideen, Kooperations- wird unterstützt von der Raiffeisenbank Neumarkt i.d.OPf. Josef Dunkes angefragt, der als Vor- wünschen und Hilfeersuchen an die stand der Neumarkter Raiffeisenbank Bürgerstiftung wenden – so wie es zugleich ihr Vorgesetzter ist und nach in Neumarkt selbst schon gang und zwölf Jahren die Staffel weitergeben gäbe ist. wollte. „Komplett überrumpelt“ sei sie Denn man kennt sie inzwischen, gewesen, aber habe dann doch zuge- die Bürgerstiftung. „Die Arbeit ist sagt. Dunkes hatte frühzeitig genug viel schöner geworden“, sagt Vera gefragt, um sie noch in die Buch- Finn. „Die Leute kommen zu uns und haltung und den Schriftverkehr der suchen unsere Hilfe, auch andere Stif- Bürgerstiftung einarbeiten zu können. tungen sprechen uns an.“ Jetzt ist die Außerdem hat sie sich im Stiftungs- Herausforderung, neues Stiftungska- wesen fortgebildet. Jetzt fühlt Stepper pital zu akquirieren, Spenden zu gene- sich gewappnet für die Aufgabe. Als rieren und die Mitarbeit immer neuer Anfang 30-Jährige ist sie nicht nur die Engagierter zu ermöglichen. Nicht einzige Voll-Berufstätige im Vorstand, zuletzt deshalb hat der neue Vorstand sondern leitet auch einen Generations- die Entwicklung eines Drei-Jahres- wechsel ein. Bedeutet das was für sie? Plans an den Beginn seiner Amtszeit „Vielleicht bringe ich an der einen gestellt, denn, so Helmut Rauscher: oder anderen Stelle frischen Wind „Eine gute Mittelfristplanung hilft auch, rein, weil ich ganz neu bin und noch neue Mitglieder für die Gremien zu keine Stiftungserfahrung habe“, sagt gewinnen.“ sie. „Im Moment bin ich aber noch in
der Findungsphase.“ Grundsätzlich Gudrun Sonnenberg Sophie Stepper, Helmut Rauscher, Vera Finn (v.l.n.r.) FOTOS: Vera Finn, Bürgerstiftung Region Neumarkt
34 ZUKUNFT BÜRGERAKTIV MAGAZIN 2018 35 36 BÜRGERAKTIV MAGAZIN 2018 BÜRGERAKTIV MAGAZIN 2018 37 Engagierte
Geld Ideen Mitmachen mit Geld, Zeit Zeit, Ideen konkret! für die Viel Wenig für Projekte Bürgerstiftung Viel Wenig Bürgerstiftungen haben viele Angebote für Menschen und Organisationen, die Später Dauerhafte nach nach Jetzt Zustiftung Einmalige Spende Gelegentlich Zielgruppen nach geographischen Regelmäßig Räumen Regelmäßig Gelegentlich gesellschaft PR Konzept sich engagieren wollen. Erbe längerfristig lichen Heraus forderungen Vermächtnis Zweckfreie Kinder + Spende Projektmitarbeit Jugendliche Zustiftung Lokal Werbe Social Media Eigenes Projekt kampagnen Lokales umsetzen Updates Bildung Praktische Hilfe Engagement Zustiftung in Wahl in Anlassspende Kommission zu bei Bedarf Migranten Stiftungsfonds oder Gremien Mitarbeit in der best. Anlass Regional Würdigung Treuhandstiftung Geschäftsstelle Beiträge für von Stiftern und Newsletter Stiftungsfonds Experten- Gesundheit Engagierten gründen Zustiftung für Know-how Ältere Mitgliedschaft im Stifter Geschäfts Weiterbildung Mensche Vorstand anbieten Überregionales forum bzw. Stifter führung Stifter Engagement versammlung gewinnung Vortrag Umwelt Vorsitz Öffentlich Menschen mit Mitwirkung in Treuhandstiftung keitsarbeit Behinderungen gründen Arbeitsgruppen Mitglied Regelmäßige Wohnen Andere Spende Fundraising anstiften Stiftungsrat Patenschaft bzw. Kuratorium Mobilität Betreuung Matching Funds von Projekten Lassen Sie sich inspirieren und sprechen Sie die Bürgerstiftung in Ihrer auflegen Freundeskreis Vorsitz Nähe an. Der neue Bürgerstiftungsfinder weist den Weg: Ernährung Koordination mitstiften + Mitglied von Ehrenamt www.aktive-buergerschaft.de/buergerstiftungsfinder mitgewinnen lichen Bestehende Andere rechtsfähige Büro und Stiftung Verwaltung Zulegung zur Geschäfts Bürgerstiftung besorgung durch Bürgerstiftung Modell zum Ertasten der Stadt Chemnitz, ein Projekt der Bürgerstiftung Chemnitz
BÜROKRATIE Versuch und Irrtum
Transparenzregister, Umsatzsteuer, zuletzt der Datenschutz: Immer neue Vorschriften bringen Vereine und Stiftungen an ihre Grenzen. Wie Bürgerstiftungen damit umgehen – eine Momentaufnahme aus dem Mai 2018.
hemnitz im Frühsommer gescheitert: „Da antworten nur wenige“, seine Zeit in Anspruch nimmt? Anja 2018. Seit einigen Wochen sagt Poller, „besser spreche ich die Poller schätzt ihren eigenen Aufwand bringt Anja Poller immer Leute persönlich nochmal an.“ sich einzuarbeiten auf zwei Wochen. CVordrucke zu den Veran- Anja Poller leitet die Geschäfts- Sie bekommt es ja bezahlt. Aber „ein staltungen ihrer Bürgerstiftung mit. Es stelle der Bürgerstiftung, arbeitet Ehrenamtlicher müsste da Urlaub sind Erklärungen, mit denen die Unter- hauptamtlich, und ihr Rat ist sehr nehmen“, sagt sie. Poller arbeitet Voll- zeichner ihr Einverständnis bekunden, gefragt in diesen Tagen. Denn sie zeit bei der Bürgerstiftung. Ihre Stelle dass die Bürgerstiftung ihre Mailadres- gehört zu den wenigen Menschen, die wird über eine Förderung der Stadt sen speichern darf. Eigentlich tut sie sich auskennen mit der neuen Verord- fi nanziert. Dafür koordiniert die Bür- das längst, aber seit 25. Mai 2018 ist nung und kostenlos ihr Wissen teilen. gerstiftung die Freiwilligenarbeit. Im endgültig die neue Datenschutzgrund- Die neuen Datenschutzanforderungen März und April hat sie den Vereinen verordnung in Kraft und es braucht sind kompliziert, und welcher enga- in der Region kostenlose Weiterbil- eine explizite Zustimmung, die der gierte Bürger, sei es im Verein, sei es dung angeboten. „So viel Zulauf hat- Bürgerstiftung so noch nicht vorlag. in einer Bürgerinitiative oder einer Stif- ten wir noch nie!“, sagt sie. Sogar aus Der Versuch, die Zustimmung per tung, hat schon die Zeit, sich damit zu Dresden hätten sich Teilnehmer ange- Mitmachen bei den Bürgerstiftungen in Deutschland E-Mail anzufordern, ist weitgehend befassen, wenn bereits das Ehrenamt meldet. „Wenn ich weiterhin zehn
Zusammenstellung: Dr. Stefan Nährlich | Grafi k: Ayşe Gökmenoğlu FOTO: Thomas Hermsdorf / amigo pictures
38 BÜRGERAKTIV MAGAZIN 2018 BÜRGERAKTIV MAGAZIN 2018 39 Präsentationen quasi im Hintergrund Christoph Sebbel den Kampf mit lediglich erster Schritt: „Die eigentli- auf den Sitzungen, hauptsächlich geht immer neuen Vorschriften. Für die che Arbeit ist die Umsetzung, und die es um Verwaltungsthemen.“ Geschäftsführung der Bürgerstiftung kommt noch“, musste er erkennen. Er kann er auf die Infrastruktur der Volks- hofft, den Anforderungen zunächst Immer neue Vorschriften bank Haltern zurückgreifen, deren mit Hinweisen etwa auf der Home- Selbst bei einer Stiftung wie der Bür- Vorstand er ist. Doch alles lässt sich page oder Spendenbescheinigungen, gerstiftung „Halterner für Halterner“ so nicht abdecken, beim Datenschutz wie die Bürgerstiftung mit den Daten im nordrhein-westfälischen Haltern, müssen die Ehrenamtlichen ran. Es umgeht, Genüge zu tun. Außerdem die stolz darauf ist, mit einer Verwal- kümmert sich Vorstandsmitglied sorgt er für die schriftliche Dokumen- tungskostenquote von nur 0,5 Prozent Franz-Josef Berheide darum. Was ihm tation der Datenverarbeitung. Nicht auszukommen, stöhnen die Verant- zunächst als größte Herausforderung dass er keine Erfahrungen mit Büro- wortlichen inzwischen. „Mühsam“ fi n- schien, nämlich, herauszufi nden, was kratie hätte, war er doch vor seiner det der geschäftsführende Vorstand genau zu tun ist, entpuppte sich als Pensionierung Konrektor einer Real- schule, dort pädagogischer Leiter und verantwortlich für die Sicherheit des Projekt KUKS – Kinder, Kunst und Schule der Bürgerstiftung München: Gebäudes. Doch die elektronischen Dirigent Alexander Liebreich, Schirmherr des Projekts, in Aktion Vorschriften sind ein neues Feld für ihn. „Ich fi nde das alles reichlich über- zogen“, sagt er, „die großen Unterneh- men wie Facebook verkaufen unsere Daten und wir müssen sehen, wie wir zurechtkommen.“
„Ärgerliche Unsicherheit“ Volle Tische, beste Stimmung, aber teures Nachspiel: Bürgerbrunch in Münster Den Verdruss teilt er nicht nur mit den Kolleginnen an den entfernteren Enden der Republik. Auch in der Nachbar- schaft kocht die Seele; namentlich in Münster. Ob Datenschutz, Trans- Anrufe pro Woche bekomme, bie- Bürgerstiftung mache.“ Ihre Arbeit an dem gestiegenen Finanzvolumen parenz oder Gemeinnützigkeitsrecht: ten wir im Juni und September noch- in der Geschäftsstelle bekommt sie der Stiftung, sagt sie. So sei aus den Hans-Peter Kosmider, Vorstands- mal Termine an“, sagt Poller. im Umfang von zehn Stunden pro 50.000 Euro der ersten Jahre ein För- vorsitzender der Stiftung Bürger für Woche bezahlt, und ihre Antwort auf dervolumen von 250.000 Euro pro Münster, sieht in dem Aufwand, den die selbstgestellte Frage lautet klar: Jahr geworden, hinzu komme die die Bürokratie verursacht, nur eine Diese bezahlte Arbeitszeit geht für Verwaltung von Treuhandstiftungen. von zwei Seiten der Erschwernis: „Halbes Jahr nur den bürokratischen Aufwand drauf. Dabei steigen die Anforderungen auch „Ärgerlich ist auch die Unsicherheit, Die eigentliche inhaltliche Vorstandsar- in anderer Hinsicht. Will Birnbaum För- ob man es nun richtig macht“, sagt verwaltet“ beit kann nur außerhalb, im Ehrenamt dergelder beantragen, so sind mindes- er. Seit 2009 im Vorstand der Bürger- Petra Birnbaum, München stattfi nden. Denn die Datenschutzver- tens fünf Formulare auszufüllen – frü- stiftung, weiß er nur zu gut, wovon ordnung ist ja nur ein Tüpfelchen auf her verlangte die Stadt nur eins. Fließt er spricht, nachdem vor ein paar dem i in der Stiftung. Dazu kommen dann das Geld, schlägt die Bürokratie Kafkaeske Szenarien noch Jahresabschlüsse, das Berichts- nochmal richtig zu: Wer gefördert wird, Im Süden der Republik, in Mün- wesen und oben drauf immer neue muss mit 15 bis 16 Seiten pro Projekt chen, kämpft sich Petra Birnbaum, Regelungen. So gingen dem Daten- ausführlichst die Verwendung der Mit- geschäftsführendes Vorstandsmitglied schutz voran das Transparenzregister tel dokumentieren. der Bürgerstiftung München, durch und der Legal Entity Identifi er (LEI) für Besonders frustrierend fi ndet kafkaeske Szenarien: „Wir haben die Finanzinvestitionen. Petra Birnbaum, dass die Mühsal einen neuen Schrank zum Zusper- „Das erste Halbjahr habe ich nur mit den Vorschriften auch in die Vor- Die Bürgerstiftungen ren kaufen müssen, um Unterlagen mit Verwaltungsarbeiten verbracht“, standssitzungen vorgedrungen ist. Die Bürgerstiftung für Chemnitz fördert fi nanziell und Die BürgerStiftung München versteht sich als Plattform zu lagern, wir brauchten eine neue resümiert Birnbaum. Eigentlich würde Bei den monatlichen Sitzungen dis- ideell das bürgerschaftliche Engagement in der Stadt. für engagierte Münchner Bürger. Sie wird unterstützt von Festplatte. Alle Ehrenamtlichen, die sie gerne mehr Fundraising machen kutierten nun auch die ehrenamtlichen Sie wird unterstützt von der Volksbank Chemnitz. der Münchener Hypothekenbank. im Büro den Computer nutzen, haben und sich in der Münchner Engage- Kollegen breit über Datenschutz und In Haltern am See hilft die Bürgerstiftung bedürftigen www.buergerstiftung-chemnitz.de Verschwiegenheitserklärungen unter- mentszene vernetzen, in der gerade Rechtsfragen. Die Gremienmitglieder Menschen. Sie wird unterstützt von der Volksbank buergerstiftung-haltern.de schrieben. Wir müssen ein Handbuch viel Spannendes passiere. Doch dazu nähmen diese Themen sehr ernst, Haltern. www.buerger-fuer-muenster.de anlegen und, und, und.“ Sie stöhnt: komme sie nicht mehr oft. „Anfangs sagt Birnbaum, aber dadurch ver- www.buergerstiftung-muenchen.de www.aktive-buergerschaft.de/buergerstiftungsfi nder „Im Moment frage ich mich, ob ich konnte ich mehr inhaltlich in unseren kehre sich das Verhältnis zwischen In Münster fördert die Bürgerstiftung Engagement, um Mit- und Eigenverantwortung der Bürger zu stärken. eigentlich nur noch für die Bürokratie Projekten arbeiten.“ Dass ihr inzwi- Haupt- und Nebensachen: „Die Pro- Sie wird unterstützt von: Vereinigte Volksbank Münster,
arbeite oder auch noch was für die schen dafür die Zeit fehlt, liegt auch jektanträge laufen als Powerpoint- FOTOS: Stiftung Bürger für Münster (li.), BürgerStiftung München (re.) Fiducia & GAT IT, PSD Bank Westfalen-Lippe.
40 ZUKUNFT BÜRGERAKTIV MAGAZIN 2018 41 Jahren eine Betriebsprüfung des gemacht, ein Papier mit steuerpoliti- mider. Im Wahlkampfsommer 2017 Finanzamts einige äußerst unange- schen Forderungen aufzusetzen. Es lud die Bürgerstiftung zusammen mit nehme Folgen zeitigte. Unter anderem beinhaltet unter anderem eine Ände- lokalen Vereinen vier Bundestagsab- musste die Bürgerstiftung Umsatz- rung der Körperschaftssteuer, Ände- geordnete bzw. -kandidaten ein, um steuer für Einnahmen aus ihrem Bür- rungen der Abgabenordnung und eine ihnen die Forderungen ans Herz zu gerbrunch nachzahlen, die sie längst Änderung des Umsatzsteuergesetzes. legen. Die Abgeordneten hätten was weitergespendet hatte. „Das Finanzamt sollte bei der Beurtei- gelernt, gibt Kosmider seinen Ein- „Die Regulierungen sind komplex lung von Steuerpfl ichten die letzte druck wieder. Er will am Ball bleiben. und oft praxisfern, und das nimmt zu“, Verwendung einer Einnahme zum Wenn die Parlamentarier in Berlin ihre kritisiert Kosmider. Weil die Bürgerstif- Maßstab machen, also nicht wie sie Arbeit aufgenommen haben, wird er tung Münster mit ihren Erfahrungen entsteht, sondern wofür sie verwendet sie fragen, was von seinen Forderun- nicht allein da steht, sondern auch wird. Wenn eine Einnahme gemein- gen sie umzusetzen gedenken. andere Nonprofi t-Organisationen nützig verwendet wird, sollte sie nicht betroffen sind, hat sie sich die Mühe körpersteuerpfl ichtig sein“, sagt Kos- Gudrun Sonnenberg
INTERVIEW Prof. Dr. Thomas Petri
Der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz Prof. Dr. Thomas Petri ist Jurist und einer von zwei Daten- schutzbeauftragten Bayerns. Er wurde 2009 vom Landtag in sein Amt gewählt. Zuvor war er in Schleswig-Holstein für die Aufsicht über den Datenschutz in der Privatwirtschaft und in Berlin allgemein für datenschutzrechtliche Kontrolle „Es wird mit der zuständig. Angst gespielt“
Hat Bürokratie auch ihr Gutes? Der Bayerische Landesbeauftragte Datenschutzrechts kann die Aufsichtsbehörde da gleichwohl umfassend informieren und die Bürger für den Datenschutz, Thomas Petri, wirbt allen Mühen zum Trotz und dort ein bisschen großzügiger sein. können der Verwendung ihrer Daten widersprechen. Insbesondere, wenn die Verarbeitung nicht auf einem für die neuen Regelungen des Datenschutzes. Es bleibt dennoch kompliziert. Ist es utopisch, Vertragsverhältnis beruht. Wenn daran mehrere Stel- zu hoffen, dass Datenschutz auch mal weniger len beteiligt sind, brauchen sie nicht mehr von einer bürokratisch vonstatten geht? Stelle zur nächsten zu laufen, sondern die Beteiligten Das Problem ist, dass vernetzte Datenverarbeitung müssen einen Ansprechpartner benennen, der dann lle stöhnen über die Regelungen der Die Dokumentationspfl icht, das Management der kompliziert ist. Der Gesetzgeber macht immerhin verantwortlich agiert. europäischen Datenschutzgrundver- Betroffenenrechte – das ist schon sehr aufwendig. Unterschiede. Bei den technisch-organisatorischen ordnung (DSGVO), die seit Ende Mai Anforderungen ist der Maßstab, welches Risiko für Müssen wir eine Welle von Abmahnungen durch A2018 endgültig in Kraft ist. Können Warum sind die Anliegen der „Kleinen“ nicht die Daten besteht. Wer beispielsweise Gesundheits- einschlägig spezialisierte Kanzleien befürchten? Sie uns irgendwie für den Kampf mit den Vor- besser berücksichtigt worden? daten verarbeitet, muss höhere Aufl agen erfüllen als Ja, manche bringen sich in Position. Es wird mit schriften motivieren? Es wurde im europäischen Gesetzgebungsprozess jemand, der nur eine E-Mail-Adresse speichert. Das der Angst gespielt; es gibt schon Leute, die sich Man muss unterscheiden: Im internationalen Daten- thematisiert, dass der Bäcker um die Ecke nicht mit hängt auch ein Stück weit von der Größe der verar- die DSGVO zu Eigen machen, um Umsatz zu gene- verkehr, wo Unternehmen Waren und Dienstleistun- großen Unternehmen wie Facebook oder Google beitenden Stelle ab. Wenn eine Stelle klein ist, ver- rieren. Deshalb geben wir ja auch Hilfestellung. Wir gen in ganz Europa anbieten, ist die Datenschutz- gleichzusetzen ist. Trotzdem hat der europäische arbeitet sie in der Regel viel weniger risikoträchtige haben viele Informationen ins Netz gestellt, auch mit grundverordnung (DSGVO) stark und ergibt extrem Gesetzgeber nur ein paar Punkte davon für klei- Daten als ein großer Konzern oder eine riesengroße Musterformulierungen. Für kleine Unternehmen und viel Sinn. Denn hier gibt es jetzt nicht mehr 27 ver- nere Unternehmen oder Vereine aufgenommen. Behörde. Vereine zum Beispiel fi ndet sich auf der Seite meiner schiedene Rechtsordnungen, sondern nur noch Zum Beispiel sind sie vom Verzeichnis für Verarbei- Schwester-Behörde, auf lda.bayern.de, neben vielen eine einzige. Für sehr kleine Unternehmen, Kom- tungstätigkeiten ausgenommen, wenngleich doch Verbessert sich denn wenigstens wirklich was anderen Hinweisen eine Blaupause für ein Verzeichnis munen oder Idealvereine habe ich dagegen nicht so die wenigsten davon profi tieren werden, weil andere für die Verbraucher? der Verarbeitungstätigkeiten. gute Nachrichten: Für sie bringt die DSGVO eigent- Regelungen diese Ausnahme wieder zunichtema- Ja, denn die Verantwortlichen müssen jetzt die lich nur Aufwand. Da gibt es nichts zu beschönigen. chen. Aber es gibt auch Spielräume, im Vollzug des BayLfD FOTO: Betroffenen in allgemeinverständlicher Sprache und Interview: Gudrun Sonnenberg
42 ZUKUNFT BÜRGERAKTIV MAGAZIN 2018 43 POLEN „Ein Prozent“ in Polen
• Jeder Bürger kann ein Prozent seiner Einkommensteuer für wohltätige Zwecke umwidmen. • Rund die Hälfte der polnischen Steuer- zahler macht davon Gebrauch. Jedes Jahr an die • 2017 wurden rund 660 Millionen Zloty (etwa 153 Millionen Euro) umgewidmet. • Das meiste Geld geben die polnischen Steuerzahler an Organisationen, die für Einzelpersonen Geld sammeln. • Die Empfänger sind rund 9.000 als Gemeinnützigen gemeinnützig anerkannte und über- prüfte Organisationen.
Stiftung Alivia, Vorstellung des Jahresreports. Die Stiftung reicht umgewidmete denken Steuergelder an Krebspatienten weiter.
Polnische Bürger können ganz einfach ein Prozent ihrer jährlichen Einkommensteuer an eine gemeinnützige Organisation ihrer Wahl
übertragen. So entscheiden sie, was mit einem Teil ihrer Abgaben Körper wieder wohl zu fühlen. Für fl ießt dabei an Organisationen, die wie dem Ausland angewiesen wären. Nun passiert. Der Löwenanteil hilft bedürftigen Personen. die junge Buchhalterin viel Geld. Eine Alivia als Vermittler auftreten und Sub- geht der Löwenanteil aber an bedürf- Rekonstruktion der Brust wird zwar konten für bedürftige Privatpersonen tige Privatpersonen. in Polen von der öffentlichen Kran- einrichten. Direkt an die Bedürftigen „Der Ein-Prozent-Mechanismus kenkasse bezahlt, doch arbeiten die dürfen die umgewidmeten Steuern subventioniert das unzureichende orota Wójcik ist gerade gemeinnützigen Organisation das ist der Ein-Prozent-Mechanismus ein Spezialisten auf diesem Fachgebiet nicht gehen, sondern nur an als ge- Sozial- und Gesundheitssystem“, 24 Jahre alt, da wird bei Finanzamt das Geld überweisen soll. Segen. „Er ermöglicht es uns, über- in der Regel nicht für die staatlichen meinnützig anerkannte Organisationen. sagt Wygnański. Für die Bedürftigen ihr Brustkrebs diagnosti- Dafür muss er nur eine Nummer auf haupt zu existieren“, sagt Wojciech Krankenhäuser. Nach der ersten Ope- müsse ein besseres und gerechte- Dziert. Die Ärzte raten ihr zur seiner Steuererklärung angeben. Wiśniewski, der Pressesprecher der ration war Dorota todunglücklich: „Es Zuwendungen ungleich verteilt res Sozialsystem geschaffen werden. Amputation der linken Brust, da der Häufi g wird das System auch als Stiftung. Andere Mittel etwa von der sah aus, als hätte man mir einen Ten- Stiftungen und Nichtregierungsorga- Solange der Steuerzahler zwischen Krebs extrem aggressiv ist und sich Ein-Prozent-Philanthropie bezeichnet. EU seien immer an konkrete Projekte nisball unter die Haut genäht“, sagt nisationen (NGO), die sich mit Politik, einer Operation für ein todkrankes im ganzen Körper auszubreiten droht. Dabei ist der Begriff „Philanthropie“ gebunden. Für das Tagesgeschäft, sie. Doch Geld für einen weiteren Kultur oder Sport beschäftigen, werden Vier Tage später wacht sie aus der irreführend, denn es werden keine die alltägliche Hilfe für die Patienten, Eingriff hatte sie nicht – bis sie auf Ali- seltener von den Steuerzahlern als Narkose auf. Mit einer Brust weniger privaten Mittel aufgewendet, sondern sei es dagegen schwieriger, Gelder zu via traf. Dort wurde ihr ein Subkonto Wunschempfänger genannt, weil sie „Wir werden und dem Gefühl, keine richtige Frau Geld, das ohnehin als Einkommen- bekommen. 2016 brachte der Ein-Pro- eingerichtet. Nun hatte jeder Steu- kaum mit den emotionalen Aufrufen immer mehr mehr zu sein. Obwohl die Operation steuer gezahlt werden muss. Ver- zent-Mechanismus Alivia Knapp drei erzahler die Möglichkeit, ein Prozent der Hilfsorganisationen konkurrieren ihr das Leben gerettet hat, kann sie gleichbare Systeme gibt es in vielen Millionen Zloty ein (etwa 700.000 Euro). seiner Steuer für die Rekonstruktion können. So gingen 2017 alleine über gebraucht“ sich nicht freuen. Ländern Mittel- und Osteuropas: Etwa Insgesamt ist die Summe, die in Polen von Dorotas Brust umzuwidmen. So 20 Prozent der Mittel – 150 Millionen Wojciech Wiśniewski, Alivia Heute – sechs Jahre später – in Ungarn, Rumänien, der Slowakei durch „Ein Prozent“ zusammenkommt, gelangte die benötigte Summe über Zloty (47 Millionen Euro) der 660 Millionen geht es Dorota wieder gut, wie sie und seit 2017 auch in Moldavien. In stetig gestiegen, seitdem 2004 die Alivia zu ihr. Zloty – an die Organisation „Zdążyć z sagt. Dazu beigetragen habe die der Slowakei etwa kann man zwei rechtlichen Grundlagen geschaffen Der Fall von Dorota Wójcik – Hilfe Pomocą”, die Geld für schwerkranke Kind und Geld für eine demokratie- Stiftung Alivia, die Krebspatienten in Prozent seiner Steuer einer gemein- wurden: 2017 waren es 660 Millio- für ein ästhetisches Problem – ist und behinderte Kinder sammelt. Bei fördernde NGO entscheiden müsse, Polen unterstützt. Die Stiftung kann nützigen Organisation widmen und, nen Zloty (etwa 153 Millionen Euro). insofern eine Ausnahme als die Stif- der Mehrheit der 9.000 registrierten habe die NGO kaum Chancen. Dazu solche Hilfe leisten, weil sie zu jenen wenn man sich im Vorjahr freiwillig Rund die Hälfte der Polen hatte in der tung in den meisten Fällen Krebs- Organisationen kommt dagegen kaum sagt Alivia-Sprecher Wiśniewski, dass gehört, die von der zweckgebunde- engagiert hat, sogar drei Prozent. In Steuererklärung eine gemeinnützige kranken hilft, die beste Therapie etwas an. Der Soziologe und NGO- auch er sich ein besseres Gesund- nen Widmung von Steueranteilen pro- den meisten dieser Länder wurde das Organisation angegeben, der sie ein zu bekommen. Denn die besten, Experte Jakub Wygnański sieht darin heitswesen wünschen würde, aber: fi tieren – in Polen auch Ein-Prozent- System in den Neunziger- oder den Prozent ihrer Steuer des Jahres 2016 modernsten Medikamente werden ein großes Problem. „Ein Prozent“ sei „Es ist so, wie es ist. Wir werden immer Mechanismus oder einfach nur „ein frühen Nuller-Jahren eingeführt, um zukommen lassen wollten. oft nicht von der staatlichen Kranken- ursprünglich dafür gedacht gewesen, mehr gebraucht. Der Staat macht viel Prozent“ genannt. Das geht so: Der nach dem Ende des Kommunismus kasse bezahlt. So wie Alivia ergänzen um NGOs zu stärken, die der Regie- zu wenig.“ Steuerzahler kann ein Prozent seiner die Bürgergesellschaft zu stärken. Subkonto bei der Stiftung viele gemeinnützige Organisationen rung auf die Finger schauen sollten. Wygnański kritisiert auch, das Einkommensteuer umwidmen und Für die Stiftung Alivia und die 20.000 Zloty (4.700 Euro) brauchte in Polen das marode Gesundheits- Durch ihn sollte auch vermieden wer- System habe echte Philanthropie
entscheidet selbst darüber, welcher Krebspatienten, die von ihr profi tieren, Dorota Wójcik, um sich mit ihrem Stiftung AliviaFOTOS: system. Mit Abstand das meiste Geld den, dass diese auf Finanzierung aus nicht gestärkt, sondern im Gegen-
44 ZUKUNFT BÜRGERAKTIV MAGAZIN 2018 45 MEINUNG Teilhabe konkret
Ein Plädoyer für die Ein-Prozent-Philanthropie
von Stefan Nährlich einen Teil der Steuer umzuwidmen, würde jedes Jahr ins Bewusstsein Dorota Wójcik konnte mit Hilfe der Ein-Prozent- ie jährliche Einkommensteu- rücken, wie wichtig es ist, das Enga- Philanthropie eine Operation bezahlen ererklärung ist eine Pfl icht- gement der Vereine und Stiftungen in übung. Und nicht gerade Deutschland fi nanziell zu unterstützen. Werbung mit hilfesuchenden Patienten für die Umwidmung der Steuer Dvergnügungssteuerpflichtig, Durch Steuermittel und durch Spenden. sondern erzwungen und notwendig. Ohne Außerdem: Gespendet wird nicht nur aus rei- Einfl uss auf die Verwendung der Steuermittel. So nem Altruismus, auch steuerliche Gründe spielen empfi nden wohl die meisten Steuerzahler. eine Rolle. Steuerliche Abzugsmöglichkeiten gibt Mit dem Konzept der sogenannten Ein-Prozent- es bei der Ein-Prozent Philanthropie jedoch nicht. Philanthropie könnte der Staat daran etwas ändern. Auch das spricht gegen einen befürchteten Rück- teil geschwächt. „Die Leute haben Ob eine Organisation den Status Ein Prozent in Wie in anderen europäischen Ländern würde dann gang bei privaten Spenden. das Gefühl, dass sie durch ‚ein einer gemeinnützigen Organisation ein Teil der Einkommensteuer nicht in den Staats- Der Nutzen dieses Konzeptes überwiegt meiner Prozent‘ schon etwas Gutes getan (Organizacja Pozytku Publicznego, Deutschland? haushalt fl ießen, sondern an eine vom Bürger, Meinung nach die Befürchtungen: haben. Deswegen wollen sie nicht OPP) und damit das Recht auf „Ein vulgo Steuersubjekt, selbst gewählte gemeinnüt- - Gemeinnützige Organisationen leben nicht von Die Umwidmung von mehr spenden. Dabei hätten sie diese Prozent“ zuerkannt bekommt, ent- Steuergeldern auch in Deutschland zige Organisation gehen. Auf dem Formular wird Ehre und Wohlwollen allein, schon gar nicht, wenn Steuern ja sowieso bezahlen müssen“, scheidet in Polen ein Gericht. Es gibt einzuführen, ist von der Aktiven die Steuernummer des Vereins oder der Stiftung die Aufgaben immer weiter zunehmen. Rechnungen sagt er. Allerdings hat der polnische klare Kriterien. Zum Beispiel muss Bürgerschaft in einem offenen eingetragen und die Überweisung erfolgt anonymi- müssen bezahlt werden und da hilft Geld. Jährlich Brief zur Bundestagswahl 2017 Staat Anreize für wirkliche Philan- die Organisation ihre gemeinnützige siert durch die Finanzbehörden. Ein Stück konkreter könnten durch die Ein-Prozent-Philanthropie eine vorgeschlagen und auf dem Forum thropie mit der Einführung von „ein Tätigkeit zwei Jahre ausgeübt haben, Aktive Bürgerschaft 2018 mit Teilhabe. Milliarde Euro oder mehr an zusätzlichen Finanzmit- Prozent“ nicht gemindert – nach wie bevor sie ein Recht auf die Steuergel- Wissenschaft und Politik diskutiert Seit 20 Jahren gibt es dieses Konzept. In teln in den gemeinnützigen Bereich fl ießen. vor kann jeder Bürger durch Spenden der bekommt. Wer von „ein Prozent“ worden. Deutschland nicht. Obwohl sich nach einer Emnid- - Bürokratie ist inzwischen ein Hauptproblem in seine Steuerlast senken. profi tieren will, muss sich vom Staat Umfrage im Auftrag des Bundesverbandes Deut- vielen Vereinen und Stiftungen, auch und gerade auf die Finger schauen lassen und scher Stiftungen aus dem Jahr 2009 fast 70 Pro- im Bereich öffentlicher Fördermittel. Viele Ehren- Keine Kirchensteuer in Polen genaue Berichte über die Verwen- zent der Deutschen vorstellen können, eine solche amtliche klagen über unübersichtliche Fördertöpfe, Insgesamt hält der Soziologe das Sys- dung der Mittel und die Aktivitäten Möglichkeit zu nutzen. Liegt das nur daran, dass komplizierte Antragsverfahren und einengende tem aber für gut. Denn es sei besser, der Organisation erstellen. Dadurch die Politik nicht will? Zweckbindung. Die Ein-Prozent-Philanthropie kann die Bürgerinnen und Bürger könnten werden die gemeinnützigen Organi- Kritiker befürchten, dass nicht alle Vereine und ohne all das auskommen. selbst entscheiden, was mit ihren sationen zu Transparenz gezwungen. Stiftungen gleichermaßen davon profi tieren würden, - Dass „die Politik“ die Bürgerinnen und Bürger Steuergeldern passiere, als dass dies Dorota Wójcik hat der Ein-Prozent- dass bekannte Organisationen und solche mit mehr nur bei Wahlen braucht, wird inzwischen bis tief in die Kirche, die Parteien oder Beamte Mechanismus letztendlich ermöglicht, Geld, hauptamtlichen Mitarbeitern und gefälligen die Mitte der Gesellschaft so empfunden. Schlei- für sie täten. In Polen gibt es keine eine weitere Brustoperation machen Themen im Vorteil wären. Das Beispiel Polen zeigt, chendes Gift für jede Demokratie. Hier bietet sich Kirchensteuer. Außerdem würden die zu lassen. Heute fühlt sie sich wieder dass die Befürchtung nicht ganz von der Hand eine Möglichkeit für echte und konkrete Bürgerbe- Bürger jedes Jahr, wenn sie die Steu- wohl mit ihrem Körper. Jetzt engagiert zu weisen ist. Außerdem erwarten manche einen teiligung mit einfachen Mitteln. ererklärung ausfüllten, daran erinnert, sie sich selber bei Alivia, um Krebs- Rückgang privater Spenden nach dem Motto, ich Liebe Abgeordnete des Deutschen Bundes- dass es die gemeinnützigen Organi- kranken zu helfen. gebe ja schon einen Teil meiner Steuern. Tatsäch- tages: Sie haben es in der Hand. Setzen Sie das sationen gebe. Das bringe die Bürger lich aber sinkt die Zahl der Spender in Deutschland Thema auf Ihre Agenda. dazu, sich mit deren Tätigkeit ausein- Jörg Winterbauer, Journalist in seit mehr als zehn Jahren, auch ohne Ein-Prozent- anderzusetzen. Warschau Philanthropie. Genauso gut könnte man daher auch Dr. Stefan Nährlich ist Geschäftsführer der Stiftung
FOTO LINKEFOTO SEITE: privat; SCreenshot: Ayse Gökemoglu. RECHTE FOTO SEITE: Julia Grossi/Aktive Bürgerschaft belebende Effekte vermuten. Denn: Die Möglichkeit, Aktive Bürgerschaft.
46 ZUKUNFT BÜRGERAKTIV MAGAZIN 2018 47 Dr. Anna Christmann, MdB (B90/Grüne), Vereinen und Stiftungen neue Finanzie- konnte sich für viele Vorschläge der Aktiven Bürgerschaft begeistern. rungsquellen erschließen, das Engage- ment junger Menschen fördern, Büro- kratie abbauen: Darum ging es im März 2018 beim Forum Aktive Bürgerschaft in der DZ BANK am Brandenburger Tor in Berlin. Die Podiumsrunde „Fördern ohne zu vereinnahmen“ diskutierte Vor- schläge der Aktiven Bürgerschaft. „Nur helfen oder auch einmischen?“: Darauf antwortete eine zweite Runde am Nach- mittag. In vier Themenräumen konnten die Teilnehmer diese und weitere Fragen vertiefen. Die Dokumentation erscheint 2019.