Plenarprotokoll 774

BUNDESRAT Stenografischer Bericht 774. Sitzung

Berlin, Freitag, den 22. März 2002

Inhalt:

Amtliche Mitteilungen ...... 129 A 4. Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen und zur Änderung anderer Gesetze (Drucksache 152/02, zu Drucksa- Zur Tagesordnung ...... 129 B che 152/02) ...... 176 B , Bundesminister für Würdigung der Verdienste von Ministerprä- Arbeit und Sozialordnung . . . 191*C sident Prof. Dr. Kurt Biedenkopf . . . . . 129 C Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 84 Abs. 1 GG ...... 176 C 1. Gesetz zur Änderung des Agrarstatis- tikgesetzes und des Gesetzes zur Durch- 5. Siebentes Gesetz zur Änderung des führung der Gemeinsamen Marktorgani- Gesetzes über die Deutsche Bundesbank sationen (Drucksache 150/02) . . . . 131 B (Drucksache 155/02) ...... 176 C , Parl. Staatssekretär beim Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 84 Bundesminister der Finanzen . . 193*A Abs. 1 GG ...... 131 C Beschluss: Kein Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 GG ...... 176 C 2. Fünftes Gesetz zur Änderung des Geset- zes über die Landwirtschaftliche Renten- 6. Gesetz über die integrierte Finanzdienst- bank – gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG – leistungsaufsicht (Drucksache 156/02) . 176 C (Drucksache 151/02) ...... 131 C Beschluss: Kein Antrag gemäß Art. 77 Beschluss: Anrufung des Vermittlungsaus- Abs. 2 GG ...... 176 D schusses ...... 131 D 7. Zehntes Gesetz zur Änderung des Fünf- ten Buches Sozialgesetzbuch (10. SGB V- 3. Gesetz zur Vereinfachung der Wahl der Änderungsgesetz) (Drucksache 153/02) . 176 D Arbeitnehmervertreter in den Aufsichts- rat (Drucksache 203/02) ...... 176 A Beschluss: Kein Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 GG ...... 176 D Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung . . . 187*D 8. Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Dr. Fritz Behrens (Nordrhein-West- Aufenthalts und der Integration von Uni- falen) ...... 189*B onsbürgern und Ausländern (Zuwande- Dr. Harald Ringstorff (Mecklenburg- rungsgesetz) (Drucksache 157/02) . . . 131 D Vorpommern) ...... 190*B Prof. Dr. Kurt Biedenkopf (Sachsen) . 131 D Wolfgang Gerhards (Sachsen-Anhalt) 190*C Heide Simonis (Schleswig-Holstein) . 134 B Peter Müller (Saarland) . . 135 C, 165 A Beschluss: Kein Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 GG ...... 176 B Kurt Beck (Rheinland-Pfalz) . . . . 138 D

Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 13 20, 53003 Bonn, Telefon: 02 28/3 82 08 40, Telefax: 02 28/3 82 08 44 ISSN 0720-7999 II Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002

Roland Koch (Hessen) ...... 140 D 12. Zweites Gesetz zur Anpassung bestimm- ter Bedingungen in der Seeschifffahrt an (Nieder- den internationalen Standard (Zweites sachsen) ...... 143 A, 167 A Seeschifffahrtsanpassungsgesetz Jörg Schönbohm (Brandenburg) . . 146 C – SchAnpG 2 –) (Drucksache 161/02) . . 177 B Dr. Fritz Behrens (Nordrhein-West- Beschluss: Der Bundesrat hält das Gesetz falen) ...... 149 A nicht für zustimmungsbedürftig – Kein Herbert Mertin (Rheinland- Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 GG . . . 177 C Pfalz) ...... 150 D, 185*A Ruth Wagner (Hessen) ...... 151 B 13. Gesetz über die Errichtung des Deut- schen Binnenschifffahrtsfonds (Binnen- Dr. h.c. (Branden- schifffahrtsfondsgesetz – BinSchFondsG) burg) ...... 153 A (Drucksache 162/02) ...... 177 A , Bundesminister des In- nern ...... 154 A, 163 B, 170 A Beschluss: Kein Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 GG ...... 194*D Dr. Edmund Stoiber (Bayern) . . . 162 A Dr. Günther Beckstein (Bayern) . . 167 D 14. Post- und telekommunikationsrechtliches Bereinigungsgesetz (Drucksache 164/02) 177 A Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 84 Abs. 1 GG ...... 172 D Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 87f Abs. 1 GG ...... 194*C Zur Geschäftsordnung im Zusammenhang mit der Feststellung des Abstimmungsergebnis- 15. Gesetz zu dem Abkommen vom 27. Juli ses zu Tagesordnungspunkt 8 2001 zwischen der Bundesrepublik Dr. Bernhard Vogel (Thüringen) . . 173 A Deutschland und der Tschechischen Re- publik über Soziale Sicherheit (Drucksa- Roland Koch (Hessen) ...... 173 B che 165/02) ...... 177 A Präsident Klaus Wowereit . . . . 174 C Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 84 Sigmar Gabriel (Niedersachsen) . . 174 D Abs. 1 GG ...... 194*C

Zur Geschäftsordnung: Antrag auf Vertagung 16. Gesetz zu dem Abkommen vom 18. April der Sitzung 2001 zwischen der Bundesrepublik Dr. Bernhard Vogel (Thüringen) . . 175 A Deutschland und dem Königreich der Niederlande über Soziale Sicherheit Kurt Beck (Rheinland-Pfalz) . . . . 175 C (Drucksache 166/02) ...... 177 A

Beschluss: Ablehnung des Vertagungs- Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 84 antrages ...... 175 D Abs. 1 GG ...... 194*C 9. Gesetz zur Änderung des Schuldrechts- anpassungsgesetzes (Drucksache 158/02) 177 A 17. Gesetz zu dem Stockholmer Übereinkom- men vom 23. Mai 2001 über persistente Wolfgang Gerhards (Sachsen-Anhalt) 194*A organische Schadstoffe (POPs-Überein- kommen) und dem Protokoll vom 24. Juni Beschluss: Kein Antrag gemäß Art. 77 1998 zu dem Übereinkommen von 1979 Abs. 2 GG ...... 177 A über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung betreffend persis- 10. Zweites Gesetz zur Änderung eisen- tente organische Schadstoffe (POPs-Pro- bahnrechtlicher Vorschriften (Drucksa- tokoll) (Drucksache 167/02) . . . . . 177 A che 159/02) ...... 177 A Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 84 Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 87e Abs. 1 GG ...... 194*C Abs. 5 GG ...... 194*C 18. Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Än- 11. Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur derung des Sozialgesetzbuches – Achtes Verbesserung der personellen Struktur Buch – (SGB VIII) – gemäß Artikel 76 beim Bundeseisenbahnvermögen und in Abs. 1 GG – Antrag der Länder Bayern, den Unternehmen der Deutschen Bundes- Saarland – (Drucksache 146/02) . . . . 177 C post (Drucksache 160/02) ...... 177 A Beschluss: Kein Antrag gemäß Art. 77 Beschluss: Keine Einbringung des Gesetz- Abs. 2 GG ...... 177 B entwurfs beim Deutschen . 177 C Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 III

19. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Karin Schubert (Berlin) . . . . . 199*D Regionalisierungsgesetzes – gemäß Ar- tikel 76 Abs. 1 GG – Antrag der Länder Dr. h.c. Manfred Stolpe (Branden- Bayern, Baden-Württemberg, Hessen burg) ...... 200*C und Hamburg, Saarland, Sachsen, Thü- Beschluss zu a) und b): Keine Einbrin- ringen – (Drucksache 124/02, zu Drucksa- gung der Gesetzentwürfe beim Deut- che 124/02) ...... 177 C schen Bundestag ...... 178 D Annemarie Lütkes (Schleswig-Hol- stein) ...... 196*D 23. Entwurf einer ... Verordnung zur Änderung der Vierten Verordnung zur Durchfüh- , Bundesminister für rung des Bundes-Immissionsschutzgeset- Verkehr, Bau- und Wohnungswesen 197*A zes (Verordnung über genehmigungsbe- dürftige Anlagen – 4. BImSchV) – gemäß Beschluss: Keine Einbringung des Gesetz- Artikel 80 Abs. 3 GG – Antrag der Länder entwurfs beim Deutschen Bundestag . 178 A Baden-Württemberg und Bayern – (Druck- sache 129/02) ...... 179 A 20. Entwurf eines Gesetzes zur Verbesse- rung des strafrechtlichen Instrumenta- Beschluss: Die Vorlage wird der Bundes- riums für die Bekämpfung des Terroris- regierung nicht zugeleitet – Annahme mus und der Organisierten Kriminalität einer Entschließung ...... 179 A – gemäß Artikel 76 Abs. 1 GG – Antrag der Freistaaten Bayern, Thüringen – (Drucksa- 24. Entschließung des Bundesrates zur Um- che 1014/01) ...... 178 A setzung des Urteils des Bundesverfas- sungsgerichts vom 15. Januar 2002 zum Beschluss: Keine Einbringung des Gesetz- Schächten – Antrag der Länder Bayern, entwurfs beim Deutschen Bundestag . 178 B Hessen und Saarland – (Drucksache 88/ 02) ...... 179 A 21. Entwurf eines Gesetzes zur Vereinfa- chung und Vereinheitlichung der Verfah- Beschluss: Annahme der Entschließung rensvorschriften zur Wahl und Berufung nach Maßgabe der beschlossenen Än- ehrenamtlicher Richter – Antrag der Län- derung ...... 179 B der Sachsen und Baden-Württemberg, Hessen – (Drucksache 47/02, zu Drucksa- 25. Entschließung des Bundesrates zu euro- che 47/02) ...... 177 A päischem Handlungsbedarf nach Ab- schluss der Währungsumstellung – An- Beschluss: Einbringung des Gesetzent- trag des Landes Baden-Württemberg – wurfs gemäß Art. 76 Abs. 1 GG beim (Drucksache 130/02) ...... 179 B Deutschen Bundestag nach Maßgabe der beschlossenen Änderungen – Be- Dr. Fritz Behrens (Nordrhein-West- stellung von Staatsminister Manfred falen) ...... 201*B Kolbe (Sachsen) zum Beauftragten des Bundesrates gemäß § 33 GO BR . . . 195*A Beschluss: Die Entschließung wird nicht gefasst ...... 179 C

22. a) Entwurf eines Gesetzes zum Schutz 26. Entschließung des Bundesrates für Maß- vor schweren Wiederholungstaten nahmen der Bundesregierung zum Schutz durch nachträgliche Anordnung der der Bevölkerung bei bioterroristischen Unterbringung in der Sicherungsver- Angriffen – Antrag des Freistaates Bay- wahrung – gemäß Artikel 76 Abs. 1 ern – (Drucksache 26/02) ...... 179 C GG – Antrag der Länder Baden-Würt- temberg und Thüringen – (Drucksache Beschluss: Die Entschließung wird nicht 48/02) gefasst ...... 179 C

b) Entwurf eines Gesetzes zur Einfüh- 27. a) Entschließung des Bundesrates „Deutsch- rung eines Vorbehaltes für die nach- land in der Rezession“ – Antrag der trägliche Anordnung der Sicherungs- Länder Bayern, Hamburg, Hessen, verwahrung – gemäß Artikel 76 Abs. 1 Saarland, Thüringen und Baden-Würt- GG – Antrag des Landes Hessen – temberg, Sachsen – (Drucksache 59/02) (Drucksache 118/02) ...... 178 C b) Entschließung des Bundesrates zum Herbert Mertin (Rheinland-Pfalz) . . 197*C Aufbruch für mehr Beschäftigung und Wachstum – Antrag der Länder Baden- Dr. Hansjörg Geiger, Staatssekretär Württemberg, Hamburg, Sachsen, Thü- im Bundesministerium der Justiz . 198*D ringen – (Drucksache 148/02) IV Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002

c) Jahreswirtschaftsbericht 2002 der Bun- 34. Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Än- desregierung derung des Hochschulrahmengesetzes Vor einem neuen Aufschwung – Ver- (6. HRGÄndG) – gemäß Artikel 76 Abs. 2 lässliche Wirtschafts- und Finanz- GG – (Drucksache 144/02) ...... 180 C politik fortsetzen – gemäß § 2 Abs. 1 Mitteilung: Eine Stellungnahme wird StWG – (Drucksache 90/02) nicht beschlossen ...... 180 D

d) Jahresgutachten 2001/2002 des Sach- 35. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des verständigenrates zur Begutachtung Rechts der Vertretung durch Rechts- der gesamtwirtschaftlichen Entwick- anwälte vor den Oberlandesgerichten lung – gemäß § 6 Abs. 1 Sachverstän- (Drucksache 107/02) ...... 177 A digenratsgesetz – (Drucksache 991/01) 179 C Beschluss: Stellungnahme gemäß Art. 76 Abs. 2 GG ...... 195*A Beschluss zu a) und b): Die Entschließun- gen werden nicht gefasst . . . . . 179 D 36. Entwurf eines Gesetzes zur Moderni- sierung des Stiftungsrechts (Drucksache Beschluss zu c) und d): Kenntnisnahme . 180 A 108/02) ...... 180 D

28. Entschließung des Bundesrates zur Libe- Beschluss: Stellungnahme gemäß Art. 76 ralisierung des Sonderveranstaltungs- Abs. 2 GG ...... 180 D rechtes (§§ 7, 8 UWG) – Antrag des Lan- des Hessen – (Drucksache 119/02) . . . 180 A 37. Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Re- form des Aktien- und Bilanzrechts, zu Beschluss: Annahme der Entschließung Transparenz und Publizität (Transparenz- in der festgelegten Fassung . . . . 180 A und Publizitätsgesetz) (Drucksache 109/ 02) ...... 180 D 29. Entwurf eines Gesetzes zur Durchfüh- Beschluss: Stellungnahme gemäß Art. 76 rung der Rechtsakte der Europäischen Abs. 2 GG ...... 181 A Gemeinschaft auf dem Gebiet des ökolo- gischen Landbaus (Öko-Landbaugesetz – 38. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung ÖLG) (Drucksache 100/02) . . . . . 180 B des Pflichtversicherungsgesetzes und Beschluss: Stellungnahme gemäß Art. 76 anderer versicherungsrechtlicher Vor- Abs. 2 GG ...... 180 C schriften (Drucksache 110/02) . . . . 181 A Beschluss: Stellungnahme gemäß Art. 76 30. Entwurf eines Neunten Gesetzes zur Än- Abs. 2 GG ...... 181 A derung des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte 39. Entwurf eines Gesetzes zur Erleichte- Kinder“ (Drucksache 102/02) . . . . . 177 A rung des Marktzugangs im Luftverkehr (Drucksache 113/02) ...... 177 A Beschluss: Keine Einwendungen gemäß Art. 76 Abs. 2 GG ...... 195*B Beschluss: Keine Einwendungen gemäß Art. 76 Abs. 2 GG ...... 195*B 31. Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes 40. Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Ände- (Drucksache 103/02) ...... 177 A rung der Gewerbeordnung und sonstiger gewerberechtlicher Vorschriften (Druck- Beschluss: Keine Einwendungen gemäß sache 112/02, zu Drucksache 112/02) . 181 B Art. 76 Abs. 2 GG ...... 195*B Beschluss: Stellungnahme gemäß Art. 76 32. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung Abs. 2 GG ...... 181 B des Gesetzes zum NATO-Truppenstatut 41. Entwurf eines Gesetzes zu dem Europäi- und anderer Gesetze (Verteidigungs- schen Übereinkommen vom 16. Januar lastenzuständigkeitsänderungsgesetz – 1992 zum Schutz des archäologischen VertLastÄndG) (Drucksache 104/02) . . 177 A Erbes (Drucksache 101/02) . . . . . 177 A Beschluss: Stellungnahme gemäß Art. 76 Beschluss: Keine Einwendungen gemäß Abs. 2 GG ...... 195*A Art. 76 Abs. 2 GG ...... 195*B

33. Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur 42. Entwurf eines Gesetzes zu dem Protokoll Änderung des Sprengstoffgesetzes und vom 30. November 2000 zur Änderung anderer Vorschriften (2. SprengÄndG) des Europol-Übereinkommens (Drucksa- (Drucksache 106/02) ...... 177 A che 105/02) ...... 177 A Beschluss: Stellungnahme gemäß Art. 76 Beschluss: Keine Einwendungen gemäß Abs. 2 GG ...... 195*A Art. 76 Abs. 2 GG ...... 195*B Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 V

43. Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag konsolidierten Körperschaftsteuer-Be- vom 18. Oktober 2001 zwischen der Bun- messungsgrundlage für die grenzüber- desrepublik Deutschland und der Schwei- schreitende Unternehmenstätigkeit in zerischen Eidgenossenschaft über die der Europäischen Union) – gemäß §§ 3 Durchführung der Flugverkehrskontrolle und 5 EUZBLG – (Drucksache 971/01) . 181 C durch die Schweizerische Eidgenossen- schaft über deutschem Hoheitsgebiet und Beschluss: Stellungnahme ...... 181 D über Auswirkungen des Betriebes des Flughafens Zürich auf das Hoheitsgebiet 48. Vorschlag für einen Beschluss des Ra- der Bundesrepublik Deutschland (Gesetz tes über Regeln für die Beteiligung von zu dem deutsch-schweizerischen Vertrag Unternehmen, Forschungszentren und vom 18. Oktober 2001) (Drucksache 111/ Hochschulen zur Durchführung des Rah- 02) ...... 181 B menprogramms der Europäischen Atom- gemeinschaft (Euratom) (2002 – 2006) – ge- Beschluss: Keine Einwendungen gemäß mäß §§ 3 und 5 EUZBLG – (Drucksache Art. 76 Abs. 2 GG ...... 181 C 14/02) ...... 181 D

44. Ernährungs- und agrarpolitischer Be- Beschluss: Kenntnisnahme . . . . . 182 A richt 2002 der Bundesregierung – gemäß § 4 Landwirtschaftsgesetz – (Drucksache 49. Mitteilung der Kommission der Europäi- 115/02) ...... 181 C schen Gemeinschaften: Einen europäischen Raum des lebenslan- Beschluss: Kenntnisnahme . . . . . 181 C gen Lernens schaffen – gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG – (Drucksache 1116/01) . . . 182 A 45. Bericht der Bundesregierung über den Stand von Sicherheit und Gesundheit bei Beschluss: Stellungnahme ...... 182 A der Arbeit und über das Unfall- und Be- rufskrankheitengeschehen in der Bun- 50. Vorschlag für eine Richtlinie des Euro- desrepublik Deutschland im Jahre 2000 päischen Parlaments und des Rates über – Unfallverhütungsbericht Arbeit 2000 die Festlegung eines Gemeinschaftsrah- – gemäß § 25 Abs. 1 SGB VII – (Drucksa- mens für die Lärmeinstufung ziviler Un- che 1124/01) ...... 177 A terschallluftfahrzeuge zur Berechnung von Lärmentgelten – gemäß §§ 3 und 5 Beschluss: Kenntnisnahme . . . . . 195*C EUZBLG – (Drucksache 55/02) . . . . 177 A

46. Vorschlag für eine Verordnung des Eu- Beschluss: Stellungnahme ...... 195*D ropäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren 51. Vorschlag für eine Verordnung des Eu- für die Genehmigung, Überwachung und ropäischen Parlaments und des Rates Pharmakovigilanz von Human- und über eine gemeinsame Regelung für Tierarzneimitteln und zur Schaffung Ausgleichs- und Betreuungsleistungen einer Europäischen Agentur für die Be- für Fluggäste im Falle der Nichtbeförde- urteilung von Arzneimitteln rung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen – gemäß §§ 3 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäi- und 5 EUZBLG – (Drucksache 63/02) . . 177 A schen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG zur Beschluss: Stellungnahme ...... 195*D Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel 52. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäi- schen Parlaments und des Rates über die Vorschlag für eine Richtlinie des Europäi- Typgenehmigung für land- und forst- schen Parlaments und des Rates zur wirtschaftliche Zugmaschinen, ihre An- Änderung der Richtlinie 2001/82/EG zur hänger und die von ihnen gezogenen Schaffung eines Gemeinschaftskodexes auswechselbaren Geräte sowie für Sys- für Tierarzneimittel – gemäß §§ 3 und 5 teme, Bauteile und selbstständige techni- EUZBLG – (Drucksache 1117/01) . . . 177 A sche Einheiten dieser Fahrzeuge – ge- mäß §§ 3 und 5 EUZBLG – (Drucksache Beschluss: Stellungnahme ...... 195*D 125/02) ...... 177 A

47. Mitteilung der Kommission der Europäi- Beschluss: Stellungnahme . . . . . 195*D schen Gemeinschaften an den Rat, das Europäische Parlament und den Wirt- 53. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäi- schafts- und Sozialausschuss: schen Parlaments und des Rates zur An- Ein Binnenmarkt ohne steuerliche Hin- gleichung der Rechtsvorschriften der Mit- dernisse (Strategie zur Schaffung einer gliedstaaten für die Typgenehmigung VI Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002

von Rückspiegeln, von zusätzlichen Sys- 61. Bestellung eines Mitglieds des Verwal- temen für indirekte Sicht und von mit tungsrates der Kreditanstalt für Wieder- solchen Einrichtungen ausgestatteten aufbau – gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 3 KfW-Ge- Fahrzeugen sowie zur Anpassung der setz – (Drucksache 128/02) ...... 177 A Richtlinie 70/156/EWG – gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG – (Drucksache 123/02) . 177 A Beschluss: Senator Dr. Thilo S a r r a z i n (Berlin) wird bestellt ...... 196*B Beschluss: Stellungnahme ...... 195*D

54. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäi- 62. Wahl des Präsidenten und des Vizepräsi- schen Parlaments und des Rates für die denten des Bundesrechnungshofes – ge- Gemeinschaftsstatistik über Einkommen mäß § 5 Abs. 1 Bundesrechnungshofge- und Lebensbedingungen (EU-SILC) – setz – (Drucksache 169/02) . . . . . 177 A gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG – (Drucksache 23/02) ...... 177 A Beschluss: Zustimmung zu dem Vor- Beschluss: Stellungnahme ...... 195*D schlag in Drucksache 169/02 . . . . 196*B 63. Benennung eines Mitglieds und eines 55. Verordnung zum Schutz gegen die Blau- stellvertretenden Mitglieds des Verwal- zungenkrankheit (Drucksache 16/02) . 177 A tungsrates der Anstalt Solidarfonds Ab- Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 80 fallrückführung – gemäß § 5 der Verord- Abs. 2 GG nach Maßgabe der beschlos- nung über die Anstalt Solidarfonds senen Änderungen ...... 195*D Abfallrückführung – (Drucksache 62/02) 177 A Beschluss: Zustimmung zu den Empfeh- 56. Zweite Verordnung zur Änderung der lungen in Drucksache 62/1/02 . . . 196*B Verordnung über die Jagdzeiten (Druck- sache 25/02) ...... 182 A 64. Bestellung von fünf Mitgliedern des Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 80 Verwaltungsrates der Deutschen Aus- Abs. 2 GG ...... 182 B gleichsbank – gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 der Satzung der Deutschen Aus- gleichsbank – (Drucksache 1125/01) . . 177 A 57. Verordnung über die Entsorgung von ge- werblichen Siedlungsabfällen und von Beschluss: Zustimmung zu den Empfeh- bestimmten Bau- und Abbruchabfällen lungen des Innenausschusses in Druck- (Gewerbeabfallverordnung – GewAbfV) sache 1125/1/01 ...... 196*B (Drucksache 1084/01) ...... 182 B Wolfgang Senff (Niedersachsen) . . 203*C 65. Verfahren vor dem Bundesverfassungs- Beschluss: Keine Zustimmung gemäß gericht (Drucksache 172/02) . . . . . 177 A Art. 80 Abs. 2 GG ...... 183 A Beschluss: Von einer Äußerung und ei- 58. Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur nem Beitritt wird abgesehen . . . . 196*C Änderung der Allgemeinen Verfügung über die Verschollenheitsliste (Drucksa- che 89/02) ...... 177 A 66. Entschließung des Bundesrates zum Er- weiterungsprozess der Europäischen Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 84 Union – Antrag der Länder Sachsen, Nie- Abs. 2 GG ...... 196*B dersachsen gemäß § 36 Abs. 2 GO BR – (Drucksache 209/02) ...... 180 B 59. Erste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz Wolfgang Senff (Niedersachsen) . . 201*B (Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft – TA Luft) – gemäß Artikel 84 Alwin Ziel (Brandenburg) . . . . 202*A Abs. 2 GG – (Drucksache 1058/01) . . . 183 A Beschluss: Die Entschließung wird gefasst 180 B Beschluss: Vertagung ...... 183 A

60. Vorschlag für die Berufung eines stell- 67. Benennung eines stellvertretenden Mit- vertretenden Mitglieds des Verwaltungs- glieds des Beirates bei der Regulierungs- rates der Bundesanstalt für Arbeit – ge- behörde für Telekommunikation und mäß § 392 Abs. 2 Nr. 2 SGB III – Post – gemäß § 67 Abs. 1 und 4 TKG – An- (Drucksache 173/02) ...... trag des Landes Berlin gemäß § 36 Abs. 2 GO BR – (Drucksache 233/02) . . . . 183 A Beschluss: Staatssekretärin Prof. Dr. Hil- degard Maria N i ckel (Berlin) wird Beschluss: Senator Dr. vorgeschlagen ...... 196*B (Berlin) wird vorgeschlagen . . . . 183 C Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 VII

68. Personalien im Sekretariat des Bundes- Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 84 rates (Drucksache 234/02) ...... 130 A Abs. 1 und Art. 91a Abs. 2 GG – Annah- me einer Entschließung ...... 175 D Dr. Bernhard Vogel (Thüringen) . . 130 A

Kurt Beck (Rheinland-Pfalz) . . . 130 B 71. Gesetz zur Einführung von streckenbezo- Erwin Teufel (Baden-Württemberg) . 130 D genen Gebühren für die Benutzung von Bundesautobahnen mit schweren Nutz- Beschluss: Zustimmung zu der Ernen- fahrzeugen (Drucksache 246/02) . . . 176 A nung von Staatssekretär Dirk B r ouër (Brandenburg) zum Direktor des Bun- Wolfgang Gerhards (Sachsen-Anhalt), desrates ...... 131 B Berichterstatter ...... 185*D Herbert Mertin (Rheinland-Pfalz) . . 186*D 69. Entschließung des Bundesrates zur Aus- Kurt Bodewig, Bundesminister für schöpfung des rechtlichen Entscheidungs- Verkehr, Bau- und Wohnungswesen 187*A spielraums im Pflanzenschutzrecht durch die Bundesregierung – Antrag der Län- Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 84 der Bayern und Baden-Württemberg Abs. 1 GG ...... 176 A gemäß § 36 Abs. 2 GO BR – (Drucksache 242/02) ...... 183 C Mitteilung: Überweisung an die zustän- digen Ausschüsse ...... 183 C Nächste Sitzung ...... 183 D

70. Gesetz zur Modulation von Direktzah- lungen im Rahmen der Gemeinsamen Beschlüsse im vereinfachten Verfahren ge- Agrarpolitik und zur Änderung des mäߧ 35 GOBR ...... 184 GAK-Gesetzes (Drucksache 245/02) . . 175 D Wolfgang Gerhards (Sachsen-Anhalt), Berichterstatter ...... 185*B Feststellung gemäß § 34 GO BR . . . . 184 B/D VIII Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002

Verzeichnis der Anwesenden

Vorsitz: Brandenburg:

Präsident K l aus Wowereit, Regierender Dr. h.c. Manfred Stolpe, Ministerpräsident Bürgermeister des Landes Berlin Jörg Schönbohm, Minister des Innern

Prof. Dr. Kurt Schelter, Minister der Justiz und für Schriftführer: Europaangelegenheiten Dr. Manfred Weiß (Bayern) Alwin Ziel, Minister für Arbeit, Soziales, Gesund- heit und Frauen

Amtierender Schriftführer:

Wolfgang Gerhards (Sachsen-Anhalt) Bremen:

Dr. Henning Scherf, Präsident des Senats, Bür- Baden-Württemberg: germeister, Senator für kirchliche Angelegen- heiten und Senator für Justiz und Verfassung Erwin Teufel, Ministerpräsident Hartmut Perschau, Bürgermeister, Senator für Prof. Dr. Ulrich Goll, Justizminister Finanzen

Rudolf Köberle, Minister und Bevollmächtigter Dr. Kerstin Kießler, Staatsrätin, Bevollmächtigte des Landes Baden-Württemberg beim Bund der Freien Hansestadt Bremen beim Bund, für Europa und Entwicklungszusammenarbeit Prof. Dr. Peter Frankenberg, Minister für Wissen- schaft, Forschung und Kunst Reinhard Metz, Staatsrat beim Senator für Finanzen Dr. Friedhelm Repnik, Sozialminister

Hamburg: Bayern: Ole von Beust, Präsident des Senats, Erster Bür- Dr. Edmund Stoiber, Ministerpräsident germeister

Reinhold Bocklet, Staatsminister für Bundes- und Dr. Roger Kusch, Senator, Präses der Justiz- Europaangelegenheiten in der Staatskanzlei, behörde Bevollmächtigter des Freistaates Bayern beim Bund

Christa Stewens, Staatsministerin für Arbeit und Hessen: Sozialordnung, Familie und Frauen Roland Koch, Ministerpräsident Dr. Günther Beckstein, Staatsminister des Innern Ruth Wagner, Ministerin für Wissenschaft und Dr. Manfred Weiß, Staatsminister der Justiz Kunst

Hans Zehetmair, Staatsminister für Wissenschaft, Jochen Riebel, Minister für Bundes- und Euro- Forschung und Kunst paangelegenheiten und Chef der Staatskanzlei Dr. Christean Wagner, Minister der Justiz

Berlin:

Karin Schubert, Bürgermeisterin und Senatorin Mecklenburg-Vorpommern: für Justiz Dr. Harald Ringstorff, Ministerpräsident Dr. Gregor Gysi, Bürgermeister und Senator für Wirtschaft, Arbeit und Frauen Helmut Holter, Minister für Arbeit und Bau Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 IX

Niedersachsen: Schleswig-Holstein:

Sigmar Gabriel, Ministerpräsident Heide Simonis, Ministerpräsidentin

Wolfgang Senff, Minister für Bundes- und Euro- Annemarie Lütkes, Ministerin für Justiz, Frauen, paangelegenheiten in der Staatskanzlei Jugend und Familie

Nordrhein-Westfalen: Thüringen:

Dr. Fritz Behrens, Innenminister Dr. Bernhard Vogel, Ministerpräsident

Jürgen Gnauck, Minister für Bundes- und Euro- Rheinland-Pfalz: paangelegenheiten in der Staatskanzlei

Kurt Beck, Ministerpräsident Dr. Andreas Birkmann, Justizminister

Gernot Mittler, Minister der Finanzen Von der Bundesregierung: Herbert Mertin, Minister der Justiz Otto Schily, Bundesminister des Innern

Saarland: Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung Peter Müller, Ministerpräsident Kurt Bodewig, Bundesminister für Verkehr, Bau- Peter Jacoby, Minister für Finanzen und Bundes- und Wohnungswesen angelegenheiten Hans Martin Bury, Staatsminister beim Bundes- Monika Beck, Staatssekretärin, Bevollmächtigte kanzler des Saarlandes beim Bund Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- nister der Finanzen Sachsen: Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister der Finanzen Prof. Dr. Kurt Biedenkopf, Ministerpräsident , Parl. Staatssekretär bei der Stanislaw Tillich, Staatsminister für Bundes- und Bundesministerin für Verbraucherschutz, Er- Europaangelegenheiten in der Sächsischen nährung und Landwirtschaft Staatskanzlei und Bevollmächtigter des Frei- staates Sachsen beim Bund , Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Verkehr, Bau- und Woh- nungswesen Sachsen-Anhalt: Dr. Hansjörg Geiger, Staatssekretär im Bundes- Wolfgang Gerhards, Minister der Finanzen ministerium der Justiz

Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 129

(A) (C)

774. Sitzung

Berlin, den 22. März 2002

Beginn: 9.32 Uhr Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich darauf aufmerksam machen, dass der Ministerprä- sident des Freistaates Sachsen, Herr Kollege Professor Präsident Klaus Wowereit: Meine sehr geehrten Dr. Kurt Biedenkopf, heute zum letzten Mal an Damen und Herren, ich eröffne die 774. Sitzung des einer Sitzung des Bundesrates teilnimmt. Er hat an- Bundesrates. gekündigt, dass er am 18. April aus dem Amt schei- Bevor ich mich der Tagesordnung zuwende, habe det. ich gemäß § 23 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung Ver- Meine Damen und Herren, Herr Kollege Professor änderungen in der Mitgliedschaft bekannt zu geben: Biedenkopf gehört zweifelsohne zu den erfahrensten Der Freistaat Thüringen hat am 26. Februar 2002 Kollegen in diesem Hause. Er ist seit seiner Wahl als das bisher stellvertretende Mitglied des Bundesrates Ministerpräsident des Freistaates Sachsen im Jahre Herrn Minister Dr. Andreas B i rkmann zum or- 1990 ununterbrochen Mitglied des Bundesrates. dentlichen Mitglied des Bundesrates bestellt. Davor, in der Zeit von 1976 bis 1980 und von 1987 bis (B) 1990, war er Mitglied des Deutschen Bundestages. (D) Aus der Regierung des Landes Rheinland-Pfalz und Dem Landtag Nordrhein-Westfalen gehörte er von damit aus dem Bundesrat ist am 15. März 2002 Herr 1980 bis 1988 an. Staatsminister Florian Gerster ausgeschieden. Die Landesregierung hat am selben Tag Frau Staatsminis- Der Aufbau des wiedererstandenen Freistaates terin Malu Dreyer zum stellvertretenden Mitglied Sachsen bleibt mit dem Namen Kurt Biedenkopf dau- sowie das bisher stellvertretende Mitglied des Bun- erhaft verbunden. desrates Herrn Staatsminister Professor Dr. Jürgen Dem Bundesrat hat Professor Biedenkopf im Ge- Z ö l l n e r zum ordentlichen Mitglied des Bundesra- schäftsjahr 1999/2000 als Präsident vorgestanden. In tes bestellt. seiner Amtszeit als Bundesratspräsident wurde der Der Senat der Freien Hansestadt Bremen hat am Umzug von Bonn nach Berlin vollzogen. Die erste Sit- 20. März 2002 Frau Senatorin Karin Röpke zum zung in Berlin fand am 29. September 2000 unter sei- stellvertretenden Mitglied des Bundesrates bestellt. nem Vorsitz statt. Bis zuletzt hat er sich als langjähri- ger Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Dem ausgeschiedenen Mitglied danke ich für seine Angelegenheiten engagiert. Dem Ausschuss Deut- langjährige Mitarbeit in den Organen des Bundes- sche Einheit stand er während der Gesamtzeit seiner rates und wünsche ihm für die bevorstehende Aufga- Einberufung vor. be viel Glück und Erfolg. Den neuen Mitgliedern wünsche ich mit uns allen eine gute und vertrauens- Meine Damen und Herren, ich darf im Namen des volle Zusammenarbeit. gesamten Hauses sprechen, wenn ich feststelle, dass Professor Dr. Biedenkopf die Arbeit des Bundesrates Wir kommen nun zur Tagesordnung. Sie liegt Ihnen geprägt hat. Er war sich stets seiner Verantwortung in vorläufiger Form mit 71 Punkten vor. Tagesord- für dieses hohe Amt bewusst und erfreut sich über nungspunkt 8 wird nach Punkt 2 aufgerufen. Tages- alle Parteigrenzen hinweg hoher Wertschätzung. Be- ordnungspunkt 66 wird nach Punkt 28 behandelt, sonders hervorheben möchte ich sein nicht nachlas- Tagesordnungspunkt 68 vor Punkt 1. Die Tagesord- sendes Engagement für die Interessen der Menschen nungspunkte 70 und 71 werden nach Eingang der in den ostdeutschen Ländern. Die ostdeutschen Minis- Beschlüsse des Deutschen Bundestages behandelt. Im terpräsidenten haben das auf ihrer letzten Sitzung Übrigen bleibt es bei der ausgedruckten Reihenfolge auch zum Ausdruck gebracht. der Tagesordnung. Herr Professor Biedenkopf tritt im Alter von 72 Jah- Gibt es Wortmeldungen zur Tagesordnung? – Dann ren in den wohlverdienten Ruhestand. Lieber Herr ist sie so festgestellt. Kollege, im Namen des gesamten Hauses wünsche 130 Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 Präsident Klaus Wowereit (A) ich Ihnen alles Gute für Ihren neuen Lebensabschnitt Professor Oschatz für seine Arbeit an der Verwal- (C) und neben Ihrer mit Leidenschaft betriebenen wis- tungsspitze dieses Hauses sehr herzlich danke sage. senschaftlichen Betätigung genügend Zeit und Muße Ich sage dies auch als jemand, der im vergangenen für private Unternehmungen im Kreise Ihrer Familie. Jahr die Präsidentschaft des Bundesrates innehatte. (Lebhafter Beifall) Ich habe mich gemeldet, weil ich, verehrter Herr Kollege Dr. Vogel, deutlich machen möchte, dass ich Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 68: in dieser Eigenschaft mehr als ein halbes Jahr lang in Personalien im Sekretariat des Bundesrates einer Vielzahl von Kontakten und Gesprächen ver- (Drucksache 234/02) sucht habe, mit Herrn Kollegen Teufel eine Lösung hinsichtlich dieser Personalie herbeizuführen. Es In Drucksache 234/02 liegt Ihnen der entsprechen- kann also nicht die Rede davon sein, dass nicht inten- de Antrag vor. sivste Versuche unternommen worden sind, einen Es gibt eine Wortmeldung: Herr Ministerpräsident einvernehmlichen Vorschlag für diese wichtige Auf- Vogel (Thüringen). gabe zu machen. Ich hatte mehrfach den Eindruck, dass es zu einem Einvernehmen kommt; das hat sich jedoch nicht als tragfähig erwiesen. Dr. Bernhard Vogel (Thüringen): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor ein Das Thema hat schon einmal auf der Agenda des paar Tagen, am 14. März, erreichte mich die Drucksa- Bundesrates gestanden. Ich habe es auf Bitte aus dem che 234/02, mit dem Wunsch, der Ernennung eines Hause von der Tagesordnung genommen, um weitere neuen Direktors des Bundesrates zuzustimmen. Ich Gespräche zu führen. Ich weiß, dass der Präsident, stelle fest: ein ungewöhnlicher, in diesem Haus bisher Herr Kollege Wowereit, die Gespräche intensiv fort- nicht üblicher Vorgang. gesetzt hat. Darauf möchte ich hinweisen. Das Haus hatte in den 53 Jahren seiner Geschichte Um die Kontinuität der Arbeit in diesem Haus si- drei Direktoren: 28 Jahre Herrn P f i t z e r , 9 Jahre cherzustellen, müssen wir heute zu einer Entschei- Herrn Ziller und seit 15 Jahren Herrn Oschatz. dung kommen. Was in mittlerweile fast einem Jahr in- Alle drei sind selbstverständlich im Konsens dieses tensiver Gespräche nicht zu erreichen war, wird, Hauses berufen worden. denke ich, in weiteren sechs oder acht Wochen nicht zu erreichen sein. Ich halte die Entscheidung für not- Heute wird zum ersten Mal ein Vorschlag gemacht, wendig und bitte Sie deshalb darum, sie heute zu tref- zu dem es keinen ernsthaften Versuch einer Konsens- fen. findung unter uns gab, obwohl beispielsweise von Herrn Kollegen Teufel ausdrücklich darum gebeten (D) (B) worden war. Nicht einmal das Präsidium des Bundes- Präsident Klaus Wowereit: Das Wort hat Herr Minis- rates, obwohl nach unserer Geschäftsordnung für in- terpräsident Teufel. nere Angelegenheiten zuständig, hat sich mit der Frage befasst. Auch nur der Versuch, uns den vorge- schlagenen Kandidaten vorzustellen, ist unterblieben, Erwin Teufel (Baden-Württemberg): Herr Präsident, obwohl der Direktor des Bundesrates natürlich nicht meine Damen und Herren! Ich stelle fest: Es hat unter nur für dieses Jahr, sondern für viele künftige Präsi- der Präsidentschaft von Herrn Wowereit nie wirkliche dentschaften bestellt wird. Verhandlungen über einen Kandidaten, der von den A- und B-Ländern gemeinsam getragen werden kann, Nun kann man formulieren: Mehrheit ist Mehr- gegeben. Obwohl Sie, die A-Seite, alle administrati- heit. – Ich setze dem gegenüber: Stil ist Stil, und der ven Spitzenämter dieser Republik besetzen – von Ber- Stil wird geprägt vom Umgang miteinander. lin über Brüssel bis Nürnberg –, waren Sie zu keiner Ich bitte deswegen darum, die Behandlung des An- Stunde bereit, einen qualifizierten CDU-Kandidaten trages heute zurückzustellen, zumal vor Ausscheiden zu akzeptieren. des gegenwärtigen Amtsinhabers noch eine Sitzung Die A-Länder haben derzeit im Bundesrat keine des Bundesrates ansteht, also keine Eile geboten ist. Mehrheit, die B-Länder haben derzeit im Bundesrat Ich betone: Meine Einlassung wendet sich nicht keine Mehrheit. Was läge also näher, als sich auf gegen den vorgeschlagenen Bewerber – ich kenne einen gemeinsamen Kandidaten zu verständigen? ihn nicht –, sondern es ist mein Wunsch, dass wir so Trotzdem waren Sie nicht zu einem Kompromiss be- miteinander umgehen, wie wir, wie unsere Vorgänger reit, nämlich zu einem Kandidaten, der von allen Sei- seit 53 Jahren miteinander umgegangen sind, näm- ten getragen werden kann. Noch gestern haben wir lich sich um Konsens zu bemühen. Ihnen das Mittragen eines hochrangigen SPD-Kandi- daten angeboten. Sie, Herr Präsident, haben an Ihrem Kandidaten festgehalten, über den Sie nie verhandelt Präsident Klaus Wowereit: Das Wort hat Herr Minis- haben, dessen Namen Sie einseitig mitgeteilt haben, terpräsident Beck. den Sie nie vorgestellt und über den Sie mit dem Prä- sidium nie gesprochen haben. Kurt Beck (Rheinland-Pfalz): Sehr geehrter Herr So geht man mit gleichrangigen Partnern nicht um. Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! So geht man nur mit ihnen um, wenn es um die Macht Da wir zu diesem Thema schon eine Aussprache geht. So geht nur vor, wer glaubt, der Staat und seine führen, erlauben Sie mir, dass ich zunächst Herrn Institutionen seien sein Eigentum. Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 131

(A) Präsident Klaus Wowereit: Meine sehr verehrten Da die Anrufung des Vermittlungsausschusses aus (C) Damen und Herren, ich glaube, es ist nicht ange- mehreren Gründen empfohlen wird, frage ich bracht, dass ich darauf reagiere; sonst wäre vieles zu zunächst, wer allgemein für die Anrufung des Ver- sagen. Ich glaube auch nicht, dass es für das Haus mittlungsausschusses ist. Ich bitte um das Handzei- richtig ist, dass auf diese Art und Weise über eine Per- chen. – Das ist eine Minderheit. sonalie diskutiert wird. Wir haben nun über die Zustimmung zum Gesetz zu Gibt es weitere Wortmeldungen? – Das ist nicht der befinden. Wer dem Gesetz zuzustimmen wünscht, Fall. den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Mehr- heit. Der Freistaat Thüringen hat Vertagung des Punktes beantragt. Wer für die Vertagung stimmt, den bitte ich Damit hat der Bundesrat dem Gesetz zugestimmt. um das Handzeichen. – Das ist eine Minderheit. Wir kommen zu Punkt 2: Dann hat der Freistaat Bayern Abstimmung durch Fünftes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Aufruf nach Ländern beantragt. Ich bitte, die Länder die Landwirtschaftliche Rentenbank (Druck- aufzurufen. sache 151/02) Wortmeldungen liegen nicht vor. Dr. Manfred Weiß (Bayern), Schriftführer: Zur Abstimmung liegen Ihnen die Ausschussemp- Baden-Württemberg Nein fehlungen in Drucksache 151/1/02 vor. Bayern Nein Die Anrufung des Vermittlungsausschusses wird Berlin Ja aus mehreren Gründen empfohlen. Daher frage ich zunächst, wer allgemein für die Anrufung des Ver- Brandenburg Ja mittlungsausschusses ist. – Das ist die Mehrheit. Bremen Nein Damit stimmen wir jetzt über die einzelnen Anru- Hamburg Nein fungsgründe ab. Ich rufe auf: Hessen Nein Ziffer 1! – Das ist die Mehrheit. Mecklenburg-Vorpommern Ja Ziffer 2! – Das ist auch die Mehrheit. Niedersachsen Ja Ziffer 3! – Mehrheit.

(B) Nordrhein-Westfalen Ja Ziffer 4! – Mehrheit. (D) Rheinland-Pfalz Ja Der Bundesrat hat den Vermittlungsausschuss, wie soeben festgelegt, angerufen. Saarland Nein Wir kommen nunmehr zu Punkt 8: Sachsen Nein Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zu- Sachsen-Anhalt Ja wanderung und zur Regelung des Aufenthalts Schleswig-Holstein Ja und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) (Drucksa- Thüringen Nein che 157/02) Dazu erteile ich Herrn Ministerpräsidenten Profes- Präsident Klaus Wowereit: Das ist die Mehrheit. sor Dr. Biedenkopf (Sachsen) das Wort. Damit hat der Bundesrat der Ernennung von Herrn Staatssekretär Dirk Brouër mit Wirkung vom Prof. Dr. Kurt Biedenkopf (Sachsen): Meine sehr 1. Mai 2002 zum Direktor des Bundesrates zuge- verehrten Damen und Herren! Herr Präsident, ich stimmt. möchte Ihnen zunächst sehr herzlich für die liebens- Herr Brouër, recht herzlichen Glückwunsch! würdigen Worte der Verabschiedung danken. Ich habe mich in diesem Hohen Hause immer sehr wohl (Beifall) gefühlt. Nachdem ich die Veränderung überwunden Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 1: hatte, die jeder Redner im Bundesrat erfährt, nach- dem er bisher nur in Parlamenten – im Bundestag Gesetz zur Änderung des Agrarstatistikgeset- oder im Landtag – geredet hat, waren eine gute zes und des Gesetzes zur Durchführung der Atmosphäre und die Bemühungen der Länder um das Gemeinsamen Marktorganisationen (Drucksa- Gemeinwohl, die auch in der Ministerpräsidenten- che 150/02) konferenz zum Ausdruck kommen, ermutigend. Wortmeldungen liegen nicht vor. Sie, Herr Präsident, haben – und ich danke Ihnen Zur Abstimmung liegen Ihnen die Ausschussemp- dafür – meine Bemühungen um das Wohl des Landes fehlungen in Drucksache 150/1/02 sowie zwei Anträ- und um die Erörterung grundsätzlicher Fragen her- ge Baden-Württembergs in Drucksachen 150/2 und vorgehoben. Das ist auch der Grund dafür, dass ich 150/3/02 vor. mich in dieser Debatte zu Wort melde. 132 Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 Prof. Dr. Kurt Biedenkopf (Sachsen) (A) Ich möchte mich dabei auf zwei Aspekte des Geset- Arbeitsmarkt von 377 Millionen Menschen, in dem (C) zes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung Freizügigkeit besteht. Die Freizügigkeit wird sich im beschränken, und zwar auf die arbeitsmarktpoliti- Laufe des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts auf schen Aspekte. In diesem Bereich sind zwei Gesichts- die Beitrittsländer erstrecken. Das bedeutet, Ende punkte zu unterscheiden: die Zuwanderung von Spe- dieses Jahrzehnts – 2010, 2011, 2012 – werden weitere zialisten und die Zuwanderung aus demografischen rund 100 Millionen Menschen der Europäischen und anderen Gründen in den allgemeinen Arbeits- Union angehören, so dass wir eine Bevölkerung von markt. fast 500 Millionen haben werden, in der ohne Zuwan- derungsgesetz Arbeitsmärkte angezapft oder ausge- Die Zuwanderung von Spezialisten findet bereits schöpft werden können, wenn es bei uns Defizite gibt. statt. Die Initiative, durch die so genannte Green Card solche Zuwanderungen auf administrative Weise zu Das geschieht auch schon. ermöglichen, war verdienstvoll. Es war sinnvoll, das Das heißt, die Zuwanderung, von der hier die Rede zu tun. Aber die Debatte über diese Fragen ist nicht ist, ist keine Zuwanderung aus dem europäischen konsequent fortgeführt worden. Das Erste, was in der Kulturkreis. Diese Tatsache ist in der Debatte weitge- Debatte anklang, aber bisher nicht zu wirklichen hend unerörtert geblieben. Sie hat aber enorme Kon- Konsequenzen geführt hat, ist die erstaunliche Tatsa- sequenzen. che, dass Deutschland, das vor 70 Jahren noch ein führendes Wissenschaftsland der Welt war, mit seinen Aus demografischen Gründen ist eine Zuwande- 82 Millionen Einwohnern heute darauf angewiesen rung nach Deutschland im ersten Jahrzehnt des ist, Spezialisten zu importieren, weil es offenbar nicht 21. Jahrhunderts nicht notwendig. Wir haben im Au- in der Lage war, selbst eine ausreichende Zahl von genblick mit über 70 % den höchsten Anteil der Er- Spezialisten heranzubilden. werbsbevölkerung, den Deutschland im gesamten 21. Jahrhundert haben wird. Das ist darauf zurückzu- Es hätte nahe gelegen, im Zusammenhang mit der führen, dass die Zahl der Kinder wesentlich zurück- Feststellung des Defizits eine breit angelegte Kampag- gegangen ist und die Zahl der Alten noch nicht sehr ne in Deutschland in Gang zu setzen, die die Beurtei- hoch ist. Das wird sich im zweiten Jahrzehnt des lung und die Diskussion der Frage zum Gegenstand 21. Jahrhunderts verändern, dann allerdings mit er- hat, was die Ursachen für dieses Defizit sind. Die heblicher Geschwindigkeit. Ursachen sind überwiegend, wenn nicht ausschließ- lich hausgemacht. Aber bis heute sind keine durch- Es gibt aber keinen Zwang, die arbeitsmarktpoli- greifenden Konsequenzen erkennbar. tisch motivierte Zuwanderung jetzt schon und dann noch unter Bedingungen zur Entscheidung zu führen, Unsere Hochschulen bewegen sich nach wie vor in die jedenfalls in den Augen der Bevölkerung, die (B) einem engen Korsett der Reglementierung durch Bund davon betroffen sein wird, wenig überzeugend sind. (D) und Länder. Es findet zu wenig Wettbewerb statt. Es sind zu wenig alternative Möglichkeiten der Entwick- Wiederum handelt es sich um hausgemachte Pro- lung vorhanden. Entscheidende Zukunftsinvestitionen bleme. Selbstverständlich könnten wir bei einer ent- fehlen. Die Einwerbung von Spezialisten zur Deckung sprechenden Reform des Arbeitsmarktes, bei einer solcher Defizite ist nicht nur keine Lösung auf Dauer, entsprechenden Reform und Veränderung der sozia- sondern sie ist auch sehr problematisch. len Systeme Arbeitsmarktpotenziale ausschöpfen, die es in Deutschland gibt und die zurzeit nicht ausge- Wir können zwar in Europa einwerben – später schöpft werden. auch bei den Beitrittsländern –, aber die Wirkung, wenn man dies zum dauerhaften Prinzip erklärt, wird Das ist mit erheblichen politischen Kosten verbun- sein, dass wir im Wesentlichen dort einwerben, wo den, und abermals neigen wir dazu, diese Kosten zu Spezialisten weniger verdienen und weniger Mög- externalisieren – diesmal auch auf die nachkommen- lichkeiten haben, d. h. in den Beitrittsländern und in den Generationen. Die Europäische Union hat unsere den Schwellenländern. Was wir damit tun, kann man Unbeweglichkeit in Deutschland kritisiert, die dazu zusammenfassend als Externalisierung politischer führt, dass wir unsere eigenen Potenziale nicht ausrei- Kosten bezeichnen, die im eigenen Land entstehen chend ausschöpfen können. würden, wenn wir selbst große Anstrengungen un- Es ist aber nach meiner Auffassung unzulässig, ternähmen, die Defizite zu beseitigen. Kurzfristig ist ohne eine grundlegende Debatte mit der Bevölke- es akzeptabel, dass wir anwerben. Aber dafür brau- rung über die Frage, ob wir Einwanderung aus ande- chen wir kein Gesetz. Langfristig ist es keine für ren Kulturkreisen nach Deutschland in größerem Deutschland akzeptable Politik. Umfang befördern wollen, eine solche Entscheidung Meine Bemerkungen beziehen sich zum Zweiten zu treffen. Darum geht es nämlich; es geht nicht um auf die Zuwanderung aus arbeitsmarktpolitischen die Zuwanderung aus dem europäischen Kulturkreis. Gründen, die von der Wirtschaft gewünscht wird; die- Ich habe schon gesagt, dass es auch hier keinen un- sem Wunsch entspricht das Gesetz. Auch da scheint mittelbaren Handlungsbedarf gibt. mir, dass eine ausreichende Debatte über diesen Wenn die Steuerung des Arbeitsmarktes auf der jet- langfristig wirksamen und in seinen Dimensionen zigen Grundlage, von der Wirtschaft und anderen er- möglicherweise tief greifenden Einschnitt in unsere wünscht, so angelegt wird, müssen wir uns aber darü- bisherige Entwicklung zu wenig geführt worden ist. ber im Klaren sein, dass wir die damit verbundenen Zunächst einmal braucht man kein Zuwanderungs- Probleme nicht nur ohne ausführliche Diskussion gesetz für die Mobilität in Europa. Wir haben einen mit der gegenwärtigen Erwerbsbevölkerung, sondern Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 133 Prof. Dr. Kurt Biedenkopf (Sachsen) (A) vor allen Dingen zu Lasten der nachkommenden Ge- wanderung notwendig, aber keine ausreichende oder (C) nerationen lösen wollen. Denn eine umfänglichere alleinige Strategie, sondern es müssen zwei weitere Zuwanderung aus Kulturkreisen, die außerhalb Euro- Dinge hinzutreten. pas liegen, wird eine dauerhafte Veränderung in Zum einen müssen wir uns auf eine alternde Bevöl- Deutschland zur Folge haben. Das kann man akzep- kerung einrichten. Das heißt aber vor allen Dingen: tieren, das kann man auch wollen, aber das muss man Zukunftslasten abbauen, nicht nur die Neuverschul- wissen. Diese Veränderungen verteilen sich nicht dung. Die kommenden Jahrgänge und die kommen- gleichmäßig über das Land, sondern sie erfolgen in den Generationen müssen entlastet werden. Wenn den Ballungszentren, die in der Regel Ziel der Zu- wir wirklich ehrlich sind, müssen wir sagen, dass wanderung sind. meine Enkel meinen Kindern keine Rente bezahlen Ich halte es nicht für vertretbar, eine solche arbeits- werden, wie sie heute im Umlageverfahren verspro- marktbedingte Zuwanderung ohne eine wirkliche chen wird, weil sie es nicht können, es sei denn, die Aufklärung über diese Zusammenhänge jetzt in Kraft jetzt aktive Generation bildet in großem Umfang zu setzen. Vermögen. Je mehr die Vermögensbildung zur Ka- pitalintensivierung der Wirtschaft beiträgt, desto bes- Langfristig allerdings werden wir in Deutschland ser kann man mit einer zahlenmäßig geringeren Ar- enorme demografische Probleme bekommen. Ich darf beitsbevölkerung zurechtkommen. Das geschieht mit Blick auf meine letzte Teilnahme im Bundesrat aber nur sehr unvollkommen. sagen: Wenn es eine wirkliche Sorge gibt, mit der ich Wir müssen zum anderen die bescheidenen Mög- die aktive Politik verlasse – jedenfalls im Sinne der in- lichkeiten ausschöpfen, die wir haben, um das Gebur- stitutionellen Politik –, dann auf Grund des Umstan- tenverhalten, d. h. die Familienbildung, zu fördern, des, dass wir bisher in Deutschland nicht in der Lage gewesen sind, uns mit den langfristigen Veränderun- damit Frauen und Männer unter besseren Voraus- gen in unserem Land als Folge der demografischen setzungen, als es heute nach ihrer subjektiven Auffas- Entwicklung ernsthaft zu befassen. sung der Fall ist, Kinder in die Welt setzen können. Ich nenne drittens die Einwanderungsstrategie. Wir haben es in Ansatzpunkten zum ersten Mal im Hierzu will ich zum Schluss sagen, dass wir auch über Zusammenhang mit der Rentenreform getan. Aber die Integrationskosten auf andere Weise reden müs- auch dort war die Debatte unzureichend. Wenn meine sen. Es ist richtig, dass sich Bund und Länder darüber Enkel 40 Jahre alt sind, werden 40 % der Bevölke- unterhalten – um nicht zu sagen: streiten –, wer die rung in Deutschland über 60 Jahre alt sein. Wenn man Kosten für den Deutschunterricht bezahlen soll. Aber von der erwachsenen Bevölkerung, also 18 Jahre und es ist eine schlichte Illusion zu glauben, dass die älter, ausgeht, dann wird der so genannte Median (B) Frage der Integrationskosten damit erledigt wäre. Es (D) – die Hälfte der Bevölkerung jünger, die Hälfte der gibt erhebliche zusätzliche Integrationskosten, die in Bevölkerung älter – bei knapp 50 Jahren liegen. jeder Gemeinde und in jeder Stadt anfallen und die Das ist eine fundamentale Veränderung nicht nur nicht nur finanzieller, sondern auch emotionaler der Bevölkerung, sondern des gesamten Lebens in Art sind. Die deutsche Bevölkerung muss bei der Inte- unserem Land. Wir werden ein anderes Konsumver- gration mitmachen. Glauben wir doch bitte nicht, halten haben. Wir werden andere Infrastrukturmaß- dass es, wenn wir 150 000 bis 200 000 Nettozuwande- nahmen ergreifen müssen. Der Städtebau wird davon rungen haben, ohne die aktive Beteiligung der deut- betroffen. Die Investitionsbildung, die Konsum- und schen Bevölkerung möglich ist, Integrationsleis- Investitionsverteilung des Volkseinkommens – alles tungen zu erbringen, vor allem dann, wenn die wird sich ändern. Einwanderung aus anderen Kulturräumen erfolgt! Wenn das aber nicht gelingt, wird es keine Integra- Man sage mir bitte nicht, dass das alles noch tion geben, sondern dann werden sich Cluster von 30 Jahre vor uns liege. Wir alle in diesem Haus ken- Menschen gleichen Glaubens, gleicher Hautfarbe, nen die Gesetzmäßigkeiten langfristig angelegter po- gleicher Herkunft bilden. Das ist im Grunde ein nor- litischer Entscheidungen. Es dauert lange, bis man maler Prozess; er stellt uns aber vor völlig andere Inte- sich entschieden hat. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis grationsaufgaben. wir bei der Rentenreform endlich zu der Erkenntnis Meine Damen und Herren, es kann nicht angehen, gekommen sind, dass man neben dem Umlageverfah- dass deutsche Eltern nicht öffentlich über die Frage ren auch ein anderes, nämlich ein kapitalfinanziertes reden und diskutieren dürfen, ob es sinnvoll ist, in Verfahren braucht, obwohl die Entwicklung seit den einer Schulklasse eine Mehrheit integrationsbedürf- 70er-Jahren vorhersehbar war. tiger ausländischer Kinder zusammen mit einer Min- Die Entwicklung, von der ich rede, ist vorhersehbar. derheit deutscher Kinder zu unterrichten. Solange die Sie steht mehr oder weniger fest, und es muss eine Mehrheit der integrationsbedürftigen Kinder das Debatte in unserem Land darüber geben, wie wir mit deutsche Niveau nicht erreicht hat, ist das nicht sinn- ihr langfristig fertig werden wollen, ehe wir Teilbau- voll. Wir müssen uns also darüber unterhalten, wie steine, aus dem Zusammenhang herausgelöst, ent- wir das in Zukunft organisieren wollen. Angesichts wickeln, ohne über die Konsequenzen der jeweils ein- einer zahlenmäßig kleiner werdenden Kinder- und geschlagenen Wege zu diskutieren. Jugendlichengeneration haben wir die Aufgabe, jedes Talent auszuschöpfen. Das heißt, wir müssen Wenn wir uns langfristig mit der demografischen alles tun, damit die Kinder, die jetzt in die Schule Entwicklung auseinander setzen wollen, dann ist Ein- gehen und die in 10, 15 Jahren in die Schule gehen 134 Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 Prof. Dr. Kurt Biedenkopf (Sachsen) (A) werden, jede nur erdenkliche Ermutigung bekom- zusammen, vor Ort haben auch Kinder von Migranten (C) men, das zu entwickeln, was in ihnen steckt. Das darf Bildungschancen – oder auch nicht. nicht dadurch verbaut werden, dass man die Schule Wer sich die Bestimmungen des Zuwanderungsge- gleichzeitig als Integrationsort benutzt, solange die- setzes unvoreingenommen ansieht, erkennt die deut- jenigen, die zugewandert sind, noch nicht integriert lichen Verbesserungen und die eingearbeiteten Kom- sind. Das heißt, die gesellschaftliche Integration kann promisslinien gegenüber dem jetzigen Rechtszustand. in der Schule stattfinden, nicht aber die Schaffung der Hierin sind Vorstellungen der CDU ebenso zu finden Voraussetzungen für die gesellschaftliche Integration, wie solche der FDP und der Koalition aus Grünen und soweit sie durch den Unterricht vermittelt werden. Das muss auf andere Weise geschehen. SPD. Ich habe das nur als ein Beispiel verwendet. Man Wie will man eigentlich den Menschen erklären, hat es in Deutschland in der Vergangenheit weit- dass man ein Gesetz ablehnt, in dem sich vieles von gehend abgelehnt, solche Fragen anzusprechen, weil dem wiederfindet, was von den Parteien in der Öf- man die Sorge hatte, sich dem Vorwurf auszusetzen, fentlichkeit politisch formuliert worden ist? Wie will man diskriminiere Ausländer. Wir diskriminieren man erklären, dass man nicht möchte, dass das zer- Ausländer, wenn wir über diese Fragen nicht dis- splitterte und von Sonderregelungen geprägte Aus- kutieren; denn dann verselbstständigen sie sich, und länderrecht zu einem abgestimmten Regelwerk zu- wenn sie sich verselbstständigen, entziehen sie sich sammengeführt und vereinfacht wird? der gesetzlichen und der politischen Regelung auf Es geht doch im Grundsatz um die Gestaltung der allen Ebenen. Zuwanderung, um die Integrationsfähigkeit und die Deshalb – Herr Kollege Schily, ich habe Ihnen das Integrationsmöglichkeiten in unserem Land sowie um schon angekündigt – sehen wir uns, sieht sich der wirtschaftliche und arbeitsmarktpolitische Interessen. Freistaat Sachsen außer Stande, dem heute vorgeleg- Letztlich geht es – das sollten wir nicht vergessen – ten Gesetz zuzustimmen. um die Erfüllung unserer humanitären Verpflichtun- gen. Der vorgelegte Kompromiss enthält ausdrücklich Präsident Klaus Wowereit: Recht herzlichen Dank, die von der CDU geforderte Zielbestimmung der Zu- Herr Ministerpräsident Dr. Biedenkopf! wanderungsbegrenzung. Ich glaube jedenfalls nicht, Das Wort hat Frau Ministerpräsidentin Simonis dass die Ablehnung des Gesetzes von der Sache her (Schleswig-Holstein). vermittelbar ist. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Gewerk- (B) schaften, Kirchen, viele Gruppen in unserer Gesell- (D) Heide Simonis (Schleswig-Holstein): Herr Präsi- schaft, viele Menschen, die Mehrheit sogar, aber auch dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die die Wirtschaftsverbände sprechen sich seit langem für Gestaltung der Zuwanderungspolitik durch das Zu- dieses Gesetz aus – und das nicht ohne Grund. wanderungsgesetz, über das wir heute diskutieren, ist von zentraler Bedeutung für die Zukunft unseres Lan- Unstreitig dürfte sein, dass trotz der hohen Arbeits- des. Es setzt unseren Mut voraus – Mut zur Anerken- losigkeit in hoch technologischen Teilarbeitsmärkten, nung der Realitäten in unserem Land, Mut, unsere insbesondere in der Biotechnologie und in der Infor- Interessen zu benennen, aber auch Mut, die Bedürf- mations- und Kommunikationstechnologie, ein Man- nisse und die Interessen der über sieben Millionen gel an qualifizierten Fach- und Führungskräften be- Ausländer, die bei uns leben, arbeiten, Steuern zahlen steht. Schon heute versuchen Kollegen von mir, und sich heimisch fühlen, anzuerkennen. Pflegekräfte im Ausland anzuwerben, weil nur so eine humane Pflege in Krankenhäusern und Pflegeheimen Wir entscheiden heute mit dem Zuwanderungs- garantiert werden kann. Der hier bestehende Bedarf, gesetz auch über den Wirtschafts- und Bildungsstand- den wir alle kennen und der von der Industrie oder ort Deutschland, über den sozialen Frieden und die von den Institutionen immer wieder vorgetragen Außendarstellung Deutschlands. Bleiben wir weiter wird, wird weder durch verstärkte Aus- und Weiter- ängstlich am Trugbild einer homogenen Nation haf- bildung noch durch intensive Aktivierung des inlän- ten, oder sind wir souverän und weltoffen? dischen Arbeitskräftepotenzials in ausreichendem Die Stimmen, die in den letzten Tagen zu hören Maße gedeckt werden können. In Anbetracht des waren, lassen an manchen Stellen den Eindruck ent- stetig steigenden Wettbewerbsdrucks und eines be- stehen, es mangele an der Bereitschaft, sich mutig schleunigten Wandels in der Arbeitswelt ist daher der und ohne auf einen Wahltermin zu schielen mit die- Zuzug hoch qualifizierter Arbeitskräfte unumgäng- sem Thema zu befassen. Ich wünsche mir, dass wir lich, um die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes uns im Bundesrat, dem Stil des Hauses angemessen, Deutschland nachhaltig zu sichern und zu fördern. mit Sachargumenten auseinander setzen und am Unser Grundgesetz stellt Ehe und Familie unter be- Ende vielleicht sogar eine Lösung finden. sonderen Schutz. Das muss auch für die Menschen Nicht bundesweite Zuzugszahlen – welcher Gruppe gelten, die zu uns kommen, zumal wir von ihnen ver- auch immer – bestimmen unsere Zukunft, sondern langen, dass sie sich nach unserem Grundgesetz rich- ganz konkret die Aufnahme und das Zusammenleben ten. Das Zuwanderungsrecht kann bestimmte Anfor- vor Ort. Vor Ort finden Firmen qualifizierte Mitarbei- derungen z. B. an die Aufenthaltsdauer oder die ter, vor Ort leben Menschen in guter Nachbarschaft Unterhaltsfähigkeit stellen, es kann aber nicht den Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 135 Heide Simonis (Schleswig-Holstein) (A) Ehegattennachzug insgesamt verhindern. Ebenso ist Endlich wird anerkannt: Deutschland ist ein Zu- (C) es beim Kindernachzug, der im Übrigen zahlenmäßig wanderungsland! Dies wird erstmalig in gut hand- keine Rolle spielt. habbares, flexibles und zukunftsweisendes Recht um- gesetzt. Das geltende Recht sieht hier eine Altersbeschrän- kung von 16 Jahren vor. Das Zuwanderungsgesetz Das Gesetz stellt hohe Anforderungen an die Län- setzt für den Nachzug eine Grenze von zwölf Jahren, der, wenn es um die Integration geht. Die Schleswig- setzt diese Grenze also noch herab. Darüber hinaus Holsteinische Landesregierung begrüßt es, dass das kann ein Nachzug unter Berücksichtigung des Kin- Zuwanderungsgesetz erstmalig Regelungen zur Inte- deswohls, der familiären Situation und der Erwar- gration enthält. Diese berücksichtigen allerdings tung, dass sich das Kind integrieren wird, zugelassen nicht, dass die Länder Integrationsleistungen erbrin- werden. Das ist meiner Meinung nach das Mindest- gen, die die Leistungen des Bundes um ein Vielfaches maß dessen, was unser Grundgesetz fordert. übersteigen. Aus unserer Sicht entspräche es einer ge- rechten Lastenverteilung, wenn der Bund die Kosten Wenn im politischen Raum sogar jetzt noch die For- für die Integrationskurse voll trüge. Dies hat der Bun- derung erhoben wird, das Zuzugsalter von Kindern desrat im ersten Durchgang auch empfohlen. auf drei Jahre zu begrenzen, weiß ich wirklich nicht Schleswig-Holstein stimmt dem Zuwanderungsge- mehr, ob wir mit Recht behaupten können, wir hielten setz zu. Mit diesem Gesetz würde der Bundestag eine uns an unser Grundgesetz. gute Basis für die künftige Gestaltung der Zuwande- Auch bei der Aufnahme von Asylbewerbern und an- rung erhalten. Wir werden aber unsere Möglichkeiten deren Flüchtlingen gelten die Vorgaben des Grund- nutzen, um bei der Ausgestaltung der Integrations- gesetzes und der Genfer Flüchtlingskonvention. Asyl- kurse und der Entwicklung des Integrationspro- berechtigte genießen Schutz, ebenso ausdrücklich die gramms unsere Erfahrungen und Vorstellungen ein- Opfer geschlechtsspezifischer und nichtstaatlicher zubringen. Wir meinen, dass wir dazu gute Angebote Verfolgung. Das öffnet keine Tore, sondern entspricht vorlegen können. – Ich danke Ihnen für Ihre Auf- anerkannten humanitären Standards, die jetzt auch merksamkeit. von der Europäischen Union aufgegriffen und in eine Richtlinie gegossen werden sollen. Präsident Klaus Wowereit: Das Wort hat nunmehr Herr Ministerpräsident Müller (Saarland). Auf dieser Grundlage beschleunigt das neue Gesetz die Verfahren im Interesse der Schutzbedürftigen. Damit wird es allerdings auch unattraktiv für jene, die Peter Müller (Saarland): Herr Präsident! Meine sehr an langwierigen Verfahren interessiert sind. verehrten Damen und Herren! Ich möchte die herzli- (B) (D) che Bitte äußern, den vom Saarland vorgelegten An- Vor allem enthält das Gesetz endlich eine Härtefall- trag auf Anrufung des Vermittlungsausschusses mit regelung. Hierfür hat sich die Schleswig-Holstei- dem Ziel einer grundlegenden Überarbeitung des Ge- nische Landesregierung seit langem mit Nachdruck setzes am heutigen Vormittag zu unterstützen und zu eingesetzt. Die Arbeit unserer Härtefallkommission beschließen. Ich meine, dies ist der einzige Weg, um hat zahlreiche Schicksale aufgezeigt, bei denen die die – auch nach den Aussagen der Bundesregierung – Ausreisepflicht für die Betroffenen eine nicht erträg- notwendige breite gesellschaftliche und politische liche Härte darstellte und bei denen Unterstützung Mehrheit für die Regelung der Zuwanderung in der aus der Bevölkerung, aus der Unternehmerschaft, aus Bundesrepublik Deutschland zu erreichen. Es ist der den Kirchen, aus Verbänden und Vereinen sowie aus einzig verbleibende Weg, um ein geschlossenes Kon- Klassen, die für ihre Klassenkameradinnen und Klas- zept zu erreichen, das dem Anspruch, ein Gesetz zur senkameraden gesprochen haben, an uns herange- Begrenzung und Steuerung der Zuwanderung sowie tragen worden ist. zur Integration der hier lebenden Ausländerinnen und Ausländer zu sein, wie aus dem Titel hervorgeht, Dass hierbei auch von einigen CDU-regierten Län- Rechnung trägt. dern Zustimmung signalisiert wurde, bedeutet, sie müssen dieselbe Erfahrung wie ich gemacht haben, Dass es Regelungsbedarf im Bereich der Zuwande- nämlich in einem solchen Fall, der einem menschlich rung gibt, war auch bei der Befassung des Bundesra- sofort einleuchtet, nach Gesetzeslage schlichtweg tes mit dem Gesetzentwurf unstreitig. Fakt ist, dass Nein sagen zu müssen. die Bundesrepublik Deutschland unter einem hohen Zuwanderungsdruck steht. Seit Beginn der 60er- Gott sei Dank greift das Zuwanderungsgesetz diese Jahre sind mehr als 30 Millionen Menschen zugewan- Forderungen auf. Es bietet den Ländern die Möglich- dert, während im gleichen Zeitraum etwa 22 Millio- keit, Härtefallkommissionen einzurichten. Ein Land nen Menschen die Bundesrepublik Deutschland kann allerdings auch darauf verzichten, wenn kein verlassen haben. Bedarf besteht. Fakt ist auch, dass die Zuwanderung in den letzten Meine sehr verehrten Damen und Herren, Schles- Jahren nicht in die Arbeitsmärkte, sondern in die so- wig-Holstein stimmt dem Gesetz zu. Wir wissen, dass zialen Sicherungssysteme stattgefunden hat. Die Zahl es ein Kompromiss ist. Wir hätten gern ein bisschen der sozialversicherungspflichtigen Ausländer ist deut- mehr erreicht, aber in der Gesamtschau überwiegen lich zurückgegangen, obwohl sich der Anteil der Aus- im Bereich des Zuwanderungsrechts eindeutig die länder an der Gesamtbevölkerung der Bundesrepu- Vorzüge des Gesetzes. blik Deutschland verdoppelt hat. 136 Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 Peter Müller (Saarland) (A) Die Bundesrepublik unterliegt einem höheren Ein- kariert. Insgesamt sind die notwendigen Veränderun- (C) wanderungsdruck als eine ganze Reihe von klassi- gen des Gesetzes in Richtung auf ein echtes Zuwan- schen Einwanderungsländern. Deshalb hat sie das derungsbegrenzungskonzept nicht erfolgt. Es ist der Recht und die Pflicht, auf diesen Tatbestand in ver- Versuch gemacht worden, mit zu einem erheblichen gleichbarer Weise zu reagieren, d. h. eine Regelung Teil inhaltsleeren Formelkompromissen den Eindruck zu schaffen, die auf der einen Seite das Maß an jähr- zu erwecken, den Forderungen sei Rechnung getra- lich verträglicher Zuwanderung, auf der anderen gen worden. Ich will dies an einigen Beispielen dar- Seite die Kriterien bestimmt, nach denen die Men- stellen. schen, die zu uns kommen, ausgewählt werden. In § 1 des Gesetzes ist jetzt davon die Rede, Ziel sei Herr Bundesinnenminister, Sie haben des öfteren die Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung. gesagt – und sich dabei auf mich bezogen –, die Frage Dies entspricht einer vom Bundesrat erhobenen For- sei nicht: Zuwanderung ja oder nein?, sondern sie lau- derung. Ich will nicht auf die Widersprüchlichkeit der tet: Zuwanderung geregelt oder ungeregelt? Dieser Formulierung eingehen; denn bereits in Satz 2 ist die Satz bleibt richtig. Deshalb brauchen wir ein Zuwan- Rede davon, es gehe eben nicht nur um die Begren- derungsgesetz. Aber ein solches Gesetz muss die zung und Steuerung, sondern auch um die Ermögli- Begrenzung der Zuwanderung unter Berücksichti- chung der Zuwanderung. Vor allen Dingen wird aus gung der Integrationsfähigkeit der Bundesrepublik der in § 1 formulierten Zielsetzung keine praktische Deutschland leisten. Beim vorliegenden Gesetz ist das Konsequenz gezogen. Im weiteren Verfolg des Geset- nicht der Fall. Deshalb ist es nicht geeignet, die Auf- zes wird das Ziel der Begrenzung nicht umgesetzt. gabe, vor der wir stehen, zu lösen. Wir brauchen ein Zuwanderungsgesetz, aber nicht das vorliegende. Ich will ein Beispiel mit Blick auf die Situation am Arbeitsmarkt nennen. Wir alle wissen, dass der An- Mit dem Gesetz wird die Zuwanderung nicht auf werbestopp, das grundsätzliche Verbot der Anwer- das erforderliche Maß begrenzt. Es schafft neue An- bung ausländischer Arbeitskräfte außerhalb der Eu- reize für Zuwanderung auch in die sozialen Siche- ropäischen Union, im Jahr 1973 verkündet wurde. rungssysteme. Es leistet nicht die notwendige Um- Damals betrug die Arbeitslosenquote in der Bundes- steuerung von der Zuwanderung in die Sozialsysteme republik Deutschland 1,2 %. zu Zuwanderung in die Bereiche des Arbeitsmarktes, in denen ein wirkliches Bedürfnis besteht. (Dr. Edmund Stoiber [Bayern]: Sehr richtig!) Das Gesetz ist kein Zuwanderungsbegrenzungs- Unter den Ausländerinnen und Ausländern, die sich konzept, sondern ein Zuwanderungserweiterungs- damals bei uns aufhielten, lag die Arbeitslosenquote konzept. Es ist im Übrigen ein Kostenverlagerungs- bei 0,8 %. In dieser Situation verkündete Willy (B) konzept zum Nachteil der Länder und Kommunen. Brandt den Anwerbestopp. (D) Wenn es darum geht, in der Sache einen Konsens zu finden, gibt es keine Alternative zu einer grundlegen- Heute haben wir nicht 370 000, sondern 4,3 Millio- den Überarbeitung des Gesetzes im Vermittlungsaus- nen Arbeitslose. Die Arbeitslosenquote liegt bei fast schuss. 10 %, unter den Ausländerinnen und Ausländern sogar bei fast 20 %; sie ist also fast doppelt so hoch. Der Bundesrat hat bereits am 20. Dezember des vergangenen Jahres zentrale Forderungen formu- In einer solchen Situation kann die Antwort auf die liert, die erfüllt werden müssen, um zu einem zustim- Entwicklung in einem Zuwanderungsgesetz doch mungsfähigen Gesetz zu gelangen. Ich selbst habe nicht die weitgehend unreflektierte Aufhebung des am 20. Dezember von dieser Stelle aus gesagt: Not- Anwerbestopps sein. Man mag über die Frage reden wendig ist eine Regelung, die die Zuwanderung unter – dazu bin ich gerne bereit –, ob der Anwerbestopp, Berücksichtigung der Integrationsfähigkeit steuert der ein System des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt ist, und begrenzt, die den humanitären Verpflichtungen durch ein System der Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt der Bundesrepublik Deutschland Rechnung trägt, die ersetzt wird. Wenn man aber zu dieser Umstellung aber auch die legitimen nationalen Interessen ange- kommt, muss der Verbotsvorbehalt so ausgestaltet messen berücksichtigt und die Zusammengehörigkeit sein, dass Zuwanderung nur in die Bereiche des Ar- von Zuwanderung und Integration betont und um- beitsmarktes stattfindet, in denen es ein echtes natio- setzt. – Daraus ist eine Reihe von Forderungen an das nales Bedürfnis gibt. Zuwanderung darf nur dann er- Gesetz abgeleitet worden. folgen, wenn die vorhandenen Arbeitsplätze nicht mit Personen besetzt werden können, die sich bereits Wo stehen wir heute? Was ist geschehen? Richtig heute in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten ist, Herr Bundesinnenminister, dass einzelne Teile der und keine Arbeit haben. Aber diese Orientierung der am 20. Dezember geäußerten Forderungen aufgegrif- Migration an einem echten nationalen Arbeitsmarkt- fen worden sind. Zumindest nach den Worten, die bedürfnis wird durch das Gesetz nicht gewährleistet. jetzt im Gesetz verwandt werden, haben einige For- Das dokumentieren insbesondere zwei Punkte, die derungen Eingang gefunden. Richtig ist aber auch, ich ansprechen möchte. dass das Gesetz substanziell unverändert geblieben ist. Die sich daraus ergebenden Konsequenzen in den Es ist richtig, dass im Unterschied zur ursprüngli- materiellen Regelungen des Gesetzes sind im We- chen Regierungsvorlage in § 39 der Begriff „regional“ sentlichen nicht verändert worden. Zum Teil wurden gestrichen worden ist. Aber nach wie vor entscheiden Veränderungen in die richtige Richtung durch Verän- die Verwaltungsausschüsse der örtlichen Arbeitsäm- derungen in die entgegengesetzte Richtung konter- ter über die Zuwanderung in den Arbeitsmarkt. Damit Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 137 Peter Müller (Saarland) (A) ist nicht sichergestellt, dass die notwendige Orientie- die von der Genfer Flüchtlingskonvention eben nicht (C) rung an den wirklichen Bedürfnissen des nationalen erfasst sind. Die Formulierungen zur nichtstaatlichen Arbeitsmarktes stattfindet. Verfolgung gehen über den Anwendungsbereich der Genfer Flüchtlingskonvention hinaus. Natürlich gibt Der zweite Punkt, der das noch deutlicher doku- es Fälle geschlechtsspezifischer Verfolgung, die mentiert, ist die Regelung in § 20. Die so genannte durch die GFK abgedeckt sind; aber die GFK selbst Angebotsvariante sieht vor, dass es künftig auf der führt dies nicht als eigenständiges Tatbestandsmerk- Basis einer Rechtsverordnung, die nunmehr mit Zu- mal aus. Wenn dies jetzt im Gesetz geschieht, schafft stimmung des Bundesrates erlassen werden soll, mög- es zumindest Rechtsunsicherheit. lich ist, dass jährlich eine bestimmte Zahl von Men- schen nach einem Punktesystem zuwandert, ohne In diesem Zusammenhang möchte ich nur eine Stim- Rücksicht darauf, ob ein konkretes Arbeitsplatzange- me zitieren. Der Völkerrechtler Kay H a i l bronner bot oder ein konkretes Arbeitsmarktbedürfnis be- hat zu den Regelungen gesagt: steht. In der Tat, ich halte diese Regelungen für viel zu Lieber Herr Kollege Schily, Sie haben bisweilen ge- undifferenziert und viel zu weit gehend. Sie sagt, auch die CDU wolle doch das Quotensystem. Ja, gehen auch über das hinaus, was in anderen aber unter der Bedingung, dass vorher ein konkretes Mitgliedstaaten praktiziert wird, die mit einem nationales Arbeitsmarktbedürfnis nachgewiesen großzügigen Verfolgungsbegriff operieren. wurde und dass es um Arbeitsplätze geht, die anders nicht besetzt werden können. Mit dem Quotensystem Hinzu kommt, dass entgegen den Forderungen, die wollen Sie unabhängig vom Bestehen eines konkre- wir hier am 20. Dezember gestellt haben, nach wie ten Arbeitsmarktbedürfnisses die Möglichkeit der Zu- vor nicht ausgeschlossen ist, dass in denjenigen Fäl- wanderung in den Arbeitsmarkt schaffen. Das kann len, in denen eine Abschiebung aus Gründen rechtli- bei 4,3 Millionen Arbeitslosen nicht sinnvoll sein. cher oder tatsächlicher Unmöglichkeit unterbleibt, Daueraufenthaltsrechte entstehen. Da hilft auch der Hinweis nicht, es gehe um einen Hinzu kommt die Problematik der Härtefallklausel. Vorratsbeschluss und es sei ein in den Jahren 2012, Ich meine, dass wir eine Härtefallklausel brauchen. 2015 oder danach vermuteter Arbeitskräftebedarf zu Aber sie muss so ausgestaltet sein, dass sie die wirkli- befriedigen. Dazu möchte ich auf die Ausführungen chen Härtefälle betrifft. Sie darf nicht zu einem gene- von Herrn Kollegen Biedenkopf verweisen: Wenn ein rellen neuen Zuwanderungstatbestand oder zumin- solch langfristiger Regelungsbedarf besteht, ist es dest zu einem generellen neuen Zuwanderungsanreiz nicht notwendig, heute eine Regelung isoliert zu tref- werden. fen. Wir müssen vielmehr ein Konzept entwickeln, (B) das der Gesamtheit der demografischen Herausforde- Bei der Härtefallklausel, die in das Gesetz geschrie- (D) rung Rechnung trägt. Dann kann man über solche ben worden ist, besteht exakt diese Problematik. Sie Elemente reden. ist nicht quotiert, sie ist nicht an klare Voraussetzun- gen gebunden, sie setzt einen dringenden huma- Dieses Gesetz gibt auf den Regelungsbedarf, der nitären oder persönlichen Grund voraus. Dann soll die vor uns liegt, nicht wirklich eine Antwort. Das haben Möglichkeit bestehen, undifferenziert Daueraufent- wir, das habe ich Ihnen, Herr Bundesinnenminister, haltsrechte zu gewähren. Das schafft Zuwanderungs- bereits am 20. Dezember gesagt. Auf diese Forderun- anreize in einem nicht kontrollierbaren Umfang. Des- gen ist nicht eingegangen worden. halb ist die Härtefallklausel in der vorliegenden Ich will einige Sätze zur humanitären Zuwanderung Fassung nicht akzeptabel. sagen. Die Regelung des Gesetzes entspricht hier Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen weder den Forderungen, die wir gestellt haben, noch Sie mich nur kurz drei weitere Punkte ansprechen, den Notwendigkeiten, denen wir Rechnung tragen zunächst die Frage des Familiennachzugs. müssen. Ich habe der Debatte entnommen, dass es – zumindest nach dem, was erklärt worden ist – Kon- Richtig ist: Das Nachzugsalter ist von 14 auf 12 sens gibt, Flüchtlingen im Sinne der Genfer Flücht- Jahre reduziert worden. Richtig ist auch, dass gleich- lingskonvention Aufenthaltsrechte bei uns zu ge- zeitig ein Ausnahmetatbestand geschaffen worden währen, über den Anwendungsbereich der Genfer ist, der die Reduzierung von 14 auf 12 Jahre mehr als Flüchtlingskonvention aber nicht hinauszugehen. konterkariert. Sah das Gesetz in der ursprünglichen Bestimmung vor, dass Zuwanderung bei ausreichen- Der Inhalt des Gesetzes ist aber ein anderer. Das den Sprachkenntnissen ausnahmsweise auch über Gesetz geht über den Anwendungsbereich der Gen- dieses Alter hinaus stattfinden kann, werden jetzt nur fer Flüchtlingskonvention hinaus. Es ist zwar richtig, noch Kenntnisse der deutschen Sprache vorausge- dass in § 25 eine Veränderung vorgenommen worden setzt. Damit wird das, was mit der einen Hand gege- ist und dass in Satz 1 des § 60 eine Bezugnahme auf ben worden ist, mit der anderen Hand sofort wieder die Genfer Flüchtlingskonvention erfolgt. Im weiteren genommen. Das ist bestenfalls ein Nullsummenspiel. Verfolg finden sich aber Formulierungen, die den An- So kann man seriös nicht miteinander umgehen. wendungsbereich der Vorschrift eindeutig über den Wortlaut des Artikels 33 der Genfer Flüchtlingskon- Nicht aufgegriffen worden ist die Anregung betref- vention hinaus ausdehnen. fend die Notwendigkeit einer durchgängigen Anwen- dung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Die Anhe- Das heißt bei nur halbwegs korrekter juristischer bung der Leistungen an die Asylbewerber nach 36 Auslegung, dass hier Tatbestände geregelt werden, Monaten durch Zeitablauf schafft den Anreiz einer 138 Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 Peter Müller (Saarland) (A) Verlängerung der Anerkennungsverfahren. Das kann Frage stellen: Was geschieht, wenn die Stimmen eines (C) nicht sinnvoll sein – übrigens nicht einmal für die Asyl- Bundeslandes entsprechend der inhaltlichen Über- bewerber selbst. Eine zeitnahe endgültige Entschei- zeugung seiner Vertreter widersprechend abgegeben dung über ihr Aufenthaltsrecht zu bekommen liegt in werden? ihrem eigenen Interesse. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gab in Die Regelungen im Bereich der Integration sind un- diesem Hause im Jahr 1949 einen historischen Vor- zureichend. Die Frage der Sanktionierung im Falle läuferfall, der sich von der Situation, in der wir heute der Integrationsunwilligkeit ist unzureichend gere- zu entscheiden haben, grundlegend unterscheidet. gelt. Die Fragen der Kostenverteilung sind nicht an- Damals wurde vom amtierenden Bundesratspräsiden- gemessen geregelt; ich kann daran anknüpfen, was ten die Frage der Stimmführerschaft mit Blick auf sein Sie, Frau Kollegin Simonis, gesagt haben. eigenes Bundesland, in dem er Ministerpräsident war, gestellt. Er hat eine Entscheidung herbeigeführt, die Es gibt Verschlechterungen. Der Umfang der seiner Überzeugung entsprach, und alle haben dies Sprachförderung ist nicht mehr gesetzlich geregelt. akzeptiert. Der Bund übernimmt nicht die vollen Kosten im Be- reich der Erstintegration. Er ist nur begrenzt bereit, Das ist in der Situation, in der wir heute sind, nicht sich an den Kosten für Altfälle zu beteiligen. In diesen der Fall. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass es in Zusammenhang gehört auch die Verbesserung der Kenntnis des Falles aus dem Jahr 1949 die eindeutige Möglichkeit – sie ist nicht geregelt –, diejenigen abzu- Bewertung der Verfassungswissenschaft und die ein- schieben, die sich in der Bundesrepublik Deutschland deutige Bewertung der Staatsrechtswissenschaft in als Angehörige fundamentalistischer Organisationen der Bundesrepublik Deutschland gibt, dass die erweisen. Für sie darf es nach meiner festen Überzeu- Stimmabgabe eines Bundeslandes, falls es im Bun- gung kein Aufenthaltsrecht bei uns geben. desrat widersprechend abstimmt, ungültig ist und seine Stimmen deshalb bei der Ermittlung der erfor- Das heißt im Ergebnis, meine sehr verehrten Damen derlichen Mehrheit nicht gezählt werden dürfen. und Herren: Das Gesetz ist in der vorliegenden Form nicht zustimmungsfähig, weil es die notwendige Be- Das ist die Auffassung, die im Handbuch für die Ar- grenzung der Zuwanderung nicht leistet und weil es beit dieses Verfassungsorgans niedergelegt ist. Sie im Vollzug zur Erweiterung von Zuwanderung führen wird von der großen Mehrheit der Staatsrechtslehrer wird. geteilt. Ich will statt vieler nur einen nennen: Der ehe- malige Bundespräsident Roman H e r z o g hat diese Das Gesetz kann sich auf keine breite gesellschaft- Frage im Handbuch der Staatsrechtslehre unter dem liche Mehrheit stützen. Es ist sicherlich richtig, dass Kapitel „Zusammensetzung und Verfahren des Bun- es demoskopische Befunde gibt, die zu dem Ergebnis desrates“ eindeutig in dem Sinne geklärt, dass die (D) (B) kommen, dass die Mehrheit eine Einigung will. Stimmen bei widersprechender Stimmabgabe ohne Natürlich wollen die Menschen mehrheitlich eine Ei- Rücksicht auf die internen verfassungsrechtlichen Re- nigung der Politik bei der Lösung der anstehenden gelungen in den jeweiligen Ländern als ungültig zu Probleme. Genauso richtig ist, dass die weit überwie- werten sind. gende Mehrheit der Bevölkerung mit Blick auf die Zuwanderung erwartet, dass eine gesetzliche Rege- Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn am lung zumindest nicht zu einer Ausweitung führt. Die heutigen Tag versucht wird, eine andere Beschluss- weit überwiegende Mehrheit erwartet, dass die Zu- fassung über das Gesetz herbeizuführen, heißt das, wanderung begrenzt wird. Deshalb entspricht der In- ein Gesetz beschließen zu wollen, für das es in der Be- halt des Gesetzes keineswegs dem, was die Mehrheit völkerung keine Mehrheit gibt. Es heißt, ein Gesetz der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland beschließen zu wollen, für das es in diesem Hause mit Blick auf die Integrationsfähigkeit – ich meine: zu keine Mehrheit gibt. Es heißt, einen Vertrags- und Recht – erwartet. einen Verfassungsbruch mit dem Ziel in Kauf zu neh- men, eine bestimmte Stimmenzahl zu erreichen. Das Gesetz hat – das will ich noch sagen – keine Mehrheit in diesem Haus. Zumindest die Mitglieder Vor diesem Hintergrund meine ich, dass wir es dem dieses Hauses, die der B-Seite angehören, haben eine Verfassungsorgan Bundesrat schuldig sind, auf eine einheitliche Einschätzung des Gesetzes, nämlich dass solche Entscheidung zu verzichten. Deshalb bitte ich, es nicht zustimmungsfähig ist. den saarländischen Antrag auf Anrufung des Vermitt- lungsausschusses zu unterstützen. Deshalb kann der Versuch, die erforderliche Stim- menzahl für das Gesetz am heutigen Vormittag zu er- reichen, nur dann umgesetzt werden, wenn ein Ver- Präsident Klaus Wowereit: Das Wort hat Herr Minis- tragsbruch mit einem Rechtsbruch kombiniert wird. terpräsident Beck (Rheinland-Pfalz). Die notwendige Mehrheit kann nur erreicht werden, wenn der Zwang erzeugt wird, bestehende Koaliti- Kurt Beck (Rheinland-Pfalz): Sehr geehrter Herr onsvereinbarungen zu missachten. Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Selbst wenn dieser Zwang erzeugt wird und beste- Gestatten Sie mir, einleitend zu sagen, dass ich über hende Verträge gebrochen werden, wird sich eine die letzte Passage der Rede von Herrn Kollegen Mül- Folgefrage stellen, über die schon überall diskutiert ler erstaunt bin. Ich habe es bisher nicht erlebt, dass und spekuliert wird. Sie war ja auch Gegenstand der im Plenum des Bundesrates in einer solchen Art und Vorbesprechung in diesem Hause. Es wird sich die Weise über die innere Meinungsbildung eines Landes Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 139 Kurt Beck (Rheinland-Pfalz) (A) geurteilt worden ist. Zumindest ich weiß nicht, wie sie zes hervorgeht, dass man auf die Ausbildung arbeits- (C) aussieht. Solche Kulissen aufzubauen scheint mir loser oder junger Menschen verzichten wolle, dass doch eine Verfahrensweise zu sein, auf die wir ver- dazu kein Druck – wenn Sie so wollen – mehr bestün- zichten sollten, Herr Kollege Müller. Das tut dem Zu- de, weil der Bedarf an Arbeitskräften durch Zuwan- sammenwirken in diesem Haus letztlich nicht gut. derung gedeckt würde. Es gibt hier kein Entweder- oder, sondern ein Sowohl-als-auch. Darüber hat Sie haben eine Rechtsmeinung zitiert. Ich möchte bisher Konsens bestanden, und das wird auch in Zu- nicht das Gleiche tun, aber hinzufügen, dass es auch kunft der Fall sein. Davon gehe ich aus. diametrale Rechtspositionen gibt. Was Arbeitgeber, insbesondere mittelständische Meine geehrten Damen und Herren, zur Sache! Ich Unternehmer, angeht, darf man mit Fug und Recht bin froh darüber, dass wir nach einem intensiven Dis- festhalten, dass für viele die Möglichkeit, Arbeitskräf- kussionsprozess über die Regelung der Zuwanderung te zu bekommen, die derzeit am deutschen Arbeits- in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten markt nicht zur Verfügung stehen, eine Stärkung Monaten und Jahren zu einer Entscheidung kommen. ihrer Position bedeutet. Dies rechtfertigt umso mehr Rheinland-Pfalz hat diesem Hohen Hause bereits die Forderung, die Weiterbildung und Qualifikation im März 1997 einen Antrag mit entsprechender Rich- der Menschen in Deutschland zu unterstützen, die am tung vorgelegt. Seitdem hat eine intensive Diskussion Arbeitsmarkt derzeit nicht erfolgreich sind. So kann bis in alle Detailfragen hinein stattgefunden, so dass man mit Fug und Recht ebenfalls argumentieren. wir heute nicht sagen können, es gebe noch Diskussi- Ich möchte auch ein Wort zu den humanitären onsbedarf. Es kann unterschiedliche Positionen Gründen sagen, die einen Teil des Gesetzes tragen. geben; aber die Feststellung, dass nicht alle unter- Wir sind uns alle bewusst, wie hoch sensibel diese schiedlichen Variationen behandelt worden seien, Thematik ist. Wir sind uns auch bewusst, dass wir für entspräche nicht der Realität. die Art und Weise, in der die Debatte darüber geführt Wir brauchen eine Regelung für die Zuwanderung wird, Verantwortung tragen. Es gibt nicht nur die vor dem Hintergrund der Zahlen, die Herr Kollege scharfe Beurteilung, die von Herrn Kollegen Müller Müller noch einmal eindrucksvoll genannt hat: 30 vorgetragen worden ist. Ich kann die Gefahr, das Millionen Menschen sind in den vergangenen Jahren Gesetz lasse eine zu große Öffnung zu, dem Gesetzes- zugewandert, 22 Millionen sind ausgewandert. Das text nicht entnehmen. ist im Saldo also eine Zuwanderung in der Größenord- Ich möchte auch eine andere Sicht in unser Bewusst- nung von immerhin 10 % der Bevölkerung der Bun- sein rufen und knüpfe daran an, was Frau Kollegin desrepublik Deutschland nach der Wiedervereini- Simonis vorhin gesagt hat. In meinen Sprechstunden (B) gung. und in Petitionen wird oft an mich und meine Mit- (D) Wir alle haben bei diesem Thema eine Reihe von arbeiterinnen und Mitarbeiter herangetragen, dass Fragen. Sie beziehen sich etwa auf die humanitären man sich geradezu quäle mit dem Gedanken: Men- Aspekte oder auf den Arbeitsmarkt. Deshalb ist es un- schen, die Hilfe brauchen und Hilfe objektiv verdient abdingbar, dass wir den Mut und die Entschlossenheit haben, können sie nicht erhalten, weil es die derzei- aufbringen, über diese Fragen zu entscheiden. Wer tige Rechtslage nicht erlaubt. Das muss einen doch sonst, wenn nicht die gesetzgebenden Körperschaften umtreiben. der Bundesrepublik sollte diese Entscheidung her- Wenn es zu einer Anrufung des Vermittlungsaus- beiführen? schusses käme, wie es die Union begehrt, und Härte- Herr Kollege Professor Biedenkopf hat gesagt – das fallregelungen, die nicht nur in der klassischen Härte- hat mich beeindruckt –, welche Herausforderungen fallklausel, sondern auch an anderen Stellen des auf Grund der demografischen Veränderungen uns Gesetzes enthalten sind, gestrichen oder maßgeblich aller Voraussicht nach in der Bundesrepublik abgeschwächt würden, wäre das Gesetz für mich Deutschland ins Haus stehen. Ich glaube, niemand nicht mehr zustimmungsfähig. Das sage ich aus hier würde behaupten, mit der Regelung der Zuwan- humanitärer Sicht. Auch diesen Gedanken möchte ich derung wäre dieses Problem gelöst. Man kann aber einbringen. sicher sagen, dass die vorgelegte gesetzliche Rege- Es ist beispielsweise gesagt worden, dass keine lung einen Beitrag dazu leistet, um die Probleme zu Öffnung erfolgen dürfe, um geschlechtsspezifischer entspannen, sie auf keinen Fall zu verschärfen. Verfolgung Rechnung zu tragen. Wer die betreffen- Es ist gesagt worden, die Situation auf dem Arbeits- den Stellen des Gesetzes sorgfältig prüft, kann nicht markt sei angespannt. Das ist richtig. Was sich hinter zu der Schlussfolgerung gelangen, dass damit Tür und Tor geöffnet würden. Wenn es nicht mehr mög- dieser Feststellung verbirgt, ist aber sehr differenziert lich wäre, einer jungen Frau, die sich in Deutschland zu betrachten. Natürlich ist die Arbeitslosigkeit bei aufhält und der bei Abschiebung die Zwangsbe- uns viel zu hoch. Parallel dazu besteht aber in vielen schneidung droht, Asyl zu gewähren und sie bei uns Bereichen des Arbeitsmarktes und in einer Reihe von zu behalten, dann wäre es um die Humanität in unse- Gebieten der Bundesrepublik Deutschland deutlicher rem Land nicht gut bestellt. Lassen Sie uns deshalb Bedarf an Arbeitskräften. Wir haben Bedarf an Men- auch diese Gedanken sehr sorgfältig wägen, bevor schen mit einer bestimmten Spezialausbildung, aber wir eine Entscheidung treffen. auch an Menschen, die bestimmte Aufgaben in unse- rer Volkswirtschaft zu erfüllen haben. Mir leuchtet Nicht verstehen kann ich die Forderung, für Härte- nicht ein, aus welcher Stelle des vorliegenden Geset- fälle eine Quote einzuführen. Das kann nicht sinnvoll 140 Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 Kurt Beck (Rheinland-Pfalz) (A) sein. Ich bin sehr für Regelungen, die uns eine sorg- tions- und Entscheidungsstrang der Bundesanstalt für (C) fältige Beurteilung von Härtefällen ermöglichen. Wie Arbeit mehr Klarheit schaffen, als es bisher der Fall aber sollten wir die Härtefälle quotieren? Sollen wir ist. So können wir mit dem Problem der arbeitsmarkt- beispielsweise sagen: Wir haben in diesem Jahr schon bedingten Zuwanderung differenziert umgehen. 700 Härtefälle in der Bundesrepublik Deutschland, Darüber hinaus werden wir in einer Protokoll- der 701. Härtefall ist einfach nicht mehr zu berück- erklärung – das möchte ich Ihnen, Herr Bundes- sichtigen, Pech gehabt? – Das kann doch nicht ernst- innenminister, mit der Bitte um Berücksichtigung mit- haft Inhalt einer gesetzlichen Regelung des von uns geben – den Wunsch zum Ausdruck bringen, dass allen so empfundenen humanitären Aspektes sein. die Abschiebemöglichkeit bei beharrlicher Integra- Ich will gar nicht den Kerngehalt unserer Verfassung tionsverweigerung, wenn jemandem etwa x-mal ein oder unsere christliche Grundüberzeugung strapazie- Sprachkurs angeboten worden ist, im Lichte der Er- ren, das ergibt sich schon aus unserem menschlichen fahrungen der kommenden beiden Jahre betrachtet Empfinden von Mitleid und Mitgefühl. Auch sie müs- wird. Sollte es sich erweisen, dass die Handlungs- sen an einer solchen Stelle Platz haben. möglichkeiten, die das Gesetz für die Länder vorsieht, Es ist gesagt worden, das Gesetz finde in der Bun- an dieser Stelle nicht ausreichen, müsste man über desrepublik Deutschland keinen breiten Konsens. Ich weitere Regelungen reden, damit nicht etwas, was will mich nicht auf Umfragen berufen. Wir alle wis- richtig und gewollt ist, durch einige wenige, die sich sen: Das ist ein zweischneidiges Schwert. Ich habe es beharrlich weigern, desavouiert wird. selten – wenn überhaupt – erlebt, dass in einer solch Das sind unsere Positionen. Wir bitten Sie, dem An- grundlegenden Frage nach einem langen Diskus- trag auf Anrufung des Vermittlungsausschusses zu sionsprozess und dem Bemühen des Bundesinnen- folgen. Die beiden Anrufungsgründe sind ausdrück- ministers – das sage ich ausdrücklich respektvoll an lich so angelegt, dass das Gesetz nicht aufgeschnürt seine Adresse –, auf jedes Argument einzugehen und werden muss. Wir wollen, dass das Gesetz in seiner sich damit ernsthaft auseinander zu setzen, bei den Substanz, seiner Bedeutung und seiner Wirkung im betreffenden Organisationen und Gruppen in der Rahmen dieses Diskussions- und Entscheidungs- Bundesrepublik Deutschland Konsens festgestellt prozesses zum Erfolg geführt wird. In diesem Sinne werden kann. Es gibt eindeutige und klare Positionen bitte ich darum, dem Anliegen des Landes Rheinland- bei den christlichen Kirchen. Es gibt eindeutige und Pfalz zu folgen. – Ich danke Ihnen. klare Positionen bei vielen gesellschaftlichen Grup- pen. Es gibt eindeutige und klare Positionen bei den Gewerkschaften und den Arbeitgebervereinigungen Präsident Klaus Wowereit: Das Wort hat Herr Mi- und -organisationen. Wenn das kein breiter Konsens nisterpräsident Koch (Hessen). (B) ist! (D) Das muss unseren Bürgerinnen und Bürgern natür- Roland Koch (Hessen): Herr Präsident! Meine sehr lich noch nahe gebracht werden. Aufbauend und sich verehrten Damen und Herren! Die Kollegen Professor stützend auf das, was die christlichen Kirchen, die Biedenkopf und Müller haben zu unterschiedlichen Gewerkschaften und die Arbeitgeberschaft geschlos- Aspekten des vorliegenden Gesetzes ausführlich Stel- sen sagen, können wir den Bürgerinnen und Bürgern lung genommen. Es dient uns allen, wenn wir die Ar- gegenüber dieses Gesetz begründen und sie bei dem gumente, bei denen wir gleicher Meinung sind, nicht Prozess mitnehmen. Wenn wir uns das nicht mehr zu- wiederholen. Ich könnte es nicht besser vortragen. trauten, wären wir als demokratische Repräsentanten Deshalb möchte ich nur wenige ergänzende Bemer- in erheblichem Maße eingeschränkt, entscheidende kungen aus der Sicht des Bundeslandes Hessen Zukunftsfragen wie diese zu regeln. machen und mich zunächst mit dem Verfahren be- Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit die- schäftigen. Herr Kollege Beck, ich betone, dass ich sen Einlassungen möchte ich deutlich machen, dass ausdrücklich das teile, was Herr Ministerpräsident das Gesetz für die Landesregierung von Rheinland- Müller dazu gesagt hat. Da es mir wichtig ist, beziehe Pfalz gut und richtig ist und dass wir seinen Erfolg ich mich hierbei auf das Bundesland Hessen. wollen. Dies ändert nichts daran, dass wir darum bit- Wie Sie wissen, gab es bei uns zwischen den beiden ten, im Vermittlungsausschuss über zwei konkrete die Regierung tragenden politischen Parteien – aus- Punkte Klarheit zu schaffen, ohne dass Änderungen gehend von unterschiedlichen Positionen – ausgiebi- am Gesetz vorgenommen werden. Es geht zum einen ge Diskussionen und ein intensives Ringen um viele um die Frage der Integrationskosten und ihre Vertei- Fragen im Zusammenhang mit Integration und Zu- lung. Dazu bedarf es keiner Änderung des vorliegen- wanderung. Die Diskussion dauert an. Es gibt ge- den Gesetzes, sondern dies kann auf andere Art und meinsame Überzeugungen, die wir hier vertreten Weise, etwa durch eine Rechtsverordnung mit Zu- können. Es gibt aber auch Dissens. Seit wir die Regie- stimmung des Bundesrates, sichergestellt werden. rungsverantwortung tragen, haben wir uns dazu ent- Der zweite Punkt steht in diametralem Gegensatz schieden, beide Positionen offen anzusprechen. Frau zu dem, was Herr Kollege Müller dazu ausgeführt hat. Kollegin Wagner wird noch das Wort ergreifen. Wir Aus den Erfahrungen des Landes Rheinland-Pfalz meinen, dass Regierungen glaubwürdiger sind und sollten wir die abgegrenzten Arbeitsamtsbezirke nut- besser bestehen, wenn sie bei unterschiedlichen Mei- zen, um arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitisch be- nungen nicht versuchen, sich gegenseitig das Rück- dingte Zuwanderung flexibel steuern zu können. Wir grat zu brechen, sondern selbstbewusst sagen, dass sollten beispielsweise im Hinblick auf den Organisa- sie sich dann der Stimme enthalten. Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 141 Roland Koch (Hessen) (A) Wenn Sie heute nicht den Vermittlungsausschuss Lage, Kompromisse zu schließen und im Vermitt- (C) anrufen, sondern das Gesetz zur Abstimmung stellen, lungsausschuss mit den von Peter Müller genannten wird sich die Hessische Landesregierung der Stimme Ansatzpunkten, die in den Fragestellungen des rhein- enthalten. Angesichts der heutigen Entwicklung halte land-pfälzischen Antrages enthalten sind und damit ich diese Entscheidung für eine Voraussetzung dafür, auch Positionen meines Koalitionspartners umfassen, dass man in einem Land wie Hessen Verträge über zu einem Ergebnis zu kommen. viele Fragen der Politik schließen kann, ohne die Bun- Wir, der Bundesrat, haben darüber zu entscheiden, despolitik jeweils zur Grunddeterminante dessen zu ob wir das wollen oder nicht. Ich möchte ausdrücklich machen, was die Landespolitik noch ermöglichen darauf hinweisen, dass ich Frau Kollegin Wagner kann. Diese Frage geht für mich über die Bedeutung darum gebeten habe, ihre Position im Bundesrat dar- einzelner Punkte hinaus. Ich möchte in Hessen Politik zustellen. Das hat etwas mit dem Selbstverständnis für das Bundesland Hessen machen. Auf nationaler des Bundesrates Ebene kann man durchaus unterschiedlicher Mei- zu tun. Hier kommen nicht allein nung sein. Die Stimmenthaltung ist ein wichtiges 15 Ministerpräsidenten und eine Ministerpräsidentin Gut, um den Ländern in ihrer Selbstständigkeit dies zusammen, die ein paar Mitarbeiter dabei haben, son- möglich zu machen. Wer dieses Prinzip aufgibt, wirft dern wir alle sind, wie Sie Ihren Dienstausweisen ent- Fragen auf, die sich nicht mehr auf ein einzelnes Ge- nehmen können, gleichberechtigte Mitglieder der setz beziehen, sondern darauf, wem man noch trauen zweiten Kammer, und zwar in dem Verhältnis beru- kann, wenn man in einer Partnerschaft Politik be- fen, in dem die Länder in der Verfassung aufgeführt treibt. sind – als Individuen, als Personen mit eigenen Stand- punkten. Es ist keineswegs so, dass einer für alle Wir in Hessen haben uns entschieden, das so zu ge- denkt. Am Ende darf einer für alle sprechen, wenn er stalten, wie ich es Ihnen dargelegt habe. Wir haben dazu legitimiert ist. Wenn er das nicht kann, gibt es allerdings einen zweiten Punkt hinzugefügt: Das ist keine Stimmabgabe. Es entspricht dem Sinn unserer nicht der bequemste Weg; es ist kein Weg, der dazu Verfassung, dass in diesem Parlament gedacht, gere- berechtigt, das Ringen aufzugeben. Er verpflichtet det und gestritten wird, und zwar nicht zwischen Ver- gerade Partner mit unterschiedlichen Interessen, tretern von 16 Meinungen, sondern zwischen 69 Per- dafür zu sorgen, dass es am Ende zu einem Kompro- sönlichkeiten, Mitgliedern des Bundesrates, die miss kommt. besonderen staatlichen Schutz genießen und übri- Deshalb wird das Bundesland Hessen heute den gens Fahrkostenerstattung erhalten. Vermittlungsausschuss anrufen und dem Antrag des Das alles hat Sinn. Unser Parlament besteht aus Saarlandes zustimmen, das Gesetz zu überarbeiten. 69 Mitgliedern. Wer es heute darauf reduzieren will, Ich sage dabei ausdrücklich: Niemand, auch niemand (B) dass am Ende nur 16 etwas zu sagen haben, verändert (D) aus den Reihen der Partei, die ich in der Koalition ver- einen wesentlichen Teil des in den vergangenen trete, geht davon aus, dass wir jeden Paragrafen 53 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland ge- überarbeiten. Die Entscheidung darüber, was in den schaffenen Verfassungskonsenses. Auch dies mag Kompromiss eingehen muss, beruht auf einem Abwä- sich jeder im Verhältnis dazu überlegen, dass es gen dessen, was auf der Waagschale liegt. Wer nur darum geht, den Vermittlungsausschuss anzurufen noch von der Finanzierung spricht – das ist der Grund, oder nicht. warum wir dem Antrag der rheinland-pfälzischen Kollegen nicht zustimmen können –, bringt zu wenig In dieser Diskussion – dies als zweite Bemerkung auf die Waagschale, um einen Kompromiss zu errei- zur Sache – stehen sich unterschiedliche Konzepte für chen. Zuwanderungspolitik gegenüber, aber nicht unter- schiedliche Positionen unter dem Gesichtspunkt, dass Die Behauptung, wir hätten doch schon sehr lange der eine sagt, das alles brauchen wir, während der an- miteinander gesprochen und bräuchten deswegen dere sagt, das alles brauchen wir nicht. jetzt keinen Kompromiss mehr, wäre dann gerechtfer- tigt, wenn es unter den normalen Regeln, wie wir im Frau Kollegin Simonis, ich räume ausdrücklich ein, Bundesrat miteinander umgehen, zu einer deutlichen dass es nicht selbstverständlich ist, dies so zu formu- Mehrheit in Bundesrat und Bundestag käme. Wenn lieren. Die Diskussion unter politischen Freunden in aber die Alternative darin besteht, einen sehr unge- meiner Partei darüber, an welcher Stelle eine Ände- wöhnlichen Weg der Mehrheitsbildung zu gehen rung der migrationsrechtlichen Regelungen in – das ist eine sehr zurückhaltende Formulierung für Deutschland notwendig ist, hat sich in den letzten das, worüber jenseits der Glastüren dieses Raumes Jahren verändert. Dahinter muss man sich nicht ver- diskutiert wird – oder in einem von der Verfassung stecken; wir tun es jedenfalls nicht. Das, was unter dafür vorgesehenen Vermittlungsverfahren den Ver- Führung von Herrn Ministerpräsident Peter Müller im such zu machen, gemeinsam um eine Lösung zu letzten Jahr vorgelegt worden ist, ist für viele in mei- ringen, ist es eine Missachtung des Geistes der ner Partei eine sehr weit gehende Veränderung von Zusammenarbeit, des föderalen Staates und beider Positionen dahin gehend, dass in einer gemeinsamen, Kammern, wenn man den Weg über den Vermitt- globalisierten Ökonomie andere Regelungen als zu lungsausschuss ablehnt, um mit einem fragwürdigen Zeiten der alten nationalstaatlichen Grenzen gelten Verfahren zu einer Mehrheit zu kommen. müssen. Deshalb haben wir uns entschlossen zu sagen: Wir Vor dem Hintergrund, dass in den letzten Jahrzehn- haben eine Palette von Gründen, durchaus mit unter- ten die Zahl der Menschen nichtdeutscher Herkunft schiedlichem Gewicht, aber wir sehen uns in der in der Bundesrepublik Deutschland von 3 Millionen 142 Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 Roland Koch (Hessen) (A) auf 7 Millionen angestiegen ist, während die Zahl lich als Neueinwanderer in dieser Region sind, we- (C) ausländischer Arbeitskräfte von 2,2 Millionen auf sentlich größer; aber die Zahl von 1,5 Millionen bishe- 2,1 Millionen zurückgegangen ist, wird niemand be- riger Einwohner bleibt gleich. streiten, dass es Regelungsbedarf in unserem Interes- Das, was heute tatsächlich in den Gemeinden und se gibt. Niemand in der Bundesrepublik Deutschland in den Ländern an Aufwendungen für Integration an- kann das überstehen, ohne ein Zuwanderungsrecht kommt, sind Peanuts im Vergleich zu dem, worüber zu ermöglichen. wir hier im Zusammenhang mit Sprachkursen und an- Die Sozialdemokraten und die Grünen im Deut- deren Integrationsmaßnahmen verhandeln. Die Kos- schen Bundestag haben sich in einer schwierigen Si- ten liegen ganz woanders; sie werden immer von uns tuation befunden – Herr Kollege Beck, da liegt doch getragen, nie vom Bund. Das ist in Ordnung, aber der Unterschied zwischen den Ansätzen –, weil die dann muss man ehrlich über die Randbedingungen, beiden die Bundesregierung tragenden Parteien un- also darüber reden, wo unsere Leistungsfähigkeit je- terschiedliche Konzepte haben. Die Kollegen der Grü- weils endet. nen haben eigentlich mit dem Konzept begonnen, die Vor diesem Hintergrund müssen Sie sich die Frage Grenzen zu öffnen; ein Regime unter dem Gesichts- stellen lassen, ob das Gesetz wirklich Steuerung er- punkt eines nationalen Interesses – wie auch immer möglicht. Sie haben – Peter Müller hat es dargelegt – man es definiert –, von Quotensystemen und der Ein- Punkt für Punkt einen Kompromiss gefunden. Sie wanderungsbegrenzung wollten sie in dieser Form sagen: Wir Sozialdemokraten wissen eigentlich, dass nicht. Demgegenüber glauben viele sozialdemokrati- man da eine Grenze ziehen müsste, aber damit die sche Kollegen, die, wie die meisten hier im Raum, mit Grünen mitmachen, muss man gleichzeitig die Tür dem Thema unmittelbar befasst sind, dass wir die Inte- hinten aufschließen, damit man die Grenze umgehen grationslast dann nicht mehr tragen können. kann. – So sind Ihre Regelungen konstruiert. Am Das hat nichts mit der abstrakten Frage zu tun, ob Ende lassen Sie das Spiel auf einer Ebene jenseits des wir noch einige zehntausende oder hunderttausende politisch Relevanten stattfinden. zusätzlicher Computeringenieure in diesem Land mit Ich sage auch: Sie delegieren viele Lebensentschei- Arbeitsplätzen versehen können – sie helfen uns viel- dungen auf A 12, A 13 und A 14. Wer als Beamter in leicht sogar –, sondern es hat damit zu tun, dass dann einer Ausländerbehörde mit den Härtefallklauseln, zehntausende von Kindern ohne deutsche Sprach- die Sie geschaffen haben, umgehen soll, kann eigent- kenntnisse pro Jahr in die Kindergärten kommen und lich abends nur dann glücklich nach Hause gehen, wie es sich auf uns im Ballungsraum Frankfurt aus- wenn er unbesehen jedem Härtefallantrag stattgibt. wirkt, wenn 200 000 Menschen in einem Jahr nach Das Gesetz war bisher eine Hilfe und Stütze, schwie- Deutschland zuwandern. Da die Zuwanderer un- rige Entscheidungen zu treffen; das muss es auch in (B) gleichmäßig verteilt werden, kann man davon ausge- Zukunft sein. Ich kenne kein Kind, in Bezug auf das (D) hen, dass jedes Jahr zwischen 10 und 15 % im Bal- ich einer Schulklasse, die mir Unterschriften aller lungsraum Frankfurt landen werden. Man braucht 30 Kinder übergibt mit der Bitte: Unsere Mitschülerin mindestens drei Jahre – meine Kolleginnen und Kol- soll in der Klasse bleiben, erklären kann, dass es sozu- legen, die sich damit beschäftigen, halten mindestens sagen aus einem humanitären Gedanken heraus nach fünf Jahre für notwendig –, um eine intensive staatli- Hause geschickt werden muss. Kein Beamter würde che Begleitung der Integration in unsere Gesellschaft das freiwillig tun, warum auch? zu ermöglichen. Dazu gehört, die deutsche Sprache Wir wissen, dass ein Großteil der Migration durch- zu erlernen, Kindergärten und Schulen zu besuchen, aus ökonomisch gesteuert ist. Die Menschen zahlen sich in das Wohngebiet und in das Arbeitsleben zu in- Geld, um hierher zu kommen. Jedes Wort, das wir in tegrieren. Die aus kulturellen Gründen nicht mitar- ein Gesetz schreiben, wird von Schlepperorganisatio- beitenden Ehefrauen müssen ebenfalls in unsere Ge- nen daraufhin geprüft, ob es ein zukünftiges Ge- sellschaft einbezogen werden. Die genannten 10 oder schäftsfeld ist. Mit diesem Gesetz schaffen Sie mindes- 15 % müssen also mit 3 oder gar 5 multipliziert wer- tens fünf bis sechs neue Gründe, die Menschen in den; das ist das Nettowanderungssaldo, das wir zur- diese Schlepperorganisationen integrieren. Die ge- zeit haben. fährlichsten Regelungen sind die Härtefallklausel und Für eine Region wie Frankfurt mit, angenommen, die künftige Aufhebung der Beschränkung bei Zah- 1,5 Millionen Einwohnern – wenn ich mehr nehme, lungen an Asylbewerber. Wir werden in Zukunft die würde Herr Kollege Beck sagen, damit kommst du Leistungen nicht absenken können, wie es notwendig über den Rhein – sind das, aufs Jahr gerechnet, 60 000 wäre, wenn die Verfahren zu lang sind. Menschen, die in den Jahren eins bis drei sind. Sie Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie müs- müssen in Schulen und Kindergärten integriert wer- sen die Frage beantworten, warum Sie die Einfallstore den, und für sie muss Wohnraum beschafft werden. nicht zumachen. Das Gesetz ist an diesen Stellen nicht Das sind eine Menge Menschen. Das ist unsere der- klar und ehrlich. Hintergrund der Diskussionen ist, zeitige Leistung; denn ich rede nur über die derzeiti- dass zwei sich geeinigt haben, etwas so zu regeln, dass gen Nettozahlen. es keinem von beiden weh tut, weil das eine vorne steht und das andere hinten gemacht wird. Ich habe aber immer Zweifel an den Nettozahlen. Ich lasse mich jetzt zwar darauf ein, aber Sie wissen, Darüber wollen wir in einem Vermittlungsverfahren dass einige hunderttausend Menschen mehr ins Land reden. Wir wollen Sie dazu bringen zu sagen: Was gilt kommen, und es werden keine Salden integriert, son- an dieser und jener Stelle? Ist das von einem Mitar- dern Menschen. Deshalb ist die Zahl derer, die letzt- beiter, der das in hunderttausenden von Fällen kon- Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 143 Roland Koch (Hessen) (A) kret exekutieren muss, durchführbar, oder führt das Vorstellungen, die die Einzelnen haben? – Dazu will (C) zu einem unauflösbaren Druck an einer neuen Stelle? ich gleich etwas sagen. Wenn Sie nicht im Vermittlungsausschuss darüber reden wollen, sondern darauf bestehen, dass jetzt ab- Ich fand es interessant, wie Sie die Verfassung aus- gestimmt wird, wenn Sie alle, aber wirklich alle Wege legen. Ich halte es übrigens für ein Problem, Herr Kol- nutzen wollen, um mit dem Kopf durch die Wand zu lege Koch, wenn einzelne Länder anderen Ländern gehen, ist das weder gegenüber dem Thema „Zuwan- hinsichtlich ihres Verfahrens erklären, was politisch derung nach Deutschland“ noch gegenüber dem richtig ist. Das hat mit der Tradition des Bundesrates Bundesrat und seiner Stellung verantwortungsvoll. nicht sehr viel zu tun. Wie gesagt, ich schlage vor: Es Ich behaupte fest, dass es niemandem politischen Er- gibt auch bei Ihnen keine Enthaltung, sondern eine trag bringen wird. – Vielen Dank. schöne Abstimmung. Jeder darf so abstimmen, wie er will. Dann bewegen wir uns wieder auf einer gemein- samen Grundlage, Herr Kollege Koch, und einigen Präsident Klaus Wowereit: Das Wort hat Herr uns vielleicht. Ministerpräsident Gabriel (Niedersachsen). (Roland Koch [Hessen]: Wenn das für alle gilt, mache ich mit!) Sigmar Gabriel (Niedersachsen): Herr Präsident, – Dann sind wir einmal gespannt. meine Damen und Herren! Nach den Bemerkungen von Herrn Müller und von Herrn Koch habe ich ge- Herr Kollege Koch, Sie haben gesagt: Wir müssen dacht, dass es gut ist, den Gesetzestext zum Redner- endlich sehen, dass wir Probleme mit der Zuwande- pult mitzunehmen. Manchmal erweitert ein Blick in rung haben. Sie haben von 200 000 Menschen ge- das Gesetz, über das wir abstimmen, die Rechtskennt- sprochen. Einige haben gesagt: Die Menschen nis. Wenn man die Reden derjenigen, die das Gesetz draußen wollen zwar eine Einigung, aber sie haben ablehnen, gehört hat, könnte man den Eindruck ge- auch Sorge vor Zuwanderung, weil die Integrations- winnen, dass ihre Behauptungen in Bezug auf den kraft sie überfordern könnte. Das stimmt. Was mich Gesetzestext zutreffen. Es ist einfacher vorzulesen, interessiert, ist: Warum reden wir dann eigentlich was im Text steht; das hilft bei der Entscheidungsfin- nicht über die größten Probleme der Zuwanderung, dung. sondern über ganz andere Themen?

Herr Kollege Koch, zu Beginn möchte ich gerne zu Die größte Gruppe von Zuwanderern sind Spätaus- zwei Punkten etwas sagen, mit denen Sie Ihre Rede siedler. Aus dieser Gruppe sind in den letzten Jahren eingeleitet haben. Ich habe genau zugehört. Sie und Jahrzehnten 4,1 Millionen Menschen zu uns ge- haben gesagt: Wir sind eine zweite Kammer, ein zwei- kommen, mit denen wir keinerlei Integrationsproble- (B) tes Parlament; es kann doch wohl nicht sein, dass für me hatten. Das ist die Gruppe, die sich am besten bei (D) die Länder Einzelne entscheiden. – Meine erste Frage uns integriert hat. Sie trägt zur wirtschaftlichen Leis- an Sie ist: Wieso sind Sie dann zu zweit hier abstim- tungsfähigkeit bei, und sie beherrscht die deutsche mungsberechtigt und nicht zu fünft? Warum geben Sprache häufig sehr gut. Aber wir stellen auch fest, Sie dann in Ihrer Koalition die Abstimmung nicht frei, dass sich das seit einigen Monaten und Jahren völlig statt sich zu enthalten und damit mit Nein zu stim- verändert hat. men? Das wäre doch hilfreich; dann bräuchten wir diese Koalitionsklauseln nicht mehr. Inzwischen können drei Viertel derjenigen, die aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion (Roland Koch [Hessen]: Ich ändere mein zu uns kommen, nicht die deutsche Staatsangehörig- Verhalten nicht!) keit in ihrer Familie nachweisen. Sie kommen im Wenn Ihre Linie konsequent wäre, hätten wir ein Wege des Familiennachzugs und können nicht Problem weniger. Koalitionen könnten hier immer frei deutsch sprechen. abstimmen, so wie es im Parlament von Hessen ver- Herr Kollege Biedenkopf, wissen Sie, worin meiner mutlich üblich ist. So etwas wie die Richtlinienkompe- Meinung nach das größte Problem der deutschen Po- tenz des Ministerpräsidenten wird es nicht geben, litik liegt? Nicht nur in der Frage des Umgangs mit sondern frei gewählte Abgeordnete, die Fahrkosten der Demografie, sondern auch darin, dass wir hier erhalten, stimmen frei über die Sache ab. Das habe eine Vieraugengesellschaft geworden sind. Unter ich verstanden. vier Augen sagen wir uns immer, wo die Probleme lie- Zweitens würde mich interessieren, weshalb wir gen, aber wenn eine Kamera dabei ist und die Mikro- hier Länder aufrufen und nicht schlicht fragen, wie fone eingeschaltet sind, tun wir das nicht mehr. Unter die Abstimmung abläuft; dann melden sich sechs Mit- vier Augen sagen wir uns: Hier liegt das größte Inte- glieder bei Bayern, sechs bei uns, bei Ihnen fünf und grationsproblem, das wir zurzeit haben. Unter vier bei anderen drei. Hier läuft ein absurdes Theater ab. Augen sagen wir uns, dass die Haftanstalten voll be- Es wird eine Debatte eingeleitet, bei der es nicht mehr legt sind mit jungen Menschen aus der Gruppe der um die Sache geht, weil sich die gesamte Diskussion Spätaussiedler, die in den letzten Jahren gekommen zurzeit nicht mehr um die Sache dreht. In Wahrheit sind. Unter vier Augen sagen wir uns, dass in dieser Gruppe eigene Steuersysteme, eigene Rechtssysteme geht es natürlich um die Frage: Wer stellt in Deutsch- existieren und dass wir in Bezug auf diesen Bereich land das politische Alpha-Tier? Ich finde, wir müssen massive Probleme haben. mit dem brechen, was wir hier tun. Wir tun so, als dis- kutierten wir über die Sache. In Wahrheit geht es ne- Unter vier Augen sagen wir uns, dass unsere Bevöl- benan um die Frage: Wie sichern wir die politischen kerung nicht differenziert zwischen Asylbewerbern, 144 Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 Sigmar Gabriel (Niedersachsen) (A) Arbeitsimmigranten und Spätaussiedlern. Unter vier es ist in letzter Zeit unglaublich viel passiert. Aus (C) Augen sagen wir uns, dass bei uns über die „Russen“ Ihrem 16-Punkte-Katalog sind zig Forderungen über- geredet wird, die da gekommen sind, jedoch nicht nommen worden. In 18 Punkten ist uns die Regierung über Spätaussiedler. Aber wir sind nicht bereit, Herr entgegengekommen. Alle Positionen, die in der letz- Kollege Koch, dieses Problem anzugehen. Wir reden ten Bundesratssitzung des vergangenen Jahres auf- nicht über die größte Gruppe, mit der wir die meisten gezählt worden sind, sind in die Änderungen einge- Probleme haben. gangen. Wir müssen an dieser Stelle das Vertriebenengesetz Ich plädiere dafür: Lassen Sie uns einmal über die ändern, übrigens nicht gegen Spätaussiedler. Wir ernsthaften Integrationsprobleme reden, über jene, müssen nur gleiches Recht für alle Spätaussiedler die wir jeden Tag vor der Tür erleben und von denen schaffen; denn wir haben heute ein Recht, nach dem wir alle wissen, dass wir sie eigentlich nicht gelöst der Spätaussiedler aus Polen oder dem Baltikum haben! Lassen Sie uns dort über Begrenzung reden, nachweisen muss, dass bei ihm individuelle Verfol- wo Massenzuzug stattfindet! Wir brauchen doch nicht gung besteht. Nur, diejenigen, die aus Kasachstan über jene zu reden, deren Schutz vor geschlechtsspe- oder aus Russland kommen, müssen das nicht tun. zifischer Verfolgung wir sichern wollen. Deswegen kommen von dort 100 000 pro Jahr. Daraus Ich schildere nochmals einen Fall, weil ich es ent- resultieren riesige Probleme, übrigens auch in Frank- setzlich finde, dass wir hierfür keine Lösung haben. furt, wie ich weiß. Lassen Sie uns doch einmal darü- Ein 14-jähriges Mädchen wurde von ihrem Vater ver- ber sprechen, wie ernst es der Union damit ist, die gewaltigt. Der Vater wurde verurteilt und nach Rumä- zentralen Integrationsprobleme in diesem Land zu nien geschickt. Das Kind wird jetzt 16, und nach den lösen! Buchstaben des deutschen Ausländerrechts ist das Ich stimme dem Kollegen Biedenkopf ausdrücklich Mädchen in den Heimatort des Vaters abzuschieben. darin zu, dass die zentralen Integrationsprobleme Wir können das Mädchen nur hier behalten, weil wir nicht mit Sprachkursen zu lösen sind. Das ist, wenn einen Psychologen finden konnten, der nachweist, Sie so wollen, ein kleiner Mosaikstein. Wir müssen dass das Kind selbstmordgefährdet ist, so dass ein eine Bildungspolitik machen, bei der Kinder, die in tatsächliches Abschiebungshindernis besteht. Das ist die deutsche Grundschule kommen, die deutsche das deutsche Ausländerrecht von heute. Sprache beherrschen und nicht erst dann beginnen, Herr Kollege Koch, es ist nun einmal so: Entweder sie zu lernen. wir lassen die Behörden nach den Buchstaben des Wir müssen darauf achten, dass Integration nicht Gesetzes urteilen, oder wir finden eine flexible Rege- nur gefördert, sondern auch gefordert wird. Wir müs- lung, die immer das Problem mit sich bringt, dass Ver- waltung an Recht und Gesetz und damit an die Buch- (B) sen dafür sorgen, dass wir bei der sozialen Stadtteilsa- (D) nierung das, was wir an Ghettoisierung in einigen Be- staben des Gesetzes gebunden ist. Wenn Sie davon reichen leider erleben, endlich zurückführen und zu abweichen wollen, bewegen Sie sich in Grauzonen. anderen Formen des Zusammenlebens kommen. Die einfachste Lösung ist, den Buchstaben des Geset- zes gelten zu lassen. Dann muss das Mädchen nach Wir alle müssen übrigens dafür sorgen, dass wir zu Rumänien abgeschoben werden. Das wollen wir einer Art „Software-Integration“ kommen. Wir brau- nicht. Also wollen wir dem Sinn der Humanität zum chen nicht unbedingt immer mehr Sozialarbeiter und Durchbruch verhelfen. Dafür gibt es jetzt eine Rege- neue Einrichtungen, sondern einmal eine türkische lung im Gesetz. Dafür haben wir beide gestritten. Mutter im Elternbeirat. Wir brauchen nicht die Grün- Warum stimmen Sie denn jetzt nicht zu? dung türkischer Fußballvereine, sondern die Integra- tion der türkischen Jugendlichen in die deutschen Wir haben gesagt: Wir wollen keine Festlegung, Vereine und vieles andere mehr. Das sind Formen der wer darüber entscheiden soll. Die Länder sollen das Integration, um die wir uns bemühen müssen. selber regeln. Meine liebste Vorstellung ist, dass der Landtag darüber entscheidet. Denn ich will auch Auch hier hat Herr Kollege Biedenkopf Recht, wenn nicht, dass sozusagen nach dem Motto „Ich will mich er sagt: Dazu brauchen wir die Zustimmung unserer gut stellen“ immer Ja und Amen gesagt wird, sondern Bevölkerung. Ohne sie ist das nicht möglich. Nur, wie ich möchte, dass die Verantwortung der Parlamentari- wollen wir ihre Zustimmung erreichen, wenn wir bei er gefragt ist. Das wäre eine gute Regelung. Ich will diesem Thema hier absurdes Theater spielen, obwohl nicht, dass mein Parlament immer wieder sagen muss: wir in der Mehrheit wissen, Herr Kollege Müller, dass Wir wollen eigentlich nicht abschieben, aber nach wir nur Millimeter voneinander entfernt sind – wir den Buchstaben des Gesetzes müssen wir es tun. – wissen es; ich habe die berühmte Vieraugengesell- Das heißt, es liegt ein Gesetz vor, mit dem wir dieses schaft genannt –, aber öffentlich so tun, als seien wir Problem lösen können, aber Sie wollen ihm nicht zu- meilenweit auseinander? Wie wollen wir die Men- stimmen. schen bei diesem schwierigen Thema mitnehmen, Herr Kollege Biedenkopf sagt: Wir wollen die Men- wenn wir das Vorhaben heute nur aus einem Grunde schen mitnehmen, aber wir organisieren einen Streit scheitern lassen wollen, nämlich weil Wahlen vor der um des Wahlkampfes willen. – Wir behaupten, wir Tür stehen, obwohl wir alle wissen, dass wir nach den wollten die Integrationsprobleme lösen, aber das ei- Wahlen möglicherweise zu exakt dem gleichen Ge- gentliche Problem der Integration der heutigen Gene- setz kommen? ration der Spätaussiedler sprechen wir nicht einmal Herr Kollege Koch, es geht nicht um den Vermitt- an, geschweige denn, dass wir bereit sind, das Ver- lungsausschuss, den wir nicht anrufen wollen; denn triebenengesetz zu ändern. Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 145 Sigmar Gabriel (Niedersachsen) (A) Dann eröffnen wir Scheindebatten. Es wird gesagt, kanzler vorgehalten hat: Man darf sich doch nicht nur (C) trotz großer Massenarbeitslosigkeit würden die Tore um IT-Fachkräfte kümmern. Mit der Blue Card – eine geöffnet. In §39steht: schöne Farbe – muss endlich dafür gesorgt werden, dass Fachkräfte immer dann, wenn sie gebraucht Die Bundesanstalt für Arbeit kann der Erteilung werden, auch kommen dürfen. – Die CSU wollte sozu- einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer sagen darüber hinausgehen. Jetzt verwirklichen wir Beschäftigung ... zustimmen, wenn sich durch das, und nun haben alle Angst vor der eigenen Cou- die Beschäftigung von Ausländern nachteilige rage. Was ist das für eine seltsame Debatte, meine Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt nicht erge- Damen und Herren! ben. Herr Kollege Müller, zum Thema „nichtstaatliche Was wollen Sie eigentlich mehr? Es geht doch nicht Verfolgung und Genfer Flüchtlingskonvention“: Ein darum, dass wir Masseneinwanderung zulassen. Es Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung. In § 60 geht darum, dass wir die nationalen Interessen in steht, dass nichtstaatliche Verfolgung nur dann vor- Deutschland endlich einmal bestimmen können und liegt, wenn es sich um eine Verfolgung im Sinne der ihre Berücksichtigung auch bei der Arbeitseinwande- Genfer Flüchtlingskonvention handelt. Was wollen rung zulassen. In Nordamerika studiert halb Südost- Sie eigentlich mehr? asien getreu dem alten deutschen Motto: Man kann aus jedem guten Ingenieur auch einen guten Kauf- (Peter Müller [Saarland]: Was steht da noch?) mann machen. – Sie absolvieren dort ihr Postgradu- – Das ist dort fett gedruckt. Deswegen müsste man es iertenstudium. Die eine Hälfte bleibt dort, die andere eigentlich auch lesen können, Herr Müller. Das ist Hälfte geht zurück in die Heimatländer. Was glauben extra für Sie hervorgehoben worden, nehme ich an. Sie eigentlich, wohin Letztere ihre Unternehmen ori- entieren? Jedenfalls nicht nach Deutschland und nach (Peter Müller [Saarland]: Was steht da noch?) Europa, sondern nach Nordamerika! – Wir sind jetzt wirklich nahe am Parlament. Wir set- Wenn wir an der Weltwirtschaft teilhaben wollen, zen Herrn Koch um. wenn es um die Entwicklung unserer Wirtschaft geht, (Zuruf Ruth Wagner [Hessen]) wenn wir dem Wettbewerb standhalten wollen, dann werden wir uns doch wohl auch am Wettbewerb um – Bitte? – Ich freue mich über jeden Zwischenruf. Spitzenkräfte beteiligen müssen; Herr Biedenkopf, Meine Damen und Herren, der nächste Punkt ist die nicht als Ersatz für gute Ausbildung bei uns, sondern Ausweisung im Regelfall. Herr Kollege Müller, ich natürlich im weltweiten Wettbewerb um die besten bin gemeinsam mit den bayerischen Kollegen dafür, Köpfe und die besten Hände. Diese können wir doch dass wir bei denjenigen, die im Verdacht stehen, (B) nicht mit dem Hinweis holen: Wir brauchen euch drei terroristische Vereinigungen zu unterstützen, in (D) Jahre, und dann schicken wir euch wieder nach Deutschland nicht lange fackeln sollten. Schauen wir Hause. – Das lesen diejenigen, die Deutsch können wieder ins Gesetz! In § 54 steht: Ausweisung im Re- – notfalls wird es auf Englisch gelesen –, und dann gelfall, wenn ein Ausländer „falsche oder unvollstän- kommen sie nicht nach Deutschland, sondern sagen dige Angaben über Verbindungen zu Personen oder sich: Dann gehen wir weiter nach Nordamerika. Organisationen macht, die der Unterstützung des in- Wir verpassen im Rahmen der Osterweiterung eine ternationalen Terrorismus verdächtig sind“. Herr Kol- echte Chance, wenn wir den Wettbewerb um die bes- lege Müller, diese Menschen können wir nicht nur ten Köpfe nicht zulassen, wenn wir ihn nicht anneh- ausweisen, wenn sie selbst Mitglied in solchen Verei- men. Wir schaden unseren Unternehmen. Wir gefähr- nigungen sind, sondern schon dann, wenn sie falsche den keine Arbeitsplätze, sondern wir sichern sie, Angaben zu der Frage machen, ob sie mit solchen wenn wir das Gesetz verabschieden. Leuten in Verbindung stehen. Weiter geht es nun wirklich nicht! Das ist schon haarscharf am Legalitäts- Das Gesetz plädiert doch nicht für Masseneinwan- prinzip vorbei. Was wollen Sie eigentlich mehr? derung, sondern wenn das nationale Interesse besagt, wir brauchen die Einwanderung zur Sicherung von Wir machen den Menschen, die heute unserer De- Arbeitsplätzen, wollen wir sie ermöglichen, und dort, batte zuschauen, doch etwas vor, wenn wir über den wo sie Arbeitsplätze gefährdet, wollen wir sie nicht. Text des Gesetzes „hinweghudeln“. Wir können das Gesetz lesen und sagen, was dort vorgesehen ist. Da- Es waren übrigens CDU-Politiker, die vor nicht nach erfüllen wir Ihre Forderungen. allzu langer Zeit gefordert haben, wir sollten Pflege- Ich glaube, wir spielen hier ein Stück weit absurdes kräfte aus Polen für die häusliche Altenpflege herein- Theater. Es gibt breite Zustimmung, aber immer nur lassen. Das halte ich angesichts von über vier Millio- unter vier Augen. Öffentlich organisieren wir hier den nen Arbeitslosen für falsch. Es sind CDU-Politiker, die Showdown, als seien wir meilenweit von einer Eini- in den Fremdenverkehrsregionen erklären: Es geht gung entfernt. Ich glaube, wir spielen Theater in nicht an, dass die Arbeitsverwaltung die Saisonfach- einem Potemkin’schen Dorf, Herr Kollege Müller, in kräfte nur für kurze Zeiträume zulässt. Ihr müsst das dem niemand mehr leben und schon gar nicht über deutlich erweitern. – Warum sagen die CDU-Politiker das Thema streiten will – weder die Wirtschaft, die das? Weil sie wissen, dass ihre Wirtschaft zu Hause Gewerkschaften noch die Kirchen und die Liberalen das braucht. in allen Parteien in Deutschland auch nicht. Niemand Es ist die bayerische CSU gewesen, der die Green in diesem Potemkin’schen Dorf will Streit. Wir möch- Card nicht weit genug ging und die dem Bundes- ten die Differenzen nur gern ein bisschen aufrechter- 146 Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 Sigmar Gabriel (Niedersachsen) (A) halten, damit wir die Wählerscharen darauf verwei- Meine Damen und Herren, ich kann dieser Bitte (C) sen können, dass es dort Streit gibt. Ich glaube, wir nichts hinzufügen. Die große Koalition ist sinnvoll und sollten uns das ersparen. möglich, wenn man sich der Vernunft, nicht nur dem Wahlkampf verpflichtet fühlt. Es geht in Wahrheit um Begrenzung und Steue- rung, aber bitte auch in der größten und schwierigs- ten Gruppe, die wir haben! Es geht um Integration; Präsident Klaus Wowereit: Das Wort hat nunmehr denn es gibt ein Integrationsversagen in Deutsch- Herr Minister Schönbohm (Brandenburg). land. Aber es geht auch um die Definition nationaler Interessen; wir müssen dafür sorgen, dass diejenigen, die wir im Wettbewerb brauchen, auch hierher kom- Jörg Schönbohm (Brandenburg): Herr Präsident! men. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute steht ein Gesetz zur Verabschiedung an, welches die Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum deutsche Gesellschaft wesentlich verändern kann, Schluss auf eine Chance für alle politischen Parteien wenn es angenommen wird wie vorgesehen. hinweisen: Es ist nicht so, dass die politischen Partei- en in Deutschland gerade auf einer Welle der Sympa- Das Gesetz formuliert auf der einen Seite Prinzi- thie schwimmen. Wir alle haben hinreichend Proble- pien, löst sie danach aber wieder auf. Jeder kann aus me mit den Debatten in wichtigen großen Städten ihm zitieren, was seinem Urteil entspricht; Beispiele ebenso wie in wichtigen großen Parteien. Ob wir es dafür haben wir soeben gehört. Sie kennen die Bei- wahrhaben wollen oder nicht: Viele Menschen in spiele und das Gesetz. Sie wissen auch um seine Un- Deutschland trauen uns, wenn es um die Interessen zulänglichkeiten und die von Rotgrün bewusst ge- unserer eigenen Partei geht, alles zu. Sie trauen uns wollten Interpretationsspielräume, so dass jeder inzwischen recht wenig zu, wenn es darum geht, dass herauslesen kann, was ihm wichtig ist. wir uns um das Gemeinwohl kümmern. Der Ärger Das Gesetz ist praktisch zu einem Vexierbild ge- über die Skandale in der Politik trifft uns alle. Ich worden. Rotgrün hat es im Bundestag durchgepaukt meine, er wird noch größer, wenn wir zeigen, dass wir und keine Bereitschaft gezeigt, auf die Interessen un- nicht bereit sind, uns in einer Sache, über die sich im seres Landes und die notwendigen Ergänzungswün- Grunde alle einig sind, zu bewegen, wenn wir nicht sche der Union einzugehen. Herr Gabriel, wenn es in entscheiden, sondern uns in Ränkespielen vor dem dieser Phase der Entstehung des Gesetzes eine Koali- Wahlkampf verlieren. tion der Vernünftigen gegeben hätte, läge heute ein Bei der heutigen Entscheidung über das Zuwan- konsensuales Gesetz vor. Sie haben sich aus der grü- derungsgesetz haben wir die Chance zu zeigen, dass nen Gefangenschaft nicht befreit. (B) wir bei einem wichtigen Thema zusammenkommen Kollege Schily hat im September einen Referenten- (D) können; denn wir liegen nur noch Millimeter ausei- entwurf vorgelegt. Wir lagen bei der ersten Innen- nander. Alle wollen das Zuwanderungsgesetz, alle ministerkonferenz sehr dicht beieinander. Dann kam wissen, dass wir es brauchen. Aber jeden Tag lesen die Veränderung. Wir müssen auf Grund der Fakten wir in der Zeitung vom Gegenteil. Längst wissen alle: zur Kenntnis nehmen, dass Sie sich von der mög- Eigentlich geht es um Machtpoker. lichen Gemeinsamkeit entfernt haben. Wir sollten heute mit der Vieraugengesellschaft Ich sage das, weil ich immer dafür war, vor dem Schluss machen und eine große Koalition zu Stande Wahlkampf das Gesetz zu verabschieden. Ich bin aus bringen. Dass dies möglich ist, entnehme ich einem staatspolitischen Gründen der Auffassung, dass wir in Schreiben von Frau Professorin Süssmuth und dieser Frage parteiübergreifend Konsens anstreben Hans-Jochen V ogel, das, wie ich meine, allen Mi- sollten. Aber diese Chance ist vertan. Ich habe auch nisterpräsidenten in den letzten Tagen zugegangen nicht immer die Zustimmung meiner Partei und an- ist. Ich möchte zum Abschluss zitieren, was Frau derer zu meiner Auffassung gefunden. Nachdem Sie Süssmuth und Herr Vogel schreiben: diesen Weg nicht gegangen sind, kommt es heute Findet das Gesetz eine Mehrheit, würde eine wohl zu der Frage, ob Sie eine Mehrheit für das Ge- zentrale gesellschaftliche Frage in einer der setz erzwingen können. Realität und den objektiven Bedürfnissen und Ich möchte kurz auf etwas eingehen, was gerade Verpflichtungen unseres Gemeinwesens ent- von Kollegen aus dem Bundestag immer wieder er- sprechenden Weise gelöst. Würde es hingegen wähnt wird. Es wird gesagt, Ministerpräsident Stolpe die Mehrheit verfehlen, so käme ein Zuwan- habe in der Sitzung am 20. Dezember vier Punkte zu derungsgesetz nicht zu Stande, von dessen Not- dem Gesetzentwurf vorgetragen, die erfüllt worden wendigkeit alle politischen Parteien überzeugt seien; Brandenburg habe daran mitgewirkt. Die vier sind und es blieben weiterhin inhaltlich schon Punkte sind nur zum Teil erfüllt worden. Ich habe un- lange überholte und unzulängliche Bestimmun- mittelbar nach der Sitzung gesagt, dass die Vorstel- gen in Kraft. Auch wäre die Gefahr groß, dass lungen von Peter Müller und diejenigen von Stolpe wiederum emotionalisierte Auseinandersetzun- die Zustimmung des Landes Brandenburg zu dem Ge- gen über ein Problem geführt werden, bei dem setz ermöglichten. Ich habe das auf die Kurzformel das friedliche Miteinander von Einheimischen gebracht: Stolpe plus Müller gleich Schönbohm. Nach und Zuwanderern im Vordergrund stehen sollte. den Veränderungen, die vorgenommen wurden, ist Wir bitten Sie deshalb eindringlich, dem Gesetz ein Teil der Punkte von Ministerpräsident Stolpe, aber zuzustimmen. keiner von Ministerpräsident Müller erfüllt. Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 147 Jörg Schönbohm (Brandenburg) (A) Damit das klar ist – es wird immer wieder behaup- kennbaren Erfolgen gemeinsam von SPD und CDU (C) tet –: An der Fortschreibung des Gesetzentwurfs war regiert wird. Weil es auf unsere vier Stimmen an- das Bundesland Brandenburg nicht beteiligt. Es kann kommt, lag der Fokus der Aufmerksamkeit in den sein, dass Mitarbeiter des Landes Brandenburg im letzten Tagen auf uns. Ich kann Ihnen sagen: Wir hät- Rahmen der Amtshilfe – etwa am Wochenende – ein- ten darauf verzichten können. gesetzt waren; das weiß ich nicht. Die gesamte Operation ist auf den heutigen Tag hin Nachdem das Gesetz vorgelegt worden war, sagten angelegt. Sie kann nur Erfolg haben, wenn das Bun- Sie, es gebe nichts mehr zu verhandeln. Wer entschei- desland Brandenburg erpresst wird und zustimmt det eigentlich, was zu verhandeln ist? Ist es nicht oder die Koalition auseinander geht. Darauf zielte die Sache des Bundesrates zu entscheiden, was er tun Bearbeitung der vier Punkte ab. Das nehme ich Ihnen, will? Sind wir ein Vollzugsorgan der Bundesregie- Herr Schily, persönlich übel. Sie glauben, ein solch rung? Ich meine, wir sind für diesen Bereich eigen- grundlegendes Gesetz mit 35:34 Stimmen im Bundes- ständig verantwortlich. Es gibt doch Fragen, die uns rat durchzudrücken und eine Koalition an den Rand unmittelbar berühren, z. B. die Anwendung und des Bruches zu bringen. Das zeigt, wohin die Reise Durchsetzung des Ausländerrechts, die Sozialfolge- eigentlich gehen soll – Sie haben es angesprochen, kosten, die Integrationskosten, die Bekämpfung von Herr Gabriel –: Sie stellen dafür eine rotschwarze Arbeitslosigkeit, Kriminalität und Ausländerextremis- Koalition unter Risiko, um dann womöglich Rotrot als mus. Sind Sie wirklich der Auffassung, diese Fragen lammfromme Gefolgsregierung zu etablieren. Sagen seien in dem Gesetz zufrieden stellend gelöst? Sie bitte, dass dies Ihre Absicht ist! Wollen Sie auf den Meine Damen und Herren, über das Dosenpfand, Trümmern der Brandenburger Koalition ein Gesetz die Verpackungs- oder die Legehennenverordnung verabschieden, das dem Bedürfnis und der Notwen- können wir trefflich streiten. Aber bei diesem wichti- digkeit des deutschen Volkes nicht entspricht? Gibt es gen Gesetz, das die Zukunft unseres Landes in erheb- keine Möglichkeit, die offenen Fragen im Vermitt- lichem Maße bestimmt, wollen wir uns das versagen? lungsausschuss noch zu erörtern? Warum sind Sie nicht gewillt, zu einem solch grundlegenden Gesetz Herr Ministerpräsident Gabriel, ich komme nun den Vermittlungsausschuss anzurufen, wenn Sie doch zum Vieraugenprinzip. Ich habe in den letzten Tagen Konsens anstreben? den Versuch unternommen zu erreichen, dass der Vermittlungsausschuss aus acht Gründen angerufen Dieses Gesetz spaltet unsere Gesellschaft. Es hat wird. Das war nicht möglich. Ich nenne Ihnen einige drei Funktionen: Punkte: Erstens. Mit dem Gesetz wird die Gesellschaft ver- Erstens Festschreibung der Zuwanderung in den ändert, weil seine Ermessens- und Interpretations- (B) Arbeitsmarkt nur bei eindeutig nachgewiesenem na- spielräume in einem Maße vergrößert werden, dass (D) tionalen Arbeitsmarktbedürfnis. Einige sagen, dies vieles Auslegungssache ist. sei in dem Gesetz enthalten. Aber dann muss das Zweitens. Die Geschlossenheit von CDU/CSU soll Gesetz unmissverständlich gefasst werden. mit dem Gesetz gespalten werden, um sechs Monate Zweitens gerechte Verteilung der Integrationskos- vor der Bundestagswahl zu zeigen, dass der Kanzler ten, auch hinsichtlich der Integrationsmaßnahmen sich ein „Macher“ ist. Das Gesetz ist als CDU/CSU-Spal- bereits hier aufhaltender Ausländer. Man muss doch tungsgesetz angelegt. Das ist seine aktuelle Funktion; sagen können: Auch das wollen wir gerne erreichen. es wird sie nicht erfüllen. Drittens Schaffung von effizienten Sanktionsmög- Drittens. Lassen sich CDU/CSU nicht spalten, wird lichkeiten zur Förderung der Motivation bei integra- die erfolgreiche und geräuschlos arbeitende große tionsunwilligen Zuwanderern – das müsste doch auch Koalition in Brandenburg gefährdet. Wer die Verant- in Ihrem Sinne sein –, Einführung einer Härtefall- wortung dafür trägt, lässt andere einen hohen Preis regelung – einer anderen als der vorgesehenen – zur zahlen. Lösung außergewöhnlicher Einzelfälle, strikte Anpas- Bei einem theoretisch möglichen Koalitionswechsel sung an den Wortlaut der Genfer Flüchtlingskon- der SPD in Brandenburg zur PDS könnte die Bundes- vention – d. h. Streichung der nichtstaatlichen Verfol- regierung immerhin die Zustimmung von vier PDS- gung – usw. Wenn wir uns nach dem Vieraugenprinzip beteiligten Landesregierungen im Bundesrat als zusammensetzten, würde jeder von Ihnen sagen: Wir Block erwarten. Wenn Sie das wollen, sagen Sie es müssen die acht Punkte klären, aber das ist nicht mög- hier und heute! Oder rufen Sie gemeinsam mit uns lich, weil wir sie bei der rotgrünen Bundesregierung den Vermittlungsausschuss an, um zu einem gemein- nicht durchsetzen können. samen Ergebnis zu kommen! Schon heute bestimmt Es ist im höchsten Maße bedauerlich, dass wir nun die PDS dank Entscheidungen der SPD in drei Län- in der Situation sind, in der wir uns befinden. Ich be- dern mit. Sie ist an der Bundesgesetzgebung über den dauere das außerordentlich; denn ich leide darunter Bundesrat bei der SPD stärker beteiligt als die Grü- wahrscheinlich am meisten von allen hier im Saal. nen. Daher hat die PDS auf Bundesebene bereits eine wichtige Rolle übernommen. Meine Damen und Herren, für die Abstimmung über das Gesetz brauchen Sie die Stimmen von Vor dem Hintergrund des soeben Gesagten möchte SPD/PDS – sie sind Ihnen sicher – und die vier Stim- ich Sie darüber informieren, dass ich bei diesem Ge- men unseres geschundenen, alten Bundeslandes setz mit Nein stimmen werde. Nach unserem Koali- Brandenburg, das seit zweieinhalb Jahren mit er- tionsvertrag müssten wir uns der Stimme enthalten. 148 Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 Jörg Schönbohm (Brandenburg) (A) Die Zustimmung zu diesem Gesetz stellte den Bruch ches Votum verständigen, können sie kein wirk- (C) unseres Koalitionsvertrages dar. Mit meinem Nein sames Votum abgeben. Im Falle der Uneinigkeit möchte ich diesen Bruch heilen. wird das Land so behandelt, als wenn es nicht an der Abstimmung teilnähme. Ministerpräsident Stolpe und ich sind in einer per- sönlich außerordentlich schwierigen Situation. Wir Um die Einheitlichkeit der Abstimmung sicherzu- haben uns bisher trotz unterschiedlicher persönlicher stellen, gibt es Koalitionsverträge – das sage ich jetzt – Biographie zusammengefunden, um gemeinsam et- und Absprachen in Kabinetten. Wenn man sich in den was für unser Land Brandenburg, dem wir uns ver- Kabinetten nicht einigen kann, was zum letzten Mal pflichtet fühlen, zu tun. Wir wollen in unserem Land im Jahr 1949 geschah, tritt dieser Fall ein. Das ist der die innere Einheit vollenden. Es wäre in Brandenburg Punkt. niemandem zu vermitteln, wenn die Koalition daran Der zweite Punkt, den er nennt: zerbräche. Wir haben in meinem Heimatland eine Ar- beitslosigkeit von 18,7 %. 2 % Ausländer leben unter Ohne Verständigung in der Sache gibt es keinen uns. Wir haben keine Schwierigkeiten bei dem Stimmführer. Der Ministerpräsident wäre nicht Thema „Integration“, was wichtiger Bestandteil des ermächtigt, das „Stimmenpaket“ des Landes ab- Gesetzes ist. Trotzdem läuft die strategische Zielrich- zugeben. tung darauf hinaus, Brandenburg vorzuführen und zu spalten; denn die unterschiedlichen Auffassungen Der dritte Punkt: waren bekannt. Der Dissens unter den Vertretern muss in der Zunächst hat die Strategie der Bundesregierung Beratung rechtzeitig und deutlich angezeigt und Herrn Stolpe mit der Aufforderung, der Erwartung ebenso in der Abstimmung verlautbart werden. oder der Vermutung, unseren Koalitionsvertrag zu Ich habe diesen Dissens, meine ich, deutlich genug brechen, in eine schwierige Situation gebracht. Sollte angezeigt. er dieses tun, werde ich die rechtlichen Möglich- keiten nutzen, um die Folgen zu heilen. Auch das ist Herr Präsident, ich beschreibe meine Position des- für mich menschlich eine außerordentlich schwierige wegen so eindeutig, damit Sie nachher beim Aufrufen Situation. Das Vorgehen der Bundesregierung, ihr des Landes Brandenburg nicht überrascht sind. Ich Zeitplan und ihre mangelnde Bereitschaft, den Ver- werde meine Ablehnung des Gesetzes in Kenntnis mittlungsausschuss anzurufen, lassen mir keine ande- von Artikel 51 Abs. 3 unseres Grundgesetzes sowie re Wahl. Ich hätte ein gemeinsames Ergebnis im Ver- der sich daraus ergebenden Gesetze und Verordnun- mittlungsausschuss vorgezogen. Aber dazu waren gen, wie sie im „Handbuch des Bundesrates“ von Sie, die SPD-geführten Länder und die Bundesregie- Reuter beschrieben sind, laut und unzweideutig (B) rung, nicht bereit. Diese mangelnde Verhandlungs- formulieren. Ersparen Sie es uns bitte, durch Nachfra- (D) bereitschaft führt zu der Situation, in der wir uns gen noch einmal ein anderes Stimmverhalten zu er- heute befinden. warten oder anzumahnen. Die erste Aussage wird klar und unmissverständlich sein. Ich weiß, dass mein Vorgehen bisher einmalig ist. Aber mit dem Versuch, Mehrheiten zu erzwingen, for- Meine sehr geehrten Damen und Herren, der heuti- dert die Bundesregierung eine solche Reaktion he- ge Tag wird in die Geschichte des Bundesrates einge- raus. Herr Bundesminister Schily, wir haben auch ei- hen, weil der Versuch der Bundesregierung scheitern nige persönliche Gespräche geführt. Ich habe in der wird, ein für die Zukunft unseres Landes wesentliches Innenministerkonferenz häufig mit Ihnen gesprochen. Gesetz mit Druck und unter Verletzung von Landesin- Warum ist es nicht möglich, diesen letzten Schritt hin teressen und geschlossenen Verträgen durchzusetzen – zu einem Kompromiss zu tun? Ich habe dafür eine Er- ein Gesetz, das in einem breiten Konsens hätte durch- klärung, zu der ich nicht viel sagen möchte. Staatspo- gesetzt werden können, wenn Sie ihn mit uns gesucht litisch gesehen haben Sie damit die Chance verpasst, hätten. ein für die Zukunft unseres Volkes wichtiges Gesetz Wir sind wie Sie von der Notwendigkeit gesetzlicher im breiten politischen Konsens zu verabschieden. Die Regelungen überzeugt – das haben wir immer wieder Mitglieder des Bundesrates entscheiden in eigener gesagt, und in der Kommission von Peter Müller ist Verantwortung. Die Mitglieder des Bundesrates wer- dies auch öffentlich vorgestellt worden –, aber dazu den Ihnen für Ihr Vorgehen die Mehrheit nicht geben. hat Rotgrün offensichtlich nicht mehr die Kraft, und Als zuständiger Minister des Innern kann ich die- das ist der eigentliche Grund für unsere Situation. sem Gesetz also nicht zustimmen. Bei unterschied- Das Land Brandenburg ist auf Grund der Strategie licher Abstimmung einer Landesregierung sind die der Bundesregierung zum Zünglein an der Waage ge- Stimmen dieser Regierung nach herrschender Rechts- worden. Wir wollten diese Rolle nicht, wir wollen sie auffassung ungültig. Diese Auffassung hat man auch auch in Zukunft nicht. Wir wollten einen Kompromiss aus der Verwaltung des Bundesrates gehört. Ich zum Wohle unseres Landes und unserer politischen möchte, nachdem Herr Gabriel dies angesprochen Kultur erreichen – leider vergebens. Es geht bei die- hat, drei Ziffern aus einem Rechtsgutachten zitieren, sem Gesetz auch nicht um spezifische Landesinteres- das ich von Herrn Isensee, einem namhaften Pro- sen Brandenburgs, aus denen sich eine Abstimmung fessor der Jurisprudenz, habe erstellen lassen. In der in der einen oder anderen Weise begründen ließe; es Zusammenfassung seiner Bewertung schreibt er: geht um die Frage, wie über ein Gesetz, das auf Bun- 1. Wenn die vier Vertreter des Landes Branden- desebene und für unser Land Bedeutung hat, abge- burg im Bundesrat sich nicht auf ein einheitli- stimmt wird. Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 149 Jörg Schönbohm (Brandenburg) (A) Meine Damen und Herren, ich kann nicht anders ser auch in der Gesellschaft und in den Parteien ge- (C) entscheiden, als ich es hier dargestellt habe. Meine führten Debatte aufgenommen. Sie haben damit deut- Verantwortung gegenüber unserem Vaterland gebie- lich gemacht, dass sie es für wichtiger halten, eine tet mir das. Ich möchte schließen mit dem Bekenntnis Wahlkampfauseinandersetzung um dieses sensible von General von der Marwitz, einem Zeitge- Thema zu vermeiden, als um jeden Preis Maximalfor- nossen Friedrichs des Großen, der gesagt hat: „Wähl- derungen durchzudrücken. te Ungnade, wo Gehorsam keine Ehre brachte.“ – Meine Damen und Herren, ich will nachfolgend nur Vielen Dank. kurz auf die aus meiner Sicht wichtigsten Änderun- gen der letzten Beratungsrunden eingehen: Präsident Klaus Wowereit: Das Wort hat Herr Minis- In §1des Gesetzes sind nunmehr die Steuerung ter Dr. Behrens (Nordrhein-Westfalen). und die Begrenzung des Zuzugs von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland als Zweck des Auf- Dr. Fritz Behrens (Nordrhein-Westfalen): Herr Prä- enthaltsgesetzes ausdrücklich genannt. Das Aufent- sident, meine Damen und Herren! Seit etwa zwei haltsgesetz ermöglicht und gestaltet damit die Jahren findet in unserem Land eine breite gesell- Zuwanderung unter Berücksichtigung der Integra- schaftliche und parlamentarische Debatte über Zu- tionsfähigkeit sowie der wirtschaftlichen und arbeits- wanderung statt, z. B. im Landtag Nordrhein-Westfa- marktpolitischen Interessen. Das Gesetz entspricht len, zuletzt gestern. Dort hat es im letzten Jahr damit dem Anspruch eines umfassenden Konzepts für Konsens über eine so genannte Integrationsoffensive eine Regelung der Zuwanderung und Integration, wie zwischen allen vier im Landtag vertretenen Parteien wir es seit langem schon brauchen. sowie einen entsprechenden Beschluss gegeben. Die Altersgrenze für nicht mit ihren Familien ein- Das uns nun zur Entscheidung vorliegende Zuwan- reisende Kinder wird von 14 auf 12 Jahre gesenkt. derungsgesetz ist das Ergebnis dieser zwei Jahre Zurzeit – das wissen Sie – gelten 16 Jahre. Zusätzlich währenden Debatte und des erkennbaren Bemühens eingefügt ist eine Ermessensregelung, wonach min- um einen Ausgleich gegenläufiger Interessen. Ich derjährigen ledigen Kindern unter Berücksichtigung stehe nicht an, Bundesinnenminister Otto Schily aus- bestimmter Gesichtspunkte über die Altersgrenze drücklich Dank zu sagen, der mit unendlichem Lang- hinausgehend eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wer- mut, mit viel Geduld und Überzeugungskraft bis den kann. Ich meine, dass sich mit dieser Ermessens- heute versucht hat, einen Konsens darüber zu Stande regelung in der Praxis besondere Härten in Einzelfäl- zu bringen. Ich persönlich kenne kein Gesetzesvorha- len positiv lösen lassen. ben der letzten Jahre, das so gründlich vorbereitet Ebenfalls neu ist, dass, abweichend von den sonsti- wurde und bei dem versucht worden ist, die in der (B) gen Regelungen, auf Ersuchen einer durch die Lan- (D) Gesellschaft vorhandenen Positionen mit dem Ziel desregierung eingerichteten Stelle im Rahmen der des Konsenses in die Gesetzgebungsarbeit einzube- Härtefallklausel ein Aufenthaltstitel erteilt oder ver- ziehen. längert werden kann, wenn dringende humanitäre Das vorliegende Zuwanderungsgesetz enthält nach oder persönliche Gründe die weitere Anwesenheit meiner Auffassung ein umfassendes Konzept einer des Ausländers im Bundesgebiet rechtfertigen. Damit zukunftsfähigen Regelung der Zuwanderung und In- wird uns, den Ländern, die Möglichkeit gegeben, in tegration. Dabei berücksichtigt das Gesetz z. B. nicht Einzelfällen besonderer Härte ein Aufenthaltsrecht zu nur wesentliche Inhalte des Berichts der Süssmuth- erteilen. Kommission, er stellt aus meiner Sicht auch einen Es wird nach Verabschiedung des Gesetzes darauf Kompromiss zwischen den Vorschlägen aller politi- ankommen, von einer solchen Möglichkeit umsichtig schen Parteien dar, der im Interesse unserer Gesell- Gebrauch zu machen. Zum einen ist es natürlich zu schaft heute als Gesetz auch vollendet werden sollte. begrüßen, dass auf persönliche Härten im Einzelfall Es muss doch nachdenklich stimmen, wenn die – im Besonderen aus humanitären Gründen – positiv große Mehrheit der gesellschaftlichen Gruppen – ge- reagiert werden kann. Zum anderen muss aber doch rade in den zurückliegenden Tagen – endlich eine verhindert werden, dass es einer Vielzahl an sich aus- Entscheidung von den gesetzgebenden Gremien in reisepflichtiger Ausländer so gelingen kann, über ein Deutschland fordert. Der ganz besonders wichtigen Ersuchen als Härtefall unberechtigterweise den Auf- Forderung, endlich auch in Deutschland den Weg für enthalt im Bundesgebiet zu verlängern. eine dauerhafte und erfolgreiche Integration zu Das Gesetz billigt den Ländern einen weiten eige- ebnen, wird mit den vorgesehenen Regelungen zur nen Spielraum zu. Die Zusammensetzung der Härte- Frage der Integration nach meiner Überzeugung ent- fallstelle und das Verfahren regeln die Länder durch sprochen. Damit kämen wir in Deutschland endlich Rechtsverordnungen. Ich denke, dass eine Abstim- auf die Höhe der Zeit. mung unter den Ländern unverzichtbar sein wird, um Das Thema „Integration und Zuwanderung“ ist auf Wanderungsbewegungen zwischen den Ländern vor- allen Seiten, vor allem bei der deutschen Bevölke- zubeugen. Auch müssen die unbestimmten Rechtsbe- rung, aber auch bei Migrantinnen und Migranten, in griffe der dringenden humanitären und persönlichen erheblichem Maße von Ängsten und Emotionen um Gründe in den zu erlassenden Verwaltungsvorschrif- Identitäten, soziale Sicherheit oder berufliche Zukunft ten zur Ausführung von § 25 Abs. 4a des Aufenthalts- geprägt. Die Bundesregierung und der Deutsche Bun- gesetzes noch näher bestimmt werden; denn die be- destag haben bereits zahlreiche Forderungen aus die- troffenen Ausländer haben Anspruch auf annähernde 150 Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 Dr. Fritz Behrens (Nordrhein-Westfalen) (A) Gleichbehandlung, unabhängig von ihrem Wohnort. kommen ein besonders hoher Stellenwert zu. Das (C) Die Ausländerbehörden haben damit ein Instrumen- Gesetz, das uns heute vorliegt, stellt, so glaube ich, tarium in der Hand, um in schwierigen, humanitär be- eine faire Grundlage für einen politischen Konsens sonders belastenden und mit den normalen Gesetzes- dar. Manch weitergehender oder abweichender instrumentarien nicht zufrieden stellend lösbaren Vorschlag – auch das eine oder andere fachliche Fällen eine befriedende Wirkung im gesellschaftli- Bedenken aus ausländer-, integrations- oder finanz- chen Raum zu erreichen. politischer Sicht – muss nach Auffassung der Nord- rhein-Westfälischen Landesregierung wegen der Auf den Arbeitsmarkt wird Rücksicht genommen. Bedeutung des Zustandekommens der Regelung ins- Vor der Anstellung ausländischer Arbeitnehmer müs- gesamt zurücktreten. sen künftig nachteilige Auswirkungen, wie es heißt, auf den gesamten Arbeitsmarkt geprüft werden. Mit der Zustimmung im Bundesrat heute können Außerdem soll die bundesweite Vermittlung deut- wir zeigen, dass wir über die Parteigrenzen hinweg scher und bevorrechtigter ausländischer Arbeitsloser bereit sind, in dieser wichtigen Zukunftsfrage tatsäch- Vorrang vor den Erfordernissen des regionalen Ar- lich Verantwortung zu übernehmen. Es besteht doch beitsmarktes haben. Mit der Streichung der rein weithin Einigkeit darüber, meine Damen und Herren, regionalen Ausrichtung wurde den Bedenken der dass das geltende deutsche Ausländerrecht dringend Opposition wie auch der Wirtschaft und der Gewerk- reformbedürftig ist, dass es nicht der gesellschaftli- schaften entsprochen. chen Wirklichkeit entspricht und dass es schon gar nicht die Zukunftsaufgaben einer in die Globalisie- Nun zu dem sicherlich besonders schwierigen rung eingebundenen Industrienation wie Deutschland Punkt der Verteilung der Kostenlast für die wichtige mitgestalten kann. Es besteht deshalb dringender Aufgabe der Integration. Handlungsbedarf. Deshalb muss die Zuwanderung Nach der Änderung verpflichtet sich der Bund erst- jetzt neu geregelt und darf nicht auf den Sankt-Nim- mals, für alle Ausländer die Integrationskosten für merleins-Tag verschoben werden. Das hielten wir für Basissprachkurse und den Orientierungskurs zu unverantwortlich. übernehmen. Bislang galt das nur für diejenigen Aus- Stellen Sie sich also, meine Damen und Herren, länder, die nach Einreise erstmals eine Aufenthaltser- Ihrer, stellen wir uns unserer Verantwortung für laubnis oder Niederlassungserlaubnis erhalten. Deutschlands Zukunft! Stimmen Sie zu, wie Nord- Außerdem ist neu geregelt, dass für die Teilnahme rhein-Westfalen das gleich tun wird! – Vielen Dank. am Integrationskurs von dem jeweiligen Zuwanderer unter Berücksichtigung seiner Leistungsfähigkeit ein Präsident Klaus Wowereit: Das Wort hat Herr angemessener Kostenbeitrag erhoben werden kann. Staatsminister Mertin (Reinland-Pfalz). (D) (B) Ich habe mich in der Vergangenheit, meine Damen und Herren, immer dafür ausgesprochen, dass sich der Bund an den Integrationskosten angemessen be- Herbert Mertin (Rheinland-Pfalz): Herr Präsident! teiligt. Eine Mehrbelastung von Ländern und Kom- Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den ver- munen sollte vermieden werden. Ich werde dieses gangenen Jahren ist das Problem der Zuwanderung Anliegen auch weiterverfolgen – ich spreche hier für in die Bundesrepublik Deutschland in verschiedenen die gesamte Landesregierung – und im Rahmen der Kommissionen und Gremien untersucht, diskutiert Mitwirkung am Erlass der Rechtsverordnung darauf und besprochen worden. Das Ergebnis ist eigentlich hinwirken, dass diese Grundsätze beachtet werden. einhellig: Die Bundesrepublik braucht Zuwanderung, und zwar aus demografischen, wirtschaftlichen, aber Den Ländern verbleiben in dieser wichtigen Frage auch kulturellen Gründen; denn eine Gesellschaft, deshalb auch für den Fall einer grundsätzlichen Zu- die sich fremden Einflüssen und Ideen nicht öffnet, er- stimmung zu dem Gesetz heute noch vielfältige Mög- starrt. lichkeiten, auf eine sachgerechte Lösung gerade der wichtigen Kostenfrage Einfluss zu nehmen. Ich appel- Wenn man die Debatte im Land in den letzten Wo- liere von hier aus noch einmal an den Bundesinnen- chen verfolgt, gewinnt man bei so manchem Rede- minister, bei den weiteren Umsetzungsschritten die beitrag den Eindruck, als ob mit dem Gesetz etwas Finanzlage der Länder und Kommunen ausreichend völlig Neues geregelt werden solle. Zuwanderung fin- in Rechnung zu stellen. det doch statt! Wir brauchen nur samstags zu schau- en, wer in unseren Bundesligamannschaften aufläuft. Schließlich wurde mit den Änderungen im Bereich Beim FC Bayern stürmen Südamerikaner. Sie stür- des Asylrechts deutlich gemacht, dass das Zuwande- men, damit der FC Bayern oben mitspielt. Wieso soll rungsgesetz nicht über die geltenden völkerrechtli- dies für unsere mittelständische Wirtschaft nicht chen Verpflichtungen der Genfer Flüchtlingskonven- möglich sein? tion hinausgeht. Eine Ausweitung des Asylrechts ist daher mit dem Gesetz nicht verbunden. Der Aus- Wie schwierig dies ist, zeigt die Debatte um die gleich zwischen nationalen Interessen der Bundesre- Green Card. Dabei wurde deutlich, dass wir Rege- publik Deutschland und humanitären Verpflichtun- lungen, rechtliche Rahmenbedingungen benötigen, gen im internationalen und europäischen Kontext ist um Zuwanderung an unseren Interessen ausgerichtet gelungen. zu steuern. Angesichts der Bedeutung einer Zuwanderungsre- Zuwanderung kann letztlich nur erfolgreich statt- gelung für unsere Gesellschaft kommt dem Zustande- finden, wenn die Integration bei uns gelingt. Integra- Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 151 Herbert Mertin (Rheinland-Pfalz) (A) tion gelingt am besten, wenn über die entsprechen- meines Landes hat für die Hessische Landesregierung (C) den Regelungen in der Gesellschaft große Einigkeit erklärt, dass wir gewillt sind, uns konstruktiv an der herrscht. Ich bedauere es sehr, dass es in den letzten Beratung des Zuwanderungsgesetzes zu beteiligen. Wochen zu einer Polarisierung gekommen ist, obwohl Dazu haben wir den konstruktiven Vorschlag einge- die Positionen doch recht nahe beieinander lagen, bracht, den Vermittlungsausschuss anzurufen. und dass heute hier Einigkeit nicht besteht. Diese Haltung haben wir uns in den letzten Wochen Rheinland-Pfalz versucht mit seinem Antrag eine erarbeitet. Ich meine, das hat sich gelohnt; denn Brücke zu bauen, um die Blöcke einander anzu- Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und schließlich nähern und breitere Zustimmung zu ermöglichen, um alle CDU-regierten Länder sind dem Vorschlag, den die Konfliktlage, in der sich z. B. Herr Schönbohm be- Vermittlungsausschuss anzurufen, gefolgt. Heute ist findet – er hat sie sehr anschaulich dargestellt –, viel- es an den SPD-geführten Ländern, diese Brücke zu leicht zu überwinden und zu erreichen, dass unsere begehen und einen letzten Versuch zu unternehmen, Gesellschaft bei dem Integrationsprozess mitgenom- zu einem konstruktiven Ergebnis zu kommen. men wird. Integration muss die Gesellschaft leisten. Es ist nicht damit getan, dass wir hier darüber be- Es ist offenkundig, dass die Gründe der Koaliti- schließen, sondern darüber sollte breiter Konsens be- onspartner unterschiedlich sind: Ministerpräsident stehen. Wir sind der Auffassung, dass über einige Müller hat sehr grundsätzliche Erwägungen vorge- Punkte gesprochen werden sollte, eine grundlegende tragen, Ministerpräsident Koch teilt sie, während die Überarbeitung des Gesetzes aber nicht notwendig ist. FDP in Hessen nach Klärung von drei entscheidenden Fragen, die nach meiner Meinung im Vermittlungs- Ein wichtiger Punkt betrifft die Kosten. Herr Minis- ausschuss behandelt werden müssen, dem Gesetz zu- terpräsident Gabriel hat dargelegt, dass die Länder stimmen könnte. heute schon sehr hohe Integrationskosten tragen, ins- besondere in den Fällen, in denen Integration nicht Ich will Ihnen kurz vortragen, warum wir der Auf- erfolgreich ist. Viele Spätaussiedler z. B. haben keine fassung sind, dass es an der Zeit ist, eine begrenzte ausreichenden Sprachkenntnisse, sie werden straf- gesteuerte Zuwanderung in Deutschland zu regeln. fällig und stellen uns vor große Probleme. Es gilt, das Problem der Schlepperbanden zu über- Greifen Sie deshalb unseren Vorschlag, eine Brücke winden. Wir wissen alle, dass dies nicht nur ein deut- zu bauen, auf, um in den nächsten Wochen eine ge- sches Problem ist. Die Anlandung eines Flüchtlings- meinsame Haltung zu finden und eine große Mehr- schiffes vor der sizilianischen Küste vor zwei Tagen heit für das Gesetz zu erreichen! So können wir auch zeigt dies. In unseren Großstädten stellen osteuropäi- die Integrationsbereitschaft unserer Gesellschaft sche Arbeitnehmer für ein paar Euro ihre Arbeitskraft (B) wecken. zur Verfügung. Deshalb brauchen wir eine begrenzte (D) Rheinland-Pfalz hat sich, wie der Herr Ministerprä- gesteuerte Zuwanderung. sident schon dargelegt hat, immer für ein Zuwan- Der verstorbene liberale Justizminister Caesar derungsgesetz eingesetzt. Wir haben einen eigenen hat dieses Verfassungsorgan 1997 – Herr Beck hat es Entwurf hier eingebracht. Insofern liegt uns daran, erwähnt – zum ersten Mal mit einem Gesetzentwurf das Gesetz auch zu verabschieden. befasst. Dieser ist von meiner Fraktion im Deutschen Ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen, dem In- Bundestag im Jahr 2000 erneut aufgegriffen worden, nenminister von Rheinland-Pfalz, Kollegen Zuber, nachdem wir diesbezüglich unter der vorherigen Bun- herzlich für sein Engagement in diesem Bereich zu desregierung leider vergeblich Versuche unternom- danken. Er arbeitet seit vielen Jahren hart an diesem men hatten. Problem. Auch ihm ist es ein Bedürfnis, dass das Ge- Deshalb, meine Damen und Herren, sage ich wie setz zu Stande kommt. viele in diesem Saal: Es besteht die große Chance, in Ich möchte betonen, dass das Stimmverhalten von diesem Jahr im breiten Konsens der gesellschaft- Rheinland-Pfalz selbst für den Fall, dass unser Antrag lichen Gruppen, die in unserem Land Meinungsma- auf Anrufung des Vermittlungsausschusses keine cher sind, ein Gesetz über eine gesteuerte Zuwande- Mehrheit findet, daran ausgerichtet sein wird, das rung zu verabschieden. Gesetz nicht scheitern zu lassen; denn nach Abwä- Herr Müller und Herr Biedenkopf haben zu Recht gung des Für und Wider sind wir der Überzeugung, darauf hingewiesen, dass es offensichtlich einen Dis- dass wir das Zuwanderungsgesetz brauchen. Wenn sens im Hinblick auf die emotionale Bewertung der Vermittlungsausschuss nicht angerufen wird, durch die Menschen in unserem Land gibt. Dies war können erforderliche Veränderungen gegebenenfalls in großen nationalen Fragen aber schon häufig der später noch vorgenommen werden. Fall. Denken Sie z. B. an die Einführung der Euro- Währung im Laufe der letzten Jahre. In Fragen von nationaler Bedeutung muss es darauf ankommen, Präsident Klaus Wowereit: Das Wort hat Frau dass wir uns trotz unterschiedlicher Ausgangsposi- Staatsministerin Wagner (Hessen). tionen zu Lösungen durchringen, die schließlich auch zum Erfolg unseres Landes beitragen.

Ruth Wagner (Hessen): Verehrter Herr Präsident! Die FDP hat vier Aspekte vorgetragen, die eine Re- Meine Damen und Herren! Der Ministerpräsident gelung als dringend notwendig erscheinen lassen. 152 Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 Ruth Wagner (Hessen) (A) Die demografische Entwicklung, auf die Herr vorstellen können. Deshalb bedarf es dringend einer (C) Biedenkopf eingegangen ist, ist dramatisch. Dieses Verstärkung der Integrationsbemühungen zu Gunsten Problem kann mit dem Zuwanderungsgesetz allein der hier lebenden Ausländer. nicht gelöst werden. Nach der Statistik beträgt die Lassen Sie mich zu den Punkten kommen, von Zahl unserer Einwohner im Jahr 2050 nicht mehr über denen ich meine, dass sie noch zu klären sind, Herr 82 Millionen, sondern nur noch über 60 Millionen. Wir Schily. müssten von 300 000 bis 500 000 zuwandernden Per- sonen pro Jahr ausgehen, was bezogen auf die Inte- Erstens: die Kosten. Ich kann nicht verstehen, dass gration nicht verträglich wäre. Das ist völlig ausge- Bundesfinanzminister Eichel im Zusammenhang mit schlossen. Deshalb meine ich, dass Zuwanderung nur dem „blauen Brief“ aus Europa die Verantwortung für ein Teil der Lösung dieses Problems sein kann. die Verschuldungssituation unseres Landes den Län- dern zugeschoben hat und mit dem Gesetz den Län- Herr Biedenkopf hat zu Recht darauf hingewiesen, dern erneut alle Kosten aufgebürdet werden sollen. dass mit dem Gesetz ein Thema angeschnitten ist, das Was werden wir denn tun? Wir werden die Gemeinden wir, die heute lebende politische Generation, aufgrei- einbeziehen. Eine faire Kostenverteilung, wie sie der fen müssen, damit die folgenden Kinder- und Enkel- rheinland-pfälzische Antrag begehrt, würde sich nach generationen nicht in die Situation kommen, dass alle dem Konnexitätsprinzip richten, das wir jeden Sonn- sozialen Sicherungssysteme an die Wand gefahren tag predigen, das aber offensichtlich nicht eingehalten werden. Wer glaubt, dass die Zahl der Erwerbstätigen wird. Im Sinne eines fairen Kostenausgleichs sind der als Eckparameter eines Sozialsystems, das in der Bund, die Länder, die Gemeinden und – das füge ich Bismarck-Zeit erfunden wurde, für dieses Jahr- hinzu – die Integrationswilligen, die ihr Leben lang hier hundert noch taugt, der ist wirklich auf dem Holzweg, bleiben wollen, mit einem Teil der Kosten zu belasten. meine Damen und Herren. Wir brauchen völlig ande- Warum diskutieren Sie mit uns nicht im Vermittlungs- re Verfahren. Dazu gehört eben nicht nur eine Verän- ausschuss darüber? Das wäre der Diskussion wert. derung der Sozialsysteme, sondern auch eine verän- derte Zuwanderungspolitik und eine veränderte Verehrter Herr Beck, ich glaube keiner Erklärung Kinder- und Familienpolitik. des Bundeskanzlers mehr, die er zu diesem Gesetz abgibt. Wenn es nicht im Gesetz steht, wird Herr Wir stimmen – zweitens – mit denjenigen überein, Eichel keine müde Mark, geschweige denn einen die sagen, dass wir Zuwanderung aus wirtschaft- Euro bezahlen. Deshalb muss dies geklärt werden. lichen Gründen brauchen. Es kann nicht sein, dass die Zuwanderer in Großbritannien und in den USA Der zweite Punkt betrifft die bürokratischen Ver- ein deutlich höheres Qualifikationsniveau haben als fahren bei den Arbeitsämtern. Wegen der Kürze der der Durchschnitt der Bewohner der Länder, aus denen Zeit will ich nur so viel sagen: Glaubt jemand in die- (B) sie kommen, während es in Deutschland genau um- sem Saal, dass die Arbeitsverwaltung in dem Zustand, (D) gekehrt ist. Wir müssen auf Grund der wirtschaft- in dem sie sich im Augenblick befindet, in der Lage lichen Situation, auf Grund der regionalen Bedürfnis- ist, dieses Problem zu lösen? Ich glaube das nicht. se – ganz eindeutig – in Ost wie West selbst steuern Drittens. Mit Green, Blue und sonstigen Cards können, welche Arbeitskräfte in Deutschland auf wurde versucht, hoch qualifizierte Arbeitskräfte nach Dauer Platz haben sollen. Deutschland zu holen, um unsere Arbeitsmarktproble- Meine Damen und Herren, ich verstehe die Ängste me zu lösen. Ich bin der Auffassung, dass die Proble- nicht, die von Politikern mit geschürt werden, dass bei me dieser Menschen nicht hinreichend geklärt sind. 4 300 000 Arbeitslosen Zuwanderung politisch nicht Meine Damen und Herren, die CDU hat sich be- zu vermitteln sei. 1 Million dieser Arbeitslosen könn- wegt. Sie ist von einer generellen Ablehnung des Ge- ten die freien Arbeitsplätze in Deutschland besetzen; setzes abgegangen und hat erklärt, die Brücke zum sie tun es aber nicht. Deshalb brauchen wir gezielte Vermittlungsausschuss zu begehen. Ich appelliere ein Zuwanderung. Wir brauchen sie in den Dienstleis- letztes Mal an die SPD in diesem Haus, diesen Weg tungsbereichen der Ballungsgebiete. Wir brauchen mitzugehen. Herr Beck hat es getan, warum tun es mehr Selbstständige, auch unter Ausländern, die zu nicht auch Herr Gabriel, Herr Clement und die übri- uns zugewandert sind. Etliche haben einen Betrieb gen SPD-Ministerpräsidenten? Der Vermittlungsaus- gegründet und neue Arbeitsplätze geschaffen. Wir schuss ist verfassungsrechtlich das Instrument, das es brauchen dringend Zuwanderung in den akademisch erlaubt, in unserem föderalen System einen Kompro- gebildeten Bereichen. miss zu finden. Die humanitären Aspekte sind in Bezug auf die Ich möchte noch einige Bemerkungen zum Abstim- ausländischen Jugendlichen in Deutschland außeror- mungsverhalten machen. Herr Gabriel hat auf Artikel dentlich wichtig. Wir sollten uns sehr differenziert mit 51 Abs. 3 Grundgesetz hingewiesen und eine etwas der Gruppe im Alter von 14 bis 17 Jahren beschäfti- abwegige Verfassungsinterpretation vorgetragen. Die gen, die nicht gewillt sind, sich zu integrieren. Ich Absicht der Mütter und Väter der Verfassung ist ein- nenne nur das Beispiel Spätaussiedler. Sie sind häufig deutig: gegen ihren Willen mit den Eltern in unser Land ge- kommen und verursachen in den Schulen und in den Jedes Land kann so viele Mitglieder entsenden, Sozialsystemen riesige Probleme. Wenn wir nicht wie es Stimmen hat. Die Stimmen eines Landes endlich entsprechende Integrationsanstrengungen können nur einheitlich und nur durch anwesen- unternehmen, können sie zum Quell sozialer Ausei- de Mitglieder oder deren Vertreter abgegeben nandersetzungen werden, wie wir sie uns noch nicht werden. Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 153 Ruth Wagner (Hessen) (A) Eine Koalitionsregierung muss also so lange mitei- tungsvollzug, also bei den Verwaltungsanweisungen (C) nander ringen, bis sie eine einheitliche Meinung ge- des Bundesministers für Arbeit an die Bundesanstalt funden hat. Ich möchte Herrn Kollegen Schönbohm, für Arbeit, erfolgt. der in eindrucksvoller Weise dargelegt hat, wie Was die Regelungen zum Schutz vor Abschiebung schwer wiegend und tief gehend ein solcher Konflikt aus humanitären Gründen betrifft, muss ebenfalls si- sein kann, großen Respekt zollen. Ich meine, er hat cher sein, dass Abschiebeschutz nur bei Verfolgungs- sich zu Recht auf eine preußische Tradition berufen, handlungen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonven- die zeigt, wie individuelle Verantwortung mit dem tion gewährt wird. Die durch das Gesetz eingeräumte Wohl eines Landes verbunden sein kann. Dafür möch- te ich ihm sehr herzlich danken. Möglichkeit, Schutz vor Abschiebung zu erhalten, darf nicht über die Praxis in anderen Mitgliedstaaten Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum der Europäischen Union hinausgehen, damit keine Schluss noch einmal sagen: Sie haben die Chance, Sogwirkung nach Deutschland entsteht. Ich bitte die den Vermittlungsausschuss als ein legitimes, kurzes Bundesregierung, sich auch hierzu noch einmal aus- Arbeitsmittel zu begreifen, um zu einem Kompromiss drücklich zu äußern. zu kommen, den die deutsche Bevölkerung will. Die Zeit ist reif. SPD und CDU müssen sich heute aufei- Schließlich habe ich die Sorge, dass nach der Ab- nander zubewegen. senkung der Altersgrenze für den Nachzug lediger Kinder auf zwölf Jahre die neue Härtefallregelung ein schwer zu kontrollierendes Einfallstor darstellt. Präsident Klaus Wowereit: Das Wort hat Herr Minis- Ich bitte, das bei den anstehenden Überlegungen zu terpräsident Dr. Stolpe (Brandenburg). notwendigen Anwendungshinweisen und späteren Verwaltungsvorschriften zu prüfen. Sollte sich he- rausstellen, dass die Regelung nicht die im Interesse Dr. h.c. Manfred Stolpe (Brandenburg): Herr Präsi- einer Integration der Kinder notwendige Filterwir- dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei kung entfaltet, so spreche ich mich schon heute dafür allen Äußerungen und Aufgeregtheiten, die vielleicht aus, zu einem möglichst frühen Zeitpunkt neue Über- noch kommen, sollte der Konsens, der am heutigen legungen zu dieser Bestimmung anzustellen. Vormittag herauszuhören war, nicht untergehen: Fragen habe ich zu der neuen Härtefallregelung, Deutschland braucht ein Zuwanderungsregelungsge- wie sie in § 25 des Aufenthaltsgesetzes vorgesehen setz. Ich habe dieses Thema in den letzten Monaten ist. Ich kann nicht ausschließen, dass sich diese Be- intensiv begleitet und kann es nur zutiefst bedauern, stimmung im Ergebnis als unpraktikabel, ja als die dass es nun doch im Wahlkampf gelandet ist. Ausländerbehörden zahlenmäßig belastend heraus- (B) stellt und dass sie möglicherweise die Verfahren ver- (D) Was mich außerordentlich verwundert – das betrifft langsamt. Aus meiner Sicht muss die Härtefallrege- auch erfahrene Politiker und Politikerinnen –: Man- lung daher nach Ablauf von etwa zwei Jahren einer che meinen wirklich, dass heute, am 22. März, in die- Überprüfung im Hinblick auf ihre tatsächlichen Wir- sem Rund über den 22. September entschieden wird. kungen und ihre rechtliche Ausgestaltung unterzo- Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Bis dahin ist es noch gen werden. sehr lange, und es werden viele Faktoren noch eine Rolle spielen. Ich kann Sie nur bitten: Lösen Sie sich Die Überprüfung, ob die im Gesetz enthaltenen Re- von dieser Vorstellung! gelungen ausreichend sind, halte ich auch bei der Frage der Sanktionsmöglichkeit bei Nichtteilnahme Meine Damen und Herren, verehrte Frau Wagner, eines Ausländers an einem Integrationskurs für erfor- wenn das Zuwanderungsregelungsrecht zurückge- derlich, wenn sich durch Verwaltungsvorschriften stellt wird – nach allen Erfahrungen des Gesetzge- eine einheitliche und stringentere Anwendung der bungsverfahrens nicht für ein paar Monate, sondern Bestimmungen nicht erreichen lässt. etwa ein Jahr lang –, werden wir alle Verlierer sein. Während dieser Zeit würden Emotionen gefördert. Meine Damen und Herren, lassen Sie uns nach Ab- Wir alle trügen indirekt dazu bei, dass Fremdenfeind- lauf einer gewissen Frist noch einmal darüber nach- lichkeit durch die reale Situation begünstigt würde. denken, ob der nach dem Asylbewerberleistungsge- setz nach 36 Monaten bestehende Anspruch auf Das vorliegende Gesetz ist den Erwartungen des Sozialhilfeleistungen vor dem Hintergrund der Leis- Landes Brandenburg deutlich entgegengekommen. tungsfähigkeit unserer Kommunen Bestand haben Doch will ich nicht verhehlen, dass ich durchaus Sor- kann. gen habe. Lassen Sie uns in einem sachlicheren Klima, als es Nach der bei der Arbeitsmigration erfolgten Verän- zurzeit offenbar möglich ist, die Frage prüfen, ob die derung ist vorgesehen, dass die bundesweite Vermitt- Regelung zur Terrorismusbekämpfung, die sich im lung deutscher Arbeitsuchender Vorrang vor der Zu- Aufenthaltsgesetz findet, ausreichend ist. lassung zusätzlicher ausländischer Arbeitskräfte hat. Schließlich erwarte ich zu der Frage der Aufteilung Dies muss aus der Sicht eines Landes mit sehr hoher der Integrationskosten noch befriedigende Aussagen. Arbeitslosigkeit sichergestellt sein. Ich fordere die Bundesregierung hiermit auf, zu dieser Frage noch Herr Bundesinnenminister, Sie haben es jetzt in der einmal ausdrücklich Stellung zu nehmen und hier zu Hand, mit klaren Aussagen meine Entscheidung zu bestätigen, dass diese Sicherstellung auch im Verwal- beeinflussen. 154 Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002

(A) Präsident Klaus Wowereit: Das Wort hat der Herr Wir sollten die Frage der Zuwanderungspolitik nicht (C) Bundesminister des Innern, Schily. losgelöst von anderen Politikfeldern betrachten. Des- halb hat die Bundesregierung immer großen Wert darauf gelegt, die Zuwanderungsgestaltung in der Otto Schily, Bundesminister des Innern: Herr Präsi- Nachbarschaft auch von Bildungs- und Ausbildungs- dent, meine Damen und Herren! Deutschland hat „im politik zu sehen. Unterschied zu den klassischen Einwanderungslän- dern auf den Versuch einer Gesamtsteuerung des Zu- Sie haben die Green Card angesprochen und dan- wanderungsprozesses verzichtet. Die Folge ist ein kenswerterweise gesagt, dass Sie diese Initiative als Ungleichgewicht zwischen sozialsystembezogener verdienstvoll ansehen. Ich will darauf hinweisen, dass und arbeitsmarktbezogener Zuwanderung in den es der Bundesregierung gelungen ist, die Zahl der letzten Jahren“. Ausbildungsplätze im IT-Bereich von 14 000 im Jahr Diese beiden Sätze sind ein Zitat. Sie finden sich in 1998 auf heute 70 000 zu steigern und dass die Zahl dem Beschluss des Bundesausschusses der CDU vom der Studienanfänger im IT-Bereich, die im Jahre 1998 7. Juni 2001, dem so genannten Müller-Papier. Beide bei etwas mehr als 10 000 lag, heute bereits auf mehr Sätze sind eine zutreffende Problembeschreibung. als 25 000 gestiegen ist. Ich meine, dass man das be- achten sollte. Die Süssmuth-Kommission und die Stiegler-Kom- mission sind in ihren jeweiligen Abschlussberichten Meine Damen und Herren, alle gesellschaftlichen zu ähnlichen Feststellungen gelangt. Kräfte mahnen uns, die notwendige Reform des Zu- Auch in jüngster Zeit klagt der Ministerpräsident wanderungsrechtes nicht länger hinauszuschieben. eines großen Bundeslandes, eines Freistaates, die ge- Dazu gehören der Bundesverband der Deutschen In- genwärtige Mischung unserer Zuwanderung sei dustrie, die deutschen Industrie- und Handelskam- schlecht, größere Wettbewerbsfähigkeit im Hinblick mern, der Deutsche Arbeitgeber-Verband, der Zen- auf die Fachkräfte sei erforderlich. Deutschland tralverband des Deutschen Handwerks. Dazu müsse ein attraktiver Raum für die hellsten Köpfe in gehören zahlreiche Branchenverbände der deutschen der Welt sein. Im Wettbewerb um kreative, um gute Wirtschaft. Dazu gehören die Gewerkschaften. Dazu Leute sei Deutschland zu schwach. gehören die Kirchen. Und dazu gehören die Städte und Gemeinden. Ich meine, es ist bemerkenswert Das sind goldene Worte des bayerischen Minister- – das ist bei einer Gesetzgebungsinitiative keine all- präsidenten, die aber, Herr Ministerpräsident Stoiber, tägliche Erscheinung –, dass man den Beifall von bei- nur dann glaubwürdig sind, wenn ihnen auch Taten den Seiten findet, von der Arbeitgeberseite und der folgen. Gewerkschaftsseite. Das ist wirklich einer besonde- (B) Dies ist umso notwendiger, als das Ungleichgewicht ren Hervorhebung wert. Hier haben wir die gemein- (D) zwischen sozialsystembezogener und arbeitsmarkt- same Überzeugung von Arbeitgebern und Arbeitneh- bezogener Zuwanderung nicht nur eine akademische mern, dass eine solche Regelung notwendig ist. Frage und ein Thema für wissenschaftliche Untersu- Hinter dieser Überzeugung steht auch der Sachver- chungen ist, sondern konkrete Auswirkungen auf die stand, der sich aus der alltäglichen Arbeit ergibt. Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen hat. Sehr vereinfacht ausgedrückt bedeutet die Aufrecht- Deshalb appelliere ich an Sie alle, dem vorliegen- erhaltung des Verzichts auf eine Gesamtsteuerung den Gesetz zuzustimmen, mit dem ein modernes, des Zuwanderungsprozesses für die Zukunft auf der wirtschaftsfreundliches, flexibles und unbürokrati- einen Seite mehr Sozialhilfeausgaben, auf der ande- sches Regelsystem für die Zuwanderung geschaffen ren Seite weniger Einnahmen aus Lohn- und Einkom- wird, das eine Begrenzung und Steuerung der Zu- mensteuern. wanderung unter Berücksichtigung der Integrations- fähigkeit der Bundesrepublik und unter Wahrung hu- Meine Damen und Herren, ich bin der Debatte am manitärer Verpflichtungen ermöglicht. heutigen Vormittag sehr aufmerksam gefolgt und stelle fest, dass es bemerkenswerte Unterschiede in Das Gesetz ist das Ergebnis eines sehr umfassenden den Darlegungen gegeben hat. und intensiven Diskussionsprozesses, in den alle poli- tischen Kräfte unseres Landes und insbesondere die Herr Professor Biedenkopf, dem auch ich meine be- Länder einbezogen worden sind. Wo immer Ge- sondere Reverenz für seine politische Bilanz zum Aus- sprächsbereitschaft bestand, habe ich sie zu nutzen druck bringen möchte, hat ausgeführt, wir brauchten Gesprächsbereitschaft nicht kein Zuwanderungsgesetz, wir könnten alles adminis- versucht. Leider war die trativ regeln. Die übrigen Fragen könnten wir viel- bei allen immer vorhanden. Zeitweise wurden Ge- leicht in 20 Jahren nach einer intensiveren Debatte spräche rundweg abgelehnt. Einige sind Gesprächen angehen. Das stimmt jedenfalls nicht mit den Aussa- ausgewichen oder haben die Gesprächstermine, die gen derjenigen überein, die ein Zuwanderungsgesetz vereinbart waren, abgesagt. In manchen Gesprächen wollen. Selbst Herr Ministerpräsident Stoiber will, hieß es – das erinnert mich an die Vieraugenthematik wie er angekündigt hat, ein Zuwanderungsgesetz in von Herrn Ministerpräsidenten Gabriel –, man könne nächster Zukunft auf den Weg bringen, allerdings erst nur für sich, nicht für jemand anderen reden. in der nächsten Legislaturperiode. Ich komme darauf Ich will Ihnen auch nicht verschweigen – ich möchte zurück. hier niemanden in Verlegenheit bringen –, dass ich in Herr Professor Biedenkopf, ich will einen Punkt an- Gesprächen durchaus wahrgenommen habe, wer auf sprechen, in dem ich Ihnen vollkommen Recht gebe: wen auf Grund welcher Überlegungen Druck aus- Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 155 Bundesminister Otto Schily (A) geübt hat. Wer hier wo unter welchen Vorzeichen und Forderungen erfüllt werden, kann daraus nichts wer- (C) nach welchen Melodien Regie führt, kann jeder sel- den. – So geht es nicht; das ist kein Kompromiss. ber beurteilen. Meine Damen und Herren, wir können uns auch Als Ergebnis dieser mühevollen Vorarbeit ist ein nicht auf eine unbestimmte Zukunft vertrösten lassen. Gesetzeswerk entstanden, in dem sich Vorschläge Wir müssen uns heute entscheiden. Ich komme auf und Anregungen aus allen Parteien und aus allen Sie zurück, Herr Ministerpräsident Stoiber. Wenn Sie, Bundesländern wiederfinden. Dabei ist uns zugute sehr geehrter Herr Ministerpräsident Stoiber, ein Zu- gekommen – dabei bleibe ich, obwohl manche das wanderungsgesetz für die nächste Legislaturperiode nicht wahrhaben wollen –, dass sich die Kernaussa- in Aussicht stellen, muss ich Sie fragen: Mit welcher gen der Parteien zur Frage der Zuwanderung nur un- Mehrheit wollen Sie das erreichen? Selbst für den wesentlich unterscheiden. höchst unwahrscheinlichen Fall, dass Sie im Herbst die Bundestagswahl gewinnen, haben Sie weder im Ich bedanke mich bei allen, übrigens besonders bei Bundestag noch im Bundesrat eine Mehrheit für das den kleineren Parteien, die an dem Gesetzeswerk von Ihnen geplante Zuwanderungsverhinderungs- konstruktiv mitgearbeitet haben. Vielleicht kann man gesetz. Sie werden auch die FDP nicht an Ihrer Seite daran erinnern, dass gerade die kleineren Parteien finden. mitunter besonders konkurrieren. Aber sie waren – ich nenne beispielsweise konkret die FDP und Übrigens will ich Sie auf einen kleinen Unterschied Bündnis 90/Die Grünen – in der Lage, ihre Vorstellun- aufmerksam machen. Er ist nicht besonders erheblich; gen konstruktiv einzubringen, ohne sich an einer be- aber er ist bemerkenswert und interessant. Schauen stimmten Stelle zu verhaken. Dafür möchte ich mich Sie sich einmal den Antrag des Landes Rheinland- ausdrücklich bedanken. Pfalz auf Anrufung des Vermittlungsausschusses an! Da gibt es etwas, was ich durchaus für richtig und für Keine Seite konnte aber erwarten – das gilt in jeder bedenkenswert halte und was sich meiner Meinung Situation –, dass wir ihre Forderung zu 100 % in das nach auch mit dem Gesetz vereinbaren lässt. Gesetz übernehmen. Wer für sich einseitig die hun- dertprozentige Einlösung seiner Forderungen ver- Das Land Rheinland-Pfalz rückt nämlich gerade ein langt, will in Wahrheit kein Zuwanderungsgesetz. Anliegen der FDP, den regionalen Arbeitsmarktbe- darf, sehr stark in den Vordergrund. Wenn ich Herrn Deshalb verspreche ich mir auch nichts von einer Müller heute richtig verstanden habe, sagt er, es solle Fortsetzung im Vermittlungsverfahren; ich will Ihnen eigentlich mehr Planwirtschaft sein. Da solle eine das ganz offen sagen. Das Vermittlungsverfahren hat Plankommission eingesetzt werden, wie es ursprüng- sozusagen bereits über Monate – um nicht zu sagen: lich einmal auch in Entwürfen auf Seiten der über Jahre – hinweg stattgefunden. Wir können das (B) CDU/CSU vorgesehen war. Die Plankommission solle (D) Ganze nicht als eine Drehtürmechanik verstehen. eine Quote festlegen. Ich weiß nicht, was das für die Denn wenn sich einer immer nur im Kreis dreht, Entscheidung eigentlich bringen soll. Da gibt es kommt man nicht voran. durchaus ein Spannungsfeld; in Einklang zu bringen Man muss sich vielmehr die Frage stellen: Sind die ist das alles nicht. Vorstellungen, die im Gesetz enthalten sind, nicht auf Wir haben ein Missverständnis im Gesetz beseitigt. jeden Fall eine deutliche Verbesserung gegenüber Das war auch richtig; ich bin Ihnen für Ihren Hinweis dem bisherigen ungesteuerten Rechtszustand, selbst dankbar, Herr Ministerpräsident Müller. In § 39 konn- wenn die eigenen Vorstellungen an der einen oder te das Missverständnis entstehen – ich komme darauf anderen Stelle nicht zu 100 % realisiert werden? nachher noch zurück –, dass wir etwa nur nachteilige Eines muss ich ja nun auch feststellen: Wenn man Auswirkungen auf den regionalen Arbeitsmarkt über diese Fragen spricht, kann man nicht einfach er- berücksichtigten. Das wäre falsch, so war es nicht ge- klären: Bündnis 90/Die Grünen beispielsweise müs- meint. Vielmehr soll eine Entscheidungsstruktur ge- sen sich mit ihren Vorstellungen auf jeden Fall seit- schaffen werden, die situationsangepasst und flexibel wärts in die Büsche schlagen. – Ich darf darauf reagieren kann. Das ist wirtschaftsfreundlich. Das ist hinweisen, dass Bündnis 90/Die Grünen an Koalitio- auch wirtschaftlich gedacht, das ist sozialmarktwirt- nen beteiligt sind. Sie sind an der Koalition auf der schaftlich und nicht planwirtschaftlich gedacht. Bundesebene und an Koalitionen auf Landesebene Selbstverständlich müssen aber etwaige nachteilige beteiligt. Man kann doch nicht erwarten, dass Bünd- Auswirkungen auf den nationalen Arbeitsmarkt be- nis 90/Die Grünen sagen: Wir sind hier quasi nur die dacht werden. Ein solcher Gesichtspunkt stünde dann Sättigungsbeilage. einer Entscheidung entgegen. (Heiterkeit) Meine Damen und Herren, das geltende Auslän- dergesetz beschränkt sich weitgehend auf die Rege- Jeder muss zu seinem Recht kommen. Das gilt für lung derjenigen Zuwanderungstatbestände, die wir alle Seiten, für die CDU/CSU gleichermaßen wie für aus rechtlichen Gründen hinnehmen müssen, sei es die SPD, für die FDP und für Bündnis 90/Die Grünen. die Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen und poli- Niemand kann ein Diktat ausüben. Ich habe so tisch Verfolgten, sei es der Nachzug von Familienan- etwas von einem Landesinnenminister, mit dem ich gehörigen. Schon diese Regelungen sind zum großen auf gutem Fuße stehe, mit dem ich guten Gesprächs- Teil unzeitgemäß und zu unflexibel, um sich den wan- kontakt habe und den ich persönlich sehr schätze, delnden Erfordernissen anzupassen. Zuwanderung, durchaus gehört. Er sagte: Wenn nicht 100 % unserer die wir im eigenen wirtschaftlichen Interesse ermögli- 156 Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 Bundesminister Otto Schily (A) chen wollen, ist allenfalls lückenhaft, jedenfalls nicht Das sage ich besonders an die Adresse von Herrn (C) in einer den tatsächlichen Bedürfnissen gerecht wer- Ministerpräsidenten Stolpe, der das angemahnt hat. denden Weise geregelt. Ich bin gerne bereit, dies in den Anwendungshinwei- sen und in den später folgenden Verwaltungsvor- Zur Illustrierung der Beschwernisse und Defizite schriften noch einmal deutlich zum Ausdruck zu brin- der geltenden Rechtslage darf ich Ihnen einige Pro- gen. Ich komme am Ende auf alle Fragen, die Sie bleme in Erinnerung bringen, mit denen sich die In- angesprochen haben, zurück. nenministerien und die Ausländerbehörden Ihrer Länder seit Jahren herumplagen und weiter herum- Das Zuwanderungsgesetz ermöglicht auch das plagen werden, wenn es bei der alten Rechtslage Überwechseln von einem rein humanitär begründe- bleibt. ten und damit an das Fortbestehen einer Gefähr- dungssituation gebundenen Aufenthaltsrecht in Es gibt nun einmal einen regional und sektoriell einen Erwerbsaufenthalt, wenn ein entsprechendes begrenzten Arbeitskräftebedarf – Frau Wagner hat Arbeitsmarktbedürfnis auf dem bundesweiten – also vorhin davon gesprochen, andere haben davon ge- nicht nur dem regionalen – Arbeitsmarkt nicht ge- sprochen – auch außerhalb der Kategorie der Hoch- deckt werden kann. Nach dem geltenden Recht kön- qualifizierten, der auf dem deutschen Arbeitsmarkt nen solche Problemlagen nur mit der schwerfälligen nicht gedeckt werden kann und bei dem die Länder Prozedur eines Beschlusses der Innenministerkonfe- Interesse an flexibler situationsangepasster Abhilfe renz oder mit einer Rechtsverordnung des Bundes haben. gelöst werden. Das neue Zuwanderungsgesetz er- Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang an den möglicht stattdessen eine rasche und flexible Ent- Beschluss der Innenministerkonferenz vom Mai ver- scheidung der zuständigen Landesbehörde unter gangenen Jahres, der eine Bleiberechtsregelung zu Mitwirkung der Bundesanstalt für Arbeit. Die noch zu Gunsten erwerbstätiger Bürgerkriegsflüchtlinge aus erlassende Rechtsverordnung sowie Verwaltungsvor- dem ehemaligen Jugoslawien vorsah, die für ihre Ar- schriften werden sicherstellen, dass diese Bestimmun- beitgeber unentbehrlich waren. Dieser Beschluss kam gen bundesweit nach einheitlichen Grundsätzen an- zu Stande, nachdem Baden-Württemberg zuvor auf gewandt werden. Landesebene – übrigens auf Ihre Initiative, Herr Minis- Allerdings ist vorgesehen, dass ein Übergang vom terpräsident Teufel, wenn ich mich recht erinnere – Asylverfahren in das Zuwanderungsverfahren ausge- eine entsprechende Regelung vorweggenommen schlossen ist. Das halten wir für notwendig, damit der hatte. Missbrauch von Asylverfahren zurückgedrängt wird. Zu erinnern ist ferner an die Initiative der Länder Herr Ministerpräsident Müller, damit dürften alle (B) Hessen und Rheinland-Pfalz zu Gunsten einer Ver- Ihre Bedenken entkräftet sein. (D) ordnung für die Anwerbung von Haushaltshilfen bei Um es noch einmal zu betonen: Im so genannten Familien, die pflegebedürftige Angehörige zu betreu- Regelverfahren nach § 39 des Gesetzes kann einem en haben. Das war, Herr Ministerpräsident Koch, eine Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis zur Arbeitsauf- vernünftige Initiative meines Kollegen Bouffier, weil nahme nur dann erteilt werden, wenn für die offene man verhindern will, dass Menschen mit pflegebe- Stelle kein inländischer Arbeitsuchender zur Verfü- dürftigen Familienangehörigen in ihrer Berufsaus- gung steht. Der Vorrang einheimischer Arbeitsuchen- übung beeinträchtigt werden, wenn sie keine ent- der ist damit in der Gesetzessystematik sichergestellt. sprechenden Hilfskräfte zur Verfügung haben. Ich Nachteilige Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt kön- habe dem ausdrücklich zugestimmt und mich auch nen nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes dafür eingesetzt, dass eine Regelung gefunden nicht entstehen. wurde. Bei einer vorurteilsfreien Bewertung kann daher Niemand ist in den genannten Fällen auf den Ein- niemand ernsthaft die Behauptung aufrechterhalten, fall gekommen, diese Beschlüsse als Benachteiligung das neue Zuwanderungsgesetz sei angesichts der deutscher Arbeitsuchender und im Hinblick auf die hohen Zahl von Arbeitslosen in Deutschland proble- leider noch hohe Zahl von Arbeitslosen in Deutsch- matisch. Denn wie gesagt: Durch die Gesetzessyste- land als unannehmbar abzulehnen. Es ging in den ge- matik ist der Vorrang deutscher Arbeitsuchender nannten Fällen immer nur um einen Arbeitskräftebe- stets und ausnahmslos gesichert. darf, der auf dem inländischen Arbeitsmarkt gerade nicht gedeckt werden konnte. Nun sieht das Gesetz in §20allerdings die Möglich- keit vor – Herr Ministerpräsident Müller hat sich Das neue Zuwanderungsrecht erlaubt die Erteilung damit beschäftigt –, den Zuzug einer bestimmten Zahl einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Erwerbs- besonders qualifizierter Arbeitskräfte nach einem tätigkeit nach dem gleichen Muster, aber eben in Punktesystem zuzulassen. Kanada hat damit sehr einer allgemeineren Form, damit wir nicht immer gute Erfahrungen gemacht. Dabei handelt es sich unter Mühsalen jeweils nur eine Einzelregelung zu aber – dieser Aspekt darf nicht beiseite geschoben Stande bringen, ebenso dann und nur dann – nur werden – lediglich um eine gesetzliche Option. Von dann; ich möchte es dreimal wiederholen: nur dann –, ihr kann Gebrauch gemacht werden, wenn zuvor eine wenn eine offene Stelle nicht aus dem vorhandenen Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundestages inländischen Arbeitskräftepotenzial besetzt werden und des Bundesrates die Kriterien für die Auswahl der kann. Das heißt, der Vorrang des einheimischen Zuwanderungsbewerber bestimmt hat. Ehe Zuzug Arbeitsuchenden ist zu 100 % sichergestellt. nach dem Punktesystem zugelassen wird, muss auf Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 157 Bundesminister Otto Schily (A) der Grundlage des Gesetzes eine Mehrheit im Bun- attraktivere Aufenthaltsbedingungen. Nach dem gel- (C) destag und im Bundesrat zu Stande kommen. Sie tenden Recht können wir nicht einmal einem Nobel- müssen sich heute nicht dagegen sperren, eine Opti- preisträger von Anfang an einen dauerhaften Aufent- on in das Gesetz einzufügen. Sie haben es nach wie haltstitel anbieten. Sie können ihm weder gestatten, vor in der Hand, ob Sie von der Option Gebrauch ma- sein kurz vor der Volljährigkeit stehendes Kind mit- chen wollen oder nicht. zubringen, noch zusagen, dass sein Ehepartner in Deutschland eine Erwerbstätigkeit ausüben darf. Das Wann die Voraussetzungen für eine solche Ent- Ergebnis ist verständlicherweise allzu oft, dass sich scheidung als gegeben angesehen werden, lässt sich die umworbene Spitzenkraft gegen ein Engagement sicherlich nicht punktgenau voraussagen. Herr Pro- in Deutschland entscheidet. Hier hilft keine Blue Card fessor Biedenkopf hat vollkommen zu Recht, wie ich oder Green Card, sondern nur ein grundsätzlich stär- meine, gesagt, darüber müssten wir miteinander reden, wir brauchten einen gesellschaftlichen Diskus- ker an den eigenen wirtschaftlichen Interessen unse- sionsprozess, dazu bedürfe es wissenschaftlicher Un- res Landes orientiertes Zuwanderungsrecht. Nach tersuchungen. Ich gehöre gewiss nicht zu denen, die dem Zuwanderungsgesetz werden wir in der Lage an dieser Stelle die Demografie bemühen. Ich bin sein, den hoch qualifizierten Fachkräften, die wir im nicht der Meinung, dass wir alles an demografischen eigenen Interesse für unser Land gewinnen wollen, Grundsätzen orientieren können. Zuwanderung kann entsprechende Konditionen anzubieten. Selbstver- demografische Probleme keineswegs zu 100 %, allen- ständlich gilt aber auch bei Hochqualifizierten das falls zu einem gewissen Teil lösen. Vorrangprinzip zu Gunsten einheimischer Arbeit- suchender oder, wenn ich ironisch hinzufügen darf, Nach Einschätzung von Sachverständigen kommt einheimischer Nobelpreisträger. eine Entscheidung in dieser Richtung ohnehin frühes- tens zu einem Zeitpunkt nach dem Jahr 2010 in Be- Ferner weise ich auf die Dauerproblematik der aus- tracht. In zahlreichen Fachgutachten ist allerdings ländischen Studienabsolventen hin. Herr Minister- nachzulesen, dass es auf Grund der demografischen präsident Teufel hat kürzlich in einem Interview er- Entwicklung aller Voraussicht nach in der zweiten klärt, dass Baden-Württemberg mit Stipendien um Dekade unseres Jahrhunderts zu einem gravierenden ausländische Studentinnen und Studenten wirbt. Fachkräftemangel kommt. Im Sinne einer voraus- Dazu gratuliere ich Ihnen. Andere Länder werden si- schauenden Politik ist es daher geboten, für die Zu- cherlich ähnlich verfahren. Die auf Kosten des jeweili- kunft gerüstet zu sein, damit im Bedarfsfall schnell gen Landes ausgebildeten Hochschulabsolventen und flexibel reagiert werden kann, ohne dass erst müssen aber am Ende ihres Studiums unser Land wie- wieder ein mühsamer Gesetzgebungsprozess absol- der verlassen. Der Absolvent kann noch so brillant viert werden muss. Das Punkteverfahren als Option und der Arbeitsmarktbedarf noch so groß sein, das (B) kann nicht als Grund für die Ablehnung des Zuwan- geltende Recht lässt uns keinen Spielraum. Solche (D) derungsgesetzes herhalten, weil sich der Bundesrat Entscheidungen, die zu Recht als unsinnig angesehen heute noch nicht festlegen muss, ob in Zukunft von werden, müssen die Ausländerbehörden täglich ge- dieser Option Gebrauch gemacht werden soll. genüber den Steuerzahlern, den Arbeitgebern und den betroffenen jungen Wissenschaftlern vertreten. Ein anderes Problem stellt sich allerdings bereits Dagegen ermöglicht das künftige Zuwanderungsge- heute. Wir brauchen im Interesse unserer Wirtschaft setz flexible, bedarfsgerechte und vor allem am wirt- und Wissenschaft die Zuwanderung hoch qualifizier- schaftlichen Interesse unseres Landes orientierte Lö- ter Fachkräfte. Wir müssen, wie Herr Ministerpräsi- sungen. dent Stoiber betont hat, am Wettbewerb um die bes- ten Köpfe in der Welt teilnehmen. Durch die Während wir nach dem derzeit geltenden Recht auf Green-Card-Verordnung sind inzwischen mehr als der einen Seite gut ausgebildete, von der Wirtschaft 11 000 Fachkräfte auf dem Gebiet der IT-Technologie dringend benötigte Fachkräfte zur Ausreise zwingen nach Deutschland gekommen. Damit war zugleich die müssen, bleibt auf der anderen Seite – mitunter über Schaffung von zehntausenden von Arbeitsplätzen für viele Jahre hinweg – nichts anderes übrig, als Auslän- Arbeitsuchende in Deutschland verbunden. Daran der zu alimentieren, denen unter keinem Gesichts- sieht man, dass bei einer geregelten und gezielten punkt ein Bleiberecht zusteht, die aber durch die Ver- Zuwanderungspolitik keine Belastung, sondern eine schleierung ihrer Identität ihre Rückführung Entlastung des Arbeitsmarktes zu Stande kommt. Die sabotieren. Die Kommunen klagen seit Jahren über Green-Card-Regelung wird weiterhin in Anspruch diese Belastung. Wer das neue Zuwanderungsrecht genommen, obwohl es der IT-Branche zeitweise nicht ablehnt, entscheidet sich zugleich dafür, die beste- besonders gut ging. Die meisten IT-Fachleute sind henden Missstände nicht zu bereinigen, sondern be- nach Bayern und Baden-Württemberg gegangen. stehen zu lassen. Auch Herr Ministerpräsident Stoiber hat inzwischen Das neue Zuwanderungsrecht sieht eine Palette von dankenswerterweise angekündigt, dass er an der Maßnahmen vor, mit denen die Verschleierung der Green Card – in Bayern heißt sie Blue Card – festhal- Identität ausreiseunwilliger Ausländer effektiver ten will. bekämpft und die Ausreise besser durchgesetzt wer- Wenn wir im Wettbewerb um die weltbesten Köpfe den kann. Ausländer, die ohne Pass oder Ausweispa- mithalten wollen, müssen wir mehr bieten, als wir piere angetroffen werden, sind in Zukunft explizit heute bieten können. Bei Verhandlungen über die verpflichtet, an der Beschaffung der Dokumente mit- Ansiedlung großer Unternehmen oder internationaler zuwirken. Die Verweigerung ist bußgeldbewehrt. Organisationen bieten andere Staaten nicht selten Wer Maßnahmen zur Feststellung oder Sicherung sei- 158 Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 Bundesminister Otto Schily (A) ner Identität nicht duldet, macht sich strafbar. Die chen Asylantragstellung nicht folgen, bis hin zum (C) Durchsuchungsmöglichkeit wurde – übrigens auf Ver- Ausschluss selbst geschaffener Nachfluchtgründe im langen des Bundesrates – erweitert. Folgeverfahren.

Bisher blieb die Identitätsverschleierung für den Bei der Frage der nichtstaatlichen und der ge- Aufenthaltsstatus folgenlos. In Zukunft hat sie zur schlechtsspezifischen Verfolgung haben wir uns Folge, dass sowohl die Erteilung eines Aufenthaltsti- strikt an die Vorgaben gehalten, die von Herrn Minis- tels als auch die Gestattung der Erwerbstätigkeit aus- terpräsident Stolpe und von Herrn Ministerpräsident geschlossen sind und dauerhaft nur abgesenkte Sozial- Müller formuliert worden sind. Das heißt, dass wir in leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz dem Gesetzestext ausdrücklich auf die Genfer Flücht- gezahlt werden. lingskonvention Bezug nehmen und festlegen, dass Abschiebungsschutz – was übrigens der geltenden Geschaffen wird die Rechtsgrundlage für die Ein- Rechtslage entspricht – nur im Rahmen der Genfer weisung in ein Ausreisezentrum, in dem durch ge- Flüchtlingskonvention gewährt wird. An die Adresse zielte Betreuung die Bereitschaft zur Ausreise geför- von Herrn Ministerpräsident Stolpe gerichtet sage dert werden soll. ich: Das werden wir in den Anwendungshinweisen und den daraus folgenden Verwaltungsvorschriften Der Aufenthaltsbereich vollziehbar ausreisepflichti- noch einmal unterstreichen. ger Ausländer wird räumlich beschränkt. Rechtsmittel gegen eine derartige Wohnsitzauflage haben keine Das neue Zuwanderungsgesetz bewirkt daher aufschiebende Wirkung. Der Verstoß gegen eine räum- keine Ausdehnung der Schutzwirkung, sondern le- liche Beschränkung ist bußgeldbewehrt. Der mehrfa- diglich eine Statusverbesserung. Wir befinden uns che Verstoß ist eine Straftat. Für Maßnahmen zur daher im Einklang mit den Forderungen von Herrn Durchsetzung der räumlichen Beschränkung sind der Ministerpräsident Müller und auch in einem entspre- Ausländer und derjenige, der für seinen Lebensunter- chenden Entschließungsantrag der CDU/CSU-Frakti- halt haftet, regresspflichtig. on, der sich mit der geschlechtsspezifischen Verfol- gung beschäftigt. Viele dieser Vorschriften gehen auf Forderungen des Bundesrates zurück und dürften insgesamt die Herr Ministerpräsident Müller, Sie haben Herrn Chancen auf eine Rückführung vollziehbar ausreise- Professor Hailbronner, den ich sehr schätze, zitiert. pflichtiger Ausländer erheblich verbessern. Alles das Ich habe einen Mitarbeiter gebeten, sich bei Herrn lassen Sie aus, alles das lassen Sie liegen, wenn Sie Hailbronner zu erkundigen: Er kennt nach eigener dem Gesetz nicht zustimmen. Aussage den jetzt vorliegenden Text. Seine Äußerung bezieht sich nicht auf den jetzt geltenden Gesetzes- (B) Eine Reihe von Maßnahmen zur strikten Durchset- text. Sie ist vor dem 1. März gefallen. Sie wissen, dass (D) zung der Ausreisepflicht ist nur mit dem neuen Zu- das Gesetz im Bundestag am 1. März beschlossen wanderungsgesetz möglich, weil es besser als das bis- wurde. Dieses Zitat müssen Sie also leider beiseite her geltende Ausländergesetz zwischen Ausländern, lassen. Wenn wir uns zu dritt – ich biete Ihnen das die nicht ausreisen wollen, und solchen, die nicht aus- ausdrücklich an – mit Herrn Professor Hailbronner reisen können, unterscheidet. treffen, wird er meine Auffassung bestätigen, dass in dem Gesetzestext sichergestellt ist, dass wir uns strikt Die Neuordnung der humanitären Aufenthalts- an die Genfer Flüchtlingskonvention halten. Viel- rechte ist ebenfalls ein Schritt zu einer rationaleren leicht kann er zum Zuwanderungsgesetz einen Kom- und mit der europäischen Rechtsentwicklung kompa- mentar verfassen; das wäre ein gutes Vorhaben. tiblen Politik. Alle Sachverständigen, auch die Kom- mission unter Vorsitz von Herrn Ministerpräsidenten Jedenfalls meine ich, dass durch die Fassung „In Müller, haben gefordert, Bürgerkriegsflüchtlingen Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung und anderen Ausländern, bei denen langfristig Ab- der Flüchtlinge“ schon sichergestellt ist, dass der schiebungshindernisse aus humanitären Gründen be- Rahmen nicht überschritten werden kann. Wenn an stehen, ein über die bloße Duldung des Aufenthalts anderer Stelle – das ist schon tautologisch – wieder- hinausgehendes befristetes Aufenthaltsrecht zu ge- holt wird „Die Voraussetzungen des Satzes 1 liegen währen. bei nichtstaatlicher Verfolgung nur vor, wenn es sich um Verfolgung im Sinne des Abkommens über die Umgekehrt führt die Zuerkennung des Asylrechts Rechtsstellung der Flüchtlinge ... “ – also der Genfer – des Asylrechts! – nicht mehr sofort zu einer unbefris- Flüchtlingskonvention – „handelt“, wird das noch teten Aufenthaltserlaubnis, sondern zunächst eben- einmal hervorgehoben. Dann bleibt an dieser Stelle falls zu einem befristeten Aufenthaltstitel mit einer wirklich keine Unklarheit bestehen. Ich sage zu, das Überprüfung nach drei Jahren. Die bisher schon be- in den Anwendungshinweisen und den Verwaltungs- stehende Überprüfungsmöglichkeit existiert derzeit vorschriften noch einmal zum Ausdruck zu bringen. weitgehend nur auf dem Papier. Durch die Ein- führung der Dreijahresfrist wird zumindest einmal die Die in das Gesetz neu aufgenommene Härtefallrege- obligatorische Überprüfung, ob die Gefährdungs- lung entspricht einer Forderung auch unionsgeführter situation fortbesteht, gewährleistet. Darüber hinaus Landesregierungen. Ich erinnere daran – das wird hier sieht das Zuwanderungsgesetz zahlreiche Maßnah- nicht in Abrede gestellt –, dass Herr Ministerpräsident men vor, um den Missbrauch des Asylrechts einzu- Müller in der Dezember-Sitzung des Bundesrates diese dämmen – von der Verweisung in das Folgeverfahren Forderung erhoben hat; sie ist aber auch von anderer von Asylsuchenden, die der Weiterleitung zur förmli- Seite gestellt worden. Herr Hardraht, Innenminister Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 159 Bundesminister Otto Schily (A) von Sachsen, hat in der Innenministerkonferenz eine nachzugsalter war in den zurückliegenden Wochen (C) Härtefallregelung angemahnt. Herr Schönbohm ist im und Monaten ein prominentes Diskussionsthema. Wir Prinzip auch dafür. Schleswig-Holstein fordert seit lan- haben uns dabei sehr schwer getan. Auf der einen gem eine Härtefallregelung. Seite hat das Argument, das von der CDU/CSU gel- tend gemacht wird, etwas für sich – das will ich nicht Nun muss man in der Tat darüber reden, wie eine in Abrede stellen –, nämlich dass es am besten ist, solche Härtefallregelung am besten ausgestaltet wird. wenn die Kinder in frühem Alter mit der Familie hier- Dazu sage ich Ihnen Folgendes: Herr Ministerpräsi- her kommen, weil die Integration dann besser ver- dent Müller, Sie unterliegen einem Missverständnis. läuft. Es ist eine Erfahrungstatsache, dass sich Kinder Dass die Härtefallregelung zur Anwendung kommen im frühen Alter besser integrieren als später. Es ist im kann, hat zwei Voraussetzungen – jetzt spreche ich Sinne der Integration nicht gut, wenn die Kinder Herrn Rechtsanwalt Müller an –: eine materiell-recht- zunächst im Heimatland bleiben und in einer anderen liche und eine formalrechtliche Voraussetzung. Es Kultur aufwachsen. muss sich materiell-rechtlich um einen Härtefall in der allgemeinen Form, wie er hier beschrieben ist, han- Man muss dabei aber auch den Familiengedanken deln. Die formalrechtliche Voraussetzung ist die wich- beachten. Deshalb haben wir uns auf eine Regelung tigere. Ein Härtefall kann in Abweichung von einer verständigt, die das Nachzugsalter von Kindern auf bereits bestehenden abschließenden Entscheidung zwölf Jahre festlegt. Auch ursprünglich waren im Ge- setzentwurf 12 Jahre vorgesehen; dann sind wir auf der Ausländerbehörde nur dann angenommen wer- 14 Jahre heraufgegangen, und jetzt sind wir, auch auf den, wenn es ein entsprechendes Ersuchen einer Här- Grund von Gesprächen, die ich geführt habe, wieder tefallkommission gibt. bei 12 Jahren. Ich muss darauf hinweisen: Nach dem Ob es zu einem solchen Ersuchen kommt, hängt je- gegenwärtigen Rechtszustand sind es 16 Jahre. Sie weils davon ab, wie das einzelne Land die Härtefall- dürfen die nun vorgesehene Regelung nicht immer kommission ausgestaltet. Ich habe von Herrn Minis- damit vergleichen, was Sie alles noch erreichen könn- terpräsident Gabriel gehört, dass er, wenn ich es ten, sondern Sie müssen den bevorstehenden Rechts- richtig mitbekommen habe, vielleicht den Petitions- zustand mit dem derzeit geltenden vergleichen, und ausschuss seines Landtages einsetzt. Es steht Ihnen da sind wir generell bei 16 Jahren. Nach dem gelten- völlig frei, Einstimmigkeit oder eine qualifizierte den Recht ist der Kindernachzug bis zum Alter von Mehrheit festzulegen; Sie können die Hürde sehr 16 Jahren zulässig, bis zum Alter von 18 Jahren in be- hoch legen. Sie können auf eine Hürde auch verzich- stimmten Ausnahmefällen, die allerdings – das muss ten; es steht Ihnen frei. Sie dürfen es aber tun. ich ehrlich sagen – enger gefasst sind als jene, die wir jetzt vorgesehen haben. Es ist sinnvoll, das zu tun, weil wir auf Grund von (B) zahllosen Fällen – hier sollten wir uns nichts vorma- Ich muss auf Folgendes hinweisen: Wenn wir Aus- (D) chen; dabei will ich auf das Vieraugenprinzip von nahmefälle nicht so regelten, wie wir es tun, müssten Herrn Ministerpräsident Gabriel zurückkommen – wir mit verfassungsrechtlichen Problemen rechnen. ständig damit konfrontiert werden, dass aus allen Par- Es gibt Rechtsauffassungen, nach denen ein Span- teien, wie ich betone, geltend gemacht wird – das nungsverhältnis zu Artikel 6 des Grundgesetzes be- gerät häufig in meine Post –: Nach den Buchstaben steht. Deshalb halte ich das für eine akzeptable Lö- sung, die auch im Sinne der Zielsetzung der des Gesetzes ist die Entscheidung zwar richtig, aber CDU/CSU und ihrer Programmatik eine deutliche bitte lassen Sie in diesem Fall fünfe gerade sein. – Verbesserung gegenüber dem geltenden Rechtszu- Herr Ministerpräsident Stoiber, das ist ein Schreiben stand darstellt, auch wenn nicht alle Ihre Vorstellun- – ich will nicht den Wortlaut herzeigen, sondern nur gen zu 100 % erfüllt sind. den Briefkopf – der Christlich Sozialen Union, Kreis- geschäftsstelle XY; ich will und darf die Einzelheiten Ich will auch darauf aufmerksam machen, dass mit nicht vortragen. Darin wird auf den Fall einer Person dem Zuwanderungsgesetz die längst überfällige Ent- hingewiesen, die sich seit 1995 in Deutschland befin- koppelung des Aufenthaltsrechts von EU-Bürgern det, mit jemandem zusammenlebt, Kinder hat und bis und allgemeinem Ausländerrecht vorgenommen Ende dieses Monats unser Land verlassen soll. Man wird. Im Übrigen wird das Zuwanderungsgesetz viele setzt sich dafür ein, dass diese Person hier bleibt. Das Tatbestände einfacher und klarer regeln und dadurch ist ehrenwert und spricht für den Absender. Warum überflüssige Bürokratie vermeiden. soll man dafür nicht die Möglichkeit einer Härtefall- Da die Integrationskosten von vielen angesprochen kommission vorsehen? Warum schaffen Sie in wurden, will ich Ihnen das Ergebnis, das wir im Ge- Bayern keine Härtefallkommission? Sie können die setz gefunden haben, in geraffter Form erläutern. Der Voraussetzungen festlegen, wie Sie es wollen. Bund ist den Ländern bei der Verteilung der Kosten Diese Möglichkeit bieten wir Ihnen an, nicht mehr noch einmal entgegengekommen. Wir haben die Re- und nicht weniger. Wer dann in polemischer Absicht gelungen so verändert, dass der Bund mehr als die behauptet, hier würden riesige Tore geöffnet, redet Hälfte der Kosten für die im Gesetz vorgesehenen In- am Inhalt des Gesetzes vorbei und argumentiert tegrationskurse für Ausländer sowie 100 % der Kos- ten für die Kurse der Aussiedler trägt. Der Bund über- gegen ein Phantomgesetz. Das sollten Sie im Interes- nimmt jetzt auch über die Hälfte der Kosten für die se einer sachlichen Auseinandersetzung bitte tun- Integrationskurse der bereits in Deutschland leben- lichst vermeiden. den Ausländer, also im Sinne von nachholender Inte- Ich will auf einige andere Fragen eingehen, die in gration. Damit sind wir den Ländern noch einmal ent- der Debatte eine Rolle gespielt haben. Das Kinder- gegengekommen. 160 Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 Bundesminister Otto Schily (A) Ferner ist entsprechend dem Wunsch des Bundesra- Sicherheit angemessen berücksichtigt werden. Wir (C) tes eine Kostenbeteiligung der Kursteilnehmer vor- haben uns schon bei früherer Gelegenheit einmal mit gesehen. Diese kann im Einzelfall bis zu 100 % diesem Sachverhalt auseinander gesetzt. Ich will Sie gehen. Ich glaube, dass wir damit eine für alle Seiten darauf hinweisen, dass wir diese Fragen nicht so sehr tragfähige Lösung erreicht haben. unter strafprozessualen oder strafrechtlichen Ge- sichtspunkten, die auch ihre Bedeutung haben, disku- Sodann wurden die Sanktionsmöglichkeiten bei tieren sollten, sondern unter polizeirechtlichen. Wir Nichtteilnahme an Integrationskursen angespro- haben deshalb im Zuwanderungsrecht die Regelun- chen. Diese Frage wurde von Herrn Ministerpräsident gen aus dem Terrorismusbekämpfungsgesetz über- Stolpe aufgeworfen. Ich bin ebenfalls der Überzeu- nommen. Personen, die die Sicherheit unseres Landes gung, dass es richtig und wichtig ist, an die Nichtteil- gefährden, indem sie sich etwa zur Durchsetzung nahme an Integrationskursen Sanktionen zu knüpfen. ihrer politischen Ziele an Gewalttätigkeiten betei- Bei einer gesetzlichen Verpflichtung zur Teilnahme ligen, zu Gewalt aufrufen oder damit drohen, erhalten an Integrationskursen ist es notwendig, dass ein Ver- kein Visum oder keinen Aufenthaltstitel und werden stoß gegen diese Verpflichtung Rechtsfolgen nach aus dem Lande wieder verschwinden müssen, wenn sich zieht. Das Zuwanderungsgesetz sieht hierzu ver- sie bereits hier sind. schiedene Sanktionen vor, etwa die Berücksichtigung der Nichtteilnahme am Integrationskurs bei der Ver- Dasselbe gilt, wenn Tatsachen die Annahme bele- längerung der Aufenthaltserlaubnis oder die erfolg- gen, dass Personen Vereinigungen im Umfeld des in- reiche Kursteilnahme als Regelvoraussetzung für die ternationalen Terrorismus angehören, mit anderen Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Worten: wenn hierfür tatsächliche Anhaltspunkte vor- handen sind. Der polizeirechtliche Begriff der Gefah- Die Rechtsfolgen sind also sehr deutlich erkennbar. renabwehr ist der richtige, um zu angemessenen Wer weiß, was die jeweiligen Entscheidungen für die Maßnahmen zu kommen. Ausländer bedeuten, weiß auch, dass die Sanktionen durchaus greifen werden. Sofern sich diese Sanktio- Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einige nen, nachdem Erfahrungen mit dem Gesetz gesam- Anmerkungen zu den Einzelfragen im Beitrag von melt worden sind, als nicht ausreichend erweisen soll- Herrn Ministerpräsident Stolpe machen. ten – Herr Ministerpräsident Stolpe, das sage ich Erstens zu den Integrationskosten: In der nach § 43 Ihnen für die Bundesregierung ausdrücklich zu –, bin Abs. 4 des Zuwanderungsgesetzes zu erlassenden ich bereit, weitere Sanktionsmöglichkeiten in ein Än- Verordnung werden wir einen Grund- und Aufbau- derungsgesetz aufzunehmen. Lassen Sie uns aber erst kurs mit jeweils 300 Stunden und einen Orientie- einmal einige Erfahrungen sammeln! rungskurs mit 30 Stunden festlegen, von denen der (B) Dann ist die Frage des Asylbewerberleistungsge- Bund den Grund- und Orientierungskurs finanziert. (D) setzes angesprochen worden. Das Asylbewerberleis- Dabei werde ich prüfen lassen, inwieweit die Orien- tungsgesetz wird im Zuwanderungsgesetz – auch da- tierungskurse ausgeweitet werden können, um den rauf muss ich Sie aufmerksam machen – gegenüber Umfang der Aufbaukurse und damit die von den der geltenden Rechtslage restriktiver gefasst. Bisher Ländern zu tragenden Kosten zu verringern. erhalten Asylbewerber nach Ablauf von 36 Monaten An der Vorbereitung dieser Verordnung, die der regelmäßig höhere Leistungen. Das heißt, diejenigen, Zustimmung des Bundesrates bedarf, werde ich die die es mit Tricks geschafft haben, ihre Verfahren über Länder voll beteiligen. Wir werden sicherstellen, dass drei Jahre in die Länge zu ziehen, werden belohnt. die Kursteilnehmer an den Kosten entsprechend ihrer Herr Ministerpräsident Koch, das ist die geltende Leistungsfähigkeit beteiligt werden, was bis zu 100 % Rechtslage. gehen und insoweit auch eine Entlastungsmöglich- Nach dem neuen Zuwanderungsgesetz wird der keit darstellen kann. Ich stimme allen jenen zu, die Übergang zu Leistungen nach dem Bundessozialhilfe- sagen, dass das durchaus zumutbar ist, zumal in vie- gesetz versagt, wenn der Ausländer die Dauer des len Fällen vielleicht die Arbeitgeber die Kosten indi- Aufenthalts rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst rekt übernehmen werden. hat. Damit werden die typischen und für die Behör- Ich bin mir durchaus bewusst, dass das, was wir hier den nachweisbaren Fälle des Asylmissbrauchs und regeln und anbieten, erst den Einstieg in eine umfas- der Verschleierung der Identität erfasst. Wir haben sende Integrationspolitik darstellen kann. Wir müssen also gerade in diesem Bereich eine Verbesserung her- Integrationspolitik viel weiter sehen; sie beschränkt beigeführt. sich nicht auf Grund- und Orientierungskurse sowie Nun mag es sein, dass der eine oder andere von Aufbaukurse, die übrigens nicht nur der Sprachver- Ihnen immer noch etwas Besseres weiß; das kann ich mittlung, sondern auch der Vermittlung der Kultur nie ganz ausschließen. Aber dann lassen Sie doch und der Geschichte sowie der Rechts- und Verfas- bitte den Vergleich zwischen der geltenden Rechts- sungsordnung unseres Landes dienen sollen. lage und dem zu, was in Zukunft mit dem Zuwande- Integrationspolitik umfasst viele Felder – die Stadt- rungsgesetz erreicht wird. Nehmen Sie, um ein deut- politik, Erziehung, Ausbildung und vieles andere sches Sprichwort zu verwenden, auch einmal den mehr. Viele vernünftige Überlegungen hierzu sind in Spatz anstatt die Taube auf dem Dach. Das ist viel- der Diskussion heute Morgen zum Vorschein gekom- leicht manchmal eine gute Regel. men. Ich möchte das, was unter anderen Herr Minis- Schließlich haben wir dafür gesorgt, dass in dem terpräsident Koch in diesem Zusammenhang gesagt neuen Zuwanderungsrecht die Belange der inneren hat, nämlich dass wir uns gerade bei der schulischen Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 161 Bundesminister Otto Schily (A) Erziehung sehr ernsthaft mit diesen Problemen befas- Sechstens zum Kindernachzug: Auch hier ist die (C) sen müssen, unterstreichen. Regelung mit einer Prognose verbunden. Einige sagen, durch die Ausnahmevorschrift komme eine Es wird also um ein umfassendes Integrations- erhebliche Ausweitung des Nachzugsalters über konzept gehen. Wir haben vorgesehen, dass das zwölf Jahre hinaus zu Stande. Wir werden durch eine künftige Migrationsamt eine Konzeptkompetenz er- restriktive Verwaltungsvorschrift dafür sorgen, dass hält und mit dem zu schaffenden Zuwanderungsrat der Ausnahmecharakter gewahrt bleibt. Im Übrigen im Verbund mit den Ländern und den Kommunen an sind wir bereit, auch diese Regelung nach zwei Jah- einem solchen Integrationskonzept arbeitet. ren zu überprüfen. Sie werden anhand der Zahlen, Zweitens zur Arbeitsmigration: Die Bundesregie- die zu diesem Bereich jetzt schon vorliegen, feststel- rung wird bei der Ausgestaltung der Rechtsverord- len, dass es wirklich marginale Größenordnungen nung nach § 42 des Zuwanderungsgesetzes sicher- sind, über die wir hier reden. stellen, dass einheimische Arbeitsuchende durch die Siebtens: Auch beim Asylbewerberleistungsgesetz Neuregelung des Arbeitserlaubnisrechtes keinerlei sind wir bereit, nach einer Frist von zwei Jahren die Nachteile erleiden. Der Vorrang der einheimischen Regelungen daraufhin zu überprüfen, ob sie sich als Arbeitsuchenden bleibt erhalten, wie es auch im wirksam erwiesen haben oder nicht. Gesetz vorgesehen ist. Zuwanderung in den Arbeits- markt wird nur dann in Betracht kommen, wenn der Achtens: Bei der Abwehr des Terrorismus darf ich Bedarf auf dem nationalen Arbeitsmarkt nicht auf das verweisen, was ich gesagt habe, nämlich dass gedeckt werden kann. Bei dem Erlass der Rechtsver- wir dies unter polizeirechtlichen Gesichtspunkten zu ordnung werden wir die Interessen der Länder in überprüfen haben. Ich glaube, dass wir damit dem größtmöglichem Umfang selbstverständlich berück- Sachverhalt am ehesten gerecht werden. sichtigen. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ab- Drittens zur Härtefallregelung: Durch Verwaltungs- schließend Folgendes erklären: Professor Klaus vorschriften und vorläufige Anwendungshinweise Bade hat der Politik der früheren Bundesregierung werden wir sicherstellen, dass die beabsichtigte Här- ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Er schrieb: tefallregelung praxisgerecht angewendet wird und Die regierungsamtliche Politik reagierte über auf wenige wirkliche Ausnahmefälle beschränkt die Wende von 1992 hinweg auf die vorgelegten bleibt. Ich sichere Ihnen ferner zu, dass wir diese Re- Bestandsaufnahmen und Entwicklungsperspek- gelung nach zwei Jahren einer umfassenden Prüfung tiven über ein Jahrzehnt lang mit defensiver Er- unterziehen und auch erforderliche Korrekturen vor- kenntnisverweigerung. nehmen werden, wenn sich aus der Überprüfung (B) etwas ergeben sollte, was unseren gemeinsamen In- Defensive Erkenntnisverweigerung können wir uns (D) teressen zuwiderläuft. im Interesse unseres Landes, im Interesse unserer wirtschaftlichen Entwicklung, im Interesse des so- Viertens zur nichtstaatlichen bzw. geschlechts- zialen Friedens und im Interesse einer zukunftsorien- spezifischen Verfolgung: Ich sichere zu, dass die tierten Integrationspolitik nicht mehr leisten. Erst Regelungen über die nichtstaatliche bzw. die ge- recht können wir uns Handlungsverweigerungen schlechtsspezifische Verfolgung durch vorläufige An- nicht mehr leisten. wendungshinweise und Verwaltungsvorschriften ent- sprechend den gesetzlichen Bestimmungen strikt an Wenn das Gesetz heute auch vom Bundesrat gebil- die Genfer Flüchtlingskonvention gebunden und ligt wird, wird Deutschland über das modernste Zu- nicht über den Standard anderer Länder hinausgehen wanderungsrecht in Europa verfügen. Bemerkenswer- werden. Hierdurch wird auf eine gleichmäßige terweise sind andere europäische Länder auf dem Rechtsanwendung in den Ländern hingewirkt. Wege, Regelungen aus unserem neuen Zuwande- rungsgesetz zu übernehmen. Mit dem modernen Zu- Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinwei- wanderungsgesetz festigt Deutschland sein Ansehen sen, dass dies in jenen Ländern, in denen das so gilt, als weltoffenes, weltzugewandtes, nachbarfreund- keineswegs ein „Pull“-Faktor war. Das sind Fragen, liches Land. Deutschland beweist sich damit als mün- die mit Voraussagen verbunden sind und die so oder dige Nation, die Politik nicht angstbesetzt gestaltet, als anders gestaltet sein können. Deshalb lassen Sie uns eine mündige Nation, die der Freiheit, der Gerechtig- dies nach einigen Jahren überprüfen. Sie werden keit und der Solidarität gleichermaßen verpflichtet ist. feststellen, dass diese Besorgnisse gegenstandslos sind. Falls sie sich wider Erwarten als relevant erwei- Meine Damen und Herren, am Hauptquartier einer sen, sage ich Ihnen an dieser Stelle zu, dass wir uns großen Volkspartei in Berlin war noch vor kurzem darüber auseinander zu setzen haben. folgendes Spruchband angebracht: „Zuhören – nach- denken – bewegen“. Leider wurde das Spruchband Fünftens zu den Sanktionen: Das Bundesminis- vor einiger Zeit abmontiert. Aber ich bleibe dabei: terium des Innern wird die im Zuwanderungsgesetz Das ist ein guter Vorsatz. Anstatt sich hinter Vorur- vorgesehenen Sanktionen hinsichtlich der Nichtteil- teilen zu verschanzen, kann sich jeder, der zugehört nahme an den Integrationskursen bis zum Ende des und nachgedacht hat, bewegen. In diesem Sinne Jahres 2004 daraufhin überprüfen, ob sie sich als hoffe ich auf eine verantwortungsvolle Entscheidung. ausreichend erwiesen haben. Wenn sich das nicht bestätigen sollte, werden wir Vorschläge für die Auf- nahme weiterer Sanktionen in einem Änderungs- Präsident Klaus Wowereit: Das Wort hat Herr Minis- gesetz unterbreiten. terpräsident Stoiber (Bayern). 162 Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002

(A) Dr. Edmund Stoiber (Bayern): Herr Bundesinnen- alle damit verbundenen Probleme und Aufgaben auf (C) minister, ich habe Ihnen nicht nur heute, sondern die Schulen. Sie übertragen sie den Ländern, insbe- immer sehr aufmerksam zugehört. Ich möchte für sondere den Kommunen. Man muss zur Kenntnis mich und für mein Land festhalten, dass Sie die Fra- nehmen, dass in den letzten Jahren leider ein hohes gen, die Bedenken und die Anmerkungen, die meine Maß an Zuwanderung in die sozialen Sicherungs- Kollegen Müller, Koch und Schönbohm heute Vormit- systeme stattgefunden hat; das ist heute noch der Fall. tag vorgebracht haben, nicht ausgeräumt haben. Unser Land gibt mehr als 20 Milliarden Euro allein Sie haben mich mehrfach zitiert. Deswegen möchte für Sozialhilfe aus. Eine solche Größenordnung ist in ich eine kurze Anmerkung dazu machen. Sie haben keinem anderen Land Europas festzustellen. Unsere mich mit der Aussage zitiert, dass wir im Wettbewerb Kommunen ächzen und stöhnen an allen Ecken und um die besten Köpfe selbstverständlich eine bessere Enden unter ihrer Aufgabenlast. Die Investitionskraft Grundlage brauchen, dass wir im Wettbewerb mit der Kommunen und der Länder geht zurück und, und, den Vereinigten Staaten von Amerika und mit ande- und. Das heißt: Diese Fragen müssen erörtert werden. ren europäischen Nationen um die Zuwanderung von Ich sage Ihnen noch einmal: Das Gesetz hat große Eliten nicht mithalten können. Sie haben daraus ge- Auswirkungen auf die gesellschaftliche Balance in schlussfolgert oder zumindest den Eindruck erweckt, unserem Land. Es ist kein Gesetz wie viele andere, es dass man dem Gesetz auf Grund einer solchen Aus- ist ein Gesetz mit weit reichender Wirkung. sage dann auch zustimmen müsse. Ich danke herzlich Herrn Kollegen Biedenkopf für Dieser Schluss ist eindeutig falsch. Alle Vertreter seine Ausführungen grundsätzlicher Art. Sie beinhal- von Seiten der CDU wie der CSU, die heute hier, die teten keinen Widerspruch zu Herrn Kollegen Koch im Bundestag oder außerhalb der parlamentarischen und Herrn Kollegen Müller, die sich konkreter mit Gremien gesprochen haben, haben in den letzten Mo- dem Gesetz auseinander gesetzt haben. Herr Kollege naten sehr deutlich gemacht: Wir brauchen eine Neu- Biedenkopf ist intensiv auf die Probleme der demo- ordnung des Zuwanderungsrechts, eine Änderung grafischen Entwicklung eingegangen. Er hat vor des Ausländerrechts und eine Änderung des Asyl- allen Dingen einen Punkt erwähnt, den Sie nicht aus- rechts, um Asylmissbrauch wesentlich zu beschrän- geführt haben: Wir wollen in diesem Jahr festlegen, ken. Nach langen Diskussionen innerhalb von CDU wer im Jahre 2004 wohl in die Europäische Union und CSU haben wir am 10. Mai unsere Eckpunkte aufgenommen wird. In absehbarer Zeit werden etwa eingebracht und vor dem ersten Entwurf des Zuwan- 100 Millionen Menschen zusätzlich Inländer. Dabei derungsgesetzes erklärt, was notwendig ist, um zu besteht die große Möglichkeit, dass diejenigen Köpfe einer vernünftigen Neuregelung zu kommen. in unser Land kommen, über die wir im Moment nicht (B) verfügen. Das muss man in Erwägung ziehen, bevor (D) Ich möchte das festhalten, weil einige Vertreter der man Zuwanderung erweitert. SPD hier deutlich zu machen versuchten, es gebe einen Gegensatz: Die einen wollen die Neuordnung Ich bedauere es außerordentlich, dass weder Sie des Zuwanderungsrechts, die anderen wollen sie noch die von Ihnen apostrophierte Industrie dies nicht. Dem ist natürlich nicht so. Wir brauchen und berücksichtigen. Letztere ist nicht bereit, zur Kenntnis wollen eine Neuordnung des Zuwanderungsrechts zu nehmen, dass es morgen und übermorgen etwa 100 Millionen neue Inländer geben wird. Man muss unter anderem, um im Wettbewerb mit anderen Län- sich genau überlegen, welche Integrationsbemühun- dern um die besten Köpfe zu bestehen. gen und -leistungen in diesem Zusammenhang auf Aber, Herr Bundesinnenminister – das zieht sich lei- unser Land zukommen. der schon durch den Gesetzentwurf –, wir wollen Das hat, wie Sie oder der Bundeskanzler zu sug- keine Erweiterung der Zuwanderung insgesamt, gerieren versuchen, nichts mit einem Machtkampf sondern eine Begrenzung. Wir wollen auch eine an- zwischen zwei Personen zu tun. Dies ist absoluter dere Zusammensetzung der gegenwärtigen Zuwan- Unsinn. Hier geht es um die Sache. Wir teilen nicht derer. Ihre Meinung, dass Ihr Gesetz die Zuwanderung be- grenzt. Das Gesetz, das Sie vorgelegt haben, ist kein Wir haben doch einige tief greifende Probleme: Begrenzungsgesetz. Sie müssten eine Reihe von Para- In unser Land kommen jedes Jahr etwa 500 000 bis grafen ändern und dürften nicht lediglich etwas, was 600 000 Menschen. Wir integrieren jedes Jahr eine vorher in der Begründung gestanden hat, in einen Pa- Stadt in der Größenordnung von Dortmund oder ragrafen hineinschreiben. Nürnberg. Unsere Integrationsbemühungen sind nicht hinreichend, wie z. B. die Pisa-Studie zeigt, die Herr Schily, wir wissen, dass wir eine Neuord- auch in diesem Zusammenhang erwähnt werden nung des Zuwanderungsrechts brauchen. Deswegen muss. In ihr wird festgestellt, dass sich ein Großteil bemühen wir uns um die letzte parlamentarische der ausländischen Kinder in der schlechtesten Grup- Möglichkeit, die Anrufung des Vermittlungsausschus- pe, der Gruppe 5, befindet. Diese können sich sprach- ses, um das Gesetz grundlegend zu überarbeiten. Wir lich kaum vernünftig ausdrücken. Unsere Integra- stimmen dem Antrag, den Herr Kollege Müller ge- tionsbemühungen müssen eher verstärkt werden, um stellt hat, selbstverständlich zu. Die Fragen, die Herr mit dem gegenwärtigen Problem fertig zu werden. Kollege Stolpe hier eingebracht hat, gehören in den Wir können es uns nicht leisten, Zuwanderung zu er- Vermittlungsausschuss. Es kann doch nicht angehen, weitern, wenn wir die Integration der gegenwärtig dass Antworten auf Fragen grundlegender Natur von Zuwandernden schon nicht bewältigen. Sie verlagern Ihnen en passant, ohne schriftliche Vorlage im Bun- Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 163 Dr. Edmund Stoiber (Bayern) (A) desrat vorgetragen und vorgelesen werden. Damit wir auch Zuwanderung, wie es in § 1 steht, den Minis- (C) kann sich der Bundesrat nicht zufrieden geben. Das terpräsident Müller zu Recht zitiert hat. Sonst hätten ist für mich ein Stück Verschlampung der Insti- wir in der Tat ein Zuwanderungsverhinderungsgesetz tutionen. vorgelegt. Das wollten wir nicht. Ich sage Ihnen noch einmal: Wir brauchen die Es ist ein logischer – Entschuldigung! – Unsinn zu Chance, das Gesetz grundlegend zu überarbeiten. sagen, wir wollen Zuwanderung aus wirtschaftlichen Ich nenne Ihnen auch den Grund für mein Interesse: Interessen, aber dann zu erklären, wir wollen sie nicht ermöglichen. Das passt logisch nicht zusammen – bei Das Gesetz ist von anderer Bedeutung als die Steu- bestem Willen, Logik zu strapazieren. Wir binden die erreform, die Änderung der Gewerbeordnung oder Arbeitsmigration, die Migration aus wirtschaftlichen des Immissionsschutzgesetzes. Es hat Auswirkungen Gründen, strikt an einen Arbeitskräftebedarf, den auf unsere gesellschaftliche Balance. Es kommt da- wir aus dem vorhandenen Arbeitskräftepotenzial rauf an, dass es von der großen Mehrheit der deut- nicht decken können. schen Bevölkerung mitgetragen wird. Herr Kollege Biedenkopf hat völlig Recht: Zur Integration gehören Es hat keinen Sinn, Herr Ministerpräsident Stoiber, immer zwei – die Ausländer, die sich integrieren wol- dass wir 50 000 Stellen – so in etwa die Schätzung – len, und die Deutschen, die die Ausländer integrieren im Großraum München nicht besetzen, weil wir uns wollen. hinter irgendwelchen ideologischen Barrikaden be- Wenn Sie ein Gesetz dieser Tragweite unter den finden. Dann findet Wirtschaft nicht statt, dann wer- von Kollegen Schönbohm geschilderten Umständen den keine Sozialabgaben gezahlt, dann werden keine – Kollege Müller und Kollege Koch haben sie ange- Steuern gezahlt, dann werden auch keine zusätzli- deutet – hier durchzusetzen versuchen, statt dem Vor- chen Arbeitsplätze geschaffen. Das ist der wirtschaft- schlag des Saarlandes, den Vermittlungsausschuss liche Sachverhalt. Deshalb sind alle Wirtschaftsver- anzurufen, Folge zu leisten, müssen Sie damit rech- bände dafür, diese Dinge so zu regeln, wie wir es nen, dass das Gesetz auf heftige Widerstände in vorgeschlagen haben. Deutschland stößt und dass die Diskussion über die Oder wollen Sie die Regelungen hinsichtlich der Richtigkeit und Durchsetzungsfähigkeit des Gesetzes Selbstständigen beanstanden? Wir haben auf Wunsch mit der heutigen Debatte nicht beendet ist. der CDU/CSU-Fraktion in den Verhandlungen mit Ich möchte, wie ich angekündigt habe, dass wir vor Herrn Bosbach – „Verhandlungen“ ist vielleicht dem 22. September selbstverständlich alle Chancen ein bisschen euphemistisch ausgedrückt, aber bitte nutzen, um zu einem großen Konsens zu kommen. Ist schön – einen 16-Punkte-Katalog zur Kenntnis genom- das nicht möglich, wird die zweite Anordnung im men, in dem stand, wir sollten die Schwelle, ab der wir (B) Falle meiner Wahl zum deutschen Bundeskanzler Selbstständigen einen Aufenthalt ermöglichen, noch (D) sein, so schnell wie möglich eine Änderung des Zu- etwas schärfer fassen. Das haben wir getan; dies wanderungsrechts vorzubereiten. Ich werde sie im haben wir als Regelbeispiel aufgenommen. Falle des Falles auch vorlegen. Aber wir brauchen auch Unternehmer aus dem So viel, liebe Kolleginnen und Kollegen, zu den An- Ausland. Warum sollen wir sie wegschicken? Viel- merkungen, die Sie gemacht haben. Ich bitte Sie, leicht hätten wir Bill Gates, wenn er in einer Garage noch einmal darüber nachzudenken, ob Sie dem ein Unternehmen hätte aufmachen wollen, wegge- Antrag von Kollegen Müller, das Gesetz generell zu schickt. Sehr klug! Das kann nicht der Sinn vernünfti- überarbeiten, zustimmen. Stimmen Sie dem nicht ger Wirtschaftspolitik sein. zu, gehen Sie einen schweren Gang: Sie versuchen Sie müssen dann schon den Beweis antreten, Herr – auch mit Anmerkungen an die Adresse von Kolle- Ministerpräsident Stoiber, gen Stolpe –, ein Gesetz durchzupeitschen, das nicht in Ordnung ist und das von der Mehrheit der Bevölke- (Dr. Edmund Stoiber [Bayern]: Haben wir ja!) rung nicht akzeptiert wird. – Danke schön. wo mehr herkommen. Ich sage Ihnen: An bestimmten Stellen werden es auch weniger sein. Denn die At- Präsident Klaus Wowereit: Das Wort hat der Bun- traktivität von Asylverfahren in Bezug auf den Zuzug desminister des Innern, Herr Schily. in Sozialsysteme wird abnehmen. Wir werden an die- ser Stelle weniger haben, und es werden sich weniger Menschen absichtlich einer Ausreiseverpflichtung zu Otto Schily, Bundesminister des Innern: Herr Minis- entziehen suchen. Auch da sorgen wir für striktere terpräsident Stoiber, Sie unterstellen dem Gesetz wie- Vorschriften, damit dem ein Ende gemacht wird. Ich der einmal und leider zu Unrecht, es führe notwen- glaube, dass das richtig ist. digerweise ein Mehr an Zuwanderung herbei. Aber Wir sorgen auf der anderen Seite in humanitären Sie treten den Beweis dafür nicht an. Fällen, in denen wir alle sagen, die Betroffenen soll- Ich teile Ihre Auffassung, dass es nicht um Quan- ten hier bleiben, wir wollten sie nicht abschieben, für titäten, sondern um Qualität des Zuzugs geht. Das eine Lösung. Wir wollen die 16-jährige pakistanische heißt, wir müssen bei dem Zuzug von Menschen un- Jugendliche, die in ihrem Heimatland die Steinigung sere eigenen wirtschaftlichen Interessen besser zur erwartet, nicht nach Hause schicken. Ihr geben wir Geltung bringen. Dies leistet das Gesetz. Ich möchte einen vernünftigen Aufenthaltsstatus, statt sie auf die gerne von Ihnen wissen, an welcher Stelle das Mehr Duldung zu verweisen, die sie Monat für Monat er- eigentlich zu Stande kommt. Natürlich ermöglichen neuern muss. Sie befindet sich in einem ständigen 164 Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 Bundesminister Otto Schily (A) psychischen Ausnahmezustand, weil sie denkt, dass Im Übrigen, meine Damen und Herren, ist Europa (C) die Duldung irgendwann nicht mehr gewährt wird. Es – bei aller Berechtigung des Hinweises auf den ist doch vernünftig, dass ein solcher jugendlicher großen Raum, auf den großen Markt, der entstehen Mensch eine Ausbildung machen und dann einen wird – kein in sich abgeschlossenes Gebilde. Da muss vernünftigen Beruf ergreifen kann. man nur auf die deutsche Wirtschaft schauen, darauf, intensiven wirtschaftlichen Beziehungen Ich könnte Ihnen zahllose Beispiele nennen. Sie welche z. B. werden mir doch von allen Seiten auf meinen zu den Vereinigten Staaten von Amerika bestehen Schreibtisch gelegt – nicht nur von SPD-Abgeordne- und welchen Umfang der Austausch mit ihnen hat. ten, sondern auch von CSU- und CDU-Abgeordneten, Ich werde zum Teil auch damit konfrontiert, auf wel- die sagen: Aber in diesem Fall lassen Sie die Men- che Hürden Amerikaner stoßen, wenn sie hierher schen bitte hier! kommen wollen. Nur, wir müssen doch irgendwann einen Entschluss Auch das bitte ich zu beachten. Wenn wir meinen, fassen. Ich glaube Ihnen, Herr Ministerpräsident, dass dass wir ein auf Weltverbundenheit angewiesenes Sie das umtreibt. Aber dann lesen Sie doch bitte das Land sind, dürfen wir uns nicht nur auf den europäi- Gesetz! Und dann müssen Sie den Beweis antreten. schen Raum konzentrieren, sondern müssen uns Ein Vermittlungsverfahren soll das doch nur ins Un- damit auseinander setzen. endliche hinauszögern. Herr Ministerpräsident Stoiber, eine letzte Bemer- (Roland Koch [Hessen]: Unsinn!) kung: Sie haben auf die Pisa-Studie verwiesen; da- rüber ist sehr häufig diskutiert worden. Ich warne Das haben wir über Monate erlebt. Sie haben einen davor, sie überzubewerten. – Herr Ministerpräsident, Vorwand nach dem anderen, eine Hürde nach der an- nehmen Sie das ruhig ernst. – Denn in der Pisa-Studie deren aufgebaut, rangiert ein Land ziemlich an der Spitze der Leistun- (Erneuter Zuruf Roland Koch [Hessen]) gen, bei dem man sich die Frage stellen muss, ob es wirklich ein Vorbild sein kann, was die Erziehungs- um das Gesetz partout zu verhindern. Das ist keine methoden angeht, wenn wir an die Drillmethoden seriöse Politik, Herr Ministerpräsident Stoiber, wenn dieses Landes mit einer hohen Selbstmordrate unter ich Ihnen das in allem Freimut sagen darf. Jugendlichen, die diesen Drillmethoden ausgesetzt Ich will auf ein Argument von Herrn Professor sind, denken. Biedenkopf eingehen, das ich sehr ernst nehme. Ich Wenn ich mich recht erinnere, hat Herr Ministerprä- bitte um Nachsicht, dass ich darauf – ich habe ziem- sident Vogel bei der Beamtentagung in Bad Kissingen lich lange geredet – nicht schon eingegangen bin. Ähnliches gesagt. Also, seien wir vorsichtig mit der Über dieses Argument muss man ernsthaft diskutie- Pisa-Studie! Daraus ergeben sich durchaus interes- (B) ren. Es geht um die EU-Erweiterung. Dieses Thema (D) sante Erkenntnisse. Ich erinnere an das, was der Bun- haben auch Sie aufgenommen. despräsident dazu gesagt hat: Der wahrscheinlich Es ist sicherlich richtig, dass wir in Zukunft in einer wichtigste Punkt, den wir zu erörtern haben, ist, wie erweiterten Europäischen Union – wenn wir alle dazu wir unsere Grundschulbildung gestalten. beitragen, dass die Erweiterung zu Stande kommt, ich hoffe auch auf Ihre Unterstützung, Herr Ministerprä- In unserem heutigen Zusammenhang haben Sie si- sident Stoiber; cherlich Recht, dass wir, wenn man die Pisa-Studie anschaut, auf die Integrationsarbeit wahrlich mehr (Dr. Edmund Stoiber [Bayern]: Mehr Anstrengungen verwenden müssen, als das bisher der als auf Ihre!) Fall war. Deshalb sollten wir mit dem Gesetz, das wir dann ist es gut; wenn das so ist, dann freuen wir uns heute beschließen können, den Einstieg in eine ver- darüber – in einem großen Raum der Freiheit, des nünftige Integrationspolitik ermöglichen. Das ist Rechts und der Sicherheit leben. So ist die Europäi- das, was ich Ihnen auch nahe bringen will. Ich bin sche Union definiert, an der auch andere teilnehmen keineswegs der Meinung, dass wir mit dem Gesetz werden. die Frage der Integration vollständig gelöst haben, sondern ich sage: Wir schaffen damit einen Einstieg Nun wissen wir alle aber – übrigens besteht auch oder – in Soziologendeutsch, das ich nicht besonders darin Übereinstimmung, jedenfalls zwischen den liebe – einen Paradigmenwechsel, der sehr wichtig großen Parteien, soweit ich das weiß –, dass wir, was ist, aber eben nur einen Einstieg bedeuten kann. Ich die Freizügigkeit angeht, Übergangszeiträume bin mir sicher, dass uns alle Länder – wenn sie denn, benötigen werden, weil wir die Freizügigkeit sozusa- wie ich hoffe, alle konstruktiv daran mitarbeiten – auf gen nicht von heute auf morgen herstellen. Ich nehme diesem Weg begleiten werden, weil ich, was die Not- an, Herr Ministerpräsident Stoiber, damit sind auch wendigkeit von Integrationspolitik angeht, keine Un- Sie einverstanden. terschiede sehe. Dazu sagen wir in dem Zuwanderungsgesetz: Gera- Herr Ministerpräsident Stoiber, damit wir konkret de Personen aus den Kandidatenländern, die etwa als und nicht mit Leerformeln miteinander umgehen, Arbeitsuchende für offene Stellen in Frage kommen, sagen Sie mir ganz konkret – ich wäre Ihnen wirklich haben Vorrang in der Abfolge derer, die in Betracht dankbar; ich fordere Sie hier ausdrücklich auf –, an kommen. Dem entsprechen wir. Wir können die Frei- welcher Stelle im Gesetz zügigkeitssperre, die einige Jahre bestehen bleiben wird, dadurch auch etwas flexibler gestalten, als es (Dr. Edmund Stoiber [Bayern]: Das sonst der Fall wäre. wissen Sie doch!) Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 165 Bundesminister Otto Schily (A) sich das, was Sie behaupten, findet, dass wir eine davor hüten müssen, jetzt einen zusätzlichen Zuwan- (C) quantitativ deutliche Vermehrung von Zuwanderung derungstatbestand und damit mehr Zuwanderung zu haben werden. Das müssen Sie dann schon hier vor- schaffen. tragen. Mehr Zuwanderung wird im Bereich der Selbst- (Dr. Edmund Stoiber [Bayern]: Machen ständigen ermöglicht. Ich sage Ihnen: Das ist richtig, wir!) das wollen wir. – Aber dann können Sie doch nicht – Ja, dann tun Sie es! Ich bin gespannt. sagen, es gebe nicht mehr Zuwanderung. Mehr Zuwanderung wird ermöglicht, wenn eine Präsident Klaus Wowereit: Herr Ministerpräsident Härtefallklausel eingeführt wird, die es in dieser Müller (Saarland). Form im Gesetz nicht gibt. Ich sage nicht, dass das falsch ist, aber sie führt zu mehr Zuwanderung. Diese Auswirkung lässt sich doch schlechterdings nicht be- Peter Müller (Saarland): Herr Bundesinnenminister, streiten. ich will gerne auf Ihre letzte Frage, an welchen Stel- len das Gesetz zu zusätzlicher Zuwanderung führt, Wenn es also unbestreitbar – auch von uns gemein- eingehen. Ich will sie gerne beantworten. Ich glaube, sam gewollte – Tatbestände zusätzlicher Zuwande- diese Fragestellung zeigt den fundamentalen Unter- rung gibt, dann frage ich Sie, Herr Kollege Schily, im schied in der Bewertung des Gesetzes. Gegenzug: Wo wird denn Zuwanderung reduziert? Sie sagen: Dieses Gesetz ist ein Gesetz, das Zuwan- An welchen Punkten des Gesetzes tritt ein Weniger derung begrenzt, das nicht zu mehr Zuwanderung an Zuwanderung ein? Das ist doch eigentlich die in- führt. – Wir sagen: Genau das ist nicht der Fall. Dieses teressante, die zu beantwortende Frage. Gesetz wird zwingend die Zuwanderung in die Bun- Deshalb ist der Befund eindeutig: Wenn es sowohl desrepublik Deutschland erweitern. Deshalb – wenn im Bereich der Arbeitsmigration als auch im Bereich ich das noch replizieren darf –, Herr Kollege Gabriel, der humanitären Zuwanderungen zusätzliche Tatbe- geht es nicht um Peanuts, worüber wir hier sprechen, stände gibt, die Zuwanderung ermöglichen, aber es sondern es geht um eine grundsätzlich unterschied- keine Kompensation dieser Tatbestände gibt, dann liche Bewertung des Gesetzes. steht am Ende dieses Gesetzes ein Mehr an Zuwande- Ich komme zu der Frage: Wo werden neue, zusätzli- rung. che Zuwanderungstatbestände geschaffen? Lieber Herr Kollege Schily, ich will in diesem Erster Punkt: Der Anwerbestopp wird aufgehoben, Zusammenhang sagen, dass wir auch in der Bewer- (B) die Zuwanderung in den Arbeitsmarkt wird grundsätz- tung der Auswirkungen einzelner Vorschriften nicht (D) lich erlaubt. Sie sagen, das werde durch die Bindung übereinstimmen. Alle Probleme, die Herr Kollege an den Nachweis eines nationalen Arbeitsmarkt- Stolpe – wie ich finde, völlig zu Recht – beschrieben bedürfnisses kompensiert. Genau dies ist aber zu be- hat, ergeben sich, weil das Gesetz so formuliert ist, zweifeln, weil erstens im Bereich der so genannten wie es ist, weil es, um es vorsichtig auszudrücken, nachfrageorientierten Zuwanderung die Entschei- Unklarheiten beinhaltet. dung, ob ein Arbeitsmarktbedürfnis besteht, den re- gionalen Arbeitsämtern überlassen ist, womit eben Diese Unklarheiten können doch nicht dadurch be- nicht sichergestellt werden kann, dass nach einem seitigt werden, dass Sie hier sagen: Das ist alles nicht nationalen Arbeitsmarktbedürfnis entschieden wird. so, wie es im Gesetz möglicherweise steht, sondern es ist so, wie ich, der Bundesinnenminister, das jetzt Zweitens, Herr Kollege Schily: Die Regelung des sage, und im Übrigen lassen Sie uns vereinbaren, §20ist ein völlig neues Element in der Zuwande- dass wir alle uns im Jahr 2006 wieder treffen, um das rungssystematik. Eine angebotsorientierte Zuwande- Gesetz zu überprüfen; wenn sich herausstellt, dass es rung, aus verständlichen Gründen von der Wirtschaft anders ist, als ich es gesagt habe, dann ändern wir das gefordert, gab es bisher nicht. Wenn sich das Angebot Gesetz. erhöht, reduzieren sich die Preise! Sie sagen dazu, diese Möglichkeit sei eine reine Lieber Herr Bundesinnenminister, die Zusage, das Option. Es bleibe in der Entscheidung des Bundesta- Gesetz im Jahr 2006 zu ändern, falls sich zeigt, dass ges und des Bundesrates, ob und wann, möglicher- die Befürchtungen, die Herr Kollege Stolpe mit Blick weise im Jahre 2010, davon Gebrauch gemacht wird. auf einzelne Punkte völlig zu Recht artikuliert hat, be- rechtigt sind, können Sie leicht geben. Sie werden sie Zunächst einmal ist die Zustimmung des Bundesra- nicht einhalten müssen. Es ist der Tatbestand der tes nur im Rahmen des § 20 Abs. 3 bei der Bestim- tatsächlichen Unmöglichkeit: Wenn man nicht mehr mung der Kriterien des Punktesystems erforderlich, im Amt ist, braucht man eine solche Zusage auch nicht aber bei der Festlegung der Zahl nach § 20 nicht mehr einzulösen. Abs. 4. (Vereinzelt Heiterkeit) Im Übrigen bleibt an diesem Punkt richtig, was Kurt Biedenkopf heute Morgen am Beginn der Debatte ge- Im Übrigen kann es doch nicht sein, dass Gesetzge- sagt hat, dass wir uns nämlich angesichts der Not- bungsverfahren mittlerweile so ablaufen, dass Fra- wendigkeit der Entwicklung eines Gesamtkonzepts gen, die nach der Systematik und der Arbeitsweise vor dem Hintergrund der Osterweiterung der EU sehr dieses Verfassungsorgans notwendigerweise im Ver- 166 Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 Peter Müller (Saarland) (A) mittlungsausschuss zu klären sind, durch einseitige Zuwanderungsgesetz, um diejenigen Arbeitskräfte in (C) Erklärung eines Mitglieds der Bundesregierung ver- unseren Arbeitsmarkt zuwandern lassen zu können, meintlich geklärt werden. die wir benötigen, damit sich die Wirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland positiv entwickelt. Ich kann nur sagen: Alle Punkte, die Herr Kollege Stolpe vorgetragen hat, sind klärungsbedürftig. Es Es war zum Dritten Bundesinnenminister Otto Schily, sind auch die Punkte, die Herr Kollege Schönbohm im der im „Tagesspiegel“ vom 15. November 1998 ge- Rahmen des 8-Punkte-Kataloges aufgeführt hat. Die sagt hat – ich zitiere –: Klärung kann nicht erfolgen, indem man hier eine Selbst wenn wir heute ein Zuwanderungsgesetz einseitige Äußerung des Bundesinnenministers zur hätten, müsste eine Zuwanderungskommission Kenntnis nimmt. Die Klärung kann nur erfolgen, die Zuwanderungsquote auf null setzen. Die indem der Gesetzestext eindeutig gemacht wird. Grenze der Belastbarkeit Deutschlands durch (Bundesminister Otto Schily: Er ist eindeutig!) Zuwanderung ist überschritten. Die Klärung kann nur erfolgen, indem das Vermitt- Ich mache mir diesen Satz ausdrücklich nicht zu lungsverfahren durchgeführt und auf der Basis der Eigen. Ich hoffe, dass Sie ihn heute so nicht mehr Ergebnisse des Vermittlungsverfahrens dann ein Ge- sagen würden. setzestext geschrieben wird, der wirklich dem ent- spricht, was als Wille hier geäußert worden ist, was Wenn das der Ausgangspunkt der Diskussion ist, aber in Wahrheit im vorliegenden Gesetzestext nicht können wir unzweifelhaft feststellen: neuer Tatbe- wiederzufinden ist. stand für die Zuwanderung von Selbstständigen; neuer Tatbestand im Rahmen des § 20 „angebotsori- Lieber Herr Kollege Schily, ich bin Ihnen dafür entierte Zuwanderung in den Arbeitsmarkt“; Aufhe- dankbar, dass Sie an einigen Stellen Ihrer Äußerun- bung des Anwerbestopps; Regionalisierung der Ent- gen Sätze von mir zitiert haben – nicht weil Sie mich scheidung, ob ein nationales Arbeitsmarktbedürfnis zitiert haben, sondern weil der Inhalt richtig ist und besteht; Härtefallklausel; Formulierungen zur huma- deshalb verbreitet werden muss. nitären Zuwanderung, die über den Wortlaut der (Vereinzelt Heiterkeit) Genfer Flüchtlingskonvention hinausgehen – ich kann es Ihnen vorlesen, § 60 geht über den Wortlaut Ich habe mich gefragt, warum Sie darauf verzichtet der Genfer Flüchtlingskonvention hinaus. Dann müs- haben, an der einen oder anderen Stelle Otto Schily sen Sie, lieber Herr Bundesinnenminister, darlegen zu zitieren. Vielleicht haben Sie das deshalb getan, können, wie Sie mit diesem Gesetz ein Konzept ent- weil sonst die Diskussion eine andere Richtung ge- wickeln wollen, das nicht zu einem Mehr an Zuwan- nommen hätte. Denn es war doch Bundesinnenminis- (B) derung führt. Das haben Sie nicht dargelegt. Die Fra- (D) ter Otto Schily, der in der „Zeit“ vom 28. Oktober gen des Kollegen Stolpe sind nicht beantwortet. 1999 auf die Frage: „Die Grünen sagen: Wir brauchen weitere Zuwanderung. Warum sind Sie anderer Mei- Deshalb kann ich nur sagen: Wenn wir wirklich das nung?“ geantwortet hat: gleiche Ziel haben, nämlich in der Zuwanderung um- zusteuern, müssen die Unklarheiten und Fehler des Weil wir mehr Menschen für absehbare Zeit Gesetzes ausgeräumt werden. Dann gibt es keine Al- nicht verkraften können. Meine Antwort auf die ternative zu einem Vermittlungsverfahren. Jeder, Forderung der Grünen, jährlich 200 000 weitere dem es um den Konsens in der Sache geht, muss dem Einwanderer aufzunehmen, lautet schlicht: Antrag auf Durchführung des Vermittlungsverfahrens Nennt mir das Bundesland und die Kommune, zustimmen. die bereit wären, weitere Menschen aufzuneh- men! Dann bin ich gerne bereit, über ein Zu- Herr Bundesinnenminister, wenn Sie sagen, ein wanderungsgesetz zu reden. Vermittlungsverfahren bedeute, dass die Entschei- dung ins Unendliche verschoben werde, entgegne ich Ich kann Ihnen nur sagen: Wer so argumentiert, der Ihnen: Die Zeitabläufe des Vermittlungsverfahrens hat den Nachweis zu führen, an welcher Stelle er Zu- bestimmt nicht die Bundesregierung. Dieses Haus wanderung einschränkt, wenn er gleichzeitig ein Ge- und der Deutsche Bundestag haben eine Vielzahl von setz mit Tatbeständen vorlegt, die zur Erweiterung Vermittlungsverfahren durchgeführt. Von einer Ver- der Zuwanderung führen. schiebung ins Unendliche war nie die Rede. Wir spre- Es war auch Bundesinnenminister Otto Schily, der chen von einem Zeitraum von vier oder fünf Wochen, auf die Frage der „Süddeutschen Zeitung“ vom 7. Ja- nicht mehr. nuar 1999: „Die Wirtschaft sagt auch, dass sie Zuwan- Wenn dieses Gesetz für unsere Gesellschaft so be- derer benötigt“ mit dem Satz zitiert wird: deutsam ist, wenn richtig ist, was Sie selbst immer Wenn mir Siemens sagt, wir brauchen so und so wieder gesagt haben, dass Sie für das Gesetz eine viele, bin ich sofort bereit. Da brauchen wir kein breite gesellschaftliche Mehrheit brauchen, dann gibt Zuwanderungsgesetz. Das geht schon mit dem es keine Alternative zur Zustimmung zum Antrag des geltenden Ausländergesetz. Saarlandes, ein Vermittlungsverfahren durchzu- führen. – Vielen Dank. Wenn Ihre Bewertung ist, dass der Zuzug qualifi- zierter Arbeitskräfte auf der Basis des geltenden Aus- länderrechts möglich ist, dann wird doch ein Popanz Präsident Klaus Wowereit: Das Wort hat Herr Minis- aufgebaut, wenn Sie hier sagen: Wir brauchen das terpräsident Gabriel (Niedersachsen). Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 167

(A) Sigmar Gabriel (Niedersachsen): Herr Präsident, bleme bei der Integration insbesondere der Gruppe, (C) meine Damen und Herren! Herr Kollege Müller, Sie die sowohl ich als auch Frau Kollegin Wagner ange- stellen Behauptungen auf, treten aber den Beweis sprochen haben, bewältigen will. nicht an. Lesen Sie den Gesetzestext! Wir erleben eine Debatte über ein Gesetz, das so, Hier wird behauptet, die Zuwanderung werde er- wie es von der Union kritisiert wird, nicht vorliegt. Die weitert. Von Herrn Kollegen Stoiber wurden Zahlen Union belegt weder ihre Kritik noch greift sie die zen- genannt, auf die man, wie ich finde, eingehen muss. tralen Probleme der Integration auf. Das ist eine Art und Weise der Auseinandersetzung, bei der am Ende Der Kanzlerkandidat der Union hat soeben in seiner nichts anderes bleibt, als den Vorwurf zu erheben, Rede ausgeführt, jährlich kämen 500 000 Zuwanderer hier werde krampfhaft nach einer Möglichkeit ge- nach Deutschland. Nach den uns vorliegenden Daten sucht, den Streit um ein Potemkin’sches Dorf bis zum sah es im Jahr 2001 wie folgt aus: 22. September fortzuführen. 15 000 jüdische Einwanderer sind gekommen. Noch eines: Herr Kollege Müller, es ist nicht fair, Daran werden Sie vermutlich nichts ändern wollen. wenn wir so tun, als ob es über die Härtefallregelung 20 000 Wissenschaftler, Leute aus Hightech-Berei- zu zusätzlicher Zuwanderung komme. Ich habe vier chen, Künstler und Sportler sind zugewandert. Da- Jahre lang dem Innenausschuss des Landtages an- ran werden Sie vermutlich nichts ändern wollen. gehört. Bei uns gibt es keinen Petitionsausschuss; 70 000 Menschen kamen über den Familiennachzug Härtefälle landen im Innenausschuss. Wir haben, wie nach Deutschland. Uns liegt ein Gesetz vor, das den ich vermute, mehr als 98 % der Fälle abschlägig be- Zuzug gerade in diesem Bereich reduzieren wird. schieden. Die Konsequenz war die Ausreise. In 1 bis Es gab 80 000 Asylbewerber. Diese Zahl werden wir 2 % der Fälle, also in Einzelfällen, waren wir der Mei- – damit antworte ich auf eine Frage des Kollegen nung, helfen zu müssen. Wir hatten Schwierigkeiten, Müller – durch beschleunigte Verfahren reduzieren; dafür eine Rechtsgrundlage zu finden. Nun wird uns das ist Gegenstand des Gesetzes. 80 000 Saisonarbeits- eine solche gegeben. Es ist nicht fair, sie zu diskredi- kräfte waren zeitlich befristet bei uns, sie mussten die tieren, als ginge es um einen Tatbestand, der zu mas- Bundesrepublik wieder verlassen. Zudem kamen senhaften zusätzlichen Einreisen führte. 90 000 Spätaussiedler, von denen drei Viertel Nicht- deutsche sind, mit den beschriebenen Problemen. Sie sollten zur Kenntnis nehmen, dass auch Sie den Anwerbestopp aufheben müssen, wenn Sie Ihr Ziel Nun würde ich vom Kanzlerkandidaten der Union der Zuwanderung in den Hightech-Bereich erreichen gerne erfahren, an welcher Stelle er Reduzierungen wollen. Denn im Gesetz steht, dass dies nicht regional vornehmen will. Ich würde gerne erfahren, wie sich – es hat eine Veränderung gegeben –, sondern nur (B) die Union zu dem zentralen Problem der Integration bundesweit möglich ist, wenn auf dem Arbeitsmarkt (D) der Gruppe der Spätaussiedler verhält. Sie haben ge- keine deutschen Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. sagt, dass Sie das Asylrecht ändern und das Problem der Arbeitsmigration angehen wollten. Zum Thema Es ist oft von der Wichtigkeit der Beratungen in die- „Vertriebenengesetz“ haben Sie nichts gesagt. Sie sem Haus die Rede gewesen. Wir sollten uns selbst kennen diese Probleme; sie bestehen in Bayern wie in ernst nehmen und nicht über Gesetze debattieren, die anderen Ländern. Unser Land hat einen Antrag auf nicht vorliegen. Bauen Sie keinen Popanz auf, son- dern machen Sie einen Vorschlag, dem konkrete Zah- Änderung des Vertriebenenrechts eingebracht. Ich len der Zuwandernden zu Grunde liegen, nicht erfun- wäre dankbar, wenn das Land Bayern konkret sagen dene Zahlen, deren Größenordnung nicht stimmt und würde, an welcher Stelle Zuwanderung verringert die mit den zentralen Problemen nichts zu tun haben! werden soll. (Zuruf Reinhold Bocklet [Bayern]) Präsident Klaus Wowereit: Das Wort hat Herr – Herr Kollege Bocklet, Sie brauchen keine Zwi- Staatsminister Beckstein (Bayern). schenrufe zu machen, Sie können auch eine Rede hal- ten. – Behaupten Sie nicht weiterhin, die Zuwan- derung reduzieren zu wollen, ohne es zu belegen! Dr. Günther Beckstein (Bayern): Herr Präsident! Hohes Haus! Auch ich möchte einige Bemerkungen Hier läuft eine Phantomdebatte ab. Es wurde be- zu dem Gesetz machen. Ich schließe mich Herrn Minis- hauptet, Bestandteile des Gesetzes führten zu einer terpräsidenten Müller an, der dazu aufgefordert hat, Erhöhung der Zuwandererzahlen. Aber niemand von zu einigen Punkten konkret Stellung zu nehmen. denjenigen, die das behauptet haben, ist ans Redner- pult getreten und hat eine Passage des Gesetzes vor- Zunächst meine ich: Fachlich ist eindeutig, was die gelesen, aus der das hervorgeht. Juristen wohl aller Länder und auch des Bundes- innenministeriums sagen, nämlich dass das Gesetz zu Das Gleiche gilt übrigens für das Thema „Genfer einer Erweiterung der Zuwanderung führt. Flüchtlingskonvention“. Auch Herr Kollege Müller ist Herr Schily hat das in der Begründung sogar als offensichtlich nicht bereit, den Gesetzestext vorzutra- Ziel des Gesetzes formuliert. Er sagte in seinem Bei- gen, auf den er sich bezieht, wenn er uns den Vorwurf trag – der lang genug war –, er habe kein Zuwande- macht, das Gesetz erweitere Zuwanderung. rungsgesetz vorlegen wollen, das nicht auch das Ziel Herr Kollege Stoiber kann zum Rednerpult kommen habe, Zuwanderung zu ermöglichen. Deswegen for- und sagen, bei welchen Gruppen eine Erweiterung dere ich dazu auf, endlich ehrlich zu sagen, was man stattfindet und durch welche Maßnahmen er die Pro- eigentlich will, und nicht mit Worten zu vernebeln, 168 Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 Dr. Günther Beckstein (Bayern) (A) wie das seit der Vorlage des Gesetzentwurfs im Au- Das System des § 20, der angebotsspezifischen Er- (C) gust letzten Jahres leider in unerträglicher Weise ge- weiterung, wie Sie formulieren – für mich ist es ein schehen ist. klassischer Fall der demografisch begründeten Zu- wanderung –, ist völlig indiskutabel, wenn, was un- Nach der Wortwahl in der Pressekonferenz seiner- strittig ist, das Arbeitskräftepotenzial in den nächsten zeit hätte man meinen können, es sei ein Entwurf von Jahren sogar steigt; es wird erst ab dem Jahr 2010 zu uns. Aber nachdem man ihn gelesen hatte, hat man einer deutlichen Veränderung kommen. gemerkt, dass er ein Angebot an die Grünen war. Das war Taktik. Herr Schily, wir kennen uns gut. Ich Das System ist umso unverantwortlicher, als die Po- denke, wir schätzen uns. Dann muss man jemandem litik bekanntlich die Öffnung nach Osteuropa her- auch vorhalten können: Es ist nicht möglich, ein so beiführen will und wird. Wir wollen die Osterweite- schwieriges Problem anständig anzugehen, wenn man rung. Dass dann 100 Millionen Menschen das Recht dem einen sagt: „Wir reduzieren.“, während man den auf Freizügigkeit in der Europäischen Union – auch Grünen sagt: „Wir erweitern massiv.“ mit einer Übergangsregelung – erhalten, muss be- Ich will etwas dazu sagen, was Herr Kollege Müller, rücksichtigt werden. Ich fordere Sie, Herr Schily, auf wie ich meine, völlig eindeutig nachgewiesen hat. Für zu sagen, ob tatsächlich gesichert ist, dass in der die Zuwanderung von Hochqualifizierten und von Europäischen Union eine Übergangsregelung mit Selbstständigen werden neue gesetzliche Regelun- Einschränkungen der Freizügigkeit für die Beitritts- gen geschaffen. Niemand wird bestreiten können, kandidaten und gleichzeitig die Anwerbung von Ar- dass das ein neuer Tatbestand ist. Herr Schily, ich for- beitskräften aus Drittländern möglich ist. dere Sie auf zu erklären, an welcher Stelle das im bis- (Dr. Edmund Stoiber [Bayern]: Das ist herigen Recht enthalten ist, nachdem Sie selber gera- genau der Punkt!) de dargelegt haben, dass das viel zu eng war. Mir hat Herr V i torino gesagt: Es kann nicht Hier gibt es Erweiterungen. Ich hebe hervor: Wir daran gedacht werden, Menschen aus der Türkei, aus wollen insoweit auch Erweiterungen. Wir in Bayern Afrika und aus Asien anzuwerben und gleichzeitig für haben dafür die Blue Card eingeführt, und bei den die Beitrittsländer Tschechien, Ungarn, Polen und Selbstständigen haben wir daran mitgewirkt, die Vo- Slowakei eine Übergangsfrist vorzusehen. raussetzungen so zu fassen, dass das öffentliche Inte- resse mit zu berücksichtigen ist. Die gute Qualität des Ich kann deswegen nur sagen: Hier gehen Sie einen Döner als Unternehmensziel darf nicht ausreichen, weiteren Schritt, der unverantwortlich ist. Sie wissen sondern es muss öffentliches Interesse vorhanden das genau. Wenn Sie in der Oberpfalz sind, sprechen sein. Ferner ist eine gewisse Investitionssumme erfor- Sie nämlich nicht davon, dass es nach § 20 hohe An- werbezahlen gibt, sondern Sie sagen: Das ist eine Op- (B) derlich, und es müssen Arbeitsplätze geschaffen wer- (D) den. tion für die Jahre 2010 und danach. Eine Erweiterung der Zuwanderung ist damit Wir haben von M o n t esquieu gelernt: Mache selbstverständlich verbunden, zumal nicht nur die Be- ein Gesetz nur dann, wenn es notwendig ist! – Wenn treffenden, sondern auch Familienangehörige kom- man ein Gesetz die nächsten zehn Jahre nicht men. Die Familienangehörigen spielen dann von der braucht, ist es sicherlich falsch, es heute zu machen. Sozialwohnung bis hin zur Integration in der Schule Ein weiterer Punkt wird von Ihnen nicht erklärt: Die eine Rolle. Juristen aus den Innenministerien aller Länder sind Es gibt weitere Tatbestände, die zur Erweiterung einhellig der Meinung, dass eine großflächige Härte- führen und die ich für unverantwortlich halte. Der fallregelung zu einer Erweiterung führt. Es gibt eben erste Tatbestand ist, dass Sie trotz 4,3 Millionen nicht nur eine sehr eingeschränkte Härtefallregelung. Arbeitslosen den Anwerbestopp aufheben. Wenn Sie Herr Müller und ich waren in den Gesprächen mit eine Erweiterung bezüglich des Arbeitsmarkts nicht Ihnen immer bemüht, zu einer Härtefallregelung zu beabsichtigten, könnten Sie jederzeit sagen: Es bleibt kommen, die keinen neuen Rechtsweg eröffnet. beim Anwerbestopp. – Nein, Sie wollen die groß- Wir haben keine Lösung gefunden. Daraufhin hat flächige Möglichkeit und haben als Beispiel selber Herr Müller wiederholt den Vorschlag gemacht, es gesagt, dass in München 50 000 Arbeitskräfte fehlen. den Ländern mit einer Öffnungsklausel zu gestatten, Damit machen Sie deutlich, dass es Ihnen nicht um dies einmal im kleinen Bereich auszuprobieren. Was die Zuwanderung von Hochqualifizierten nach § 19 dann als Kompromiss mit der PDS und den Grünen geht, sondern etwa von Gepäckträgern am Münchner von Ihnen vorgelegt worden ist, ist eine großflächige Flughafen, die Sie mir gegenüber auch immer wieder Härtefallregelung, die unzweifelhaft zu zweierlei als Beispiel nennen. führt: Aus meiner Sicht ist es nicht verantwortbar, den Ar- Zum einen dürfen mehr Menschen bleiben. Dazu beitsmarkt für solche Arbeitskräfte oder Hilfskräfte könnten Sie sagen: Wenn es wirklich Härtefälle sind, im Bereich der Pflege – ich meine nicht Pflegefach- ist das in Ordnung. kräfte, sondern Hilfskräfte im Haushalt – zu öffnen, mit dem Recht auf Familiennachzug und der Notwen- Herr Ministerpräsident Stolpe hat die berechtigte digkeit, dann die Kinder in den Schulen und die Men- Frage gestellt: Wird die Regelung auch wirklich eng schen insgesamt zu integrieren. Dass es durch die gefasst? – Sie wissen genauso gut wie ich, dass die Aufhebung des Anwerbestopps zu einer erheblichen Aussage des Bundesinnenministers im Bundesrat für Erweiterung kommt, kann nicht bestritten werden. die Verwaltungspraxis der Länder und erst recht für Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 169 Dr. Günther Beckstein (Bayern) (A) die Gerichte keinerlei Bedeutung hat; es handelt sich gewisser Weise spezialisiert. Irakis können nicht (C) um eine von vielen Äußerungen im Gesetzgebungs- zurückgeführt werden. Über die grüne Grenze kann verfahren. zwar jeder kommen, über die offizielle Grenze kann aber niemand zurückgeführt werden. Die Irakis be- Wenn Ihre Bedenken geklärt werden sollen, verehr- kommen von Ihnen künftig ein Aufenthaltsrecht ver- ter Herr Ministerpräsident Stolpe – Sie haben eine bunden mit dem Recht auf Familiennachzug. Wenn mutige Rede gehalten; Sie haben sich nicht von vorn- Sie dies ändern wollten, müssten Sie es ins Gesetz herein den Befehlen des Kanzlers unterworfen, son- hineinschreiben. Das haben wir immer wieder ver- dern wollen das Verfahren etwas hinauszögern –, langt. Konkrete Anträge liegen vor. Darauf sind Sie muss das im Gesetz stehen, dazu darf nicht eine un- nicht eingegangen. Selbst wenn Sie uns hier etwas verbindliche Erklärung abgegeben werden, zumal sie anderes erzählen, werden die Gerichte später aus den von einem doch erheblichen Teil der Fachleute offen- sichtlich für falsch gehalten wird. Materialien über die Gesetzesberatung folgern, dass der Gesetzgeber dieses Anliegen abgelehnt hat, weil Lieber Herr Kollege Schily, ich kann nur noch ein- die entsprechenden Anträge abgelehnt wurden. Die mal sagen: Die Härtefallregelung bedeutet zusätzli- falsche Auslegung eines Politikers, der notfalls ein che Zuwanderung und vor allem, sehr verehrter Herr Gesetz durchmogeln will, ist nicht so beachtlich wie Ministerpräsident Gabriel, zusätzliche Anreize. Sie die Ablehnung eines Gesetzesantrags. wissen genauso wie Ihr Innenminister, dass es im Zu- sammenhang mit Missbrauch des Asylrechts – in die- Einen weiteren Punkt möchte ich ansprechen. Die sem Bereich wollen wir Zuwanderung reduzieren – Integrationskraft unseres Landes ist für uns eine zen- dem überwältigenden Anteil der Schlepper nicht da- trale Frage. Sie können doch nicht bestreiten – dafür rauf ankommt, vor Gericht oder vom Bundesamt für hat Herr Müller Sie selbst als Kronzeugen angerufen –, die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge Recht zu dass die Integrationskraft eine Grenze erreicht hat. bekommen. Für sie gilt: Der Weg ist das Ziel. Deswe- Nach unserer Meinung müssen wir die heutige Zu- gen wird versucht, die Verfahren so lange zu verzö- wanderung von 500 000 bis 600 000 Personen brutto gern, bis die Härtefallregelung greift. als Obergrenze betrachten. Darüber können wir nicht hinausgehen, wollen wir die Integrationskraft nicht Dafür wird jetzt die Möglichkeit geschaffen. Das ist überfordern. Wir wollen den Missbrauch des Asyls das Bedenken aller Fachleute. Ich kann Ihnen nur weiter reduzieren – bei Ihnen wird automatisch das sagen: Die Praxis wird in kurzer Zeit – in einem, zwei Gegenteil eintreten –, und damit können wir die Zu- oder drei Jahren – zu solchen Schwierigkeiten führen, wanderung Selbstständiger und Hochqualifizierter dass wir uns wie im Jahr 1992 bei den Asylkompro- – nach unserer Sprachregelung: Höchstqualifizierter missverhandlungen werden treffen müssen, weil wir oder Spezialisten – maßvoll erweitern. (B) die Zuwanderung, die heute schon der Regelfall ist, (D) durch den Missbrauch des Asylrechts in weit höherem Ich komme zum letzten Punkt. Herr Ministerpräsi- Maße erweitert haben. dent Gabriel, Sie haben die Vertriebenen angespro- chen. Unstrittig ist, dass auch hier Probleme bestehen. Ein weiterer Punkt ist heute leider noch nicht ange- Deswegen haben wir uns immer wieder damit be- sprochen worden, scheint mir aber eine zentrale Pro- schäftigt. Für uns stellt sich die Frage, wie wir dafür blematik zu betreffen. Sie schaffen die Duldung ab. sorgen können, dass die wirklichen Volksdeutschen Wer nicht aus humanitären Gründen bleiben kann, aufgenommen werden, die in den Jahrzehnten des weil dies ausdrücklich abgelehnt worden ist, aus Kommunismus ein schlimmes Schicksal hatten. Wenn tatsächlichen Gründen aber nicht zurückgeführt wer- wir diese Menschen nicht aufnähmen, wäre es eine den kann, weil beispielsweise – das gilt etwa für iraki- riesige Gemeinheit, zu der in diesem Hause hoffent- sche Asylbewerber – ein Grenzübergang nicht geöff- lich niemand die Hand heben würde. net ist, bekommt bei Ihnen ein Aufenthaltsrecht auf Zeit mit der zwangsläufigen Folge des Familiennach- Wir müssen uns aber fragen, wie wir Missbrauch zugs. verhindern und Integrationsprobleme besser lösen können. Noch von der früheren Regierung ist festge- Sie bestreiten das zwar; aber die Juristen Ihres eige- legt worden, dass die Volksdeutschen bereits vor Aus- nen Hauses haben Ihnen, wenn meine Information reise eine Sprachprüfung ablegen und diese nicht richtig ist, einen Vermerk gegeben, wonach in der wiederholen dürfen. Dadurch ergeben sich sicherlich Verbindung von § 35 mit Artikel 6 des Grundgesetzes Einschränkungen. Des Weiteren muss aber verlangt eine Erweiterung des Familiennachzugs die zwangs- werden, dass sich die mitreisenden Familienangehöri- läufige Folge ist. – Sie schauen sich hier um. Mitarbei- gen, insbesondere die Kinder, einer Sprachprüfung ter meines Hauses waren dabei, als diese Fragen im unterziehen. Dafür gelten übrigens noch nicht lange vergangenen Jahr erörtert wurden. Das ist ausdrück- gesetzliche Bestimmungen. Auf diese Weise ist dafür lich vereinbart worden. Wenn die Duldung allein des- gesorgt, dass nur Volksdeutsche kommen, bei denen wegen durch ein Aufenthaltsrecht ersetzt wird, weil dieselbe Integrationsbereitschaft besteht wie bei den ein Asylbewerber aus objektiven Gründen nicht früheren Spätaussiedlern, mit denen es nach unser zurückgeführt werden kann, wird es in zigtausenden aller Überzeugung keine ernsthaften Schwierigkeiten von Fällen zu Familiennachzug kommen. gegeben hat. Wir alle sind froh darüber, dass sich die Ich sage Ihnen auch, warum mir das ein Anliegen rumänischen Spätaussiedler, die in den vergangenen ist: Wir haben mehr irakische Asylbewerber als jedes Jahrzehnten zu uns gekommen sind, bestens inte- andere Land. Es gibt eine langfristige Vereinbarung, griert haben. Also: Auch die Probleme der Vertriebe- wonach die Irakis zu uns kommen; wir sind auf sie in nen sind anzugehen. 170 Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 Dr. Günther Beckstein (Bayern) (A) Wir wollen in unserem Land eine weltoffene und to- den Nachzug nichtdeutscher Ehegatten und Ab- (C) lerante Gesellschaft. Wir wollen keine multikulturelle kömmlinge des Nachweises von Deutschkenntnissen Einwanderergesellschaft. Deren Nachteile werden in den Herkunftsgebieten bedarf. Einer der 16 Punk- von einem überwältigenden Anteil unserer Bevölke- te, die Sie für nicht verhandelbar erklärt haben, ist die rung größer eingeschätzt als die Vorteile. Deswegen Ablehnung dessen, was wir hier ins Gesetz hineinge- halten wir das Gesetz in der vorliegenden Fassung für schrieben haben. Das heißt, Sie wollen die ungebrems- nicht zustimmungsfähig. te Zuwanderung von integrationsschwierigen Men- schen in die Sozialsysteme. Das ist die Wahrheit, Herr Ich räume gerne ein, dass ich in den letzten Wochen Beckstein. Daran kommen Sie nicht vorbei. gesagt habe, das Gesetz habe so schwer wiegende Fehler, dass es einer grundlegenden Überarbeitung Ich meine, dass Sie die Dinge durcheinander brin- bedürfe. Die größten Probleme sind in einer über- gen, Herr Beckstein. Sie haben hier meinen Freund schaubaren Zahl von Vermittlungsbegehren oder Herrn Vitorino zitiert. Wenn Sie ihn auslegen, wie Sie Gravamina dargestellt. Sie könnten im Vermittlungs- es hier getan haben, hätten wir die Green-Card-Rege- ausschuss ohne Weiteres in vernünftiger Weise gere- lung nicht einführen können. Was Sie vorgetragen gelt werden. haben, ist rechtlich nicht haltbar. Darüber sollten Sie noch einmal nachdenken. Die Bedenken, die ich vorgetragen habe, kommen nicht allein von einem Politiker, sondern auch von der Sie haben übrigens eine Reihe von Zitaten ge- Verwaltung. Die Stadt München oder die Regierung bracht, die zum Teil aus dem Zusammenhang geris- von Oberbayern z. B. haben sich jedes Jahr mit hun- sen sind. Sie sind aber sicherlich auch mit einem Fra- derttausenden von Fällen des Ausländerrechts zu be- gezeichen zu versehen. Bei früherer Gelegenheit schäftigen. Die Bedenken der Fachleute beiseite zu habe ich einmal gesagt, ich leiste mir den Luxus des schieben halte ich für nicht möglich. Denkens und kann durchaus auch manchmal von einer früheren Aussage abrücken. Das fällt Ihnen schwer – mir nicht. Wenn ich über eine Frage gründli- Präsident Klaus Wowereit: Das Wort hat Herr Bun- cher nachgedacht habe, komme ich auch einmal desminister Schily. zu neuen Ergebnissen. Vielleicht kann die heutige Bundesratssitzung dazu führen, dass man sich von (Unruhe) seinen vorgefassten Meinungen löst. Das wäre des Schweißes der Edlen wert. Otto Schily, Bundesminister des Innern: Ich merke, Deshalb sollte ich Sie auf folgende weitere Sachver- dass Unruhe herrscht, aber ich bitte um Verständnis: halte hinweisen. Wenn wir über eine solch wichtige Frage diskutieren, (B) müssen wir uns doch die Zeit dafür nehmen. Genfer Flüchtlingskonvention: Wer das Gesetz wirk- (D) lich ehrlich liest, kann die Bedenken von Herrn Mi- Die letzten Wortmeldungen von Herrn Ministerprä- nisterpräsident Müller wahrlich nicht ernst nehmen, sident Müller und vor allen Dingen von Herrn Kolle- sondern muss feststellen, dass das Gesetz sehr klar ist. gen Beckstein machen sehr deutlich, was Sie mit dem Wir wissen aber aus der Praxis der Vergangenheit, Vermittlungsverfahren bezwecken, nämlich gar dass auch bei einem klaren Gesetz Anwendungshin- nichts. Sie wollen nur das Gesetz verhindern. Nach weise hilfreich sind. dem, was Sie hier vorgetragen haben, ist es klar, dass Sie sich auf keinen Kompromiss einlassen wollen. In- Im Übrigen sind die Erklärungen, die ich auch auf sofern stimme ich Ihrer Aussage zu, Herr Beckstein: Grund des Beitrags von Herrn Ministerpräsident Der Weg ist das Ziel. Das Ziel ist deutlich erkennbar Stolpe abgegeben habe, nicht nur darauf ausgerichtet geworden. Sie versuchen, von dem Gesetz ein Bild zu festzulegen, wie die Auslegung eines Gesetzes in der zeichnen – Herr Ministerpräsident Gabriel hat es sehr Anwendung ist. Das hat auch etwas damit zu tun, deutlich gemacht –, das mit dem realen Inhalt des Ge- dass wir die Auswirkungen des Gesetzes unterschied- setzes nichts zu tun hat. Sie versuchen auch, Verwir- lich beurteilen. Sie gehen von bestimmten Auswir- rung zu stiften. kungen des Gesetzes aus, wir von anderen. Dann ist es völlig legitim zu sagen – – Selbstverständlich soll das Gesetz – ich wiederhole dies – für Selbstständige, für Arbeitsuchende, die sich (Zuruf) am wirtschaftlichen Fortkommen unseres Landes be- – Machen Sie sich keine Gedanken darüber, wie teiligen wollen, Zuwanderung ermöglichen. Wir wer- lange ich im Amt sein werde. Sie werden sich noch den aber zugleich den Zuzug an anderen Stellen in darüber wundern, wie lange ich im Amt bin. die Sozialsysteme verringern. (Heiterkeit) Ich greife ein Beispiel heraus, das Sie, Herr Kollege Beckstein, zuletzt angesprochen haben. Auch Herr – Ich tue etwas für die Entlastung der Rentenkasse, wie Sie wissen. Das freut Herrn Riester. – Wir können Gabriel hat es zu Recht angesprochen. Ich meine den uns doch darauf verständigen, dass wir nach einem Zuzug von Familienangehörigen von Aussiedlern. gewissen Zeitraum überprüfen, welche Voraussage Das sind nach Schätzungen immerhin 75 000 Men- richtig und welche falsch war. schen jährlich. Wir haben in unserem Gesetz an die- ser Stelle eine kleine Bremse vorgesehen, die nicht Was den Zuwachs an Zuwanderung angeht, sollten einmal so weit geht wie Herr Ministerpräsident wir unterscheiden, woher er denn kommen soll. Herr Gabriel, dass ein individuelles Verfolgungsschicksal Ministerpräsident Müller, Sie machen beim Regelver- angenommen werden muss. Wir sagen nur, dass es für fahren den Fehler, dass Sie nur eine Quotierung im Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 171 Bundesminister Otto Schily (A) Hinterkopf haben. Ich sage: Zuwanderung an dieser trag von Rheinland-Pfalz erledigt ist. Wer stimmt dem (C) Stelle wird nur zugelassen, wenn es einen konkreten saarländischen Antrag zu? – Das ist die Minderheit. Arbeitsplatz gibt, der anderweitig nicht besetzt wer- Dann bitte ich um das Handzeichen zu dem Antrag den kann. von Rheinland-Pfalz. – Das ist die Minderheit. Weil Sie das Verfahren getadelt haben, möchte ich Die Anrufung des Vermittlungsausschusses wird darauf hinweisen, dass wir an dieser Stelle den Ver- nicht gewünscht. waltungsausschuss sehr bewusst eingesetzt haben, weil er eine Beteiligung der Kommunen ermöglicht. Wir kommen dann zur Frage der Zustimmung. Der Wenn die Integrationsfähigkeit einer Kommune über- Ausschuss für Innere Angelegenheiten und der Wirt- schritten ist, kann es ja sein, dass man, unabhängig schaftsausschuss empfehlen, dem Gesetz nicht zuzu- von wirtschaftlichen Erwägungen, Zuwanderung stimmen. Die Abstimmungsfrage ist positiv zu fassen. nicht zulässt. Deshalb soll die Gemeinde daran mit- Rheinland-Pfalz hat gebeten, über die Frage der wirken. Das haben wir an dieser Stelle vorgesehen. In Zustimmung durch Aufruf der Länder abzustimmen. §1,der der Leitgedanke für das gesamte Gesetzes- Ich bitte den Schriftführer, die Länder aufzurufen. werk ist, haben wir gesagt: Zuzug unter Berücksichti- gung der Integrationsfähigkeit des Landes. Ich will Ihre Geduld nicht weiter in Anspruch neh- Dr. Manfred Weiß (Bayern), Schriftführer: men. Baden-Württemberg Enthaltung Was den Anwerbestopp betrifft, Herr Ministerpräsi- Bayern Nein dent Müller: Wenn man ein flexibles System haben will, das wirtschaftsgerecht ist, muss man sich davon Berlin Ja lösen. Das bedeutet nicht, dass wir beliebig viele Brandenburg Menschen in das Land lassen, sondern nur bei ei- nem konkreten wirtschaftlichen Hintergrund unter Alwin Ziel (Brandenburg): Ja! Berücksichtigung aller Belange des Arbeitsmarktes, Jörg Schönbohm (Brandenburg): Nein! so wie wir das im Falle der IT-Fachleute getan haben. Ich kann nur wiederholen: Genau das ist ein Beispiel dafür, wie mit Zuzug in einem begrenzten Umfang Präsident Klaus Wowereit: Damit stelle ich fest, – 10 000 Menschen sind bei einer Bevölkerungszahl dass das Land Brandenburg nicht einheitlich abge- von 82 Millionen in unserem Land wahrlich keine stimmt hat. Ich verweise auf Artikel 51 Absatz 3 Satz 2 Größenordnung, die uns in Unruhe versetzen sollte – Grundgesetz. Danach können Stimmen eines Landes (B) positive Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt von bis nur einheitlich abgegeben werden. (D) zu 30 000 Arbeitsplätzen erreicht werden können. Ich frage Herrn Ministerpräsidenten Stolpe, wie das Das Zweieinhalb- bis Dreifache der Zuzugszahl wird Land Brandenburg abstimmt. an Arbeitsplätzen für die einheimische Bevölkerung geschaffen. Das Gleiche können Sie durch das moder- ne Zuwanderungsgesetz erreichen, das heute auf Dr. h.c. Manfred Stolpe (Brandenburg): Als Minis- dem Tisch liegt. terpräsident des Landes Brandenburg erkläre ich hier- Bitte entscheiden Sie entsprechend Ihrer Verant- mit Ja. wortung! (Jörg Schönbohm [Brandenburg]: Sie kennen meine Auffassung, Herr Präsident!) Präsident Klaus Wowereit: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. – Herr Staatsminister Mertin (Rhein- Präsident Klaus Wowereit: Damit stelle ich fest, land-Pfalz) gibt eine Erklärung zu Protokoll*). dass das Land Brandenburg mit Ja abgestimmt hat. Wir kommen zur Abstimmung. Die Empfehlungen (Peter Müller [Saarland]: Das ist unmög- der Ausschüsse ersehen Sie aus Drucksache 157/1/02. lich! – Roland Koch [Hessen]: Das geht Daneben liegen Landesanträge auf Anrufung des wohl gar nicht! – Weitere Zurufe: Verfas- Vermittlungsausschusses in den Drucksachen 157/2 sungsbruch! – Das gibt es doch nicht!) und 3/02 vor. – Herr Ministerpräsident Stolpe hat für Brandenburg Da die Anrufung des Vermittlungsausschusses aus erklärt, dass er, dass das Land Brandenburg mit Ja ab- mehreren Gründen beantragt ist, frage ich zunächst, stimmt. Das ist nicht – – wer allgemein ein Vermittlungsverfahren wünscht. Bitte das Handzeichen! – Das ist die Mehrheit. (Roland Koch [Hessen]: Herr Schönbohm hat widersprochen! Nein, das geht nicht, Dann stimmen wir über die einzelnen Anrufungs- Herr Präsident!) gründe ab. – Das ist so. Dann geht es weiter in der – – Ich beginne mit dem Antrag des Saarlandes in Drucksache 157/3/02, bei dessen Annahme der An- (Peter Müller [Saarland]: Selbst Sie sind an die Verfassung gebunden, Herr Präsident! – Roland Koch [Hessen]: Nein, das geht nicht! – Weiterer Zuruf: Völlig unmöglich! *) Anlage 1 Sie kennen die Verfassung nicht!) 172 Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 Präsident Klaus Wowereit (A) Dann geht es weiter – – Dann geht es weiter in der Ich kann auch Herrn Ministerpräsidenten Stolpe (C) Abstimmung. nochmal fragen, ob das Land noch Klärungsbedarf hat. (Peter Müller [Saarland]: Nein! – Roland Koch [Hessen]: Nein, Herr Präsident! Sie (Roland Koch [Hessen]: Das Land hat kei- brechen das Recht!) nen Klärungsbedarf! Sie manipulieren eine Entscheidung des Bundesrates! Was fällt – Nein! Ihnen ein! – Zuruf: Verfassungsbrecher!) (Roland Koch [Hessen]: Herr Präsident, – Nein! nein!) (Roland Koch [Hessen]: Herr Präsident, – Ich habe bei der zweiten Frage gefragt, ob Herr nein! – Weitere lebhafte Zurufe) Ministerpräsident Stolpe für Brandenburg eine Er- klärung abgibt. Das hat er gemacht. Und – – Herr Ministerpräsident Stolpe. (Peter Müller [Saarland]: Auch Sie sind an das Grundgesetz gebunden, Herr Präsi- Dr. h.c. Manfred Stolpe (Brandenburg): Als Minis- dent! – Roland Koch [Hessen]: Das geht terpräsident des Landes Brandenburg erkläre ich nicht! Nein, Herr Präsident, nein! – Weitere hiermit Ja. Zurufe) (Roland Koch [Hessen]: So! Und was sagt Und jetzt ist festgestellt – – Herr Schönbohm?) (Peter Müller [Saarland]: Das Grundgesetz gilt auch für Sie!) Präsident Klaus Wowereit: So, dann ist das so fest- gestellt. Es ist festgestellt – – Ich bitte fortzufahren in der Abstimmung. (Roland Koch [Hessen]: Jawohl! Das ist ja unglaublich! Das ist glatter Rechtsbruch!) (Zuruf: Unerhört!) Ich kann – – – In der Abstimmung fortzufahren. (Roland Koch [Hessen]: Das ist unglaublich!) (Dr. Bernhard Vogel [Thüringen]: Ich bitte um das Wort zur Geschäftsordnung!) – Ja, Herr – – Bitte sehr – – – Sie können sich anschließend, nach der Abstim- (Roland Koch [Hessen]: Herr Präsident, un- mung, zur Geschäftsordnung melden. Wir sind jetzt in (B) terbrechen Sie, damit wir das beraten! Das (D) der Abstimmung. gibt es nicht!) – Bitte sehr, Herr Koch, ich bitte Sie, sich auch zu Dr. Manfred Weiß (Bayern), Schriftführer: mäßigen. Bremen Enthaltung (Roland Koch [Hessen]: Nein, ich mäßige mich nicht!) Hamburg Enthaltung – Ja. Hessen Enthaltung (Roland Koch [Hessen]: Da ist offensicht- Mecklenburg-Vorpommern Ja lich und gewollt das Recht gebrochen! Das Niedersachsen Ja geht nicht! – Weitere Zurufe: Ein vorberei- teter Rechtsbruch! – Rechtsbeugung!) Nordrhein-Westfalen Ja

Also nochmal – – Rheinland-Pfalz Ja (Roland Koch [Hessen]: Wenn Herr Schön- Saarland Nein bohm eben geschwiegen hätte, mag das Sachsen Nein sein! Aber er hat gesagt: Ich nicht!) Sachsen-Anhalt Ja Ich kann – – Schleswig-Holstein Ja (Roland Koch [Hessen]: Es sind vier Stim- Thüringen Nein men! Sie sind unterschiedlich abgegeben, und das haben Sie zur Kenntnis zu neh- men!) Präsident Klaus Wowereit: Das ist die Mehrheit. Der Bundesrat hat dem Gesetz zugestimmt. Ich kann – – Ich kann auch – – Jetzt rufe ich Herrn Ministerpräsident Vogel zur (Peter Müller [Saarland]: Unterbrechen Sie Geschäftsordnung auf. die Sitzung, dass diese Frage geklärt wird! Das geht so nicht! – Roland Koch [Hessen]: (Roland Koch [Hessen]: Eiskalter Rechts- Das ist ja wohl das Letzte! – Weitere Zu- bruch! Eiskalt! – Dr. Edmund Stoiber rufe) [Bayern]: Das hat Konsequenzen!) Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 173

(A) Dr. Bernhard Vogel (Thüringen): Herr Präsident, widrig, weil sie das unterschiedliche Abstimmungs- (C) meine Damen und Herren! Wir sind soeben Zeugen verhalten des Bundeslandes Brandenburg nicht kor- eines ungewöhnlichen Vorganges geworden. Ein Ab- rekt aufgenommen hat. stimmungsergebnis ist festgestellt worden, das nach Kollege Schönbohm hat während der Debatte zu meiner Überzeugung klar und eindeutig dem Grund- Ihrer Kenntnis, Herr Präsident, ausdrücklich an Sie gesetz für die Bundesrepublik Deutschland wider- adressiert, bereits festgestellt, dass er eine Zustim- spricht. mung zu dem Gesetz nicht mitzutragen bereit ist. Er (Vereinzelt Beifall) hat diese Erklärung bei Ihrer ersten Abstimmungsfra- ge wiederholt. Nach unserer Rechtsauffassung hätte Dort heißt es in Artikel 50, dass die Länder durch sich jede weitere Frage schon damit automatisch er- den Bundesrat bei der Gesetzgebung und Verwaltung übrigt. des Bundes mitwirken. Es ist keine Außenvertretung gegeben, sondern wir sind Teil der Mitwirkung an der Ich halte es rechtlich zumindest für sehr zweifelhaft, Bundesgesetzgebung. ob Sie berechtigt waren, das Land Brandenburg ein zweites Mal zu fragen. Der Ministerpräsident hat In Artikel 51 Abs. 3 heißt es, dass die Stimmen eines dann für das Land Brandenburg geantwortet, und Landes nur einheitlich abgegeben werden können. Herr Kollege Schönbohm hat Ihnen mitgeteilt, dass er Dies ist offensichtlich und hörbar nicht der Fall gewe- bei seiner Auffassung bleibt. Spätestens zu diesem sen. Das Land Brandenburg war zu einer einheitlichen Zeitpunkt war jede weitere Frage rechtswidrig, und Stimmabgabe nicht in der Lage. Nirgendwo, Herr Prä- niemand muss sich daran beteiligen. Deshalb ist die sident, steht geschrieben, dass der Ministerpräsident Frage, wie man sich bei einer dritten, vierten oder eines Landes die einheitliche Stimmabgabe festzule- fünften Frage verhält, für die Einschätzung des Lan- gen hat. Dies widerspricht dem Grundgesetz für die des Brandenburg irrelevant. Bundesrepublik Deutschland. Wir sind der Auffassung, dass sich manche Diskus- Ich wiederhole deswegen meine Feststellung: Die sionen, die es darüber geben könnte, was passiert, eben getroffene Entscheidung widerspricht dem wenn bei einer zweiten Abstimmung etwa ein neuer Grundgesetz. Konsens hergestellt wird, wie aus den Diskussionen Ich stelle den Antrag auf Unterbrechung der Sit- des Jahres 1953 gelegentlich zitiert, hier jedenfalls zung und bitte, wenigstens diesem Recht der Minder- erübrigen. Das macht den Verfassungsbruch auch zu heit in diesem Hause zu entsprechen. einem offensichtlichen Verfassungsbruch. Es besteht nach unserer Einschätzung selbst ange- Präsident Klaus Wowereit: Diesem Antrag wird ent- sichts juristischer Mindermeinungen, die es gelegent- (B) (D) sprochen. lich gegeben hat, man könne einen Sachverhalt hier anders beurteilen, bei diesem konkreten Tatbestand Herr Vogel, haben Sie eine Zeitvorstellung? keinerlei Interpretationsspielraum. Deshalb ist das Gesetz nicht ordnungsgemäß zu Stande gekommen. Dr. Bernhard Vogel (Thüringen): Ich schlage vor, Herr Präsident, ich muss darauf hinweisen, dass Sie dass die Sitzung zunächst bis 15.30 Uhr unterbrochen selbst in der Konferenz der Ministerpräsidenten der wird. ostdeutschen Länder, wie mir berichtet worden ist, auf die Frage des Kollegen Professor Biedenkopf vor zwei Tagen geantwortet haben, Sie seien der Rechts- Präsident Klaus Wowereit: Dem ist so stattgegeben. auffassung, dass dissentierende Voten nicht durch Die Sitzung ist unterbrochen und wird um 15.30 Uhr eine Nachfrage korrigiert werden können, sondern fortgesetzt. offensichtlich im Raum stehen. (Unterbrechung von 14.42 bis 15.40 Uhr) Ich denke, es ist notwendig, dass die Öffentlichkeit zur Kenntnis nimmt, dass die Bundesratsverwaltung, in ihrer Rechtstradition seit 50 Jahren, auch Ihnen Präsident Klaus Wowereit: Meine Damen und Her- schriftlich geraten hat, bei der Verfassungsrechtspra- ren, ich eröffne die Sitzung wieder. xis zu bleiben und sich entsprechend zu verhalten. Zur Geschäftsordnung hat sich Herr Ministerpräsi- Wir haben den Direktor des Bundesrates in der Be- dent Koch (Hessen) gemeldet. sprechung der antragstellenden Länder erneut gebe- ten, dazu Stellung zu nehmen, und erneut bestätigt bekommen, dass es nach wie vor die Rechtsauffas- Roland Koch (Hessen): Herr Präsident, meine sung der Verwaltung des Bundesrates ist, dass Ihr Damen und Herren! Namens der Bundesländer Bay- Verhalten hier bei der Feststellung des Abstimmungs- ern, Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen, Saar- ergebnisses mit dem Grundgesetz der Bundesrepu- land, Sachsen und Thüringen beantrage ich, dass Sie, blik Deutschland nicht vereinbar ist. Herr Präsident, die Feststellung des Abstimmungser- gebnisses zum Zuwanderungsgesetz, die Sie vor der Sie haben also nicht in einer schnellen Aktion – ver- Unterbrechung getroffen haben, korrigieren. sehentlich –, sondern offensichtlich wissentlich und geplant gegen eine grundlegende Regel der Verfas- Ich begründe jetzt diesen Antrag: Nach der Auffas- sung verstoßen. Das ist aus unserer Sicht bei einem sung der zitierten Länder ist die Feststellung des Präsidenten des Bundesrates, der nach unserem Ver- Abstimmungsergebnisses offensichtlich verfassungs- ständnis die zweithöchste Position in diesem Staat 174 Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 Roland Koch (Hessen) (A) innehat, noch zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte dass das Bundesland Brandenburg gemäß Artikel 51 (C) unseres Landes vorgekommen – und dies ausgerech- Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes die Abstimmung net bei einem Gesetz, mit dem man, wie alle bis vor nicht einheitlich vorgenommen hat und damit die wenigen Minuten gesagt haben, gesellschaftliche Stimmen des Landes Brandenburg bei der Feststel- Akzeptanz und Konsens erzielen will. Konsens und lung des Abstimmungsergebnisses nicht zu werten gesellschaftliche Akzeptanz sind aber auf einem sol- sind. – Vielen Dank. chen Wege nicht zu erzielen. Wir sagen auch sehr klar: Wir erwarten, ja wir sind Präsident Klaus Wowereit: Herr Ministerpräsident, uns sicher, dass der Herr Bundespräsident ein solches ich kann nachvollziehen, dass man bei dieser kompli- Gesetz nicht unterzeichnen wird, weil die Vorausset- zierten Rechtsfrage unterschiedlicher Auffassung ist. zungen für die Unterzeichnung des Gesetzes offen- Was ich aber nicht hinnehme, ist, dass Sie so tun, als sichtlich nicht vorliegen. Wir sind uns sicher, dass es ob in diesem Hause der Präsident beraten worden ist nicht am 1. Januar des kommenden Jahres in Kraft und der Präsident sich in eine andere Richtung ver- treten wird. Sie werden am Ende mit dieser Methode halten hat. Dann darf ich Ihnen aus dem Vermerk des keinen Erfolg haben. Bundesrates vorlesen: Wir wissen nicht, Herr Präsident, warum Sie in den Für den Fall, dass bei der Abstimmung durch letzten zwei Tagen Ihre Meinung geändert haben. Wir Aufruf nach Ländern die Stimmen eines Landes vermuten, dass es mit der Entscheidung an anderer nicht einheitlich abgegeben würden, sollte politischer Stelle zu tun hat. Aber das ist egal. Es geht Herrn Präsidenten vorgeschlagen werden, die darum, am Ende festzustellen, ob wir uns in einem Vertreter des betreffenden Landes auf das Gebot schwierigen Prozess – unabhängig davon, was in ein- der einheitlichen Stimmabgabe wie folgt hinzu- zelnen Bundesländern geschieht und was wir hier po- weisen: „Gemäß Artikel 51 Abs. 3 Satz 2 des litisch nicht zu bewerten haben – wenigstens darauf Grundgesetzes können die Stimmen eines Lan- verlassen können, fair behandelt zu werden. des nur einheitlich abgegeben werden. Ich bitte Fair und nach den Regeln behandelt zu werden ist deshalb um einheitliche Beantwortung der Ab- essenziell dafür, ob Parteien vernünftig miteinander stimmungsfrage.“ koalieren können. Deshalb müssen wir darauf beste- Und genau dies ist geschehen. Nur so weit zur Klar- hen, dass diese Frage geklärt wird, und zwar für die stellung des Sachverhalts. Zukunft. Herr Ministerpräsident Gabriel zur Geschäftsord- Wir haben uns in der Verfassungstradition 50 Jahre nung. darauf verlassen, dass im Zweifel die Vertragstreue (B) eines Partners in Länderkoalitionen auch durch das (D) Verhalten im Bundesrat erzwungen werden kann. Sie Sigmar Gabriel (Niedersachsen): Herr Präsident, haben hier heute eine grundlegende Veränderung meine Damen und Herren! Für das Land Niedersach- herbeigeführt, die, würde man sie rechtlich akzeptie- sen spreche ich gegen den Antrag, den Herr Kollege ren, dazu führt, dass sich Vertragspartner nicht mehr Koch vorgetragen hat. Ich will das begründen. sicher sein können, dass sie durch das Verhalten im Ich habe das Abstimmungsverhalten gut in Erinne- Bundesrat die Möglichkeit haben, die gegenseitige rung, Herr Kollege Koch. Wir haben zuerst einmal er- Vertragstreue bei Bundesratsklauseln sicherzustellen. lebt, dass sich zwei Landesminister unterschiedlich Diese Veränderung der Qualität von politischen geäußert haben. Dafür gibt es einen Präzedenzfall in Diskussionen ist nicht zu unterschätzen und macht es, diesem Haus. Der Bundesratspräsident hat – korrekt – im Augenblick jedenfalls, für bestimmte Parteien si- den Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg cherlich sehr fragwürdig, ob es sich lohnt, Verträge nach seiner Entscheidung gefragt. Damit hat er sich auf dieser Basis abzuschließen, wenn sie anschlie- auf den Präzedenzfall bezogen. Die Antwort des Kol- ßend gebrochen werden, was aber selbst gegen die legen Stolpe war eindeutig. Insofern ist der Vorwurf, Regeln des Artikels 51 Abs. 3 Satz 2 des Grundgeset- Herr Wowereit hätte nicht noch einmal fragen dürfen, zes zu diesen Folgen führt. schlicht nicht gerechtfertigt. Herr Präsident, dies ist ein höchst ungewöhnlicher Dann haben Sie kritisiert, dass Herr Kollege Wowe- Vorgang. Wir, die wir darüber beraten haben, geben reit ein zweites Mal gefragt habe. Die Antwort des In- zu, dass wir heute mit vielem gerechnet haben. Dies nenministers des Landes Brandenburg nach der Ant- aber ist ein kalkulierter Bruch der Regeln unserer wort des Kollegen Stolpe war nach meinem Gehör Verfassung. Das ist eines Gremiums wie der zweiten – ich nehme an, alle haben das Gleiche wahrgenom- Kammer des deutschen Parlamentarismus unwürdig. men – nicht eindeutig. Er hat bemerkt: Sie kennen Es durfte nicht geschehen. Es muss korrigiert werden. meine Haltung. Sie haben in Ihrer Kompetenz als Präsident die (Roland Koch [Hessen]: Ja!) Möglichkeit, es zu korrigieren und damit einen Zu- Um eine klare Position des Landes Brandenburg zu stand zu heilen, der über den Tag hinaus – weit jen- erfahren, hat der Bundesratspräsident daraufhin den seits der Frage, ob es um das Zuwanderungsgesetz Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg ein geht oder nicht – eine Veränderung der Art der politi- zweites Mal gefragt, wie das Land Brandenburg ab- schen Diskussionen herbeiführen würde. stimmt. Es ist ein zweites Mal mit Ja geantwortet wor- Deshalb beantragen wir, dass Sie das Ergebnis kor- den, eine weitere Äußerung aus Brandenburg gab es rekt feststellen, unter Einbeziehung der Tatsache, nicht. Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 175 Sigmar Gabriel (Niedersachsen) (A) Wie in den Verfassungen der meisten Länder gibt es Präsident Klaus Wowereit: Herr Ministerpräsident (C) in derjenigen Brandenburgs die Richtlinienkompe- Beck (Rheinland-Pfalz). tenz. Nach Artikel 91 der Verfassung Brandenburgs spricht der Ministerpräsident für das Land. Deswe- gen: Es gibt hier eine klare Äußerung. Sie beziehen Kurt Beck (Rheinland-Pfalz): Herr Präsident! Meine sich auf einen Artikel des Grundgesetzes, der eintritt, sehr geehrten Damen und Herren! Die Debatte über wenn die Möglichkeiten des jeweiligen Ministerpräsi- das Abstimmungsverhalten halte ich für abgeschlos- denten nicht genutzt werden. Das war aber nicht der sen. Ich will mich auf den Vertagungsantrag von Fall. Herrn Kollegen Dr. Vogel beziehen. Insofern halte ich Ihren Antrag für nicht in Ord- Ich möchte Sie auf Folgendes hinweisen: Wenn sich nung. Wir weisen ihn zurück. Es gibt dafür keine der Bundesrat vertagt und die Beratungen nicht fort- Rechtsgrundlage. Das Land Brandenburg hat mit der setzt, verzichtet er in einer Reihe von Punkten wegen Stimme seines Ministerpräsidenten gesprochen. Die Fristablaufs auf seine Rechte. Bei einigen Tagesord- Stimmabgabe ist spätestens nach der zweiten Frage nungspunkten wissen wir nicht, ob beispielsweise die an den Ministerpräsidenten eindeutig, ohne Wider- Anrufung des Vermittlungsausschusses gewünscht spruch, erfolgt. Die Auszählung ist eindeutig. wird oder nicht. In jedem Fall werden die Fristen ab- gelaufen sein, bis sich der Bundesrat erneut trifft. Das Einzige, was es hier gegeben hat, Herr Kollege Koch, ist ein kalkulierter Ausbruch von Ihnen, aber Ich halte das wegen der Bedeutung der Tagesord- kein kalkulierter Rechtsbruch. nungspunkte, die heute noch zu erledigen sind, für nicht akzeptabel. Ich bitte Sie nachdrücklich, dies zu bedenken. Auf weitere Begründungen will ich nicht Präsident Klaus Wowereit: Ich stelle fest, dass das eingehen. Abstimmungsverhalten nicht korrigiert wird. Die Ab- stimmung war korrekt. Die notwendige Mehrheit von Ich meine, wir alle tun gut daran, die Aufwallun- 35 Stimmen ist erzielt worden. gen, die vorhin wahrzunehmen waren, nicht weiter zu schüren. Damit ist Tagesordnungspunkt 8 beendet. Ich widerspreche deshalb dem Vertagungsantrag. Herr Ministerpräsident Vogel zur Geschäftsord- nung. Präsident Klaus Wowereit: Ich lasse darüber ab- stimmen. Wer für Vertagung ist, den bitte ich um das Dr. Bernhard Vogel (Thüringen): Herr Präsident, Handzeichen. – Das ist eine Minderheit. (B) meine Damen und Herren! Ich stelle den Antrag auf (D) Vertagung der heutigen Sitzung des Bundesrates. Ich Die Sitzung wird fortgesetzt. möchte das kurz begründen. (Die Vertreter der Länder Baden-Württem- Nach den heutigen Ereignissen ist es uns unzumut- berg, Bayern, Hamburg, Hessen, Saarland, bar, die Verhandlungen fortzusetzen, als sei nichts ge- Sachsen und Thüringen verlassen den schehen. Nach unserer Überzeugung ist gegen Arti- Saal) kel 51 Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes eindeutig Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 70: verstoßen worden. Gesetz zur Modulation von Direktzahlungen Ich füge hinzu: Der Präzedenzfall ist kein Präze- im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik denzfall; denn im Gegensatz zu heute hat die Aussa- und zur Änderung des GAK-Gesetzes (Druck- ge des damaligen nordrhein-westfälischen Minister- sache 245/02) präsidenten bei den übrigen Kabinettsmitgliedern und stimmberechtigten Bundesratsmitgliedern kei- Herr Minister Gerhards (Sachsen-Anhalt) gibt den nen Widerspruch gefunden. Bericht von Staatsminister Mittler (Rheinland-Pfalz) aus dem Vermittlungsausschuss zu Protokoll*). Gibt Außerdem weise ich darauf hin, Herr Kollege Ga- es Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall. briel: Artikel 91 der brandenburgischen Verfassung beschäftigt sich mit der Vertretung des Landes nach Wer dem Gesetz in der heute vom Deutschen Bun- außen. Der Bundesrat betrifft nicht die Außenvertre- destag auf Grund des Vorschlags des Vermittlungs- tung, er ist ein Organ des Bundes, dem die Länder an- ausschusses geänderten Fassung zuzustimmen gehören. Das ist völlig eindeutig. wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Mehrheit. Ziel unseres Vertagungsantrages ist es, die Klärung der nicht verfassungsgemäß zu Stande gekommenen Damit hat der Bundesrat dem Gesetz zugestimmt. Feststellung des Abstimmungsergebnisses zu errei- Wir haben nun noch über den Entschließungsantrag chen. Niedersachsens in Drucksache 245/1/02 abzustim- Ich bitte Sie, dem Antrag auf Vertagung zuzustim- men. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. men. Sollten Sie das nicht tun, muss ich Ihnen leider – Das ist die Mehrheit. mitteilen, dass sich die Länder Baden-Württemberg, Damit hat der Bundesrat die Entschließung gefasst. Bayern, Hamburg, Hessen, Saarland, Sachsen und Thüringen nicht in der Lage sehen, den weiteren Be- ratungen beizuwohnen. *) Anlage 2 176 Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 Präsident Klaus Wowereit (A) Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 71: mittlungsausschusses zu verlangen. Die übrigen be- (C) teiligten Ausschüsse empfehlen dem Bundesrat, dem Gesetz zur Einführung von streckenbezoge- Gesetz zuzustimmen. nen Gebühren für die Benutzung von Bundes- autobahnen mit schweren Nutzfahrzeugen Wir haben zunächst darüber zu befinden, ob allge- (Drucksache 246/02) mein ein Vermittlungsverfahren gewünscht wird. Ich bitte um das Handzeichen. – Das ist eine Minderheit. Das Gesetz kommt aus dem Vermittlungsausschuss zurück. Der Vermittlungsausschuss wird n i c h t angeru- fen. Minister Gerhards (Sachsen-Anhalt) gibt seinen Be- richt über das Vermittlungsverfahren zu Protokoll*). Ich frage jetzt: Wer stimmt dem Gesetz zu? – Das ist Weiter geben Staatsminister Mertin (Rheinland-Pfalz) die Mehrheit. für Staatsminister Mittler und Herr Bundesminister Der Bundesrat hat dem Gesetz zugestimmt. Bodewig (Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen) je eine Erklärung zu Protokoll**). Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 5: Weitere Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall. Siebentes Gesetz zur Änderung des Gesetzes Wir kommen zur Abstimmung. Der Deutsche Bun- über die Deutsche Bundesbank (Drucksache destag hat den Vorschlag des Vermittlungsausschus- 155/02) ses angenommen. Wer dem Gesetz in der geänderten Wortmeldung? – Das ist nicht der Fall. Eine Er- Fassung zustimmen möchte, den bitte ich um das klärung zu Protokoll*) gibt Herr Parlamentarischer Handzeichen. – Das ist die Mehrheit. Staatssekretär Diller (Bundesministerium der Finan- Damit hat der Bundesrat dem Gesetz zugestimmt. zen). Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 3: Wir kommen zur Abstimmung. Hierzu liegt Ihnen die Ausschussempfehlung in Drucksache 155/1/02 Gesetz zur Vereinfachung der Wahl der Ar- vor. Darin wird die Anrufung des Vermittlungsaus- beitnehmervertreter in den Aufsichtsrat schusses empfohlen. Wer ist dafür? – Das ist eine Min- (Drucksache 203/02) derheit. Gibt es Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall. Je Ich stelle fest, dass der Bundesrat zu dem Gesetz eine Erklärung zu Protokoll***) geben Herr Bundes- den Vermittlungsausschuss n i cht angerufen hat. minister Riester (Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung), Herr Minister Dr. Behrens (Nord- Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 6: rhein-Westfalen), Herr Ministerpräsident Ringstorff Gesetz über die integrierte Finanzdienstleis- (B) (Mecklenburg-Vorpommern) und Herr Minister Ger- (D) tungsaufsicht (Drucksache 156/02) hards (Sachsen-Anhalt). Gibt es dazu Wortmeldungen? – Das ist nicht der Wir kommen zur Abstimmung. Hierzu liegen Ihnen Fall. die Ausschussempfehlungen in Drucksache 203/1/02 vor, die darauf abzielen, den Vermittlungsausschuss Wir kommen zur Abstimmung. Hierzu liegt Ihnen anzurufen. der Länderantrag in Drucksache 156/2/02 vor. Wer ist entsprechend diesem Antrag dafür, den Vermittlungs- Wir haben zunächst darüber zu befinden, ob allge- ausschuss anzurufen? – Das ist eine Minderheit. mein ein Vermittlungsverfahren gewünscht wird. Ich Da weitere Anträge auf Anrufung des Vermittlungs- bitte um das Handzeichen. - Das ist eine Minderheit. ausschusses nicht vorliegen, stelle ich fest, dass der Damit hat der Bundesrat den Vermittlungsaus- Bundesrat zu dem Gesetz den Vermittlungsausschuss schuss n i cht angerufen. n i c h t angerufen hat. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 4: Tagesordnungspunkt 7: Gesetz zur Gleichstellung behinderter Men- Zehntes Gesetz zur Änderung des Fünften Bu- schen und zur Änderung anderer Gesetze ches Sozialgesetzbuch (10. SGB V-Änderungs- (Drucksache 152/02, zu Drucksache 152/02) gesetz) (Drucksache 153/02) Wortmeldungen liegen nicht vor. Wortmeldung? – Das ist nicht der Fall. Eine Er- klärung zu Protokoll****) gibt Herr Bundesminister Der Gesundheitsausschuss empfiehlt, zu dem Riester (Bundesministerium für Arbeit und Sozialord- Gesetz den Vermittlungsausschuss nicht anzurufen. nung). Es liegt aber ein 7-Länder-Antrag in Drucksache 153/1/02 vor, den Vermittlungsausschuss mit dem Ziel Wir kommen zur Abstimmung. Hierzu liegen die der Aufhebung des Gesetzesbeschlusses anzurufen. Ausschussempfehlungen in Drucksache 152/1/02 vor. Wer stimmt dem Antrag zu? – Das ist eine Minderheit. Der Wirtschaftsausschuss und der Verkehrsausschuss empfehlen dem Bundesrat, die Einberufung des Ver- Damit hat der Bundesrat beschlossen, den Vermitt- lungsausschuss n i c h t anzurufen.

*) Anlage 3 **) Anlagen 4 und 5 ***) Anlagen 6 bis 9 ) ****) Anlage 10 * Anlage 11 Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 177 Präsident Klaus Wowereit (A) Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 9: Der Bundesrat hat damit festgestellt, dass das Ge- (C) setz seiner Zustimmung n i c h t bedarf. Gesetz zur Änderung des Schuldrechtsanpas- sungsgesetzes (Drucksache 158/02) Dann frage ich, wer dafür ist, entsprechend Ziffer 2 ) die Anrufung des Vermittlungsausschusses zu verlan- Wortmeldungen? – Eine Erklärung zu Protokoll* gen. – Das ist eine Minderheit. gibt Minister Gerhards (Sachsen-Anhalt). Damit hat der Bundesrat beschlossen, einen An- Eine Ausschussempfehlung auf Anrufung des Ver- trag auf Einberufung des Vermittlungsausschusses mittlungsausschusses liegt nicht vor. Sachsen-Anhalt n i c h t zu stellen. und Mecklenburg-Vorpommern haben jedoch in Drucksache 158/1/02 beantragt, den Vermittlungs- Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 18: ausschuss anzurufen. Wer dem zustimmen möchte, Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist eine Min- des Sozialgesetzbuches – Achtes Buch – (SGB derheit. VIII) – Antrag der Länder Bayern, Saarland – (Drucksache 146/02) Damit hat der Bundesrat den Vermittlungsaus- schuss nicht angerufen. Wortmeldungen liegen nicht vor. Zur gemeinsamen Abstimmung nach § 29 Abs. 2 Die Empfehlungen der Ausschüsse liegen Ihnen in der Geschäftsordnung rufe ich die in dem Umdruck Drucksache 146/1/02 vor. Nr. 3/02**) zusammengefassten Beratungsgegenstände Der Ausschuss für Innere Angelegenheiten emp- auf. Es sind dies die Tagesordnungspunkte: fiehlt unter Ziffer 1, den Gesetzentwurf beim Deut- 10, 13 bis 17, 21, 30 bis 33, 35, 39, 41, 42, 45, 46, schen Bundestag einzubringen. Wer ist für Ziffer 1? – 50 bis 55, 58 und 60 bis 65. Das ist eine Minderheit. Wer den Empfehlungen der Ausschüsse folgen Damit hat der Bundesrat beschlossen, den Gesetz- möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Wie entwurf n i c h t beim Deutschen Bundestag einzu- stimmt denn Brandenburg? – Das ist die Mehrheit. bringen. Dann ist so beschlossen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 19: Tagesordnungspunkt 11: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Re- gionalisierungsgesetzes – Antrag der Länder Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Verbes- Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und serung der personellen Struktur beim Bundes- Hamburg, Saarland, Sachsen, Thüringen – eisenbahnvermögen und in den Unternehmen (Drucksache 124/02, zu Drucksache 124/02) (B) der Deutschen Bundespost (Drucksache 160/ (D) Es gibt eine Wortmeldung. 02) (Annemarie Lütkes [Schleswig-Holstein]: Zu Gibt es dazu Wortmeldungen? – Das ist nicht der Protokoll! Der Antrag liegt vor! Fall. – Frau Ministerin Lütkes (Schleswig-Holstein) gibt Zur Abstimmung liegen Ihnen die Ausschussemp- ihre Erklärung zu Protokoll*). Herr Bundesminister fehlungen in Drucksache 160/1/02 vor. Bodewig (Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wer dafür ist, entsprechend Ziffer 1 den Vermitt- Wohnungswesen) gibt ebenfalls eine Erklärung zu ) lungsausschuss anzurufen, den bitte ich um das Protokoll** . Handzeichen. – Das ist eine Minderheit. Wir kommen zur Abstimmung. Dazu liegen Ihnen Damit hat der Bundesrat beschlossen, einen An- die Ausschussempfehlungen in Drucksache 124/1/02 trag auf Einberufung des Vermittlungsausschusses und die Landesanträge in den Drucksachen 124/2, 3 (neu) und 4/02 vor. n i c h t zu stellen. Wir beginnen mit dem Landesantrag in Drucksache Tagesordnungspunkt 12: 124/4/02. Wer ist dafür? – Das ist eine Minderheit. Zweites Gesetz zur Anpassung bestimmter Be- Das Handzeichen bitte für den Antrag in Drucksa- dingungen in der Seeschifffahrt an den inter- che 124/2/02! – Das ist auch eine Minderheit. nationalen Standard (Zweites Seeschifffahrts- anpassungsgesetz – SchAnpG 2 –) (Drucksache Jetzt der Landesantrag in Drucksache 124/3/02 161/02) (neu)! Wer ist dafür? – Das ist eine Minderheit. Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer ist entsprechend Ziffer 1 der Ausschussdruck- sache für die unveränderte Einbringung des Gesetz- Zur Abstimmung liegen Ihnen die Ausschussemp- entwurfs? Ich bitte um das Handzeichen. – Das ist fehlungen in Drucksache 161/1/02 vor. eine Minderheit. Zunächst frage ich, wer entsprechend Ziffer 1 dafür Damit hat der Bundesrat beschlossen – – ist festzustellen, dass das Gesetz der Zustimmung des (Kurt Beck [Rheinland-Pfalz]: Herr Bundesrates bedarf. Ich bitte um das Handzeichen. – Präsident!) Das ist eine Minderheit. – Herr Beck. ) * Anlage 12 *) Anlage 14 ) ** Anlage 13 **) Anlage 15 178 Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002

(A) Kurt Beck (Rheinland-Pfalz): Ich habe den Ein- Zur gemeinsamen Beratung rufe ich Tagesord- (C) druck, dass eine Verwechslung vorlag. Es gab einen nungspunkt 22 a) und b) auf: Antrag, dem selbst die Antragsteller nicht zugestimmt a) Entwurf eines Gesetzes zum Schutz vor haben, was mich verwundert. schweren Wiederholungstaten durch nach- (Zurufe: Doch!) trägliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung – Antrag der – Gut, dann habe ich das übersehen. – Insgesamt Länder Baden-Württemberg und Thüringen – glaube ich, dass das Abstimmungsverhalten anders (Drucksache 48/02) gewesen wäre, wenn man sich bewusst gewesen wäre, worüber abgestimmt wurde. Es geht um den b) Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Antrag Nr. 4, wie mir gerade zugerufen wird, Herr Vorbehaltes für die nachträgliche Anordnung Präsident. Ich bitte, die Abstimmung zu wiederholen. der Sicherungsverwahrung – Antrag des Lan- des Hessen – (Drucksache 118/02) Gibt es Wortmeldungen? – Je eine Erklärung zu Präsident Klaus Wowereit: Drucksache 124/4/02? Protokoll*) geben Staatsminister Mertin (Rheinland- (Kurt Beck [Rheinland-Pfalz]: Ja!) Pfalz), Staatssekretär Dr. Geiger (Bundesministerium der Justiz), Frau Senatorin Schubert (Berlin) und Mi- Dann wiederholen wir die Abstimmung zum Lan- nisterpräsident Stolpe (Brandenburg) für Minister desantrag in Drucksache 124/4/02. Wer ist dafür? – Professor Dr. Schelter. Das ist eine Minderheit. Es bleibt dabei. Wir kommen zur Abstimmung. Damit hat der Bundesrat beschlossen, den Gesetz- Ich beginne mit dem Gesetzentwurf der Länder entwurf beim Deutschen Bundestag n i c h t einzu- Baden-Württemberg und Thüringen in Drucksache bringen. 48/02. Dazu liegen Ihnen die Empfehlungen der Aus- Punkt 20: schüsse in Drucksache 48/1/02 vor. Der federführende Rechtsausschuss und der Ausschuss für Innere Ange- Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des legenheiten empfehlen, den Gesetzentwurf beim strafrechtlichen Instrumentariums für die Be- Deutschen Bundestag einzubringen. Der Finanzaus- kämpfung des Terrorismus und der Organi- schuss empfiehlt Nichteinbringung. Nach unserer Ge- sierten Kriminalität – Antrag der Freistaaten schäftsordnung wird die Abstimmungsfrage positiv Bayern, Thüringen – (Drucksache 1014/01) gestellt. Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich frage daher, wer für die Einbringung des Ge- (D) (B) Zur Abstimmung liegen Ihnen die Empfehlungen setzentwurfs in Drucksache 48/02 ist. Bitte das Hand- der Ausschüsse in Drucksache 1014/4/01 sowie zwei zeichen! – Das ist eine Minderheit. Landesanträge in den Drucksachen 1014/2 und 3/01 Damit hat der Bundesrat beschlossen, den Gesetz- vor. entwurf beim Deutschen Bundestag n i c h t einzu- Ich beginne mit dem Antrag Baden-Württembergs bringen. in Drucksache 1014/2/01, bei dessen Annahme Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ge- Ziffer 1 der Ausschussempfehlungen entfiele. Bitte setzentwurf Hessens in Drucksache 118/02. Dazu lie- das Handzeichen für den Antrag in Drucksache gen Ihnen die Empfehlungen der Ausschüsse in 1014/2/01! – Das ist eine Minderheit. Drucksache 118/1/02 sowie ein Antrag Berlins in Bitte das Handzeichen für Ziffer 1 der Ausschuss- Drucksache 118/2/02 vor. empfehlungen! – Das ist auch eine Minderheit. Ich beginne mit den Ausschussempfehlungen: Jetzt bitte das Handzeichen für den Antrag Bayerns Ziffer 1! – Minderheit. in Drucksache 1014/3/01! – Das ist eine Minderheit. Ziffer 2! – Minderheit. Bitte das Handzeichen für Ziffer 2 der Ausschuss- Jetzt bitte das Handzeichen für den Landesantrag empfehlungen! – Minderheit. in Drucksache 118/2/02! – Minderheit. Der Ausschuss für Kulturfragen empfiehlt, den Ge- Zurück zu den Ausschussempfehlungen: setzentwurf beim Deutschen Bundestag nicht einzu- bringen. Nach unserer Geschäftsordnung ist die Ab- Ziffern 3 und 4 gemeinsam! – Minderheit. stimmungsfrage jedoch positiv zu stellen. Ich frage Ziffer 5! – Minderheit. daher, wer den Gesetzentwurf beim Deutschen Bun- destag unverändert einbringen möchte, und bitte um Wer dafür ist, den Gesetzentwurf beim Deutschen das Handzeichen. – Minderheit. Bundestag unverändert einzubringen, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist eine Minderheit. Damit hat der Bundesrat beschlossen, den Gesetz- entwurf beim Deutschen Bundestag n i c h t einzu- Damit hat der Bundesrat beschlossen, den Gesetz- bringen. entwurf beim Deutschen Bundestag n i c h t einzu- bringen. Damit ist auch Ziffer 4 der Ausschussempfehlun- gen, in der eine Entschließung empfohlen wird, erle- digt. *) Anlagen 16 bis 19 Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 179 Präsident Klaus Wowereit (A) Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 23: Wir haben nun über die unveränderte Fassung der (C) Entschließung abzustimmen. Ihr Handzeichen bitte! – Entwurf einer ... Verordnung zur Änderung der Das ist eine Minderheit. Vierten Verordnung zur Durchführung des Bun- des-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung Damit hat der Bundesrat die Entschließung n i c h t über genehmigungsbedürftige Anlagen – gefasst. 4. BImSchV) – Antrag des Landes Baden-Würt- Tagesordnungspunkt 26: temberg – (Drucksache 129/02) Entschließung des Bundesrates für Maßnah- Dem Antrag des Landes Baden-Württemberg ist der men der Bundesregierung zum Schutz der Be- Freistaat Bayern beigetreten. völkerung bei bioterroristischen Angriffen Gibt es Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall. – Antrag des Freistaates Bayern – (Drucksache 26/02) Die beteiligten Ausschüsse empfehlen, die Vorlage Gibt es dazu Wortmeldungen? – Das ist nicht der für den Erlass einer Rechtsverordnung der Bundesre- Fall. gierung zuzuleiten. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist eine Minderheit. Die Empfehlungen der Ausschüsse liegen Ihnen in Drucksache 26/1/02 vor. Der Ausschuss für Innere Damit hat der Bundesrat beschlossen, die Vorlage Angelegenheiten empfiehlt unter Ziffer 1, die Ent- der Bundesregierung n i c h t zuzuleiten. schließung zu fassen. Wer ist für Ziffer 1? – Das ist Nordrhein-Westfalen beantragt für diesen Fall in eine Minderheit. Drucksache 129/1/02 (neu), eine Entschließung zu Damit hat der Bundesrat die Entschließung n i c h t fassen. Wer ist für den Antrag? – Das ist die Mehrheit. gefasst. Damit hat der Bundesrat eine Entschließung gefasst. Zur gemeinsamen Beratung rufe ich Punkte 27 a) Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 24: bis d) auf: Entschließung des Bundesrates zur Umsetzung a) Entschließung des Bundesrates „Deutschland des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom in der Rezession“ – Antrag der Länder Bayern, 15. Januar 2002 zum Schächten – Antrag der Hamburg, Hessen, Saarland, Thüringen und Länder Bayern, Hessen – (Drucksache 88/02) Baden-Württemberg, Sachsen – (Drucksache 59/02) Dem Antrag der Länder Bayern und Hessen ist das Saarland beigetreten. b) Entschließung des Bundesrates zum Aufbruch (B) für mehr Beschäftigung und Wachstum – An- (D) Gibt es Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall. trag der Länder Baden-Württemberg, Ham- Der Agrarausschuss empfiehlt in Drucksache burg, Sachsen, Thüringen – (Drucksache 148/ 88/1/02, die Entschließung nach Maßgabe einer Än- 02) derung zu fassen. Wer dieser Empfehlung folgen c) Jahreswirtschaftsbericht 2002 der Bundesre- möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist gierung die Mehrheit. Vor einem neuen Aufschwung – Verlässliche Damit hat der Bundesrat die Entschließung gefasst. Wirtschafts- und Finanzpolitik fortsetzen (Drucksache 90/02) Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 25: d) Jahresgutachten 2001/2002 des Sachverständi- Entschließung des Bundesrates zu europäi- genrates zur Begutachtung der gesamtwirt- schem Handlungsbedarf nach Abschluss der schaftlichen Entwicklung (Drucksache 991/01) Währungsumstellung – Antrag des Landes Baden-Württemberg – (Drucksache 130/02) Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung und beginnen mit Gibt es Wortmeldungen? – Eine Erklärung zu Pro- Punkt 27 a): Entschließung „Deutschland in der Re- tokoll*) gibt Minister Dr. Behrens (Nordrhein-Westfa- zession“. len). Wer ist entsprechend der Empfehlung des Wirt- Die Empfehlungen der Ausschüsse liegen Ihnen in schaftsausschusses in Drucksache 59/1/02 für Annah- Drucksache 130/1/02 vor. Zur Abstimmung rufe ich me der Entschließung? – Das ist eine Minderheit. auf: Ziffer 1! – Minderheit. Der Bundesrat hat die Entschließung n i c h t gefasst. Ziffer 2! – Minderheit. Nun zu Punkt 27 b): Entschließung „Aufbruch für mehr Beschäftigung und Wachstum“. Ziffer 3! – Minderheit. Ziffer 4! – Minderheit. Wer ist entsprechend Ziffer 1 der Ausschussemp- fehlungen in Drucksache 148/1/02 für Annahme der Nun bitte Ihr Handzeichen für Ziffer 5! – Minder- Entschließung? – Das ist eine Minderheit. heit. Der Bundesrat hat die Entschließung n i c h t ge- *) Anlage 20 fasst. 180 Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 Präsident Klaus Wowereit (A) Es folgen die Punkte 27 c) und 27 d): Jahreswirt- Die Empfehlungen der Ausschüsse liegen Ihnen in (C) schaftsbericht und Jahresgutachten. Drucksache 100/1/02 vor. Hierzu liegen Ihnen die Ausschussempfehlungen in Ich rufe zunächst Ziffer 7 auf, zu der Einzelabstim- Drucksache 90/1/02 und ein Antrag der Länder Nord- mung gewünscht wurde. Wer für Ziffer 7 ist, den bitte rhein-Westfalen und Niedersachsen in Drucksache ich um das Handzeichen. – Das ist eine Minderheit. 90/2/02 vor. Wir kommen zu allen übrigen Ziffern für eine Stel- Aus den Ausschussempfehlungen rufe ich die Zif- lungnahme. Wer für diese Ziffern ist, den bitte ich um fern 1 bis 4 gemeinsam auf. Wer hierfür ist, den bitte das Handzeichen. – Das ist die Mehrheit. ich um das Handzeichen. – Das ist eine Minderheit. Damit hat der Bundesrat zu dem Gesetzentwurf ent- Dann zu dem Antrag in Drucksache 90/2/02. Wer ist sprechend Stellung genommen. hierfür? – Das ist eine Minderheit. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 34: Wer ist dann dafür, entsprechend Ziffer 5 der Aus- Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung schussempfehlungen von den Vorlagen Kenntnis zu des Hochschulrahmengesetzes (6. HRGÄndG) nehmen? – Das ist die Mehrheit. (Drucksache 144/02) Es ist so beschlossen. Gibt es dazu Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall. Tagesordnungspunkt 28: Wir kommen zur Abstimmung. Im federführenden Entschließung des Bundesrates zur Liberalisie- Ausschuss für Kulturfragen und im Finanzausschuss rung des Sonderveranstaltungsrechtes (§§ 7, ist eine Empfehlung nicht zu Stande gekommen. Es 8 UWG) – Antrag des Landes Hessen – (Druck- liegen jedoch vier Mehr-Länder-Anträge in den sache 119/02) Drucksachen 144/2 bis 5/02 vor. Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich beginne mit dem Antrag in Drucksache 144/2/02 und bitte um Ihr Handzeichen. – Das ist eine Wir kommen zur Abstimmung. Die Empfehlungen Minderheit. der Ausschüsse sind aus Drucksache 119/1/02 ersicht- lich. Ich rufe auf: Dann frage ich, wer dem Antrag in Drucksache 144/3/02 zustimmt. – Das ist eine Minderheit. Ziffer 1! – Das ist die Mehrheit. Ich komme zu Drucksache 144/4/02. Wer stimmt zu? Ziffer 2! – Das ist eine Minderheit. – Das ist eine Minderheit. Damit hat der Bundesrat die Entschließung, wie so- Dann bitte ich um das Handzeichen zu dem Antrag gefasst. (D) (B) eben beschlossen, in Drucksache 144/5/02. – Das ist eine Minderheit. Tagesordnungspunkt 66: Ich frage, wer gegen den Gesetzentwurf keine Ein- Entschließung des Bundesrates zum Erweite- wendungen zu erheben wünscht. – Das ist eine Min- rungsprozess der Europäischen Union – An- derheit. trag der Länder Sachsen, Niedersachsen gemäß Damit hat der Bundesrat eine Stellungnahme § 36 Abs. 2 GO BR – (Drucksache 209/02) n i c h t beschlossen. Herr Minister Senff (Niedersachsen) und Herr Mi- Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 36: nister Ziel (Brandenburg) für Minister Professor Dr. Schelter geben je eine Erklärung zu Protokoll*). Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung Wortmeldungen liegen nicht vor. des Stiftungsrechts (Drucksache 108/02) Ausschussberatungen haben noch nicht stattgefun- Wortmeldungen liegen nicht vor. den. Die antragstellenden Länder haben beantragt, Zur Abstimmung liegen Ihnen die Empfehlungen bereits heute in der Sache zu entscheiden. Wer dafür der Ausschüsse in Drucksache 108/1/02 sowie ein ist, heute eine Sachentscheidung zu treffen, den bitte Landesantrag in Drucksache 108/2/02 vor. ich um das Handzeichen! – Das ist die Mehrheit. Wer für die Empfehlungen der Ausschüsse in Wir kommen nun zur Abstimmung. Wer dafür ist, Drucksache 108/1/02 ist, den bitte ich um das Hand- die Entschließung in Drucksache 209/02 zu fassen, zeichen. – Das ist die Mehrheit. den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Mehr- heit. Jetzt bitte das Handzeichen für den Antrag Bayerns in Drucksache 108/2/02! – Das ist eine Minderheit. Damit hat der Bundesrat die Entschließung gefasst. Damit hat der Bundesrat zu dem Gesetzentwurf, Tagesordnungspunkt 29: wie soeben beschlossen, Stellung genommen. Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 37: Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet des ökologischen Landbaus (Öko- Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Reform Landbaugesetz – ÖLG) (Drucksache 100/02) des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (Transparenz- und Publizitäts- Wortmeldungen liegen nicht vor. gesetz) (Drucksache 109/02)

*) Anlagen 21 und 22 Wortmeldungen liegen nicht vor. Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 181 Präsident Klaus Wowereit (A) Die Empfehlungen der Ausschüsse ersehen Sie aus Gibt es Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall. (C) Drucksache 109/1/02. Zur Einzelabstimmung rufe ich Zur Abstimmung liegt Ihnen ein Landesantrag in auf: Drucksache 111/1/02 vor. Wer für diesen Landesan- Ziffer 3! – Minderheit. trag ist, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist eine Minderheit. Ziffer 4! – Minderheit. Dann frage ich, wer dafür ist, gegen den Gesetzent- Ziffer 5! – Minderheit. wurf keine Einwendungen zu erheben. – Das ist die Ziffer 9! – Minderheit. Mehrheit. Jetzt bitte das Handzeichen für alle noch nicht erle- Damit ist so beschlossen. digten Ausschussempfehlungen! – Das ist die Mehr- heit. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 44: Der Bundesrat hat zu dem Gesetzentwurf entspre- Ernährungs- und agrarpolitischer Bericht 2002 chend Stellung genommen. der Bundesregierung (Drucksache 115/02) Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 38: Wortmeldungen liegen nicht vor. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Wir kommen zur Abstimmung. Die beteiligten Aus- Pflichtversicherungsgesetzes und anderer ver- schüsse empfehlen dem Bundesrat, von dem Bericht sicherungsrechtlicher Vorschriften (Drucksa- Kenntnis zu nehmen. che 110/02) In Drucksache 115/1/02 liegt Ihnen jedoch ein ge- Wortmeldungen liegen nicht vor. meinsamer Antrag der Länder Bayern und Hessen für eine Stellungnahme vor. Wer für diesen Antrag ist, Die Empfehlungen der Ausschüsse liegen Ihnen in den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist eine Min- Drucksache 110/1/02 (neu) vor. Zur Einzelabstim- derheit. mung rufe ich auf: Dann stelle ich fest, dass der Bundesrat von dem Ziffer 2! – Minderheit. Bericht Kenntnis nimmt. Ziffer 4! – Minderheit. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 47: Jetzt bitte das Handzeichen für alle übrigen Aus- Mitteilung der Kommission der Europäischen schussempfehlungen! – Das ist die Mehrheit. Gemeinschaften an den Rat, das Europäische Damit hat der Bundesrat zu dem Gesetzentwurf ent- Parlament und den Wirtschafts- und Sozialaus- (B) sprechend Stellung genommen. schuss: (D) Ein Binnenmarkt ohne steuerliche Hindernisse Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 40: (Strategie zur Schaffung einer konsolidierten Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage für der Gewerbeordnung und sonstiger gewerbe- die grenzüberschreitende Unternehmenstätig- rechtlicher Vorschriften (Drucksache 112/02, keit in der Europäischen Union) (Drucksache zu Drucksache 112/02) 971/01) Wortmeldungen liegen nicht vor. Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wir kommen zur Abstimmung. Dazu liegen Ihnen Die Empfehlungen der Ausschüsse liegen Ihnen in die Empfehlungen der Ausschüsse in Drucksache Drucksache 971/1/01 vor. 112/1/02 vor. Zur Einzelabstimmung rufe ich auf: Ziffer 6! – Minderheit. Zur Einzelabstimmung rufe ich den letzten Satz der Ziffer 8 auf. – Das ist die Mehrheit. Ziffer 8! – Minderheit. Jetzt bitte Ihr Handzeichen für alle noch nicht erle- Nun bitte Ihr Handzeichen zu allen noch nicht erle- digten Ausschussempfehlungen! – Das ist die Mehr- digten Ziffern! – Das ist die Mehrheit. heit. Damit hat der Bundesrat zu dem Gesetzentwurf ent- Der Bundesrat hat entsprechend beschlossen. sprechend Stellung genommen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 48: Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 43: Vorschlag für einen Beschluss des Rates über Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom Regeln für die Beteiligung von Unternehmen, 18. Oktober 2001 zwischen der Bundesrepublik Forschungszentren und Hochschulen zur Durch- Deutschland und der Schweizerischen Eid- führung des Rahmenprogramms der Europäi- genossenschaft über die Durchführung der Flug- schen Atomgemeinschaft (Euratom) (2002 – 2006) verkehrskontrolle durch die Schweizerische (Drucksache 14/02) Eidgenossenschaft über deutschem Hoheitsge- biet und über Auswirkungen des Betriebes des Wortmeldungen liegen nicht vor. Flughafens Zürich auf das Hoheitsgebiet der Die Empfehlungen der Ausschüsse ersehen Sie aus Bundesrepublik Deutschland (Gesetz zu dem Drucksache 14/1/02. Bitte Ihr Handzeichen für: deutsch-schweizerischen Vertrag vom 18. Okto- ber 2001) (Drucksache 111/02) Ziffer 1! – Das ist eine Minderheit. 182 Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 Präsident Klaus Wowereit (A) Jetzt noch Ihr Handzeichen für die Ziffern 2 und 3 Zur Abstimmung liegen Ihnen die Ausschussemp- (C) gemeinsam! – Das ist eine Minderheit. fehlungen in Drucksache 1084/1/01 sowie Landesan- träge in Drucksachen 1084/2 und 3/01 vor. Der Bundesrat hat von der Vorlage Kenntnis ge- nommen. Zur Einzelabstimmung rufe ich auf: Tagesordnungspunkt 49: Ziffer 1! – Minderheit. Mitteilung der Kommission der Europäischen Ziffer 3! – Minderheit. Gemeinschaften: Ziffer 4! – Minderheit. Einen europäischen Raum des lebenslangen Lernens schaffen (Drucksache 1116/01) Ziffer 5! – Minderheit. Gibt es dazu Wortmeldungen? – Das ist nicht der Ziffer 6! – Minderheit. Fall. Ziffer 7! – Minderheit. Die Empfehlungen der Ausschüsse ersehen Sie aus Ziffer 11! – Minderheit. Drucksache 1116/1/01. Zur Abstimmung rufe ich auf: Ziffer 12! – Minderheit. Ziffern 11 und 12 gemeinsam! – Das ist eine Min- derheit. Damit entfällt der Antrag Schleswig-Holsteins in Drucksache 1084/2/01. Jetzt bitte noch Ihr Handzeichen für alle übrigen Ziffern der Ausschussempfehlungen! – Das ist die Wir kommen zu Ziffer 15. – Minderheit. Mehrheit. Ziffer 16! – Minderheit. Der Bundesrat hat entsprechend Stellung genom- Ziffer 17! – Minderheit. men. Ziffer 18! – Minderheit. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 56: Ziffer 20! – Minderheit. Zweite Verordnung zur Änderung der Verord- nung über die Jagdzeiten (Drucksache 25/02) Ziffer 21! – Minderheit. Gibt es Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall. Ziffer 23! – Minderheit. Zur Abstimmung liegen Ihnen die Empfehlungen Ziffer 24! – Minderheit. der Ausschüsse in Drucksache 25/1/02 vor. Ich rufe auf: Ziffer 25! – Minderheit. (B) (D) Ziffer 1! – Minderheit. Ziffer 27! – Minderheit. Ziffer 2! – Minderheit. Ziffer 28! – Minderheit. Ziffer 3! – Minderheit. Ziffer 29! – Minderheit. Ziffer 4! – Minderheit. Ziffer 30! – Minderheit. Ziffer 5! – Minderheit. Ziffer 31! – Minderheit. Ziffer 6! – Minderheit. Damit entfällt der Antrag Schleswig-Holsteins in Drucksache 1084/3/01. Dann frage ich, ob der Verordnung unverändert zu- gestimmt werden soll. – Das ist die Mehrheit. Ziffer 32! – Minderheit. Damit hat der Bundesrat der Verordnung zuge- Ziffer 37! – Minderheit. stimmt. Ziffer 39! – Minderheit. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 57: Nun bitte das Handzeichen zu allen noch nicht erle- Verordnung über die Entsorgung von gewerb- digten Änderungsempfehlungen der Ausschüsse! – lichen Siedlungsabfällen und von bestimmten Das ist die Mehrheit. Bau- und Abbruchabfällen (Gewerbeabfallver- Wir kommen zur Schlussabstimmung. Wer der Ver- ordnung – GewAbfV) (Drucksache 1084/01) ordnung nach Maßgabe der vorangegangenen Ab- Niedersachsen beantragt die Vertagung des Tages- stimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ordnungspunktes. das Handzeichen. – Das ist eine Minderheit. (Wolfgang Senff [Niedersachsen]: Ich gebe Damit hat der Bundesrat der Verordnung nicht zu- meine Begründung zu Protokoll!) gestimmt. – Die Begründung wird zu Protokoll*) gegeben. (Dr. Fritz Behrens [Nordrhein-Westfalen]: Wir bitten, die Schlussabstimmung zu Wer folgt dem Antrag auf Vertagung? – Das ist eine Punkt 57 – Zustimmung zur Verordnung – Minderheit. zu wiederholen!) – Wir kommen zur Schlussabstimmung. Wer der Ver- *) Anlage 23 ordnung nach Maßgabe der vorangegangenen Ab- Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 183 Präsident Klaus Wowereit (A) stimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um Wir sind übereingekommen, ohne Ausschussbe- (C) das Handzeichen. – Es bleibt dabei: Das ist eine Min- ratung in der Sache zu entscheiden. derheit. Wer stimmt dem Antrag zu? – Das ist die Mehrheit. Damit hat der Bundesrat der Verordnung n i c h t Damit ist die Benennung antragsgemäß beschlos- zugestimmt. sen. Es bleibt abzustimmen über die unter Ziffer 41 der Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 69: Ausschussempfehlungen enthaltene Entschließung. Bitte Handzeichen zu Ziffer 41! – Das ist eine Minder- Entschließung des Bundesrates zur Ausschöp- heit. fung des rechtlichen Entscheidungsspielraums im Pflanzenschutzrecht durch die Bundes- Damit hat der Bundesrat k e i n e Entschließung ge- regierung – Antrag des Freistaates Bayern ge- fasst. mäß § 36 Abs. 2 GO BR – (Drucksache 242/02) Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 59: Dem Antrag des Freistaates Bayern ist das Land Erste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Baden-Württemberg beigetreten. Bundes-Immissionsschutzgesetz (Technische Gibt es Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall. Anleitung zur Reinhaltung der Luft – TA Luft) (Drucksache 1058/01) Ausschussberatungen haben zu der Vorlage nicht stattgefunden. Es ist beantragt worden, bereits heute Wortmeldungen liegen nicht vor. in der Sache zu entscheiden. Wer für sofortige Zur Abstimmung liegen Ihnen die Ausschussemp- Sachentscheidung ist, den bitte ich um das Handzei- fehlungen in Drucksache 1058/1/01 und Landesan- chen. – Das ist eine Minderheit. träge in Drucksachen 1058/2 (neu) und 3/01 vor. Damit entscheiden wir heute nicht in der Sache. (Dr. Fritz Behrens [Nordrhein-Westfalen]: Ich weise die Vorlage den Ausschüssen zu, und Nordrhein-Westfalen beantragt Vertagung zwar dem Agrarausschuss – federführend – sowie dieses Punktes!) dem Gesundheitsausschuss und dem Ausschuss für Wer ist für die Vertagung? – Das ist die Mehrheit. Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit – mitbe- ratend. Damit ist der Tagesordnungspunkt vertagt. Damit haben wir die Tagesordnung der heutigen Tagesordnungspunkt 67: Sitzung abgewickelt. (B) Benennung eines stellvertretenden Mitglieds Die nächste Sitzung des Bundesrates berufe ich ein (D) des Beirates bei der Regulierungsbehörde für auf Freitag, den 26. April 2002, 9.30 Uhr. Telekommunikation und Post – Antrag des Bevor ich die Sitzung schließe, möchte ich Ihnen ein Landes Berlin gemäß § 36 Abs. 2 GO BR – erholsames Osterfest wünschen. (Drucksache 233/02) Die Sitzung ist geschlossen. Gibt es dazu Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall. (Schluss: 16.36 Uhr) 184 Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002

(A) (C)

Beschlüsse im vereinfachten Verfahren (§ 35 GO BR)

Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an das Europäische Parlament und den Rat über die Zweckmäßigkeit der Fort- führung des gemeinschaftlichen Aktionsprogramms zur Verbesserung der Systeme der indirekten Besteuerung im Binnenmarkt

Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein gemeinschaftliches Aktionsprogramm zur Verbesserung der Funktionsweise der Steuersysteme im Binnenmarkt (Fiscalis 2007)

(Drucksache 122/02)

Ausschusszuweisung: EU – Fz

Beschluss: Kenntnisnahme

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Sicherheit von Luftfahrzeugen aus Drittländern, die Flug- häfen in der Gemeinschaft anfliegen

(Drucksache 121/02)

Ausschusszuweisung: EU – In – Vk

Beschluss: Kenntnisnahme

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 91/440/EWG des Rates zur Entwick- lung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft

(Drucksache 138/02)

Ausschusszuweisung: EU – Vk

Beschluss: Kenntnisnahme

(B) (D)

Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an das Europäische Parlament und den Rat über die Opportunität einer Verlän- gerung des Aktionsprogramms für das Zollwesen in der Gemeinschaft (Zoll 2007)

Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Annahme eines Aktionsprogramms für das Zollwesen in der Gemeinschaft (Zoll 2007)

(Drucksache 139/02)

Ausschusszuweisung: EU – Wi

Beschluss: Kenntnisnahme

Feststellung gemäß § 34 GO BR Einspruch gegen den Bericht über die 773. Sitzung ist nicht eingelegt worden. Damit gilt der Bericht gemäß § 34 GO BR als genehmigt. Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 185*

(A) Anlage 1 Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sah vor, ab (C) dem Jahr 2002 mit einer Modulation von 6 % zu be- Erklärung ginnen. Der Bundesrat hat bereits in seiner Stellung- nahme im ersten Durchgang mehrere Änderungen an von Staatsminister Herbert Mertin dem Entwurf der Bundesregierung gefordert. Der (Rheinland-Pfalz) Bundestag hat das Gesetz am 14. Dezember 2001 je- zu Punkt 8 der Tagesordnung doch ohne die geforderten Änderungen beschlossen. Daraufhin hat der Bundesrat am 1. Februar 2002 Die Landesregierung Rheinland-Pfalz erwartet, dass den Vermittlungsausschuss aus folgenden Gründen die Bundesregierung spätestens nach zwei Jahren angerufen, die er schon im ersten Durchgang geltend überprüft, ob die Regelung des § 8 Abs. 3 Aufenthalts- gemacht hatte: gesetz ausreicht, um das Regelungsziel einer verbes- serten Integration von Ausländern zu erreichen. Erstens. Die so genannten kleinen Beihilfen für Tabak, Hopfen, Saatgut und Kartoffelstärke sollen Nach ihrem derzeitigen Wortlaut ermöglicht es die wegen des ungerechtfertigt hohen Verwaltungsauf- Vorschrift der Ausländerbehörde, nur dann auf die ver- wands von der Modulation ausgenommen werden. weigerte Teilnahme an den Integrationskursen trotz bestehender Teilnahmepflicht zu reagieren, wenn sie Zweitens. Der Bund soll die finanziellen Folgen von im Wege des Ermessens über die Verlängerung der EU-Anlastungen allein tragen. Aufenthaltserlaubnis der teilnahmepflichtigen Auslän- Drittens. Die Finanzierung der Agrarumweltmaß- der zu entscheiden hat. Somit besteht keine gesetzliche nahmen und der Ausgleichszulage nach der Gemein- Grundlage für aufenthaltsrechtliche Sanktionen, wenn schaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und Ausländer ihren Integrationspflichten nach § 45 Abs. 1 des Küstenschutzes“ soll zu 80 % vom Bund und nur in Verbindung mit § 44 Abs. 1 AufenthG nicht nach- zu 20 % von den Ländern erbracht werden. Dieser kommen, aber Anspruch auf einen Aufenthaltstitel Anrufungsgrund geht übrigens auf einen rheinland- haben. Dies trifft auf die Fälle des § 44 Abs. 1 Nr. 2 pfälzischen Antrag zurück. und 3 AufenthG zu, in denen die Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Ehegatten- bzw. Familiennachzugs Am 20. März 2002 hat sich der Vermittlungsaus- (§§ 28, 29, 30 und 32 AufenthG) oder aus humanitären schuss mit dem Modulationsgesetz befasst. Die Eini- Gründen (§ 25 Abs. 1 und 2 AufenthG) zu erteilen oder gungsempfehlung des Ausschusses übernimmt den zu verlängern ist. Für diese große Gruppe von Auslän- Vorschlag der Länder für die so genannten kleinen Bei- dern bliebe die unrechtmäßige Teilnahmeverweige- hilfen und greift die 80:20-Regelung insofern auf, als rung aufenthaltsrechtlich folgenlos. der Bund 80 % der nationalen Kofinanzierung trägt, so- (B) Sollte die gesetzliche Pflicht zur Teilnahme an Inte- weit sie mit Modulationsmitteln finanziert wird. (D) grationskursen wegen fehlender Sanktionsmöglich- Mit dem vorliegenden Gesetz wird die Modulation keiten in der Praxis nur unzureichend erfüllt werden, ab dem Jahr 2003 in Deutschland eingeführt. Das Ge- wäre ein wichtiges Regelungsziel des Aufenthaltsge- setz sieht eine Kürzung der Direkthilfen um 2 % vor. setzes nicht hinreichend zu realisieren. Für diesen Fall hält die Landesregierung Rheinland-Pfalz eine Außerdem hat die Bundesregierung zugesagt, die Änderung des Aufenthaltsgesetzes für erforderlich. in dem niedersächsischen Entschließungsantrag vor- liegende Auffassung der Länder zur Weiterentwick- lung der Kofinanzierung und der Modulation zustim- mend zur Kenntnis zu nehmen. Der Bundestag hat in seiner heutigen Sitzung den Anlage 2 Einigungsvorschlag des Vermittlungsausschusses an- genommen. Als Berichterstatter empfehle ich Ihnen, Bericht dem Vermittlungsergebnis ebenfalls zuzustimmen und den niedersächsischen Entschließungsantrag zu von Minister Wolfgang Gerhards beschließen. (Sachsen-Anhalt) zu Punkt 70 der Tagesordnung

Für Herrn Staatsminister Gernot Mittler (Rheinland- Pfalz) gebe ich folgenden Bericht zu Protokoll: Anlage 3 Nach der Agenda 2000 ist es den Mitgliedstaaten möglich, bis zu 20 % der den Landwirten zufließenden Bericht Tier- und Flächenprämien einzubehalten und diese Mittel in der „zweiten Säule“ der Gemeinsamen von Minister Wolfgang Gerhards Agrarpolitik (Förderung des ländlichen Raums) wieder (Sachsen-Anhalt) zu verwenden (Modulation). Sie dürfen nur für neue zu Punkt 71 der Tagesordnung Begünstigte oder neue Maßnahmen in vier Bereichen – Ausgleichszulage, Agrarumweltmaßnah- Der Vermittlungsausschuss des Deutschen Bundes- men, Vorruhestandsregelung, Erstaufforstung – einge- tages und des Bundesrates hat einen Einigungsvor- setzt werden. Die einbehaltenen EU-Mittel müssen bei schlag zu nachfolgenden Anrufungsgründen des Be- Wiederverwendung national gegenfinanziert werden. schlusses des Bundesrates vom 1. Februar 2001 186* Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002

(A) (BR-Drucksache 8/02 vom 5. Februar 2002) beschlos- Mautsystems Einrichtungen für den Betrieb des (C) sen, den der Deutsche Bundestag in seiner heutigen Mauterhebungssystems und für die Feststellung von Sitzung angenommen hat: mautpflichtigen Benutzungen von Bundesautobah- nen im Einvernehmen – bisher lediglich Benehmen – Anrufungsgrund 1: Schaffung der Möglichkeit, die mit den zuständigen Straßenbaubehörden der Länder Maut nach Benutzungszeiten, Streckenabschnitten zu errichten hat. Darüber hinaus wird eine Regelung und Regionen zu differenzieren vorgeschlagen, wonach der Betreiber die erforderli- Der Einigungsvorschlag sieht vor, dass die Bundes- chen Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen regierung in einer Rechtsverordnung eine Differen- zur Mauterhebung zu besorgen und rechtzeitig die zierung der Höhe der Maut pro Kilometer auch nach erforderlichen Anordnungen der Aufsicht führenden Ort und Zeit der Benutzung der Bundesautobahnen Straßenverkehrsbehörde einzuholen hat. vornehmen kann. Anrufungsgrund 9: Änderung des Bundesfern- Anrufungsgrund 2: Festschreibung der Zweckbin- straßengesetzes dung der Mauteinnahmen für die Verkehrsinfrastruk- Der Vermittlungsausschuss schlägt vor, dem Anlie- tur gen des Bundesrates zu entsprechen und aus syste- Der Vermittlungsausschuss schlägt eine Regelung matischen Gründen die Regelung, wonach Einrich- im Gesetz vor, wonach das Mautaufkommen zum tungen zur Erhebung von Maut und zur Kontrolle der überwiegenden Teil zweckgebunden für die Verbes- Einhaltung der Mautpflicht zu den Bundesfernstraßen serung der Verkehrsinfrastruktur verwendet wird. gehören, nicht im ABMG vorzusehen, sondern in den Katalog der Straßenbestandteile des § 1 Abs. 4 FStrG Anrufungsgrund 3: Harmonisierung der Wettbe- aufzunehmen. werbsbedingungen Die übrigen Anrufungsgründe, nämlich 4 – Eröff- Es wird eine Ergänzung des Gesetzes vorgeschla- nung der Möglichkeit, Autobahnabschnitte von der gen, wonach die Bundesregierung ermächtigt wird, Mautpflicht auszunehmen – und 7 – Befreiung des bei der Festlegung der Maut pro Kilometer sonstige kombinierten Verkehrs und des Seehafenhinterland- geleistete verkehrsspezifische Abgaben des deut- verkehrs – sind im Vermittlungsausschuss nicht auf- schen Straßentransportgewerbes zu berücksichtigen, gegriffen worden. soweit dies zur Harmonisierung der Wettbewerbsbe- dingungen im europäischen Güterkraftverkehr erfor- Als Berichterstatter schlage ich Ihnen vor, dem Ver- derlich ist. mittlungsergebnis zuzustimmen. Anrufungsgrund 5: Befreiung aller Fahrzeuge des (B) Straßenbetriebsdienstes (D) Der Vermittlungsausschuss schlägt vor, dem Anlie- gen des Bundesrates zu entsprechen und im Gesetz Anlage 4 eine Regelung vorzusehen, nach der alle Fahrzeuge – nicht nur jene von Gebietskörperschaften – von der Erklärung Mautpflicht befreit sind, wenn sie ausschließlich im Straßenunterhaltungs- und Straßenbetriebsdienst, von Staatsminister Herbert Mertin einschließlich Straßenreinigung und Winterdienst, (Rheinland-Pfalz) eingesetzt werden. zu Punkt 71 der Tagesordnung Anrufungsgrund 6: Beschränkung der Maut auf Für Herrn Staatsminister Gernot Mittler gebe ich Fahrzeuge, die ausschließlich für den Güterkraftver- folgende Erklärung zu Protokoll: kehr bestimmt sind Die Einführung von streckenabhängigen Gebühren Es wird dem Anliegen des Bundesrates entsprochen für die Benutzung von Bundesautobahnen mit und eine Regelung im Gesetz vorgeschlagen, die die schweren Nutzfahrzeugen führt zu zusätzlichen Ab- Mautpflicht auf Fahrzeuge und Fahrzeugkombinatio- gabenbelastungen des Straßengütertransportgewer- nen beschränkt, die ausschließlich für den Güterkraft- bes. Die Bruttobelastung beträgt etwa 3,4 Milliarden verkehr bestimmt sind. Euro. Nach Wegfall der Euro-Vignette in Höhe von Anrufungsgrund 8: Einstufung des Mautvorhabens rund 410 Millionen Euro und unter Einbezug der be- absichtigten Erstattung von Anteilen der Maut in als Auftragsverwaltung Höhe von rund 300 Millionen Euro verbleibt eine Zu- Im Vermittlungsausschuss besteht Einvernehmen, satzbelastung von rund 2,7 Milliarden Euro, wovon dass die Errichtung und der Betrieb des Mautsystems rund 1,9 Milliarden Euro auf das deutsche Straßen- in die Zuständigkeit des Bundes fällt. Belange der transportgewerbe entfallen. Auftrags- und damit Landesverwaltung sind danach Unter den gegenwärtigen Marktverhältnissen beim nur berührt, soweit Kontrolleinrichtungen an der Straßengütertransport ist nicht sichergestellt, dass Autobahnstrecke errichtet werden müssen. diese Zusatzkosten in Form höherer Transportpreise Der Vermittlungsausschuss schlägt deshalb vor, an die Verlader weitergegeben werden können oder dass dem Anrufungsbegehren des Bundesrates nur sich durch Effizienzsteigerungen innerhalb der Unter- insoweit entsprochen werden soll, als im Gesetz eine nehmen kompensieren lassen. Daher ist es geboten, Regelung vorgesehen wird, wonach der Betreiber des die Marktentwicklungen zu verfolgen und nach der Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 187*

(A) Einführungsphase der Gebühr eingehend zu analy- Meine Meinung hierzu ist klar: Natürlich brauchen (C) sieren. wir eine Zweckbindung, aber eben nicht nur für die Straße. Wir werden in der Verkehrspolitik nur erfolg- Das Land Rheinland-Pfalz ist sich seiner Verantwor- reich sein, wenn wir alle Verkehrsträger an unseren tung für den Fortbestand der deutschen Transport- Finanzierungsquellen beteiligen. Eigentlich ist auch unternehmen und die Sicherung der Arbeitsplätze in das jedem klar. Übrigens war die Zweckbindung diesem Wirtschaftszweig bewusst. immer unstrittig. Sie war von vornherein ein wichti- Die Bundesregierung wird daher gebeten, ein Jahr ges, wenn nicht das wichtigste Argument für die nach Beginn der Gebührenerhebung die Auswirkun- Maut. gen auf das deutsche Straßengütertransportgewerbe Nun zur Frage des Harmonisierungsbeitrags für das zu ermitteln und danach weitere Entlastungsschritte zu prüfen. Gewerbe: Er ist notwendig. Damit darf man das Ziel der Maut nicht unterlaufen; sonst haben wir finanz- Im Übrigen wird die Bundesregierung aufgefordert, politisch und verkehrspolitisch ein Nullsummenspiel. die Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen Die Wegekosten fallen nun einmal an. Sie müssen ge- beim Straßengütertransport auf europäischer Ebene tragen werden, und zwar von denen, die sie verur- mit Nachdruck weiterzuverfolgen. sachen. Wir wollen jetzt gesetzlich festschreiben, dass wir bei der konkreten Festlegung der Mauthöhe sonstige verkehrsspezifische Abgaben mitberücksichtigen, so- Anlage 5 weit das zur Harmonisierung der Wettbewerbsbedin- gungen im europäischen Güterverkehr erforderlich Erklärung ist. Die Bundesregierung hat von Anfang an deutlich gemacht, dass wir mit der Festlegung der Maut auch von Bundesminister Kurt Bodewig einen Harmonisierungsschritt verbinden wollen. (BMVBW) Dazu stehen wir. zu Punkt 71 der Tagesordnung Lassen Sie mich an dieser Stelle allen danken, die am Vermittlungsverfahren konstruktiv mitgewirkt Die Bedeutung der heutigen Entscheidung ist uns haben. Mit der Maut setzen wir einen wirtschaftspoli- allen bewusst. Alle Argumente sind ausgetauscht. tischen und technischen Meilenstein, der weit über Eines möchte ich hier aber in aller Deutlichkeit das Tagesgeschehen hinaus in die Zukunft weist. sagen: Die Einführung der Lkw-Maut ist mit der Fi- Über lange Jahre sind Versuche unternommen wor- (B) (D) nanzierung von notwendigen Investitionen in die In- den, zu einer Maut zu kommen. Heute können wir sie frastruktur in Deutschland aufs Engste verbunden. realisieren. Die Bundesregierung hat trotz Haushaltskonsolidie- rung die Infrastrukturinvestitionen gesteigert. Wir haben heute für Verkehrswege einen Haushalt in Re- kordhöhe. Anlage 6 Das soll auch künftig der Fall sein. Deshalb werden wir – so haben wir im Kabinett beschlossen – noch vor Erklärung Ende dieses Jahrzehnts mit einem „Zukunftspro- gramm Mobilität“ 90 Milliarden Euro in die Verkehrs- von Bundesminister Walter Riester infrastruktur investieren. Diese Investitionen sind not- (BMA) wendig – nicht nur für Deutschland selbst, sondern zu Punkt 3 der Tagesordnung auch mit Blick auf das Zusammenwachsen Europas. Die Lkw-Maut ist ein wichtiger Baustein des Die Forderungen nach Deregulierung und Moderni- Zukunftsprogramms. sierung gesetzlicher – insbesondere arbeitsrechtlicher – Sie, die Ländervertreter, wissen mit am besten, wel- Regelungen sind weit verbreitet und oft überzogen, che Maßnahmen mit der Maut möglich werden oder manchmal aber auch berechtigt. Wenn wir erkennen, – andersherum – welche Maßnahmen nicht kommen, dass bestehende Strukturen zu kompliziert und wenn Sie heute mit Nein stimmen. schwerfällig sind, müssen wir sie durch neue, ziel- führende Organisationseinheiten und Arbeitsabläufe Dieser Bedeutung der Lkw-Maut sind wir uns alle ersetzen. Dies geschieht durch das vorliegende Gesetz. auch bewusst. Es besteht ein hohes Maß an Überein- stimmung. Das gilt für die Bundesländer, für die Bun- Mit der Vereinfachung des Verfahrens zur Wahl der desregierung sowie für Wirtschaft und Gewerbe. Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat greifen wir gezielt die Bedürfnisse der Praxis auf. Diese kriti- Deshalb sind wir im Vermittlungsverfahren weit ge- siert das bisherige Wahlverfahren seit vielen Jahren kommen, auch wenn es letztlich nicht für ein so ge- als zu kompliziert, kostenträchtig und langwierig. Das nanntes echtes Ergebnis gereicht hat – was ich be- Gesetz zur Vereinfachung der Wahl der Arbeitneh- dauere. mervertreter in den Aufsichtsrat setzt an diesen Zwei Punkte haben uns zuletzt noch beschäftigt: die Kritikpunkten an und bildet die rechtliche Grundlage Zweckbindung und die Harmonisierungsfrage. für die notwendige Anpassung der Wahlordnungen. 188* Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002

(A) Durch die Verkleinerung der Delegiertenanzahl Die aufgedeckten Mängel haben gezeigt, dass Verant- (C) erreichen wir eine beträchtliche Kostenentlastung wortlichkeiten in der BA bisher nicht immer der Unternehmen. Der organisatorische Aufwand, der eindeutig zugewiesen waren. Wir wollen die Bundes- insbesondere mit einer Delegiertenversammlung ver- anstalt zu einem modernen Dienstleister mit privat- bunden ist, wird erheblich reduziert. wirtschaftlichen Führungsstrukturen entwickeln. Des- Die Ermittlung der Kandidaten der leitenden Ange- halb wird zunächst die Leitung der Bundesanstalt für stellten für den Aufsichtsrat in nunmehr nur noch Arbeit völlig umstrukturiert. Sie erhält einen dreiköp- einer Abstimmung gestaltet das Wahlverfahren nicht figen Vorstand, der jeweils nur auf vertraglicher Basis nur einfacher, es wird auch zeitlich gestrafft. und auf Zeit in der Verantwortung bleiben wird. Das dient der Rückgewinnung von Handlungsfähigkeit. Den Bedürfnissen der Unternehmen nach mehr Fle- xibilität bei der Durchführung des Wahlverfahrens Wie Sie wissen, wird Florian Gerster, der bisherige tragen wir dadurch Rechnung, dass Vorbereitung und Sozialminister in Rheinland-Pfalz, der neue Vorsitzen- Ablauf der Wahl zukünftig auch unter Nutzung mo- de des Vorstandes der Bundesanstalt für Arbeit. derner Informations- und Kommunikationstechnik er- Außerdem werden wir den Verwaltungsrat deutlich folgen können. verschlanken. Er wird künftig nur noch aus 21 Perso- Die vorgesehenen Maßnahmen greifen die Vor- nen bestehen. Seine Wirkungsweise und Kompetenz schläge einer überwiegend aus Praktikern bestehen- werden dem Aufsichtsrat nach dem Aktienrecht weit- den Expertengruppe auf, die vom Bundesministerium gehend angeglichen. Zugleich erhält dieses Gremi- für Arbeit und Sozialordnung eingesetzt wurde, um um, in dem die Sozialpartner wie bisher gleichberech- sich mit den verschiedenen Möglichkeiten auseinan- tigt vertreten sind, deutlich mehr Kompetenzen und der zu setzen, das Wahlverfahren zu verkürzen, zu Zuständigkeiten. Es hat die Aufgabe, den Vorstand zu vereinfachen und kostengünstiger zu gestalten. Ent- kontrollieren. sprechend positiv sind die Vereinfachungsmaßnah- Damit schaffen wir moderne Dienstleistungsstruk- men sowohl bei den Verbänden als auch in der Praxis turen an der Spitze der Bundesanstalt für Arbeit. aufgenommen worden. Wir werden diesen Reformprozess fortsetzen. Die In vielen Unternehmen sind in diesem und im nächs- Hartz-Kommission, die heute zum zweiten Mal zu- ten Jahr die Aufsichtsratswahlen durchzuführen. Mit sammentritt, erarbeitet weitere Konzepte für die Mo- dem Gesetz zur Vereinfachung der Wahl der Arbeit- dernisierung von Struktur und Aufgaben der Arbeits- nehmervertreter in den Aufsichtsrat eröffnen wir die- verwaltung. Sie wird ihre Vorschläge bereits im sen Unternehmen ein modernes, zeitlich gestrafftes August dieses Jahres vorlegen. und nicht zuletzt kostengünstigeres Wahlverfahren. Ich komme auf den Kern der Reform, die wir zügig (B) Der Bericht des Bundesrechnungshofes, der das (D) fortsetzen, zu sprechen. Die Arbeitsmarktpolitik der Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung am 16. Januar erreicht hat, hat Defizite in der täglichen Bundesregierung orientiert sich am Grundsatz „for- Vermittlungspraxis der Arbeitsämter zu Tage ge- dern und fördern“. Dies erfordert intensives Eingehen bracht, die in diesem Ausmaß zuvor nicht bekannt auf die individuellen Potenziale und Probleme der Ar- waren. Der Bericht hat die Dringlichkeit einer Reform beitsuchenden und die konkreten Bedürfnisse der der Bundesanstalt für Arbeit bewiesen. Mit den hier Unternehmen. Bereits durch das Job-AQTIV-Gesetz unter Artikel 3 des Gesetzentwurfs vorliegenden Än- wurde die Arbeitsvermittlung deutlich präventiver derungen für das III. Sozialgesetzbuch will die Bun- und flexibler gestaltet. desregierung gut durchdachte und rasch ausgearbei- Der bei der Bundesanstalt festgestellte Reformbe- tete Regelungen auf den Weg bringen, die einen darf bietet die zusätzliche Chance, schnell grundle- wichtigen und ersten Schritt zur Reform der Bundes- gende Änderungen durchzuführen und aus institutio- anstalt für Arbeit leisten sowie den Wettbewerb bei nell bedingten Fehlsteuerungen die notwendigen der Vermittlung von Arbeitslosen in den ersten Ar- Konsequenzen zu ziehen. Die Vermittlung ist das beitsmarkt stärken. günstigste und am schnellsten wirksame Instrument Es geht darum, kunden- und wettbewerbsorientier- der Arbeitsmarktpolitik; sie ist die Kernkompetenz te Dienstleistungen auf dem Arbeitsmarkt durchzu- der Bundesanstalt. Diese Kernkompetenz wollen wir setzen und notwendige und sinnvolle Strukturverän- mit dem vorliegenden Gesetz stärken und verbessern. derungen bei der Nürnberger Bundesanstalt in Dazu gehört, dass wir die Bundesanstalt im Vermitt- Angriff zu nehmen. Die hier vorliegenden Sofortmaß- lungssegment stärker dem Wettbewerb aussetzen. nahmen sollen Hürden und Barrieren, die letztlich Deswegen haben wir mit dem Gesetz die Bedingun- dazu geführt haben, dass Menschen länger als not- gen für die private Vermittlung deutlich verbessert. wendig zur Arbeitslosigkeit verurteilt waren, beseiti- Alle bürokratischen Hemmnisse für die Zulassung zur gen helfen. Bitte helfen Sie mit, dass wir diese Neue- privaten Vermittlung werden damit aufgehoben. Es rungen auf den Weg bringen können, die für die gibt keinen Erlaubnisvorbehalt mehr. Wir werden Menschen auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland zu gleichzeitig dafür sorgen, dass es zu einer Verbands- neuen Chancen und Möglichkeiten führen. zertifizierung und zu einem Gütesiegel für private Ich möchte die Kernpunkte der Sofortmaßnahmen Vermittler kommt. erläutern. Außerdem sollen private Vermittler künftig auch Effektivität und Wettbewerb sollen, wie in der Wirt- von Arbeitnehmern Honorare nehmen können. Ge- schaft, Leitlinie bei der Bundesanstalt für Arbeit sein. genwärtig können sie das nur von den Arbeitgebern. Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 189*

(A) Ich will ausdrücklich darauf hinweisen, dass die Die ersten Schritte zur Reform der Bundesanstalt (C) Chance auf zusätzliche Vermittlung damit deutlich er- für Arbeit, die von der Bundesregierung vorgeschla- höht wird. Künftig ist es für Arbeitnehmer möglich gen und in das vorliegende Gesetz eingearbeitet bzw. und selbstverständlich, nicht nur die Vermittlungsan- diesem angefügt worden sind, sind richtig. Vor allem gebote der Bundesanstalt für Arbeit wahrzunehmen, aber sind sie dringend notwendig. Die Lage auf dem sondern auch Private in Anspruch zu nehmen. Arbeitsmarkt, die Probleme bei der Vermittlung vieler Damit eine solche Auswahl nicht am finanziellen Arbeitsuchender trotz bestehender Bedarfe sowohl an Spielraum des Arbeitsuchenden scheitert, setzen wir Fachkräften im produzierenden Gewerbe als auch für für die Honorare eine Höchstgrenze an. Sie beträgt den Dienstleistungsbereich zwingen uns zu raschem 2 500 Euro. Für Arbeitslose in den ersten drei Monaten Handeln. soll die Vermittlungsgebühr 1 500 Euro nicht über- Es besteht Einvernehmen darüber, dass die Arbeits- schreiten. verwaltung – wie die Arbeitsmarktpolitik insgesamt – Außerdem führen wir Vermittlungsgutscheine ein, reformiert werden muss. Die durch den Prüfbericht die alle Bezugsberechtigten für Arbeitslosengeld oder des Bundesrechnungshofes zu Tage getretenen Unge- -hilfe nach drei Monaten Arbeitslosigkeit von der Bun- reimtheiten in der Arbeitsverwaltung – und es geht desanstalt für Arbeit bekommen können. Sie sind mit nicht nur um Statistik, sondern im Kern auch um die folgender Staffelung verbunden: Im ersten halben Jahr Organisation und Schwerpunktsetzung der Anstalt – der Arbeitslosigkeit belaufen sie sich auf 1 500 Euro, haben eine schnelle, durchgreifende Reaktion der Po- vom sechsten bis zum neunten Monat auf 2 000 Euro litik notwendig gemacht. und ab dem neunten Monat auf 2 500 Euro. Was wir heute zu beschließen haben, betrifft zwei Die Bundesregierung bringt mit dem Gesetz viele wesentliche Punkte. wichtige Innovationen auf den Weg. Alle, die ein ech- Erstens. Die Bundesanstalt für Arbeit bekommt einen tes Interesse daran haben, dass die Arbeitslosigkeit schlagkräftigen dreiköpfigen Vorstand. Zugleich wird schwindet, sollten dafür sorgen, dass das Gesetz be- der Verwaltungsrat als Kontrollgremium deutlich ver- schlossen wird. schlankt, seine Befugnisse werden gestärkt. Viele Länder haben in Ergänzung zu den bundes- Zweitens. Für die Arbeitsvermittlung werden fast staatlichen Regelungen eigene Programme zur Inte- uneingeschränkt auch private Wettbewerber zugelas- gration von Arbeitslosen in den ersten Arbeitsmarkt sen. Durch die Vermittlungsgutscheine erhalten die entworfen. Dieser große Fundus an praktischen Mo- Arbeitsuchenden individuelle Wahlfreiheit und zu- dellen zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit aus den sätzliche Optionen auf eine schnelle passgenaue Ver- Bundesländern war eine wichtige Diskussionsgrund- mittlung in den ersten Arbeitsmarkt. (B) lage bei den Beratungen zum Job-AQTIV-Gesetz. (D) Lassen Sie uns auch bei den hier vorliegenden Sofort- Mit diesen zwei Neuerungen werden massive maßnahmen, die die Handlungsfähigkeit der Bundes- Pflöcke eingeschlagen. Sie markieren sehr deutlich anstalt für Arbeit gewährleisten und die Vermittlung die Richtung, in die wir in den nächsten Monaten mit von Arbeitslosen so schnell wie möglich stärken, an den weiteren Reformschritten zu gehen haben. einem Strang ziehen. Zum einen geben wir der Bundesanstalt mit einem Es geht um ein Reformkonzept, das unmittelbar neuen Vorstand – ich füge hinzu: auch mit dem desig- nach seiner Präsentation auch von der Bundesvereini- nierten neuen Vorstands-Chef Florian Gerster in Per- gung der Arbeitgeberverbände ausdrücklich begrüßt son – eine handlungsfähige Spitze. Sie steht für einen worden ist. Die Wirtschaft, die Interesse an einer Neuanfang mit dem Auftrag, die Arbeitsvermittlung handlungsfähigen und effizienten Bundesanstalt für als Kernaufgabe der Bundesanstalt kreativer, flexibler Arbeit hat, wartet auf seine Durchführung. Auch die und effizienter wahrzunehmen. Nicht Arbeitslosigkeit Gewerkschaften haben ihr Interesse an einer durch- verwalten, sondern Arbeitsplätze mobilisieren und greifenden Reform der BA dokumentiert. besetzen ist die Aufgabe. Zum anderen öffnen wir Ich komme zum Schluss. Lassen Sie es nicht zu, den Arbeitsmarkt und die Arbeitsvermittlung für pri- dass bei diesem so wichtigen Thema wahlkampftakti- vate Wettbewerber. Dabei geht es aus meiner Sicht sche Scheinfronten entstehen. Wir wollen alle das gerade nicht darum, mittel- oder langfristig die Ver- Gleiche, nämlich den Menschen, die verzweifelt Ar- mittlungstätigkeit der Bundesanstalt für Arbeit über- beit suchen, helfen. Stimmen Sie dem Gesetz zu! flüssig zu machen. Vielmehr soll der Wettbewerb auch dazu beitragen, die Kompetenz- und Effizienzre- serven der Bundesanstalt schneller zu mobilisieren, als dies möglicherweise ohne oder mit weiterhin sehr Anlage 7 eingeschränktem Wettbewerb der Fall wäre. Beide Schritte machen den Weg frei für weitere Er- Erklärung folge. Ich setze darauf, dass wir mit diesen ersten Schritten vor allem Selbstheilungskräfte freisetzen – von Minister Dr. Fritz Behrens sowohl in einer handlungsfähigeren Bundesanstalt als (Nordrhein-Westfalen) auch insgesamt auf einem Vermittlungsmarkt, der zu Punkt 3 der Tagesordnung offen ist für neue Instrumente und Ansätze. Nordrhein-Westfalen stimmt dem im Bundestag in Nordrhein-Westfalen wird in den nächsten Mona- erweiterter Form beschlossenen Gesetzentwurf zu. ten die notwendigen weiteren Reformen sehr intensiv 190* Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002

(A) begleiten und gestaltend mitwirken. Wir werden Die ostdeutschen Länder erwarten, dass bei der an- (C) dabei auf folgende Punkte besonders achten: stehenden Umstrukturierung der Arbeitsverwaltung die Länderinteressen – insbesondere die Belange der Die Reform der Bundesanstalt wird nur dann wirklich ostdeutschen Länder – angemessen Berücksichtigung Erfolg haben, wenn deren Beschäftigte mit vollem En- finden. gagement daran mitwirken. Genauso wie wir die Ar- beitsvermittlung individualisieren, auf die besonderen Bei dem Vorschlag für die drei Mitglieder des Bun- Fähigkeiten und Voraussetzungen des Arbeitsuchen- desrates im Verwaltungsrat der Bundesanstalt für den ausrichten müssen, werden wir auf die individu- Arbeit ist auf Grund ihrer spezifischen Arbeitsmarkt- ellen Fähigkeiten und die persönliche Motivation der situation ein Vertreter aus den ostdeutschen Ländern Arbeitsvermittler setzen. Arbeitsvermittler sind Mit- vorzusehen. arbeiterinnen und Mitarbeiter, auf deren persönlichen Einsatz für die Betroffenen es ankommt. Wir brauchen mehr Kraft für die Arbeitsvermittlung. Deshalb gilt es, die Leistungsgewährung – die aktiven und die passiven Leistungen – effizienter zu organi- Anlage 9 sieren. Erklärung Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und So- zialhilfe kann dazu möglicherweise beitragen. Auch von Minister Wolfgang Gerhards die Zusammenlegung muss dabei immer auf das zen- (Sachsen-Anhalt) trale Ziel orientiert sein, Hilfebezieher möglichst zu Punkt 3 der Tagesordnung schnell von den Transferleistungen unabhängig zu machen. Die Neuordnung der Zuständigkeiten und Sachsen-Anhalt begrüßt es sehr, dass die Bundesre- Verfahren für die Gewährung von Arbeitslosen- und gierung auf die vom Bundesrechnungshof und dem Sozialhilfe ist allerdings eine große und vielschichtige Vorprüfungsamt der Bundesanstalt für Arbeit aufge- Aufgabe, die wir erst im Laufe der nächsten Legisla- deckten Statistikmängel schnell und zielgerichtet rea- turperiode abschließen können. Ich bin davon über- giert hat. Die Fehlentwicklungen bei der Bundesan- zeugt, dass wir zunächst nach kurzfristig wirksam stalt für Arbeit sind kein Aufsichtsproblem, sondern werdenden Möglichkeiten suchen müssen, um die ein Organisationsproblem: Die bisherige Leitungs- Leistungsgewährung innerhalb der Bundesanstalt für struktur der Bundesanstalt ist offensichtlich nicht ge- Arbeit schlanker und effizienter zu organisieren. eignet, die notwendigen Kontroll- und Lenkungsfunk- tionen in ausreichendem Maße zu erfüllen. Insofern ist (B) An der unorthodoxen Art, in der die Reform der Ar- (D) beitsverwaltung und -vermittlung in den Gesetzge- es konsequent, das Problem an den Wurzeln anzu- bungsgang eingebracht worden ist, könnte man An- packen und nicht an den Symptomen zu kurieren. stoß nehmen. Aber in der Sache halte ich die Die im Gesetz vorgesehene neue Leitungsstruktur vorgesehenen Reformschritte für richtig, für notwen- ordnet die Aufgabenverteilung zwischen Vorstand dig und für außerordentlich dringend. Ich kann mir und Verwaltungsrat so klar, dass sich ähnliche Vor- nicht vorstellen, dass Millionen Arbeitslose in gänge in Zukunft nicht wiederholen sollten. Vorstand Deutschland Verständnis dafür hätten, wenn unbe- und Verwaltungsrat agieren nach dem Modell großer stritten notwendige Reformschritte wegen nachrangi- Kapitalgesellschaften. Der Verwaltungsrat kontrol- ger verfahrensmäßiger Bedenken verzögert würden. liert wie ein Aufsichtsrat den Vorstand. Die Selbstver- Die weiteren Maßnahmen, die eine sorgfältige Vor- waltung wird damit eindeutig gestärkt. Damit erhal- bereitung erfordern, werden die Grundlage dafür ten auch die Länder größere Verantwortung und eine legen, dass die Bundesanstalt für Arbeit in Zukunft stärkere Position. durchgehend effizienter und effektiver arbeiten kann. Der Bundesrat darf sich dem nicht verweigern. Die Daran wird Nordrhein-Westfalen aktiv mitwirken. von einigen Ländern in diesem Zusammenhang ein- Aber dass wir die ersten Schritte heute tun, dazu gibt geforderte erweiterte Mitsprache des Verwaltungsra- es keine Alternative. tes bei der Berufung und Abberufung des Vorstandes mit Zweidrittelmehrheit wäre dagegen problema- tisch, da sich die Bundesanstalt im besonderen politi- schen Verantwortungsrahmen des Bundes befindet. Der Vorstand hat andererseits den Verwaltungsrat Anlage 8 umfangreich zu unterrichten und in wesentliche Ge- schäftsangelegenheiten einzubeziehen. Erklärung Neben der Reorganisation der Leitungsstruktur ent- von Ministerpräsident Dr. Harald Ringstorff hält das Gesetz mit dem Rechtsanspruch auf einen (Mecklenburg-Vorpommern) Vermittlungsgutschein ein wichtiges neues operatives zu Punkt 3 der Tagesordnung Element. Damit reagiert die Bundesregierung direkt auf die aufgedeckten Mängel im Vermittlungsbe- Für die Länder Mecklenburg-Vorpommern, Berlin, reich. Die private Arbeitsvermittlung wird nach dem Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thürin- Job-AQTIV-Gesetz noch einmal gestärkt. Besonders gen gebe ich folgende Erklärung zu Protokoll: wichtig an diesem Vorschlag ist aber auch, dass die Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 191*

(A) Arbeitslosen mit dem Vermittlungsgutschein gegen- tion in den ostdeutschen Bundesländern angemessen (C) über der sie betreuenden Behörde eine selbstbewuss- Berücksichtigung findet. Gerade in Regionen mit tere und eigenverantwortlichere Stellung erhalten. Im hoher Arbeitslosigkeit kommt der aktiven Arbeits- Prinzip sind wir uns wohl auch einig, dass dieser Vor- marktpolitik besondere Bedeutung zu. Dafür ist es schlag in die richtige Richtung geht. notwendig, dass die Bundesanstalt für Arbeit weiter- hin über eine entsprechende Ausstattung verfügt. Die Kritik einiger Länder an der Dreimonatsfrist Damit meine ich neben den finanziellen Ressourcen und an der vorgesehenen Staffelung der Höhe des bedarfsorientierte Programme sowie Strukturen, die Gutscheins nach der Dauer der Arbeitslosigkeit klingt eine effiziente Umsetzung der Programme und Ver- auf den ersten Blick plausibel. Denn die vorgeschla- wendung der Mittel gewährleisten. gene Regelung steht scheinbar im Widerspruch zum Geist des Job-AQTIV-Gesetzes, das ja nun den Die weiteren Reformschritte bedürfen einer gründ- präventiven Ansatz durchgesetzt hat. Arbeitslosigkeit lichen Vorbereitung. Deshalb ist es zu begrüßen, dass zu verlängern, damit man höhere Fördermittel be- die Kommission „Moderne Dienstleistungen am Ar- kommt, macht in der Tat keinen Sinn. Andererseits beitsmarkt“ eingesetzt wurde, um Vorschläge zu erar- sind in der ersten Phase der Arbeitslosigkeit gerade beiten. Wir alle sind aufgefordert, uns konstruktiv in bei den leistungsstärkeren Arbeitslosen viele pro- die Diskussion einzubringen. Das Land Sachsen-An- blemlose Neu- oder Wiedereinstellungen auch ohne halt wird dies tun. Die erste Stufe der Reform, die Einschaltung eines privaten Vermittlers an der Tages- heute hier zur Abstimmung steht, stellt eine gute ordnung. Ein Vermittlungsgutschein von Anfang an Grundlage für die weiteren Reformschritte dar. würde also viele Mitnahmeeffekte auslösen. So gese- hen sollten erst Erfahrungen mit dem neuen Instru- ment gesammelt werden, bevor man diesen „einge- bauten Sicherheitsabstand“ voreilig aufgibt. Anlage 10 Das Gesetz ist also sinnvoll. Es darf nicht verzögert werden. Wir dürfen die Bundesanstalt für Arbeit nicht Erklärung lähmen, indem wir einerseits ihre Strukturen in Frage stellen, andererseits die Reorganisation nicht zügig von Bundesminister Walter Riester angehen. Mehr private Ressourcen für die Vermitt- (BMA) lung sind offensichtlich notwendig. Wir müssen sie zu Punkt 4 der Tagesordnung umgehend schaffen. Ich will nicht verhehlen: Auch Sachsen-Anhalt hat Seit dem Jahr 1994 gibt es für Menschen mit Behin- (B) gewisse Bedenken gegen die von der Bundesregie- derungen den grundrechtlich garantierten Anspruch: (D) rung gewählte Verfahrensweise, diesen wichtigen Re- „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachtei- formschritt an einen anderen Gesetzentwurf an- ligt werden.“ zuhängen. Wir stellen diese Bedenken im Interesse Wir alle sind aufgefordert, diesen Anspruch ein- der Arbeitslosen und der Beschäftigten der Bundes- zulösen. Deshalb werbe ich heute bei Ihnen, den Spit- anstalt für Arbeit zurück. Die Anrufung des Vermitt- zen der Landesregierungen, darum, dem Gesetz zur lungsausschusses wäre ein Affront gegenüber den Ar- Gleichstellung behinderter Menschen zuzustimmen. beitslosen und ist deshalb nicht verantwortbar. Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes bringen wir Die von der Bundesregierung eingesetzte Kommis- unsere Gesellschaft dem Ziel der „gleichberechtigten sion „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ Teilhabe behinderter Menschen am gesellschaftli- wird ihre Ergebnisse bis zum Ende der Legislaturperi- chen Leben“ einen großen Schritt näher. ode vorlegen. Diese werden anschließend in einer Es geht um Gleichstellung und Barrierefreiheit. zweiten Reformstufe im Rahmen eines Gesetzge- Niemand soll vom öffentlichen Leben in seinen vielen bungsverfahrens umzusetzen sein. Wir gehen davon Facetten ausgeschlossen, niemand soll im öffentli- aus, dass der Bundesrat dabei rechtzeitig und in an- chen Leben benachteiligt werden. gemessener Form beteiligt wird. Mit dem vorliegenden Gesetz sollen wichtige Berei- Das Land Sachsen-Anhalt wird sich in den nächsten che für behinderte Menschen erschlossen werden. Monaten aktiv und konstruktiv an der Reformdiskus- Dies geschieht mit Augenmaß. Kein Beteiligter wird sion beteiligen. Dabei sind uns zwei Aspekte beson- überfordert. Dies gilt auch und vor allem für jene Be- ders wichtig. reiche, auf die es den Ländern in den vorangegange- Der geplante organisatorische Umbau der Bundes- nen Beratungen besonders ankam. anstalt für Arbeit kann nur gemeinsam mit den Be- Der Deutsche Bundestag hat das Gesetz zur Gleich- schäftigten gelingen. Ohne die Unterstützung der Be- stellung behinderter Menschen am 28. Februar dieses legschaft kann eine derart tief greifende Reform keine Jahres mit großer parteienübergreifender Mehrheit Aussicht auf Erfolg haben. Es bedarf eines Organisati- beschlossen. Dieser Konsens wird sich, so hoffe ich, onsentwicklungsprozesses, bei dem wir auf die Ein- heute in einem einmütigen Votum des Bundesrates beziehung der Erfahrung und des Sachverstandes der für das Gleichstellungsgesetz fortsetzen. Ich begrüße Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewiesen sind. es vor diesem Hintergrund ausdrücklich, dass Frau Der zweite Punkt, auf den wir unser besonderes Au- Ministerin Stewens bereits öffentlich die Zustimmung genmerk legen werden, ist, dass die spezifische Situa- Bayerns zu dem Gesetz angekündigt hat. 192* Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002

(A) Worum geht es im Kern bei dem Gleichstellungsge- Das Gleichstellungsgesetz für behinderte Men- (C) setz? schen setzt auch im Bereich Verkehr Maßstäbe. Das Anliegen „Barrierefreiheit“ wird in verschiedenen Behinderte Menschen bilden eine große Gruppe in Regelungen klar verankert, ohne dass etwa beim öf- unserer Bevölkerung. Es gibt bei uns etwa 6,6 Millio- fentlichen Personennahverkehr Ländern und Kom- nen schwerbehinderte Menschen. Nur ein sehr gerin- munen zu viel zugemutet wird. Die Nutzung des öf- ger Teil davon ist von Geburt an behindert. Die meis- fentlichen Personenverkehrs ist für behinderte ten werden es durch Krankheit oder Unfall. Mit dem Menschen ein wichtiger Schlüssel zur gleichberech- Gleichstellungsgesetz sollen Gleichstellung und Bar- tigten Teilhabe an der Gesellschaft. rierefreiheit im öffentlichen Raum fassbar gemacht und Benachteiligungen verhindert werden. Was wir Gleichwohl werden im Gesetz keine festen gesetz- tun wollen, ist keine Wohltätigkeit, sondern der Weg lich verankerten Fristen für die schnelle Herstellung zu Selbstständigkeit, Autonomie und echter Teilhabe. vollständiger Barrierefreiheit genannt, wie dies von Eine Benachteiligung behinderter Menschen liegt Behindertenverbänden gefordert wurde. Es bleibt immer dann vor, wenn Behörden behinderte und vielmehr den Entscheidungsträgern vor Ort überlas- nicht behinderte Menschen ohne zwingenden Grund sen, Maßnahmen für eine möglichst weit reichende unterschiedlich behandeln. Werden behinderte Men- Barrierefreiheit und den dazugehörigen Zeitplan fest- schen dadurch in ihrer gleichberechtigten Teilhabe zulegen. am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt, wird Dabei müssen wir jedoch berücksichtigen, dass wir künftig das Benachteiligungsverbot des Gleichstel- nicht bei null anfangen. Rampen, Lifte, Niederflur- lungsgesetzes greifen. prinzip und die Neigungsmöglichkeit von Bussen für Um ein Beispiel aus dem Alltag zu nennen: Kann Menschen mit Mobilitätsbehinderungen, automati- ein behinderter Mensch eine Behörde zu einem erfor- sierte Ansagen der Haltestellen für blinde und sehbe- derlichen Termin nicht aufsuchen, weil der Pförtner hinderte Menschen, Schriftanzeigen für hörbehinder- den vorhandenen Treppenlift nicht bedient, dann fällt te Menschen sind in Bussen vielfach schon dies unter das Benachteiligungsverbot. vorhanden. Insbesondere beim Neubau von Ver- kehrsanlagen und Haltestellen werden Interessen be- Nach dem vorliegenden Gesetz haben Behörden hinderter Menschen bereits heute berücksichtigt. künftig bereits bei der Planung von Maßnahmen Ziele wie die Vermeidung von Benachteiligung und die Das soll über Nahverkehrspläne künftig noch bes- gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen zu ser geplant werden, damit keine unnötigen Kosten für berücksichtigen. Zur gleichberechtigten gesellschaft- die spätere Umrüstung entstehen. Es gibt bereits eu- roparechtliche Vorgaben für Stadtbusse. Die Regelun- (B) lichen Teilhabe gehört es, keine Sonderlösungen für (D) behinderte Menschen zu schaffen, z. B. entlegene gen zur Barrierefreiheit im Verkehr greifen damit nur Extra-Beratungsstellen, sondern die allgemeinen Be- das auf, was im Grunde heute schon aktueller Stan- ratungsangebote für alle Menschen nach dem Prinzip dard sein sollte. Dies kostet nicht mehr, sondern spart „inclusion“ – der weitestgehenden Einbeziehung be- Mittel ein. hinderter Menschen – zu öffnen. Auch die Vorschriften zum Gaststättenrecht, um zu Das Ziel der Barrierefreiheit soll umfassend defi- einem weiteren wichtigen Bereich der Teilhabe am niert werden, damit deutlich wird, dass es nicht nur gesellschaftlichen Leben zu kommen, überfordern um die Beseitigung räumlicher Barrieren für Roll- niemanden. Gaststätten in neu errichteten Gebäuden stuhlfahrer und gehbehinderte Menschen geht. Zur sollen auch von Rollstuhlfahrern besucht werden kön- Barrierefreiheit gehören beispielsweise auch der um- nen. Das darf aber nicht zu unzumutbaren Aufwen- fassende Zugang blinder und sehbehinderter Men- dungen für Gaststättenbetreiber führen. schen zur Kommunikation in den elektronischen Me- dien und ihre selbstständige Teilnahme an Wahlen. Sie haben es selbst in der Hand. Durch Rechtsver- ordnung der Länder können Mindestanforderungen Wir wollen das für den Bund umsetzen, indem wir uns an die Barrierefreiheit und Fälle der Unzumutbarkeit selbst verpflichten, Bundesbauten barrierefrei zu näher bestimmt werden. bauen und die Internetangebote des Bundes so zu ge- stalten, dass sie von behinderten Menschen, z. B. von Die vorgesehene Verbandsklage wird nicht zu einer Sehbehinderten und Blinden, grundsätzlich uneinge- Prozessflut führen, weil Ansprüche einzelner behin- schränkt genutzt werden können. Bei Bundestags- derter Menschen von ihnen selbst zu verfolgen sind. und Europawahlen sollen blinde und sehbehinderte Verbände können nur in eng umgrenzten Ausnahme- Menschen eine Stimmzettelschablone benutzen kön- fällen Klage erheben. Die in Frage kommenden Vor- nen, um den Stimmzettel unbeobachtet selbst ausfül- schriften werden im Gesetz extra einzeln – und damit len zu können. Bisher ist diese Wählergruppe beim abschließend – aufgezählt. Ausfüllen des Stimmzettels auf die Hilfe einer Ver- Es war mein Anliegen, Ihnen die für Gleichstellung trauensperson angewiesen, die den Stimmzettel nach und Barrierefreiheit wegweisenden Ziele des Gleich- Angabe des Wahlberechtigten ausfüllt. stellungsgesetzes für behinderte Menschen aufzuzei- Außerdem sollen hör- oder sprachbehinderte Men- gen. Das Gesetz steht für den Paradigmenwechsel in schen das Recht erhalten, mit Bundesbehörden in der Behindertenpolitik, der Teilhabe und Selbstbe- deutscher Gebärdensprache oder mit anderen geeig- stimmung behinderter Menschen vor die Fürsorge neten Kommunikationshilfen zu kommunizieren. stellt. Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 193*

(A) Gleichzeitig ist – so denke ich – klar geworden, dass Die zentralen Fortschritte auf Grund dieses Geset- (C) die vom Gleichstellungsgesetz vorgesehenen Mittel zes sind: und Wege den Interessen aller Beteiligten gerecht Die deutschen Interessen in der Europäischen Zen- werden. tralbank können gut vertreten werden. Dies muss Deshalb appelliere ich noch einmal an Sie: Geben eines unserer Hauptanliegen sein – nicht nur im ab- Sie dem Gleichstellungsgesetz für behinderte Men- strakten Interesse des Bundes, sondern im konkreten schen Ihre Zustimmung! Lassen Sie uns damit ge- Interesse aller Bürger und damit auch der Länder. meinsam ein großes Stück deutlicher machen, dass Die Deutsche Bundesbank wird künftig eine ein- niemand in unserer Gesellschaft wegen seiner Behin- heitliche Leitungs- und Entscheidungsstruktur erhal- derung benachteiligt werden soll. Viele Menschen ten. Wir kommen voran auf dem Weg zu einer effekti- und ihre Familien warten auf das Gesetz. ven und kostengünstigen internen Organisation. Die Ausgabentransparenz und die Kostenkontrolle bei der Bundesbank werden optimiert. Berücksichtigung der Länderinteressen Anlage 11 Den spezifischen Interessen der Länder wird voll Erklärung entsprochen: Der Vorstand der Deutschen Bundes- bank wird von sechs auf acht Mitglieder vergrößert. von Parl. Staatssekretär Karl Diller Das zentrale Leitungs- und Entscheidungsorgan wird (BMF) dabei künftig paritätisch besetzt. zu Punkt 5 der Tagesordnung Der Bundesrat wird im Einvernehmen mit der Bun- desregierung die Hälfte der Vorstandsmitglieder vor- Ein wettbewerbsfähiger Finanzplatz ist eine der schlagen. Dieses Entgegenkommen zeigt die Kompro- Grundlagen für ein nachhaltiges Wachstum in misswilligkeit des Bundes überdeutlich. Schließlich ist Deutschland. Von ihm profitiert nicht nur der Finanz- die Bundesbank eine oberste Bundesbehörde. sektor, sondern profitieren über eine effektivere Kapi- talverteilung und damit ein höheres Wachstumspo- Das Bundesbanksystem bleibt in der Fläche prä- sent. Alle neun Standorte der Hauptverwaltungen tenzial auch die Menschen in Deutschland insgesamt. bleiben erhalten. Sie wissen, aus Effizienzgründen Effiziente Institutionen sind für die Zukunftsfähig- gab es auch andere Vorschläge. Also auch hier ein keit des Finanzplatzes unabdingbar. Das vorliegende klares Entgegenkommen des Bundes! Die Hauptver- Gesetz ist ein wichtiger Schritt auf diesem Weg. Wir waltungen können ihre Funktion als wichtige regio- (B) haben schon zu lange über Details gestritten. Wir nale Ansprechpartner für die regionale Wirtschaft und (D) müssen nun auch endlich die Reform umsetzen; denn Politik weiter voll ausfüllen. Deutschland braucht diese Modernisierung. Der Vorstand der Deutschen Bundesbank regelt in Es geht um eine effektive, eine schlankere Verwal- einem Organisationsstatut die Aufgabenverteilung tung. Ich glaube, hinsichtlich dieser Zielsetzung stim- zwischen Zentrale und den neuen Hauptverwaltun- men wir überein. gen. Damit können die Hauptverwaltungen auch außerhalb der Zusammenarbeit bei der Bankaufsicht Anpassung an die geldpolitische Realität nach der zu regionalen Kompetenzzentren weiterentwickelt Euroeinführung werden. Hier sind also die Interessen der Länder wie- Worum geht es bei der Reform des Bundesbankge- derum voll berücksichtigt. setzes im Kern? Es geht darum, dass wir endlich Auch die personelle Neubesetzung aller Vorstands- Organisationsstrukturen schaffen, die der Tatsache posten bei der Deutschen Bundesbank ist mit Aus- Rechnung tragen, dass die geldpolitische Zuständig- nahme des Präsidenten so geregelt, dass die Positio- keit seit dem 1. Januar 1999 bei der Europäischen nen schnell neu besetzt werden können. Dies gilt Zentralbank liegt. auch für die hälftige Besetzung des Vorstands mit vom Dies ist am 1. Januar 2002 mit der Einführung des Bundesrat vorgeschlagenen Personen. Die Länder Euro-Bargelds für jeden Bürger mit Händen greifbar können also umgehend die aus ihrer Sicht geeigneten geworden. Der Bürger hat ein Recht darauf, dass wir Vertreter benennen. diese Entwicklung auch bei der Weiterentwicklung Die Stärkung des Kollegialprinzips stärkt auch den der Bundesbank berücksichtigen. Die alte Organisati- Einfluss der vom Bundesrat vorgeschlagenen Vor- onsstruktur ist weder zeitgemäß noch kostengünstig. standsmitglieder. Der Präsident hat ein Veto nur noch Die Realität erfordert eine institutionelle Modernisie- hinsichtlich der Geschäftsverteilung im Vorstand. rung. Wer hier grundsätzlich in einer Abwehrhaltung Das ursprünglich vorgesehene Empfehlungsrecht verharrt, verhält sich wie jemand, der auf einer elektri- des Bundestages bezüglich der Effizienz der Bundes- schen Lokomotive einen Heizer beibehalten will. bank ist ebenso entfallen. Das Gesetz über die Reform der Bundesbankstruk- Das Fazit ist klar: In der vom Bundestag am 1. März tur ist dabei aus meiner Sicht ein guter und für alle 2002 verabschiedeten Fassung gibt es keine rele- Seiten akzeptabler Kompromiss; denn es sind sowohl vanten Argumente mehr, das Gesetz zur Reform der die wesentlichen Reformziele als auch wesentliche Bundesbankstruktur abzulehnen. Die Interessen der Länderforderungen berücksichtigt. Länder sind voll gewahrt. 194* Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002

(A) Die Erfahrung zeigt, dass der Bundesrat eine kon- Ich bitte deshalb, unserem Antrag zuzustimmen, (C) struktive Rolle bei der Fortentwicklung der Institutio- den Vermittlungsausschuss mit dem Ziel einzuberu- nen der Bundesrepublik Deutschland gespielt hat. fen, zugunsten der Nutzer ein Sonderkündigungs- Daher möchte ich Sie bitten: Bleiben Sie in dieser recht einzuführen, – § 20 a Abs. 2a – neu – Schuld- konstruktiven Tradition! Lassen Sie das Gesetz pas- rechtsanpassungsgesetz. sieren! Das Inkrafttreten der Bundesbankreform ist schon zu lange herausgezögert worden. Machen Sie den Weg jetzt frei. Anlage 13

Umdruck Nr. 3/02 Anlage 12 Zu den folgenden Punkten der Tagesordnung der Erklärung 774. Sitzung des Bundesrates empfehlen die Aus- schüsse dem Bundesrat: von Minister Wolfgang Gerhards (Sachsen-Anhalt) zu Punkt 9 der Tagesordnung I. Der Gesetzesbeschluss, über den wir heute abstim- men, ändert das Schuldrechtsanpassungsgesetz. Es Den Gesetzen zuzustimmen: handelt sich um eine besonders sensible Materie, weil es gilt, einen sozial verträglichen Ausgleich zwischen Punkt 10 den unterschiedlichen Interessen von Grundstücksei- Zweites Gesetz zur Änderung eisenbahnrechtli- gentümern und Grundstücksnutzern zu schaffen. Dies cher Vorschriften (Drucksache 159/02) gilt umso mehr, als gerade Fragen des sozial verträgli- chen Interessenausgleichs im Eigentums- und Vermö- gensrecht der neuen Länder nunmehr in ihre Schluss- Punkt 14 phase eingetreten sind. Post- und telekommunikationsrechtliches Berei- nigungsgesetz (Drucksache 164/02) Umso erfreulicher ist, dass es gelungen ist, mit dem vorliegenden Gesetz einen gerechten und, wie ich Punkt 15 denke, auch akzeptablen Kompromiss zwischen den (B) Gesetz zu dem Abkommen vom 27. Juli 2001 zwi- (D) Interessengruppen zu finden. schen der Bundesrepublik Deutschland und der Daran wollen wir auch nicht rütteln. Doch in einem Tschechischen Republik über Soziale Sicherheit einzigen Punkte ist das Gesetz noch verbesserungs- (Drucksache 165/02) fähig: Es fehlt ein Sonderkündigungsrecht für die Nutzer. Punkt 16 Mit den beschlossenen gesetzlichen Änderungen Gesetz zu dem Abkommen vom 18. April 2001 treten für die Datschenbesitzer erhebliche Veränderun- zwischen der Bundesrepublik Deutschland und gen des Vertragsverhältnisses ein. Diesen muss man dem Königreich der Niederlande über Soziale Rechnung tragen; sonst gibt es keinen Rechtsfrieden. Sicherheit (Drucksache 166/02) Zwar beschränkt das Gesetz die Erstattungspflicht des Nutzers auf 50 % bei den einmaligen öffentlichen La- Punkt 17 sten und verteilt die Raten gleichmäßig auf zehn Jahre. Gesetz zu dem Stockholmer Übereinkommen vom Aber auch bei dieser Kompensation können für die 23. Mai 2001 über persistente organische Schad- Datschenbesitzer zusätzliche finanzielle Belastungen stoffe (POPs-Übereinkommen) und dem Protokoll entstehen, die bei Vertragsbeginn so und in dieser vom 24. Juni 1998 zu dem Übereinkommen von Höhe nicht vorhersehbar waren. Im Einzelfall könnte 1979 über weiträumige grenzüberschreitende Luft- dies sogar dazu führen, dass die Kosten des Grund- verunreinigung betreffend persistente organische stücks – selbst unter Berücksichtigung der möglichen Schadstoffe (POPs-Protokoll) (Drucksache 167/02) Ratenzahlung – in keinem Verhältnis zu dem tatsächli- chen Nutzungswert der Datsche mehr stehen. Deshalb ist es geboten, den Nutzern von Erholungs- und Frei- zeitgrundstücken eine Ausstiegsoption einzuräumen, II. die es ihnen ermöglicht, das Vertragsverhältnis kurzfri- stig aufzulösen, und zwar ohne die nächste Möglich- Zu dem Gesetz einen Antrag auf Anrufung des Ver- keit zur ordentlichen Kündigung abwarten zu müssen. mittlungsausschusses nicht zu stellen: Dies schafft das Sonderkündigungsrecht. Ein unangemessener Nachteil entstünde dem Punkt 13 Grundstückseigentümer hierdurch nicht. Im Gegen- Gesetz über die Errichtung des Deutschen Binnen- teil: Er hätte sogar den zusätzlichen Vorteil, früher schifffahrtsfonds (Binnenschifffahrtsfondsgesetz – über sein Grundstück verfügen zu können. BinSchFondsG) (Drucksache 162/02) Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 195*

(A) III. Punkt 39 (C) Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung des Marktzugangs im Luftverkehr (Drucksache 113/02) Den Gesetzentwurf nach Maßgabe der in der zitierten Empfehlungsdrucksache angeführten Ände- Punkt 41 rungen beim Deutschen Bundestag einzubringen und Entwurf eines Gesetzes zu dem Europäischen gemäß § 33 GO BR einen Beauftragten zu bestellen: Übereinkommen vom 16. Januar 1992 zum Schutz des archäologischen Erbes (Drucksache 101/02) Punkt 21 Entwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung und Punkt 42 Vereinheitlichung der Verfahrensvorschriften zur Entwurf eines Gesetzes zu dem Protokoll vom Wahl und Berufung ehrenamtlicher Richter 30. November 2000 zur Änderung des Europol- (Drucksache 47/02, zu Drucksache 47/02, Druck- Übereinkommens (Drucksache 105/02) sache 47/1/02)

VI. IV. Von der Vorlage Kenntnis zu nehmen:

Zu den Gesetzentwürfen die in den zitierten Emp- Punkt 45 fehlungsdrucksachen wiedergegebene Stellungnah- Bericht der Bundesregierung über den Stand von me abzugeben: Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit und über das Unfall- und Berufskrankheitengeschehen Punkt 32 in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2000 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Geset- – Unfallverhütungsbericht Arbeit 2000 – (Druck- zes zum NATO-Truppenstatut und anderer Geset- sache 1124/01) ze (Verteidigungslastenzuständigkeitsänderungs- gesetz – VertLastÄndG) (Drucksache 104/02, Drucksache 104/1/02)

(B) VII. (D) Punkt 33 Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Zu den Vorlagen die Stellungnahme abzugeben Sprengstoffgesetzes und anderer Vorschriften oder ihnen nach Maßgabe der Empfehlungen zuzu- (2. SprengÄndG) (Drucksache 106/02, Drucksache stimmen, die in der jeweils zitierten Empfehlungs- 106/1/02) drucksache wiedergegeben sind:

Punkt 46 Punkt 35 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechts Parlaments und des Rates zur Festlegung von der Vertretung durch Rechtsanwälte vor den Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung, Oberlandesgerichten (Drucksache 107/02, Druck- Überwachung und Pharmakovigilanz von Human- sache 107/1/02) und Tierarzneimitteln und zur Schaffung einer Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richt- V. linie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemein- schaftskodexes für Humanarzneimittel Gegen die Gesetzentwürfe keine Einwendungen Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen zu erheben: Parlaments und des Rates zur Änderung der Richt- linie 2001/82/EG zur Schaffung eines Gemein- Punkt 30 schaftskodexes für Tierarzneimittel (Drucksache Entwurf eines Neunten Gesetzes zur Änderung 1117/01, Drucksache 1117/1/01) des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“ (Drucksache Punkt 50 102/02) Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Festlegung eines Gemeinschaftsrahmens für die Lärmeinstu- Punkt 31 fung ziviler Unterschallluftfahrzeuge zur Berech- Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des nung von Lärmentgelten (Drucksache 55/02, Mineralölsteuergesetzes (Drucksache 103/02) Drucksache 55/1/02) 196* Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002

(A) Punkt 51 Punkt 61 (C) Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Bestellung eines Mitglieds des Verwaltungsrates Parlaments und des Rates über eine gemeinsame der Kreditanstalt für Wiederaufbau (Drucksache Regelung für Ausgleichs- und Betreuungsleistun- 128/02, Drucksache 128/1/02) gen für Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen (Drucksache 63/02, Drucksache 63/1/02) Punkt 62 Wahl des Präsidenten und des Vizepräsiden- ten des Bundesrechnungshofes (Drucksache 169/ Punkt 52 02) Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Par- laments und des Rates über die Typgenehmigung für land- und forstwirtschaftliche Zugmaschinen, Punkt 63 ihre Anhänger und die von ihnen gezogenen aus- Benennung eines Mitglieds und eines stellvertre- wechselbaren Geräte sowie für Systeme, Bauteile tenden Mitglieds des Verwaltungsrates der An- und selbstständige technische Einheiten dieser stalt Solidarfonds Abfallrückführung (Drucksache Fahrzeuge (Drucksache 125/02, Drucksache 125/ 62/02, Drucksache 62/1/02) 1/02)

Punkt 53 Punkt 64 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Bestellung von fünf Mitgliedern des Verwal- Parlaments und des Rates zur Angleichung der tungsrates der Deutschen Ausgleichsbank Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für die (Drucksache 1125/01, Drucksache 1125/1/01) Typgenehmigung von Rückspiegeln, von zusätzli- chen Systemen für indirekte Sicht und von mit solchen Einrichtungen ausgestatteten Fahrzeu- gen sowie zur Anpassung der Richtlinie 70/156/EWG (Drucksache 123/02, Drucksache X. 123/1/02) Zu den Verfahren, die in der zitierten Drucksache Punkt 54 bezeichnet sind, von einer Äußerung und einem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Beitritt abzusehen: Parlaments und des Rates für die Gemeinschafts- (B) statistik über Einkommen und Lebensbedingun- (D) gen (EU-SILC) (Drucksache 23/02, Drucksache Punkt 65 23/1/02) Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (Drucksache 172/02) Punkt 55 Verordnung zum Schutz gegen die Blauzungen- krankheit (Drucksache 16/02, Drucksache 16/1/ 02) Anlage 14

Erklärung VIII. von Ministerin Annemarie Lütkes (Schleswig-Holstein) Der Vorlage ohne Änderung zuzustimmen: zu Punkt 19 der Tagesordnung Punkt 58 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Änderung Ich freue mich, dass nach langen und keineswegs der Allgemeinen Verfügung über die Verschol- immer leichten Verhandlungen nun endlich eine Lö- lenheitsliste (Drucksache 89/02) sung zur künftigen Finanzierung des Schienenperso- nennahverkehrs erarbeitet worden ist, die allen Betei- ligten unseres Erachtens einen fairen Kompromiss bietet. Dieser Kompromiss sieht wie folgt aus:

IX. Die Länder erhalten einen Sockelbetrag von 6,731 Milliarden Euro. Dieser Betrag wird mit einer Entsprechend den Anregungen und Vorschlägen Zuwachsrate von jährlich 1,5 % dynamisiert. Zugleich zu beschließen: wird es keine Rückzahlungen der Länder an den Bund geben. Punkt 60 Dieses Verhandlungsergebnis liegt Ihnen heute als Vorschlag für die Berufung eines stellvertreten- Antrag Schleswig-Holsteins zur Drucksache 124/02, den Mitglieds des Verwaltungsrates der Bundes- dem Gesetzesantrag zur Änderung des Regionalisie- anstalt für Arbeit (Drucksache 173/02) rungsgesetzes, vor. Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 197*

(A) Dieser Kompromiss hat gute Chancen, auch im Anlage 16 (C) Bundestag eine Mehrheit zu finden. Wir haben eine tragfähige Grundlage, für das laufende Jahr und die Erklärung kommenden Jahre Verkehrsleistungen im Schienen- personennahverkehr zu bestellen. Zugleich sind die von Staatsminister Herbert Mertin finanziellen Ungewissheiten bezüglich der Vergangen- (Rheinland-Pfalz) heit ausgeräumt. Nichts wird mehr rückwirkend aufge- zu Punkt 22 a) und b) der Tagesordnung rechnet. Gewiss liegt es im Wesen eines jeden Kompro- misses, dass nicht alle Wünsche voll erfüllt werden. Zu dem eher „trocken“ klingenden Thema „Anord- Doch ich denke, mit diesem Ergebnis können wir alle nung der nachträglichen Sicherungsverwahrung“ leben. Wir sind sehr erleichtert, dass es durch das letzt- ist mir spontan die Äußerung von Bundeskanzler endlich doch sehr konstruktive Zusammenwirken aller Schröder aus dem vergangenen Sommer eingefallen, Beteiligten zu dieser Lösung gekommen ist. seine Reaktion auf das Sexualverbrechen an einem 12-jährigen Mädchen: „Wegsperren für immer“ hat er Ich bitte Sie herzlich, unserem Änderungsantrag damals für richtig gehalten und damit den Nerv und zum vorliegenden Gesetzesantrag zur Änderung des die Stimmung in der Bevölkerung getroffen. Gut acht Regionalisierungsgesetzes zuzustimmen, damit der Monate später haben wir über verschiedene Gesetz- Bundestag ohne Verzug über dieses Gesetz entschei- entwürfe zu entscheiden, die den Schutz der Bevölke- den kann. Die Bundesregierung bitte ich, den Gesetz- rung vor gefährlichen Straftätern, vor allem Sexual- entwurf beschleunigt dem Bundestag zuzuleiten. straftätern, verbessern wollen. Damit ist der Weg frei für die Verkehrsministerien der Länder und die Bahn sowie für die Bürgerinnen und Gemeinsam ist diesen Vorschlägen, dass sie ein De- Bürger, die auf einen reibungslos funktionierenden fizit des geltenden Rechts beseitigen wollen. Danach Schienennahverkehr angewiesen sind. ist nämlich die Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht möglich, wenn sich die Gefährlichkeit des Straftäters für die Allgemeinheit erst im Laufe des Strafvollzuges herausstellt. Diese Täter müssen derzeit nach Vollverbüßung der verhängten Freiheitsstrafe entlassen werden, auch wenn sich die Gefahr der Wie- Anlage 15 derholung gravierender Straftaten konkret abzeich- net. Die Möglichkeit einer späteren Entscheidung, Erklärung d. h. einer nachträglichen Anordnung der Sicherungs- verwahrung, sieht das geltende Recht nicht vor. (B) (D) von Bundesminister Kurt Bodewig Bei der Frage, wie diese Schutzlücke geschlossen (BMVBW) werden soll, gehen die Meinungen auseinander. Nach zu Punkt 19 der Tagesordnung dem Gesetzentwurf der Länder Baden-Württemberg und Thüringen soll zwischen rechtskräftiger Verurtei- Ich danke für die Initiative von Schleswig-Holstein. lung und vollständiger Verbüßung der verhängten In der Tat: Hiermit kommt Bewegung in die Novellie- Freiheitsstrafe die Strafvollstreckungskammer die rung des Regionalisierungsgesetzes. Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anord- nen können, wenn sich im Vollzug herausstellt, dass Ich möchte für den Bund heute zusagen: der Täter eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt Wir sind bereit, bei der Festlegung des Grundbe- und auch die sonstigen Voraussetzungen der Siche- trags auf 6,73 Milliarden Euro zu gehen. rungsverwahrung gemäß § 66 des Strafgesetzbuches gegeben sind oder es sich um einen besonders ge- Wir sind ebenso bereit, eine feste Steigerungsrate fährlichen Ersttäter handelt. ins Gesetz zu bringen. Wir sind auch bereit, die Stei- Das klingt auf den ersten Blick gut, birgt aber er- gerungsrate gegenüber unseren Ursprungsvorschlä- hebliche verfassungsrechtliche Risiken. Die nachträg- gen auf 1,5 % zu erhöhen. liche Anordnung der Sicherungsverwahrung wäre nämlich eine erneute Sanktion, damit eine Doppelbe- Wir sind schließlich bereit, auf die Verrechnung der strafung, die unser Rechtssystem nicht zulässt. Gegen in 2001 zuviel gezahlten Mittel zu verzichten. Ich er- den Straftäter würde durch zwei konstitutive gericht- laube mir die Anmerkung: Diese Verrechnung würde liche Entscheidungen nacheinander Freiheitsentzie- nach geltendem Recht voll greifen. Aber: Wir sind be- hung angeordnet. reit, auch in einem guten Einigungssinne auf die Ver- rechnung zu verzichten. Außerdem könnte ein Verstoß gegen das Rückwir- kungsverbot aus Artikel 103 Abs. 2 des Grundgeset- Damit haben wir die Chance, langjährige Versuche zes vorliegen, der verlangt, dass eine Tat nur bestraft zur Novellierung des Regionalisierungsgesetzes zum werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich be- Erfolg zu führen. Das bringt Planungssicherheit für stimmt war, bevor die Tat begangen wurde. die Verkehrsinfrastruktur in den Ländern. Es nutzt allen. Der Gesetzentwurf des Landes Hessen, der heute ebenfalls zur Abstimmung steht, wählt einen anderen Deswegen kann ich für die Bundesregierung zusa- Ansatz. Er hält an dem Erfordernis fest, dass grund- gen: Wir sind bereit, diesen Weg mitzugehen. sätzlich die Feststellung der Gefährlichkeit des Täters 198* Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002

(A) – als Voraussetzung für die Anordnung der Siche- Hier möchte ich besonders auf das Verhältnis von le- (C) rungsverwahrung – im Zeitpunkt des strafrechtlichen benslanger Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung Schuldausspruchs erfolgen muss. Hat das Gericht hinweisen. Die von der Bundesregierung geplante Re- Zweifel an der Gefährlichkeit, kann es im Urteil einen gelung sieht vor, dass Sicherungsverwahrung neben Vorbehalt für eine nachträgliche Anordnung der Si- lebenslanger Freiheitsstrafe verhängt werden kann. cherungsverwahrung aussprechen. Damit wird der Dies ist ein Systembruch im geltenden Strafrecht, der Strafvollstreckungskammer die Möglichkeit gegeben, die lebenslange Freiheitsstrafe aufweicht. auf der Grundlage von Erkenntnissen aus dem Straf- In der Bevölkerung würde die unzutreffende Vor- vollzug die Sicherungsverwahrung nachträglich an- stellung erweckt, dass „lebenslänglich“ nicht auch zuordnen. Dies kann bis zum Entlassungszeitpunkt geschehen. tatsächlich „ein Leben lang“ bedeuten kann. Es be- darf nämlich schon jetzt keiner zusätzlichen Anord- Diese so genannte Vorbehaltslösung halte ich für nung der Sicherungsverwahrung, um Straftäter, die den richtigen Weg. Die Justizministerkonferenz hat zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt wurden, unter meinem Vorsitz eine Arbeitsgruppe damit be- dauerhaft hinter Gittern zu halten. Besteht bei solch auftragt, nach Lösungen für die Schließung der Si- einem Straftäter die Gefahr, dass er für die Allge- cherheitslücke zu suchen. Auf meine Anregung hin meinheit noch gefährlich ist, kommt bereits nach gel- sollte dabei auch die Verurteilung unter dem Vorbe- tendem Recht eine Entlassung nicht in Betracht. halt einer nachträglichen Sicherungsverwahrung ge- prüft werden. Deshalb freut es mich, dass diese Idee Würde der Vorschlag der Bundesregierung Gesetz, jetzt in Gestalt eines Gesetzentwurfs vorliegt. befürchte ich, dass es zukünftig eine lebenslange Freiheitsstrafe erster und zweiter Klasse gibt. Nur wer Gegen die Vorbehaltslösung ist eingewandt wor- zu lebenslänglich und zusätzlicher Sicherungsver- den, dass die Gerichte in Zukunft im Wesentlichen wahrung verurteilt wird, gilt dann als wirklich gefähr- nur noch Sicherungsverwahrung unter Vorbehalt ver- licher und besonders hart bestrafter Täter. hängen und auf die Anordnung der Sicherungsver- wahrung, wie sie in § 66 des Strafgesetzbuches gere- Auch auf das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung gelt ist, verzichten werden. könnte dies negative Auswirkungen haben – womit sich der Kreis zu meinen Eingangsausführungen und Ich sehe hier keine Gefahr. Ich kann mir nicht vor- dem eher populistischen Verlangen nach einem stellen, warum ein Gericht von der Verhängung der „Wegsperren für immer“ schließt. Sicherungsverwahrung wie bisher absehen sollte, wenn sich schon in der Hauptverhandlung die Gefähr- lichkeit des Täters für die Allgemeinheit herausstellt. (B) Aber auch für den Fall, dass die Sicherungsverwah- (D) rung vorbehalten wird, obwohl in der Hauptverhand- Anlage 17 lung auf eine unbedingte Sicherungsverwahrung hätte erkannt werden können, wird der Schutz der All- Erklärung gemeinheit nicht verringert. Denn in beiden Fällen muss die Strafvollstreckungskammer vor der Entlas- von Staatssekretär Dr. Hansjörg Geiger sung des verurteilten Straftäters prüfen, ob von ihm (BMJ) weitere schwer wiegende Straftaten zu erwarten sind. zu Punkt 22 a) und b) der Tagesordnung Ist dies zu bejahen, wird nach der Strafverbüßung die Sicherungsverwahrung vollstreckt. Ist der Verurteilte Die Verbesserung des Schutzes der Bevölkerung nach der Strafverbüßung nicht mehr als Gefahr für die vor schweren Sexualstraftaten ist gerade in jüngster Allgemeinheit anzusehen, wird er entlassen. Zeit wieder heftig diskutiert worden. Dies ist ein Auch der Vorwurf gegen die Vorbehaltslösung, sie wichtiges, auch der Bundesregierung am Herzen lie- verleite den Verurteilten dazu, während des Vollzugs gendes Thema. den Erfolg der Resozialisierungsmaßnahmen vorzu- Bereits heute ist ein starkes gesetzliches Instrumen- täuschen, überzeugt nicht. Richtig ist sicherlich, dass tarium vorhanden, um gefährliche Sexual- und Ge- es dem einen oder anderen Verurteilten gelingen waltstraftäter auch über die Verbüßung ihrer Strafe mag, die Therapeuten und die über die Entlassung hinaus zu sichern. Der Gesetzgeber hat die strafrecht- entscheidenden Personen zu täuschen. Der Anreiz, lichen Möglichkeiten zuletzt im Jahre 1998 erweitert dies zu tun, besteht aber auch schon nach dem gelten- und verschärft. Seitdem kann Sicherungsverwahrung den Recht, sei es, um eine unbedingt verhängte Si- bereits bei der ersten Rückfalltat angeordnet werden. cherungsverwahrung nach Verbüßung der Strafe als Sie ist in ihrer Dauer generell unbeschränkt. nicht mehr erforderlich erscheinen zu lassen, oder um nach § 57 des Strafgesetzbuches eine vorzeitige Haft- Trotzdem besteht nach wie vor das Problem, dass in entlassung zu erreichen. einzelnen Fällen hochgefährliche Straftäter aus dem Vollzug entlassen werden, deren Gefährlichkeit im Der Gedanke einer vorbehaltenen Sicherungsver- Zeitpunkt des Urteils nicht mit der erforderlichen Si- wahrung findet sich nicht nur in dem Gesetzentwurf cherheit erkannt werden konnte oder nicht erkannt des Landes Hessen. Es gibt inzwischen einen Entwurf wurde. Auch davor muss die Bevölkerung selbstver- der Bundesregierung, der die Vorbehaltslösung favo- ständlich geschützt werden. risiert. Dies begrüße ich ausdrücklich. Allerdings sind meiner Meinung nach Verbesserungen am Entwurf Das Bundeskabinett hat in der vorigen Woche be- der Bundesregierung angebracht. schlossen, den vom Bundesministerium der Justiz Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 199*

(A) erarbeiteten „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung In dogmatisch sauberer Weise können in die ab- (C) der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung“ in den schließende Gefährlichkeitsprognose sowohl Um- Deutschen Bundestag einzubringen. Er löst das Pro- stände der Tat und ihrer Vorgeschichte als auch Er- blem mit Augenmaß und auf kompetenzrechtlich ein- kenntnisse aus dem Strafvollzug einfließen, die für wandfreie Weise, ohne den Charakter der Sicherungs- sich allein genommen regelmäßig eine zu dünne verwahrung als schärfstes und letztes Mittel des Grundlage für eine Kriminalprognose sind. Strafrechts anzutasten, was vor allem dem gemeinsa- Schließlich mag das Wissen, unter dem Vorbehalt men Gesetzentwurf von Baden-Württemberg und der Sicherungsverwahrung zu stehen, bei den Verur- Thüringen nicht gelingt. Bei diesem Regelungsvor- teilten die Bereitschaft wecken, sich aktiv um ihre schlag einer „isolierten“ nachträglichen Sicherungs- Resozialisierung zu bemühen – eine Bereitschaft, die verwahrung handelt es sich um reine Gefahrenabwehr, gerade bei vielen Sexualstraftätern nicht vorhanden für die nur die Länder die Gesetzgebungskompetenz ist. haben. Auch wenn der hessische Entwurf somit auf unserer Mit Initiativen zur nachträglichen Sicherungsver- Linie liegt, gibt es einige wesentliche Punkte, die wir wahrung sind Bayern, Baden-Württemberg und Hes- anders sehen und in unserem Entwurf deshalb auch sen insgesamt sechsmal im Bundesrat gescheitert. Der anders regeln. erneute Vorstoß Baden-Württembergs ist umso er- staunlicher, als dieses Land das Erste war, das – wohl Das gilt vor allem für den Anwendungsbereich des gemerkt: unter Inanspruchnahme des Kompetenztitels Vorbehalts, der uns im hessischen Entwurf viel zu weit der Gefahrenabwehr – eine landesrechtliche Regelung geht. Nur für die in § 66 Abs. 3 StGB genannten Taten, zur Unterbringung besonders rückfallgefährdeter insbesondere Sexual- und Gewaltstraftaten, ist über- Straftäter geschaffen hat. Nun hat die Regelung im haupt Bedarf für eine spätere Anordnung der Siche- ersten Jahr ihres Bestehens wohl nicht das gehalten, rungsverwahrung gegeben. Betrüger oder Einbrecher was man sich von ihr versprochen hat. Es drängt sich müssen nicht, wie dies der hessische Entwurf be- deshalb der Verdacht auf, dass mit dem erneuten Ruf absichtigt, ebenfalls unter diesem „Damoklesschwert“ nach dem Bundesgesetzgeber von den Problemen der gehalten werden. Mangels gesetzgeberischen Hand- eigenen landesrechtlichen Regelung abgelenkt wer- lungsbedarfs und im Hinblick auf den „Ultima-Ratio- den soll. Charakter“ der Sicherungsverwahrung sollte man von einer solch weit gehenden Regelung die Finger las- Gegenüber den früheren Initiativen zur nachträgli- sen. chen Sicherungsverwahrung hat der neue Entwurf al- lerdings eine zusätzliche, hoch problematische Vari- Nach unserem Entwurf ist die Entscheidung über ante: Er sieht vor, dass die Sicherungsverwahrung bei die vorbehaltene Sicherungsverwahrung spätestens (B) bestimmten schweren Straftaten auch unabhängig sechs Monate vor dem Zweidrittelzeitpunkt zu treffen, (D) von den Voraussetzungen des § 66 – also auch bei an dem das Gericht von Amts wegen über eine Aus- Ersttätern – nachträglich angeordnet werden kann, setzung des Strafrestes zu beschließen hat. Zu diesem wenn sich während der Haft die Gefährlichkeit des Zeitpunkt hat der Verurteilte in der Regel den größten Täters ergibt. Teil seiner Strafe verbüßt, so dass das Gericht über eine ausreichende Erkenntnisgrundlage für seine ab- Gerade in diesem Regelungsvorschlag tritt der reine schließende Entscheidung verfügt. Diese frühzeitige Gefahrenabwehrcharakter besonders deutlich zu Ta- Klarheit über den Entlassungszeitpunkt ist auch für ge. Er „überbrückt“ nicht nur das Fehlen einer hinrei- eine angemessene Vollzugsplanung unabdingbar. chend sicheren Gefährlichkeitsprognose im Zeitpunkt der Aburteilung. Er „ersetzt“ auch das Fehlen sämtli- Angesichts der Bedeutung dieser Entscheidung für cher Voraussetzungen für die ursprüngliche Anord- den Betroffenen und aus Gründen der Rechtsver- nung der Sicherungsverwahrung durch eine nachträg- einheitlichung eröffnen wir für die sofortige Be- liche Gefährlichkeitsprognose. Dieser Gesetzentwurf schwerde den Rechtsweg zum BGH. ist verfassungsrechtlich höchst problematisch. Ich denke, die rechtspolitische und fachliche Diskus- Der hessische Entwurf zeigt allerdings in bemer- sion wird ergeben, dass der Entwurf der Bundes- kenswerter Weise, dass unsere wieder und wieder regierung die sachgerechtere Lösung darstellt. gegen das Modell der „nachträglichen“ Sicherungs- verwahrung erhobenen Einwände anerkannt und be- rücksichtigt worden sind. Das „Vorbehaltsmodell“, das auch unserem Regierungsentwurf zu Grunde liegt, hat gegenüber dem Modell der „nachträglichen Anlage 18 Sicherungsverwahrung“ nämlich entscheidende Vor- teile: Erklärung Durch den Vorbehalt im Urteil wird der Bezug zur von Senatorin Karin Schubert Tat hergestellt. Die Regelungskompetenz des Bundes (Berlin) folgt daher aus dem Titel „Strafrecht“. zu Punkt 22 b) der Tagesordnung Die spätere Anordnung der Sicherungsverwahrung durchbricht nicht die Rechtskraft des Urteils, so dass Zur Ermöglichung der Anordnung von Sicherungs- auch nicht die Gefahr einer nachträglichen „Urteils- verwahrung während des Strafvollzuges nach einer korrektur“ besteht. einschlägigen Verurteilung zu Freiheitsstrafe gibt es 200* Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002

(A) zwei verschiedene Gesetzentwürfe, deren jeweilige Ich bitte Sie um Unterstützung unseres Änderungs- (C) Einbringung in den Deutschen Bundestag uns emp- antrages. fohlen worden ist. Berlin unterstützt grundsätzlich die von Hessen ge- wählte Vorbehaltslösung, wonach das Gericht bei Zweifeln an der Gefährlichkeit des Täters die Ent- scheidung über die Anordnung der Sicherungsver- Anlage 19 wahrung für einen späteren Zeitpunkt vorbehalten kann, um auch die Erkenntnisse aus dem Strafvollzug Erklärung berücksichtigen zu können. Diese Vorbehaltslösung ist zum Schutz potenzieller Opfer vor schweren seeli- von Ministerpräsident Dr. h.c. Manfred Stolpe schen oder körperlichen Schäden erforderlich. (Brandenburg) Gleichwohl haben wir einen Änderungsantrag zum zu Punkt 22 a) und b) der Tagesordnung hessischen Gesetzentwurf eingebracht. Ziel unseres Änderungsantrags ist es, dass die Vorbehaltslösung Für Herrn Minister Prof. Dr. Kurt Schelter gebe ich nur für die Täter eingeführt wird, von denen eine folgende Erklärung zu Protokoll: erhebliche Gefahr für das Leben, die körperliche Un- versehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuel- In anderem Zusammenhang habe ich im Juli des le Selbstbestimmung ausgeht, von denen also schwe- letzten Jahres an dieser Stelle darauf hingewiesen, re seelische oder körperliche Schäden drohen. dass im Bereich der Sicherungsverwahrung gesetz- geberische Maßnahmen sehr rasch zu prüfen sind. Ich Seit 1997 sind sämtliche Forderungen nach Ein- begrüße es daher ausdrücklich, dass Lösungsvor- führung nachträglicher Sicherungsverwahrung unter schläge zu dieser Thematik heute in Form von zwei Hinweis auf abscheuliche Straftaten und bevorste- alternativen Gesetzentwürfen zur Abstimmung vor- hende Entlassungen gefährlicher Täter aus dem Straf- liegen. vollzug mit dem erforderlichen Schutz vor schweren Gewalt- und Sexualstraftaten begründet worden. Die Beide Lösungsansätze gehen davon aus, dass die Notwendigkeit des Schutzes vor wirtschaftlichen bestehende Rechtslage unbefriedigend ist. Dem stim- Schäden durch nachträgliche Sicherungsverwahrung me ich ausdrücklich zu. Vor allem bei Straftätern, bei ist weder gefordert noch unter Hinweis auf entspre- denen Sicherungsverwahrung im Urteil nicht ange- chende Einzelfälle belegt worden, so dass hier offen- ordnet worden ist, die aber gleichwohl vor ihrer Ent- sichtlich kein Handlungsbedarf besteht. lassung aus der Strafhaft als hochgefährlich einzustu- (B) Wir haben auch erhebliche Bedenken, ob ein so fen sind, besteht dringender Handlungsbedarf des (D) schwer wiegender Grundrechtseingriff wie die Siche- Gesetzgebers. Eine gesetzliche Regelung ist in die- rungsverwahrung wegen drohender Eigentumsverlet- sem Bereich zu einem besseren Schutz der Bevölke- zungen Dritter verfassungsgemäß ist. Gemäß Artikel 2 rung vor Intensiv-, Gewalt- und Sexualstraftätern un- Abs. 2 des Grundgesetzes darf in das Freiheitsrecht erlässlich. Brandenburg hat nicht zuletzt deshalb des Einzelnen nur auf Grund eines dem Grundsatz bereits im Juli 2001 einen Entschließungsantrag des der Verhältnismäßigkeit entsprechenden Gesetzes Bundesrates herbeigeführt, der unter anderem eine eingegriffen werden. Die Verhältnismäßigkeit ist zum Lösung dieses Problems mit in Gang gesetzt hat. einen bereits deshalb nicht gewahrt, weil eine Erfor- Auch in meinem Ministerium sind hierzu im letzten derlichkeit dieses Teils der gesetzlichen Regelung Jahr konkrete Vorschläge erarbeitet und in die Dis- noch nicht einmal dargelegt, geschweige denn nach- kussion eingebracht worden. gewiesen ist. Zum anderen ist der Eingriff in das Grundrecht der Freiheit gegenüber einem Verstoß Die Argumente für und gegen die beiden vorliegen- gegen Artikel 14 sicherlich nicht gleichbedeutend. den Lösungsvorschläge sind weitgehend ausge- tauscht. Ich möchte sie an dieser Stelle nicht im Ein- Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsge- zelnen wiederholen. Hervorhebenswert erscheint mir, richts vom 3. Juni 1992 dürfte zum Zeitpunkt der Fest- dass gegen die bisherigen Lösungsansätze zur stellung der Schuldschwere bei der lebenslangen nachträglichen Sicherungsverwahrung vor allem ver- Freiheitsstrafe (BVerfGE 86, 288, 327) auch das fassungsrechtliche Bedenken angeführt worden sind. Rechtsstaatsprinzip verletzt sein. Dieses erfordert Die gesetzlichen Voraussetzungen des die Siche- Rechtssicherheit in dem Sinne, dass der von einem rungsverwahrung zulassenden Gesetzes müssen ins- staatlichen Eingriff in die Freiheit der Person Betroffe- besondere den verfassungsrechtlichen Anforderun- ne über das Ausmaß des Eingriffs nur so lange im gen des Rechtsstaatsprinzips und des darauf Ungewissen gelassen werden darf, bis eine abschlie- zurückgehenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ßende Beurteilung möglich ist. Dieser Zeitpunkt ist bei drohenden wirtschaftlichen Schäden der Zeit- genügen. punkt des Urteils des erkennenden Gerichts, nicht ein Die so genannte Vorbehaltslösung trägt dem nach späterer während des Vollzuges der Freiheitsstrafe. meiner Auffassung in besonderem Maße Rechnung. Die Einbeziehung des Schutzes vor wirtschaftlichen Die wesentliche Entscheidung über die Anordnung Schäden in die Vorbehaltslösung lehnt Berlin ab, weil der Sicherungsverwahrung verbleibt danach beim Handlungsbedarf nicht feststellbar ist, der Eingriff Tatgericht. In Grenzfällen wird ergänzend zur beste- unverhältnismäßig wäre und das Rechtsstaatsprinzip henden Rechtslage im tatrichterlichen Urteil die Mög- verletzen würde. lichkeit einer späteren Prüfung der Gefährlichkeit des Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 201*

(A) Täters kurz vor Ende des Vollzuges der Strafhaft ein- Lassen Sie mich kurz auf die vorliegenden Ergeb- (C) geräumt. Durch die enge Anbindung der Grundent- nisse auf diesen Gebieten zurückschauen. Mit Befrie- scheidung über die Anordnung der Sicherungsverwah- digung können wir feststellen, dass die Beitrittsver- rung an die Entscheidung des Tatgerichts können die handlungen einen enormen Fortschritt genommen verfassungsrechtlichen Argumente, die bisher gegen haben. Dazu gebührt unsere Anerkennung allen, die die klassischen Lösungsansätze vorgebracht worden diese schwierige Herausforderung gemeistert haben. sind, aus meiner Sicht ausgeräumt werden. In voller Übereinstimmung mit Sachsen haben wir Bemerkenswert finde ich, dass auch die Bundes- den Begriff „Erweiterungsprozess“ in die Überschrift regierung, die bisher nachdrücklich die Auffassung der vorliegenden Entschließung aufgenommen. Denn vertreten hat, Regelungen zur nachträglichen Siche- es ist uns allen klar, dass die Entwicklung Europas zu rungsverwahrung fielen als Maßnahmen der Gefah- einem mächtigen organischen Ganzen ein fortdau- renabwehr unter das Polizeirecht und seien daher ernder Vorgang ist, der auch nach Integration der Ländersache, einen eigenen Gesetzentwurf mit einer heutigen Beitrittsländer nicht abgeschlossen sein Vorbehaltslösung für die nachträgliche Anordnung der wird. Wir wollen unseren Teil dazu beitragen, diesen Sicherungsverwahrung beschlossen hat. Dieser Ge- Prozess ohne nennenswerte Rückschläge und Verzö- setzentwurf bleibt aber hinter dem Entwurf Hessens gerungen unumkehrbar zu gestalten. zurück, weil die Einführung eines Vorbehaltes nur für Das Prozesshafte wird auch in der Wortwahl deut- eine bestimmte Fallkonstellation des geltenden Geset- lich: Früher sprach man von Bewerberländern, Bei- zes – nämlich für die Fälle des § 66 Abs. 3 StGB – vor- trittskandidaten – heute wird der Fortschritt in Begrif- gesehen ist. Da es hierfür aus meiner Sicht keinen ver- fen wie „Beitrittsländer“ sichtbar, und man nimmt das tretbaren Grund gibt, halte ich die von Hessen Ergebnis vorweg. An dem Maß, in dem sich die ver- vorgeschlagene Lösung für vorzugswürdig. Sie führt zu änderte Sprachregelung in der Öffentlichkeit durch- einer tragfähigen und verfassungsrechtlich haltbaren setzt, kann man ablesen, wie die Einsicht, das Bewusst- Gesetzesänderung. Diese ist nunmehr dringend gebo- sein und die Bereitschaft der Bevölkerung, sich mit ten. Für ein weiteres Zögern besteht kein Anlass. diesem einzigartigen Friedens- und Wohlstandspro- jekt positiv auseinanderzusetzen, wächst. Wie ich eingangs erwähnte, wird der nächste logi- sche Schritt sein, im Rahmen der Beitrittspartner- Anlage 20 schaften auf der Ebene der Fachverwaltungen bis hinunter in die Ortsinstanzen den Aufbau effektiver Erklärung Verwaltungs- und – das ist wichtig für die Rechts- sicherheit von Investoren – Justizbehörden in den Bei- (B) Dr. Fritz Behrens (D) von Minister trittsländern voranzubringen. (Nordrhein-Westfalen) zu Punkt 25 der Tagesordnung Weil auf uns Ländern die Hauptlast beim Vollzug des Europarechts liegt, können wir auf diesem Gebiet Nordrhein-Westfalen erklärt zu Protokoll, dass zweifellos zum Integrationsfortschritt beitragen. davon ausgegangen wird, dass sich die Aussage der Was die ausgehandelten Übergangsvorschriften an- Ziffer III, Absatz 2 Satz 2 der Grunddrucksache nicht geht, so hätte es vor Jahresfrist kaum jemand für auf die Wasserversorgung bezieht. möglich gehalten, wie entschlossen dieses hart um- kämpfte Kapitel angepackt und gelöst werden würde. Wir Länder können mit den erzielten Kompromissen zufrieden sein. Auch wenn die Gipfeltreffen von Lae- Anlage 21 ken und Barcelona keinen spektakulären Fortschritt gebracht haben, lässt ein Blick zurück auf die Ver- Erklärung handlungsdynamik des letzten Jahres für die Zukunft Gleiches hoffen. von Minister Wolfgang Senff Der größten Herausforderung stehen wir noch bei (Niedersachsen) der Finanzierung gegenüber. In der laufenden finanzi- zu Punkt 66 der Tagesordnung ellen Vorausschau sind die Lasten zu schultern, weil zwar mehr Länder als ursprünglich angenommen die Der Bundesrat hat vor fast genau einem Jahr die Beitrittsschwelle erreicht haben, diese aber erst zu erste Entschließung zur Erweiterung der EU gefasst. einem späteren Zeitpunkt beitreten werden. Rück- Aus diesem Anlass habe ich bereits Themenkreise an- blickend darf also auch dieser Aspekt voll und ganz gesprochen, die mit der nunmehr dritten und vorläu- auf der Habenseite des Erweiterungsprozesses ver- fig letzten Entschließung weiterverfolgt werden. Ich bucht werden. Angesichts der konjunkturellen Wachs- meine die Frage der Übergangsregelungen, den zu- tumsdelle müssen wir mit größter Umsicht an die Fi- nehmend in das Interesse der Öffentlichkeit rücken- nanzplanung für die Zeit nach 2006 herangehen. Dem den Finanzierungsaspekt der Erweiterung, die Not- widmet der Entschließungsantrag breiten Raum. wendigkeit einer intensiveren Zusammenarbeit zwischen den Fachverwaltungen der Mitgliedstaaten Schließlich hat mit der Einsetzung des Europäi- und denen der Beitrittsländer und vor der Erweite- schen Konvents der innere Reformprozess eine große rung die Notwendigkeit, institutionelle Reformen in Eigendynamik gewonnen, die ihr Ziel – da bin ich der EU der 15 zu vereinbaren. ganz zuversichtlich – nicht verfehlen wird. 202* Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002

(A) Ich bin nach alledem davon überzeugt, dass die Eine zukünftige Berichterstattung der Kommission (C) Ihnen vorliegende dritte Entschließung zur Erweite- hat auch dem Umstand Rechnung zu tragen, dass rung der EU auf parteiübergreifenden Konsens stößt. Grenzregion nicht mit Grenzregion gleichzusetzen ist. Ich empfehle, sie in sofortiger Sachentscheidung zu Die insgesamt 23 Grenzregionen bilden keineswegs fassen. eine homogene Gruppe. Vielmehr gibt es zwischen ihnen erhebliche strukturelle Unterschiede, die zu berücksichtigen sind. Das gilt auch für die ostdeut- schen und westdeutschen Grenzregionen. Die EU-Er- weiterung wird deshalb zu unterschiedlichen Auswir- Anlage 22 kungen in den Grenzregionen führen. So ist der Anpassungsdruck, der von der EU-Erweiterung aus- Erklärung geht, in den ostdeutschen Grenzregionen, in denen der wirtschaftliche Aufholprozess noch längst nicht von Minister Alwin Ziel abgeschlossen ist, besonders spürbar. (Brandenburg) Förderung der Grenzregionen bedeutet aus unse- zu Punkt 66 der Tagesordnung rer Sicht – darauf möchte ich zur Vermeidung von Missverständnissen nochmals deutlich hinweisen – Für Herrn Minister Prof. Dr. Kurt Schelter gebe ich aber keine Zementierung von Entwicklungsunter- folgende Erklärung zu Protokoll: schieden etwa an der deutsch-polnischen Grenze. Die EU-Erweiterung bietet insbesondere die Chance Uns liegt heute der Entwurf einer Entschließung für eine deutliche Verbesserung der grenzüber- des Bundesrates zum Erweiterungsprozess der schreitenden Zusammenarbeit. Nach unserer Ein- Europäischen Union vor, die durch die Europaminis- schätzung wird die brandenburgische Grenzregion terkonferenz am 28. Februar 2002 vorbereitet worden hieraus aber nur in dem Maße Nutzen ziehen kön- ist. Sie befasst sich – in der inzwischen bewährten nen, in dem sich auch die polnische Nachbarregion Weise – mit den in diesem Jahr zum Abschluss anste- erfolgreich entwickelt. Die bisherigen so genannten henden Verhandlungskapiteln Regionalpolitik und Halbkreisregionen an der deutsch-polnischen Gren- Landwirtschaft sowie mit einer Reihe von Politikbe- ze können durch die EU-Erweiterung ihren Aktions- reichen, die für eine erfolgreiche Bewältigung des radius vervollständigen. Davon werden Unterneh- Erweiterungsprozesses von großer Wichtigkeit sind. men und mit ihnen die Arbeitnehmer in Brandenburg profitieren. Bereits jetzt gibt es eine Vielzahl von er- Von besonderem Interesse ist dabei die Förderung folgreichen deutsch-polnischen Unternehmensko- (B) der Grenzregionen. Die Grenzregionen bilden die operationen und Partnerschaften auf der lokalen und (D) Nahtstelle zwischen den alten und neuen Mitglied- regionalen Ebene. Durch viele grenzüberschreitende staaten der Union. Das ökonomische und soziale „Ge- Partnerschaften bereiten Deutsche und Polen ge- webe“ an dieser Stelle muss verstärkt werden, wenn meinsam die Mitgliedschaft Polens in der Europäi- das Zusammenwachsen der beiden Teile der Union schen Union im Kleinen vor. ohne größere Komplikationen verlaufen soll. Deshalb bedürfen die Grenzregionen unserer besonderen Wir müssen durch Verbesserung der wirtschaft- Aufmerksamkeit. Die Entschließung enthält unter lichen Rahmenbedingungen dafür sorgen, dass die Nummer 7 die Aufforderung an die Bundesregierung, ostdeutschen Grenzregionen – und nicht wie bisher sich „für eine Verbesserung des Grenzregionenpro- die alten Länder – überproportional von der Erwei- gramms auch nach dem Jahre 2002 und für eine re- terung profitieren. Nur so können wir dem ins Stocken geratenen Aufholprozess neue Impulse ver- gelmäßige Berichterstattung der Kommission über die leihen. Investitionen in die ostdeutschen Grenzregio- Auswirkungen der Erweiterung auf die an Beitritts- nen sind somit Investitionen in die Zukunft unseres länder angrenzenden Regionen einzusetzen“. Landes.

Eine entsprechende Forderung gegenüber der Über den rein wirtschaftlich-finanziellen Aspekt Kommission hat der Ausschuss der Regionen – AdR – hinaus enthält die Entschließung eine wichtige politi- auf Initiative Brandenburgs in einer Stellungnahme sche Botschaft für die Menschen in den Grenzregio- über die Förderung der grenzüberschreitenden und nen. Viele Bewohner in den Grenzregionen fühlen interregionalen Zusammenarbeit in einem erweiter- sich allzu oft allein gelassen mit ihren Befürchtungen ten Europa erhoben. etwa vor zunehmender Konkurrenz auf dem ohnehin äußerst angespannten Arbeitsmarkt. Ihnen wird deut- Diese Initiativen sind sehr zu begrüßen und auch lich gemacht, dass wir ihre besondere Situation ken- notwendig, um die Grenzregionen im Rahmen der nen und erwarten, dass auch Bundesregierung und EU-Erweiterung zu unterstützen. Die für das Jahr Europäische Union diesem Umstand Rechnung tra- 2003 bislang in Aussicht gestellten Beträge – 15 Mil- gen. lionen Euro zusätzlich zu der von uns allen als unzu- reichend empfundenen Kommissionsmitteilung von Ich spreche von „auch“, weil wir uns natürlich in- Juli des vergangenen Jahres – sind noch zu gering. tensiv über die Frage Gedanken machen, was wir Für das Jahr 2004 und für die folgenden Jahre ist es selbst tun können, um unser Land mit den vorhande- bisher bei der unbefriedigenden Kommissionsmittei- nen Mitteln so gut wie möglich auf die Erweiterung lung vom Sommer letzten Jahres geblieben. der EU vorzubereiten. Immer wieder aber stoßen wir Bundesrat – 774. Sitzung – 22. März 2002 203*

(A) bei der Vorbereitung auf die EU-Erweiterung auf eng Anlage 23 (C) gesteckte finanzielle Grenzen. Aus diesem Grund Erklärung sind Nachbesserungen im Grenzlandprogramm für die ostdeutschen Grenzregionen von äußerster Wich- von Minister Wolfgang Senff tigkeit. (Niedersachsen) zu Punkt 57 der Tagesordnung Die Entschließung des Bundesrates zum Erweite- rungsprozess der Europäischen Union stellt daher Zur Vermeidung von Zufallsmehrheiten wegen Ab- einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zu einem wesenheit der CDU-regierten Länder sollte der Tages- problemadäquaten Grenzlandprogramm dar. ordnungspunkt vertagt werden.

(B) (D)