ISSN 0948–2407 | 67485

DISPUT Strategiedebatte MITGLIEDERZEITSCHRIFT DER PARTEI DIE LINKE JANUAR 2020 2 EURO , Sahra Mirow, Stefan Hartmann, Katina Schubert und Amira Moha- med Ali machen Vorschläge, wie sich DIE LINKE in Zukunft aufstellen sollte. 8

Mietenkampagne

Dreiklang Deckeln, Enteignen und sozialer Wohnungsbau – so läuft es mit der bundes- weiten Mietenkampagne in Wustermark, Lüneburg und . 14

Digitalkonferenz

Auf der Digitalkonferenz der LINKEN wurden die Auswir- kungen der Digitalisierung diskutiert und emanzipato- rische Gestaltungsmöglich- keiten aufgezeigt 4

Foto: Martin Heinlein INHALT

habe sie eine große Chance, insbeson- Waffen im Wert von 242,8 Millionen dere von jungen Menschen gewählt zu Euro an die Türkei geliefert. Über werden. Sein leidenschaftliches Plädo- die deutsche Komplizenschaft ei- yer lest ihr auf den Seiten 6 und 7. nes Kriegsverbrechens in Rojava Sicherlich habt ihr mitbekommen, dass berichtet unsere Bundestagsabge- am 29. Februar und 1. März 2020 die ordnete Helin auf Strategiekonferenz der LINKEN in Kas- den Seiten 24 und 25. sel stattfi ndet. Alle Parteimitglieder Wenn ihr diese Ausgabe des DIS- sind aufgerufen, sich zu Wort zu mel- PUT in euren Händen haltet, ist den. Auch im DISPUT führen wir die es kurz vor Weihnachten. Nutzt Debatte. Ab Seite 8 fi ndet ihr sechs diese Tage für zur Entspannung, ch habe keine Lust, bei der Beiträge zur Strategiedebatte, u. a. von zur Sammlung neuer Kräfte und: Bundestagswahl 2021 die unserer neuen Fraktionsvorsitzenden Kommt gut ins neue Jahrzehnt. Grünen zu wählen«, schmet- . tert der Satiriker Jean-Philippe Unsere Partei bewegt eine Menge: 9,1 Thomas Lohmeier, Leiter Bereich Kindler, den ihr vielleicht mit Prozent holte Björn Thoroe als Bürger- Öffentlichkeitsarbeit I seiner Poetry-Slam-Performance meisterkandidat in Kiel. Ein herausra- »Mindestlohn« vom Leipziger Par- gendes Ergebnis! Wie er das gemacht teitag oder von unserem YouTube- hat, erfahrt ihr auf den Seiten 14 und Kanal kennt, und schreibt uns ins 15. Auf den folgenden Seiten berichten DISPUT 1/2020 Stammbuch: Wenn DIE LINKE es wir über tolle Kreisverbandsaktionen schafft, »jene Mythen der Unverein- im Rahmen unserer Mietenkampagne. barkeit von radikalem Klimaschutz Trotz der Militärinvasion gegen Afrin VOR-GELESEN VON und Sozialpolitik zu überwinden«, hat die Bundesregierung 2018 noch THOMASVOR LOHMEIER-GELESEN VON ???

DIGITALKONFERENZ INTERNATIONAL Eindrücke von der ersten Die Umbrüche in Lateinamerika Digitalkonferenz der LINKEN 3 sind auch eine Herausforderung für die deutsche Linke 22 AUSBLICK Jean-Philippe Kindler wünscht sich INTERNATIONAL für 2020, wieder DIE LINKE wählen Helin Evrim Sommer über die zu können 6 deutsche Beteiligung am Krieg in Syrien 24 STRATEGIEDEBATTE Neue Beiträge zur GESCHICHTE Strategiedebatte 8 Die blutigste Demonstration der deutschen Geschichte fand vor OB-WAHL 100 Jahren statt 28 Björn Thoroe spricht im Interview über seinen erfolgreichen JEDEN MONAT Wahlkampf in Kiel 14 AUS DEM HAUS 5 FEUILLETON 19 MIETENKAMPAGNE PRESSEDIENST 26 Update aus Hamburg, Lüneburg DAS KLEINE BLABLA 27 und Wustermark 16 NEU IM KINO 29 KULTUR 30 AFD-PARTEITAG JANUARKOLUMNE 31 Zwischen Rechtsruck und Regierungsverantwortung 20 Foto: Julien Then

IMPRESSUM DISPUT ist die Mitgliederzeitschrift der Partei DIE LINKE, herausgegeben vom Parteivorstand, und erscheint einmal monatlich über Neue Zeitungsverwaltung GmbH, Weydingerstraße 14–16, 10178 REDAKTION Nina Rink, Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin, Telefon: 030 24009346, [email protected] GRAFIK UND LAYOUT Herbell, Berlin DRUCK EVERSFRANK BERLIN GmbH | Ballinstraße 15 | Postfach 470355 | 12359 Berlin ABOSERVICE , Druckerei und Verlag GmbH, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin, Telefon: (030) 29 78 18 00 ISSN 0948-2407 REDAKTIONSSCHLUSS HEFT 01/2020: 13. Dezember 2019. DISPUT 02/2020 erscheint am 30. Januar 2020.

2 DISPUT Januar 2020 DIGITALKONFERENZ Digital und emanzipatorisch Unter dem Titel »(K)eine automatische Revolution« hat DIE LINKE ihre erste Konferenz zu Digitalisierung und sozialer Gerechtigkeit ausgerichtet VON NINA RINK

»Gibt es überhaupt einen neu- icht nur weil es draußen grau en digitalen Kapitalismus?« und nicht nur den Reichtum und die und nasskalt ist, beginnt der Diese und andere Fragen dis- Kontrolle weniger stärkt.« Dazu soll- N Tag mit einem Warm-Up. Ge- kutierten Nina Scholz, Bernd ten in Workshops, aber auch auf Po- nauer: Einem digitalen Warm-Up zur Riexinger und Evgeny Morozov dien Lösungen zusammengetragen Einstimmung und Erklärung wichti- und Standpunkte weiterentwickelt ger Begriffe, die im Laufe des Tages werden. noch fallen werden. Katalin Genn- Welt zu reproduzieren, ist Aufgabe ei- Politiker*innen, IT-Spezialis t*in - burg, Sprecherin für Smart City ner sozialistischen Partei.« nen, Aktivist*innen, Gewerkschaf- der Linksfraktion Berlin hat Elisa- Diese Konferenz am 7. Dezember ter*innen und Wissenschaftler*innen beth Calderon-Luening von der For- 2019 ist die erste der Partei DIE LIN- kamen in acht Slots zusammen. Im schungsgruppe »Ungleichheit und KE, die sich intensiv mit dem The- Workshop »Welchen Sozialstaat brau- digitale Souveränität« an der Uni- ma Digitalisierung auseinandersetzt. chen wir für den digitalen Wandel« versität der Künste und Walter Pal- Im Ankündigungstext heißt es: »Der wurden in Kleingruppen konkrete metshofer, Projektleiter der Open technische Fortschritt und die Fol- Kriterien festgehalten, während bei Knowledge Foundation, eingeladen, gen der Digitalisierung stellen uns »Demokratie- und Eigentumsfrage um über einige Buzzwords im Zusam- alle vor neue Herausforderungen, stellen: sozial-ökologische Transfor- menhang mit Digitalisierung und so- manche davon können wir heute nur mation der Wirtschaft und Digitali- zialer Gerechtigkeit zu fachsimpeln. erahnen. Umso wichtiger, dass DIE sierung« im ersten Teil analysiert und Gennburg lässt schon in der ersten LINKE Antworten parat hat, wie wir im zweiten Teil nach Umsetzungs- Veranstaltung anklingen, worum es auf diese Herausforderungen reagie- möglichkeiten gesucht wurde. Auch heute gehen wird: »Scheiße aus der ren sollten, damit die Vorteile der Di- die kritische Auseinandersetzung analogen Welt nicht in der digitalen gitalisierung allen zu Gute kommen mit gefährlichen Aspekten digitaler

DISPUT Januar 2020 3 DIGITALKONFERENZ

Die Teilnehmer*innen er- Technologie spielte eine Rolle, so im arbeiteten in Kleingruppen ping, Anke-Domscheit-Berg und Kata- Workshop »Digitale Macht«, der die konkrete Anforderungen an lin Gennburg. »Viel zu zahm« sei dies Entwicklungen in China und die neu den Sozialstaat im Digitalen angesichts der real bereits viel wei- entstandenen Kontrollmöglichkeiten Zeitalter ter fortgeschrittenen Klassenkämp- für autoritäre Staaten unter die Lupe Foto: Martin Heinlein fe rund um Tech-Konzerne wie Ama- nahm. Im Workshop »Digitale Gewalt zon oder Deliveroo. gegen Frauen« wurde ebenfalls deut- rich und Benjamin. Das Match sorgte erklärte, »öffentliche Kontrolle und lich, dass zum Beispiel sexualisierte für kurzweilige Unterhaltung – und Demokratisierung stärker in den Fo- Gewalt durch technologische Innova- zeigte auch, dass noch viel Entwick- kus unserer Politik« stellen zu wol- tionen eine neue Dimension bekom- lungsarbeit nötig ist, bis ein Roboter- len und nannte es eine »LINKE Dau- men hat – und sie mit klassischen Team die menschliche Weltmeister- eraufgabe«, zu überlegen, wie neue Mitteln polizeilicher Ermittlungen Elf besiegen können wird. Entwicklungen sich zuerst am Wohle und strafrechtlicher Verfolgung noch Den offi ziellen Abschluss des Ta- der Menschen ausrichten ließen. Das schwieriger als bisher zu bekämpfen ges bildete das Podium »Digitaler hätte auch als Fazit dienen können – ist. Austausch, Vernetzung und Ge- Klassenkampf – Die Zukunft des di- Einigkeit herrschte bei den meisten genstrategien waren Teil der Arbeits- gitalen Kapitalismus und Perspek- der rund 250 Teilnehmer*innen da- gruppen. Auch die Auswirkungen di- tive des neuen Sozialismus«. Sabine rin, dass die Konferenz erst der An- gitaler Technologie auf viele andere Nuss moderierte die Diskussion mit fang der dauerhaften Auseinander- Lebensbereiche wurden untersucht Bernd Riexinger, Parteivorsitzender setzung mit dem Thema war. und Gestaltungsmöglichkeiten disku- der LINKEN, Politikwissenschaftlerin tiert: Ob Bildung und Wissenschaft, und Autorin Nina Scholz und dem aus Gesundheit, Arbeit, Medien und Öf- Mailand unter abenteuerlichen tech- fentlichkeit oder ländlicher Raum. nischen Bedingungen zugeschalteten Ein Highlight war das Roboter- Publizisten Evgeny Morozov. Dieser INFO Fußballspiel des »RoboCup«-Teams erläuterte zu Beginn, warum es jen- der Humboldt-Universität in der Mit- seits der Regulierung großer Plattfor- Auf www.die-linke.de/ tagspause. Das rote »Team« konnte men und Tech-Unternehmen vor al- digitalkonferenz2019 werden drei Tore gegen Blau erzielen. Der lem um soziale Transformation gehen in den kommenden Wochen Torjubel fi el allerdings aus – die Ro- müsse. »Ich bin froh, dass die Klassen- Audio- und Video-Mitschnitte boter sind nicht intelligent genug, um kämpfe zurück sind«, konstatierte Ni- der Impulsreferate, Workshops zu merken, wann sie ein Tor geschos- na Scholz und kritisierte das kürzlich und Podien online gestellt. sen haben, erklärten die Informatik- veröffentliche Papier zu demokrati- studenten und Roboter-Trainer Hein- scher Digitalisierung von Katja Kip-

4 DISPUT Januar 2020 AUS DEM HAUS

m Januar 2020 wird das Hartz- Möglichkeit, eine vielfältige Erwerbs- IV-Gesetz 15 Jahre alt – für biografi e zu haben, kann positiv sein. uns kein Grund zum Feiern. Ein Unterschiedliche Lebensphasen bie- Grund, Revue passieren zu las- ten unterschiedlich viel Raum für Er- sen, dass Hartz IV kein rot-grü- werbsarbeit – wer Kinder hat, will I ner Betriebsunfall war, sondern neo- sich vielleicht mehr Zeit für sie neh- liberales Programm: »Wir werden men. Manche Menschen haben einige soziale Leistungen kürzen«, hatte intensive Berufsjahre hinter sich und Bundeskanzler Schröder die Reform möchten kürzer treten. Mancherorts begründet, um die Wirtschaft anzu- schließen Firmen und die Beschäftig- kurbeln. Zugleich sollte mit Verfol- ten brauchen eine Weile, etwas Pas- gungsbetreuung – Neusprech: »för- JÖRG SCHINDLER sendes zu fi nden. Die Gründe sind dern und fordern« – den Betroffenen vielfältig – keiner von Ihnen darf dazu buchstäblich jede Würde genom- führen, dass ökonomische und sozia- men werden. »Wie ein Penner« wer- Kämpfen le Teilhabe nicht mehr möglich ist. de er vom Jobcenter behandelt, be- für einen Hier müssen wir Neues schaffen. Ein schwerte sich ein älterer Betroffe- Sozialstaat, der es ermöglicht, dass ner mir gegenüber. Löhne senken, Sozialstaat der die Arbeit zum Leben passt. Solidari- Profi t erhöhen, dann ginge es allen Zukunft sche Umlagesysteme, fi nanziert da- gut. DIE LINKE ist im Kampf gegen durch, dass alle Einkommensarten Hartz IV entstanden und gewach- beteiligt werden, müssen eine unkom- sen. Wir haben gegen die damali- plizierte Mindest- und Lebensstan- ge Allparteien-Koalition gestanden. dardsicherung sicherstellen. Und die Geschichte hat uns recht nes leistet, gehört gut bezahlt. Wir Der zweite Punkt, der debattiert wur- gegeben: Wir haben Hartz IV de- möchten Hartz IV nach vorn aufl ö- de, macht deutlich, dass wir auch für legitimiert und die Sanktionen be- sen: Unser Sozialstaat kennt nicht Altes kämpfen müssen. Arbeitsrech- kämpft. mehr die Angst, von gesellschaft- te und Tarifbindung sind der beste Heute ist Anlass, grundlegend über licher Teilhabe ausgeschlossen zu Schutz vor prekärer Arbeit. Hier dür- den Sozialstaat zu sprechen – einen werden. fen wir nicht zulassen, dass Unter- neuen Sozialstaat. Wie sieht der So- Wir wollen nicht einfach nur etwas nehmen die Rechte von Beschäftigten zialstaat der Zukunft aus? Kann er Vergangenes zurück. Der Sozialstaat aushöhlen. Der Kampf für diese alten in einer digitalen und automatisier- der Nachkriegszeit war auf erwart- Konzepte wird sich auch in Zukunft ten Welt bestehen? Um einen star- bare Berufsbiografi en ausgelegt. Er lohnen. Denn auch zukünftige Kämpfe ken Sozialstaat zu entwickeln, müs- ging oftmals von Einkommensver- um eine gerechtere Gesellschaftsord- sen wir klar benennen, was dieser hältnissen aus, bei denen ein Ein- nung werden von solidarischen Orga- für uns als demokratische Sozialis- kommen eine ganze Familie versor- nisationsformen Erwerbstätiger stark ten leisten soll. Es geht dabei um gen könnte und musste. Unser neu- profi tieren. mehr als einen löchrigen Schutz vor er Sozialstaat muss und wird diese extremer Armut. Abhängigkeiten kappen und die Frei- Jörg Schindler ist Bundesgeschäfts- Unser Leitbild ist Schutz vor Angst: heit der Lebensentwürfe ermögli- führer der LINKEN dem Schutz davor, dass gesell- chen. schaftliche Teilhabe unmöglich wird, An dieser Stelle bietet die Digitali- weil ein Mensch, in einer bestimm- sierungskonferenz vom vergangenen Fotos: Mark Mühlhaus/attenzione, ten Lebenslage, nicht den kapita- Dezember Inspiration. In den Debat- DIE LINKE listischen Leistungsansprüchen ge- ten wurde deutlich: Erwerbsbiogra- nügt. Unserem Sozialstaat liegt die fi en sind nicht mehr linear und die Idee zugrunde, die Angst vor Armut Beschäftigungsverhältnisse fi nden und Isolation, die uns im kapitalis- über Freiberufl ichkeit und Plattform- tischen System in die Lohnarbeit arbeit in der Peripherie des alten So- zwingt, zu überwinden. zialstaatskonzeptes statt. In den De- Das heißt nicht, dass Arbeit sich batten um neue Arbeitswelten zeig- nicht lohnen sollte. Wer Großes, te sich, warum wir für Neues und Kleines, Mühseliges und Schö- für Altes kämpfen wollen. Denn die

DISPUT Januar 2020 5 AUSBLICK

ie Wahrheit ist: Ich ha- arbeit beider Parteien an meinen al- be bei der Bundestags- ten Schulfreund Louis, der bei Face- wahl 2021 keine Lust, book regelmäßig so etwas postete wie die Grünen wählen zu »Manchmal läuft auch wirklich AL- müssen, weil sich die LES gegen einen« und dann auf nach- D Partei, bei der ich eigentlich über- fragende Anteilnahme in den Kom- zeugtes Mitglied bin, ignorant wei- mentarspalten mit den Worten »Ach, gert, ihre klimapolitische Konzept- ist egal« reagierte. Was muss inner- losigkeit zu überwinden. Ich weiß, halb der LINKEN passieren, damit ich weiß, die Antwort liegt euch al- man möglichst wenig wie Louis ist? len schon auf der Zunge: »Aber wir machen doch eigentlich grünere Po- litik als die Grünen, es weiß nur nie- Konservative Mythen mand!« Leute, beim besten Willen. Es radikal entzaubern ist wirklich höchste Zeit, diese Selbst- Ich will beweihräucherung zu beenden. Vor Das radikaler Klimaschutz sozia- allem, weil das einfach nicht stimmt. le Strukturen aufspaltet, sich gegen Klar, wir können jetzt alle noch hun- Gewerkschaftsarbeit richtet und am dertmal auf das Parteiprogramm ehesten die Armen unserer Gesell- der LINKEN verweisen, um zu un- schaft belastet, ist ein konservatives terstreichen, dass wir wirklich wirk- DIE Märchen, welches einige Linke der- lich wirklich mehr Windkraftanla- artig akkurat nachplappern, als wä- gen aufstellen wollen als die Grü- re die komplette klimapolitische Ei- nen, aber es ist nun mal so, dass sich geninitiative in der oralen Phase ste- niemand für Parteiprogramme inte- ckengeblieben. Wie Naomi Klein in ressiert. Wofür sich vor allem junge LINKE der Dezemberausgabe der »Blätter Leute eher interessieren, sind Reak- für deutsche und internationale Poli- tionen auf ein Klimapaket der Bun- tik« richtigerweise betont, zwingt das desregierung, welches wirklich lä- Konzept des Green New Deal die Men- cherlicher kaum sein könnte. Und da schen eben nicht, »sich zwischen der hat es DIE LINKE wieder einmal ver- Sorge um das Ende der Welt und der passt, sich klar zu positionieren. Der wählen um das Monatsende zu entscheiden«. Aufschrei kam wieder einmal in ers- Nehmen wir das viel zitierte Beispiel ter Linie von den Grünen. Das Ziel für der Arbeiter*innen in der Kohlein- 2020 ist aus meiner Sicht aber ganz dustrie: Längst hat die Union den ste- klar die Konstituierung eines rot-rot- reotypen Kohlearbeiter aus der Lau- grünen Lagers, welches sich scharf können sitz zu einer politischen Figur hochge- vom konservativen Parteienspekt- jazzt, die DRAUF UND DRAN ist, sich rum unterscheidet. Die SPD hat sich, in seine gelbe Weste zu werfen, um so scheint es zumindest zum gegen- in Cottbus mal schön ein paar Klein- wärtigen Zeitpunkt, bereits auf den VON JEAN-PHILIPPE KINDLER wagen anzuzünden. Und diese Chi- richtigen Kurs gebracht, so bestätig- märe hat man geglaubt, obwohl die te der neue SPD-Vorsitzende Norbert Entstehung der Gelbwestenproteste Walter-Borjans doch genau dieses in Frankreich unter völlig anderen Vorhaben im »Aufwachen«-Podcast sozialen Bedingungen stattfand, die mit der Aussage, alles für einen La- in Deutschland keinesfalls gegeben gerwahlkampf tun zu wollen. Damit sind. Und der Feind ist auch schnell dies gelingt, müssen DIE LINKE und ausgemacht: Die »Fridays for Future«- die SPD allerdings ihre Klimakonzep- Aktivistin, die mit ihrer Radikalität te überarbeiten, vor allem in puncto das soziale Wohl eben jenes Kohlear- Wähler*innenbindung. Denn zum ge- beiters gefährdet. Zwei Anmerkun- genwärtigen Zeitpunkt erinnert mich gen: Erstens: Die Union interessiert die klimapolitische Öffentlichkeits- sich natürlich nicht wirklich für das

6 DISPUT Januar 2020 Wohl der Kohlearbeiter*innen. Zwei- Linke*r natürlich die Aufgabe, (un-) Niemand verlangt, tens: Umweltaktivist*innen dafür freundlich darauf hinzuweisen, dass verantwortlich zu machen, dass Leu- bei 40 Prozent der Deutschen am En- sozialpolitische te durch klimapolitische Umstruk- de des Monats kein Geld für Konsum- Schwerpunktthemen turierungsprozesse ihren Job verlie- sucht übrig bleibt, weil die Miete zu ren, ist ungefähr so, wie wenn ich hoch ist. Wer außer die LINKE könn- aufzugeben den Mann verprügele, mit dem mei- te effektiver darauf hinweisen, dass ne Freundin geschlafen hat, obwohl eine ethisch und moralisch korrekte Es ist nämlich so: Wenn man sich klug der nicht mal wusste, dass meine Ernährung immer noch ein Luxusgut anstellt, kann man die klimapolitische Freundin vergeben ist, was sie auch ist und nicht etwa einer demokrati- Sensibilisierung der Gesellschaft auch nicht war, weil ich sie vorher bereits sierten Geisteshaltung entspricht, dafür nutzen, um die ein oder ande- betrogen habe. Klimaschutz und So- für die sich jede*r, unabhängig vom re soziale Transformation anzustoßen, zialpolitik stehen sich nur innerhalb Einkommen, einfach so entscheiden die bisher tabuisiert scheint. Neolibe- solcher Gesellschaftsformen diamet- kann, nur weil Fans irgendwelcher rale Denkangebote geraten durch die ral gegenüber, in denen strukturpo- Instagram-Blogger*innen der virtuel- anhaltenden Umweltproteste zuneh- litische Versäumnisse im großen Sti- le Unterleib fl attert, wenn man ihnen mend unter Druck – wenn man es als le auf die Schultern der arbeitenden vorführt, dass »diese neue Fairtrade- LINKE schafft, sich mit diesen Protes- Bevölkerung übertragen wird, um Unterwäsche wirklich von Tag zu Tag ten zu solidarisieren, so verbessert Argumente gegen eine Klimapolitik glücklicher macht«. man automatisch auch seine sozialpo- herbeizuzaubern, die wir JETZT brau- litische Verhandlungsposition. Denn chen, damit wir den Karren nicht wenn die Klimabewegung erst einmal völlig an die Wand fahren. Deutsch- entlarvt hat, dass der Markt eben nicht land hat nämlich genug Geld, um alles zum Wohle aller regelt, so kann Arbeiter*innen, die von klimapoliti- man aus einer umweltpolitischen Per- schen Maßnahmen betroffen wären, spektive heraus beispielsweise viel ef- würdig abzusichern. Genau aus die- fektiver die gegenwärtige Wohnungs- sem Grund ist es leider peinlich, dass politik kritisieren. Das ist übrigens ne- linke Politiker*innen nicht ebenso ben Klimaschutz der zweitwichtigste lautstark auf die Barrikaden gingen, Fokus des Jahres 2020 – denn seit 2011 wie ihre Kolleg*innen aus der grü- Die viel zu leise Kritik haben die Preissteigerungen deutsche nen Mitte. Denn mit einer vernünfti- aus der LINKEN beweist Immobilienbesitzer um drei Billionen gen CO2-Steuer, die eine tatsächliche Euro reicher gemacht. Die AfD beginnt Lenkungswirkung entfaltet, hätte die klimapolitische jetzt schon, dieses Thema für sich zu man ein klimapolitisches Instrument Verdrossenheit einer beanspruchen, die LINKE sollte also schaffen können, welches durch- Partei, dessen wichtige schleunigst an die jüngsten Erfolge in aus sozialverträglich hätte sein kön- Berlin anknüpfen, ohne dabei auf den nen. Dafür hätte sie aber bei 40 Euro Skepsis gegenüber grüner Schulterschluss mit grüner Politik zu pro Kilogramm CO2 einsteigen müs- Politik zu einer lethargi- verzichten. sen. Die viel zu leise Kritik aus der Wenn die LINKE es schafft, partei- LINKEN beweist die klimapolitische schen Verweigerungs- intern jene Mythen der Unvereinbar- Verdrossenheit einer Partei, dessen haltung mutierte. keit von radikalem Klimaschutz und wichtige Skepsis gegenüber grüner Sozialpolitik zu überwinden, so hat Politik zu einer lethargischen Ver- man die große Chance, vor allem von weigerungshaltung mutierte. Denn jüngeren Wähler*innen wieder ernst natürlich ist es wichtig, grüne Politik genommen zu werden. Und vor allem ideologiekritisch auf elitaristische ermöglicht man dadurch eventuell Fehlbildungen abzutasten, oder an- 2021 einen rot-rot-grünen Wahlaus- ders gesagt: Wenn auf der »Fridays gang, den man maßgeblich mit klu- for Future«-Demonstration die Stu- gen, linken Ideen herbeigeführt hat. dentin verkündet, dass man all die Konsumsüchtigen zu verurteilen hat, Jean-Philippe Kindler ist Satiriker die am »Black Friday« auf Schnäpp- und derzeit mit seinem Programm chenjagd gehen, dann hat man als »Mensch ärgere dich nicht« auf Tour

DISPUT Januar 2020 7 STRATEGIEDEBATTE

Die Diskussion um künftige Herausforderungen und die Strategie der LINKEN ist eröffnet. Auf den folgenden Seiten: neue Beiträge von Sahra Mirow, Amira Mohamed Ali, Jan Korte, Stefan Hartmann, Bettina Gutperl und Katina Schubert.

onen zwischen Partei- und Fraktions- tik und Wohlfühlparolen zelebrieren Zusammenbringen, spitze ist eine ehrliche Evaluation nö- will, geht zu den Grünen. Darum ist es was zusammen tig, wie wir miteinander arbeiten und wichtig zu erkennen, was uns verbin- reden wollen. Schließlich gilt es, ein det, statt nach innen und außen aus- gehört Projekt zu verteidigen. zugrenzen. Wer in DIE LINKE kommt, hat ei- Mich erschreckt, wie vermeintli- VON SAHRA MIROW nige Überlegungen angestellt. Schließ- che Grenzen zwischen Gruppen gezo- lich geht es um die Entwicklung von gen werden. Ich bin in Heidelberg ak- Diese Strategiedebatte kommt zur Alternativen zu einem Wirtschafts- tiv, in einer Stadt mit 36.000 Studie- richtigen Zeit, denn wir brauchen sie. und Gesellschaftssystem, das Men- renden. Unser Ortsvorstand besteht Nach unbefriedigenden Wahler- schen ihrer elementaren Menschen- mehrheitlich aus jungen Leuten, die gebnissen (ausgenommen Thüringen rechte beraubt. Wir gehen an die Wur- sich in der Pfl egekampagne, bei un- und ) und diversen Diskussi- zel. Wer tatsächlich »Life-Style«-Poli- serer landesweiten Weihnachtsaktion für Beschäftigte im Einzelhandel, in Foto: Martin Heinlein der Seebrücke und vielem mehr en- gagieren. Viele von ihnen studieren, trinken auch mal gerne einen Latte Macchiato und engagieren sich in so- zialen Projekten, zum Beispiel bei un- seren Aktionen vor dem Jobcenter. Wir haben Langzeiterwerbslose, die Jahren in der Gefl üchtetenhilfe arbei- ten. Sie alle sind DIE LINKE. Wer be- hauptet, wir wären zu wenig sozial, verkennt diese Realität vor Ort. Wenn wir unser soziales Engage- ment um die Ökologie erweitern, ist das auch keine Reduktion des Sozia- len, sondern eine überfällige Zusam- menführung. Auch hier dürfen wir nicht trennen, was zusammengehört. Vielmehr müssen wir Brücken schlagen. Brücken zwischen unse- ren Mitstreiter*innen, aber auch zwi- schen unseren Wählerinnen und Wäh- lern. DIE LINKE bringt verschiede- ne Milieus wie Erwerbslose und pre- kär beschäftigte Akademiker*innen

8 DISPUT Januar 2020 schließlich nicht nur an der Wahlur- KEN wird in der Post-Merkel-Ära die ne zusammen, sondern auch in der dringend notwendige soziale und Partei selbst. ökologische Wende eine Chance ha- Eine verbindende Partei braucht ben. Wir müssen schnell klären, wa- neue, verbindende Strukturen. Seit rum das steigende gesellschaftli- 2017 verbuchen wir in Baden-Würt- che Bedürfnis nach einer sozialeren »Wir müssen denjenigen, temberg viele Neuzugänge und oh- Politik bisher bundesweit bei uns die von allen anderen im Stich ne diesen Zulauf hätten wir bei der nicht zu steigenden Stimmenantei- gelassen werden, zeigen, dass es letzten Bundestagwahl keine 6,4 Pro- len führt, obwohl von unseren For- in unserer Politik um sie geht.« zent geholt. Wie also stellen wir uns derungen Arbeitnehmer*innen und künftig auf und welche Angebote Rentner*innen mit niedrigen und wollen wir entwickeln? Feministische mittleren Einkommen sowie Arbeits- Kasse gebeten werden. Wir stehen für Stammtische, kleinteiligere Arbeits- lose am meisten profi tieren würden. massive öffentliche Investitionen und strukturen in Projekten, gemeinsame Dafür ist entscheidend, dass wir so- sozialen Klimaschutz. Das muss eben- kulturelle Projekte – das alles kön- wohl in unseren internen Debatten so unser Markenzeichen sein wie die nen Beiträge für eine moderne Partei- als auch in der Kommunikation nach Friedenspolitik. Hier muss sich DIE arbeit sein. außen die Solidarität leben und aus- LINKE weiter konsequent gegen Aus- Das und vieles andere müssen wir strahlen, die wir uns für unsere Gesell- landseinsätze der Bundeswehr, Rüs- diskutieren – gemeinsam, inklusiv schaft wünschen. Es ist unsere Verant- tungsexporte und den neuen Kalten und auf Augenhöhe. wortung, unsere klassischen Zielgrup- Krieg mit Russland einsetzen. Auch pen wieder zu erreichen und in noch müssen wir die sozialen Folgen der Sahra Mirow ist Landessprecherin breiteren Teilen der Bevölkerung als Hochrüstungspolitik benennen. Im der LINKEN Baden-Württemberg glaubwürdige und unterstützenswer- Haushalt ist die Rüstungsquote inzwi- sowie Stadträtin und Fraktions- te politische Kraft wahrgenommen schen höher als die Investitionsquote! vorsitzende im Gemeinderat und angenommen zu werden. Denn Es gilt, gesellschaftliche Bündnis- Heidelberg DIE LINKE macht Politik für die gro- se zu organisieren, um gemeinsam ße Mehrheit der Bevölkerung. mit der Friedensbewegung, Gewerk- Wir müssen konsequent unseren schaften und sozialen Initiativen ge- In den Zeiten der Kern nach vorne stellen. Wir stellen gen diese verantwortungslose Politik als einzige Partei die Machtverhältnis- vorzugehen, die auch von einer Mehr- Krise se infrage und legen uns mit den Su- heit der Bevölkerung abgelehnt wird. perreichen an – zum Wohle der Allge- Ob es gelingt, dieser Mehrheit eine VON AMIRA MOHAMED ALI meinheit. DIE LINKE will eine Umver- Stimme zu geben, liegt nicht zuletzt teilung von oben nach unten. Nur wir an uns. Es wäre ein Fortschritt, soll- Die Ära Merkel und der Großen Koa- fordern eine angemessene Vermögen- te sich die SPD mit ihrer neuen Füh- lition als schwarz-rotes Bündnis geht steuer, die Multimillionäre zur Kasse rung endlich wieder auf ihre sozialde- zu Ende. Der damit verbundene Um- bittet. Nur wir fordern konsequent, mokratischen Wurzeln besinnen und bruch wird in einem verunsicherten dass Kernaufgaben der öffentlichen in diesen Kampf einreihen. Es wäre Land stattfi nden, das von den neoli- Daseinsvorsorge wie Infrastruktur, aber bekanntlich nicht das erste Mal, beralen Regierungen in eine katast- Stromversorgung, Gesundheitsvorsor- dass die SPD links blinkt und dann ei- rophale Lage geführt wurde, geprägt ge, Rentenversicherung vollständig in nen anderen Kurs einschlägt. Ein gro- durch eine tiefe soziale Spaltung, stei- öffentlicher Hand bleiben beziehungs- ßes Ziel für uns bleibt, die Politik in gende Altersarmut, eine sich entfal- weise in diese wieder überführt wer- Deutschland und Europa insgesamt tende Strukturkrise in der deutschen den. DIE LINKE will einen bundes- nach links zu verschieben. In jedem Automobil- und Zulieferindustrie, un- weiten Mietendeckel, die Enteignung Fall muss klar bleiben: Für uns LINKE bewältigte Herausforderungen durch privater Immobilienkonzerne sowie darf es nicht darum gehen, bloß mitre- den Klimawandel, eklatante Investiti- ein ambitioniertes Wohnungsbaupro- gieren zu wollen. Unsere Rolle ist es, onsdefi zite bei Bildung, Pfl ege und In- gramm in öffentlicher Hand. Auch der Garant für einen wirklichen Poli- frastruktur – um nur einige Probleme bei der Frage der Klimagerechtigkeit tikwechsel zu sein. grob zu nennen. muss unsere Botschaft sein, dass nicht Was bedeutet das für DIE LINKE? – wie im Falle der Bankenkrise – vor Amira Mohamed Ali ist Vorsitzende Natürlich müssen wir an Stärke ge- allem wieder die Menschen mit klei- der Fraktion DIE LINKE im winnen. Nur mit einer starken LIN- nen und mittleren Einkommen zur

DISPUT Januar 2020 9 STRATEGIEDEBATTE

Niemanden im ihrer Situation möchte ich auf zwei Publikationen hinweisen. Der Publi- Herausforderungen Stich lassen zist Robert Misik bringt die Lage auf der LINKEN aus den Punkt, wenn er schreibt: »Die tra- VON JAN KORTE ditionellen Milieus haben das Gefühl, sächsischer Sicht die Angehörigen der urbanen kosmo- Nach etlichen herben Wahlnieder- politischen Gruppen blickten auf sie VON STEFAN HARTMANN lagen der LINKEN und einem Sink- und ihren Lebensstil herab. Zur öko- fl ug in den Umfragen stagniert un- nomischen Verunsicherung kommt Der Parteitag der sächsischen LIN- sere Partei nach dem Wahlsieg von eine soziale Verunsicherung, der KEN im November stand ganz im Bodo Ramelow und unseren Thürin- Status ist in doppelter Hinsicht be- Zeichen der drei Wahlniederlagen ger Genoss*innen in der Sonntagsfra- droht.« Der Soziologe Andreas Reck- des Jahres 2019 bei den Europa-, den ge bei acht Prozent. Im Gegensatz zu witz stellt eine »Kulturalisierung der Kommunal- und den Landtagswah- den französischen und italienischen Ungleichheit« fest, wonach der Le- len. Unser Landesverband steht nicht Linksparteien, die in der Bedeutungs- bensstil der neuen Mittelklasse ge- nur mit diesen Ergebnissen, sondern losigkeit verschwunden sind, sind wir sellschaftlich als »wertvolle Lebens- einer damit eng verbundenen Reihe (noch) in der Situation, unsere Partei form« wahrgenommen würde, die organisationspolitischer Probleme für die Zukunft aufstellen zu können. Lebensform der neuen Unterklasse vor einigen strategischen Fragen. Wir sollten diese Chance dringend hingegen als »wertlos und defi zitär« Unsere Verwurzelung auf der nutzen, wenn wir nicht denselben – und zwar auch in ihrer Selbstwahr- kommunal(politisch)en Ebene schwin- Weg nehmen wollen. nehmung. det, es zeigen sich weiße Flecken, die Unsere Gesellschaft befi ndet sich Für die Arbeit der LINKEN, für die Altersstruktur unserer Räte in Krei- in einer gefährlichen Lage. Der Hass Defi nition unserer Handlungsfelder sen, Städten und Gemeinden ist durch wächst im Netz und auf der Straße, und unsere Kommunikation halte ich einen signifi kanten Mangel an jün- die in weiten Teilen faschistische AfD diese Analysen für grundlegend. Sie geren Menschen geprägt. Zwei Drit- trägt ihn bis ins Parlament. Wir müs- beschreiben die Lücke, die wir zu lan- tel unserer schrumpfenden Mitglied- sen analysieren, was in unserer Ge- ge nicht erkannt haben und unsere schaft ist im Rentenalter, besonders sellschaft passiert und wirksam auf Aufgabe in der Zukunft: Uns wieder im Raum außerhalb der drei Großstäd- diese negativen Entwicklungen re- um sie zu kümmern. Und sie zeigen, te verlieren wir zunehmend unsere agieren. Vor welchen Aufgaben wir dass wir diese Aufgabe nicht auf an- Stärke, die in der engen Partnerschaft stehen, kann in diesem Format nur dere abschieben können, auch nicht mit zivilgesellschaftlichen Organisati- skizziert werden. Im Zentrum sollten auf Bewegungen wie »Fridays for Fu- onen und Bewegungen bestand. diejenigen stehen, für die DIE LINKE ture«, die wichtig und unterstützens- Diese Probleme haben erhebli- und ihre Vorgängerinnen gegründet wert sind, aber keine Lösung für un- che Auswirkungen. In den 1990er wurden: Die dort unten, die Erwerbs- sere Klientel. Wir müssen denjenigen, Jahren hatte die PDS etwas für eine losen, die Arbeiter*innen, nach der die von allen anderen im Stich gelas- linke Partei in Deutschland eher Un- Agenda 2010 ergänzt durch Schein- sen werden, zeigen, dass es in unserer gewöhnliches geschafft: Sie wandel- selbstständige, Leiharbeiter*innen, Politik um sie geht. te sich von einer Organisation, die Ein-Euro-Jobber*innen. in ihren Beschlüssen (vermeintlich) Die linken Erfolge und der gesell- Jan Korte ist erster Parlamentari- Wahres und Notwendiges feststellte schaftliche Fortschritt in den vergan- scher Geschäftsführer der Fraktion und verkündete, zu einem anderen genen Jahren haben für viele von ih- DIE LINKEN. Ende Januar erscheint Typ von Partei. Die gesellschaftliche nen keine Verbesserung gebracht, zum Thema sein Buch »Die Verant- Wirklichkeit in ihrer konkreten Wi- sondern das Gefühl verstärkt, ausge- wortung der Linken« im Verbrecher dersprüchlichkeit wurde zur Grund- grenzt zu werden. Zum Verständnis Verlag. lage ihrer Politik. Ein Beispiel: Es war

So geht 10. Januar 2020 18. Januar 19. Januar Ende Januar es weiter Einsendeschluss Regionalkonferenz Regionalkonferenz Veröffentlichung Debattenbeiträge Mecklenburg- Baden-Württem- des Kongress Vorpommern berg (Ulm) readers mit (Güstrow) Positionspapieren

10 DISPUT Januar 2020 Foto: Martin Heinlein INFO nicht das Ergebnis großdenkerischer Analyse, die Frage von Kleingärten, Debattenbeiträge zur Den sozialistischen Garagen oder Kleinkläranlagen zu ei- Anmeldung zur Konferenz: Kurs halten! nem typischen Profi lierungsfeld von strategiedebatte.die-linke.de PDS-Politik zu machen, sondern es VON BETTINA GUTPERL resultierte aus unserer gesellschaft- lichen Verankerung. Unsere Kompe- Wir leben in stürmischen Zeiten. Da- tenz als Vertreterin ostdeutscher In- her brauchen wir eine Partei, die Wel- teressen entsprang nicht einem »Gro- kutierten Feld der Migrationspolitik len reiten kann. Die sich von einem ßen Plan Ost«, sondern konkreter In- konnten wir mit einer klaren Hal- autoritärer werdenden Kapitalismus teressenvertretung. tung glänzen. Von den Wähler*innen und von einer (wieder)erstarkenden Schon bei der Europawahl war wurde sehr deutlich wahrgenommen, Rechten weder herunterziehen noch das etwas anders. Mit der aus vor dass die politischen Auseinanderset- treiben lässt. Die sich vor der drohen- allem innerparteilichen taktischen zungen in der LINKEN eindeutig ent- den Kulisse nicht selbst zerreißt, son- Erwägungen erarbeiteten Strategie schieden wurden. Das hat uns gehol- dern mit Luxemburg allem zum Trotz des »Dritten Pols« (die dann im Übri- fen, Menschen mit einer ebenso kla- ruft: »Ich lebe am fröhlichsten im gen auch nur halbgar realisiert wur- ren Haltung von uns zu überzeugen. Sturm!« de) standen wir außerhalb der ent- Interessenpolitik war dies jedoch lei- Es kommt darauf an, nicht »nur« scheidenden Debattenlinie. Mögli- der noch nicht – der Weg zurück da- Fragen zu beantworten, sondern auch cherweise haben wir ja damit auch hin ist unsere wichtigste strategische Kräfteverhältnisse und uns selbst zu in irgendeinem theoretischen Paral- Aufgabe. verändern. Um einen sozialistischen leluniversum recht – es interessiert Kurs zu halten, brauchen wir Koordi- allerdings auch nur dort. Auf dem Stefan Hartmann ist Landes- naten. gesellschaftlich extrem intensiv dis- vorsitzender der LINKEN in Sachsen Die LINKE muss organisierend wir-

8. Februar 29. Februar/1. März März 15. April 12. bis 14. Juni Regionalkonferenz Strategiekonferenz Verarbeitung der Veröffentlichung 1. Tagung des Hessen (Frankfurt in Kassel Ergebnisse der des Leitantrages 7. Parteitages a. M.) Strategiekonferenz für den Parteitag in den Leitantrag zum Parteitag

DISPUT Januar 2020 11 STRATEGIEDEBATTE

ken: Mit einer starken Basis, die neue und Praxen muss aufgehoben werden, eignen«, in denen wir als Partei Teil Mitglieder einbindet, ihre Ideen ernst denn wir geben uns nicht mit Brotkru- sind, haben die institutionelle Poli- nimmt und mit ihnen umsetzt. Partei men zufrieden, wir bestehen auf Brot tik massiv unter Druck gesetzt. In vor Ort zu verankern und Strukturen UND Rosen – dem guten Leben für die diesem Zusammenspiel ergeben sich auf allen Ebenen zu schaffen, ist zen- Vielen. solche Räume gesellschaftlicher Ver- tral. DIE LINKE soll ein Ort sein, an änderung. Berlin wird ein Vergabe- dem Politik von allen gemacht wird, Bettina Gutperl ist Geschäfts- gesetz bekommen, das die Tariftreue nicht nur von »Spezialist*innen« oder führerin des Studierendenverban- der Unternehmen für öffentliche Auf- Stellvertreter*innen, die keine Ah- des DIE LINKE.SDS und Mitglied träge vorschreibt und den Vergabe- nung von unseren Lebensverhältnis- des Parteivorstandes und Landesmindestlohn auf 12,50 Eu- sen haben. Unser Mitmach-Angebot ro anhebt. Auch das ist ein Beispiel darf sich nicht im »Sitzungssozialis- vom Wechselspiel institutioneller Po- mus« erschöpfen. Räume gesell- litik und in diesem Fall gewerkschaft- Die LINKE muss sich und ande- lichem Druck. re bilden: (Hoch)Schule besteht nur schaftlicher Die Frage heißt also nicht Bewe- noch aus Auswendiglernen und Wie- Veränderung gung oder Regierung. Die strategi- derkäuen. Lernen für eine bessere sche Herausforderung heißt für uns: Welt steht nicht auf dem Stunden- VON KATINA SCHUBERT Aus der Bewegung heraus linke Mehr- plan. Statt für Frieden und ökologi- heiten organisieren und dabei immer sche Alternativen wird für Rüstung In unserer Gesellschaft zeichnen sich weiter auf die Wechselwirkungen von und SUVs geforscht. Mit der Weiter- gegenläufi ge Entwicklungen ab. Die Bewegung und Institutionen setzen gabe und Erneuerung marxistischer Auseinandersetzung um den Zuzug und mit ihnen arbeiten. Wir dürfen Analyse können wir die Welt erklä- gefl üchteter Menschen hat dazu ge- als Partei Politik nicht an Parlamente ren, um sie zu verändern. Die Par- führt, dass der Takt von rechts vor- und Regierungen delegieren. Das ist tei muss organische Intellektuelle gegeben wird und die Union und Tei- ein anstrengendes Unterfangen, weil ausbilden, angefangen bei solid und le der SPD versuchen, den Rechtspo- Veränderungsprozesse immer auch SDS. Diese sollen organisieren und pulisten durch vorauseilenden Gehor- Gegenstand politischer Aushandlung Erfahrungen von Menschen mit po- sam und migrationsfeindliche Politik und Kompromissbildung zwischen litischen Ideen verbinden. zuvor zu kommen. Eine Strategie, die verschiedenen Akteur*innen und ih- DIE LINKE muss das strategische nachweislich dazu führt, dass die AfD ren Interessen sind. Zentrum von Veränderung sein: sie als Partei und die hinter ihr stehenden Anderes Beispiel: Wir werden die muss auf Revolutionäre Realpolitik gesellschaftlichen Kräfte gestärkt wer- Klimakrise nicht durch individuel- orientieren. Greifbar sein, Verbesse- den. Auf der anderen Seite steht gesell- le Verzichtsversprechen in den Griff rungen im Hier und Jetzt durchset- schaftlicher Aufbruch von progressi- bekommen, sondern durch tiefe Ein- zen, mit denen wir Terrain gewinnen, ven, von linken Leuten, jungen Men- griffe in kapitalistische Produktions- um Siege zu erringen auf dem Weg schen, Mieter*innen, Beschäftigten, weisen, die Stärkung öffentlicher In- zum Sozialismus. Es reicht nicht aus, Migrant*innen und vielen mehr. Sie frastruktur und sozialen Ausgleich. in Regierungen zu sitzen. Es braucht eröffnen Räume, in denen in den letz- Klimagerechte Mobilität, Energieer- die Mehrheit der Bevölkerung hinter ten Jahrzehnten kaum Denkbares jetzt zeugungen oder Gebäudesanierungen einem linken Projekt und Druck der politisch umsetzbar wird. dürfen nicht zu sozialem Ausschluss Bewegung und Gewerkschaft. Beispiel Mietendeckel: Er stellt führen, im Gegenteil. Auch hier wird DIE LINKE muss Klasse verbinden einen tiefen Eingriff in die Verwer- Politik zu wenig bewerkstelligen, und Bündnisse schmieden: Eine ge- tungslogik der Immobilienunter- wenn die Bewegung den Druck nicht spaltene Arbeiter*innenklasse ist Nor- nehmen dar, beschränkt ihr Eigen- aufrechterhält und konkret umsetzba- malzustand im Kapitalismus. Aufgabe tumsrecht im Interesse der Berliner re Konzepte einfordert. der LINKEN ist es, diese Spaltung(en), Mieter*innen. Möglich wurde er, weil Das auf Bundesebene hinzubekom- die nur den Herrschenden nutzen, zu sich Bewegung und institutionelle Po- men, wird ein langer Weg von Wider- benennen, um sie zu überwinden. Wir litik in Gestalt unserer Partei und der sprüchen, Erfolgen und Rückschrit- stehen auf den Schultern von histori- rot-rot-grünen Landesregierung in ei- ten. Darunter wird gesellschaftlicher schen Bewegungen, die wir in der LIN- nen dynamischen Prozess der Gesell- Fortschritt nicht zu haben sein. KEN versuchen zu einigen. schaftsveränderung begeben haben. Die Trennung von materiellen und Die großen Demos, das Volksbegeh- Katina Schubert ist Landes- identitätspolitischen Forderungen ren »Deutsche Wohnen und Co. ent- vorsitzende der LINKEN Berlin

12 DISPUT Januar 2020 LINKSAKTIV

Haustürwahlkampf Hamburg

m 23. Februar 2020 fin- den in Hamburg die Bür- A gerschaftswahlen statt. Die Genoss*innen stehen in den Start- löchern, um das solidarische Ham- burg von morgen zu erkämpfen: sozial gerecht, echt demokratisch und ökologisch. Wer Lust und In- teresse hat, den hohen Norden zu besuchen, an Hamburger Haustü- ren zu klopfen und damit DIE LIN- KE. Hamburg im Wahlkampf zu un- terstützen, ist herzlich eingeladen!

Unter https://www.die-linke.de/wahlkampfhamburg/ könnt ihr euch anmelden, um über Wahlkämpfe, Aktions- schwerpunkte und konkrete Aktivitäten informiert zu werden oder euch direkt für Wahlkampfaktionen einzutragen.

Newsletter abonnieren und nichts mehr verpassen!

Du möchtest immer auf dem neuesten Stand der LINKEN sein? Du möchtest keine Kampagne mehr verpassen, immer wissen über welche Themen wir gerade auf Bundes- und Landesebene diskutieren oder welche Aktionen bald anstehen? Dann abonniere unseren wöchentlichen Newsletter! Er ist der elektronische Mitgliederrundbrief der LINKEN und wird von einer mehrköpfi gen Redaktionsgruppe jede Woche für Euch erstellt. https://www.die-linke.de/start/newsletter/

Telegram

Du möchtest aktuelle Infos von uns direkt auf Dein Smartphone erhalten? Nichts leichter als das, melde Dich einfach für unseren Messenger-Dienst bei Telegram an: t.me/die_linke Du hast den Telegram-Messenger nicht auf Deinem Smartphone? Dann schau mal hier: telegram.org

DISPUT Januar 2020 13 OB-WAHL Wahlerfolg im Norden BJÖRN THOROE hat in Kiel für das Amt des Oberbürgermeisters kandidiert und 9,1 Prozent geholt. Im Interview erzählt er, wie er das gemacht hat

Erstmal herzlichen Glück- ben wir ein echtes Ein-Euro-Tagesti- wunsch zum guten Ergebnis. cket gefordert, weil der Nahverkehr Nicht alle kennen sich im Nor- sehr teuer ist. Langfristig wollen den aus – erzähl mal, wie ist wir einen kostenfreien ÖPNV. die Situation in Kiel? Dazu kommt: In den vergangenen Kiel ist, zumindest in Westdeutsch- Jahren wurden Schwerpunkte auf land, die am stärksten sozial pola- Großprojekte gelegt. Der nun wie- risierte Stadt. Das heißt, wir haben dergewählte Oberbürgermeister Stadtteile, wo sehr viele Menschen ist gleichzeitig noch Wirtschafts- mit wenig Geld wohnen und Stadt- dezernent, das merkt man an sei- eile, in denen Menschen mit sehr nem Agieren. Er hat zum Beispiel Grafi ken: DIE LINKE. Kiel viel Geld wohnen. Was in Kiel auf in der Innenstadt einen riesengro- jeden Fall eine Rolle spielt, ist Woh- ßen Kanal graben lassen, aber kei- hatten uns verschiedene Zielgrup- nungspolitik. Hier, wie in vielen an- ne Mitarbeiterinnen und Mitarbei- pen eingerichtet: Menschen in den deren Städten auch, sind die Mie- ter, um Schulen zu sanieren. ärmeren Stadtteilen haben wir mit ten stark gestiegen in der letzten Also unsere drei großen Themen- dem Thema Wohnungspolitik be- Zeit, Vonovia hat sehr viele Woh- schwerpunkte waren: Bezahlbarer spielt. In den studentischen Stadt- nungen gekauft. Das war auch ein Wohnraum, Klimanotstand und Ver- teilen haben wir Klimanotstand Schwerpunkt unseres Wahlkampf- kehrspolitik plus unsinnige Pres- und Verkehrswende gespielt. Auch es, wir haben zum Beispiel gefor- tige-Projekte, die nur den oberen mit durchaus radikalen Themen. dert, dass Vonovia in ärmeren zehn Prozent etwas bringen. Wir haben gesagt, wir wollen die Stadtteilen nicht einfach moderni- Wie habt ihr die Leute ange- Parkplätze verringern, wir wollen sieren darf, sondern eine Genehmi- sprochen? alle vierspurigen Straßen zweispu- gung braucht und wir wollten eine Wir haben viel mehr als sonst über rig machen und Radfahrer*innen Kieler Wohnungsbaugesellschaft Social Media gearbeitet. Ein Drittel und Fußgänger*innen den Raum auf den Weg bringen. Und dass bei unseres Etats ist in Werbung auf zurückgeben. Neubauten mindestens 50 Prozent Facebook und Instagram gefl ossen. Und im Offl ine-Wahlkampf? Sozialwohnungen sind. Wir hatten am Ende eine Reichwei- Wir haben über 4.000 Aufkleber ge- Was in Kiel noch eine große Rol- te von über 40.000, so viele Flyer druckt, die sind dann in der Stadt le spielt, ist Verkehrspolitik. Es kann man gar nicht verteilen. Und verklebt worden. Und wir hatten geht zum einen um den Neubau ei- es hat natürlich den großen Vor- noch Plakate, 200 Standorte, was ner Straßenbahn. Zum anderen ha- teil, dass es zielgerichtet ist. Wir nicht so richtig viel ist in Kiel, aber gereicht hat, um fl ächendeckend sichtbar zu sein in der Stadt. Und dann haben wir noch ungefähr 15.000 Flyer verteilt. Haustürwahl- kampf haben wir nur in Gaarden gemacht, wo wir auch unser bes- tes Ergebnis hatten, ansonsten ha- ben wir eher Infostände gemacht. Zum Beispiel direkt an der Uni, aber auch zu verschiedenen Zeiten in der Innenstadt, in Gaarden und Mettenhof. Damit haben wir viele Leute angesprochen. Was war wichtiger, Social Me- dia oder direkte Ansprache? Beides war wichtig. Nur so konnten wir die verschiedenen Zielgruppen erreichen. Also einmal die Men- schen in prekären Lagen über das Wohnungsthema, aber auch das studentisch-grüne Milieu.

14 DISPUT Januar 2020 Und wenn man ein gutes Ergeb- nis bekommen will, muss man die auch beide ansprechen. Das funk- tioniert auch. Ich würde aber auch sagen, dass Social Media ausschlag- gebend war. Wie seid ihr mit euren Themen durchgedrungen? Wohnen geht eigentlich alle an. Für alle ist es ein Problem, wenn die Mieten steigen. Bei anderen The- men ist es kritischer – nicht jedem Rat, beim Bündnis für bezahlbaren Ich war überrascht. Der CDU-Kan- gefällt, dass Parkplätze wegfallen, Wohnraum. Das war natürlich gut. didat hat versucht, die Autolobby Aufmerksamkeit bringt es trotz- Dazu muss man sagen, wir machen hinter sich zu versammeln. Und dem. Wir hatten 14 Podiumsdis- in dem Bündnis schon sehr lan- selbst auf Stadtteil-Podien außer- kussionen in der Stadt, mit allen ge mit, das heißt, wir waren auch halb, wo viele Leute garantiert ein vier Kandidat*innen. Und da merk- glaubwürdig bei dem Thema. Auto besitzen, ist er damit nicht te man schon, dass unsere The- Das heißt, die Verankerung sonderlich gut angekommen. Das men die Themen waren, über die spielt da auch eine Rolle? fand ich wirklich interessant. Weil die Leute geredet haben. Besonders Ja, das glaube ich schon. Ich mache das ja zeigt, selbst wenn die Leu- Wohnen und Verkehr, die Schwer- seit 20 Jahren linke Politik, auch te ein Auto haben, wissen sie, dass punkte haben wir gut gewählt. Das außerhalb der Partei, da lernt man das keine Lösung für die Zukunft größte Podium war von den Kieler mit der Zeit viele Leute kennen. ist. Also ja, da kann man wirklich Nachrichten mit 600 Leuten im Au- Und, das haben wir im Vorwahl- ein bisschen mutiger sein. dimax, aber auch kleinere, mit 20 kampf gemacht: Wir waren bei ver- Wovon könnten andere LINKE Leuten. Wir waren bei der IHK, bei schiedenen Verbänden, Vereinen Kandidat*innen lernen? der »Digitalen Woche«, beim jungen und Initiativen, das hat mir auch Es gibt da so einen konstruierten nochmal neue Infos für meine Ar- Konfl ikt in der Partei: Man müs- beit im Rat gebracht. Ich war bei se sich zwischen den Zielgruppen der GEW, Umweltverbänden, im Be- »Hipster-Großstadtmilieu« und »är- triebsrat vom städtischen Kranken- meren Menschen« entscheiden. haus, im Frauenhaus und bei der Man kann beide ansprechen! Auf Björn Thoroe türkischen Gemeinde, beim AStA, jeden Fall Social Media nutzen, Ver- bei HAKI, das ist eine schwul-lesbi- ankerung in Bündnissen und ir- sche Interessenvertretung, bei der gendein Element, was auffällt und Björn Thoroe ist Landesge- Deutsch-Kurdischen Gesellschaft, aneckt, so wie die Aufkleber. Prä- schäftsführer der Partei DIE bei ver.di, bei der alevitischen Ge- senz vor Ort zeigen. Das kommt LINKE in Schleswig-Holstein meinde und hab mich da vorge- dann alles zusammen. und Mitglied im Kieler Bündnis stellt. Damit erreicht man zwar kei- Wie geht es für euch weiter? für bezahlbaren Wohnraum. ne Massen, aber man bekommt gu- Wir nehmen die Anregungen aus Bei der Oberbürgermeister- te Ideen für den Wahlkampf und da den Gesprächen mit für Anträge wahl in Kiel erreichte er im kommt man nochmal ganz anders für unsere Ratsarbeit. Wir haben Stadtteil Gaarden, wo vorwie- ins Gespräch. gezeigt, dass wir eine eigenständige gend Menschen mit geringem Und du bist da offensiv aufge- politische Kraft sind, mit der man Einkommen leben, 23,9 Pro- treten? rechnen kann. Jedes halbe Jahr zent und im Stadtteil Mitte, wo In meinem Flyer habe ich ganz klar machen wir eine kommunalpoliti- studentisch-grünes Milieu zu geschrieben, dass ich Sozialist und sche Konferenz auf Landesebene, Hause ist, 13,1 Prozent. Insge- Antifaschist aus ganzem Herzen das heißt, wir versuchen schon, uns samt wurde DIE LINKE mit 9,1 bin. Wir haben uns da nicht ver- von unten zu verankern, damit wir Prozent drittstärkste Kraft in steckt, die Leute wussten schon, 2022 wieder in den Landtag kom- der Landeshauptstadt. worauf sie sich einlassen. men. Das heißt, es lohnt sich, ein bisschen mutiger zu sein… Interview: Nina Rink

DISPUT Januar 2020 15 MIETENKAMPAGNE

Foto: T. Marotzke

Hamburg Lüneburg Wustermark

Foto: Janis Wisliceny

■ WUSTERMARK lungsteile auf. Schleichend sind in gels Mehrheiten scheiterten, wurden den vergangenen vier Jahren 90 Pro- plötzlich Anträge der LINKEN zu Er- Sozialer Wohnraum zent der Sozialwohnungen aus der Be- haltungssatzungen und der Kappungs- legungsbindung gefallen. Bei Neuver- grenze angenommen. Aktuell unter- fehlt nicht nur in mietung liegen die Preise auf Berliner stützen die Genoss*innen die Mie- Niveau. Laut einem Gutachten, wel- terinitiative bei einer Petition für so- den Städten ches auf Antrag der Fraktion DIE LIN- zialen Wohnraum. Die Petition kann KE in der Gemeindevertretung 2019 noch bis zum 28. Dezember 2019 unter VON TOBIAS BANK erstellt wurde, hätten 25 Prozent der gleft.de/3e0 im Internet unterschrie- Menschen vor Ort einen Anspruch ben werden. Die Bundeshauptstadt vor der Tür und auf sozial geförderten Wohnraum. überall Grün. So könnte die branden- Am Rande einer Veranstaltung im Mai Tobias Bank ist Mitglied der burgische Gemeinde Wustermark be- 2019, auf der DIE LINKE über den Ver- Gemeindevertretung Wustermark schrieben werden. Entsprechend groß kauf eines Siedlungsteils an die DW ist der Zuzugsdruck aus Berlin und die die ahnungslosen Mieter*innen infor- Investoren stehen Schlange. Einfami- mierte, gründete sich eine Mieterini- ■ LÜNEBURG lienhäuser schießen auf immer klei- tiative. Auf Anhieb kamen über 100 neren Grundstücken wie Pilze aus Unterstützer*innen zusammen, die in Vernetzung und dem Boden. Die Verdichtung nimmt mehreren Flugblattaktionen und Zei- ex tremere Auswüchse an. In der tungsberichten auf den fehlenden so- Kooperation Wohnraumpolitik der Gemeindever- zialen Wohnraum und den Ausver- waltung haben Wörter wie »sozialer kauf an die DW aufmerksam mach- VOM KREISVERBAND LÜNEBURG Wohnungsbau«, »kommunaler Wohn- ten, das Fernsehen nach Wustermark raum« oder »Mietgeschosswohnungs- holten und Unterschriften sammelten. Welche Probleme sehen wir in der bau« kein Gewicht. Unternehmen wie Der öffentliche Druck zeigt Wirkung: Wohnungsfrage und was kann dage- Vonovia und Deutsche Wohnen (DW) Während in den vergangenen Jahren gen wie getan werden? Diese Frage sicherten sich schon vor Jahren Filet- alle Initiativen der LINKEN für sozia- war der Ausgangspunkt der Überle- grundstücke oder kauften ganze Sied- len und bezahlbaren Wohnraum man- gungen des Kreisverbandes. So hat-

16 DISPUT Januar 2020 tik darstellen, denn die Unterschiede treten hinter den Gemeinsamkeiten der Akteure zurück. Entscheidend sind dabei der au- ßerparlamentarische Ansatz und die Selbstorganisation Betroffener. Struk- turen der Gegenmacht und Öffentlich- keit werden durch Netzwerkarbeit ge- schaffen. Zudem wird damit erst die Grundlage für wirksame parlamenta- rische Initiativen bereitet.

■ HAMBURG Wahlkampfthema Mietenwahnsinn VON FLORIAN WILDE

Die seit Jahren dramatisch steigen- den Mieten haben Hamburg zu ei- Foto: Harald Singler nem Epizentrum des Mietenwahn- sinns in Deutschland werden lassen. te sich auch die Situation in Lüneburg tig ist anfangs nicht die politische Gleichzeitig hat sich die Stadt aber verschärft, wie sich in Recherchen, Maximalforderung, sondern über- auch zu einer Hochburg der Protes- Gesprächen und Anfragen heraus- haupt gemeinsam den Kampf aufzu- te gegen hohe Wohnungskosten und stellte. Wir entwarfen im Kreisver- nehmen. So können Diskurse gesetzt Gentrifi zierung entwickelt. Seit 2009 band ein Wohnkonzept, das Ursachen, und durch außerparlamentarischen hat ein »Recht auf Stadt«-Netzwerk Probleme und Lösungsansätze für Lü- Druck Einfl uss auf die parlamentari- mehrere Großdemonstrationen mit neburg formulierte und mit den Mit- sche Arbeit genommen werden. Die tausenden Teilnehmer*innen orga- gliedern beraten und verabschiedet Berliner Enteignungsdebatte rund nisiert und die Mietexplosion immer wurde. Anschließend stellten wir es um »Deutsche Wohnen« ist ein gutes wieder mit kreativen Aktionen ange- der Öffentlichkeit vor. Beispiel hierfür, sie hat den Mieten- prangert. DIE LINKE war von Anfang Die Frage nach Handlungsmög- deckel erst möglich gemacht. an Teil dieser Bewegung. Die Protes- lichkeiten ist auch eine des Politik- Von diesem Verständnis aus te haben dazu beigetragen, dass die verständnisses. Wir wollten keine gründeten wir mit Betroffenen eine Wohnungsfrage in Hamburg, aber Stellvertreterpolitik, in der wir für Mieter*inneninitiative. Wir unterstüt- auch bundesweit, zu einem zentra- andere die Probleme lösen. Stattdes- zen diese organisatorisch und inhalt- len Thema der politischen Agenda sen war der Anspruch, auf Augenhö- lich, sie bleibt jedoch politisch selbst- geworden ist. Es wurden in Ham- he mit Betroffenen gemeinsam ihre ständig. Entscheidend ist die Vernet- burg auch ganz konkrete Erfolge er- politische Selbstermächtigung zu or- zung der Initiative mit vorhandenen zielt und eine Reihe von Gebäuden ganisieren. Sie sollten durch prakti- Akteuren, um für ein gemeinsames der Verwertungslogik entrissen und sche Erfahrung Fähigkeiten entwi- Ziel zusammenarbeiten zu können. In in genossenschaftliches Eigentum ckeln, um selbstständig für ihre In- Lüneburg gründete sich durch Vernet- überführt, wie beispielsweise das teressen eintreten zu können. Das zung und Kooperation das »Netzwerk Gängeviertel. Allerdings konzentrie- strategische Ziel hierbei: die kurz- Lüneburg Sozial« aus vielfältigen Ak- ren sich diese punktuellen Erfolge bis mittelfristige Verbesserung der teuren. Ziel ist eine Wende der Woh- auf die innerstädtischen Wohngebie- Lage Betroffener. Dies soll durch ge- nungspolitik in Lüneburg weg von te. Eine umfassende Absenkung der meinsame soziale Kämpfe erreicht Renditeorientierung, hin zu Wohnen Mieten und konkrete Erfolge auch werden, die Eigentums- und Macht- als Menschenrecht. Das kann den Be- jenseits der Szene-Stadtteile konnte verhältnisse in Frage stellen. Wich- ginn einer verbindenden Klassenpoli- bisher trotz aller Bemühungen nicht

DISPUT Januar 2020 17 MIETENKAMPAGNE

erreicht werden. Gerade DIE LINKE Strukturen gefunden haben. ne Stück »Wir wolln den Mie-ten-de- kann bei einer Ausweitung der Be- Am 26. Oktober gab es gleich die ckel« (auf die Melodie von »Ster-nen- wegung eine wichtige Rolle spielen, erste Aktion: In Fuhlsbüttel demonst- himmel«). Die Aktion fand ein breites verfügt sie doch als fast einzige lin- rierten wir auf Initiative einer lokalen Medienecho. Viele weitere Aktionen ke Kraft in Hamburg über Strukturen Stadtteilgruppe vom dortigen S-Bahn- sind für die nächsten Monate in Pla- auch in den Außenvierteln. hof zu einem Haus mit horrenden nung, darunter eine Kundgebung am Anfang Oktober haben wir unse- Mieten. Es kamen 35 Genoss*innen 14. Dezember für die Öffnung des re Mietenkampagne mit einer Partei- und Anwohner*innen – gar nicht we- Winternotprogramms auch tagsüber tagsaktion gestartet. Entlang der drei nig für diese demonstrationsarme Ge- für Obdachlose, und am 21. Dezem- Säulen der Bundeskampagne – Mie- gend. Unterstützt wurden wir von un- ber eine Aktion in Ohlsdorf, bei der tendeckel, Enteignungen und Sozial- serem aufblasbaren »Miethai«, der Anzugträger in Zelten und Schlafsä- wohnungen – wollen wir nun insbe- hervorragend als Blickfang funktio- cken auf die Wohnungsnot aufmerk- sondere während des anstehenden nierte. Am 16. November forderten sam machen. Bürgerschaftswahlkampfes im gan- wir mit einer Kundgebung in Steils- Wir hoffen, so auf eine organische zen Stadtgebiet Aktionen und Kund- hoop die Enteignung der dortigen Vo- Weise den Aufbau einer starken Mie- gebungen gegen den Mietenwahn- novia-Wohnungen und steckten un- terbewegung insbesondere in den Au- sinn organisieren. Als Träger der sere »Vonovia enteignen«-Flyer in die ßenvierteln mit dem Aufbau der LIN- Kampagne bauen wir einen »Offenen Briefkästen der Häuser des Immobi- KEN als wichtige Akteurin dieser Be- Aktionskreis LINKE Mietenkampag- lien-Konzerns. Anlässlich der Vorstel- wegung und mit unserem Wahlkampf ne« auf. Er soll mit seinen monatli- lung des neuen Mietenspiegels in der zu verbinden. Denn aus der Berliner chen Treffen eine niedrigschwellige Landespressekonferenz protestierten Erfahrung haben wir gelernt: je stär- und aktionsorientierte Möglichkeit wir am 26. November vor dem Rat- ker DIE LINKE, desto eher kommt ein bieten, sich in den Wahlkampf ein- haus gegen den Mietenwahnsinn und Mietendeckel. zubringen, und richtet sich vor allem forderten die Einführung eines Mie- an Genoss*innen, die bisher noch tendeckels auch für Hamburg. Da- Florian Wilde ist Mieten-Campaigner nicht den Weg in unsere eigentlichen bei sangen wir das selbstgeschriebe- der LINKEN in Hamburg

Anzeige Kritischer Blick, klare Worte, linke Perspektive Lernen Sie uns kennen: nd.DieWoche + nd.kompakt 10 Ausgaben für 10 Euro 10 Samstage gedruckt frei Haus Jetzt gleich bestellen! plus das Beste vom Tag online Telefon lesen mit nd.kompakt (030) 2978-1800 www dasND.de/ZehnfuerZehn

18 DISPUT Januar 2020 FEUILLETON

as wünscht man so zum Jahresbeginn. Aber die Zeiten, als das Wünschen noch half, zwingen die Staatslenker zu Überstun- ben der Hausbesitzer schützen. sind vorbei. Das galt den und Kompromissen. Deutschland Die Spezialisten für Luxusbuden D nur, solange ein ungefähres Gleich- und Frankreich ernten viele Fußtritte wollen aber erst vor Gericht hören, gewicht zwischen dem Guten und von Mister Trump. Aber die hiesigen dass die Väter des Grundgesetzes dem Bösen auf diesem Erdball be- Minister für Verteidigung, Wirtschaft derlei zum Schutz des Gemein- stand. Eine sachliche Debatte, wo- und Außenpolitik küssen dennoch sei- wohls erlaubt haben. Die Zweifel ran man das Gute oder das Böse ne Füße. Deutschland spendiert noch sind verständlich, weil ja ansons- erkennen kann, hat bis heute nicht mehr Geld für die NATO. Auch für Aus- ten in diesem Reich der Reichen stattgefunden. Nach1990 verkün- landseinsätze der Bundeswehr. Dem- alles getan wird, um die Unter- deten die jeweiligen Herrscher der nächst ziehen 37.000 Soldaten aus nehmer bei Laune zu halten. Im- USA den Endsieg des Turbo-Ka- 16 Bündnisstaaten und mit schwe- merhin rechnen die 30 wichtigs- pitalismus. Sie nennen sich die rem Kriegsgerät zum Manöver vor Pu- ten deutschen Konzerne auch 2019 stärkste Militärmacht aller Zeiten. tins Haustür. Das wird der dritte Auf- mit Gewinnen um 25 Prozent. Da Sie nennen alle Staaten, die ihre marsch seit 100 Jahren mit deut- werden auch die Stadtvillen und Wünsche nicht umgehend erfüllen, schen Panzern im Balkan und im Balti- Suiten nicht leer bleiben. Nur die Schurkenstaaten. Sie senden Ul- kum! Vielleicht stoßen unsere Jungen Rentenkassen klagen jetzt schon, timaten und Drohnen aus, um Re- da noch auf Opas Helm? Er hatte ihn dass sich Ebbe anbahnt. Die Bun- gimewechsel zu erzwingen. Und beim Rückzug abgeworfen und ge- desbank schlägt deshalb vor, das doch haben immer mehr Regime- schrien: »Nie wieder!« Rentenalter auf 69 Jahre zu erhö- kritiker den Eindruck, dass die Frei- Hier im Zentrum wurde wie- hen. Wer dann noch von Schicht heitsstatue den Arm mit der Fackel der so viel geböllert, dass kein böser kommt, geht nicht mehr zur Demo. sinken lässt und die eigene Haut Geist überleben sollte. Ein grünlicher Er streckt sich nach der Decke. verbrennt, weil andere Mächte Gut-Geist hatte gewarnt, dass in der Aber vielleicht wird unsere Decke mächtiger werden. Beim Blick auf Silvesternacht 15 Prozent des Jah- auch bald wieder länger und brei- Peking und Moskau treten in Wa- resaufkommens an Feinstaub in die ter. Die NATO muss nur erst den shington und London immer öfter Luft geblasen wird. Aber Deutschland Einmarsch der Russen und Chine- Fälle von politischer Tollwut auf. steht ja beim Klimaschutz auf Rang sen aufhalten und das geht nicht Europa mit Berlin und Paris 23, hinter Rumänien. Da kann Berlin mit Silvester-Böllern! Nun wissen entwickelt sich zur Knautschzone kein Luftkurort werden! wir auch, warum die Neujahrs- zwischen zwei gewaltigen und ge- Hingegen hat unser rot-rot-grüner Se- reden am Schluss immer fl ehen: walttätigen Machtblöcken. Mäch- nat viel Beifall und einige Buh-Rufe »Gott schütze unser Vaterland!« In tige Bewegungen mit Gelben Wes- für den Mietendeckel empfangen. Der der Bibel stehen aber nirgends die ten oder Schultaschen, Streikhel- wird die Kleinverdiener in unserer Namen Trump, Johnson, Gauland men und Enteignungsforderungen Mieterstadt vor den Daumenschrau- oder Merz.

JENS JANSEN

Illustration: Ale Sund ALLES GUTE?

DISPUT Januar 2020 19 AFD-PARTEITAG Strategische Camoufl age Die AfD nach dem Parteitag – zwischen Rechtskurs und Regierungsverantwortung VON GERD WIEGEL

wei Signale gehen vom AfD- Parteitag in Braunschweig aus: Z Der Rechtskurs der Partei wird auch personell bestätigt und die AfD bringt sich als Regierungsalternati- ve für »bürgerliche« Mehrheiten ins Spiel. Nach den erfolgreichen Wah- len in Ostdeutschland sieht sich die Partei offensichtlich stark genug, die Union auch zu Bündnissen mit einer in weiten Teilen völkischen Partei bewegen zu können. Und tatsächlich mehren sich die Anzeichen für eine Annäherung von Union und AfD in einzelnen Ländern.

Rechtskurs: Personelle Bestätigung

ohne Durchmarsch Foto: DIE LINKE Niedersachsen

Mit der Wahl der Bundessprecher nem Ergebnis von 69,2 Prozent gegen- geordneter seine Kandidatur für den Jörg Meuthen und hat über 24,8 Prozent für Nicole Höchst Co-Vorsitz neben Meuthen angekün- sich die vom bisherigen Vorstand fa- und 3,8 Prozent für Wolfgang Gede- digt. Als dritte Kandidatin bewarb vorisierte Lösung für die Führung on durchzusetzen. Damit erzielte er, sich Dina Guth, Landes- und Frak- der Partei durchgesetzt. trotz seiner klaren Abgrenzung in der tionsvorsitzende in Niedersachsen. Von Jörg Meuthen stand lange Bewerbungsrede von einer weiteren Guth wird eher dem national-libera- schon fest, dass er erneut für den Pos- Rechtsverschiebung der Partei, ein len Teil der Partei zugeordnet. ten eines Bundessprechers kandidie- nur unwesentlich schlechteres Ergeb- Mit 54,5 Prozent zu 41,2 Prozent ren wollte. Trotz seiner Anbiederung nis als vor zwei Jahren. Offensichtlich konnte sich Chrupalla in einer Stich- an die »Flügel«-Leute und seiner Be- will der Teil der Partei, der nicht of- wahl gegen Curio durchsetzen, womit suche beim Kyffhäusertreffen wird fen in die Strukturen des »Flügels« ganz offensichtlich die von Gauland Meuthen nach wie vor als Gegner der eingebunden ist, Ruhe, Kontinuität mit dem »Flügel« und den National- Völkischen in der Partei angesehen. und ein verbal gemäßigtes Auftreten Liberalen getroffenen Absprachen so- Tatsächlich ist es aber seine markt- nach außen, für das Meuthen steht, weit gehalten haben, dass Chrupalla radikale Haltung in sozialpolitischen ohne damit den Einfl uss der extre- gewählt wurde. Formal ist Chrupal- Fragen und die Orientierung auf ei- men Rechten in der Partei entschei- la kein »Flügel«-Mitglied, gilt aber als ne Annäherung an die Union, die ihm dend einzudämmen. Vertrauter der wichtigen Anführer die Ablehnung dieses Teils der Partei Mehr Spannung bot die Wahl für dieser Richtung, wie Jörg Urban, An- einbringt. So wurde mit der Bundes- den zweiten Sprecherposten. Nach dreas Kalbitz und Björn Höcke. tagsabgeordneten Nicole Höchst eine der Ankündigung Alexander Gau- Der neugewählte Vorstand der eigene Kandidatin des »Flügels« ins lands, nicht mehr für die Parteispit- Partei dokumentiert den noch einmal Rennen geschickt. Nicht die Abwahl ze kandidieren zu wollen, wurde der gewachsenen Einfl uss des völkischen Meuthens, sondern die Verhinderung Bundestagsabgeordnete Tino Chru- »Flügels«, ohne jedoch einen Durch- eines zu guten Ergebnisses für ihn, palla von Gauland und dem Vor- marsch dieser Richtung zu markie- scheint das Ziel hinter diesem Manö- stand als Nachfolger aufgebaut. Mit ren. Das zeigt sich nicht nur in der ver gewesen zu sein. Der durch zahl- , einem der schlimms- Besetzung von Vorstandsposten mit reiche antisemitische Äußerungen be- ten Hetzer der AfD-Bundestagsfrak- »Flügel«-Leuten, sondern auch daran, kannte Wolfgang Gedeon war der drit- tion, hatte kurzfristig und völlig über- dass Neoliberale wie in te Kandidat für den Posten. raschend ein rhetorisch geschickter Absprache mit der völkischen Rech- In diesem Bewerberfeld fi el es und medial innerhalb der AfD und ih- ten gute Ergebnisse erzielten und da- Meuthen nicht schwer, sich mit ei- res Umfeldes äußerst präsenter Ab- mit nun auch von diesem Teil der Par-

20 DISPUT Januar 2020 tei abhängen. Mit , der AfD wie in Thüringen, man wür- Für viele einfache CDU-Mitglieder Andreas Kalbitz, , de einen CDU-Kandidaten zum Minis- ist es nicht zu verstehen, dass man Alexander Wolf und Joachim Paul terpräsidenten wählen, sollen diesen zu einer Partei, mit der man zahlrei- konnte die Parteirechte ihre Leute Druck in der Union erhöhen. che reaktionäre Überzeugungen teilt, in den Vorstand schicken. Fast noch Am Beispiel Sachsen-Anhalts Abstand halten soll, während man wichtiger: Vertreter einer (im Auftre- sieht man, dass die politische Spit- mit einer lebensweltlich völlig frem- ten) eher gemäßigten, konservativ- ze der Landes-CDU nur mit größ- den Partei wie den Grünen Bündnis- bürgerlichen Politik, wie der Berli- ter Mühe die Debatte um »bürgerli- se eingeht. ner Landesvorsitzende Georg Pazder- che« Bündnisse mit der AfD im Zaum Für die AfD bleibt diese Situation ski oder die Bundestagsabgeordneten halten kann. Immer wieder kommt so lange bequem, wie es nicht zum und , es im Landesverband zu Vorstößen Schwur kommt. Inhaltlich ist sie wurden beim Parteitag – auch ob ih- auch prominenterer Vertreter, sol- noch nirgends auf Regierungsverant- rer kritischen Äußerungen zu Höcke che Bündnisse nicht auszuschließen. wortung eingestellt und in den Köp- und zum »Flügel« – abgestraft und Auch in Thüringen ließen sich nach fen von Leuten wie Höcke sind weder nicht wieder gewählt. der Wahl CDU-Politiker der zweiten Kompromisse noch Abhängigkeiten und dritten Reihe mit ähnlichen For- von Partnern vorgesehen. Man wer- derungen vernehmen. Fatal dabei ist, de regieren, wenn man 51 Prozent Anspruch auf dass hier über mögliche Koalitionen der Stimmen habe, so ließ sich Höcke Regierungs- mit der völkisch-radikalsten Ausrich- vernehmen. Etwas realpolitischere tung der AfD laut nachgedacht und Strategen wie Kalbitz oder Gauland verantwortung so der von der AfD gewünschte Nor- wissen jedoch, dass es so nicht laufen malisierungsprozess vorangetrieben wird. Also wird es für die AfD darum Als Botschaft nach außen sollte vom wird. Würde das Tor der Zusammen- gehen, den Druck auf die Union auf- Parteitag die Bereitschaft zur Über- arbeit aber zu diesem Teil der AfD recht zu erhalten, die eigene Stärke nahme von Regierungsverantwor- geöffnet, gäbe es gegenüber der Ge- auszubauen und sich inhaltlich brei- tung ausgehen. Gauland, Meuthen samtpartei kein Halten mehr. ter aufzustellen. Meuthen und Chru- und Chrupalla schworen die Dele- Parteistrategisch wäre diese Form palla sind für einen solchen Kurs der gierten darauf ein, schon bald für der »Normalisierung« der AfD für die strategischen Camoufl age genau die eine solche Übernahme von Verant- CDU fatal – was Söder in Bayern in- Richtigen. wortung bereit sein zu müssen. Unter zwischen begriffen hat. Allerdings ist welchen Bedingungen die AfD dazu die AfD dort auch nicht zweitstärkste Gerd Wiegel ist Referent für Rechts- bereit ist, blieb allerdings offen und Kraft oder liegt gar, wie in Branden- extremismus und Antifaschismus der ist umstritten. Dennoch hat sich hier burg und Thüringen, vor der CDU. Fraktion DIE LINKE im Bundestag eine Veränderung der verbalen Posi- tionierung ergeben, denn noch vor zwei Jahren äußerte sich Gauland 20.000 Menschen protestierten gegen den AfD-Parteitag in Braunschweig mehr als skeptisch zum Thema Re- Foto: Marius Angelmann gierungsverantwortung. Mit diesen Äußerungen zielt die AfD-Führung auf die Union, die vor allem in den ostdeutschen Bundes- ländern unter enormen Druck steht. Der Gang in ungeliebte Kenia-Koa- litionen wie in Sachsen-Anhalt und jetzt auch in und Sach- sen, sorgt in den zumeist konserva- tiv-reaktionären Landesverbänden der Union für eine massive Verstim- mung, weil – nach Ansicht der Kri- tiker – in Bündnissen mit den Grü- nen das konservative Profi l der Uni- on noch weiter verblasse und den Zulauf zur AfD befördere. Angebote

DISPUT Januar 2020 21 INTERNATIONAL Rechte Allianzen Die Umbrüche in Lateinamerika stellen auch die europäische Linke vor Herausforderungen VON HEIKE HÄNSEL

ateinamerika befi ndet sich in und der Sanktionen betonte. Die Staatsmacht schlägt brutal zu- Aufruhr. Nach dem In Bolivien dauerte es nicht lan- rück: Mehr als 350 Demonstrant*innen L der 1990er Jahre, der für lange ge, bis die Bundesregierung und die haben durch Geschosse der Polizei ihr ausgegrenzte Teile der Bevölkerung EU die ebenfalls selbsternannte Inte- Augenlicht ganz oder teilweise einge- einen politischen und wirtschaftli- rimspräsidentin anerkannten. Dass büßt, Frauen wurden in Haft sexuell chen Aufstieg und gesellschaftliche die Begründung des Putsches, ein an- missbraucht, tausende wurden ver- Gleichberechtigung bedeutete, ist die geblicher Wahlbetrug durch die Regie- letzt, hunderte willkürlich festgenom- rechte Oligarchie wieder auf dem Vor- rung von Evo Morales bislang nicht men. Nicht nur das erinnert an die Pi- marsch. Allerdings nicht aus eigener belegt werden konnte, übergehen die nochet-Diktatur: Panzer rollten wie- Kraft. Denn dort, wo die Rechte Erfol- Unterstützer eines Regime-Change. der auf den Straßen Santiagos. Als die ge verbucht, haben die USA und die Ebenso wie die Dutzenden Toten und Menschen auf die Plaza Italia ström- EU einen erheblichen Anteil daran. mindestens zwei Massaker seit der ten, fl og die Luftwaffe mit »Puma«- Seit Jahren arbeiten unter anderem Machtergreifung des De-facto-Regi- Kampfhubschraubern im Tiefflug US-Regierungsagenturen, europäi- mes. Akzeptiert wird in Berlin, Brüssel über sie hinweg. Diese Helikopter sind sche Stiftungen und die rechte EU-Par- und Washington auch, dass viele au- den Chilenen noch in schlimmer Erin- lamentsmehrheit an einem neolibera- ßenpolitische Maßnahmen der De-fac- nerung. Während der Diktatur dien- len Rollback. Auch wenn sie dabei Er- to-Regierung in Bolivien durch kein ten sie den »Todesfl ügen«: Politische folge hatten, zeigen die erstarkenden demokratisches Mandat gedeckt sind. Gefangene wurden damit auf das of- sozialen Bewegungen in Staaten wie Ist der Kampf also verloren? Mit- fene Meer gefl ogen und gefesselt, tot Brasilien, Chile, Kolumbien und Ecua- nichten! Denn zugleich sehen wir in oder halbtot von Bord geworfen. Trotz- dor, dass die Geschichte an dieser Stel- den vergangenen Monaten und Jah- dem gehen die Massenproteste weiter. le nicht endet. ren, dass sich die Oligarchien als his- Mittlerweile geht es längst um mehr Deutlich wie selten wurde die »Re- torische Alliierte der imperialen Zen- als die Fahrpreiserhöhungen, die aus gime-Change-Agenda« in Venezuela im tren nur noch mit zunehmender Ge- Zeiten Pinochets stammende Verfas- Februar 2019. Nachdem sich der bis walt an der Macht halten können. In sung soll neu geschrieben werden. dahin weitgehend unbekannte Op- Chile begehrt die Bevölkerung in ei- positionspolitiker Juan Guaidó selbst ner Massivität gegen die neoliberale zum Interimspräsidenten ernannt Politik von Sebastián Piñera auf, dass Keine Strohfeuer hatte, dauerte es nicht lange, bis ihn viele bereits von einer revolutionä- die USA und ein Großteil der EU-Mit- ren Situation sprechen. Piñera selbst Massiver Widerstand formiert sich gliedsstaaten anerkannten. Schon sinkt in den Umfragewerten und wird auch in Kolumbien. Auch hier sind es nach dem versuchten Staatsstreich als unbeliebtester Präsident des Lan- zahlreiche Missstände, die dazu führ- gegen Hugo Chávez 2002 hatten die des in die Geschichte eingehen. ten, dass sich Millionen an einem Ge- damaligen Rechtsregierungen in den Der Leidensdruck in Chile ist so neralstreik beteiligten: die schlechten USA und Spanien das Putschregime groß, dass ein Großteil der Bevölke- Sozialsysteme, die Pläne zur Privati- umgehend anerkannt. Als Putschprä- rung die verinnerlichte Unterdrü- sierung des Rentensystems, immer sident Pedro Carmona gefl ohen war, ckung aus Zeiten der Pinochet-Dik- mehr Erwerbstätige, die unter Min- fand man seine selbstmitgebrach- tatur abgestreift hat und aufbegehrt. destlohn verdienen. Neu ist, dass sozi- te Präsidentenschärpe mit dem Her- Kein Wunder – 14 Prozent der Bevöl- ale Forderungen und die Proteste ge- kunftshinweis: »Made in Spain«. kerung leben unter der Armutsgren- gen die Gewalt paramilitärischer Ban- Angriffe dieser Art auf progressi- ze, 50 Prozent mit einem Haushalts- den auf dem Land, das von der Regie- ve Regierungen, die sich gegen die US- einkommen von umgerechnet 400 rung sabotierte Friedensabkommen Politik stellen und neokoloniale Aus- Euro monatlich. Die dritte Fahrpreis- mit der ehemaligen FARC-Guerilla beutungsmechanismen zugunsten Erhöhung war Auslöser für Hundert- und der Unwille Iván Duques, mit der der Bevölkerungsmehrheit in ihren tausende, auf die Strasse zu gehen. ELN-Guerilla zu verhandeln, zusam- Staaten verändern wollen, sind pro- Der Widerstand wird mit kreativer men kommen. Mehr als 800 ermorde- fessioneller geworden. Das zeigt die Macht geführt, mit tausenden Gitar- te Anführer*innen sozialer Bewegun- konzertierte Aktion gegen Venezuela ren, gemalten Augen auf öffentlichen gen, indigener und afrokolumbiani- heute. Dabei schert es die Bundesre- Plätzen, mit Schlagen leerer Töpfe in scher Gemeinden seit Abschluss des gierung nicht, dass neben der LINKEN der Metro und einem Protest-Tanz von Friedensabkommens, treibt die Men- auch der Wissenschaftliche Dienst des Frauen gegen sexualisierte Gewalt, schen gemeinsam auf die Straßen. Bundestags den völkerrechtswidrigen der mittlerweile auch hier angekom- Die Proteste in Chile und Kolum- Charakter der Anerkennung Guaidós men ist. bien sind keine Strohfeuer. Sie deu-

22 DISPUT Januar 2020 Foto: Francisco Osario ten auf den wachsenden Druck für ropäische Linke muss sich angesichts wunden haben, im Nebensatz abgeur- grundlegende wirtschaftliche und des massiven Machtkampfes in La- teilt werden; wenn die sozial- und bil- gesellschaftliche Reformen in die- teinamerika auf die Tradition einer dungspolitischen Erfolge in Bolivien, sen Staaten hin. Das Bewusstsein da- internationalistischen Politik besin- Ecuador oder Kuba kleingeredet wer- für ist auch ein Resultat der existie- nen. Das heißt, soziale Kämpfe unter- den; wenn in Verkennung wirtschaft- renden und der gestürzten linken stützen und auch hier in Europa ver- licher und handelspolitischer Mecha- Projekte der vergangenen Jahre und stärken, zum Beispiel durch den Wi- nismen auch rechten, neoliberalen der von ihnen angestoßenen Diskus- derstand gegen die neoliberale EU-In- Führungen Armutsbekämpfung attes- sionen. Nicht ohne Grund ist das Fo- terventionspolitik in Lateinamerika, tiert wird oder die brutale Sanktions- rum von São Paulo, der 1990 von Lula gegen das EU-Mercosur-Freihandels- politik der USA beim Blick auf die Kri- da Silva und Fidel Castro gegründe- abkommen und das Abkommen mit se in Venezuela oder die Lage in Kuba te Zusammenschluss linker Parteien Mexiko, gegen das »Weiterso« der EU gar nicht mehr vorkommt, dann ist im und Organisationen, das Hassobjekt mit einer neofaschistischen Regierung politischen Koordinatensystem etwas der lateinamerikanischen Rechten in Brasilien. Und sie muss Putsche durcheinandergeraten. Die Fehler lin- schlechthin. Nicht ohne Grund hat und Putschversuche klar verurteilen, ker Regierungen müssen aufgearbei- der ehemalige US-Sicherheitsberater ohne Wenn und Aber. Wenn ange- tet werden, aber gemeinsam mit den John Bolton eine Reaktivierung der sichts des Putsches in Bolivien heute linken Parteien Lateinamerikas. An- Monroe-Doktrin angekündigt und in vermeintlichen Solidaritätserklä- ders gesagt: Die vornehmste Pfl icht der US-Außenminister Mike Pompeo rungen und Analysen zuerst die Feh- angesichts der heftiger werdenden ge- den rechten Alliierten südlich des ler der Morales-Regierung betont wer- sellschaftlichen Kämpfe in Lateiname- Rio Grande militärische »Hilfe« beim den; wenn progressive Regierungen in rika liegt darin, den eigenen Eurozent- Vorgehen gegen soziale Bewegungen Lateinamerika, die, anders als die eu- rismus zu überwinden und den mitun- angeboten. ropäische Linke, das Fukuyama’sche ter verloren gegangenen Antiimperia- Was bedeutet das für uns? Die eu- Ende der Geschichte nachhaltig über- lismus wiederzuentdecken.

DISPUT Januar 2020 23 INTERNATIONAL Deutsche Komplizenschaft Deutschland darf nicht zum Handlager eines Kriegsverbrechers in Rojava werden. VON HELIN EVRIM SOMMER

s wird Bilder von Leichenber- res Leichnams haben sich bereits Ein weiterer Sieger ist das Assad gen geben«, befürchtete ich be- fest ins Gedächtnis der kurdischen Regime, welches ohne einen Finger E reits Anfang Januar 2019 in ei- Bevölkerung gebrannt. Indes lobte zu krümmen, nun wieder große Tei- nem Beitrag für eine Tageszeitung, Kriegsverbrecher Erdogan seine ver- le Syriens beherrscht. In Gesprächen als US-Präsident Trump wieder ein- bündeten islamistischen Mörderban- mit Vertretern der demokratischen mal kopfl os damit drohte, die US- den, die zweifellos vorsätzlich gegen Selbstverwaltung von Nord- und Ost- Truppen aus Rojava abzuziehen und die Genfer Konvention verstoßen, als syrien wurde mir bestätigt, dass das dem Kurdenhasser Erdogan und sei- »Armee Mohammeds« und sagte in Assad-Regime bislang zu keinem Zeit- nen islamistischen Mörderbanden einer martialischen Rede, die Türkei punkt eine Kompromisslösung mit freie Schussbahn auf Nordsyrien zu werde »die Köpfe der Rebellen zer- den Kurden beabsichtigte. Ziel war gewähren. Trumps impulsive Dro- quetschen«, sollten sich diese nicht schon immer die Wiederherstellung hung konnte nur kurzzeitig ausge- sofort aus der türkisch-syrischen des Status Quo vor dem Krieg sowie bremst werden. Die US-Regierung Grenzregion zurückziehen. Während die Verhandlungsposition der Kur- räumte im Herbst den Weg für eine der Staatsterrorist Erdogan trium- den zu schwächen, gar ihre Kapitula- türkische Militäroffensive frei. Mit phierend seine neo-osmanischen Ex- tion zu erzwingen. Durch den drohen- Beginn des türkischen Angriffskrie- pansionspläne umsetzt, werden die den Genozid durch die Türkei waren ges am 9. Oktober wurden meine Be- Kurden von internationalen Groß- die Kurden gezwungen, ausgerech- fürchtungen zur blutigen Realität. mächten, wie schon so oft in der Ge- net Assad um Hilfe zu bitten. Obwohl schichte, auf dem Altar imperialer es sich derzeit nur um einen militä- Machtkämpfe geopfert. rischen Deal handelt, ist das Assad- Schreckensbilder Die gegenwärtigen politischen Regime seinem Ziel näher gerückt Entwicklungen gleichen einem Déjà- denn je. Seither führen Schreckensbilder aus vu des Grauens. Trump tritt mit sei- Sowohl für Russland, als auch für Rojava das schmutzige Gesicht des ner erratischen Abzugsentscheidung die USA waren und sind die Kurden türkischen Staates und seiner dschi- in die Fußstapfen des russischen im Kampf um die Vormachtstellung hadistischen Söldnertruppen der Staatschefs Putin, der die Kurden im Nahen Osten nicht mehr als eine Weltöffentlichkeit vor Augen. Das zum Faustpfand für Erdogan machte. politische Verhandlungsmasse. Das UNHCR berichtet allein bis Mitte No- Putin gab bereits Anfang 2018 den hat sich das kurdenfeindliche Erdo- vember von beinahe 200.000 Bin- nordwest-syrischen Luftraum für tür- gan-Regime zu Nutze gemacht. Zwar nenvertriebenen, 92 Toten und meh- kische Kampffl ugzeuge frei und eb- konnte die Türkei ihr Ziel, eine 32 Ki- reren hundert Verletzten durch den nete somit den Weg für die völker- lometer tiefe und 444 Kilometer brei- türkischen Angriffskrieg in Rojava. rechtswidrige militärische Besatzung te Zone zu errichten, durch das Ve- Über 800 inhaftierte IS-Kämpfer bra- der Provinz Afrin durch die Türkei. to Russlands und der USA nicht voll- chen aus den kurdischen Haftanstal- Mit dieser zynischen Machtpolitik umfänglich verwirklichen. Dennoch ten aus. Menschenrechtsorganisatio- verfolgt Putin, der den Einfl uss Russ- befi ndet sich aktuell ein 120 Kilome- nen wie Amnesty International sowie lands im Nahen Osten konsolidieren ter langes und 30 Kilometer breites zahlreiche Videos auf sozialen Medi- möchte, zwei wesentliche Ziele. Zum Gebiet zwischen den nordsyrischen en dokumentieren die systematisch einen bezweckte er damit die Ent- Städten Ras al-Ain und Tall Abyad un- verübten Kriegsverbrechen gegen fremdung der Türkei von der NATO ter ihrer militärischen Kontrolle. Die die Zivilbevölkerung: Massenexeku- und die Schaffung eines Abhängig- von der Türkei angekündigte Ansied- tionen, Vertreibungen, ethnische Säu- keitsverhältnisses zu Russland. Zum lung von drei Millionen syrischen berungen, schwerste Folterungen so- anderen wollte er die syrischen Kur- Flüchtlingen aus der Türkei hat be- wie Bombardierungen von Wohnge- den in die Arme seines Schützlings gonnen. Den Kurden droht eine eth- bieten, Kirchen, Schulen und Gesund- Assad treiben, der mit seiner bruta- nische Massenvertreibung. Die USA heitseinrichtungen. Schätzungsweise len Kriegsführung bereits hundert- und Russland lassen ihm dabei freie 1,65 Millionen Menschen in Rojava tausende Syrerinnen und Syrer ge- Hand. sind derzeit auf dringende humani- tötet hat und Millionen Menschen täre Hilfe angewiesen. Das Ausmaß zur Flucht trieb. Durch den US-Rück- Kein Partner der humanitären Katastrophe ist im- zug ist seine Rechnung aufgegangen. mens. Insbesondere die grausame Russland ist bis auf weiteres eindeu- Die Bundesregierung spielt den un- öffentliche Hinrichtung der kurdi- tig der Sieger im Machtpoker um Ro- beteiligten Statisten und folgt letzt- schen Politikerin Havrin Khalaf und java und die entscheidende imperia- lich der antikurdischen Linie des die widerwärtigen Schändungen ih- le Ordnungsmacht in der Region. Erdogan-Regimes. Der halbherzigen

24 DISPUT Januar 2020 DIE LINKE im Bundes- tag ist die einzige par- lamentarische Kraft, die den türkischen An- griffskrieg scharf ver- urteilt und Gegenmaß- nahmen fordert

Foto: Die Hoffotografen

Verurteilung des türkischen Erobe- an die Kriegspartei Türkei, die Aus- rungskrieges folgen praktisch kei- setzung der militärischen Zusam- ne ernsthaften politischen und wirt- menarbeit, die Rücknahme von Her- schaftlichen Konsequenzen. Schein- mes-Kreditbürgschaften zur Finanzie- heilig vermarktet »Ausseh-Minister« »Wo sich Elefanten bekämpfen, rung von wirtschaftlichen Groß- und Maas die teilweise Beschränkung hat das Gras den Schaden« Prestigeprojekten sowie eine Initia- der Kriegswaffenexporte auf mari- tive Deutschlands auf EU-Ebene zur time Rüstungsgüter an die Türkei Aufkündigung des schäbigen Flücht- als erfolgreiche Sanktionsmaßnah- Mörderbanden verüben ihre Kriegs- lingsdeals und der EU-Vorbeitrittshil- me. Bereits genehmigte oder gelie- verbrechen auch mit Leopard-Pan- fen in Milliardenhöhe durch die EU. ferte Waffen umfasst die Maßnahme zern »Made-in-«. Eine solche politische Antwort würde nicht. Die Bundesregierung hat tat- DIE LINKE im Bundestag ist die Erdogan verstehen. Die Türkei Erdo- sächlich allein im Jahr 2018 trotz der einzige parlamentarische Kraft, die gans ist kein Partner mehr für Frie- türkischen Militärinvasion gegen Af- das kriegerische Treiben Erdogans den und Sicherheit. rin noch Kriegswaffen-Exporte in Hö- scharf verurteilt und die Bundesre- he von 242,8 Millionen Euro an die gierung zu konkreten Gegenmaßnah- Helin Evrim Sommer ist Türkei geliefert. Die türkische Armee men drängt: den sofortigen Stopp al- entwicklungspolitische Sprecherin und die verbündeten islamistischen ler Waffen- und Rüstungsexporten der Bundestagsfraktion DIE LINKE

DISPUT Januar 2020 25 PRESSEDIENST

soll ein Sondersanktions- setzung. Seit dem Einzug recht für Fußballfans ein- der AfD in den Landtag von geführt werden.« Marika Sachsen-Anhalt und dem Tändler-Walenta, sportpoli- Gang in die ungeliebte Ko- tische Sprecherin der Frak- alition mit SPD und Grünen tion DIE LINKE im Sächsi- treiben die national-konser- schen Landtag, unterstützt vativen Kräfte in der CDU diese Kritik: »Die vorge- die Partei nach rechts, um schlagenen Gesetzesver- dort wieder regierungsfähig schärfungen sind nicht nur zu werden – möglichst oh- populistische Forderungen, ne, gern aber auch mit der die auf dem Rücken von AfD. Entgegen ursprüngli- Fußballfans ausgebreitet cher Entwürfe soll der letzt- werden. Die Tatsache, dass lich beschlossene Leitan- mit dem Entzug des Füh- trag die Tolerierung einer rerscheins für auffällig ge- CDU-Minderheitsregie- wordene Fußballfans oder rung durch die AfD ermög- der Verschärfung des Land- lichen.« Über gemeinsa- Foto: DIE LINKE. NRW friedensbruch-Paragrafen mes Agieren auf kommuna- ein Sondersanktionsrecht ler Ebene solle der Weg in ▀ ▀ Nordrhein-Westfa- ben«, so Wagner und wei- eingeführt werden soll, wi- die Regierung geebnet wer- len. DIE LINKE. NRW hat ter: »Auch unsere Solida- derspricht den Grundlagen den. »Die AfD hat ausrei- auf ihrem Landesparteitag ritätserklärung mit den des Strafrechtssystems der chend klar gezeigt, dass sie die Weichen für das Wahl- Mitarbeiter*innen von Thys- Bundesrepublik Deutsch- sich dem Menschen- und kampfjahr 2020 gestellt. sen-Krupp war ein wichti- land. Dass schon die pure Gesellschaftsbild des NS- Die Leitlinien für die kom- ges Zeichen. Im Arbeits- Anwesenheit in einer Grup- Regimes verpfl ichtet fühlt. mende Kommunalwahl wur- kampf stehen wir Seite an pe gegebenenfalls strafbar Davor in der sogenannten de mit wenigen Gegen- Seite mit Arbeiter*innen sein soll, ist mit den Grund- bürgerlichen Mitte die Au- stimmen und Enthaltun- und Angestellten.« rechten unvereinbar und gen zu verschließen, hat gen verabschiedet. Die De- hat gerade keine präventi- schon einmal in die Katas- legierten haben auch den ▀ ▀ Sachsen. Auf der ve Wirkung. Statt die Ge- trophe geführt.« Die CDU »solidarischen Kommunal- jüngsten Innenminister- setze unnötig zu verschär- habe der AfD die Hintertür wahlfonds« auf den Weg konferenz wurden Forde- fen, sollte ein stärkerer Fo- geöffnet – der Versuch, ei- gebracht. »Das Ziel unse- rungen laut, den Landfrie- kus auf die positive Präven- nen Rechtspopulisten zum rer Partei ist es, uns in den densbruch-Paragrafen und tionsarbeit der Fanprojekte Innenstaatssekretär zu ma- 53 Kommunen für die Wahl das Sprengstoffgesetz zu gelegt werden. Ich erlebe chen, habe erst einen Vor- am 13. September 2020 ändern, sowie für Strafta- gerade auf einer Fanprojek- geschmack geliefert, so breit aufzustellen, um am ten im Zusammenhang mit te-Tour durch Sachsen viele Lippmann. Ende in vielen Kreistagen Fußballspielen die Fahrer- gute Beispiele vor Ort.« und Stadträten vertreten laubnis entziehen zu kön- ▀ ▀ Hamburg. DIE LINKE zu sein«, erklärt Sascha H. nen. Die bundesweit tätige ▀ ▀ Sachsen-Anhalt. Der will das Gemeinnützigkeits- Wagner, Landesgeschäfts- »Arbeitsgemeinschaft Fan- Fraktionsvorsitzende der recht ändern. Zur nächsten führer der Partei DIE LINKE anwälte« kritisierte die ge- LINKEN in Sachsen-Anhalt, Sitzung der Hamburgischen in NRW und Wahlkampfl ei- planten Veränderungen: Thomas Lippmann, kom- Bürgerschaft fordert sie ter im nächsten Jahr. »Ne- »Alljährlich sollen offenbar mentiert die Ergebnisse der den Senat mit einem An- ben den Leitanträgen zur Fußballfans dafür herhal- Programmdiskussion auf trag dazu auf, sich im Bun- Kommunalwahl haben die ten, der Innenministerkon- dem Kleinen Sonderpartei- desrat und bei seinem eige- Delegierten eine Resolu- ferenz zu Aufmerksamkeit tag der CDU Sachsen-An- nen Finanzamt dafür einzu- tion verabschiedet, in der zu verhelfen. Dafür sind so- halt: »Was bereits mit der setzen, dass Vereinen wie sie sich solidarisch mit der gar Forderungen recht, die Landtagswahl 2016 in der der »Vereinigung der Ver- VVN-BdA erklärt. Antifa- gegen das geltende Sys- CDU seinen Anfang nahm, folgten des Naziregimes« schismus ist gemeinnüt- tem von Strafe und Maß- fi ndet nun in neuer Qualität (VVN-BdA), aber auch »At- zig und muss es auch blei- regel verstoßen. Offenbar und Konsequenz seine Fort- tac« und »Campact« die Ge-

26 DISPUT Januar 2020 DAS KLEINE BLABLA

meinnützigkeit wieder zuer- aus Sicht von Finanzbehör- kannt wird. »Was kann denn den zu sehr politisch ein- gemeinnütziger sein als An- Entzaubert mischten. tifaschismus?«, begründet dies Christiane Schneider, ▀ ▀ Baden-Württem- die innenpolitische Spre- berg. Anlässlich der von cherin der Fraktion. »Die der grünen Landesregie- Entscheidung des Berliner ennen Sie das: Der Computer reagiert rung geplanten Verschär- Finanzamts, der VVN we- nicht und auch das verzweifelte Häm- fung des Polizeigeset- gen eines Berichts aus Bay- mern auf der Tastatur bleibt erfolglos? zes kommentiert Michel ern bundesweit den Status Wohl jeder, der regelmäßig am PC arbei- Brandt, Obmann für die der Gemeinnützigkeit abzu- tet, hat so eine Situation schon erlebt. Fraktion DIE LINKE im Bun- sprechen, ist ein Skandal. K In diesem Fall ist ein Neustart des Rechners fällig. destag im Ausschuss für Warum genügt ein bayeri- Derzeit bemühen Journalist*innen häufi g die Flos- Menschenrechte und hu- scher Geheimdienst, um ei- kel des »Neustart«, wenn es um die SPD geht. Die manitäre Hilfe: »Die Grünen nem bundesweit arbeiten- überraschende Wahl der Partei-Linken Saskia Es- nähern sich in ihrer Inter- den Verein fi nanziell das ken und Norbert Walter-Borjans an die SPD-Spit- pretation der Freiheitsrech- Rückgrat zu brechen? Ham- ze soll ein Neuanfang sein. »Und jedem Anfang te einer sehr konservati- burg soll sich im Bundesrat wohnt ein Zauber inne«, dichtete Hermann ven, restriktiven Auslegung, dafür einsetzen, dass die- einst. So entrückt und verschroben wie der Schrift- wie sie die CDU schon län- se Regelung aus dem Ge- steller mit seinem Hang zum Transzendentalen, ger benutzt, an. Von der setz gestrichen wird.« Auch präsentiert uns die Presse auch Esken und Bor- ehemaligen Bürgerrechts- Vereine wie Campact und jans. Zwei linksradikale Sonderlinge, die der ohne- partei ist in Baden-Würt- Attac sind in den Fokus hin schon siechenden SPD den Todesstoß verset- temberg nach acht Jahren der Finanzämter geraten zen. Dieser Neuanfang, da sind sich »Zeit«, »FAZ« Regierung nichts mehr üb- und kämpfen um ihre Ge- und »Süddeutsche« einig, ist der Anfang vom Ende rig.« Nach Staatstrojanern, meinnützigkeit. »Progressi- der einst stolzen Sozialdemokratie. Als deutlichs- Kriegswaffen, Videoüber- ve Vereinigungen müssen ter Beweis muss die Forderung der beiden nach ei- wachung im öffentlichen sich auch politisch einmi- nem 500 Milliarden Euro schweren Investitionspro- Raum, grundlosem Haus- schen können – das ist ja gramm herhalten, mit dem man innerhalb von zehn arrest und elektronischen genau ihre Aufgabe«, er- Jahren die marode Infrastruktur im Lande zukunfts- Fußfesseln sollen die Kom- klärt Schneider. »Wir be- fähig machen will. Linksradikaler Wahnsinn? Selbst petenzen der Polizei wei- antragen daher, die Abga- der Bundesverband der Deutschen Industrie macht ter ausgebaut werden, bei- benordnung so zu ändern, sich für einen milliardenschweren Investitionsfonds spielsweise durch Auswei- dass diese Vereine rechtli- stark. Der SPD-Parteitag Anfang Dezember hat ein- tung der Schleierfahndung, che und fi nanzielle Sicher- drucksvoll gezeigt, dass die alte Dame vorerst nur anlasslose Personenkont- heit bekommen. Außerdem rhetorisch mit der Agenda-Politik bricht. Hartz IV rollen und Aufhebung der soll das Hamburger Finanz- soll künftig unter dem Namen Bürgergeld ausge- Untersuchungshaftbegren- amt gar nicht erst vor die zahlt werden, aber auf eine Erhöhung der viel zu zung. »Besonders für Min- Frage gestellt werden, wie niedrigen Sätze konnte man sich nicht einigen. Es derheiten, organisierte es unklare Regelungen des fehlt zudem der Mut, sich aus der tödlichen Umar- Fußballfans und politische Bundes auszulegen hat.« mung der Union zu lösen. Ein Neustart ist kein Neu- Aktivist*innen wird die frei- Das Finanzamt Berlin hat in anfang. Der Computer wird nur neu gestartet. Die heitliche Luft dann immer einer viel kritisierten Ent- veraltete, fehleranfällige Software läuft weiter und dünner. Ich empfi nde die- scheidung der VVN/BdA verursacht Probleme. se Entwicklung als bedroh- unter Verweis auf den baye- lich für Menschen, die sich rischen Verfassungsschutz- Fabian Lambeck für fortschrittliche Politik berichtdie Gemeinnützig- und gesellschaftliche Mit- keit wegen angeblicher ex- bestimmung einsetzen«, so tremistischer Beeinfl us- Brandt, der gleichzeitig zur sung entzogen. Attac und Beteiligung an den Protes- Campact waren ins Faden- DISPUT stellt sich allmonatlich den Sprechblasenfragen ten gegen das Polizeigesetz kreuz geraten, weil sie sich unserer Zeit. Dafür die kleine Sprachglosse. aufruft.

DISPUT Januar 2020 27 GESCHICHTE Blutbad vor dem Reichstag Am 13. Januar 1920 forderten mehr als 100.000 Demonstranten in Berlin wirkliche Rechte für die Betriebsräte – die Staatsmacht reagierte mit brutaler Gewalt VON RONALD FRIEDMANN

n den Tagen der Novemberrevo- be der Arbeiter- und Wirtschaftsräte ab etwa zwölf Uhr mehr als 100.000 lution 1918 wurde die Idee der […] zu regeln, ist ausschließlich Sache Menschen. In dieser Situation erwies IRätedemokratie durch das ak- des Reichs.« es sich als fatal, dass es keine rich- tive Handeln der Arbeiter und Sol- tigen Planungen für den Ablauf und daten auch in Deutschland politi- einen geordneten Abschluss der De- sche Realität. Doch nur wenige Wo- Machtvolle monstration gab. Nach einigen kur- chen nach dem Sturz der Monarchie Demonstration zen Reden verharrte die Masse untä- und der Errichtung der Republik, auf tig, während sich die Stimmung wei- dem Reichsrätekongress im Dezem- Für den 13. Januar 1920 war in der ter aufheizte, zumal die mit schweren ber 1918 in Berlin, entmachtete sich Nationalversammlung, die nach der Waffen ausgerüstete Sicherheitspoli- die Rätebewegung selbst, in dem der Verabschiedung der neuen Verfas- zei einer Delegation, die mit den Ab- Kongress – unter dem maßgeblichen sung nach Berlin zurückgekehrt war geordneten der USPD sprechen woll- Einfl uss der SPD – die Entscheidung und nun als höchstes deutsches Par- te, der Zugang in das Reichstagsge- über den künftigen Weg der Revolu- lament wirkte, deshalb die erste gro- bäude verweigert hatte. tion in die Hände einer noch zu wäh- ße Lesung eines Betriebsrätegesetzes Die Berichte über die nachfolgen- lenden Nationalversammlung gab. angesetzt worden, mit dem die ange- den Ereignisse sind zum Teil sehr wi- Folgerichtig verloren die Räte sehr kündigte reichsgesetzliche Regelung dersprüchlich. So behauptete die Re- schnell an Kraft und Bedeutung. Was geschaffen werden sollte. gierung des sozialdemokratischen blieb, war letztlich nur der Artikel Der Entwurf, der auch außerhalb Reichskanzlers Gustav Bauer, dass 165 der Weimarer Verfassung, die am des Parlaments diskutiert wurde, Demonstranten gegen 15.30 Uhr, 14. August 1919 in Kraft trat: »Die Ar- stieß in der breiten Linken jedoch kurz nach Beginn der Sitzung der beiter und Angestellten erhalten zur auf massive Ablehnung. Den Be- Nationalversammlung, versucht hät- Wahrnehmung ihrer sozialen und triebsräten sollte zwar eine gewisse ten, gewaltsam in das Gebäude ein- wirtschaftlichen Interessen gesetzli- Mitsprache bei sozialen Fragen wie zudringen. Die Sicherheitspolizei ha- che Vertretungen in Betriebsarbeiter- Einstellungen und Entlassungen ein- be zunächst Warnschüsse abgegeben, räten […]« Und: »Aufbau und Aufga- geräumt werden, doch eine Kontrol- sei dann aber gezwungen gewesen, le oder gar Übernahme der Betriebs- scharf zu schießen und sogar Hand- leitung durch die Räte sollte prinzi- granaten einzusetzen. Dieser Dar- Über 100.000 Menschen piell ausgeschlossen bleiben. Die alte stellung widersprachen Kommunis- demonstrieren vor dem Reichstag Wirtschaftsordnung sollte nicht ange- ten und Unabhängige: Die Polizei ha- gegen das Betriebsrätegesetz. tastet werden. be die Demonstranten grundlos und Foto: AdsD / Friedrich-Ebert-Stiftung Der Widerstand gegen das geplan- ohne Vorwarnung angegriffen. Tat- te Betriebsrätegesetz sollte am Tag sächlich war es am Westfl ügel des der Debatte im Parlament durch eine Reichstagsgebäudes zu Rangeleien machtvolle Demonstration sichtbar zwischen Demonstranten und Poli- gemacht werden. Zwei Aufrufe – un- zisten gekommen. Doch die übergro- terzeichnet vom Berliner Bezirksver- ße Zahl der Todesopfer gab es auf der band der USPD, dem Vollzugsrat Ber- Südseite, wo die Lage friedlich geblie- lin und den Berliner Gewerkschaften, ben war. Bei dem Blutbad vor dem beziehungsweise von Vertretern der Reichstag starben insgesamt 42 Men- USPD, der KPD und der Zentrale der schen, mehr als 100 wurden verletzt. Betriebsräte – riefen die Berliner Ar- Es war die blutigste Demonstration in beiter und Angestellten auf, in großer der deutschen Geschichte. Zahl vor dem Reichstagsgebäude zu Die Mehrheit der Nationalver- erscheinen. Die SPD hingegen tat al- sammlung allerdings zeigte sich un- les, um die Demonstration zu verhin- beeindruckt. Ungeachtet der massi- dern. Vergeblich. ven Proteste wurde das Betriebsräte- Die beiden Aufrufe hatten eine un- gesetz am 18. Januar 1920 beschlos- erwartet große Resonanz, auf die die sen und am 4. Februar 1920 in Kraft Organisatoren letztlich nicht vorbe- gesetzt. Im Januar 1934 wurde es von reitet waren: Statt einiger tausend er- der Hitler-Regierung annulliert und warteter Demonstranten versammel- durch ein »Gesetz zur Ordnung der ten sich an diesem 13. Januar 1920 nationalen Arbeit« ersetzt.

28 DISPUT Januar 2020 NEU IM KINO

einem zivilen Streifenwagen. Ord- nungshüter Stéphane, der sei- nen ersten Einsatz in der Einheit für Verbrechensbekämpfung hat, kriegt gleich mit, wie die Machtlini- en auf der Straße und in den Wohn- blocks verlaufen. Er und seine mies gelaunten Kollegen schlichten hit- zige Auseinandersetzungen, besor- gen geklautes Eigentum wieder und halten auch schon mal eine Waf- Foto: Panorama Entertainment fe an den Kopf eines Verdächtigen. Legal ist hier meist gar nichts. ▀ Jojo Rabbit det er raus, dass im Wandschrank je- Beim Versuch, einen jugendlichen Der zehnjährige Johannes hat we- mand haust – Jojos Mutter hat offen- Dieb festzunehmen, der – bitte nig zu lachen. Es ist der Zweite sichtlich ein jüdisches Mädchen ver- festhalten: ein Löwen-Baby gekid- Weltkrieg und mit seinen Pimpf- steckt. Und Elsa gibt dem fanatischen nappt hat – werden die Polizisten Kollegen soll er für den Frontein- Mini-Nazi einen Reality-Check nach von einer Drohne gefi lmt. Da ei- satz trainieren. Aber als er sich als dem anderen. ner von ihnen den Verdächtigen zu harmlos erweist, einen Hasen »Jojo Rabbit« war der Publikumsren- fast getötet hat, hätten sie nur all- zu töten, hat er seinen Spitznamen ner auf allen Festivals, auf denen der zu gern die Speicherkarte mit der weg. Auch mit Bewegung hat er es verrückte Film über den Führer im Aufnahme. nicht. Wenn er mit der Handgrana- Kopf lief. Regisseur Taika Waititi hat Diese Version von »Les misérab- te wirft, kann man sicher sein, dass ein auch in den Nebenrollen mit Sam les« hält sich nicht lange auf mit sie von einem Baum zurückprallt Rockwell und Scarlett Johansson bes- der Schilderung politischer Prozes- und an Jojos ohnehin lädierter Rü- tens besetztes Drama gedreht. se, mit der Darstellung der Organi- be gehörige Schäden hinterlässt. sation von Macht und Gegenmacht. Spätestens hier setzt das Kopfki- ▀ Die Wütenden – Les misérables Das hier ist ein Run Trainingsan- no ein. Dort steht Jojo der imagi- Mit Victor Hugos berühmtem Ro- zug und Hoodies tragender Prota- näre Führer Adolf Hitler persönlich man hat Ladj Lys gleichnamiger Film gonisten durch einen Vorstadt-Par- zur Seite, wenn es darum geht, ein »Die Wütenden – Les misérables« den cours, in den sich die Oberschicht richtiger Nazi zu werden. Da fl äzt Schauplatz gemeinsam: Die Pariser nie verirrt. Fazit: Unten ist die Luft sich Adolf im Sessel und gibt gute Vorstadt Montfermeil, Ort krasser so- dick, oben dünn: Ein Film, der zeigt, Ratschläge. zialer Spannungen, dem Hugo mit sei- dass sich in den letzten 150 Jahren Einen massiven Grund, den Akti- nem Werk ein Denkmal setzte. Und an den Verhältnissen nicht viel ge- onsradius seines Hirngespinstes wie der Romancier berichtet auch Ly, ändert hat. einzuschränken, ist Jojos Entde- der in diesem Viertel aufwuchs, von ckung, dass seine Eltern offenbar Polizeigewalt und Kleinkriminalität. > Beide Filme starten am im Widerstand aktiv sind. Bald fi n- So spielt sein Film die meiste Zeit in 23. Januar 2020

JÜRGEN KIONTKE

Abwehrkämpfe

DISPUT Januar 2020 29 KULTUR

DAS DIGITALE WETTRÜSTEN IST IM GANGE

GELESEN VON INGRID FEIX KULTURGUT NACHTCLUB gen an Widersprüchlich- keiten und Ungereimthei- ten von sich geben, ist an Clubs seien schützenswer- Peinlichkeit nicht mehr zu te Räume kultureller Viel- überbieten. Es macht fas- falt und sollten Konzertsä- eine Angst, in diesem Agentenroman des Ame- sungslos, mit welchem Di- len, Opern und Theatern rikaners David Ignatius wird nicht rumgeballert, lettantismus hier kostbars- gleichgestellt werden, er- K es fl ießt kaum Blut. Dennoch ist es sehr gru- te Kunstschätze faktisch klären die Abgeordneten selig, auch weil der Roman unheimlich dicht an der der Schutzlosigkeit preis- der Fraktion DIE LINKE im Wirklichkeit ist. Der Autor kennt sich aus mit Geheim- gegeben wurden.« Ein »be- einem Antrag. »Ich möch- diensten. Da gibt es kein Gut und Böse. lastbares Maßnahmenkon- te, dass diese Clubland- Die USA, China und Russland arbeiten mit Hochdruck zept« solle erstellt werden schaft, die sich in den letz- und im Geheimen an der Entwicklung eines Quanten- und er erwarte Auskunft ten Jahren aufgebaut hat, computers, der in kürzester Zeit jeden noch so kom- über die Konsequenzen erhalten bleibt und nicht plizierten Code knacken kann. Russland – so in die- nach dem Kunstraub vom dem Ausverkauf der Stadt ser Geschichte – ist dabei in eine Sackgasse geraten. 26. November im »Grünen zum Opfer fällt«, sagte Ca- Bleiben nur noch die USA und China als Rivalen im di- Gewölbe«, so Gebhardt ren Lay im Interview mit gitalen Wettrüsten. Es geht wie immer um die Macht. weiter. dem Magazin VICE. We- Wissenschaftler sind mit ihren Entwicklungen umwor- gen steigender Miet- oder bene Menschen und stehen unter besonderer Beob- Pachtgebühren, Nicht-Ver- achtung. Verdacht, Misstrauen und Verrat sind an der UNTER BESCHUSS längerung von Verträgen Tagesordnung. und Verkauf von Grundstü- Zu den »Beobachtern« im Dienste der CIA gehört der cken müssten immer mehr Sino-Amerikaner Harris Chang. Er ist durch und durch Am 27. November hat die Clubs schließen. DIE LIN- Amerikaner, seit mehreren Generationen lebt seine Fraktion DIE LINKE im Bun- KE fordert unter anderem Familie in den USA, er hat im Irak-Krieg gedient und destag die öffentliche An- eine Änderung des Bau- sich als besonders geeignet für den Auslandsgeheim- hörung »Medien unter Be- gesetzbuches, um Kultur- dienst erwiesen. Nun soll er einen chinesischen Maul- schuss« mit zahlreichen schutzgebiete schaffen wurf in den eigenen Reihen enttarnen. Wer ist die- hochrangigen Gästen und zu können. »Das Clubster- ser Rukou, der die Chinesen mit Informationen aus rund 240 Besucher*innen ben ist jetzt offi zieller Be- der Kommandozentrale versorgt? Chang ist ihm auf abgehalten. Diese widme- standteil der Politik des der Spur und gerät selbst ins Visier, denn für seine te sich der Verfolgung von Deutschen Bundestages«, amerikanischen Kollegen ist er noch immer ein Chi- Julian Assange sowie wei- so Lay. nese. Misstrauen herrscht schließlich auch innerhalb terer Whistleblower*innen. der Geheimdienste, die weltweit von Singapur bis Fraktionsvorsitzende Ami- Mexiko- City, von Amsterdam bis Vancouver ihre Fä- ra Mohamed Ali erklärte: SCHUTZKONZEPT den ziehen. Was dem Autor neben der sehr anschau- »Ich glaube, man darf oh- lichen Darstellung der geheimdienstlichen Metho- ne zu übertreiben feststel- den gelungen ist, sind die Charaktere der Agenten, ih- len: Wir leben in Zeiten des Die Linksfraktion hat den re Schwächen und Stärken zu beschreiben. Denn der Krieges. Und dabei ist die Antrag »Umstände des ganze Wahnsinn ist bei aller technischen Genialität Wahrheit hinderlich.« Im Kunstraubes in Dresden menschengemacht. Vorfeld hatten der Frak- rückhaltlos ermitteln und tionsvorsitzende Dietmar aufklären – Maßnahmen- David Ignatius Bartsch und die Abgeord- konzept zum wirksamen Quantum spy. nete Schutz von Kunst- und Kul- Der Feind im System am Brandenburger Tor das turgütern in Sachsen vor- Aus dem Englischen Monument »Anything to legen!« eingereicht. Da- von Stefan Lux say?« enthüllt. Die Bron- zu erklärt Rico Gebhardt, Thriller zeskulptur des italienische Vorsitzender der Fraktion Rowohlt Verlag Künstlers Davide Dormino DIE LINKE im Sächsischen 448 Seiten, 20 Euro zeigt Edward Snowden, Ju- Landtag: »Was die Verant- lian Assange und Chelsea wortlichen vor Ort seit Ta- Manning.

30 DISPUT Januar 2020 JANUARKOLUMNE

m Wahlabend des 27. Wählerinnen und Wähler, so dass Oktobers gab es Grund Mehrheiten Mitte-Links – zumindest in zu feiern: 31 Prozent Ostdeutschland – erschwert werden. beziehungsweise Die gesellschaftlichen Rahmenbedin- 343.780 Zweitstimmen gungen in Thüringen sind zwar anders Abei einer Landtagswahl für DIE LINKE als in Brandenburg und Sachsen, aber Thüringen. Und damit stärkste Kraft eine Basis für den Aufstieg der im neuen Landtag. Die Putzfrau oder völkischen und gar faschistischen der Wachmann, die mir am nächsten Rechten der AfD fi nden sich auch hier. Morgen zum Erfolg gratulierten – dies Seit 2000 spiegelt der Thüringer befl ügelt mich immer noch. Monitor dies wieder; aktuell weisen 24 »Person, Programm, Partei« – alle Prozent der Thüringerinnen und drei Aspekte müssen stimmen, um so Thüringer extrem rechte Einstellungs- ein Ergebnis als LINKE zu erringen. muster auf. Rassismus und Nationalis- Bodo Ramelow, unsere Kandidieren- mus sind noch wesentlich verbreiteter. den sowie die gesamte Partei – auch Die Formierung dieses Potentials als die zahlreichen helfenden Hände aus politische Kraft ist der AfD gelungen. der Bundespartei und anderen Wir stehen daher vor einer komplexen Landesverbänden – haben dazu Konstellation für linke Politik: Neben beigetragen. Ein Spitzenkandidat, der Rot-Rot-Grün existiert ein konservativ- mit einem Dialogformat durch alle liberaler Block und einen völkischer Landkreise und Städte tingelt, Block, die gemeinsam eine Mehrheit Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer, im Landtag haben. Doch einfach kann die an Türen geklingelt und geklopft ja jeder! Bereits 2014 haben wir haben, unser Emma-Mobil, das im bewiesen, dass wir neue Herausforde- ländlichen Raum unterwegs war und rungen meistern können und Rot-Rot- vieles mehr zeichneten einen Grün mit nur einer Stimme Mehrheit Wahlkampf aus, der nah an den auf den Weg gebracht. Seit kurz nach Menschen war und weit über das der Wahl treffen wir uns mit SPD und Übliche hinausging. den Grünen, um eine Minderheitsre- Vor allem ernteten wir, was in den gierung zu bilden. Eine Form, in der letzten Jahren gesät wurde: Fünf wir am besten den Gestaltungsan- SUSANNE HENNIG- Jahre Regierungsarbeit in einer spruch sozial-ökologischer Politik WELLSOW rot-rot-grünen Koalition – die Arbeit deutlich machen können und es eben der LINKEN als Partei, Fraktion und in nicht zu einer bis zur Unkenntlichkeit Regierung – zahlte sich aus. Viele vereinheitlichten Politik einer Großen Thüringerinnen und Thüringer Koalition kommt. Inhaltliche Eckpunk- wollten, dass wir diese Arbeit te werden in der nächsten Zeit Thüringer fortsetzen. Ein Faktor, auf den unser ausgehandelt. DIE LINKE wird – davon Experiment 2.0 Programm zur Landtagswahl setzte: unabhängig – bewusst auf mehr Auf Erreichtes aufbauen und demo- direkte Demokratie setzen, um Projek- kratische wie sozial-ökologische te in Feldern, in denen gesellschaftli- Politik weiter im Land verankern. che Mehrheiten für diese existieren, Hinzu kam: Unsere klare Haltung und durchzusetzen. Jetzt heißt es, nicht praktische Politik für eine offene weniger, sondern mehr Demokratie zu Gesellschaft und gegen Rassismus wagen. Wir werden CDU und FDP bei machte die Thüringer LINKE zum der Ausweitung direktdemokratischer Widerpart der AfD. Beide Aspekte Prozesse in die Pfl icht nehmen und an repräsentierte Bodo Ramelow als vergangene Versprechen an die Ministerpräsident und als unser Thüringerinnen und Thüringer Spitzenkandidat. erinnern. Gerade weil wir verfassungs- Nach dem Wahlabend war klar: Die ändernde Mehrheiten brauchen, wenn Wählerinnen und Wähler wollen ihren es um mehr direkte Entscheidungsge- Ministerpräsidenten behalten. Und: walt der Menschen geht. Damit bleibt Wir als Thüringer LINKE haben den Thüringen ein Labor für politische Auftrag, eine Regierung zu bilden. Experimente. Neue Herausforderun- Gleichzeitig verlor Rot-Rot-Grün seine gen stehen an. Die Thüringer LINKE Mehrheit. Warum? Die AfD mobilisiert wird sie erneut meistern. Foto: DIE LINKE

DISPUT Januar 2020 31 SEITE ZWEIUNDDREISSIG

Hrsg.: Almut Ilsen / Ruth Leiserowitz

Seid doch laut! Die Frauen für den Frieden in Ost-Berlin

Ch. Links Verlag, Berlin, Oktober 2019 Broschur, 304 Seiten, 30 Euro ISBN 978-3-96289-065-0