Nummer 1/2012 BadKreuznacher Beilage Heimatblätter

Spektakulärer Fund bei Ein römischer Fingerring belegt die Anwesenheit von Christen in unserer Region bereits im 4. Jahrhundert.

VON HANS SCHNEIDER,

Zur Einleitung „Eine festgefügte christliche Gemeinde befand sich in Bingen um die Wende zum 5. Jahrhundert, wie der Grabstein des Pries- ters AETHERIUS ausweist“. So formuliert Heinrich Büttner in seiner 1951 veröffent- lichten Arbeit 1) die Existenz der frühesten Christen in unserer Region. Dieser Sach- verhalt ist unverändert Gegenstand vieler Aufsätze und Abhandlungen, die die Ge- schichte des frühen Christentums in spät- römischer/frühmittelalterlicher Zeit im Be- reich des Mittelrheins zum Gegenstand ha- ben. Sofern bisher Untersuchungen zu die- sem Thema durchgeführt und publiziert wurden, bezogen sie sich in erster Linie auf die großen römischen Verwaltungszentren (, Köln, Trier), die zugleich auch früh- christliche Mittelpunkte (Bischofssitze) wa- ren. Allenfalls die seit der Reaktivierung der Rheinverteidigung durch Kaiser VALEN- TINIAN I. (364–374) wieder belegten Kas- telle Bingen, Kreuznach, Alzey und andere werden in entsprechende Überlegungen einbezogen. Während für Bingen, wie oben festge- stellt, die Anwesenheit von Christen im 5. Jahrhundert belegt ist, fehlen solche gesi- cherten frühen Beweise für Kreuznach und Alzey. Erst zu frühmittelalterlicher Zeit (6./7. Jahrhundert) sind in diesen Kastellen frühchristliche Kirchen nachgewiesen 2). Über frühe christliche Aktivitäten im ländlichen Bereich, in kleinen Ansiedlun- gen, Dörfern – soweit solche überhaupt be- standen – und den noch im 4./5. Jahrhun- dert existierenden und belebten römi- schen/galloromanischen Landgütern (villae Abbildung 1: Ausschnitt aus der bearbeiteten Flurkarte mit der Flur 20 Guldental (), Flurstücke rusticae) fehlen entsprechende Hinweise. „Im roten Pfuhl“ und „An den Bretzenheimer Wiesen“ sowie der angrenzenden Bretzenheimer Flur 17 mit So der Sachstand bis August 2011. der Felseneremitage Bretzenheim. Bildvorlage: Hans Schneider, Bretzenheim Der Ort des Geschehens Der Ort des nachfolgend behandelten Geschehens ist in dem in Abbildung 1 wie- dergegebenen Flurkartenausschnitt fest- anschließende gerodete Weinberg, der auch der angrenzenden Region auf den Grund zu gehalten. Eingezeichnet sind die 1927 von Fundort des Siegelringes mit dem Christo- gehen, führte ihn unter anderem in den Karl Geib lokalisierten und teilweise frei- gramm ( ) ist. Grenzbereich der Gemarkungen Gulden- gelegten Baureste der ehemaligen römi- Von Interesse ist auch die in der unteren tal//Bretzenheim, wo in den schen rustica. Zur besseren Übersicht linken Bildecke markierte Felseneremitage Guldentaler (früher Heddesheimer) Ge- sind die – aus einer Luftbildaufnahme von Bretzenheim, deren möglicher Zusammen- markungsteilen „Im roten Pfuhl“ und „An 2011 übertragenen – Mauerzüge leicht ver- hang mit der römischen villa rustica in ei- den Bretzenheimer Wiesen“ der ehemalige größert dargestellt. nem gesonderten Beitrag noch untersucht Standort eines römischen Landgutes (villa Die sonstigen Fundsignaturen beziehen werden soll. rustica) belegt ist. sich auf die Funde von 2009 sowie Mai – Das jüngst erwachte Interesse eines Lan- Im Jahre 1927 hat der Kreuznacher Gym- September 2011. Schwerpunkt ist hierbei genlonsheimer Bürgers, der römischen Ver- nasiallehrer und Heimatforscher Karl Geib der sich an die baulichen Reste nach Osten gangenheit seiner Heimatgemeinde und bauliche Reste als Teil der Anlage freige- 2 (Seite 2 des Jahrgangs) Bad Kreuznacher Heimatblätter - 1/2012

der vorstehend genannten villa rustica, der sich zu einer Zeit zum Christentum bekannt hatte, als es nicht mehr lebensgefährlich war, den römischen Göttern abgeschworen zu haben. Von Interesse ist noch die Tatsache, dass im näheren Umfeld dieses Ringes zwei wei- tere Fingerringe geborgen wurden, die in den Abbildung 3 und 4 wiedergegeben sind. Das Christogramm, wie die vorge- nannte Buchstabenkombination bezeichnet wurde, war jenes Zeichen, mit dem ab dem Jahre 312 n. Chr. der römische Kaiser KONSTANTIN I. (der Große) als siegbrin- gendes Merkmal seine Standarte (Labarum) geziert hatte. Die diesem Vorgang voran- gegangenen geschichtlichen Ereignisse sol- len in dem nachfolgenden Kapitel kurze Er- wähnung finden. Ein Blick in die Geschichte Der Siegelring enthüllt erst seine wahre Bedeutung vor dem Hintergrund jener ge- schichtlichen Ereignisse, die über drei Jahr- hunderte unter dem Begriff „Christenver- folgung“ geprägt waren von blutigen Ge- waltorgien römischer Herrscher. Sie be- gannen mit NERO (54-68 n. Chr.) und setz- ten sich insbesondere fort über TRAJAN (98-117 n. Chr.), DECIUS (249-251 n.Chr.) und VALERIAN (253-260 n. Chr.) sowie DI- OKLETIAN (284-305 n.Chr.) und dessen Mitregenten GALERIUS (293-311 n. Chr.), der ein besonders gewalttätiges Regiment gegenüber den Christen führte. Seine Ver- Abbildung 2: Der spektakuläre Fund. Foto: Hans Schneider, Bretzenheim folgungsmaßnahmen fanden erst ein Ende, als er angesichts seines nahenden Todes – er war an Lepra erkrankt und durchlebte ein langes Siechtum – seinen Grausamkei- legt, die auch heute noch auf vielen Luft- gelplatte das Zeichen , gebildet aus den ten entsagte und eine Verordnung erließ, bildaufnahmen zu sehen sind. Das Umfeld beiden griechischen Buchstaben „X“ (Chi) die das Bekenntnis zum Christentum und dieses Grabungsbereiches, zum Teil von und „P“ (Rho), das sogenannte „Christo- die gottesdienstlichen Versammlungen ge- Weinbergen überwachsen, blieb in der Fol- gramm“, eingeritzt/eingeschlagen war. Als stattete. gezeit weitgehend unbeachtet und archäo- frühchristliches Symbol bildete es die An- Schauplätze dieser Ereignisse waren in logisch unberührt. fangsbuchstaben des Namens „Christos“ in erster Linie die großen Machtzentren des rö- Nach dem Fund einiger römischer Dach- griechischer Schreibweise. mischen Imperiums, aber auch die gallisch- ziegelreste und zweier Münzen in dem Die Siegelplatte des Ringes (Abbildung germanischen Reichsteile und ihre Haupt- nach Süden angrenzenden Bereich „An den 2) hat einen Durchmesser von 12 mm. Um städte Köln, Mainz und Trier. Inwieweit die Bretzenheimer Wiesen“ im Jahre 2009 er- das Christogramm herum sind in nahezu ländlichen Regionen davon betroffen wa- öffnete sich Anfang des Jahres 2011 ein neu- gleichen Abständen 12 kleine Körnungen ren, ist nur durch vage und ungenaue Mit- es archäologisches Betätigungsfeld, als öst- eingeschlagen, offenbar als Symbole für die teilungen überliefert. Ausgeschlossen er- lich des bisher bekannten Gutsbereiches 12 Apostel. Den äußeren Rand bilden hin- scheint es jedenfalls, dass in den beschrie- ein Weinberg gerodet wurde (Abbildung 1). tereinander angeordnete pfeilartige Eintie- benen Zeiträumen jemand den Mut aufge- Hier barg der Finder im Mai 2011 die ersten fungen. Vom eigentlichen Fingerring sind bracht hätte, sich durch Tragen eines Rin- Artefakte (römische Keramikscherben, Res- nur noch kleine Reste auf beiden Seiten als ges mit einem christlichen Symbol zum te von Dachziegeln, Metallteile aus Bronze Ansätze erkennbar. Die Länge über die An- Christentum zu bekennen. Dies war erst und Blei). Es folgten bis zum September 16 sätze beträgt 17 mm. Unzweifelhaft handelt nach dem folgenden, die Weltgeschichte Münzfunde, ein reich verzierter Bügel einer es sich um den Fingerring eines Bewohners verändernden Ereignis möglich. röm. Gewandspange (Fibel) sowie drei Fin- Um die Gewaltherrschaft des seit 306 n. gerringe, darunter der Siegelring mit dem Chr. widerrechtlich in Rom residierenden Christogramm . und seit 308 n.Chr. zum Staatsfeind erklär- Alle Fundstücke gelangten im Fundzu- ten Despoten MAXENTIUS zu beenden, stand in meine Hände und wurden nach zog KONSTANTIN, der im Jahre 306 n. sorgfältiger und schonender Reinigung Chr. in Britannien von seinen Legionären identifiziert – soweit dies möglich war – und zum Augustus des römischen Westreiches dokumentiert. (Gallien, Germanien und Britannien) aus- gerufen worden war, im Jahre 312 n. Chr. Der spektakuläre Fund nach Rom. Seiner Streitmacht von 90 000 Der besondere Fund, der nachfolgend Legionären und 8000 Reitern stand MA- Schwerpunkt dieser Abhandlung sein wird, XENTIUS mit weit überlegenen Kräften wurde mir Anfang September 2011 über- (140 000 Infanteristen und 20 000 Reiter) ge- geben. Starke Schmutz– und Oxidations- genüber und erwartete ihn am 28. Okt. 312 anhaftungen verhinderten zunächst eine n. Chr. an der Milvischen Brücke vor Rom Identifizierung. Einige Kleinmünzen in glei- zur entscheidenden Schlacht. chem Zustand und an gleicher Stelle gebor- Was dann geschah, ist von EUSEBIOS gen, waren Begleitfunde. Sie sollten sich VON CAESAREA (+ 339 n.Chr.), dem ers- noch als besonders bemerkenswert und hilf- ten Verfasser einer christlichen Kirchenge- reich für die Bestimmung des Haupt–Fund- schichte, überliefert. Demnach erschien objektes herausstellen. KONSTANTIN am Tag der Schlacht, um Was zunächst den Anschein einer etwas die Mittagszeit, über der Sonne „ein aus deformierten Münze erweckte, entpuppte Licht gebildetes Kreuz“ mit der Umschrift sich als Fingerring, einem sogenannten Abbildung 3: Bandring aus Bronze, 19 mm Durch- „IN HOC SIGNO VINCES“ („In diesem Zei- Collegering nicht unähnlich, in dessen Sie- messer, 5 mm Breite. Foto: Hans Schneider, Bretzenheim chen siege“) 3). KONSTANTIN ließ darauf- Bad Kreuznacher Heimatblätter - 1/2012 (Seite 3 des Jahrgangs) 3

Abbildung 4: Ebenfalls aus Bronze ist dieser Abbildung 5: Diese Münze des VALENS (364-378) Abbildung 6: Diese Münze des THEODOSIUS (379- rundstabige Ring. Er ist gehämmert (nicht gezogen) trägt auf der Rückseite das Christogramm in der 395) ziert ein Kreuz auf der Rückseite (vor der nach und weist eine seitliche Fehlstelle auf. Ob er vom Kaiser gehaltenen Standarte, während dieser links schreitenden Siegesgöttin VIKTORIA). Auch als Fingerring oder als Öse gedient hat, ist unge- einen gefesselten Gefangenen an den Haaren hinter hier zieht die Göttin einen Gefangenen an den Haa- klärt. Foto: Hans Schneider, Bretzenheim sich herzieht. Foto: Hans Schneider, Bretzenheim ren hinter sich her. Foto: Hans Schneider, Bretzenheim

hin eine Standarte, das sog. „Labarum“, mit liegen außerhalb des für die Zuordnung des reiche gefunden hatten, dürften sie der Aus- den bereits oben erwähnten griechischen Ringes maßgeblichen Zeitrahmens. löser gewesen sein, dass deren Bewohner Anfangsbuchstaben „X“ (Chi) und „P“ Besondere Aufmerksamkeit verdienen die fluchtartig ihre Heim- und Wirkungsstätten (Rho) des Namens „Christos“, zu „ “ kom- in den Abbildungen 5 und 6 wiedergege- verließen und nicht mehr zurückkehrten, biniert, versehen und als Feldzeichen sei- benen Münzen aus dem aktuellen Fundgut, wie das Fehlen späterer Münzfunde ver- nem Heer vorantragen da sie bereits christliche Symbole tragen. muten lässt. Dies gilt besonders für die ehe- Er besiegte daraufhin das Heer des MA- Für die Zuordnung des Ringes wesentlich malige villa rustica bei Guldental. XENTIUS vernichtend und zog am 29. Okt. bedeutsamer und hilfreicher ist indessen Beispielhaft seien nachfolgend einige rö- 312 n. Chr. als Sieger - und fortan als Al- ein Bestand von insgesamt 520 römischer mische Ansiedlungen aufgeführt, bei denen leinherrscher des weströmischen Reiches - Münzen aus dem Areal der ehem. villa rus- Münzdatierungen Rückschlüsse auf den in Rom ein. Bereits ein Jahr später erließ er, tica („Im roten Pfuhl“/„An den Bretzen- Zeitpunkt ihrer Aufgabe zulassen (die je- gemeinsam mit LICINIUS, dem Augustus heimer Wiesen“), der aufgrund von Fund- weils aufgeführten Zahlen geben Anzahl des Ostreiches, das „Edikt von Mailand“, meldungen aus den Jahren 1984 und 1993 und letztes Prägedatum wieder): Alzey das den Christen nun vollständige Religi- an die Archäologische Denkmalpflege (1340/388), Bad Kreuznach, vorwiegend onsfreiheit gewährte und ihnen die wäh- Mainz gelangte und dort registriert, ausge- Kastellbereich (236/378), Bad Kreuznach, rend der vorangegangenen Verfolgungen wertet und wissenschaftlich aufgearbeitet Palastvilla (106/388), Bad Münster am eingezogenen Gotteshäuser und Güter zu- wurde 5). Die zeitliche Streuung dieser Mün- Stein/Ebernburg, vorwiegend Huttental rückgab. zen über 4 Jahrhunderte römischer Herr- (810/403), , ehem. Stra- Von nun an waren das und das Kreuz schaft lässt deutliche Schwerpunkte im 3. ßenstation (126/402), Bingen–Kempten, offizielles Signum der Christen und zierten Jahrhundert (101 Münzen) und 4. Jahrhun- ehem. röm. Villa (105/395), Dörrebach unter anderem bald römische Keramikge- dert (326 Münzen) erkennen. Letztere sind (108/395), Hochstätten–Dhaun, Schloss fäße, Öllampen, sonstige Gebrauchsgegen- jedoch von besonderem Interesse, da sie die Dhaun (183/395) und Worms 196/396) 5). stände und Schmuck, wie den Ring von Gul- bereits vorstehend vorgenommene Ein- Für Bingen könnte dieser Exodus be- dental. Ab dem Jahre 318 n. Chr. sind Chris- schätzung hinsichtlich der zeitlichen Zu- deutet haben, dass hier für die Gründung ei- togramm und Kreuz auch auf römischen ordnung des Ringes stützen. ner christlichen Gemeinde unter der Lei- Münzen nachweisbar 4). Vgl. dazu die Ab- Zur Präzisierung des Zeitraumes der tung des Priesters AETHERIUS erst ein Zeit- bildungen 5 und 6. christlichen Aktivitäten in der Guldentaler punkt nach dem Durchzug der eingefalle- villa rustica bleibt noch die Frage zu beant- nen Volksstämme, das heißt wohl erst nach Zur Datierung des Ringes worten, wie lange diese Bestand hatte be- 410 n. Chr., wahrscheinlich ist. Die Nähe unserer Region zur Kaiserresi- ziehungsweise wann sie aufgegeben wor- In der villa rustica bei Guldental hatte die denz Trier und zur Provinzhauptstadt Mainz den ist. Legt man die Tatsache zugrunde, christliche Lehre bereits im Verlauf des 4. dürfte eine rasche Verbreitung der vorge- dass die örtlichen Münzdatierungen abrupt Jahrhundert Fuß gefasst und endete mit nannten Ereignisse begünstigt haben. mit dem Prägejahr 392 beziehungsweise den vorgenannten Ereignissen. Ob in dieser Überlegungen, ob der Träger des Ringes 403 enden und sich diese Beobachtung an Zeit auch bereits die Felseneremitage von sich bereits in dieser Frühphase zum Chris- nahezu allen Münz–Fundorten in unserer Bretzenheim – nur circa 500 Meter süd- tentum bekannt hatte, wären allenfalls Ver- Region – und darüber hinaus – belegen westlich des römischen Gutshofes gelegen mutungen, denn die Tatsache, dass die lässt, muss ein tiefgreifendes Ereignis hier- (Abbildung 1) – ein Ort christlicher Gottes- überwiegende Mehrzahl der im unmittel- für ursächlich sein. Mit hoher Wahrschein- verehrung geworden war, soll in einer ge- baren Umfeld des Ringes zeitgleich gebor- lichkeit war der Einfall der Vandalen, Ala- sonderten Arbeit untersucht werden. genen und identifizierten Münzen erst in nen, Sueben und anderer germanischer die 2. Hälfte 4. Jahrhunderts zu datieren Kleinstämme in der Neujahrsnacht 406/407 Anmerkungen: sind, legt den damit gegebenen Zeitrahmen bei Mainz der Auslöser. 1) Heinrich BÜTTNER „Frühes fränkisches auch für diesen . Nach verlustreichen kriegerischen Aus- Christentum am Mittelrhein“, Archiv für Dem Fundkomplex gehören insgesamt 16 einandersetzungen mit den fränkischen mittelrheinische Kirchengeschichte, 1951, Münzen an, von denen 8 hinsichtlich der Stämmen nördlich des Mains überquerten S.23 Prägeherren und der Prägezeiten präzisiert die Vandalen unter Führung ihres Heer- 2) A.a.O. S.21 und wie folgt zugeordnet werden konnten: führers GUNDRICH mit ihren Hilfsvölkern 3) Dr. Ph. J. MAYER und Prof. J. SARTORI- KONSTANTIN I.(306/307–337) 1 Münze, den Rhein und eroberten, plünderten und US „Lehrbuch der Kirchengeschichte, Teil CRISPUS (217–326) 1 Münze, MAGNEN- verwüsteten Mainz 6). Danach zogen sie wei- 1, 1947 TIUS (350–353) 1 Münze, VALENTINIAN I. ter nach Westen in das gallisch–römische 4) B. Ralph KANKELFITZ, „Römische Mün- (364–375) 1 Münze, VALENS (364–378) 2 Kernland bis nach Spanien. Aus Versor- zen“, 1996, S.468 Münzen, MAGNUS MAXIMUS (383–388) 1 gungsgründen dürften sie sich hierzu in 5) Joachim GORECKI, „Die Fundmünzen Münze, THE-ODOSIUS (388–403) 1 Münze. mehrere Heerzüge aufgeteilt und so den ge- der Römischen Zeit in Deutschland“, Ab- Sechs weitere Münzen sind wegen starker samten heutigen Südwesten durchwandert teilung IV Rheinland–Pfalz, Band 1 Rhein- Beschädigungen nicht zu bestimmen, und haben. Teilkräfte könnten dabei auch un- hessen, 2010 je eine Münze des Kaisers MARCUS AU- sere Region tangiert haben. Da die Mainzer 6) Friedhelm JÜRGENSMEIER, „Das Bis- RELIUS (ANTONINUS I) (129–180 n.Chr. Ereignisse sicherlich eine sehr schnelle Ver- tum Mainz. Von der Römerzeit bis zum II. und des MAXIMIANUS (286–310 n.Chr.) breitung bis in die kleinsten Siedlungsbe- Vatikanischen Konzil“, 1988 4 (Seite 4 des Jahrgangs) Bad Kreuznacher Heimatblätter - 1/2012 Neues auf dem Büchermarkt der Heimat VON DR. HORST SILBERMANN, BAD KREUZNACH

Martin Senner: 52 Geschichten aus Kreuznachs Geschichte. Band 6. Bad Kreuz- nach 2011. 111 Seiten. Preis: 9,80 Euro. ISBN: 978-3-935516-69-3. Erhältlich im Buchhandel und beim Verlag Matthias Ess.

Zum sechsten Mal hat der Bad Kreuzna- cher Historiker Dr. Martin Senner seine teils skurril-kuriosen und überraschenden, im- mer aber unterhaltsam informierenden Ge- schichten aus Kreuznachs Geschichte vor- gelegt. Den roten Faden durch die 52 Texte bil- den dieses Mal die Kreuznacher Brücken. Senner ergänzt damit eine Initiative der Stif- tung „Haus der Stadtgeschichte Bad Kreuz- nach“, die eine eigene Arbeitsgruppe zur Erhellung der Bad Kreuznacher Brücken- geschichte und -kultur eingerichtet hat. In Senners Bändchen erfahren wir bei- spielsweise, dass man lange Zeit den Wert der Brückenhäuser verkannte und sie erst im 19. Jahrhundert zum werbewirksamen Wahrzeichen der Stadt wurden. Wir hören von einem „Brückenbogen, der keiner war“ und von einem „Brückenschlag durch Licht und Märchen“. Aber auch Geschichten über Straßenfußballer, Bombenbastler, ath- letische Damen, eine Magd in goldenen Kleidern, ein schläfriges Schwein und eine lebensmüde Katze empfehlen sich unserer Lektüre. Der Autor selbst spricht in seiner Einführung von „Geschichten, bunt wie das Leben“. Ingesamt ist ihm wieder ein Büch- lein gelungen, das in keinem Bad Kreuzna- cher Bücherregal fehlen sollte.

Ulrich Hauth: Von der Nahe in die Fer- ne. Zur Geschichte der Eisenbahnen in der Nahe-Hunsrück-Region. Bad Kreuznach 2011 (= Heimatkundliche Schriftenreihe des Landkreises Bad Kreuznach, Band 37 und Schriftenreihe der Kreisvolkshochschule Birkenfeld, Band 37). 288 Seiten, reich be- bildert. Preis: 18,50 Euro. Zu erwerben ist das Werk im Buchhandel, bei der Kreisver- waltung Bad Kreuznach (Herr Viehl), bei der Kreisvolkshochschule Birkenfeld und in der Heimatwissenschaftlichen Zentralbib- liothek des Landkreises Bad Kreuznach (Hospitalgasse 6). Um es gleich vorweg zu sagen: Das neu- este Werk des Kirner Historikers Dr. Ulrich Hauth ist ein großartiges Buch und wird ganz gewiss nicht nur unter Eisenbahn- freunden einen großen Leserkreis finden. Ausschnitt aus dem Umschlagbild. Es erschöpft sich nämlich nicht in der histo- rischen Beschreibung einzelner Bahnstre- cken und technischer Betriebsdetails oder in der Auswertung von Fahrplänen und Sta- Das Buch genügt allen geschichtswis- Eisenbahn bestehen. Dr. Ulrich Hauth hat tistiken, sondern geht über eine reine Ei- senschaftlichen Anforderungen, denen eine mit seinem Buch ganz ohne Zweifel einen senbahngeschichte weit hinaus. solche Arbeit zu entsprechen hat (Archiv- heimatwissenschaftlichen Meilenstein ge- recherche, Quellen- und Literaturverzeich- setzt. Neben der verkehrspolitischen Bedeu- nis, Anmerkungen zum Beleg der Informa- tung des Transportmittels Eisenbahn für tionsfundstellen, Ortsnamenverzeichnis) den Nahe-Hunsrück-Raum werden seine und ist obendrein noch gut lesbar geschrie- staats-, wirtschafts- und sozialpolitische Di- ben. mension ebenso in den Blick genommen Ein besonderer Stellenwert kommt den Die Bad Kreuznacher Heimatblätter erscheinen wie seine Auswirkungen auf das Alltagsle- fast zweihundert Abbildungen zu, die ne- monatlich in Zusammenarbeit mit dem Verein ben der Menschen unserer Region. Auch ben Strecken- und Fahrplänen ganz über- für Heimatkunde für Stadt und Kreis Bad Kreuznach kulturgeschichtliche Aspekte der Eisen- wiegend aus aussagekräftigen alten und e.V. (i. A. Dr. Horst Silbermann, bahngeschichte sind berücksichtigt. neuen Fotos zu allen Bereichen des Themas Dienheimer Berg 11, 55545 Bad Kreuznach). Nummer 2/2012 BadKreuznacher Beilage Bad Kreuznach Heimatblätter

Jüdische Frauen in Bad Kreuznach Ihr Leben und ihr Wirken in der Geschichte der Nahestadt

VON KERSTIN ZEHMER, ESSENHEIM

Ihre Namen waren Sophie Scheyer, Elisa- zur Zeit Jesu in den Städten Mainz, Ulm beth Würzburger oder Margot Strauß. Unter und Regensburg gelebt haben; insbeson- den jüdischen Frauen der Nahestadt be- dere in den römischen Rheinprovinzen, in fanden sich arme Kleinhändlerinnen ebenso deren tolerantem Klima römische Legionäre wie wohltätige Bürgerinnen. Aber auch ei- neben germanischen Stämmen und ande- ne stadtbekannte Hebamme oder eine kri- ren Völkern lebten. In diesem bunten Ge- Grabstein der 1795 geborenen und 1880 gestorbe- tische Journalistin machten in Kreuznach misch waren die Hebräer eine Gruppe un- nen Jeanette Scheyer auf dem Jüdischen Friedhof von sich reden. Die Berufstätigkeit war für ter vielen.2 Während nach der Völkerwan- in Bad Kreuznach. jüdische Frauen keineswegs so fremd wie derung die Mehrheit der germanischen Foto: Kerstin Zehmer, Essenheim oft vermutet wurde. Während im Mittelalter Stämme dem Vielgötterglauben abschwor zahlreiche jüdische Frauen als Geldhänd- und sich dem Christentum zuwandte, blie- lerinnen tätig waren, zwang im 18. und frü- ben die Juden, die seit altersher über eine ei- hen 19. Jahrhundert die Armut eine breite gene monotheistische Religion verfügten, rechnet eine Kreuznacher Jüdin erhielt vom Schicht jüdischer Frauen zu einer Betäti- bei ihren religiösen Überzeugungen. Selbst Frankfurter Stadtrat ein Bürgerrecht – wenn gung als Händlerin – neben ihrer Rolle als bei den antijüdischen Ausschreitungen zur es zunächst auch nur auf ein Jahr be- Hausfrau und Mutter. Zeit der Kreuzzüge, bei denen man die ver- schränkt war. Ein Geschenk, das Gottschalk Traditionell waren Frauen im Judentum folgten Juden zwang, sich zu entscheiden, noch in demselben Jahr dem Frankfurter von dem Studium der Thora und des Tal- entweder zu sterben oder zum Christen- Stadtrat zukommen ließ, könnte als Danke- muds zugunsten ihrer Haushaltspflichten tum überzutreten, wählten viele den Mär- schön gedeutet werden.3 „befreit”. Ihre Aufgabe war es, sich neben tyrertod. Die erste Erwähnung eines Juden Im Zuge der sogenannten „Judenschul- der Haushaltsführung vor allem um die Kin- in Kreuznach findet sich im Memorbuch der dentilgungen“, bei denen König Wenzel dererziehung zu kümmern. Die Männer hin- Stadt Nürnberg. Dort wird ein jüdischer (1378-1400) 37 Reichstädten erlaubte, per gegen sollten sich neben ihrer beruflichen Märtyrer aus Creuznach aufgeführt, der am Dekret christliche Kaufleute, die sich Geld Tätigkeit auch mit den religiösen Schriften 31.3.1283 hingerichtet wurde. bei Juden geliehen hatten, von ihren Schul- vertraut machen. Dieser Anspruch führte in Die Jüdin Bulyn ist die erste namentlich den zu befreien, hatte sich die Lage der jü- der Praxis dazu, dass sich im Mittelalter ein bekannte Frau aus der Kreuznacher Ge- dischen Bevölkerung im deutschen Reich Teil der Männer ganz dem Thorastudium meinde. Sie stellte nach dramatischen Er- deutlich verschlechtert. Die Städte wiede- hingab, während ihre Ehefrauen die Han- lebnissen ihr Talent als Geschäftsfrau unter rum erhielten als „Bezahlung für die Ent- delsgeschäfte führten. Bei Fernhändlern, Beweis. Bulyn war mit dem Juden Gott- schuldung“ eine bestimmte Summe von die sich monatelang auf Reisen befanden – schalk verheiratet, der ein Haus in der den christlichen Kaufleuten.4 Graf Simon und der Fernhandel war eine Domäne der Mannheimer Straße besaß. Gottschalk ver- von griff zu einer anderen Me- Juden am Rhein – war es sowieso unerläss- lieh sowohl kleinere als auch größere Geld- thode, die bei kleineren Herrschaften sehr lich, dass die Frauen das Handelsgeschäft summen an christliche Kaufleute, aber auch beliebt war: Ende des Jahres 1403 nahm er auch alleine führen konnten. an den Grafen von Sponheim. Juden, denen Gottschalk und seine Frau Bulyn scheinbar Trotzdem waren jüdische Frauen für die im Laufe der Zeit immer mehr Berufszweige ohne Anlass gefangen – der einzige sicht- Bewahrung der Traditionen zuständig, ins- verboten waren – so wurden sie beispiels- bare Grund für diese Maßnahme scheint in besondere für die Führung eines koscheren weise nicht in die Zünfte aufgenommen – der Tatsache zu liegen, dass sowohl der Haushaltes nach den jüdischen Speisege- waren auf die Geld- und Pfandleihgeschäf- Graf als auch der nach einem Feldzug an- setzen. Zudem oblagen ihnen religiöse te als wichtige Erwerbszweige angewiesen. geschlagene König Ruprecht (1400-1410) Pflichten im Haus – vor allem das Entzün- Der soziale Status des Kreuznacher Juden dringend Geld benötigten. Im Februar des den und das Segnen der Sabbatkerzen. Ei- Gottschalk und sein wirtschaftlicher Erfolg folgenden Jahres mussten Gottschalk und ne jüdische Frau sollte also Häuslichkeit waren so groß, dass der Frankfurter Stadtrat seine Frau per Vertrag auf ihr gesamtes Ver- und Religiosität und im besten Fall auch Ge- einen Boten in die Nahestadt schickte, um mögen zugunsten von Graf und König ver- schäftstüchtigkeit miteinander vereinen. So bei Gottschalk ein Darlehen in Höhe von zichten, um wieder frei zu kommen. Ankla- lobte der berühmte Wormser Rabbiner Elea- 600 Gulden zu erbitten. gepunkte sind keine überliefert. Gottschalk zar ben Jehuda in poetischen Versen seine Dieser enge Kontakt begünstigte ver- musste sich zudem verpflichten, noch aus- verstorbene Frau, deren Fähigkeiten als Ge- mutlich auch die Tatsache, dass Gele, die stehende Schulden seiner Kunden mög- schäftsfrau ihn „gekleidet und genährt und Tochter des Geldhändlers, im Jahr 1400 zu lichst schnell einzutreiben und an den Kö- mit Büchern versehen“ habe.1 dem seltenen Privileg gelangte, als Bürge- nig abzutreten. Eine kleine jüdische Gemeinde mit Na- rin in der Messestadt aufgenommen zu wer- Während Gottschalk seine Schuldner ab- men „Zelemochum“ existierte in Kreuznach den. Das Bürgerrecht, generell schwer zu klapperte, stritten sich indessen König und bereits im 14. Jahrhundert. Der jüdischen erwerben, konnten Juden nur unter schwie- Graf um die Aufteilung von Gottschalks Überlieferung zufolge sollen Juden schon rigen Bedingungen erlangen. Und ausge- Vermögen. Der Graf verlangte einen höhe- 2 (Seite 6 des Jahrgangs) Bad Kreuznacher Heimatblätter - 2/2012

ren Anteil, als der König ihm gewähren Jahrhunderts zugleich als Frucht- und sen Kreisen war es üblich, dass frisch ver- wollte. Einigkeit herrschte jedoch in dem Weinhändler betätigte. Seine Tochter Vö- heiratete Paare eine Weile bei den Eltern Punkt, dass man sicherstellen wollte, dass gele verlobte sich 1764 mit Isaac des Bräutigams oder der Braut lebten oder Gottschalk auch tatsächlich alle Außen- Löw Astruck aus Worms, der daraufhin ein zumindest in deren Nähe, um Geld für ein stände eintrieb. Um Druck auf ihn auszu- Aufnahmegesuch im Kreuznacher Stadtrat eigenes Handelsgeschäft sparen zu können. üben, wurden seine Frau Bulyn, sein Sohn einreichte. Jüdische Paare schlossen bei ih- Oft mussten die jungen Leute auch noch ih- Smohel, sein Schwager und weitere Fami- rer Eheschließung einen Heiratsvertrag, in re geschäftlichen Kenntnisse vertiefen und lienmitglieder in Kreuznach erneut inhaf- dem geregelt wurde, wie hoch die Aus- wurden bei ihren ersten Geschäften von tiert – offiziell wurden als Grund für die In- steuer war, die beide Paare beziehungs- den Eltern angeleitet. Boehla hatte eine ho- haftierung Frevel gegen den Grafen und ge- weise deren Eltern zu der Ehe beizusteuern he Summe als Mitgift in die Ehe einge- gen die Freiheiten der Stadt Kreuznach an- hatten und wer Möbel, Bargeld und Wert- bracht und sich ein Mitspracherecht bei der gegeben. Erst im Frühjahr 1405 wurde die gegenstände erhalten sollte, falls einer der Vermögensverwaltung im Ehevertrag zusi- Familie Gottschalks wieder freigelassen.5 beiden Ehepartner sterben würde. chern lassen. Während die Witwe Nennell, Anschließend hielt es Gottschalk in Hirsch, ein Sohn des Feist Simmern von die Mutter des Bräutigams, zuvor eine Auf- Kreuznach nicht mehr aus und er zog in ein Kreuznach, heiratete im Juli 1777 die Jüdin nahmegenehmigung des Paares in Kreuz- anderes Herrschaftsgebiet – nach Boehla. In ihrem Heiratsvertrag heißt es: nach erwirkt hatte, bekundete sie nun im am Main, wo inzwischen neben der Tochter „Von jetzt an sollen diese Eheleuthe lieblich Hochzeitsvertrag, das junge Paar ein Jahr Gele noch eine zweite Tochter lebte. Ehe- und freundlich mit einander leben, auch kei- lang bei sich aufzunehmen und in dieser frau Bulyn zog es allerdings vor, mit den jün- ner vor dem andern nichts verbergen oder Zeit zu verköstigen. Die Mutter des Bräuti- geren Kindern in ihrer Heimatstadt Kreuz- verhehlen, sondern über beyderseitigs Ver- gams bezahlte hierfür das Schutzgeld, wo- nach zu bleiben. Obwohl Bulyn nach der mögen, eines wie das andere gleich Gewalt bei ihr Sohn sich verpflichtete, einen Teil „Enteignung“ wieder ganz von vorne an- haben. In sofern aber mehrgedachter Hoch- des Schutzgeldbeitrages beizusteuern. fangen musste, schaffte sie es, sich ein neu- zeiter Hirsch seiner Frau Boehla derglei- Der Ehevertrag enthielt zudem erbrecht- es Vermögen zu erwirtschaften. Dieses Ver- chen unerträgliche Sachen verursachen liche Regelungen, wie sie in ähnlicher Form mögen war so groß, dass 1421 der Graf auch sollte, daß sie dieserwegen einen Richter in vielen jüdischen Eheverträgen wieder- sie gefangen nehmen ließ. Bulyn musste nöthig hätten, so muß er ihr sogleich alle ihr zufinden sind: In dem Fall, dass Boehla oh- ihm im Tausch gegen ihre Freiheit sämtli- Kleider und zugehörige Zierrathen, ein- ne die Geburt eines Kindes im ersten Jahr che Schulden erlassen, die der Graf bei der händigen, auch ihr sogleich von der Stund nach der Eheschließung sterben würde, hät- Kauffrau gemacht hatte. Was aus der Kreuz- an der der Zank angeht, monatlich zehn Gul- te ihr Ehemann Hirsch entsprechend dem nacher Jüdin daraufhin wurde, ist nicht be- den zu ihrem Unterhalt geben, bey dem ist Ehevertrag das Vermögen seiner verstor- kannt. er schuldig, in Zeit 14en Tägen, von der Zeit benen Frau an deren Verwandte zurückge- Während des 17. Jahrhunderts konsoli- an, da es praetendiert wird, mit ihr vor dem ben müssen. Sollte sie zwei Jahre nach der dierte sich die jüdische Gemeinde in der Na- Jüdischen Gericht zu gehen. Nach getrof- Trauung ohne Kinder sterben, würde er hin- hestadt. Die jüdischen Bürger und Bürge- fenem Vergleich aber muß sie in ihres Man- gegen die Hälfte des Vermögens behalten rinnen waren aus dem Wirtschaftsleben der nes Behausung nebst übrigem Geld samt dürfen. Brächte Boehla allerdings Kinder Nahestadt nicht mehr wegzudenken. Zu- Kleider und Zierrathe zurückgehen.“6 zur Welt, hätte im Fall ihres Todes der Wit- dem verfügte die jüdische Gemeinde nun Sowohl Hirsch als auch Boehla stammten wer - nun alleine verantwortlich für den über jene Institutionen, die zu einem funk- aus finanziell gut gestellten Familien. In die- Nachwuchs - ihr gesamtes Vermögen ge- tionierenden Gemeinwesen für Juden ge- erbt, unabhängig von der Frage, wie lange hören – etwa eine Synagoge oder ein Tauch- das Paar zu diesem Zeitpunkt bereits ver- bad. Mit 800 Familien war die jüdische Ge- heiratet gewesen wäre. Im Ehevertrag wer- meinde Kreuznachs sogar eine der größten den auch alle Kleider der vermögenden im Mittelrheingebiet. Die jüdischen Bürger Frau aufgelistet, die sie in die Ehe mit ein- und Bürgerinnen der Nahestadt wohnten brachte: Darunter beispielsweise ein rotes mehrheitlich in zwei Häuserzeilen entlang Kleid aus Atlasseide für besondere Anlässe, eines schmalen Gässchens im südöstlichen während ein weiteres Seidenkleid für den Winkel der Altstadt Kreuznachs. Da die Ge- Sabbath vorgesehen war. Neben zwei so- meinde vorerst über keinen eigenen Rab- genannten Alltagskleidern enthält die Liste biner verfügte, wurde an den jüdischen Fei- auch ein braunes Wollkleid mit weißen Blu- ertagen ein auswärtiger Rabbiner nach men und sechs Alltagshauben, die jüdische Kreuznach geholt. 1711 erwarb die jüdische Frauen trugen. Gemeinde ein Haus in der Mühlenstraße, In der dünnen Schicht des gehobenen das sie nun als Synagoge nutzte. Die Ver- Bürgertums betätigten sich jüdische Frauen legung der Synagoge in die Innenstadt do- – im Gegensatz zu den Gewohnheiten im kumentiert die Konsolidierung der Jüdi- Mittelalter und in der Frühen Neuzeit – wäh- schen Gemeinde, deren Mitglieder – aller- rend des 18. und 19. Jahrhunderts seltener dings gegen die Zahlung eines sogenann- als Geschäftsfrauen. Stattdessen engagier- ten Schutzgeldes – nun eine akzeptierte ten sie sich verstärkt auf dem Feld der Wohl- Minderheit in Kreuznach darstellten. tätigkeit. Soziales Engagement und soziale Fast alle im Süden und im Südwesten Gerechtigkeit (Zedaka) spielen im Juden- Deutschlands lebenden Juden verloren tum ohnehin eine besondere Rolle. So sollte durch die erwähnten „Judenschuldentil- jeder Reiche ein Zehntel seines Einkom- gungen“ einen großen Teil ihres Vermö- mens an Bedürftige abgeben. Die in der ers- gens. Diese Maßnahmen trugen dazu bei, ten Hälfte des 19. Jahrhunderts geborene dass sich die Darlehenstätigkeit der Juden Gütle Woog war mit dem Kreuznacher „Ju- in der nachfolgenden Zeit auf die kleinere, denvorsteher“ Isaac Moises Woog (1729 ge- alltägliche Pfandleihe beschränkte – auch boren) verheiratet; sie soll dem jüdischen in der Kreuznacher Gemeinde war dies der Frauenideal der treusorgenden, religiösen Fall. Zudem hatten die Vertreibungen der Gattin, die uneigennützig handelt, beson- jüdischen Bevölkerung aus den größeren ders gut entsprochen haben. Über sie sagte Städten auf das Land oder in kleinere Städ- man: „Sie besuchte Kranke, arme wie rei- te zu Beginn der Neuzeit den Verarmungs- che, bekleidete die Toten, linderte ver- prozess verstärkt. Das Landjudentum wurde schämte Armut, zog die Armen den Reichen nun zur typischen Lebensform der deut- vor, versäumte keine Gebetszeit.“ schen Juden. Viele Juden waren Vieh- Sowohl für Gütle als auch ihren Ehemann händler – auch in der Kreuznacher Ge- Isaac war es die zweite Ehe. Gütle war zu- meinde. Zudem waren jüdische Händler oft vor mit dem Mediziner Dr. Joel Cahn ver- in verschiedenen Gewerbezweigen tätig, heiratet gewesen und hatte 1776 eine Toch- um ihre Familien über Wasser halten zu ter zur Welt gebracht. Nachdem ihr Ehe- können. Zwei jüdische Frauen aus Bad Kreuznach 1935. mann verstorben war, heiratete sie den Wit- Ein typisches Beispiel dafür ist Wolf Elias Foto: Archiv der Paul Lazarus Stiftung für deutsch-jüdische Ge- wer Isaac, der fünf Kinder in die Ehe mit- Wiesbaden, der sich in der Mitte des 18. schichte, Wiesbaden brachte.7 Gütle Woog versorgte insgesamt Bad Kreuznacher Heimatblätter - 2/2012 (Seite 7 des Jahrgangs) 3

sechs Kinder, ging regelmäßig in die Syna- ne Witwe, die ihn gleich um mehrere Jahr- goge, besuchte die Kranken der Gemeinde zehnte überlebte. Es stellte sich nun heraus, und war vermutlich Mitglied einer jüdi- dass diese besonders wohltätig eingestellt schen Beerdigungsgesellschaft. Ihr Einsatz war. Das Ehepaar hatte drei Kinder; trotz- für andere hinderte sie nicht daran, sich vor dem vermachte Sophie Scheyer einen Teil ihrer zweiten Eheschließung mit Isaac Woog ihres Vermögens der Stadt. Als Zeichen der zu „ihrer eigenen Sicherheit“, wie sie in ei- mehr als 100-jährigen Verbundenheit ihrer nem Brief an den Rabbiner Samuel Strauß Familie mit der Nahestadt verfügte sie, dass schrieb, die Geldsumme, die sie in die Ehe ein Teil ihres Nachlasses als mildtätige Stif- mit dem Gemeindevorsteher einbrachte, tung zur Unterstützung bedürftiger Perso- noch einmal schriftlich bestätigen zu lassen, nen angelegt werden sollte. 1914 wurde die damit sie im Fall einer Scheidung oder bei „Eheleute Scheyer“ Stiftung eingerichtet dem Tod ihres Mannes die Summe wieder- und mit der damals ungeheuerlichen Sum- erhalten würde. Gütle Woog kümmerte sich me von 100 000 Mark ausgestattet. Ein Vier- demnach intensiv um andere Menschen, tel der Zinsen kam dem Jugendheim zugu- ohne jedoch naiv zu sein und sorgte, wie te, ein weiteres Viertel sollte dazu dienen, der Brief an den Rabbiner belegt, auch für armen Schulkindern ohne Unterschied ihrer ihre eigene finanzielle Absicherung. Konfession proportional zu ihrem Anteil an Zu den führenden Gemeindemitgliedern der Stadtbevölkerung ein warmes Früh- in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stück oder Bekleidung zukommen zu las- zählte – neben den Mitgliedern der Familie sen. Mit der verbliebenen Hälfte der Zinsen Woog – der Kaufmann Benjamin Beckhard, sollten Weihnachtsgeschenke für Bedürfti- der es als Weinhändler zu großem Wohl- ge in Form von Lebensmitteln oder Kohle er- stand brachte. Ausgerechnet seine minder- standen werden.12 jährige Tochter Jeanette beteiligte der drei- Seit dem Mittelalter kümmerten sich jü- fache Familienvater an seinen Geschäften. dische Frauenvereine um die Alten und Jeanette Beckhard, 1795 geboren, wurde Schwachen in der Gesellschaft. Fast für je- von ihrem Vater offenbar für so talentiert Sophie Sondhelm als Krankenschwester in Köln den Versorgungsfall gab es einen eigenen und kompetent gehalten, dass er sie nicht (vor 1920). Verein: Eine Vereinigung kümmerte sich nur in geschäftliche Dinge einwies, sondern Foto: Stadtarchiv Köln nur darum, dass Tote, die keine Angehöri- auch mit weitreichenden Vollmachten aus- gen hatten, gewaschen wurden; ein anderer stattete und ihr bereits in äußerst jungen Verein sammelte Geld, um damit mittello- Jahren Verantwortung für das Geschäft sen Bräuten ein Hochzeitskleid zu finan- übertrug. 1815 heiratete Jeanette Beckhard ausfiel, übte einen ganz anderen Beruf aus: zieren. 1904 gründete Bertha Pappenheim den aus einer bekannten und traditionsrei- Über mehrere Jahrzehnte hinweg stand sie als Dachorganisation für die circa 400 da- chen Frankfurter Familie stammenden Si- als Hebamme jüdischen Frauen bei der Ge- mals in Deutschland existierenden jüdi- gismund Scheyer. Jeanette Scheyer zog burt ihrer Kinder zur Seite. Auch ihre Toch- schen Frauenvereine und als zentrale Inte- zehn Kinder groß und war für den großen ter Amalie wurde Hebamme. Sie war eben- ressenvertretung der jüdischen Frauen den Haushalt der Familie verantwortlich. Ihr falls verheiratet und musste sich daher Jüdischen Frauenbund (JFB), der auch in Mann war zeitweilig Gemeindevorsteher gleichzeitig noch um ihren eigenen Haus- Kreuznach eine Zweigstelle eröffnete, in und pflegte als erfolgreicher Handelsmann halt und die Kindererziehung kümmern. In welcher sich neben anderen die Wein- weitreichende Kontakte. Nach dem Tod von der Kreuznacher jüdischen Gemeinde gab händlersgattin Paula Krämer engagierte. 13 Jeanettes Vaters führte Ehemann Sigmund es auch sehr gebildete Frauen, wenngleich Zu seinem 100-jährigen Bestehen be- Scheyer gemeinsam mit seinem Schwager sie die Ausnahme dargestellt haben dürf- schloss der ebenfalls dem JFB angehörende Leopold Beckhard das Handelsunterneh- ten. Das Paradebeispiel ist Rachel Ansbach, Israelitische Frauenverein der Stadt Köln men „Beckhard und Söhne“. Als Jeanette die Tochter eines Rabbiners aus Metz, die die Einrichtung eines Erholungsheims für Scheyers Bruder kinderlos starb und sie aufgrund ihrer Eheschließung mit dem Kinder mit Atemwegserkrankungen. Als selbst 1848 ihren Mann verlor, führte sie Großhändler Michel Seligmann 1815 nach idealen Standort für eine solche Einrichtung das Unternehmen als Witwe weiter. Da sie Kreuznach zog. Sie soll sich nicht nur mit wählte man das idyllisch gelegene Sali- bereits als junge Frau Handelserfahrungen den jüdischen Schriften bestens ausge- nental in Bad Kreuznach aus. Die Einrich- gesammelt hatte, hatte sie keine Probleme, kannt, sondern zudem über eine vorzügli- tung wurde 1920 eröffnet und die Kölner die Unternehmensführung alleine zu über- che Allgemeinbildung verfügt sowie meh- Krankenschwester Sophie Sondhelm zu ih- nehmen.8 rere Fremdsprachen gesprochen haben. rer Leiterin auserkoren. 1887 in Kleinlang- Neben den Witwen betätigten sich wäh- Nach dem Tod ihres Mannes 1855 zog sie heim in der Nähe von Kitzingen geboren, rend des 19. Jahrhunderts vor allem jüdi- zu Verwandten nach , zahlte ließ sie sich nach der Schulzeit im „Israeli- sche Frauen aus mittellosen Familien, die aber weiterhin Steuern in der Nahestadt, tischen Asyl für Kranke und Altersschwa- auf den Gelderwerb angewiesen waren, als obwohl sie dazu nicht verpflichtet gewesen che“ in Köln ausbilden. Anschließend ar- Geschäftsfrauen. Der Lohn des Ehemannes wäre.9 beitete sie als Operationsschwester. Unter reichte bei der Mehrheit der Familien - im Im Laufe des 19. Jahrhunderts schaffte es der Leitung von Sophie Sondhelm wurde Gegensatz zu der wohlhabenden Familie die größtenteils verarmte jüdische Bevöl- die Jüdische Kinderheilstätte im Salinental Beckhard, die eine Ausnahme darstellte – kerung, sich mit kaufmännischen Berufen zu einer überregional geschätzten Kur-Ein- kaum zum Überleben aus. In ihrer Not be- aus der Armut zu befreien. In der zweiten richtung. Im Hauptgebäude konnten 60 bis mühten sich die jüdischen Frauen, mit den Hälfte des Jahrhunderts gehörten etwa die 80 Kinder untergebracht werden. 20 Mitar- unterschiedlichsten Waren und Gütern Han- Hälfte der deutschen Juden dem unteren beiter benötigte die Einrichtung insgesamt. del zu treiben. Manche verkauften selbst- oder mittleren Bürgertum an.10 1871 erfolgte Sophie Sondhelm galt als fromm, aber nicht gefertigte Waren – etwa Flechtwerke wie die völlige staatsrechtliche Gleichstellung dogmatisch. Jüdische Rituale und Regeln Körbe, während andere Naturalien wie But- der Juden, die nun alle Berufe ausüben durf- wurden praktiziert – beispielsweise gab es ter, Eier oder Obst auf dem Land billig ein- ten. Nur einzelne Juden brachten es entge- nur koschere Speisen und die Jungen tru- kauften und dann auf dem Wochenmarkt in gen dem weit verbreiteten Klischee zu gro- gen bei den Mahlzeiten eine Kopfbede- der Stadt vertrieben. Manchmal stammten ßem Reichtum und lassen sich dem Groß- ckung. In der Hochsaison wurde der Schab- die Produkte auch aus eigener Produktion. bürgertum zurechnen. In Kreuznach war bat im Speisesaal gefeiert.14 1928 erhielt das Die ärmsten unter ihnen handelten mit ge- dies die Familie Scheyer, die von Frankfurt Haus einen Anbau, nun konnten 120 Kinder brauchten Gütern. So gab es beispielsweise nach Kreuznach gezogen war und mit ihren dort logieren. Eine Kölner Lehrerin schrieb in Kreuznach eine ganze Reihe von Alt- Investitionen in der Nahestadt zur Industri- über das Heim: „Wer das Heim des Kölner kleider-Händlerinnen. Babette Wolf war ei- alisierung der ganzen Region beitrug.11 Der Vereins ‚Jüdische Kinderheilstätte Bad ne von ihnen – wie sie gaben zahlreiche jü- mit Jeanette Beckhardt verheiratete Sieg- Kreuznach’ kennt, weiß, dass es zu den dische Frauen als Berufsbezeichnung ein- mund Scheyer war einer der Söhne der Fa- schönsten jüdischen Heimen Deutschlands fach „Kleinhändlerin“ an. milie. Sein deutlich jüngerer Bruder Hein- zählt.“ Elisabeth Würzburger hingegen, die mit rich Scheyer heiratete 1856 Sophie Hirsch, Sophie Sondhelm ging ganz in ihrer Ar- dem jüdischen Religionslehrer der Kreuz- die aus einer der ältesten jüdischen Fami- beit auf und beobachte zugleich mit wa- nacher Gemeinde verheiratet war, dessen lien „Zelemochums“ stammte. Heinrich chem Verstand die politischen Entwicklung Einkommen allerdings äußerst bescheiden Scheyer starb jedoch jung und hinterließ ei- in Deutschland. Bereits 1933 bot sie der jü- 4 (Seite 8 des Jahrgangs) Bad Kreuznacher Heimatblätter - 2/2012

dischen Auswanderungsorganisation He- Anmerkungen chaluz ihre Hilfe an. Im Kreuznacher Kin- derheim wurde von Sophie Sondhelm die erste Mächenausbildungsstätte der Hecha- 1 Vgl. Judith R. Baskin: Women and Ritual luz geschaffen. In mehrmonatigen Kursen Immersion in Medieval Ashkenaz: The Se- wurden die Teilnehmerinnen auf das neue xual Politics of Piety, in: Lawrence Fine Leben im ländlich geprägten Palästina vor- (Ed.): in Practice. From the Middle bereitet. Sogar der bekannte Religionsphi- Ages through the Early Modern Period; losoph Martin Buber kam nach Bad Kreuz- Princeton 1982, S. 132 f. und Ivan I. Marcus: nach, um die Hechaluz-Mitarbeiter zu schu- Mothers, Martyrs and Moneymakers: Some len. Vergeblich bat Sophie Sondhelm 1935 Jewish Women in Medieval , in: die Kölner Zentrale um eine Verlegung des Conservative Judaism 38/3, 1986, S. 34 ff. Heimes nach Palästina. Die Führungsriege 2 Vgl. Frank Stern: Dann bin ich um den vertrat die verhängnisvolle Auffassung, man Schlaf gebracht. Ein Jahrtausend jüdisch- müsse nur bis zum Ende des Nationalsozia- deutsche Kulturgeschichte; Berlin 2002, S. lismus durchhalten. 23 ff. Als Sophie Sondhelm 1937 von einem 3 Vgl. Franz-Josef Ziwes: Studien zur Ge- Neffen ein Visum für die USA erhielt, das schichte der Juden im mittleren Rheinge- nur ihr allein galt, lehnte sie die Ausreise biet während des hohen und späten Mittel- ab. Sie blieb und half statt dessen anderen alters. Schriftenreihe zur Geschichte der Ju- bei der Flucht. Sie stellte entsprechende den (Hrsg.: Gesellschaft zur Erforschung Kontakte her, motivierte junge Leute, der Geschichte der Juden e.V.); Hannover Deutschland zu verlassen. Bereits 1937 ka- 1995, S. 208 ff. men keine Kinder mehr in das Heim. In der 4 Vgl. Friedrich Battenberg: Das Europäi- sogenannten Reichskristallnacht 1938 wur- sche Zeitalter der Juden. Zur Entwicklung de die Einrichtung fast komplett zerstört einer Minderheit in der nichtjüdischen Um- und das Haus anschließend wegen angebli- welt Europas; Darmstadt 1990, S. 148 f. und cher „Verdreckung“ geschlossen. So fand Margot Strauß als Studentin. Hermann Kellenbenz: Die Juden in der auch die Arbeit der Hechaluz ein Ende. Foto: Stadtarchiv Bad Kreuznach Wirtschaftsgeschichte des rheinischen Rau- Nach verschiedenen Zwischenstationen mes. Von der Spätantike bis 1638, in: Kon- wurde Sophie Sondhelm 1942 noch einmal rad Schilling (Hg.): Monumenta Judaica. mit der Leitung eines Heimes betraut. 2000 Jahre Geschichte und Kultur der Ju- Ihre Bedeutung und ihr Bekanntheits- got Strauß im Einvernehmen mit dem Ver- den am Rhein; Köln 1963, S. 200f. grad im deutschen Judentum lassen sich leger auf unbestimmte Zeit mit vollem Ge- 5 Vgl. Ziwes 1995, a. a. O., S. 213 wohl mit am besten an der Tatsache able- halt beurlaubt. Als alle Bemühungen schei- 6 Zitat aus der Übersetzung eines hebräi- sen, dass man ihr die Leitung der berühm- terten, die Maßnahme aufheben zu lassen, schen Heiratscontracts (1777) zwischen ten Einrichtung in Neu-Isenburg anbot, musste der „Öffentliche Anzeiger“ am 1. Ju- Hirsch, Sohn des Feist Simmern, und Bohe- welche von keiner Geringeren als von Ber- ni 1933 seine Mitarbeiterin endgültig ent- la aus Creutznach (Stadtarchiv Bad Kreuz- tha Pappenheim gegründet und geleitet lassen. nach, Actenstück Gr. 780, Nr. 3, Verträge worden war. Margot Strauß konnte daraufhin weder und Verhandlungen einzelner Juden (1681- Doch die Nationalsozialisten in ihrem ihre Arbeit als Redakteurin bei einer ande- 1796), S. 219 f .) Rassenwahn machten auch vor Schwester ren Zeitung noch ihr Studium fortsetzen. 7 Vgl. Andrea Fink: Jüdische Familien in Sophie nicht halt. 1942 wurde sie verhaftet Erst im Februar 1935 gelang es ihr, eine Kreuznach. Vom 18. Jahrhundert bis zum und 1943 nach Theresienstadt gebracht. neue Stellung zu finden. Sie zog nach Karls- Ersten Weltkrieg. Eine Dokumentation; Bad Auch hier kümmerte sie sich um Schwä- ruhe und arbeitete dort für eine Import-Fir- Kreuznach 2001, S. 89 chere und arbeitete als Krankenschwester. ma namens Heinrich Kaufmann – der Inha- 8 Vgl. Schriftliche Fassung eines Vortrages Am 9. Oktober 1944 wurde sie nach Ausch- ber war ebenfalls jüdischer Abstammung. von Andrea Fink über „Jüdische Familien- witz deportiert und dort kurze Zeit später Die Karlsruher Firma wurde im August 1938 geschichten aus Kreuznach“ (2005), S. 4 umgebracht. „arisiert“ - nach dem Zwangsverkauf be- 9 Vgl. Fink 2001, a. a. O., S. 126 In Bad Kreuznach lebte 1938 von den 552 stand für die junge Jüdin auf deutschem Bo- 10 Vgl. Avraham Barkai: Jüdische Minder- Juden, die 1933 noch dort gemeldet waren, den keine Möglichkeit mehr, eine Er- heit und Industrialisierung. Demographie, nur noch ein Drittel. Die Nationalsozialisten werbstätigkeit zu finden. Berufe und Einkommen der Juden in West- hatten sich der Scheyer-Stiftung ebenso be- Von diesem Zeitpunkt an versuchte Mar- deutschland 1850-1914; Tübingen 1988, S. mächtigt, wie sie zu Beginn der 30er-Jahre got Strauß, Papiere für eine Auswanderung 37 f. die Karriere der jüdischen Journalistin Mar- zu erlangen. Ende Februar 1939 gelang ihr 11 Vgl. Andrea Fink: Ein Stück Kreuznacher got Strauß zerstörten. Margot Strauß stamm- schließlich die Flucht nach England. Drei Geschichte. Der jüdische Friedhof in Bad te aus einer jüdischen Familie, die in der Monate nach der Emigration starb ihr Vater Kreuznach, in: Bad Kreuznacher Heimat- Baumgartenstraße lebte. Der Vater war von Jacob Strauß in Bad Kreuznach. Stiefmutter blätter, 2002, Nr. 3, S. 2 Beruf Weinkommissionär. Von den sieben und Schwester mussten 1939 unter dem 12 Vgl. dieselbe: Jüdisches Leben in Kreuz- Kindern, die Mutter Johanna Süßmann auf Druck der Nationalsozialisten das Haus in nach. Vom Mittelalter bis zum Ersten Welt- die Welt gebracht hatte, starben vier bereits der Baumgartenstraße verkaufen. Stief- krieg (Schriftliche Fassung eines Vortrages, im Kleinkindalter; eine Tochter starb mit mutter Rebecca Strauß wurde 1940 nach ohne Datum), S.15 fast zehn Jahren. 1911 verlor die Familie Minsk deportiert. Danach fehlt jedes Le- 13 Vgl. Marion A. Kaplan: Die jüdische Frau- auch die Mutter. Übrig blieben nur Margot, benszeichen von ihr. Selma Strauß kam ge- enbewegung in Deutschland. Organisation das jüngste Kind, und Selma, die älteste meinsam mit einer Tante und einer Cousine und Ziele des Jüdischen Frauenbundes Tochter der Familie. nach Theresienstadt. Sie überlebte, wäh- 1904-1938, Hamburg 1981, S. 116 ff. Die junge Frau begann 1928 in Heidel- rend Tante und Cousine starben. 14 Vgl. Irene und Dieter Corbach: Sophie berg Philosophie und Zeitungswissen- In London musste Margot Strauß zu- Sondhelm und die Kölner Kinderheilstätte schaften zu studieren. Mit einer Anstellung nächst als Hausmädchen arbeiten. Als der Bad Kreuznach; Köln 1987, S. 7 ff. als Redakteurin beim Öffentlichen Anzeiger Krieg ausbrach, wurde sie als Ausländerin 15 Die Informationen stammen aus einem finanzierte sie ihr Studium. Vor allem mit ih- interniert. Nach ihrer Entlassung arbeitete Brief der mittlerweile verstorbenen Irma Le- ren Theaterkritiken verschaffte sie sich gro- Margot Strauß für eine Flüchtlingshilfeor- one, einer Cousine von Selma Strauß, aus ße Anerkennung. Zudem hielt sie im Volks- ganisation in London – diese half Emigran- San Diego, USA, 2001. bildungsheim Vorträge über philosophische ten, in der Fremde Fuß zu fassen. Von den Themen, die ein begeistertes Echo fanden. Kreuznacher Juden, die sich 1939 noch in Nach der Machtübernahme der National- der Stadt aufhielten, darunter viele kranke sozialisten änderte sich ihr gesamtes Leben und alte Menschen sowie Frauen, sind fast schlagartig. Am 14. März 1933 erschien der alle in Konzentrationslagern gestorben. Sel- Die Bad Kreuznacher Heimatblätter erscheinen Kreisleiter der NSDAP mit 20 SA-Leuten in ma Strauß, die Schwester von Margot Strauß, monatlich in Zusammenarbeit mit dem Verein der Redaktion des „Öffentlichen Anzei- überlebte zwar, konnte aber ihre KZ-Erleb- für Heimatkunde für Stadt und Kreis Bad Kreuznach gers“ und verlangte die Entlassung der jü- nisse nicht vergessen und nahm sich 1947 e.V. (i. A. Dr. Horst Silbermann, dischen Journalistin. Zunächst wurde Mar- das Leben.15 Dienheimer Berg 11, 55545 Bad Kreuznach). Nummer 3/2012 BadKreuznacher Beilage Bad Kreuznach Heimatblätter

Die Seitz-Werke an der Planiger Straße in Bad Kreuznach (1937). Fundstelle: Festschrift der Seitz-Werke zum 50-jährigen Bestehen. Bad Kreuznach 1937 Zur Wirtschaftslage des Nahegebiets um 1935 Aus einer Bestandsaufnahme des Koblenzer Regierungspräsidenten

VON RAINER SEIL,

Einführung fielen, stiegen sie im Kob- in „amtlichen, wirtschaftlichen und wissen- lenz, wo sie zunächst von 52 100 auf 19 500 schaftlichen Kreisen“ eine regelrechte Am 28. Juni 1919 musste das im Ersten gefallen waren, zum Jahreswechsel 1934 auf „Verlagerungspsychose“ ausbreite. Dem- Weltkrieg geschlagene Deutsche Reich im 1935 noch einmal auf 28 300, das heißt um nach bestand die Tendenz, Industriezweige Spiegelsaal des Schlosses von Versailles ei- 45 Prozent an. aus der Grenznähe zu potenziellen Angrei- nen Friedensvertrag unterzeichnen, der als Nach der Machtübernahme durch die fern in weniger gefährdete Gebiete im In- „Versailler Vertrag“ in die Geschichte ein- Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 be- nern des Deutschen Reiches zu verlagern. ging und ein schweres Trauma in Deutsch- trieb das NS-Regime seit Februar 1933 eine Davon betroffen sahen sich so wichtige land hinterließ. Neben Gebietsabtretungen tatkräftige Aufrüstung, was zumindest in Wirtschaftsräume wie das Saargebiet, das im Westen, Norden und Osten des Deut- der Frühphase unter den Bedingungen des Rheinland, das Ruhrgebiet, das mitteldeut- schen Reiches sowie hohen Reparations- Versailler Friedensvertrags ein riskantes sche Industriegebiet und Oberschlesien. leistungen bedeutete er für die Regionen Unterfangen war. erklärte am 8. Demgegenüber bezeichnete Turner sei- westlich des Rheins eine mehrjährige Be- Februar 1933 im Kabinett, dass die Wehr- nen Regierungsbezirk als „natürlichen Kern satzungszeit und Entmilitarisierung. machtsfinanzierung vor allen zivilen Pro- des mittelrheinischen Wirtschaftsgebietes“, Eine Folge dieser Entwicklung waren jekten Priorität genieße. um dessen wirtschaftliche Entwicklung er große wirtschaftliche Probleme im gesamten Vor diesem Hintergrund richtete Regie- sich zunehmend sorge: „Der Rhein ist nicht Deutschen Reich, aber nicht zuletzt in des- rungsrat Harald Turner, der von 1933 bis Grenze, vielmehr starke Bindung und Rück- sen westlichen Grenzgebieten. Die Inflation 1936 Regierungspräsident in war, grat. Die Täler der Mosel, Nahe, Lahn, Ahr des Jahres 1923 und der sich im Zusam- ein Schreiben an das Innenministerium des und Wied sind Gerüst, die Stadt Koblenz menhang mit der Weltwirtschaftskrise der Deutschen Reiches in Berlin, in dem er die Schwerpunkt. Charakterisiert durch Wein- Jahre 1929 bis 1932 verschärfende wirt- wirtschaftliche Situation des Regierungsbe- bau, Basalt, Bims und Eisenerz ist es ein Ge- schaftliche Niedergang sind hierzu die mar- zirks Koblenz darlegte. biet von eigener Wirtschaftsprägung und kantesten Stichworte. Und während die Ar- Mit Bezug auf eine NS-Veröffentlichung Stammesart und bei naturgegebener Er- beitslosenzahlen im Reich von ca. 6 Millio- zum Thema „Industrieverlagerung“ be- gänzung durch die Kreise Montabaur, Diez, nen im Januar 1932 auf einen Jahresdurch- klagte Turner, dass sich in den grenznahen Unterlahn und St. Goarshausen und die an- schnitt von circa 2,7 Millionen im Jahr 1934 Regionen im Westen des Deutschen Reiches grenzenden Teile der Bezirke Trier, Birken- 2 (Seite 10 des Jahrgangs) Bad Kreuznacher Heimatblätter - 3/2012

feld und des früheren Kreises Rheinbach ge- Kran für eine Marinewerft.“ Im Kreis Kreuz- zeugung zusätzliche Arbeitsplätze zu schaf- eignet, den Mittelrheinischen Gau darzu- nach hatten sich demnach bereits die Le- fen wären. stellen.“ derfabrik Ackva (Bad Kreuznach) und die Im Kreis Kreuznach waren die Arbeitslo- Nach Turners Auffassung hatten schon Schuhfabrik Bernardi (Sobernheim) „nach- senzahlen 1935 erst um 20 Prozent gesun- die langjährige Besatzungszeit (1919 – 1930) drücklich um Heeresaufträge“ bemüht, doch ken, im Reichsdurchschnitt dagegen bereits und die Entmilitarisierung dem gesamten wurde der erwähnten Sobernheimer Firma um mehr als 50 Prozent. Und das Steuerauf- Rheinland schwersten wirtschaftlichen vom Marinebekleidungsamt in Kiel am 8. kommen der naheländischen Industrie be- Schaden zugefügt. Darauf hätten zeitge- November 1934 mitgeteilt, dass „eine Be- fand sich seit mehreren Jahren in ständigem nössische Studien schon seit den 1920er rücksichtigung zur Zeit nicht stattfinden Rückgang. Für den Kreis Kreuznach erhoffte Jahren hingewiesen. Turners Meinung nach könne, da eine Unmenge älterer Schuhfab- sich Turner positive Perspektiven insbeson- war der Westen des Deutschen Reiches riken, darunter viele aus Notstandsgebieten, dere im Erzbergbau (Eisenmanganerzabbau durch die Entmilitarisierung stärker betrof- zum Teil bereits ein Jahr vorgemerkt seien“. in Waldalgesheim), in der Hartstein-, Ze- fen als Ostpreußen. Die Arbeitslosenstatistik Auch plante die Chemische Fabrik Dr. Ja- ment-, Kalk- und Trassindustrie, in der weise – der offiziellen beziehungsweise kob, einen Teil der Produktion ins Reichsin- Grob- und Feinlederindustrie, des weiteren landläufigen Propaganda zum Trotz – am 1. nere zu verlegen. Bisher versuchte man dort in der chemischen Industrie sowie in der op- Januar 1935 gegenüber derjenigen vom 1. allerdings noch eine Verlagerung zu ver- tischen und feinmechanischen Industrie. Januar 1934 in „einzelnen Kreisen bereits meiden. Auch bei der Optischen Fabrik Der Regierungspräsident schloss seine 23 eine gewisse, wenn auch geringe Ver- Schneider „müßte im Falle einer Zuteilung Seiten umfassende Studie mit einem zeitty- schlechterung“ auf. Besonders betroffen von Heeresaufträgen die Verlegung eines pischen patriotischen Appell, wohl um im seien die Steinindustrie in den Kreisen Ma- kleinen Teiles des Betriebes nach Inner- fernen Berlin seinen Wünschen besonderen yen, Altenkirchen und Neuwied, die Leder- deutschland erfolgen, die freilich mit der Nachdruck zu verleihen: „Das ganze rhei- industrie im Kirner Bezirk sowie der ehe- Zeit ein allmähliches Nachrücken des gan- nische Volk hat in der Zeit der Besatzung malige Garnisonsstandort Koblenz-Ehren- zen Betriebes zur Folge haben“ könnte. und des Separatismus aus eigener Willens- breitstein. Vor allem die Lederindustrie in Turner hielt die Industrie in seinem Re- kraft trotz schwerster wirtschaftlicher Schä- habe in der Wirtschaftskrise 1930 gierungsbezirk für besonders „vielseitig“ digungen dem ganzen deutschen Volk ein schwer gelitten, starke Produktionsein- und bat um entsprechende Unterstützung Beispiel der Treue gegeben. Auch jetzt und schränkungen und schließlich eine Fabrik- durch die Vergabe öffentlicher Aufträge. Ei- für alle Zukunft werden wir die Wacht am schließung hinnehmen müssen. nerseits versprach er sich von solchen Maß- Rhein halten. Das Reich möge aber nicht Nach Auffassung des Regierungspräsi- nahmen die Herabsetzung der noch beste- vergessen, daß der Rhein in einer tausend- denten müssten daher mehr Aufträge aus henden Erwerbslosigkeit „auf ein Mindest- jährigen Geschichte Deutschlands hoch- dem Militärbereich für Abhilfe sorgen. Er maß“, andererseits einen gewissen Aus- schlagende Pulsader war und daß er es blei- war mit der Auftragsverteilung des Reichs- gleich für die negativen Folgen der Entmili- ben muß. Das aber ermöglicht nur ein star- wehrministeriums nicht zufrieden, ver- tarisierung, worunter vor allem die Garni- kes Wirtschaftsleben.“ sprach er sich doch von solchen Aufträgen sonsstadt Koblenz litt. eine Erhöhung der Arbeitsplätze und somit Was die mittlerweile kaum mehr be- Die Industriebetriebe des Landkreises eine Reduzierung der immer noch als zu kannte Untersuchung von Regierungsprä- Kreuznach im Jahr 1935 hoch empfundenen Arbeitslosenzahlen: sident Turner aus wirtschaftshistorischer Die Beschäftigtenzahlen sind jeweils in „Hinsichtlich der öffentlichen Heeresauf- Sicht besonders aufschlussreich macht, ist Klammern vermerkt. träge muß leider festgestellt werden, daß ei- die Tatsache, dass sie für alle Landkreise des ne besondere Berücksichtigung des hiesi- Koblenz eine Bestands- 1) Steine und Erden gen Bezirkes noch nicht eingetreten ist. Be- aufnahme sämtlicher Industriesparten und Wichtigste Arbeitgeber auf diesem Wirt- kannt geworden ist in letzter Zeit ein Auf- ihrer damaligen Beschäftigtenzahlen ent- schaftssektor waren der Melaphyr abbau- trag auf 3000 SA-Mäntel, eine Anzahl Pon- hielt. Darüber hinaus stellte Turner Überle- ende Steinbruchbetrieb von Albert Pfeiffer tons, eine Flugzeughalle und einen kleinen gungen darüber an, wo nach seiner Über- in Kirn (374), die Kalkwerke und Steinbrü- che Gebr. Wandesleben in (98), der Kirner Steinbruch Julius Besemüller (68) sowie der Kalksteinbruch Geyger und Wild in Bingerbrück (12). Der Betrieb der Gebr. Wandesleben könnte nach Turners Vorstel- lung Kalksteinmehl für den seit der Macht- übernahme der NSDAP besonders forcierten Reichsautobahnbau liefern. Zum damaligen Zeitpunkt ging der Reichsautobahnbau allerdings noch am Re- gierungsbezirk Koblenz vorbei. Die Bauar- beiten an der rechtsrheinischen Trasse der heutigen A 3 (Emmerich – Passau) begannen 1934 bei Köln. Bis 1940 konnte der Abschnitt Oberhausen – Köln – Frankfurt in Betrieb genommen werden.

2) Eisen- und Metallgewinnung Der Gebr. Puricelli’sche Betrieb Rhein- böllerhütte (Hüttenwerke und Eisenfabrik) beschäftigte 1935 insgesamt 227 Mann.Die Eisengrube Dr. Geier (Waldalgesheim) bot durch die Förderung von Eisenmanganerz 245 Arbeitsplätze. Vor dem Ersten Weltkrieg hatten dort 600 Mann gearbeitet, während dieses Krieges sogar 1200 Personen. Es musste auf Vorrat gefördert und das Erz in Innerdeutschland gelagert werden, um die Bestände vor einem möglichen Zugriff der militärischen Gegner zu schützen. Im Jahr 1935 betrug die Jahresförderung 94601 Tonnen Erz. Seit 1840 wurden die dortigen Eisenman- ganerzvorkommen abgebaut. Bis zum Kriegsjahr 1944 sollte die Beschäftigtenzahl von 245 auf 469 wachsen. Sie sank dann Bau vollautomatischer Füllmaschinen in den Seitz-Werken (1937). nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges auf Fundstelle: Festschrift der Seitz-Werke zum 50-jährigen Bestehen. Bad Kreuznach 1937 180 im Jahr 1946, hatte aber 1950 mit 211 Ar- Bad Kreuznacher Heimatblätter - 3/2012 (Seite 11 des Jahrgangs) 3

Eigentümer der Fabrik, letzter Vorsteher der jüdischen Kultusgemeinde in Sobernheim war. Seine Firma wurde 1938 nach NS-Jar- gon „arisiert“. 1938 beschäftigte die Fabrik noch etwa 600 Arbeiter gegenüber 640 im Jahr 1935. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte der Betrieb wieder von der Familie Marum übernommen werden und beschäf- tigte in den fünfziger Jahren 500 Personen (vgl. H. Uhlig 1954, S. 218).

6) Papierindustrie Die Kartonagenfabrik Friedrich Melsbach bot 160 Arbeitsplätze.

7) Lederindustrie Aus diesem Wirtschaftszweig zählte der Regierungspräsident 11 Firmen auf: Die Feinlederfabrik Karl Simon & Söhne (Kirn) hatte 366 Arbeitskräfte. Es folgten die Ackva AG in Bad Kreuznach (278) und die eben- falls dort ansässigen Lederfabriken Rothe AG (264), und Emmerich (220) sowie Gebr. Schneider (138). Kleinere Leder Akkordarbeiter in den Kirner Hartsteinwerken (1915). produzierende oder verarbeitende Betriebe Bildgeber: Dr. Ulrich Hauth, Kirn waren Georg Böcking & Söhne in Kirn und (100), Adolf Kirst Nachf. Julius Greene (99), Jakob Müller (Kirn) (86), Porte- feuillehersteller Pelzer & Co (Kirn) (56), beitnehmern die Vorkriegszahl annähernd Produktion 1945 ganz zum Erliegen. Gebr. Grimm () (29) und Gebr. wieder erreicht (vgl. H. Uhlig 1954, S. 198). Als besonders interessant aus militäri- Gustav Scharf (22). Die traditionellen scher Sicht stufte der Regierungspräsident Schwerpunkte der Lederverarbeitung be- 3) Eisen-, Stahl- und Metallwaren den Betrieb von Dr. Jakob ein. Der dort er- fanden sich demnach in Kirn und Bad Die Seitzwerke beschäftigten 1935 ins- zeugte Schwefelwasserstoff war ein wichti- Kreuznach. gesamt 944 Personen. Die Stanz- und Email- ger Rohstoff für die Kunstseide- und Stapel- Für die Ackva AG sah Turner Möglich- lierfabrik der Gebr. Wandesleben in Strom- faserindustrie. Auch wünschte Turner eine keiten bei der Fertigung von „Treibriemen, berg bot 318 Arbeitsplätze, dicht gefolgt von stärkere Berücksichtigung der Gelatine- Sätteln, Patronen- und Pistolentaschen, den Waldböckelheimer Drahtwerken mit und Leimfabrik Karl Ewald, die gleichfalls Fahrradsätteln und sonstigen Militäreffek- 273 Arbeitern. Bei den Optischen Werken J. Devisenüberschüsse erzielt hatte. ten“. Die Lederfabriken Simon, Eckenroth, Schneider (Bad Kreuznach) arbeiteten 228 Schneider und Rothe konnten Gasmasken- Personen. Kleinere Arbeitgeber in diesen 5) Textilindustrie leder, Einfassbänder für Tornister und Brot- damals noch arbeitsintensiven Wirtschafts- Hier rangierte im Kreisgebiet an erster beutel sowie Bekleidungsleder für Kraft- zweigen waren die Laubsägenfabrik Pulger, Stelle die Strumpffabrik A. Marum Witwe fahrer herstellen Bonfigt & Co in (94), die AG (640). Mit weitem Abstand folgte die Metallwarenfabrik Gebr. Schmitt in Mon- Strumpffabrik Karl Matzenbach mit 74 Ar- 8) Holz- und Schnittstoffgewerbe zingen (19) sowie die Eisengießerei Elberts- beitern. Aufgeführt wurden die Holzschneiderei hagen & Co in Simmertal (13). Bis 1933 war die Strumpffabrik Marum Ludwig Kunz (Kirn) (50), die Möbelfabrik Turner wies ausdrücklich darauf hin, dass der größte Wirtschaftsfaktor für Sobernheim Gebr. Becker (Meisenheim) (33) und die Lei- die Hälfte des Umsatzes der Seitzwerke im und die umliegenden Dörfer beiderseits der terwagenfabrik Georg Diebold (Bad Kreuz- Ausland erwirtschaftet wurde und es sich Nahe. Turner geht in seiner Studie jedoch nach) (28). damit um eine Devisenüberschussfirma trotz der großen wirtschaftlichen Bedeutung handelte. Bei entsprechender Auftragslage des Unternehmens nicht besonders darauf 9) Bekleidungsindustrie könnten noch 500 zusätzliche Arbeitsplätze ein. Vielleicht weil der Alfred Marum, der Genannt wird lediglich die Schuhfabrik geschaffen werden. Die dort unter anderem Bernardi & Söhne in Sobernheim (48). produzierten Wasserfilter ließen sich auch beim Militär verwenden. Ferner könnten Resümee Flugzeugteile wie Drehstücke und Propel- lernaben gefertigt werden. Die Schneider- Als Resümee der wirtschaftspolitischen Optik könnte zudem Objektive sowie Linsen Abhandlung beziehungsweise Erhebung für Fotografie und Messzwecke liefern. Fer- des Regierungspräsidenten Harald Turner ner bezeichnete er die Drahtwerke in Wald- über die ökonomische Situation des Regie- böckelheim als „sehr geeignet für den Hee- rungsbezirks Koblenz und des Landkreises resbedarf“. Schneider-Optik errichtete 1936 Kreuznach im Jahre 1935 kann festgehalten Zweigfirmen in Göttingen und Berlin. werden:

4) Chemische Industrie 1. Das NS-Regime war seit seiner Macht- Turner listete im Kreisgebiet unter dieser übernahme an einer starken militärischen Rubrik vier Betriebe auf: Größte Arbeitgeber Ausrichtung der deutschen Wirtschaft inte- waren die Gelatine- und Leimfabrik Karl ressiert. Seit 1933 verfolgten Nazi-Führung, Ewald in Sobernheim mit 248 Arbeitsplätzen „Großwirtschaft“ und Reichswehr (1935 in und die Chemische Fabrik Dr. Jakob in der „“ umbenannt) gemeinsame In- Kreisstadt (152). Mit weitem Abstand folgten teressen. In der ersten Phase der national- in dieser Sparte die Sepdelenfabrik Alex sozialistischen Wirtschaftspolitik (1933 bis Müller in Bad Kreuznach (77) sowie die Ge- 1936) stand zwar eine kurzfristige Krisen- latinefabrik Julius Herold in überwindung im Vordergrund, doch auch (77). Der letztgenannte Betrieb hatte sich die „Wehrhaftmachung“ war von Anbeginn 1926 als „Julius Herold GmbH“ den „Deut- besonders wichtig. Wie oben erwähnt konn- sche[n] Gelatinefabriken AG“ in Schwein- te man bereits ab Februar 1933 von einer furt angeschlossen, stellte jedoch schon 1936 verdeckten Aufrüstung in Deutschland seine Produktion ein. Im Jahre 1938 grün- Lederverarbeitung in Kirn. sprechen. Die kriegerischen Ziele des NS- dete Julius Ludwig Herold eine eigene neue Fundstelle: Landkreis Bad Kreuznach. Wein- und Reiseland an der Regimes waren zumindest ab diesem Zeit- Fabrik in Monzingen, doch kam die dortige Nahe. Bad Kreuznach 1977, S. 105 punkt eingeweihten Wirtschaftskreisen sehr 4 (Seite 12 des Jahrgangs) Bad Kreuznacher Heimatblätter - 3/2012

wohl bekannt.

2. Die wirtschaftliche Lage im linksrhei- nischen Gebiet unterschied sich zunächst durch die langjährige Besatzung und Ent- militarisierung vom übrigen Reichsgebiet, was eine gewisse „Verlagerungspsychose“ in den grenznahen Regionen des Westens auslöste. Turner hielt diese Einstellung für unangebracht und schädlich, da er in sei- nem Bezirk keineswegs eine periphere Wirtschaftsregion sah, sondern den „natür- lichen Kern des mittelrheinischen Wirt- schaftsgebietes“.

3. Wichtigste Industriezweige von mili- tärischer Relevanz waren im Kreis Kreuz- nach die Eisengewinnung und Metallverar- beitung, die optische und die chemische In- dustrie sowie Teilbereiche der Lederindust- rie. Vor allem für diese Sparten war eine Er- höhung der Beschäftigtenzahlen zu erhof- fen.

4. Die hohe Erwerbslosigkeit war im Re- gierungsbezirk Koblenz auch 1935 noch längst nicht beseitigt. Die nationalsozialisti- sche Regierung investierte bis Ende 1934 et- wa 5 Milliarden RM in verschiedenste Maß- nahmen der Arbeitsbeschaffung. Erst 1936 galt die Arbeitslosigkeit im NS-Staat zu- mindest offiziell als überwunden. W. Benz 2000, S. 96f. weist allerdings darauf hin, dass die einschlägigen offiziellen Statistiken pro- pagandistisch geschönt waren, um die Er- folge des Regimes gerade auf diesem so wichtigen Sektor („Arbeitsschlacht“) be- sonders deutlich hervortreten zu lassen. Großen Anteil an der Erhöhung der Be- schäftigtenzahlen hatten der Reichsarbeits- Gebäude der ehemaligen Lederfabrik Ackva in Bad Kreuznach (Dessauer Straße). dienst (RAD), der Ausbau der öffentlichen Fundstelle: Vergangen, aber unvergessen. Zeitzeugnisse in Bild und Text aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Bad Kreuznach 1989 Infrastruktur (zum Beispiel Straßenbau), die Förderung des privaten Wohnungsbaus und die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht triebe erhöhte Luftangriffe mit sich. Die München 2005 Hinweise zur weiteren Entwicklung Kriegsschäden in Bad Kreuznach betrafen - LANDESVERTRETUNG RHEINLAND- insgesamt 53 Prozent der Wohnbauten und PFALZ (Hrsg.): Rheinland-Pfälzer in Berlin. Am 7. März 1935 rückten deutsche Trup- umfangreiche Industrieanlagen, zum Bei- Bonn 2004 pen unter Bruch des Vertrages von Ver- spiel Schneider-Optik (schwere Schäden), - LÄNDERDIENST VERLAG BERLIN-WEST sailles und des Locarno-Vertrages in das Seitzwerke (Kriegsschäden im Asbestwerk (Hrsg.): Der Regierungsbezirk Koblenz. entmilitarisierte Rheinland ein. Am 16. März 80 Prozent, in der Maschinenfabrik 45 Pro- Ein gesunder Lebens- und Wirtschaftsraum des selben Jahres sagte sich das Deutsche zent), Chemische Fabrik Dr. Jakob (fast voll- im Lande Rheinland-Pfalz. Paderborn 1978 Reich von den Rüstungsbeschränkungen ständig zerstört) und andere mehr. - MAIS, E.: Die Verfolgung der Juden in den des Versailler Vertrages los und führte die Im Kreisgebiet waren unter anderem Landkreisen Bad Kreuznach und Birkenfeld allgemeine Wehrpflicht ein. Pfeiffer-Kirn und selbst die abseits von den 1933 – 1945. Eine Dokumentation (=Hei- Dies führte auch im Kreis Kreuznach bei Städten liegenden Drahtwerke Waldbö- matkundliche Schriftenreihe des Landkrei- einigen größeren Industriebetrieben zu ei- ckelheim wurden am 26. Oktober 1944 ge- ses Bad Kreuznach, Bd. 24). Bad Kreuznach ner deutlichen Verbesserung der Auftrags- gen 13.30 Uhr von einem schweren Luftan- 1988 lage, so dass sie bis zum Jahre 1938/39 ihre griff heimgesucht, bei dem es neben meh- - MAIS, E.: Wiedergutmachung? Gewalt und Beschäftigtenzahlen teils wieder erheblich reren Toten erhebliche Sachschäden gab. Terror des NS-Staates begangen an den jü- steigern konnten. Dies gilt vor allem für fol- 1946 arbeiteten dort nur noch 38 Personen dischen Bürgern der Landkreise Bad Kreuz- gende Betriebe (in Klammern: Zahl der Be- gegenüber 274 im Kriegsjahr 1944. nach und Birkenfeld im Spiegel der Akten schäftigten 1935 beziehungsweise 1938/39): des Landgerichts Bad Kreuznach (Schrif- Drahtwerke Waldböckelheim (273/282), Quellen und Literatur tenreihe der Kreisvolkshochschule Birken- Rheinböllerhütte (227/251), Steinbruchbe- feld, Bd. 27). Birkenfeld 1992 trieb Albert Pfeiffer (Kirn) (374/500), Leder- - LANDESHAUPTARCHIV KOBLENZ, Best. - UHLIG, H.: Landkreis Kreuznach. Speyer fabrik Jakob Müller (Kirn) (86/350), Schnei- 441 Nr. 43478 1954 der Optik (Bad Kreuznach) (228/450) und - BECKER, K. (Hrsg.): Heimatchronik des - WEHLER, H.-U.: Deutsche Gesellschafts- Seitzwerke (Bad Kreuznach) (944/circa Kreises Kreuznach. Köln 1966 geschichte 1914 – 1949. 4. Band. München 2000). - BENZ, W.: Geschichte des Dritten Reiches. 2003 Auch im Nahe-Hunsrück-Raum konnten München 2000 vor allem die schon vorher größeren Unter- - BENZ, W., H. GRAML u. H. WEISS (Hrsg.): nehmen von der NS-Wirtschaftspolitik stär- Enzyklopädie des Nationalsozialismus. ker profitieren als mittlere und kleine Be- München 2007 triebe, eine Tendenz, die auch für das übrige - HAUTH, U.: Die Stadt Kirn und ihr Umland Reichsgebiet galt. Mittelstand und Land- (= Heimatkundliche Schriftenreihe des wirtschaft büßten an wirtschaftlichem Landkreises Bad Kreuznach, Bd. 34). Bad Handlungsspielraum ehr ein. In der End- Kreuznach 2005 Die Bad Kreuznacher Heimatblätter erscheinen phase des Zweiten Weltkrieges brachten die - KERSHEW: Der NS-Staat. Geschichtsin- monatlich in Zusammenarbeit mit dem Verein durch die Aufrüstung bedingte Umstruktu- terpretationen und Kontroversen im Über- für Heimatkunde für Stadt und Kreis Bad Kreuznach rierung der genannten heimischen Firmen blick. Hamburg 1994 e.V. (i. A. Dr. Horst Silbermann, und ihre Einstufung als kriegswichtige Be- - KOLB, E.: Der Frieden von Versailles. Dienheimer Berg 11, 55545 Bad Kreuznach). Nummer 4/2012 BadKreuznacher Beilage Bad Kreuznach Heimatblätter

Eine Zeitungs-Dynastie zwischen Tradition und Fortschritt 125 Jahre Verlag und Familie Harrach in Bad Kreuznach

VON CARL FERDINAND HARRACH, BAD KREUZNACH

Die Zeit fließt und wir können sie nicht reits in weitem Umfang das heimische aufhalten. Aber dem Menschen ist die Frei- Schrifttum der Vergangenheit zu sammeln. heit gegeben, für Augenblicke selber in der 1880 folgten nochmals fünf unruhige Wan- Zeit stille zu stehen, um seine Seele zu retten derjahre nach Köln und Baden-Baden. R. vor dem verschlingenden Sog. Das Gesetz Schmithals nahm 1885 den jungen, strebsa- der Jahreszahlen, mit denen wir die Zeit men Buchhändler Ferdinand Harrach gerne messen, erinnert uns sogar in Abständen im- wieder auf. Seine wissenschaftlichen Stu- mer wieder daran, dass wir es tun sollen – dien fanden in Veröffentlichungen und Vor- Der Firmengründer Ferdinand Harrach (1856-1918). zurückblicken. trägen ihren Niederschlag. Foto: Privatarchiv Carl Ferdinand Harrach, Bad Kreuznach (PACFH) Die Geschichte eines Unternehmens ist Hier seien nur einige genannt: „Die Revo- immer auch die Geschichte eines Zeitab- lutionsjahre 1848/49 in Kreuznach“, „Die schnittes. Wie eine Pflanze angemessenes Brandschatzung von Hüffelsheim durch die Klima braucht, um sich entwickeln zu kön- Ritter Boos von Waldeck“, „Das Leben und 1902 machte er mit seinem „Kreuznacher nen, so ist ein Unternehmen abhängig von Treiben Johannes Bücklers, gen. Schinder- Weihnachtsanzeiger“ in der Adventszeit der wirtschaftlichen Atmosphäre während hannes“ und „Das Räuberunwesen in der dem seit 1885 als Beiblatt zum „Oeffentli- einer Epoche. Rheingegend“. chen Anzeiger“ erscheinenden „Allgemei- Aber stets erfordert es den Einsatz der nen Gratis-Anzeiger“ Konkurrenz. Persönlichkeit des Inhabers, dessen Ver- Eigene Buchhandlung dienst mit dem Erkennen der Möglichkeiten, Als ständig vorwärtsstrebender Mensch Ein Wunsch ging in Erfüllung die sich aus der Vergangenheit entwickeln, reifte in ihm der Plan, sich selbstständig zu Schon zu Beginn seiner buchhändleri- beginnt und zukunftweisend sich fortsetzt. machen. Am 1. Mai 1887, also vor 125 Jahren, schen Tätigkeit war es der sehnlichste Das 125-jährige Jubiläum des Verlages gründete Ferdinand Harrach eine eigene Wunsch von Ferdinand Harrach, eine eigene Harrach gibt uns daher Anlass genug, um die Buchhandlung mit Antiquariat im Haus Zeitung zu besitzen. Als Buchdruckereibe- Geschichte des Unternehmens zu betrachten Schmincke in der Mannheimer Straße 65. Im sitzer Philipp Wohlleben, Verleger des und das Lebenswerk eines Mannes zu wür- gleichen Jahre holte er sich ein echtes „Oeffentlichen“, 1902 im Alter von 52 Jahren digen, der den Grundstock legte, damit im Kreuznacher Kind, Therese Lambert, die verstarb, wollten offenbar keine seiner vier Laufe der Jahrzehnte viele Hände Arbeit Tochter des Ökonomen Conrad Lambert, zur Töchter beziehungsweise deren Ehemänner fanden. Lebensgefährtin. Eine Frau, wie sie sein soll, die Nachfolge antreten. Ferdinand Harrach Als der Hauptlehrer Heinrich Harrach am klug, zurückhaltend und doch lenkend, mit sah seine Stunde gekommen. Er nahm Kon- 17. November 1856 in Biebrich die Geburt feinem Sinn für die Realität des Lebens. takt mit Wilhelm Pfleger, dem Schwager des seines jüngsten Sohnes Ferdinand anzeigte, Sechs Jahre später verlegte Ferdinand Verstorbenen, auf. Nach etlichen Verhand- da wusste noch niemand, dass dieser kleine Harrach seine Buchhandlung in das Haus lungen wurde man handelseinig und Ferdi- Erdenbürger einmal der Gründer eines Ver- des Rudervereins auf der Nahebrücke. Da nand Harrach konnte für 290 000 Goldmark lagshauses werden durfte. die Druckkosten für die Kataloge viel zu teu- die Zeitung, den dazugehörigen Druckerei- Ferdinand Harrach sollte eigentlich den er waren, kam Ferdinand Harrach auf den betrieb zwischen der Großen und Kleinen Beruf seines Vaters und seiner Vorfahren er- Gedanken, seiner Buchhandlung eine kleine Kannengasse sowie das Haus Hochstraße 28 greifen, die seit 1649 alle Lehrer und Erzieher Druckerei anzugliedern. Drei Gehilfen und kaufen. waren. Doch recht bald schon zeigte der ein Lehrling wurden beschäftigt. Nachdem Ferdinand Harrach am 1. Juni frohsinnige Rheinländer Neigung zur Ab 1894 druckte Ferdinand Harrach in 1903 die Buchhandlung auf der Alten Nahe- Schriftstellerei. Nächtelang saß er über Bü- seinem Betrieb die Liederbücher der Großen brücke seinem früheren Angestellten Wil- chern, seinen liebsten Freunden. 1871 trat er Karneval-Gesellschaft, zu deren Grün- helm Pullig übergeben hatte, siedelte er am als Lehrling in die Buchhandlung A. H. Gott- dungsmitgliedern er 1881 zählte. Als Präsi- 20. Juni 1903 in die Hochstraße 28 über und schick-Witter in Neustadt/Haardt ein. dent, Vortragender, Liederdichter und trat am 1. Juli 1903 den Besitz der Buchdru- Nach bestandener Gehilfenprüfung folg- Chronist war der gebürtige Biebricher stadt- ckerei und des Verlags des „Oeffentlichen ten der Lehrzeit die Wanderjahre. Auch sie bekannt, lange bevor er 1903 den „Oeffent- Anzeigers“ an. Als Personal wurden 18 Set- dienten der Ausbildung und dem Sammeln lichen Anzeiger“ übernahm. Als erste eigene zer und Drucker, ein Redakteur, drei Büro- von Erfahrungen. Schon 1878 machte er die Verlagsprojekte wurden die „Rheinische angestellte und vier Zeitungsträgerinnen Bekanntschaft mit Bad Kreuznach. In der Weinzeitung“ und der „Weinbaukalender“ übernommen. Das vierteljährige Abonne- Buchhandlung R. Schmithals begann er be- herausgegeben. ment kostete 1,10 Mark. 2 (Seite 14 des Jahrgangs) Bad Kreuznacher Heimatblätter - 4/2012

Rationalisierungen Schweren Herzens gab er den ihm liebge- Mit Fleiß und Ausdauer modernisierte der wordenen Beruf als Mediziner auf. 47-jährige Verleger seine Druckerei und zog Am 1. Juni 1918 übertrug Ferdinand Har- sich neue Mitarbeiter heran. Gegen die neu rach Verlag und Druckerei des „Oeffentli- eingeführten Rationalisierungen sträubten chen Anzeigers“ seinen Söhnen Ludwig und sich manche der übernommenen Mitarbei- Walther. Am 19. September 1918 entschlief ter. Mehrmals wechselte er die Redakteure der Seniorchef im Alter von 62 Jahren. bis er am 27.Dezember 1906 den 27jährigen Bürgermeister Dr. Koernicke würdigte Walter Clar fand, dem Ferdinand Harrach Ferdinand Harrach, der seit 1. Januar 1913 später bescheinigte, er sei „ein fortschrittli- der Stadtverordnetenversammlung ange- cher Mensch, der mit viel Geschick die Zei- hört hatte, in einem Nachruf: „Mit voller tung redigierte“ (bis sie 1945 von der ameri- Hingabe hat er an den Geschäften der Stadt kanischen Besatzungsmacht eingestellt stets regen Anteil genommen. In den zahl- wurde). Walter Clar entwickelte das „Blätt- reichen Kommissionen, denen er angehörte, chen“ von ehedem zu der meistgelesenen war sein Urteil nach seinen reichen Erfah- Zeitung des Nahegebiets. rungen sehr geschätzt. Zur Förderung des Seiner Auflage nach gehörte der „Oef- Verkehrs in Stadt und Bad sowie für die ge- fentliche“ bald zu den drei größten Zeitun- samte wirtschaftliche Entwicklung der Stadt gen des Regierungsbezirks Koblenz. Har- hat er seine ganze Kraft eingesetzt. Er war rachs geschäftlicher Ehrgeiz wurde immer ein treuer Sohn seiner Heimat, an der er mit Walther Harrach (1892-1941). Zusammen mit Karl wieder getrieben von seinem Wahlspruch ganzem Herzen hing. Seine vornehme Ge- Geib begründete er 1921 die Heimatblätter als hei- „Stillstand ist Rückschritt“. Die Zeitung sinnung und sein menschenfreundliches matkundliche Beilage zum Oeffentlichen Anzeiger. wurde erstmals 1906 auf einer achtseitigen Wesen sichern ihm andauerndes Anden- Foto: PACFH Rotationsmaschine gedruckt. Ferdinand ken.“ Harrachs ältester Sohn, Ferdinand jr., lernte Der Verein für Heimatkunde beklagte den als Lehrling den Bau und die Bedienung der Verlust eines „wahren Freundes unserer Maschine bei der Frankenthaler Hersteller- Heimat, eines guten Kenners ihrer Ge- ein- und mehrfarbigem Druck zu liefern. firma kennen. Wie sein ältester Bruder wirk- schichte und eines tatkräftigen Förderers. Schon Anfang der 30er-Jahre führte die Ein- te auch Ludwig Harrach als Lehrling im Ge- Sein Name wird in der Geschichte unseres engung des Druckereibetriebes zwischen schäft mit. 1912 kehrte Ferdinand Harrach jr. Vereins einen Ehrenplatz einnehmen“. Hochstraße, Alter Poststraße und den beiden als Prokurist in den elterlichen Betrieb zu- Kannengassen zu ständigen Rügen des Ge- rück und entlastete seinen Vater, der nun Gründung der Heimatblätter werbeaufsichtsamtes. Um aus der Enge der weiter schriftstellerischen Neigungen nach- Walther Harrach führte nach dem Tode Neustadt herauszukommen, wurde daher gehen konnte. des Vaters alleine den Verlag, bis im Januar großzügig ein neues Druck- und Verlags- Während des Ersten Weltkriegs wurden 1920 sein Bruder Ludwig aus französischer haus auf dem Gelände des ehemaligen alle vier Söhne Ferdinand Harrachs einge- Gefangenschaft zurückkehrte. Der Geist des Gasthauses „Zum goldenen Hirsch“ Ecke zogen. Der älteste Sohn, Ferdinand jr., fiel im Gründers beseelte die Arbeit der beiden Mannheimer-/Salinenstraße geplant, das bis September 1915 in Russland. Der zweite überlebenden Söhne, die für alle fortschritt- 1930 von den Franzosen beschlagnahmt, Sohn, Ludwig, kam im gleichen Jahr in fran- lichen Ideen zugänglich waren und ihre ziemlich verkommen und ein Schandfleck zösische Gefangenschaft. Der jüngste Sohn Aufgabe als Unternehmer unter die Devise für die Badestadt war. Eigentümer war der Karl, der als Siebzehnjähriger Soldat wurde, des Gemeinwohls stellten. Aus der Ver- Reichsfiskus mit einem seit 1931 befristeten galt wenige Monate später in Frankreich als pflichtung heraus, getreu der Heimat zu die- Vorkaufsrecht der Familie Harrach. vermisst. Der dritte Sohn Walther, der in nen, gründeten Walther Harrach und Karl Heidelberg Medizin studiert hatte, wurde Geib 1921 die „Heimatblätter“ als ständige Ständiger Druck durch das NS-Regime vom Sanitätsdienst in verschiedenen Feld- Beilage zum „Oeffentlichen Anzeiger“. In Als das nationalsozialistische Regime am lazaretten im Mai 1918 aufgrund der Rekla- ihrem Geleitwort betonten sie: „Wir wollen 30. Januar 1933 an die Macht kam, mietete mation des schwer erkrankten Vaters frei- in unserer heimischen Bevölkerung das Be- die Kreisleitung der NSDAP die Gebäude gestellt, um das Geschäft zu übernehmen. wusstsein der Zusammengehörigkeit stär- vom Fiskus und renovierte sie mit Hilfe von ken und alle, die wir hier in diesem Lande Spenden der Bad Kreuznacher Handwer- geboren sind, ob wir noch in ihm wohnen kerschaft und der Geschäftswelt, sodass es oder in der Ferne weilen, soll dasselbe Band am 5. August 1933 als „NS-Volkshaus“ ein- der Heimatliebe verbinden.“ geweiht werden konnte. Am 14. Februar Während der Rheinlandbesetzung durch 1933 besetzten 20 SA-Männer unter Führung die französische Armee, die erst am 30.Juni von Kreisleiter Ernst Schmitt die Redaktion 1930 endete, und der Separatisten-Zeit wur- des „Oeffentlichen“ und verlangten von de die Zeitung mehrmals bis zu 14 Tagen Walther Harrach die sofortige Entlassung der verboten. Die Inflation, die am 20.November jüdischen Mitarbeiterin Margot Strauß. Als 1923 ihren Höhepunkt fand (für 1 Billion er sie nur beurlaubte, wurde er „als Juden- Mark erhielt man 1 Rentenmark, die 1924 knecht“ beschimpft. durch die Reichsmark abgelöst wurde) ver- Unverdrossen machten Ludwig und Wal- eitelte manche unternehmerische Entschei- ther Harrach am 31. August 1935 von dem dung. Bis 1930 war der „Oeffentlichen An- Vorkaufsrecht Gebrauch, um den geplanten zeiger“, trotz Kontrolle durch die französi- Neubau zu verwirklichen. Die Kreisleitung scher Besatzungsmacht, ein Verkünder des räumte aber erst im Oktober 1939 das Ge- Rechtes und der Freiheit. Die Volkstümlich- bäude. Sofort zogen in die frei gewordenen keit, die ihn zum Blatt der ganzen Bevölke- Räume das „Nationalblatt“, die „amtliche rung unserer Heimat werden ließ, entwi- Gauzeitung für die Kreise Kreuznach und ckelte sich in dieser Zeit. Die Auflage stieg Simmern“ als Mieter ein. Unter der Drohung, ohne besondere Werbemaßnahmen auf über den Verlag des „Oeffentlichen Anzeigers“ 18 000 Exemplare. zu schließen musste das Gebäude zum 1929 wurde die damals modernste 16sei- „Schleuderpreis“ an das „Nationalblatt“ tige Rotationsmaschine aufgestellt. Damit verkauft werden. Auch die Werbekolonnen war ein wesentlicher Fortschritt im Druck- der Parteizeitung übten auf die Leser des verfahren der Druckerei Harrach erreicht. „Oeffentlichen“ ständig Druck aus. Von al- Der Betrieb war mittlerweile so gewachsen, len Beamten wurde verlangt, nur das dass noch Häuser in der Kleinen Kannen- „Kreuznacher Nationalblatt“ zu abonnieren. gasse und Hochstraße 26 erworben werden Die Auflage des „Oeffentlichen“ sank von Ab 1903 residierte der Verlag Harrach in dem 1843 mussten. In den folgenden Jahren machte 17 500 auf 10 400. Die Existenz der Zeitung gebauten Haus Nr. 28 in der Hochstraße. Im Par- die Firma bedeutende Entwicklungsvor- hing nur noch an einem dünnen Faden. Har- terre waren die Geschäftsräume untergebracht, in gänge durch, die zum Ziele hatten, stets nur rach wurde mehrmals nach Berlin zur den oberen Etagen wohnte die Familie Harrach. mit den modernsten Maschinen zu arbeiten, Reichspressekammer zitiert, um sich für so- Foto: Phil. Does & Söhne, Bad Kreuznach um der Kundschaft beste Qualitätsarbeit in genannte „Entgleisungen“ seines Schrift- Bad Kreuznacher Heimatblätter - 4/2012 (Seite 15 des Jahrgangs) 3

leiters Walter Clar zu rechtfertigen. Am der Kasse. Zum Ausgleich der offenen Rech- 21.April 1941 starb Walther Harrach im 49. nungen bot er den „eingespielten Redakti- Lebensjahr gebrochen an Leib und Seele in- ons- und Verlagsapparat“ an. Carl Ferdi- folge der ständigen Schikanen der NSDAP, nand Harrach sagte sofort zu. Da inzwischen der er nicht angehörte. Karl Geib schrieb in der Presselizenzzwang aufgehoben war, einem Nachruf „ohne Walther Harrach wäre konnte innerhalb von 24 Stunden die Num- die Herausgabe so mancher Museumsveröf- mer 1 des „Oeffentlichen Anzeigers“ im 102. fentlichung oder heimatkundlichen Schrif- Jahrgang hergestellt und eine Verteileror- tenreihe nicht möglich gewesen“. ganisation aufgebaut werden. Die Adres- Der Verlag Harrach wurde 1941 von einer senlisten der Zeitungsträger waren noch OHG in eine KG umgewandelt. Frau Therese vorhanden. Teilweise trugen diese aber die Harrach (gestorben am 30.10.1959) schied jetzt konkurrierenden Zeitungen, „Rhein- aus der Firma aus. Ludwig Harrach wurde Zeitung“ oder „Allgemeine Zeitung“, aus. Komplementär, die Erben von Walther Har- Mit Flugblättern und Lautsprecherwagen rach, Witwe Elisabeth geb. Vopelius und wurde das Wiedererscheinen des „Oeffent- Sohn Carl Ferdinand, traten als Kommandi- lichen“ nach viereinhalbjähriger Zwangs- tisten ein, obwohl die Reichspressekammer pause bekannt gemacht. Jedoch musste so- verlangte, dass die Geschäftsanteile von fort ein neues Konzept her, denn der „Oef- Walther Harrach an einen NS-Zeitungsbe- fentliche Anzeiger“ war eine überregionale trieb verkauft werden müssten. Nur weil eine Zeitung. So stellten sich dazu viele Fragen: Einberufung des damals noch minderjähri- Kommanditistin Elisabeth Harrach, geb. Vopelius Wie sollten die recht zahlreichen Leser im gen Carl Ferdinand Harrach kurz bevorstand (1898-1969), die mit ihrem elterlichen Vermögen Birkenfelder Raum beliefert werden und und Rechtsanwalt Bambauer die Vormund- den Neubau des Unternehmens im Industriegebiet unter welchem Zeitungstitel? Es musste ein schaft übernahm, konnte der Verkauf des ermöglichte. Titel gefunden werden, der dort vor dem Zeitungsverlages an die NSDAP verhindert Foto: PACFH Krieg bekannt war. Es hatte zwar eine „Idar- werden. Zeitung“ und „Obersteiner Nachrichten“ Am 2. Januar 1945 wurden bei einem gegeben, aber es existierten keine Altverle- zweiten Bombenangriff auf Bad Kreuznach ger. Man kreierte mit dem Altredakteur viele Häuser in der Salinenstraße, auch das Ab 3. Juli 1947 vergab die französische Be- Werner Bohrer für die neue Zeitung den Na- Gebäude, in dem das „Nationalblatt“ ge- satzungsmacht die Lizenz für die Herausga- men „Idar-Obersteiner Nachrichten“, die am druckt wurde, zerstört. Daraufhin wurde die be der „Rheinisch–Pfälzischen Rundschau“, 27. September 1949 auch dort erscheinen Firma Harrach gezwungen im Wechsel mit die dreimal in der Woche als Organ der De- konnten. dem „Oeffentlichen“, der aus Papiermangel mokratischen Partei erschien und in der Leider hatten die Bad Kreuznacher Groß- nur noch Montag, Mittwoch und Freitag mit Druckerei Harrach hergestellt wurde. banken wenig Gespür für einen jungen Zei- zwei Seiten erscheinen konnte auch das Carl Ferdinand Harrach war von 1947 bis tungsverlag. Erst nach Vorlage einer Renta- „Nationalblatt“ zu setzen und zu drucken, Ende 1948 Redaktionsvolontär beim „Wies- bilitätsrechnung sollte über einen Kredit bis zum 16. März 1945, dem Tag, an dem die badener Kurier“. Da er in der amerikani- entschieden werden. Nur der damalige Di- amerikanischen Panzer vor den Toren von schen Zone wohnte, reichte er dort bei der rektor der Städtischen Sparkasse, Anton Bad Kreuznach standen. amerikanischen Behörde in Wiesbaden ei- Ruß, war bereit auf den Namen „Oeffentli- nen Lizenzantrag zur Herstellung einer Lo- cher Anzeiger“ 50 000 DM zu geben. Sonderausgaben kalzeitung „links und rechts des Rheins“ ein. Natürlich war es ein großer Vorteil, eine Um die Bevölkerung über Anordnungen So bemühten sich Carl Ferdinand Harrach, funktionierende und eingespielte Redaktion der amerikanischen Besatzungsmacht zu in- der am 1. Januar 1949 zum Geschäftsfüh- übernehmen zu können. Redakteure wie Ri- formieren, wurden „Sonderausgaben“ der renden Gesellschafter und Komplementär chard Walter hatten bereits gute Kontakte zu Zeitung als Anschlagblätter gedruckt und an der Ferd.Harrach KG bestellt worden war, den Behörden und zu einflussreichen Bür- markanten Stellen in der Stadt aufgehängt. wie sein Onkel Ludwig und dessen Sohn gern. Schwierig war es jedoch mit Büroräu- So blieb der Titel der Zeitung ständig in Er- Günther weiter um das Wiedererscheinen men. Die Familie Ludwig Harrach wohnte innerung der Bevölkerung. Am 10. Juli 1945 des „Oeffentlichen Anzeigers“. seit 1921 in dem Verlagshaus Hochstraße 28 lösten französische Truppen die US-Besat- Zunächst erreichten sie das Erscheinen in der 1. und 2. Etage. Im Erdgeschoss waren zung ab. Da das Erscheinen von Zeitungen einer Sondernummer zum Jahrmarkt 1949, Verlags- und Druckereileitung, Buchhal- noch nicht gestattet war, mussten diese pro- dann erhielt der Verlag die stillschweigende tung, Vertrieb und Anzeigenannahme un- visorischen „Sonderausgaben“ eingestellt Genehmigung, eine umfangreiche Zeitung tergebracht. Für die neuen Redakteure werden. Dafür erschien ab Dezember 1945 mit lokalem Inhalt, unter dem Titel „Oef- standen nur zweieinhalb Räume zur Verfü- drei bis viermal in der Woche ein „Anzei- fentlicher Bade-Anzeiger“ herzustellen. Die gung. Für die Chefredaktion wurde daher im gendienst des Oeffentlichen Anzeigers“ für offizielle „Autorisation d'édition“ für diese Haus Weber in der Kaiser-Wilhelm-Straße Amtliche Bekanntmachungen, Familien- Zeitung wurde aber erst am 10. August 1949 die 2. Etage angemietet, die so groß war, dass nachrichten und allgemeine Anzeigen, der von der französischen Militärregierung er- Chefredakteur Hermann Kresse dort auch wiederum an vielen Stellen in der Stadt auf- teilt. Fünf Nummern erschienen, die letzte wohnen konnte. Zwischen dieser Wohnung gehängt beziehungsweise verteilt wurde. am 24. September 1949. und der Hochstraße 28 wurde ein regelmä- ßiger Kurierdienst per Fahrrad eingerichtet. Warten auf eine Lizenz Lizenzzwang wird aufgehoben Erst nach dem Auszug der Familie Ludwig Carl Ferdinand Harrach kehrte Anfang Obwohl die „Rheinisch-Pfälzische Rund- Harrach im Frühjahr 1951 standen der Lo- Juli 1945 aus englischer Gefangenschaft zu- schau“ nach der Währungsreform Mitte 1948 kalredaktion weitere Räume zur Verfügung. rück und arbeitete zusammen mit Günther mit mehreren Lokalausgaben erschien, sank Die Verlags- und Redaktionsmitarbeiter Harrach dem Sohn von Ludwig Harrach in ihre Auflage, so dass Verleger Carl Ferdi- waren alle jung und hatten viel Ehrgeiz und dem elterlichen Druckereibetrieb. Anfang nand Harrach Mitte September 1949 den Idealismus für diesen Neuanfang. 1946 requirierte die in Bad Kreuznach stati- Verlagsleiter der „Rheinisch-Pfälzischen Im Oktober 1949 baten die Verlage aus onierte Einheit des französischen Militärs die Rundschau“ energisch mahnen musste, die Meisenheim, Kirn, Simmern, Bendorf, Tra- Druckerei für ihre Belange. Da noch zahlrei- offenstehenden Druckrechnungen von über ben-Trarbach, Konz und Saarburg um die che ehemalige Mitarbeiter in Gefangen- 40 000 DM zu bezahlen. Am 23. September Lieferung der politischen und Unterhal- schaft waren, durfte Carl Ferdinand Harrach bot man ihm an, zusammen mit dem Verlag tungsseiten. Kurz danach kamen über 40 sich acht Fachkräfte im Bretzenheimer und der Redaktion der „Rheinisch-Pfälzi- andere Verlage aus dem hessischen und Kriegsgefangenenlager aussuchen. Mit sei- schen Rundschau“ eine neue Tageszeitung niedersächsischen Raum hinzu. Sie alle er- ner Person musste er dafür haften, dass sie unter der Leitung von Dr. Josef Ungeheuer, hielten nun jeden Tag den „Mantelteil“ auf nicht fliehen. Sie wurden in Leerräumen der dem Chefredakteur der „Rheinisch-Pfälzi- Matern (spezielle feuerfeste Pappe) aus Bad Druckerei untergebracht und von Familien, schen Rundschau“, herauszugeben, die den Kreuznach. Der „Oeffentliche“ erschien zu- die um den Eiermarkt wohnten, verpflegt. Untertitel „Oeffentlicher Anzeiger“ tragen nächst wie früher als Mittags-, bald aber als Jedoch konnte der französische Stadt- sollte. Das lehnte er ab, denn der „Oeffentli- Morgenzeitung, um konkurrenzfähig zu kommandant nicht verhindern, dass Anfang che“ war immer eine Zeitung, die für alle bleiben. 1946 drei Setz- und zwei Druckmaschinen Parteien offen stand. Am 1. Januar 1950 veranstaltete der von einer französischen Demontage-Einheit Zwei Tage später teilte Verlagsleiter „Oeffentliche“ im Großen Kursaal von Bad beschlagnahmt und abtransportiert wurden. Günter Ringel mit, es sei kein Geld mehr in Kreuznach zum ersten Mal nach Kriegsende 4 (Seite 16 des Jahrgangs) Bad Kreuznacher Heimatblätter - 4/2012

Das neue Druck- und Verlagshaus Harrach an der Ecke Wöllsteinerstraße/Schwabenheimer Weg (1962). Abbildung in einem Firmenprospekt: PACFH

eine große Neujahrs-Party. Carl Ferdinand gab ihre Bezirksausgaben in Bad Kreuznach neben dem Betriebsgebäude der Firma Har- Harrach kannte aus seiner Wiesbadener Zeit und Idar- Oberstein auf, der Verlag Harrach rach existierten lediglich Eisen-Thress und zahlreiche Künstler wie Heinz Schenk, Maria übernahm die Abonnenten und lieferte je- Weinand – drohte dem „Oeffentlichen“ der Mucke und die Kapelle „Optimisten“ aus weils die Lokal- und Anzeigenseiten. Die Kontakt zum Publikum verloren zu gehen. dem Bretzenheimer Lager, die er allesamt für politischen und Unterhaltungsseiten stellte Aus diesem Grund zog die Redaktion Anfang diesen Abend gewinnen konnte. Diese Ver- die „Rhein-Zeitung“ zur Verfügung und des Jahres 1976 zurück ins Stadtzentrum anstaltung war ein voller Erfolg und ein übernahm auch den Druck im größeren (Eckhaus Mannheimer Straße 187) und eini- „Dankeschön“ an die wiedergewonnenen Rheinischen Format. ge Jahre später in das Pressehaus in der Rö- Inserenten. merstraße 4. 1952 erteilte der Deutsche Saarbund dem Umzug ins Industriegebiet Mitte 1976 verpachtete Carl Ferdinand Verlag Harrach den Auftrag, einmal im Mo- Da inzwischen die Räumlichkeiten des Harrach den Druckerei-Betrieb an seinen nat die „Deutsche Saar-Zeitung“ herzustel- Druckereibetriebs in der Großen und Klei- ehemaligen Betriebsleiter Herbert Förner. len um gegen die frankophile Saar-Regie- nen Kannengasse zum Aufstellen neuer Off- Infolge dessen schwerer tödlicher Erkran- rung, die den Anschluss an Frankreich woll- set-Maschinen zu klein wurden, konnte von kung wurde diese Druckerei jedoch 19 Jahre te, zu opponieren. Natürlich war diese Zei- der Stadt 1961 ein Grundstück im neu er- später aufgelöst. tung im Saargebiet verboten und musste von schlossenen Industriegebiet gekauft wer- Verleger Harrach hatte nun Zeit, sich um Mittelsmännern im Birkenfelder Raum den. Mitte September bis Mitte Oktober 1962 seine Verlage Interkunst und Buch und Star- „eingeschmuggelt“ werden. Dieser „Kampf erfolgte der Umzug von der Hochstraße in Kalender zu kümmern. Die von ihm heraus- um die Saar“ ging soweit, dass die französi- den Neubau, und zwar nur an den Wochen- gegebenen Bildkalender und Kunstbücher sche Sûreté einen Mittelsmann fand, der sich enden, da die Zeitungsherstellung nicht ein- fanden in der Fachwelt höchste Anerken- als Vertriebsfachmann ausgab, um angeb- gestellt werden konnte. Die offizielle Ein- nung und sind zum Teil noch heute bei lich den illegalen Transport weiter zu forcie- weihung des neuen, nach modernsten Er- Amazon erhältlich. Nach dieser längeren ren. Über seine so gewonnene Information kenntnissen errichteten Betriebsgebäudes „Odyssee in der Kunstszene“, spezialisierte verständigte er die zuständigen Grenzbe- am 15. Dezember 1962 leitete den bedeu- sich Carl Ferdinand Harrach aus Alters- hörden. Im Februar 1953 wurde Carl Ferdi- tendsten Abschnitt in der Geschichte des gründen nur noch auf den jetzt im 45. Jahr- nand Harrach anlässlich eines Besuches bei Verlages Harrach und des „Oeffentlichen gang erscheinenden Kalender „Mineralien seiner Großmutter in Sulzbach/Saar verhaf- Anzeigers“ ein. der Welt”, der heute unter anderem in zahl- tet und 48 Stunden im Saarbrücker Gefäng- Zum Ende des Jahres schied die Bauherrin reichen Büros in USA, Kanada, Südafrika, nis eingesperrt. Bei mehreren ergebnislosen Elisabeth Harrach (gestorben am 2.9.1969) Australien, Frankreich und Italien an der Verhören wollte man unbedingt wissen, wer als Kommanditistin aus; wenige Monate Wand hängt. die Geldgeber für diese Zeitung wären. Carl später auch der Komplementär Ludwig Har- So mündet allmählich der lange Weg einer Ferdinand Harrach wurde anschließend of- rach (gestorben am 28.7.1968) und sein Sohn 125-jährigen Geschichte in die lebendige fiziell aus dem Saargebiet ausgewiesen. Günther (tödlich verunglückt am 3.04.1982 ). Gegenwart ein. Es wurde versucht, rück- Im ständigen Bemühen um die Verbesse- Die Firma wurde in eine GmbH & Co umge- schauend das Wesentliche dieser Entwick- rung der Zeitung entstand Ende März 1954 wandelt. Alleiniger Geschäftsführer war nur lung sichtbar zu machen und zu der sich eine Arbeitsgemeinschaft mit dem Mittel- noch Verleger Carl Ferdinand Harrach. Die ständig wandelnden Umwelt in Beziehung rhein-Verlag, Koblenz . Die „Rhein-Zeitung“ Belegschaft betrug nun 138 Personen. zu setzen. Eines ist dabei klar geworden: die Im Frühjahr 1975 lief der 20-jährige Ar- glückliche Verbindung von Tradition und beitsgemeinschaftsvertrag mit dem Mittel- Fortschritt. rhein-Verlag aus. Um ihn zu erneuern, hätte Zum Schluss soll noch erwähnt werden, der Verlag Harrach wiederum erhebliches dass Carl Ferdinand Harrach sich wie seine Kapital investieren müssen, denn die High- Vorfahren im sozialen Umfeld seiner Heimat techentwicklung in der Zeitungstechnik engagierte, so war er 12 Jahre Beisitzer am hatte sich rasant verändert. Gutenbergs Er- Sozialgericht Koblenz, 25 Jahre Mitglied der findung war inzwischen veraltet. Der dama- Vertreterversammlung der AOK, Mitglied lige Verleger der „Rhein-Zeitung“, Dr.Wer- der Vertreterversammlung der Volksbank, ner Theisen, machte dem Verlag Harrach ein Prinz-Karneval 1950, im Elferrat der GKGK faires finanzielles Angebot und so erfolgte von 1946 bis 1951 (von 1946 bis 49 als Vize- der Verkauf der Verlagsrechte der Zeitung, präsident), 10 Jahre Präsident des Flug- die 72 Jahre im alleinigen Besitz der Familie sportvereins Bad Kreuznach und Grün- Harrach waren, wobei es nicht immer leicht dungsmitglied des Golfklubs Bad Kreuz- war, auf dem schmalen Grat zu wandeln nach. Er gehörte verschiedenen Kommissio- zwischen Geschäftsinteressen und gesell- nen im Verband der Zeitungsverleger an. schaftlicher Stellung auf der einen und der redaktionellen Unabhängigkeit auf der an- deren Seite. „Dieser Verkauf ist mir nicht leicht gefallen, denn 30 Jahre meiner Tätig- keit stecken in diesem Unternehmen”, Die Bad Kreuznacher Heimatblätter erscheinen Der Verleger Carl Ferdinand Harrach mit seiner schrieb Carl Ferdinand Harrach später in monatlich in Zusammenarbeit mit dem Verein Ehefrau Dr. N. Harrach an seinem 80. Geburtstag seinem Tagebuch. für Heimatkunde für Stadt und Kreis Bad Kreuznach (2003). Da sich in dem neuen Industriegebiet da- e.V. (i. A. Dr. Horst Silbermann, Foto: PACFH mals erst wenige Firmen angesiedelt hatten – Dienheimer Berg 11, 55545 Bad Kreuznach). Nummer 5/2012 BadKreuznacher Beilage Bad Kreuznach Heimatblätter

Von Salzquellen und Gradierwerken Zur Geschichte der Kreuznacher Mineralbrunnen

VON ROLF SCHALLER, BAD KREUZNACH

Teil I

Lob der Elisabeth-Quelle von Carl Christian Kehr (1837)

Wenn an der Wunderquelle sich die Schmerzen des Leidenden gelöst in Jubelruf, dann nennen dankerfüllte, reichbeglückte Herzen die Schützerin, die ihr der Himmel schuf. Drum sey, du theures Thal! Das mich gebohren und mir des Daseins Lebenslust erneut, die Sohnestreue dir aufs Neue zugeschworen, Elisen-Quelle! Dir mein Dank geweiht.

Ihre Königliche Hoheit, unsre allverehrte Kron- prinzessin Elisabetha Ludowike, geruheten der Heilquelle zu Kreuznach Höchst Ihren Namen un- Das Salinental 1789 mit den zwei Gradierwerken der Karlshalle und den damals vorhandenen neun Gradier- ter der Benennung Elisabeth-Brunnen zu verlei- werken der Theodorshalle. Deren zehntes Gradierhaus entstand erst 1794. (Kupferstich von Jacob Rieger). hen. Dass der Reim Elisen-Quelle bedingte, dürfte Fundstelle: Wolfgang Reiniger, Stadt- und Ortsansichten des Kreises Bad Kreuznach 1523-1899, Bad Kreuznach 1990, S. 168 der poetischen Freiheit wohl zur Entschuldigung dienen.1)

Vorwort aus der Zeit um 1900, die sich laut Dr. Marion ten schon zu Zeiten der Kelten bekannt ge- Hempfler 2) noch 1993 im Besitz der ehema- wesen sein. Gefundene Mauerreste aus rö- Von ehemals zwölf Gradierhäusern, zwei ligen Rheuma-Heilbad AG (heute Sana- mischer Zeit lassen vermuten, dass auch die der Karlshalle mit zusammen 336 Meter Rheumazentrum Rheinland-Pfalz) waren, Römer, die stets eine Vorliebe für Bäder und Länge und zehn der Theodorshalle mit einer sind nicht mehr aufzufinden. Bei den seit Thermen hatten, die Mineralquellen genutzt Gesamtlänge von 2244 Meter (zusammen 1997 für die Salinenbetriebe zuständigen haben. Die älteste urkundliche Erwähnung circa 2580 Meter), sind heute nur noch sechs Stadtwerken sind nur noch Akten ab den stammt aus dem Jahr 1478. Im Jahr 1490 ver- erheblich verkürzte Gradierwerke mit einer 1970er Jahren vorhanden. Im Stadtarchiv gab der Pfälzer Kurfürst Philipp das Recht zur Gesamtlänge von 1060 Metern erhalten. Bad Kreuznach (StAKH) wird über die Sali- Ausbeutung der Salzquellen an der Nahe Auch von den einst 18 Mineralquellen be- nen-Sozietät beziehungsweise die Kur- und zwischen „Ebernberg und Crutznach, be- ziehungsweise Brunnen – sechs davon waren Salinenbetriebe eine umfangreiche Materi- sunder eyn salzbronne oberhalb monster zu Trinkquellen ausgebaut – wurden die alsammlung bewahrt; Akten zu den alten gehn dem Ringravenstein“ 4) im heutigen meisten aufgegeben. Derzeit sind nur noch Mineralbrunnen sind dort jedoch nicht vor- Bad Münster an seine beiden Köche Konrad fünf Mineralbrunnen in Betrieb. Hinzu handen. Viele Fakten ließen sich aber nach Brunn und Mathis von Nuvendorf. Die da- kommt noch der erst 1998 erschlossene Tief- den Städtischen Verwaltungsberichten, den mals eingerichtete Salzsiederei kam aber brunnen. Nach der Zerstörung durch Hoch- Stadtratsprotokollen, Zeitungen und ande- wohl bald wieder zum Erliegen. Um 1607 ist wasser, Kriegseinflüsse und Stürme wurden ren Unterlagen des Stadtarchivs ermitteln. der Bau einer neuen Anlage belegt, die je- die übrig gebliebenen Gradierwerke und die Die im Landeshauptarchiv Koblenz be- doch schon 1614 einem Sturm zum Opfer fiel. zugehörigen Brunnen beziehungsweise findlichen Archivalien zur Kreuznacher Sa- Der Dreißigjährige Krieg verhinderte auf Quellen mehrfach neu durchnummeriert linengeschichte des 18. Jahrhunderts sind im Jahrzehnte weitere Initiativen. Erst 1707 er- und umbenannt. Im Folgenden werden – um Folgenden nicht herangezogen. 3) folgte in Münster ein Neubeginn. Verwechslungen zu vermeiden – aus- Die Kreuznacher Salzquellen werden schließlich deren ursprüngliche Bezeich- Karls- und Theodorshalle 1608 erstmals urkundlich erwähnt, eine nungen verwendet. Die schwach kochsalzhaltigen, nur mäßig Ausbeutung fand damals jedoch nicht statt. Die „umfangreichen, bis ins Jahr 1698 rei- warmen Mineralquellen zwischen Bad 1728 verlieh Kurfürst Karl Philipp von der chenden Akten der Karlshaller, Theodors- Münster und Bad Kreuznach besitzen einen Pfalz (1716-1742) der Frankfurter Gesell haller und Dürkheimer Salinen“, von denen natürlichen Auftrieb und treten zum Teil of- schaft Bartels, Ruprecht und Consorten, seit Salinendirektor Ernst Neumann noch 1929 fen im Flussbett der Nahe aus. Noch heute ist 1721 Pächter der Münsterer Saline, auf 45 schreibt, sind nicht mehr vorhanden. Große im Uferbereich am Gradierwerk III – im Jahre das Recht, auf Kreuznacher Gebiet ei- Teile des Bestandes sollen während der Be- Sommer bei Niedrigwasser – eine Solequelle ne weitere Saline anzulegen. Zwischen 1729 setzung nach dem Zweiten Weltkrieg bezie- zu sehen. Die Ergiebigkeit der Quellen be- und 1732 wurde das neue Salzwerk – später hungsweise durch Hochwasser verloren ge- ziehungsweise Brunnen steigt mit dem Karlshalle genannt – auf der rechten Nahe- gangen sein. Auch die drei Brunnenbücher Wasserspiegel der Nahe. Die Quellen dürf- seite errichtet. Teile der Anlage bestehen 2 (Seite 18 des Jahrgangs) Bad Kreuznacher Heimatblätter - 5/2012

noch heute. I-III hatten eine Länge von circa 310 Metern, sowie zwischen den beiden (also auf dem Der erste Brunnen – die Bohrung war 73 die weiter flussaufwärts liegenden waren, heutigen Sportgelände) befanden sich drei Schuh (circa 21 Meter) tief, die Überbohrung bedingt durch das enger werdende Tal, et- weitere Brunnen, die vermutlich nur Sicker- 1842 ging auf 144 Meter – dient heute nur was kürzer. Die Gradierhäuser VIII und IX schächte waren und bei der Inventur von noch der Versorgung des verbliebenen waren rund 180 Meter lang. Jeweils an der 1802 als „neue Bronnen“ bezeichnet wer- Karlshaller Gradierwerks. Die Saline be- Naheseite der Gradierhäuser I-V befanden den. Im Inventarverzeichnis wird der Brun- stand aus dem Sudhaus (heute Haus Karls- sich die zur Versorgung erforderlichen nen unter dem Gradierhaus V „Schmalz- halle Nr. 8, seit 1812 Wohnhaus), den einge- Brunnen. bronnen“ genannt. Die Gradierhäuser VI – schossigen Wohnhäusern für die Arbeiter Der Brunnen I am Gradierwerk I wurde IX hatten keine eigenen Brunnen und wur- (Karlshalle 3-7), zwei Gradierwerken, der vermutlich um 1820 nach dem hessischen den über Leitungen versorgt. Wehranlage, dem Triebwerkskanal, einem Großherzog Ludewig I. (1753-1830) „Lud- 1778 lief der Pachtvertrag für die Karls- Wasserrad und einem Pumpenhaus. Der alte wigsquelle“ und später nach dem Salinen- halle, 1783 der für die Theodorshalle aus und Holzturm wurde 1927 abgerissen und durch konstrukteur „Beust-Quelle“ genannt. Er Kurfürst Karl Theodor überließ die beiden ein einstöckiges Brunnenhaus ersetzt. Das hatte eine Tiefe von 44, später circa 160 Me- Salzwerke auf 25 Jahre den neuen General- Gradierhaus 1 stand auf dem heutigen ter. Anfang des 19. Jahrhunderts richtete Pächtern Schmalz und Seeligmann aus Schwimmbad-Parkplatz und war ca. 78 m man am bis heute erhaltenen Brunnenhaus Mannheim, die damit den gesamten Salz- lang. Das Gradierhaus 2 hatte ursprünglich eine Trinkquelle für die Kurgäste der Theo- handel der Rheinpfalz übernahmen. eine Länge von 258 Meter und war – dem dorshalle ein. Heute dient der Brunnen I, wie Am 27. Februar 1784 ereignete sich ein Verlauf der Nahe folgend – abgewinkelt. Der alle alten Brunnen, nur noch der Versorgung schweres Hochwasser, das auch das Fluss- heute stehende Neubau ist nur noch 61 Me- der Gradierwerke. Die Brunnen II und III sind bett der Nahe unterhalb der Salinenbrücke ter lang und als Besucher-Gradierwerk, an nur 4 bis 5 Meter tiefe Sammelschächte, in erheblich veränderte. Aus Geschiebeabla- das sich eine Brauerei anschließt, ausgebaut. denen die Sole durch Felsspalten austritt. gerungen war eine Kies- und Sandbank ent- Spätestens 1812 wurde die Karlshalle ge- Brunnen II hat heute eine Edelstahlabde- standen, die die Nahe nach und nach in zwei schlossen und der Betrieb auf die Saline ckung, Brunnen III liegt im noch vorhande- Arme teilte. Außerdem waren durch das Theodorshalle konzentriert. Kurz danach nen alten Brunnenhaus. Der Brunnen IV am Hochwasser plötzlich Salzquellen freigelegt wurde wohl auch schon das Gradierwerk 1 ehemaligen Gradierhaus IV ist verschüttet worden. Die neuen Pächter blieben nicht der Karlshalle niedergelegt. Der Karlshaller und soll eine Tiefe von circa 60 Meter gehabt untätig und richteten am 27. September 1784 Trink-Brunnen jedoch wurde zur Keimzelle haben. Das zugehörige Gradierwerk wurde ein Gesuch an Kurfürst Karl Theodor, beim des Bades Kreuznach. vom Hochwasser am 16. Januar 1918 zer- Oranienhof ein weiteres Salzwerk errichten Anfang der 1740er-Jahre sollte auf Be- stört. Nur das übrig gebliebene Brunnenhaus zu dürfen nebst der „Erbauung sämmtlicher treiben der kurpfälzischen Landesherrschaft steht noch am alten Platz. 1922/23 beseitigte Salzwerks-Gebäuden, Betrieb der Salzwer- auf der linken Naheseite eine weitere Saline man auch die Fundamente des Gradierhau- ke und dem Salzverkauf frei vom Zehenden angelegt werden. Zu diesem Zweck erwarb ses IV und richtete auf den frei gewordenen auf fünfzig Jahre“. Karl Theodor erteilte die „Hermann’sche Salinen-Societät“ 1743 Nahewiesen zwischen den Gradierwerken zwar umgehend seine Bewilligung, doch um für 10 000 Gulden den ehemaligen Sulzer III und V die heutigen Sportplätze ein. die Besitzverhältnisse des Oranienhofes Hof nebst umfangreichen Waldungen, Wie- Der Brunnen V befindet sich nicht mehr entstand ein jahrelanger Rechtsstreit. sen und Fischereigerechtigkeiten. Von dem vor Kopf des Gradierwerkes V, sondern liegt Schließlich gaben die Salinenpächter auf burgartig befestigten Hof (erstmals erwähnt etliche Meter flussabwärts. Dies rührt daher, und die neu entdeckten Salzquellen an der 1230, seit dem 15. Jahrhundert im Besitz der dass das Gradierwerk V zur Vergrößerung „Oranieninsel“ blieben auf viele Jahrzehnte Familie von Leyen) sind bis heute Mauerres- des Sportgeländes 1969/70 circa 40 Meter ungenutzt. te und ein Treppenturm erhalten. Vom neu- flussaufwärts verlegt wurde. Brunnen V hat- Am 5. Juni 1793 beantragten die Pächter, en Kurfürsten Karl Theodor (1743-1799) er- te bereits 1901 eine Tiefe von 200 Metern. Er ersatzweise oberhalb des Sudhauses hielt die „Societät“ das Recht, beim Sulzer wurde 1992 neu verrohrt und ist heute mit ein„Zehendes Gradierhaus errichten“ zu Hof ein zweites Salzwerk zu errichten und einer gusseisernen Platte hochwassersicher dürfen. Das Gradierhaus X ging 1794 in Be- auf 30 Jahre zu betreiben. Wegen des ge- abgedeckt. In der Mitte vor Gradierwerk III trieb. Bedingt durch die Hanglage war das waltigen Bedarfs an Bauholz verzögerte sich befindet sich der mit einem Edelstahldeckel Haus X in vier Abteilungen unterteilt und die Fertigstellung bis 1744/45. Laut Dr. h.c. abgedeckte Hauptbrunnen mit ursprünglich hatte eine Länge von 280 Metern. Es wurde Karl Geib wurden die beiden Salzwerke an- 53 Metern Tiefe. Auf allen zeitgenössischen über eine Leitung mit Salzwasser versorgt, fangs „Untere“ beziehungsweise „Obere Abbildungen ist das Pumpenhaus des die Pumpen wurden vom Wasserrad des Gewerkschaft“ genannt. Erst um 1770 wer- Hauptbrunnens, das die Gradierhäuser weit Gradierhauses I angetrieben. Das Kunstge- den die Namen „Karlshalle“ (nach Kurfürst überragte, deutlich zu erkennen. Der stänge führte von den Nahewiesen durch ei- Karl Philipp) und „Theodorshalle“ (nach Hauptbrunnen wurde in den Jahren 1842, nen Stollen unter der „Saliner Chaussee“ Kurfürst Karl Theodor) erstmals erwähnt. Am 1865, 1901 und 1992 überbohrt, neu gefasst hindurch. 13. Juni 1744 beantragte die Salinen-Socie- und hat heute eine Tiefe von 80 Metern. Je- Noch vor Ablauf des Pachtvertrages brach tät, eine „Newe Brück über die Nohe“ bauen weils unter den Gradierhäusern IV und V die Französische Revolution aus. 1802 ließ zu dürfen. Die Stadt hatte zunächst versucht, den Brückenbau zu verhindern, weil durch die Brücke „Handwerksburschen und Dienstboten an Sonn- und Feiertagen zum Schaden der Kreuznacher Wirthe nach den Salinenwirthshäusern gelockt“ würden. Die Brücke wird 1756 erstmals urkundlich er- wähnt. 5) Die Salinenbewohner genossen – obwohl die Salinen zur Kreuznacher Ge- markung gehörten – lange Zeit eine Sonder- stellung als „Freibürger“. Nach den Plänen und unter der Leitung des Freiherrn Joachim Friedrich von Beust entstanden die heute nur noch teilweise er- haltenen Gradierhäuser der neuen Saline. Beust erfand die sogenannte Tröpfelgradie- rung und ließ auch die Gradierhäuser der Karlshalle entsprechend umbauen. Die Salinen-Gesellschaft errichtete die Gradierhäuser, ließ die Quellen bzw. Brun- nen erschließen, das Sudhaus, die Leitun- gen, Triebwerksgräben und Arbeiterhäuser bauen und erzeugte bald jährlich circa 12 000 Malter Salz. Die Saline Theodorshalle be- stand aus acht Gradierhäusern quer zur Na- he und einem neunten an der heutigen Zu- Die ehemalige Ludwigs- bzw. Beust-Quelle am Gradierwerk I um 1910 (im Hintergrund: Gradierwerk X). fahrt zu den Sportplätzen. Die Gradierhäuser Ansichtskarte aus dem Privatarchiv von Rolf Schaller, Bad Kreuznach Bad Kreuznacher Heimatblätter - 5/2012 (Seite 19 des Jahrgangs) 3

fließt. Der Karlshaller Triebwerksgraben ist erheblich kürzer und führt vom Karlshaller Wehr bis zur Turbine unterhalb der Salinen- brücke. Über die Triebwerkskanäle wurden insgesamt 7 Wasserräder angetrieben, die über komplizierte Gestänge – sogenannte Kunstkreuze – die Pumpen betätigten. Die mechanischen Pumpen drückten die Sole hinauf in die hölzernen Verteilkanäle über den 8 Meter hohen Gradierwerken. Von dort tröpfelte die Sole zur Intensivierung des Verdunstungsvorgangs über Wände aus ge- schichteten Schwarzdornhecken in die Sammelbecken. Jedes Gradierwerk bestand – von den Brunnenhäusern in Richtung der heutigen Salinenstraße – aus sieben Gra- dierstufen, in denen die Sole Schritt für Schritt salzhaltiger wurde. Die Gradierhäu- ser waren mit Ziegeldächern versehen, da- mit die Sole durch den Regen nicht wieder verdünnt wurde. 1924 waren alle Dächer der noch vorhandenen Gradierwerke mit Aus- Das Gradierhaus III um 1910. Ansichtskarte aus dem Privatarchiv von Rolf Schaller, Bad Kreuznach nahme der jeweils letzten Gradierstufe (Richtung Salinenstraße) bereits abgebro- chen. 1969/70 hat man beim Wiederaufbau des die kurpfälzischen Salinen in einen Teil der Gradierhausdächer entfernt. Gradierwerks V die Holzkonstruktion durch Kreuznach und Dürkheim verstaatlichen Nicht einmal die Schwarzdornhecken waren Beton ersetzt. Von 1978 bis 1980 wurde von und schenkte sie 1807 seiner Schwester mehr erneuert worden. der Firma Mertens, Lauterecken, das Gra- Pauline, der Prinzessin Borghese. Damals dierwerk I und danach von der Firma Sche- sollen auch Salinenakten in den Besitz des Gradiertechnik rer, Bad Kreuznach, das Gradierwerk II ab- Fürsten Borghese übergegangen sein. Im Die Gradierhäuser hatten ausschließlich gerissen und mit Wannen und Stirnwänden Inventarbestand von 1802 anlässlich der den Zweck, mittels der Tröpfelgradierung aus Beton neu errichtet. Nur Gradierwerk III französischen Übernahme waren unter an- den Salzgehalt der Sole, der in Bad Kreuz- und insbesondere das denkmalgeschützte derem aufgelistet: nach nur circa 1 bis 2 Prozent beträgt, durch Gradierwerk IX (an der Sportplatzzufahrt) Saline Karlshalle: 1 Brunnen, 2 Gradier- Verdunstung soweit zu erhöhen, bis eine haben noch einigermaßen ihren ursprüngli- werke, 1 Wasserrad, 5 Kanonen und 7 Flin- wirtschaftliche Verdampfung im Sudhaus chen Aufbau bewahrt. Der Beton erwies sich ten. möglich war. Das Wehr unterhalb des allerdings als weniger haltbar als die früher Saline Theodorshalle: 9 Brunnen, 10 Gra- Rheingrafensteins in Bad Münster versorgt verwendete Holzkonstruktion. Auch der Er- dierwerke und 6 Wasserräder. bis heute den verzweigten Triebwerksgra- satz der Schwarzdornhecken durch Kunst- Der Wiener Kongress entschied am 1. Juli ben der Theodorshalle, der erst unterhalb stoffmatten blieb ein untauglicher Versuch. 1816, die Salinen – mit Ausnahme der Müns- des Karlshaller Wehres in die Nahe zurück- 1999 wurde die vernachlässigte, uralte terer Saline – dem benachbarten Großher- zogtum Hessen zuzuschlagen, obwohl sie auf preußischem Gebiet lagen. Dies sollte die Stadt Kreuznach teuer zu stehen kommen. Die Hoffnungen auf eine Rückgabe gingen auch nach dem deutsch-österreichischen Krieg 1866 – Preußen befand sich auch mit Hessen im Kriegszustand – nicht in Erfül- lung. 1867 konnte lediglich durch einen neuen Liefervertrag eine – wenn auch teuere – Versorgung der Kreuznacher Badeeinrich- tungen mit Sole und Mutterlauge auf 25 Jahre gesichert werden. Außerdem musste Hessen die Verlegung einer Soleleitung ge- statten, die von der Karlshalle zu den Bade- , später auch zum Viktoriastift, Fran- ziskastift und den Krankenhäusern Diakonie und St. Marienwörth führte. Die „Salinen- Röhrenleitung“ wurde im Mai 1869 in Be- trieb genommen. Nur nach weiteren finan- ziellen Zugeständnissen konnte der Vertrag 1892 noch einmal um fünf Jahre verlängert werden. So war die Stadt Kreuznach am 1. April 1897 schließlich gezwungen, Hessen die Salinen für die Summe von 1,1 Millionen Mark abzukaufen. Der Preis wurde damals in bar entrichtet. Die Salinenbetriebe konnten die dazu aufgenommene Anleihe nebst Zin- sen erst im Jahr 1937 tilgen. Hinzu kam noch, dass Hessen in den letzten Jahren jegliche Investition eingestellt hatte. Das Gradier- haus VIII der Theodorshalle (das letzte Gra- dierwerk Richtung Bad Münster) war schon nach dem schweren Hochwasser von 1882 abgerissen worden. Die übrigen Anlagen der Salinenbetriebe und die verbliebenen zehn Gradierwerke (eines der Karlshalle und neun der Theodorshalle) befanden sich beim Ver- kauf teilweise in erbärmlichem Zustand. Schon 1866 hatte Hessen aus Kostengründen Das alte Sudhaus. Foto: Rolf Schaller, Bad Kreuznach 4 (Seite 20 des Jahrgangs) Bad Kreuznacher Heimatblätter - 5/2012

Pumptechnik durch Elektropumpen ersetzt und Teile des alten Gestänges abgebaut.

Siederei Auch die Salzsiederei war im Laufe der Jahrhunderte einer Reihe von Entwick- lungsstufen unterworfen. In früheren Zeiten wurde die Sole in Pfannen über einem offe- nen Holzfeuer so lange erhitzt, bis das Was- ser verdampfte und das Salz auskristallisier- te. Zur Herbeischaffung des enormen Holz- bedarfes hatten die Salinen seit ihrem Be- stehen das Floßrecht auf Nahe, Glan und Lauter. Durch die von Beust entwickelte Gradiertechnik konnte der Salzgehalt der Sole bis auf circa 14 Prozent gesteigert wer- den. Dadurch wurde die Salzgewinnung erst einigermaßen wirtschaftlich. Um 1750 be- gann man damit, im Verdampfungsprozess an Stelle des teuren Brennholzes die billigere Steinkohle zu verwenden und 1764 führte man an der Theodorshalle das Zwei-Pfan- nen-System ein. In der ersten Pfanne wurde das Wasser verdampft, in der zweiten das Salz auskristallisiert. Dadurch konnte die Wirtschaftlichkeit weiter verbessert werden. Das „Zwangsbelüftete Gradierwerk ZBG“ im Steinbruch an der Salinenbrücke (1970). Existenzbedrohende Konkurrenz bekamen Foto: Rolf Schaller, Bad Kreuznach die Salinen Mitte des 19. Jahrhundert durch die zunehmende Verwendung von Steinsalz als Speisesalz. Der Verwaltungsbericht des Jahres 1902 1892 mit 3423 auf einen absoluten Tiefstand 1973 musste das „Zwangsbelüftete Gradier- berichtet vom Aufbau einer neuen „Mehr- und so wurde die Errichtung der „Radium- werk“ wegen Unwirtschaftlichkeit wieder fach-Verdampfungs-“ beziehungsweise gewinnungsanlage“ im Nordflügel der Sie- aufgegeben werden. „Vacuum-Anlage“: „Das Arbeiten mit der derei im Oktober 1908 zum bedeutendsten Die alte Siedereitechnik der Theodors- Anfangs 1902 in Betrieb gesetzten Vacuum- Ereignis für die Zukunft des Bades. Aus dem halle war mittlerweile nicht mehr betriebssi- Anlage ergab mannigfache Schwierigkei- Luxus- und Modebad wurde ein reines Heil- cher und entsprach vor allem nicht mehr den ten, welche theilweise in der Construction bad. Im alten Sudhof wurden nun neben Anforderungen des Lebensmittel- und Arz- und Ausführung der Anlage, theilweise in Kochsalz, Badesalz und Mutterlauge auch neimittelgesetzes. 1974 wurde deshalb ne- dem gänzlichen Fehlen eines für einen der- „hochaktives Wasser“, „Radiolkompres- ben dem Sudhaus ein Neubau mit zweistufi- artigen Betrieb ausgeführten [gemeint ist sen“, Tabletten und Salben aus den radio- ger Verdampferanlage, Kristallisations- und wohl: ausgebildeten] und befähigten Perso- aktiven Sedimenten der Sole produziert. Salztrocknungsanlage durch die Firma Lu- nals und theilweise in dem Nichtvorhanden- Der Erste Weltkrieg und die langjährige Wa SMS, Butzbach, in Angriff genommen sein eines erprobten und durchgebildeten Besatzungszeit verhinderten weitere Inves- und 1975 fertiggestellt. Die restlichen Ge- Eindampfungsverfahrens ihre Ursachen titionen. Im Zweiten Weltkrieg fielen sogar bäude der Theodorshalle aus dem Jahr 1743 hatten. Die großen Hoffnungen, welche man Bomben im Salinental und beschädigten das wurden anschließend abgebrochen. Leider hinsichtlich der Rentabilität der Saline durch Gradierwerk X neben dem Sudhaus. 1966 wurde nichts von der über 200 Jahre alten Einführung des Vacuumbetriebes auf Grund konnte immerhin der uralte Dampfkessel Einrichtung für das bewahrt. der im Sommer 1902 aufgestellten Rentabi- gegen einen modernen Zweiflammrohr- Schon 1999 beschloss der Aufsichtsrat der litätsrechnung gesetzt hatte, sind nur zum Kessel ersetzt werden. Inzwischen produ- Kurmittel-Produktions-Gesellschaft, die Theil erfüllbar“. Und das hatte folgenden zierten die Kreuznacher Salinenbetriebe Salz- und Kurmittel-Produktion in der Sie- Grund: „Als die Hauptschwierigkeiten im Badesalz (in der Dose), Badesole, Mutter- derei einzustellen. Die technischen Anlagen September 1902 beseitigt waren, zeigte sich, lauge, ein Sole-Konzentrat (in Flaschen), im neuen Sudhaus wurden demontiert. daß das mit der Vacuumanlage erzeugte Kreuznacher Heilerde und natürlich Koch- Feinsalz bei der Kundschaft wenig Anklang salz. Doch die verbliebenen, reparaturbe- Anmerkungen: fand und infolgedessen fast unverkäuflich dürftigen Gradierwerke konnten den nöti- 1) Johann Erhard Peter Prieger: Kreuznach war“. Die Vakuumanlage konnte nur noch gen Bedarf an angereicherter Sole nicht und seine Brom- und Jode-haltigen Heil- im Konzentrationsprozess verwendet wer- mehr decken. Der Salzgehalt der gradierten quellen, Kreuznach 1837, S. 37 und nach 271. den; das Kristallisieren musste wieder wie Sole lag statt wie früher bei 14 nur noch bei 6 2) Marion Hempfler: Untersuchungen zur vorher in der Pfanne erfolgen. 1903 erhielt bis 10 Prozent. Zudem war das Sudhaus in- Hydrochemie, Isotopie, Hydraulik und die Siederei einen Fernsprechanschluss, au- zwischen total veraltet. Allein im Jahr 1967 Strukturgeologie der Mineralwässer von Bad ßerdem wurde die Salinenfeuerwehr ge- mussten deshalb 42,5 Tonnen Fremdsole und Kreuznach, Diss. Mainz 1993, S. 2. gründet. Die alte, handbetriebene Feuer- 185,8 Tonnen Salz zugekauft werden. 3) Vgl. dazu Horst Silbermann: Die wirt- wehrpumpe befindet sich Dank Herrn Horst Dies führte zur wohl spektakulärsten schaftliche Entwicklung des unteren Nahe- Lunkenheimer heute beim Löschzug 1 der Neuerung nach langer Zeit, dem Bau des gebietes im 18. Jahrhundert, Diss. Mainz Kreuznacher Feuerwehr. 1905 wurde für die „Zwangsbelüfteten Gradierwerks ZBG“ im 1978, S. 287, Anm. 7. Vakuumanlage ein neuer Dampfkessel ge- Jahr 1969. 6) Im ehemaligen Theodorshaller 4) Heimatblätter, 7. Jahrgang, Bad Kreuz- baut und 1906 versuchte Salinendirektor Steinbruch an der Salinenbrücke – von der nach, den 17.11.1927. Neumann in einem Nebenraum der Siederei Straße aus nicht einsehbar – errichtete die 5) Karl Geib: Historische Topographie von erstmals „Radiumprodukte“ zu gewinnen. Firma Balcke, , in einem Betonge- Kreuznach, II. Teil, Kreuznach 1937, S. 113: Insgesamt ist jedoch festzustellen, dass bäude mit den Abmessungen von circa 8 mal „Salinerwald“. man wenig vorausschauend arbeitete. Es 8 Meter die neue Anlage. Die RWE stellten 6) Mündliche Information durch Horst wurden, wie schon zu Zeiten der Großher- dafür eine eigene Trafostation bereit. Am 3. Lunkenheimer, ehemaliger Technischer zoglichen Salinendirektion, immer nur die April 1970 ging das „ZBG“ in Betrieb. Die Leiter der Salinenbetriebe. gerade allernotwendigsten Sanierungsar- Gradierung, die bei Beusts Gradierwerken beiten an den Gradierhäusern und dem bis heute durch den Wind erzielt wird, über- Sudhof durchgeführt. 1908 heißt es im Ver- nahm im ZBG eine Windmaschine. Vor dem waltungsbericht vergeblich: „Die erbärmli- Rotor mit einem Durchmesser von 3 bis 4 che Beschaffenheit des Siedereihofes er- Metern ließ man die Sole über Kunststoffla- Die Bad Kreuznacher Heimatblätter erscheinen heischt schon seit langen Jahren Abhilfe“. mellen nach unten rieseln. Der Ventilator monatlich in Zusammenarbeit mit dem Verein Bereits in den letzten Jahrzehnten des 19. Jh. verursachte einen weithin hörbaren Lärm für Heimatkunde für Stadt und Kreis Bad Kreuznach war die „Jod- und Brom-Zeit“ nach und nach und das praktische Ergebnis der Anlage war e.V. (i. A. Dr. Horst Silbermann, zu Ende gegangen. Die Zahl der Gäste sank ebenfalls unbefriedigend. Schon im August Dienheimer Berg 11, 55545 Bad Kreuznach). Nummer 6/2012 BadKreuznacher Beilage Bad Kreuznach Heimatblätter

Von Salzquellen und Gradierwerken Zur Geschichte der Kreuznacher Mineralbrunnen

VON ROLF SCHALLER, BAD KREUZNACH

Teil II Heilkräfte des Salzwassers, zu Bädern so- wohl als zum Trinken verwendet, sich auch Die ersten Kreuznacher Quellen an mehreren Kranken und Leidenden hießi- Die Salinen waren Salzfabriken und dien- ger Stadt auf eine unerwartete Weise be- ten lange Zeit ausschließlich der Salzgewin- währt haben, und der Gang des Porphyrge- nung. Dies änderte sich erst, als im März 1817 birges, in welchem jene Salzquellen ihre La- der in Wiesbaden geborene Arzt Dr. Johann ge haben, sowohl als wie das auffinden sal- Erhard Peter Prieger im Alter von 25 Jahren – zich schmeckenden Wassers in dem ganzen eigentlich nur zur Behandlung des Zucker- Thale von den Salinen bis unterhalb Kreuz- fabrikanten Karcher – nach Kreuznach kam nachs an mehreren Orten zu der sicheren und die Heilkräfte der auf großherzoglich- Unterstellung berechtigt, daß hier ebenfalls Der preußische „Oberschul- und Regierungsrath“ hessischem Gebiet gewonnenen Karls- und Salzquellen verborgen liegen – nahm der Dr. Carl August Zeller (1774-1840). Theodorshaller Sole erkannte. Noch im glei- Magistrat diesen für die Menschheit im All- Foto: Rolf Schaller, Bad Kreuznach, nach einer Bildvorlage der chen Jahr versuchte Prieger, Berufsgenossen gemeinen und den Wohlstand der Stadt im Evangelischen Stiftung Lichtenstern, Baden-Württemberg im „Rheingau, der Pfalz, Mainz und Frank- Speziellen so hochwichtigen Gegenstand in furt“, die Kreuznacher Bürger und die Kö- Berathung und beschloß: eine oeffentliche nigliche Regierung für seine Heilmethoden Badeanstalt zu errichten“. zu erwärmen. Gastwirt Schrauth vom „Wei- Hierzu sollten vom Königlichen Ober- so vielen Fällen bewährt, daß der Zufluß von ßen Roß“ in der Mannheimer Straße richtete bergamt fürs erste Bohrversuche bei den be- fremden Gästen in jedem Jahr gewachsen auf Geheiß Priegers das erste „Badezimmer“ reits zu Tage liegenden Quellen gemacht ist. Der Aufmerksamkeit des Herrn Ober- ein und die Patienten machten sich auf seine werden. Für den Etat 1826 wurden hierfür schulraths Zeller verdanken wir das Auffin- Empfehlung zu Fuß auf den Weg zum Karls- 150 Taler bewilligt. Weiter beschloss der Rat, den von zwei ganz nahe beieinander am Ufer haller Brunnen: „Das Wasser wird theils zum sobald das Ergebnis der Bohrversuche vor- der Nahe am Schlossberge gelegenen Salz- Trinken, theils zum Baden, oder zu Beidem liege, „unter Zuziehung sachverständiger quellen. Die vorzüglichere der Quellen ist zugleich verwendet, ebenso benutze man Baubeamten einen Plan und Kosten-An- jetzt gleich zu fassen und durch eine dauer- seine Verdünstung an den Gradierwerken, schlag über ein zu errichtendes Badehaus zu hafte Schutzwehr vor dem Winterwasser und gleichzeitig als Luft- und Lungenbad“.7) fertigen und dessen Bau durch Vertheilung Eisgang zu bewahren, im nächsten Frühjahr Bald wurde das Heilwasser mit Eseln und von Aktien, von denen die Stadt sich eine aber die beiden Quellen genauer zu unter- Fuhrwerken zur Stadt in die Badestuben gewisse Anzahl vorbehalten wird, ausführen suchen“. transportiert. zu lassen“. Doch das Jahr 1826 verging, ohne Für die „unvermeidlichen“ Kosten sollten Unermüdlich warb Dr. Prieger für seine dass die Stadt etwas unternahm, was ver- 200 Taler auf den Etat 1828 übernommen Idee, eigene Salzquellen auf Kreuznacher mutlich auch an dem viel zu geringen Etat werden. 1828 wurde tatsächlich eine der Stadtgebiet zu erschließen und eine Bade- von 150 Talern lag. Quellen, später „Nahequelle“ genannt, mit anstalt zu errichten. Im Jahr 1823 besuchte Die Ehre, die erste Mineralquelle auf einer hölzernen Einfassung versehen, die Prieger dann seine berühmten Kollegen Kreuznacher Stadtgebiet entdeckt zu haben, jedoch schon bald wieder zugeschwemmt Heim, Hufeland und Schönlein, den Leibarzt gebührt niemand anderem als dem preußi- wurde. Erst 1836 wurde die Nahequelle in des Kronprinzen Wilhelm, in Berlin. schen „Oberschul- und Regierungsrath“ Dr. einem Schacht gefasst und durch „fortge- In einem Brief an seine Frau schrieb er am Carl August Zeller (1774-1840). Zeller hatte setzte, eiserne Röhrenfahrten unter dem 10. Juni: „... wenn ich nur mit Geld unter- in den Jahren von 1824 bis 1830 bei bezie- Flussbette der Nahe in die Nähe der Elisen- stützt werde, so soll hoffentlich in Kreuznach hungsweise in Kreuznach gewohnt. Im quelle“ geführt. Inzwischen wuchs die Zahl eine Anstalt aufkommen, wie keine der Art in Sommer 1826 fand er im Flussbett der aus- der Kurgäste von Jahr zu Jahr. Die hessische ganz Deutschland ist, wozu ich Hoffnung getrockneten Nahe unterhalb „des Recum- Regierung bewies noch weniger Weitsicht habe, auch vom Ministerio unterstützt zu tempels an der früheren städtischen Tuch- als der Kreuznacher Stadtrat und ließ es ge- werden“. 8) bleiche“ unmittelbar nebeneinander zwei schehen, dass das Salzwasser von früh bis Am 11. August 1825 befasste sich erstmals Salzquellen. Die Entdeckung blieb vorerst spät in gelben Fässern nach Kreuznach ge- der Stadtrat mit der Idee Priegers. Im Sit- ohne Folgen. 1827 verfasste Dr. Prieger „zur fahren wurde und die Badegäste zur Karls- zungsprotokoll heißt es: „Nachdem durch Belehrung und Unterhaltung der Badegäste“ halle pilgerten und dort ihre kostenlosen die chemische Analyse der Salzquellen auf seine erste Publikation über „Kreuznach und Trinkkuren genossen. An den dortigen Auf- den großherzoglichen Salinen Carls- und seine Heilquellen“. Auf Veranlassung des seher war lediglich „ein beliebiges Trink- Theodorshalle das vorhandenseyn der seit Kaufmanns Stephan de Lorenzi behandelte geld für die Dauer der Cur“ zu entrichten. 1812 als spezifisches Heilmittel gegen viele der Stadtrat am 8. September 1827 zum Der Preis für „1 Ohm Badesoole“ (Fass mit ca. Gebrechen und Uebel erkannten Jodine mit zweiten Mal das Thema Salzquellen: „Die 134 Litern) war 1827 auf 2 Silbergroschen völliger Gewißheit ermittelt worden, die Heilkraft der hießigen Salzquellen hat sich in festgesetzt. Die Hessische Regierung hat 2 (Seite 22 des Jahrgangs) Bad Kreuznacher Heimatblätter - 6/2012

zwar später die Preise für Sole und Mutter- ziehungsweise wüstes Gelände], an der verbunden“. 11) Anstelle von Wilhelmis lauge willkürlich erhöht, doch glücklicher- Westseite der Insel vom Wehr bis zum heuti- „Tanzbude“ ließ die Actien-Gesellschaft ein weise kam sie nicht auf die Idee, ein „Bad gen Kurhausparkplatz. Badehaus – einen Fachwerkbau – mit 18 Bä- Karlshalle“ zu errichten. Im Herbst 1829 Der oben genannte Dr. Carl August Zeller, dern errichten. 1843 wurde das neue Kur- wagte Dr. Prieger zum zweiten Mal eine Rei- der große Förderer des jungen Bades, war es haus eröffnet. Mit dem Hochwasser von 1844 se nach Berlin, um den Erwerb der Salinen auch, der Andreas Wilhelmi ermutigte, auf kam ein schwerer Rückschlag. Am 11. April durch die preußische Staatsregierung zu er- seinem Wörth nach einer Mineralquelle zu 1844 schrieb die Soolbäder-AG dazu: „Die reichen. Doch auch die zweite Reise war graben. Doch diesem wuchsen die Schulden diesjährige unerhörte Ueberschwemmung vergebens. langsam über den Kopf. Im März 1830 über- [vom 26. Februar] hat uns in bedeutende Auf dem Oberwörth – Prieger schreibt nahm Zeller eine Schuldverschreibung über Schäden versetzt ... Gartenanlagen, Brun- 1837 von der „Friedrich-Wilhelm-Insel“ – 450 Gulden von einem Grundstückskauf nen, Wasserleitungen wurden zerstört; höl- hatte die Herrschaft Pfalz-Simmern einst ei- Wilhelmis aus dem Jahre 1821 und ließ ihm zerne Stallungen, Remise und die Brücke nen „Lustgarten“ angelegt. Mit der Veräu- außerdem gegen eine Hypothek weitere 500 wurden von den Fluthen mitgenommen“. ßerung der Staatsgüter unter Napoleon kam Gulden in bar zukommen.10) Über viele Der Aufschwung durch den Kurbetrieb auch das Wörth in Privathände. „Am Ende Jahre grub Wilhelmi, angespornt von seinem sorgte auch an den Salinen Karls- und Theo- des Kirchhofs lagen die Gärtnereien mit ih- Gönner, an verschiedenen Stellen seines dorshalle für Bewegung. Schneegans ren Kirschen- und Zwetschenbäumen. Zwi- immerhin fast drei Hektar großen Geländes schreibt 1862: „Beide Salinen haben ihre schen ihnen führte ein schmaler Sandweg bis mit eigener Hand nach einer Salzquelle. Trinkbrunnen und Badeeinrichtungen, die zur Spitze der Insel, wo das ganze Terrain, 1832 schließlich fand er an der Inselspitze Theodorshalle auch einen Kurgarten mit das jetzt die Soolbäder-Actiengesellschaft in 35 Fuß (circa 10 Meter) Tiefe salziges Musik und einer Restauration“.12) In Kreuz- besitzt, einem Manne gehörte, der hier in ei- Wasser und ließ die Quelle notdürftig fassen. nach baute man 1872 hinter dem Kurhaus ein nem kleinen Hause seine zahlreiche Familie Damit hatte Kreuznach seine erste nutzbare neues Badehaus mit „irisch-römischen Bä- durch eine Schnappswirthschaft kümmerlich Salzquelle und der erste Schritt zur Unab- dern und Duschen I. und II. Klasse“ (das Ba- ernährte. Der Besitzer, Wilhelmi mit Namen, hängigkeit von den hessischen Salinen war dehaus musste 1929 dem Saalbau weichen) war ein höchst wunderlicher Gesell. Der alte getan. Wilhelmi ließ „einige Badecabinette“ und 1882 wurde das „Inhalatorium“ entlang Zylinderhut kam ihm nicht vom Kopf, er be- anlegen und gab sein Salzwasser an Ort und der Ufermauer im Kurpark errichtet, das bis hielt ihn sogar, wie man sagte, im Bett auf. Stelle gegen ein geringes Entgelt ab. Immer 1912 stand. Im Jahr 1885 wurde die große Sein Andenken verdient aber lobend erhal- noch erkannte die Stadtverwaltung nicht die Wandelhalle gebaut. ten zu werden“, schrieb Peter Engelmann Tragweite der Entdeckung Wilhelmis. Am 1870. 9) 12. Januar 1835 starb Andreas Wilhelmi und Neue Bohrungen zwischen 1819 und 1842 Andreas Wilhelm, genannt Wilhelmi, erst sein Tod brachte die Stadt zum Handeln. Nachdem die Stadt Kreuznach nun ihre wurde am 19. Mai 1781 als Sohn des Bürgers Die am 8. Dezember 1834 gegründete erste eigene Salzquelle hatte, blieb auch die und Handelsmanns Johann Jacob Wilhelm „Soolbäder-Actien-Gesellschaft“ kaufte von Großherzoglich Hessische Salinendirektion und dessen Ehefrau Maria Josepha Ernst in der Witwe Wilhelmis das gesamte Besitztum nicht untätig. Schon 1819 hoffte man durch Kreuznach geboren. Bereits im Alter von 18 zum Preis von 7390 Talern auf. Die Quelle Nachbohrungen bei der Karlshalle auf Was- Jahren verdingte sich Wilhelmi als Matrose. wurde hochwassersicher gefasst und nach ser mit höherem Salzgehalt zu stoßen, was Er kam weit in der Welt herum, war in China, der Kronprinzessin von Preußen „Elisabeth- allerdings erfolglos blieb. Berichte der Hes- „Batavia“ (Indonesien) und angeblich auch Quelle“ genannt. sischen Salinendirektion 13) aus den Jahren in Brasilien. Das erhoffte Glück fand er dort Dr. Carl Engelmann beschreibt die Anlage 1831 bis 1842 belegen neue Bohrversuche aber nicht und so kehrte er nach einigen 1839: „Zum Schutz vor Überschwemmung bei der Karls- und der Theodorshalle „durch Jahren in seine Heimatstadt zurück. Am 5. und Eisgang dient ein kolossaler, für die den Bergmann Friedrich Kusche, der schon Februar 1808 heiratete er Maria Catharina Ewigkeit gebauter Steindamm, der von drei die Bohrungen in Soden nach Salzquellen Bohnenberger, Tochter des Sergeanten Ja- Seiten die Quelle umgibt und die größte und in der Wetterau nach Braunkohle“ cob Bohnenberger aus Kreuznach. Vermut- Festigkeit mit eleganter Form vereinigt. Auf durchgeführt hatte. Der Karlshaller Brunnen lich noch im Jahr 1808 kaufte er den ehema- beiden Seiten führen steinerne Treppen auf hatte danach eine Tiefe von 5748 Zoll (circa ligen „Pfalz-Simmerschen Garten“ und er- die Höhe der Plattform. Das alte, die Gegend 144 Meter) und der Hauptbrunnen der öffnete dort eine Schankwirtschaft mit verunzierende Wohnhaus des früheren Be- Theodorshalle 2920 Zoll (circa 73 Meter). Die „Tanzbude“. Sein Bruder Jacob, Unterleut- sitzers wurde weggerissen. Statt des schma- Bohrungen, für die jeweils 500 beziehungs- nant beim Zoll in Kettenheim (bei Alzey), len Stegs über den kleinen Arm der Nahe weise 1000 Gulden bereitgestellt worden borgte ihm dazu die Summe von 1260 Francs. wurde eine bequeme, breite Brücke gebaut waren, ergaben eine höhere Ergiebigkeit, Im Laufe der Jahre erwarb Wilhelmi weitere und die Insel durch einen stattlichen, mit jedoch nur „eine geringe Veränderung bei Grundstücke, meist „Wustfelder“ [ödes be- Linden besetzten Weg mit dem Salinenthale Gehalt und Wärme der Sole“. Die im Stadt- archiv vorhandenen Unterlagen enthalten eine ausführliche Beschreibung der Bohr- technik vor nunmehr über 170 Jahren. Es handelt sich dabei um Unterlagen der Quellbohrungen in Ehrenbreitstein, die für die Bohrversuche in Kreuznach angefordert worden waren. Danach wurde vor Ort zuerst ein gemau- erter Bohrschacht angelegt. Darunter folgte der sog. Bohrstock, der die Aufgabe hatte, ein lotrechtes Bohrloch zu erzielen. Der Bohr- stock bestand aus einem mehrere Meter lan- gen Eichenstamm, der durchgeschnitten, ausgehöhlt und wieder mit Eisenringen zu- sammengefügt wurde. Über dem Schacht wurde eine Bohrkaue [Hütte über dem Bohrloch] errichtet, da die Bohrarbeiten bei entsprechend hartem Gestein Monate oder sogar Jahre dauern konnten. Außerdem mussten die Geräte und der Nachtwächter untergebracht werden. Auch in Kreuznach wurde noch nicht mit einem Bohrgestänge, sondern mit der Seilbohrmethode gearbeitet. An dem über das Bohrrad geführten Seil hing der Bohrkopf mit einem Durchmesser von 9 Zoll (circa 23 Zentimeter). Die senkrechte Schlagbewegung wurde durch ein in gleichmäßigem Takt erfolgendes Anziehen Der Pfalz-Simmer’sche Garten auf dem Wörth am Ende des 17. Jahrhunderts. und Loslassen des Bohrseiles erzielt. Da der Fundstelle: Karl Geib, Historische Topographie von Kreuznach, II. Teil, Bad Kreuznach 1937, rechts von S. 148 Bohrkopf mehrere Zentner schwer war, wa- Bad Kreuznacher Heimatblätter - 6/2012 (Seite 23 des Jahrgangs) 3

schen Kronprinzessin und späteren Kaiserin Viktoria wurde die Quelle „Viktoriaquelle“ benannt und versorgte fortan das Kurhaus mit Sole. Als 1911 die Quellfassungen auf der Wörthspitze tiefergelegt und darüber die geschlossene, gläserne Halle neu errichtet wurde, übernahm man den Namen „Vikto- riaquelle“ für die 1893 unmittelbar neben der „Elisabethquelle“ erbohrte Solequelle. Die Quelle an der Kurparkmauer wurde in „Kur- parkbäderquelle“, später in „Uferquelle“ umbenannt und bis 1973 genutzt. Das Quel- lenhaus der Uferquelle wurde erst zu Beginn der Hochwasserschutzmaßnahmen besei- tigt. Heute befindet sich dort eine Marmor- platte mit einer entsprechenden Inschrift. Im Jahr 1900 baute man hinter dem Kurhaus zwei kleine Gradierhäuser auf. Der dazwi- schen befindliche Solezerstäuber wurde erst 1928 errichtet. Nach der im Jahre 1897 erfolgten Über- nahme der bis dahin hessischen Salinen durch die Stadt Kreuznach wurde 1901 die „neue Theklabrücke“ (heute steht dort die Schwimmbadbrücke) errichtet. Im Verwal- tungsbericht von 1901 ist außerdem zu lesen: Die Kreuznacher „Hebeltretevorrichtung“ von 1842. Bildvorlage: Stadtarchiv Bad Kreuznach (StAKH) „Da die hessische Verwaltung nicht einmal die theilweise dringend nöthige Erneuerung der Dornen vornahm, waren wir in Folge dessen seither gezwungen, ganz unverhält- ren dazu 5 bis 6 Männer erforderlich. Ein zeiger konnte schon am 25. März melden, nismäßig große Quantitäten Dornen jährlich zwischen Seil und Bohrkopf befindlicher dass neben der alten Quelle, „welche in einsetzen zu lassen. Ebenso stand die Sache Spindelwirbel versetzte dem Bohrer bei je- letzter Zeit etwas spärlicher dem Boden ent- mit den Laufkästen auf den Gradirwerken dem Hub automatisch eine kleine Drehung. quoll, eine gehaltreiche und mächtige Sole- und mußten dieselben fast sämmtlich er- 1842 kam in Kreuznach eine verbesserte quelle“ in 80 Meter Tiefe erschlossen werden neuert werden“. Der Karlshaller Brunnen Variante zum Einsatz. Eine Handskizze konnte. Die neue Quelle blieb vorläufig na- wurde untersucht und man stellte fest, dass zeigt, wie das Anheben des Bohrers zur Er- menlos. beide Bohrlöcher nur noch Sole von gerin- zielung des Schlages nun durch eine „Hebel- Angespornt vom Erfolg begann man um- gem Salzgehalt lieferten. Deshalb sollten bei Trete-Vorrichtung“ erzielt wurde, die die gehend mit einer zweiten Bohrung ein Stück der „Oranieninsel“, wo man bereits 1784 ein Bohrarbeiten erheblich beschleunigte. flussabwärts unmittelbar neben der Ufer- eigenes Salzwerk hatte errichten wollen, an mauer des Kurparks. Am 6. Juli 1893 schrieb geeigneten Stellen neue Bohrversuche un- Neue Quellen in Kreuznach der Generalanzeiger: „Die Quellbohrungen ternommen werden. Die Gelegenheit ergab Auch die zweite Kreuznacher Quelle ist am Naheufer im Kurpark haben mit einem sich durch das Vorhaben, die Insel durch der Eigeninitiative einer Person zu verdan- überaus günstigen Ergebnisse abgeschlos- Verfüllen des rechten Nahearms zu beseiti- ken: Carl Friedrich Pitthan. Dem Besitzer des sen. In einer Tiefe von etwa 200 Meter ist eine gen und das gewonnene Gelände in einen Oranienhofes war aufgefallen, dass seine neue Soolwasserader von überraschender Rosen-Park umzuwandeln. Schafe eine sumpfige Stelle auf der Nahe- Mächtigkeit erbohrt worden, welche hin- Das Unternehmen ist im Verwaltungsbe- wiese am Oranienhof offensichtlich beson- sichtlich ihrer Zusammensetzung der be- richt von 1901 festgehalten: Im Frühjahr 1901 ders gern aufsuchten, an der ungewöhnliche kanntlich vorzüglichen Karlshaller Quelle begann man mit der Vertiefung des neuen Pflanzen wuchsen und sich ockerfarbenes, gleichkommt. Die Quelle soll zu Bäderzwe- Flussbettes und ab 1. Oktober konnte das alte salziges Wasser sammelte. Im Jahr 1838 ließ cken Verwendung finden und in eines der Flussbett mit Material aus dem Theodors- er an der Stelle nachgraben und hatte die am Naheufer liegenden Sammelbecken ge- haller Steinbruch und vom Bau der strategi- „Oranienquelle“ entdeckt. Pitthan nutzte die leitet werden“. Nach der damaligen preußi- schen Bahn aufgefüllt werden. In den Mo- Quelle für sein und ließ zur durchgän- gigen Versorgung mit Sole vor dem Hotel im heutigen Oranienpark einen Wasserturm errichten, der bis heute erhalten ist. Carl Pitthan war damit unabhängig von den hes- sischen Quellen und auch der später gebau- ten Soleleitung. Die Überbohrung der Quelle im Jahr 1865 hatte eine Tiefe von 44 Fuß (cir- ca 12 Meter). Damals wurde auch das Orani- en-Quellhaus mit einer eigenen Trinkhalle errichtet. Die Quelle wurde 1928 aufgege- ben. Im Folgejahr beantragte Josef Wild, das Quellhäuschen als zweiten Standort für den Verkauf von Milch und Milchprodukten – neben der seit dem 24. Mai 1887 bestehen- den Milchkuranstalt im Kurpark – nutzen zu dürfen. So heißt das Quellhaus der Oranien- quelle bis heute „Milchhäuschen“.14) Nachdem der Sole-Liefervertrag mit Hes- sen im Jahr 1892 nur unter Inkaufnahme ei- ner weiteren Preiserhöhung um 5 Jahre ver- längert werden konnte, begab man sich in Kreuznach auf die Suche nach neuen Sole- quellen. Hinzu kam, dass der Auftrieb von Wilhelmis Elisabethquelle erheblich nach- gelassen hatte. Im Frühjahr 1893 begann man mit einem Bohrversuch wenige Meter neben der Elisabethquelle. Der Generalan- Die Oranienquelle mit Trinkhalle (Kurhauszeitung 1886). Bildvorlage: StAKH 4 (Seite 24 des Jahrgangs) Bad Kreuznacher Heimatblätter - 6/2012

naten Mai bis August 1901 wurden von der „Internationalen Bohrgesellschaft zu Straß- burg i. E.“ (im Elsaß) an fünf Stellen am da- maligen rechten Ufer der Oranieninsel Boh- rungen mit einer Tiefe von 36 bis 50 Metern und einem Durchmesser von 240 Millimeter in den Porphyrfelsen getrieben. Die Bohrge- sellschaft arbeitete 1901 nicht mehr mit der Seilbohrmethode, sondern mit einem Bohr- gestänge. Der Bohrkopf wurde, wie die Fo- tographien belegen, nicht mehr wie noch 60 Jahre zuvor mit Muskelkraft, sondern von einem modernen Dieselmotor angetrieben. In drei der fünf Bohrlöcher konnten Quel- len mit einem Salzgehalt von bis zu 1,7 Pro- zent erschlossen werden. 1902 wurde mit der Herrichtung des Geländes für die für 1905 geplante Rosenschau begonnen, in das die neuen Quellen einbezogen wurden. Bei der südlichsten der drei Quellen handelt es sich um die mit einem Brunnenhaus versehene sog. „Inselbäderquelle“. Die heute aufge- gebene Quelle wurde 1992 auf 75 Meter überbohrt und gegen Hochwasser gesichert. Die etwas weiter flussabwärts gelegene Bohrkaue auf der ehemaligen Oranieninsel (1901). Bohrung wurde „mit einem weiten, dem Foto: Heimatwissenschaftliche Zentralbibliothek des Landkreises Bad Kreuznach Publikum durch Treppeneingänge zugäng- lichen Brunnenschacht aus Cementbeton umgeben“ und zur „Inseltrinkquelle“ aus- gebaut. Im Frühjahr 1914 wurde die Trink- zu treffen sind, um die arge Verschlechte- Preis in der neu eingerichteten amtlichen quelle mit einem säulengestützten Rundbau rung des Soolwassers durch in die Pumpen- Salzverkaufsstelle im Stadthaus in 25- und versehen. Die Baukommission beschloss da- schächte eintretendes Nahewasser zu ver- 50-Kilogramm-Säcken abgegeben. Der Er- zu am 16. Februar 1914, der Pavillon solle bis hüten. Eine zukünftige Rentabilität der Sali- folg dieser Maßregel ist zufriedenstellend“. zum Beginn der Kursaison fertiggestellt sein ne ist nur dann in nennenswerther Weise zu Das Wasserrad zum Antrieb der Pumpen „mit Säulen in Beton, einem Dach in Schiefer erwarten, wenn durch Beseitigung der des Gradierhauses X oberhalb des Sudhau- und einer umgebenden Hecke in Rosen“. schlechtesten Gradirhäuser die kostspieli- ses stand am Triebwerkskanal auf der Na- 2002 musste der Pavillon den Hochwasser- gen Reparaturen gespart werden können“. hewiese. Da das Gestänge die Chaussee schutzbauten weichen. Die Säulen schmü- So hat man schon 1903 das Gradierhaus V um nach Münster kreuzte, war mit dem Bau der cken heute den Hochwasserdamm. Die einen morschen „Bund“ (4,5 Meter) ver- elektrischen Straßenbahn im Jahr 1906 ein Trinkquelle selbst war bereits 1965 aufge- kürzt. Neben den ausgeführten Reparatur- komplizierter Umbau des Gestänges erfor- geben worden. arbeiten an verschiedenen Gradierhäusern derlich. 1908 begann man mit der dringend Von der Karlshalle bis zur Weinkauffstra- vermeldet der Verwaltungsbericht von 1904 erforderlichen Sanierung der Brunnen. Beim ße wurde eine Flusswasserleitung zur Be- auch die Verkürzung des Gradierhauses IX Hauptbrunnen drang Süßwasser in den wässerung der neuen Anlage, der „Rosenin- (an der heutigen Zufahrt zu den Sportplät- Schacht und beim Brunnen V war das eiserne sel“, verlegt, die vom Wasserrad der Karls- zen) um ca. 15 m „zwecks Fortführung des Schutzrohr gebrochen und verstopfte die halle mit dem nötigen Druck versorgt wurde. Promenadenweges nach Münster“. Und: Quelle, die Reparatur ließ auf sich warten. Zwischen den beiden Inselquellen wurde „Herrn Dr. Karl Aschoff in Kreuznach gelang „eine Fontaine angelegt, die sich bis zu 18 es im Laufe des Jahres 1904, die außeror- Anmerkungen: Metern Höhe in abwechselnden Formen er- dentlich hohe Radioaktivität des hiesigen 7) Johann Erhard Peter Prieger: Kreuznach hebt und rings umher Kühlung bereitet“. Die Quellsinters, sowie der Quellen überhaupt und seine Heilquellen, Mainz 1827, S. 40. Fontäne ziert bis heute die Roseninsel. nachzuweisen. Welche finanziellen Vorteile 8) [Oskar] Prieger: Vorläufige Beiträge zur Die dritte der 1901 erbohrten Quellen ist die Entdeckung für die Saline im Gefolge Geschichte der Gründung des Bades Kreuz- die sog. „Uferquelle“, die zwischen den bei- haben mag, lässt sich zur Zeit noch nicht nach durch Dr. J.E.P. Prieger, Kreuznach den Inselquellen „hart neben dem neuen übersehen“. Der französische Physiker Bec- 1868, S. 4. rechten Flussufer der Nahe liegt, in ihrem querel hatte erst 8 Jahre zuvor das Element 9) Peter Engelmann: Kreuznach vor 60 Bestand durch Röhren gesichert ist und bei Radium entdeckt. Jahren, Vortrag beim Antiquarisch-Histori- einem etwaigen Mehrbedarf an Soolwasser 1905 wurde, wie es heißt, zur besseren schen Verein, 1870. als Reserve dient“ – und auf Dauer ungenutzt Verwertung des Salinengeländes versuchs- 10) Schuldverschreibungen vom blieb. weise eine kleine Gartenkolonie mit 9 Gärten 13.06.1812, 27.11.1821 und 05.03.1830 sowie Auch eine Strecke flussabwärts wurden – angelegt. Bereits 1907 wurde die Zahl der Löschung von Schuldverschreibungen vom bei der Suche nach Süßwasserbrunnen für Gärten wegen der großen Nachfrage auf 23 14.07.1835, Landeshauptarchiv Koblenz, den Betrieb – noch zwei Salzquellen gefun- erhöht. Außerdem ist von der Instandsetzung Außenstelle Rommersdorf, Rep. 587,30. den, nämlich bei der Chemischen Fabrik Dr. des Springbrunnens am Gradierhaus I die 11) Dr. Carl Engelmann: Kreuznach, seine Jacob und auf dem Schlachthofgelände. Rede. Und der „Sportverein Kreuznach“ Heilquellen und deren Anwendung, Hei- Beide Brunnen wurden noch Ende der drei- mietete circa 5000 Quadratmeter zwischen delberg 1839, S. 12f. ßiger Jahre in den Plänen geführt. 1902 wur- Gradierhaus I und II zur Anlage von Tennis- 12) E. Schneegans: Kreuznach, seine de die hölzerne Soleleitung vom Gradierhaus plätzen und einer Eisbahn während der Heilquellen und Umgebungen, Mainz 1862, X zur Siederei durch gusseiserne Röhren er- Winterzeit. 1906 kam es zum „Salzkrieg“ mit S. 160. setzt. Im selben Jahr hat man erstmals zwi- Münster. Der Absatz der Theodorshalle war 13) Großherzoglich Hessische Salinendi- schen den Gradierwerken der Theodorshalle stetig zurückgegangen. „Der von der Saline rektion Theodorshalle, Stadtarchiv Bad parkähnliche Anlagen und Spazierwege Münster a. St. vorgenommene gewaltsame Kreuznach (StAKH), Nr. 2683. angelegt. Verkauf der dortigen Salzvorräte zu Schleu- 14) Konzession Josef Wild, StAKH, Nr. Schlimm hörte sich der im Verwaltungs- derpreisen ist selbstredend nicht ohne 3009. bericht 1902 geschilderte Zustand der Gra- Rückwirkung auf den hiesigen Salzver- dierhäuser an: „Abgesehen vom vermorsch- schleiß geblieben, zumal die hiesigen Groß- ten Oberbau lecken insbesondere die Sool- händler es für richtig hielten, das billigere kästen an viele Stellen außerordentlich. Das Münsterer Salz trotz dessen Nachteilen zu verfaulte Holz macht eine durchgreifende beziehen. Als Gegenmaßnahme wird seit Die Bad Kreuznacher Heimatblätter erscheinen Reparatur ohne ganz bedeutende Kosten di- Dezember 1906 den hiesigen Händlern, monatlich in Zusammenarbeit mit dem Verein rekt unmöglich. Die hierdurch hervorgeru- Metzgern und Bäckern das Salz jeden Mitt- für Heimatkunde für Stadt und Kreis Bad Kreuznach fenen Sooleverluste sind viel größer als man woch durch Salinenfuhre zu Großhändler- e.V. (i. A. Dr. Horst Silbermann, annehmen möchte, wie auch Vorkehrungen preisen frei Haus geliefert und zum gleichen Dienheimer Berg 11, 55545 Bad Kreuznach). Nummer 7/2012 BadKreuznacher Beilage Bad Kreuznach Heimatblätter

Von Salzquellen und Gradierwerken Zur Geschichte der Kreuznacher Mineralbrunnen

VON ROLF SCHALLER, BAD KREUZNACH

Teil III (Schluss)

Im Jahr 1910 wurden „Maßnahmen zur Hebung des Bades“ in Angriff genommen. Unter Führung des Kurdirektors unternahm eine Gruppe von Stadtverordneten im Sep- tember 1910 eine Studienreise durch deut- sche Bäder, um die dortigen Badeeinrich- tungen kennen zu lernen. Für den Badebe- trieb begann eine Zeit ungeheurer Aktivitä- ten. Neben der Verbesserung der Reklame forderte die Kommission den Bau eines Ba- dehauses und eines erstklassigen Kurhotels. Der Bau des „Central-Bäderhauses“ wurde umgehend begonnen und am 5. August 1911 vollendet. Des weiteren wurden 1911 die Elisabeth- und die Viktoriaquelle tieferge- legt und in der umgestalteten Quellenhalle zusammengefasst. Zur therapeutischen Nutzung der 1904 von Dr. Aschoff festgestellten Radium-Ema- nation in dem nach „Bergingenieur“ Rudolf Härche benannten ehemaligen Quecksil- berstollen, dem sog. „Rudolfstollen“, wurde im Winter 1911/1912 unmittelbar vor dem Stolleneingang ein Inhalatorium errichtet: „Ein geschmackvoller Bau, in dem Cauers wasserschöpfende Nixe aufgestellt wurde. In dem tiefergelegten Innenraum wurde die ganz in der Nähe entspringende [1826 von Neubau des Gradierwerks III (1985). Foto: Rolf Schaller, Bad Kreuznach Dr. Carl August Zeller entdeckte] ‚Nahe- quelle’ neu gefasst und in Erinnerung an den einst in Kreuznach wirkenden Dr. Faust in ‚Faustquelle’ umbenannt. Die Faustquelle Gäste blieben schlagartig aus. Die Kosten für 1925 knüpfte Oberbürgermeister Dr. Ro- wird auch als Trinkquelle benutzt“. Zwei die Erneuerung des Karlshaller Gradier- bert Fischer Kontakte nach Berlin mit dem weitere, beim Bau des Inhalatoriums gefun- werks waren noch nicht getilgt, da brach am Ziel, Kreuznach zum Staatsbad erheben zu dene Quellen wurden in die Anlage einbe- 16. Januar 1918 das Jahrhundert-Hochwas- lassen, jedoch ohne Ergebnis. Die große Not zogen. Das Inhalatorium wurde am 18. Mai ser über die Stadt herein und zerstörte das des Bades wurde zur gleichen Zeit noch ver- 1912 eingeweiht, 1945 durch eine Flieger- gerade erneuerte Karlshaller Gradierwerk, 3 stärkt durch den Übergang der Aktienmehr- bombe schwer beschädigt und später abge- der 9 Theodorshaller Gradierwerke und be- heit der Solbäder AG an den Sichel-Konzern rissen. 1913 wurde das alte Kurhaus durch schädigte zwei weitere schwer, zerstörte au- mit ihrem Hauptaktionär Dr. Ganß. Der einen repräsentativen Neubau ersetzt. ßerdem Kanäle, Wasserräder und Brücken. Konzern geriet 1926 in finanzielle Schwie- Der Verwaltungsbericht von 1911 beklagt Man hatte gerade mit der Beseitigung der rigkeiten. In der anberaumten Aktionärs- auch den irreparablen Zustand des Karls- größten Schäden begonnen, da kam am versammlung wurde die „Stilllegung des haller Gradierhauses. Im Winter 1913/14 12./14. Januar 1920 das nächste Hochwasser. Heilbades Kreuznach“ beschlossen. Da- wurde das Gradierhaus auf Dreiviertel seiner Der Haushaltungsbericht von 1920 be- durch wurde die Stadt genötigt, den Aktien- Länge abgebrochen und bis 1915 neu er- schreibt die katastrophalen Folgen: „Die anteil des Sichelkonzerns wieder zurückzu- richtet. Das erst 1898 an die Salinenbrücke wirtschaftlichen Verhältnisse haben sich kaufen. verlegte, ebenfalls baufällige Karlshaller durch die beiden Hochwasser derart ver- 1926 wurde der Steinbruch der Theodors- Wasserrad wurde entfernt und durch eine 60 schlechtert, daß an einen Wiederaufbau der halle geschlossen, „um eine weitere Zerstö- PS starke Francis-Turbine ersetzt. Gradier- zerstörten Gradierhäuser bzw. -teile nicht rung der Landschaft zu verhindern“. Ein Jahr werksneubau und Turbinenanlage kosteten mehr gedacht werden und die Saline nur später wurde das morsche Karlshaller Pum- über 97.000 Mark. Der Ausbruch des Ersten noch mit verminderter Produktion betrieben penhaus, ein Holzturm, abgebrochen und Weltkriegs machte nach einem kurzen Auf- werden kann“. Die Schäden waren auch 1924 durch ein einstöckiges, steinernes Brunnen- schwung alle Hoffnungen auf eine Belebung noch nicht repariert, die Gradierwerke IV, VI haus ersetzt. 1930 konnte der lange ersehnte des Bades zunichte und die ausländischen und VII sollten nie mehr aufgebaut werden. Kursaal gebaut werden. Und auch um die 2 (Seite 26 des Jahrgangs) Bad Kreuznacher Heimatblätter - 7/2012

Die Soleaufbereitungsanlage im 1974 errichteten ehemaligen Siederei-Gebäude (2011). Foto: Rolf Schaller, Bad Kreuznach

Mineralquellen begann man sich wieder zu verwendete man für die Solkästen und gebäude überbaut. Das Brunnenhaus des kümmern. Im Frühjahr 1932 beauftragte die Stirnwände erstmals Beton statt Holz. Hauptbrunnens wurde abgebrochen. Solbäder AG das „Tiefbohrunternehmen H. 1971 erfolgte die Gründung der „Kur- und 1997 wurden die „Kur- und Salinenbe- Anger’s Söhne Aktiengesellschaft“ aus Salinenbetriebe KSB“. Es folgte die vorerst triebe“ zu den Stadtwerken übergeleitet und Nordhausen mit der Suche nach einer Sol- letzte Sanierung der Brunnen von 1972 bis die „Kurmittelproduktionsgesellschaft quelle am Gradierhaus X oberhalb des Sud- 1973. Als Ersatz für das ehemalige Inhalato- Kreuznach KPK“ gebildet, die bereits 1999 hauses. Die aufwendigen Bohrungen er- rium vor dem Radonstollen wurde dieser im die Salzproduktion einstellte. Das Gradier- brachten jedoch nur Süßwasser. 1936 wurde Winter 1972/73 erweitert. Das Gradierwerk werk Karlshalle wurde 1998 bis auf die Sole- die Solbäder-AG aufgelöst und in einen IX an der Sportplatzzufahrt wurde 1975 von wanne abgerissen und – nach den alten Plä- städtischen Betrieb umgewandelt. Grund auf renoviert. In den Jahren 1978-80 nen von Beust – als Besucher-Gradierwerk 1939 kam der Zweite Weltkrieg. Sogar im hat man auch bei den Gradierwerken I und II wieder aufgebaut. Im Zuge der Hochwas- Salinental fielen Bomben und zerstörten u. a. der Theodorshalle die tragende Konstruktion serschutzmaßnahmen wurde 2004 auch das die Triebwerkskanäle auf 400 m Länge und durch Beton ersetzt. 1985 wurde das Gra- Gelände an den Gradierwerken dauerhaft beschädigten das Gradierwerk X schwer. dierwerk III abgebrochen und weitgehend durch einen Hochwasserdamm geschützt. Nach dem totalen Zusammenbruch glaubte aus Holz neu errichtet. Nur die Fundamente Heute befindet sich in dem 1974 errichte- niemand mehr an eine Wiederbelebung des sind aus Beton. ten ehemaligen Siederei-Gebäude eine So- Heilbades, aber im Sommer 1946 konnten le-Aufbereitungsanlage. Hier wird die Sole die Salinenbetriebe die Arbeit langsam wie- Von der letzten Brunnenbohrung bis heute des Theodorshaller Tiefbrunnens in mehre- der aufnehmen. 1950 wurde die gemeinnüt- Wegen der drohenden Verkeimung des ren Stufen von Eisen, Mangan und Schwe- zige „Radium-Heilbad Kreuznach AG“ ge- nahegelegenen Hauptbrunnens musste 1987 beteilchen befreit und gelangt nach Durch- gründet, die den Kurbetrieb wieder ankur- der im Jahre 1961 zwischen Gradierwerk II laufen der Filteranlage zu den Rein-Sole- belte. Im Jahr 1960 wurde das 1945 durch ei- und III angelegte Kleintier-Zoo geschlossen Behältern. Von diesen wird die Sole durch ne Sprengbombe beschädigte Gradierwerk werden. 1995 wurde auch Wilhelmis Elisa- die Soleleitung zur Crucenia-Therme, dem X am Sudhaus endgültig abgerissen. Damit bethquelle aufgegeben. Die Lage des ehe- Gesundheitszentrum, dem Bäderhaus und waren neben dem Karlshaller Gradierwerk maligen Brunnenschachtes ist heute auf der dem Hotel „Augusta“ geführt. Über eine nur noch die 5 Theodorshaller Gradierwerke Terrasse oberhalb der Brunnenhalle im Bo- Zweigleitung wird ein Teil der Sole bis heute I-III, V und IX (an der Sportplatzzufahrt) ver- den markiert. 1998 wurde unweit des alten zum alten Sole-Hochbehälter am „Tannen- blieben. Hauptbrunnens die vorerst letzte Brunnen- wäldchen“ gepumpt. Außerdem wird im Von 1961 an wurden die Heilquellen sys- bohrung durchgeführt. Die „Soletiefboh- Produktionsgebäude an der Salinenstraße tematisch untersucht, neue Analysen erar- rung“ wurde bis zur Tiefe von 505 m nieder- die aus Münster-Sarmsheim angelieferte beitet und ein Heilquellenschutzgebiet aus- gebracht. Die Sole des Tiefbrunnens hat eine Erde für die medizinische Anwendung als gewiesen. 1965 fiel die Quelle V plötzlich aus Temperatur von 29 Grad Celsius und einen Heilerde aufbereitet. und 1968 zerstörte ein Sturm auch noch das Salzgehalt von ca. 1,5 Prozent. Die ermittelte Im Jahr 2011 wurden die beiden letzten im zugehörige, altersschwache Gradierwerk V. Schüttung beträgt 50 Kubikmeter. Der neue Salinental verbliebenen Wasserräder res- In den Jahren 1969/70 wurde es, da man das Brunnen, der der zentralen Soleversorgung tauriert. An zwei Gradierwerken sind Sportgelände vergrößern wollte, etwas wei- dient, wurde gegen Hochwasser gesichert sogar die alten Pumpgestänge wieder in Be- ter flussaufwärts wieder aufgebaut. Dabei und im September 2003 mit einem Technik- trieb genommen worden. Die Sanierung des Bad Kreuznacher Heimatblätter - 7/2012 (Seite 27 des Jahrgangs) 3

unter Denkmalschutz stehenden Gradier- Europas. Im Zusammenhang mit der an- soll. Das Projekt beinhaltet sogar den werks IX an der Sportplatzzufahrt, dem gedachten Fusion der Nachbarstädte Bad Wiederaufbau einer Salzsiederei. Das dort schon der Abriss drohte, wurde ebenfalls Kreuznach und Bad Münster am Stein- gewonnene Salz könnte Touristen in in Angriff genommen. Heute ist das Sali- Ebernburg ist ein „Gesundheitspark“ ge- kleinen Mengen als Souvenir angeboten nental das größte Freiluftinhalatorium plant, der von Kurpark zu Kurpark reichen werden.

Lageplan der ehemaligen beziehungsweise noch vorhandenen Bad Kreuznacher Quellen und Gradierwerke. Erstellt von Rolf Schaller, Bad Kreuznach 4 (Seite 28 des Jahrgangs) Bad Kreuznacher Heimatblätter - 7/2012

Quellen und Literatur: Materialsammlung Kur- und Salinen- betriebe I-V, Kur I-II, Solbäder AG, Stadt- Pragmatische Pädagogik archiv Bad Kreuznach (StAKH). Salinenakten 18. Jahrhundert, StAKH , Ein Brief der Bad Kreuznacher Lyzeums- immer wieder erkennbaren Bemühen um prag- Nr. 2724. direktorin Lina Hilger (1874-1942) matische Lösungen pädagogischer Probleme. Saline Oranienhof, 1784-1796, StAKH, VON DR. HORST SILBERMANN, BAD KREUZNACH Hier der Brief in vollständigem Wortlaut: Nr. 2688. „Sehr geehrter Herr Kupfrian ,selbstver- Die Großherzogliche Salinendirection Lina Hilger leitete von 1903 bis 1933 die ständlich wird auch unsere Schule Ihrem Theodorshalle, StAKH, Nr. 2683. Städtische Mädchenschule bzw. das Lyzeum in Wunsch Rechnung tragen, daß Ihre Tochter vom Solbäder AG, 1835-1844, StAKH, Nr. Bad Kreuznach. Den nachstehend wiedergege- Relig.Unterricht befreit ist, doch verlangt eine 808. benen Brief schrieb sie am 5. Mai 1924 an den Verfügung des Kult.Min. vom 29.III.24, daß eine Städtische Verwaltungsberichte 1876- Vater der in Waldböckelheim wohnenden Sex- Erklärung beider Eltern vorliegen muß. Ich lege 1929, StAKH. tanerin Ruth Kupfrian. Der Vater hatte die Be- Ihnen daher Ihr Schreiben vom 29.4. noch ein- Kreuznacher Zeitung, Oeffentlicher An- freiung seiner Tochter vom Religionsunterricht mal bei, damit auch Ihre Frau ihren Namen zu zeiger, StAKH. beantragt und wohl von der Schülerin hatte die dem Ihrigen darunter schreibt. Damit ist der Kreuznacher Tageblatt, 50 Jahre Sool- Schulleiterin erfahren, dass sie wegen der Verfügung Rechnung getragen. Ich bitte um bäder-AG, 30.09.1884, StAKH. schlechten Zugverbindung lange vor Unter- Rückgabe Ihres Briefes durch Ruth. Gleichzeitig Stadtratsprotokolle 11.08.1925 und richtsbeginn aufstehen musste, um sich auf den möchte ich Ihnen im Interesse Ihrer Ruth zu be- 08.09.1827, StAKH. Schulweg zu machen. denken geben, ob dieses frühe Aufstehen sie Akten der Stadtwerke Bad Kreuznach, Während der erste Teil des Briefes in nüch- nicht überanstrengt und Sie sich einen Ausweg vermittelt durch Herrn Helmut Lauff. ternem Amtston abgefasst ist und zwischen den überlegen, entweder Ruth so lange, bis bessere Heimatwissenschaftliche Zentralbiblio- Zeilen vielleicht leisen Unmut über die Abmel- Zugverbindung ist, hier in Pension zu geben thek für Stadt und Kreis Bad Kreuznach. dung vom Religionsunterricht erkennen lässt, oder sie event. später zur Schule kommen zu Mündliche Informationen von Herrn Horst ergreift Lina im zweiten Teil des Schreibens ve- lassen. Der sicher nicht erwünschte Verlust ei- Lunkenheimer, Bad Kreuznach. hement Partei für das junge Mädchen und kriti- niger Unterrichtsstunden wird voraussichtlich Johann Erhard Peter Prieger: Kreuz- siert sehr deutlich „das unsinnig frühe Herrei- Ruth weniger Nachteil bringen als dieses unsin- nach und seine Heilquellen, Mainz 1827. sen“. Dass sie zur Not sogar den „Verlust einiger nig frühe Herreisen und stundenlange auf den Johann Erhard Peter Prieger: Kreuz- Unterrichtsstunden“ befürwortet, um der Schü- Schulanfang Warten. Ich sehe auch darin Ihrer nach und seine Brom- und Jode-haltigen lerin eine Überanstrengung zu ersparen, mag Entscheidung entgegen und bin mit hochach- Heilquellen, Kreuznach 1837. überraschen, entspricht aber ihrem auch sonst tungsvollem Gruß, L. Hilger, Direktorin“ Dr. Carl Engelmann: Kreuznach, seine Heilquellen und deren Anwendung, Hei- delberg 1839. [Oskar] Prieger: Vorläufige Beiträge zur Geschichte der Gründung des Bades Kreuz- nach durch Dr. J.E.P. Prieger, Kreuznach 1868. Karl Hessel: Entwicklung des Bades, 100 Jahre Heilbad Bad Kreuznach, Bad Kreuznach 1917. Otto Kirchner: Das Salinen- und Ba- dewesen des Bades Bad Kreuznach (Dis- sertation), Bad Kreuznach 1924. Ernst Neumann: Zur Geschichte der Kreuznacher Salinen Karlshalle und Theo- dorshalle, in: Kreuznacher Zeitung vom 07.12.1929. Karl Geib: Chronologische Zusammen- stellung wichtiger Ereignisse aus der Stadt- geschichte von Kreuznach, maschinen- schriftliches Manuskript, 1934. Karl Geib: Beschreibung der Kreuzna- cher Salinen 1802, Heimatblätter 1935, Nr. 22ff. Wilhelm Regling: Die Städtischen Sa- linen Karlshalle und Theodorshalle des Ba- des Kreuznach, in: 150 Jahre Heilbad Bad Kreuznach, Bad Kreuznach 1968, S. 239-254. Hans G. Buchmann: Die Entwicklung Bad Kreuznachs und Bad Münsters a. St. in den letzten 150 Jahren, Diss. Bochum 1969. Horst Silbermann: Die wirtschaftliche Entwicklung des unteren Nahegebietes im 18. Jahrhundert, Diss. Mainz 1978 (= Hei- matkundliche Schriftenreihe des Kreises Bad Kreuznach, Bd. 8). Marion Hempfler: Untersuchungen zur Hydrochemie, Isotopie, Hydraulik und Strukturgeologie der Mineralwässer von Bad Kreuznach, Diss. Mainz 1993.

Die Bad Kreuznacher Heimatblätter erscheinen monatlich in Zusammenarbeit mit dem Verein für Heimatkunde für Stadt und Kreis Bad Kreuznach e.V. (i. A. Dr. Horst Silbermann, Der Brief in Lina Hilgers Handschrift. Dienheimer Berg 11, 55545 Bad Kreuznach). Den Originalbrief stellte Herr Erhard Königsfeld, der Sohn von Ruth Königsfeld, geborene Kupfrian freundlicher Weise zur Verfügung. Nummer 8/2012 BadKreuznacher Beilage Bad Kreuznach Heimatblätter

Ein früher Beitrag zur Geologie des Hunsrück-Nahe-Raumes (1823) Kritische Betrachtung der „geognostischen Bemerkungen“ des Geologen Hermann Josef Burkart (1798 - 1874) zum Kreis Kreuznach

VON RAINER SEIL, RÜDESHEIM

Einführung Der Hunsrück zählt ebenso wie Taunus, Eifel und Westerwald geologisch und geo- grafisch zum Rheinischen Schiefergebirge. Seit dem 19. Jahrhundert ist er erdgeschicht- lich gründlich erforscht.1) Zu seinem hohen geologischen Bekannt- heitsgrad haben unter anderem die weit über den Nahe-Hunsrück-Raum hinaus ge- schätzten Achatvorkommen um Idar-Ober- stein sowie die berühmten devonischen Ver- steinerungen um Bundenbach und Gemün- den wesentlich beigetragen und den For- schereifer zahlreicher Wissenschaftler be- flügelt. Die Liste der bekannten Persönlichkeiten, die sich mit der Region erdgeschichtlich be- schäftigten, ist entsprechend lang. Selbst Jo- hann Wolfgang Goethe nahm 1814 die ihm von Caesar von Leonhard für seine Privat- sammlung zugedachten Mineralien aus dem Hunsrück-Nahe-Raum in Augenschein, wenngleich sich das mineralogische Interes- se des Gelehrten und Dichterfürsten mehr auf die thüringischen Vorkommen konzentrier- te.2)

Die Abhandlung Burkarts als zeittypi- sches Traktat Weitgehend vergessen ist dagegen, dass sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts der Geo- loge Hermann Josef Burkart (1798-1874) mit dem Hunsrück-Nahe-Raum wissenschaftlich besonders gründlich auseinander setzte. Textauszug zum Kalkbrennen bei Stromberg aus Burkarts geognostischer Abhandlung. Der am 12. Mai 1798 in Bonn geborene und Bildvorlage: Heimatwissenschaftliche Zentralbibliothek des Landkreises Bad Kreuznach (HWZB) dort am 4. November 1874 gestorbene Burk- art sammelte seine ersten gesteinskundli- über seine Reise nach Mexiko, welche die machte geognostisch - bergmännische Un- chen Erfahrungen in den Bergwerken bei Universität Heidelberg als Dissertation aner- tersuchung des Kreises Kreuznach“.4) Sie Saarbrücken und Siegen. Er studierte zu- kannte. Im Jahre 1837 trat er wieder in den erschien vom 17.11.1823 bis zum 17.11.1824 nächst in Bonn, wo er Vorlesungen von Jakob Staatsdienst ein, wurde 1843 Assessor und in 25 Lieferungen des durch den Kreuznacher Röggerath besuchte, und setzte 1821/22 sei- erhielt 1858 den Titel „Geheimer Bergrath“. Landrat Ludwig Philipp Hout (Amtszeit: ne Studien in der Bergschule in Freiberg fort. Aus gesundheitlichen Gründen schied er 1818–1846) herausgegebenen „Verord- Nach seinem mit Bravour bestandenen 1867 aus dem Staatsdienst aus und widmete nungs- und Anzeigeblatt(es) für den Kreis Staatsexamen nahm er 1823 eine geologische sich ganz seinen wissenschaftlichen Studien Kreuznach“.5) Dabei vergaß der Landrat Untersuchung des Kreises Kreuznach vor. Im und Publikationen. Einen besonderen Na- nicht, darauf hinzuweisen, dass die Veröf- Jahre 1824 wurde er zum „Bergamts-Secretär men machte er sich mit seinen erdgeschicht- fentlichung der Studie „einen Kostenbetrag zu Düren“ ernannt. Bevor er jedoch diese lichen Abhandlungen über Mexiko. 3) von Hundert zwanzig Thaler, neunzehn Stelle im Staatsdienst antrat, schloss er sich Seine äußerst detaillierte Abhandlung zur Groschen und drei Pfennigen veranlaßt“ hat. einem „mexicanischen Bergbauunterneh- Geologie des Nahe-Hunsrück-Raumes trägt Diese Geldsumme sollte dem Anteil nach men“ an. Erst 1834 kehrte er wieder in seine den Titel „Bemerkungen des Berg-Eleven „aus den Gemeinde Kassen entrichtet wer- Heimat zurück. Er veröffentlichte zwei Bände Burkart über die im Juni und Juli 1823 ge- den“. Neben dem ausführlichen Text lieferte 2 (Seite 30 des Jahrgangs) Bad Kreuznacher Heimatblätter - 8/2012

schwarzer und rauh grauer Farbe, dicht, sel- längst aufgelassene Sandsteinbrüche in den tener körnig im Bruche; er ist häufig von jeweiligen Gemarkungen der erwähnten Kalkspathtrümmern durchsetzt, welche Orte.10) Bereits Burkart erkannte die geringe wenn sie mächtig sind, aus, von beiden Saal- Qualität dieses Hartsteins, der sich in der bändern entgegen gekehrten Kristallen be- späteren Praxis beim Hausbau usw. als wenig stehen, die jedoch durch ihre zu nahe gegen- dauerhaft erwies und damit nicht bewährte. seitige Berührung nicht auskristallisiren Von besserer Beschaffenheit waren nach konnten; bisweilen zeigen sich indessen auch Burkarts Auffassung die bunten Sandstein- große offene Drusen auf diesen Klüften, in vorkommen „im Guldenbachthale, in der denen der Kalkspath dann in mannichfachen Nähe der Eremitage zwischen Heddesheim und seltenen Kombinationen des Rhombo- und Bretzenheim“. Bis auf den heutigen Tag eders und der ungleichentlichen sechsseiti- sind mehrere Steilwände und längst aufge- gen Piramide aus kristallisirt ist; ausgezeich- lassene Steinbrüche an den besagten Stellen net unter diesen Kombinationen ist die, in nachweisbar. In der Gegend um Sommer- Aufgelassener Rhyolith-Steinbruch im Salinental welcher die Grundgestalt (R) mit einer, oder loch, Wallhausen und Windesheim erwähnt bei Bad Kreuznach. Foto: Rainer Seil, Rüdesheim verschiedenen sehr scharfen Piramiden er- der Autor mehrere Sandgruben, die gleich- scheint. Der Kalkstein ist deutlich geschichtet falls schon seit geraumer Zeit nicht mehr be- und zeigt in mehreren Lagern eine der stehen, jedoch sporadisch in den 1920er und Schichtung paralelle [sic!] Schieferung, wo 1930er Jahren noch ausgebeutet wurden. J. Burkart zwei Karten: eine kolorierte „Pet- dann weiße, hell und dunkel, grau gefärbte, Schließlich gehört Burkarts Aufmerksam- rographische Charte des Kreises Kreutznach wenige Linien dicke Kalkstein-Lagen mit ei- keit den geologischen Verhältnissen der und Umgebungen“ sowie ein Gebirgspro- nander wechseln.“ Hardt um Bad Kreuznach. Sein besonderes fil.6) Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, Augenmerk richtet sich auf den Hartstein In überarbeiteter Form erschienen Bur- dass solche größeren Klüfte zwischenzeitlich „Porphyr“ (= Rhyolith), ein Gestein vulkani- karts „Bemerkungen“ zu seiner „geognos- längst bergbaulichen Aktivitäten zum Opfer scher Herkunft, aus dem u. a. das imposante tisch- bergmännischen Untersuchung des gefallen sind. Noch um 1925 gab es beim Rotenfelsmassiv besteht, wenngleich er auf Kreises Kreuznach“ unter dem Titel „Geo- Hunsfels bei Stromberg solche Höhlen von den Rotenfels selbst trotz seiner sonstigen gnostische Skizze der Gebirgsbildungen des beeindruckenden Ausmaßen.8) Neben dem minutiösen Darstellung topografischer Kreises Kreuznach und einiger angrenzen- bei Stromberg anstehenden „Thonschiefer“ Sachverhalte nicht weiter eingeht. Er er- den Gegenden der ehemaligen Pfalz“ auf den geht der Autor des öfteren auf den anstehen- wähnt kurz seine „fast senkrechten Fels- Seiten 142 bis 223 des im Jahre 1826 von Ja- den örtlichen Quarzfels ein. An anderer Stelle wände“ und die sich von oben ergebende kob Röggerath in Bonn herausgegebenen erwähnt er eine für den Stromberger Raum großartige Fernsicht. Das Gestein beschreibt Sammelbandes „Das Gebirge in Rheinland- besonders charakteristische geologische Be- er in damaliger geologischer Terminologie Westphalen nach mineralogischem und che- sonderheit: als „lichten fleischrothen Feldspathporphyr, mischem Bezuge“. „Das erwähnte Kalkgebirge bei Stromberg Quarzfeldspath und Glimmerkristalle ent- Der angehende „Bergrath“ Burkart be- scheint einen bedeutenden Höhlenzug zu haltend“. rücksichtigte bei seiner Exkursion im Kreis enthalten, denn in der Nähe des Wein- Im weiteren Verlauf seiner Beschreibung Kreuznach das Gebiet „von Kreuznach über bergerhofes ¼ Stunde westlich von Strom- nennt Burkart Sandsteinvorkommen um Winzenheim nach dem Güldenbachthale; berg verschwindet die Dörrebach, da wo sie Weinsheim und , die jedoch diesem entlang über Stromberg bis Rheinbö- das Kalkgebirge erreicht, auf einmal, und nur lokale temporäre Bedeutung erlangten. ben (gemeint ist Rheinböllen), sodann über kommt erst wieder bei Stromberg oberhalb Seiner genauen Beobachtungsgabe entgin- Diebach, Heimbach, Trechtingshausen, den der über die Guldenbach führenden Brücke gen auch nicht „die dünnen 1-2 [Zoll] starken Pfalzberg, Waldalgesheim, Stromberg, zum Vorschein. Merkwürdig ist, daß eben Kohlenschmisschen um Burgsponheim“. Schöneberg, dem Gräfenbachthal entlang, dieses Wasser , da wo es aus dem Kalkstein Nachfolgend erwähnt er weitere Porphyr- über Wallhausen, Gutenberg und Harges- wieder zum Vorscheine kömmt, eine bestän- vorkommen bei Waldböckelheim, Burg- heim nach Kreuznach zurück.“ dig gleiche und ziemlich hohe Temperatur sponheim und der Bockenauer Mühle, eben- Er schloss bei seiner weitreichenden Re- hat, welche ich bei verschiedenen Messun- so den Welschberg bei Wald- und Schloßbö- cherche auch Teile des linksseitigen Mittel- gen zu […] 40 R [Grad Réaumur bzw. 50° Cel- ckelheim. rheintales und den Raum um Waldalgesheim sius] bestimmte, während das Wasser der Des Weiteren untersucht Burkart südlich mit ein, die seit der rheinland-pfälzischen Güldenbach 10 [12,5° C] und die Luf(t) 11 der Nahe das Gebiet um „Rheingrafenstein, Kommunalreform von 1969/70 nicht mehr [13,75° C] hatte.“ In Stromberg ist noch heute Ebernburg, Feil, Bingarterhof (heute Feil- zum Kreisgebiet gehören. Bemerkenswert der „Warme Brunnen“ ein Begriff. bingert), , Fürfeld, Laubers- sind seine exakten Beschreibungen der geo- Das damals noch so bedeutende Kalk- heim (= Freilaubersheim), Neuen logischen Verhältnisse des Nahe-, Gulden- brennen wird vom Autor besonders ausführ- (= Neubamberg), Schloß Iben, Wonsheim, bach-, Gräfenbach- und Ellerbachtales, lich behandelt (vgl. den als Abbildung bei- Wendelsheim, Flonheim, Eckelsheim, Si- ebenso die genaue Berücksichtigung der gegebenen Textauszug). Dabei gibt er Hin- versheim (heute ), Wöllstein, erdgeschichtlichen Verhältnisse um Traisen weise, wie der Brennprozess noch zu verbes- Volksheim (heute ) und den Kuh- und Hüffelsheim sowie in den Bereichen von sern sei und kritisiert nicht zuletzt den hohen berg nach Kreuznach“, wobei etliche dieser Rheinhessen (Flonheim) und dem Gebiet um Holzbedarf des praktizierten technischen Idar-Oberstein. Seine kenntnisreiche Erfas- Verfahrens. sung zeigt, dass er sich intensiv im Gelände Auf die nicht minder wichtigen örtlichen aufhielt und dabei jede ihm geologisch und Eisenerzvorkommen des Guldenbachtales, petrografisch (gesteinskundlich) wichtig er- die einen ganzen frühindustriellen Wirt- scheinende Beobachtung äußerst genau schaftszweig (Rheinböllerhütte, Stromberger schriftlich festhielt. Auch machte er sich Ge- Neuhütte)9) begründeten, geht er näher ein. danken über eine mögliche wirtschaftliche Er bezeichnet die heimischen Eisenerze tra- Nutzung der örtlichen Gesteins- und Roh- ditionell als Braun-, Roth-Eisenstein und Ei- stoffvorkommen, sofern sie nicht bereits senglanz, für die in der modernen Mineralo- längst abgebaut wurden. gie schon seit langem die Bezeichnungen Burkart beginnt seine umfangreiche geo- “Limonit“ und „Hämatit“ für die beiden letz- logische Darstellung mit der erdgeschichtli- teren verwendet werden. Die längst nicht chen Situation im Guldenbachtal, welches mehr ausgebeuteten „Wasemerze“, auch als schon früh intensiv bergbaulich erforscht und Soonwalderze bekannt, beschreibt der Geo- später bergmännisch an vielen Standorten loge als „nieren und nesterweise“ in den ausgebeutet wurde.7) Der Verfasser erwähnt „Letten“ auftretend. den für diese Region immer noch bedeuten- Burkart berücksichtigte im Folgenden den den Stromberger Kalkstein, wobei er in die- „bunten Sandstein“ , der noch zu Beginn des sem Zusammenhang unter anderem die dor- 19. Jahrhunderts und teilweise auch später tigen Drusen und Klüfte besonders heraus- als „Bau- und Haustein u.a. […] in der Nähe stellt und eine ausführliche mineralogisch- von Mandel, Katharinenhof, und kristallografische Beschreibung anfertigt: Hargesheim“ in bedeutendem Maße abge- „Der Stromberger Kalkstein ist von graulich baut wurde. Davon künden immer noch Fossile Schnecke (gezeichnet 1777). Bildvorlage: HWZB Bad Kreuznacher Heimatblätter - 8/2012 (Seite 31 des Jahrgangs) 3

der Amalienhöhe 61 174 t Manganerz geför- terhalb beobachteten und hier dert. Nach Aufgabe des Manganerzabbaues wahrscheinlich durchstreichenden Mandel- wurde auf der Amalienhöhe Dolomit abge- steinfüllungen angehören dürften.“), die von baut. heimischen Hobbysammlern auch heute In seiner ausführlichen Abhandlung er- noch gerne aufgelesen werden. Im Gegen- wähnt Burkart besonders häufig den heimi- satz zur oberen Nahe erlangten die Achate im schen Sandstein und seine zahlreichen Ab- Landkreis Bad Kreuznach keinerlei wirt- baue an den damaligen Standorten, ohne je- schaftliche Bedeutung. doch die jeweils vorfindlichen Sandsteine Der zeitweise bedeutende und intensiv genauer zu analysieren und zu klassifizieren. betriebene Quecksilberabbau im Naheraum, Er hebt besonders hervor, dass ¼ des Kreis- der insbesondere im 18. Jahrhundert zu gebietes geologisch dem Sandstein zuzuord- zahlreichen Schürfversuchen führte und nen ist. Burkart lag schon damals in seiner teilweise mit Erfolg betrieben wurde, findet Das aus Rhyolith bestehende Rotenfelsmassiv Vermutung richtig, was dessen geringe bau- verständlicherweise kaum Burkarts Interes- zwischen Bad Münster und . technische Haltbarkeit und Dauerhaftigkeit se, weil dieser Bergbau zur Zeit seiner Unter- Foto: Rainer Seil, Rüdesheim anbelangt. Keiner der erwähnten zahlreichen suchung nicht mehr von Bedeutung bzw. Sandsteinbrüche ist aus diesem Grund mitt- wieder aufgegeben war.13) Ferner machten lerweile mehr im Abbau. In den jeweiligen Einheimische Burkart auf Bleierz enthalten- Gemarkungen lassen sie sich zum Teil noch des Gestein um Stromberg aufmerksam, doch Orte heute außerhalb des Kreises Bad Kreuz- nachweisen, wenngleich die meisten dieser konnte dessen Abbau schon damals nicht nach in Rheinhessen liegen. Brüche seit Jahrzehnten aufgelassen sind. mehr von ihm vorgefunden werden. Auch Der von Burkart behandelte Raum um den Burkart sind auch die heimischen Kohle- zuvor und später erlangte die Gewinnung Rheingrafenstein stellt gleichfalls ein histori- vorkommen trotz ihrer sehr geringen Mäch- von Bleierzen im Kreisgebiet keinerlei Be- sches Bergbaugebiet dar. Besonders geht er tigkeit nicht entgangen. Er geht mehrfach auf deutung. auf den dort früher bedeutenden Bergbau auf sie ein, doch sah er sie als minderwertig an, da Der Autor beschäftigt sich zwar geologisch Kupfererz ein und benennt diesbezüglich ihr Schwefelanteil vergleichsweise hoch ist. intensiv mit dem im nördlichen Kreisgebiet mehrere alte Stollen. Den nicht minder wich- Schon im 18. Jahrhundert wurde bei Traisen, anstehenden Schiefer („Thonschiefer)und tigen ehemaligen Qucksilberabbau lässt er Norheim, und nach versucht, ihn von den anderen insbesondere indessen außer Acht. Räumlich nimmt er da- Kohlen gegraben, deren Vorkommen jedoch südlich daran anschließenden geologischen nach wieder Bezug auf die geologische Situ- schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts weit- Formationen abzugrenzen und die Streich- ation in Rheinhessen, insbesondere auf die gehend erschöpft waren. Sie kamen in den richtung festzustellen. Diese Grenze zwi- Sande um Flonheim und darin vorkommende späteren Jahrzehnten über eine lediglich eng schen den devonischen Gesteinen des Rhei- „Petrefakte“ (mittlerweile in der Geologie begrenzte lokale Nutzung kaum hinaus, die nischen Schiefergebirges einerseits und der weniger verwendete Bezeichnung für „Fos- meist nur in Notzeiten und während kriege- postrotliegenden Hunsrück-Südrandstörung silien“). rischer Auseinandersetzungen der Bevölke- – um einmal zeitgemäße geologische Termi- Zuletzt betrachtet Burkart in seiner um- rung den geschätzten Rohstoff und Energie- nologie zu gebrauchen – andererseits, die fänglichen geologisch-petrografischen Dar- träger lieferte. Im Hunsrück-Nahe-Raum steil nach NW einfällt, war Burkart ebenfalls stellung das Nahetal selbst: Bei Boos und waren diese Kohlevorkommen in der Regel aufgefallen. Doch scheint zu Beginn des 19. Staudernheim berichtet er vor allem über vor dem Zweiten Weltkrieg längst er- Jahrhunderts der heimische Schiefer nicht – Porphyr- (jetzige Bezeichnung „Rhyolith“) schöpft.11) Noch am 7. August 1910 erfolgte wie in anderen Schieferregionen, beispiels- und wiederum Sandsteinvorkommen. Der die Feldverleihung für die Grube Karoli- weise in der Moselgegend oder bei Gemün- Vollständigkeit halber sei darauf hingewie- nenglück bei , deren Gru- den und Bundenbach - besondere bergmän- sen, dass teilweise noch in den 1920er und beneingang neben der L 239 heute noch vor- nische Bedeutung, beispielsweise für Bau- 1930er Jahren der örtliche Sandstein als handen, aber aus Sicherheitsgründen mit ei- zwecke (z. B. witterungsbeständiger Dach- Baumaterial gebrochen wurde. Die Standorte nem Gitter verschlossen ist. schiefer), erlangt zu haben. Nach Burkarts der alten Steinbrüche sind gelegentlich im- Nebenbei erwähnt Burkart kupferhaltige Feststellung hatten lediglich die Winter- mer noch im Gelände auszumachen. Erze bei Niederhausen, ohne sich jedoch auf burger Einwohner den örtlichen Schiefer Bei Sobernheim und bemerkt dieses Thema näher einzulassen. Die Vor- diesem Zweck zugeführt. Auch wurden Kel- er „grobkörnigen Sandstein“; bei Martinstein kommen waren schon damals erschöpft. Erst ler und Häuserfundamente in manchen Dör- den „Grünstein“ und den „Mandelstein“ im ausgehenden 19. Jahrhundert wurde die- fern im Schiefergebiet mit diesem devoni- (Melaphyr). Der letztere Begriff wurde zwi- sen um Niederhausen und Schloßböckelheim schen Gestein gebaut, was allerdings über schenzeitlich in der geologischen Termino- („Kupfergrube“) nochmals größere Auf- die Dauerhaftigkeit und Qualität dieses örtli- logie durch „Andesit“ ersetzt. An der oberen merksamkeit geschenkt, doch brachte der chen Baumaterials wenig aussagt. Nahe erwähnt er das Kellenbachtal bei Kirn dortige Kupfererzbergbau (Gruben „Man- Salinen und Quellen werden von Burkart mit seinen charakteristischen Grünschiefern fred“, „Astarte“) auch später langfristig nicht gleichfalls untersucht und beschrieben, etwa und das zum Kreis Birkenfeld gehörende die gewünschten Resultate, so dass er um in Bad Kreuznach ( „Theodors- und Karls- Fischbachtal mit seinem historischen Kup- 1885 wieder einging. Geblieben ist dagegen hall“) und Bad Münster sowie in der nahen ferbergbau. bis auf den heutigen Tag die bekannte Nie- Historisch und heimatkundlich besonders derhäuser-Schloßböckelheimer Weinlage wertvoll sind Burkarts Angaben zu den da- „Kupfergrube“. Kurz erwähnt er an anderer mals betriebenen Steinbrüchen und Gruben, Stelle den schon damals bedeutenden Kup- deren Standorte er genau lokalisiert, was ferbergbau um Fischbach bei Idar-Oberstein. selbst vielen Einheimischen in einigen Fällen Der Kupferbergbau bei („Gold- kaum mehr möglich sein dürfte. Aus seiner loch“) scheiterte schon im 16. Jahrhun- Betrachtung geht eindeutig hervor, dass dert.12) Eine 1840 erfolgte Wiederaufnahme hauptsächlich der Kalkstein bei Stromberg der Erzschürfungen durch den Linzer Berg- (geologisch Massenkalk, CaCO3 bzw. im werks- und Hüttenbesitzer Christian Rhodius östlichen Teil Dolomit, (Mg, Ca) CO3) und der und der Versuch, das Erz aus dem gering saure Rhyolith (Porphyr) um Traisen (Ge- erzhaltigen Gestein mittels Auslaugungs- samtkieselsäuregehalt über 70 % SiO2) da- verfahrens zu gewinnen, kam über das Pla- mals wie heute intensiv bergmännisch ge- nungsstadium nicht hinaus. Das Projekt nutzt wurden. scheiterte auch am Protest der Anlieger im Die Eisenmanganerzvorkommen um Trollbachtal, voran der Mühlenbesitzer, die Waldalgesheim, welche die Grube Dr. Geier ihre Existenz durch die damit verbundene förderte, waren zur Zeit Burkarts nicht be- Wasserentnahme und den zu erwartenden kannt, sollten aber später sehr große Bedeu- Schlammanfall bedroht sahen. tung erlangen. Im Jahre 1882 begann Dr. Auf die reichen Achatvorkommen um Idar- Heinrich Claudius aus Mainz mit ersten Oberstein geht der Verfasser nicht weiter ein. Schürfversuchen bei , Weiler Allerdings erwähnt er beim Scholländerhof und Waldalgesheim und weitete 1885 seine und an der Nahe Achate mit Amethystein- bergbaulichen Aktivitäten auf das Gruben- schlüssen („Agatkugeln, vorzüglich mit „Quarzigel“ aus dem Nahe-Hunsrück-Raum. feld Amalienhöhe aus. Noch 1962 wurden auf Ametist erfüllt, welche unbezweifelt den un- Bildvorlage: HWZB 4 (Seite 32 des Jahrgangs) Bad Kreuznacher Heimatblätter - 8/2012

Umgebung. Diese Standorte haben bis auf den heutigen Tag wenig von ihrer Bedeutung eingebüßt. Sie befinden sich – wie schon Burkart herausstellte – alle im Rhyolithbe- reich.14)

Resümee Der heimatkundliche Wert der Burkart- schen Abhandlung liegt vornehmlich in ihrer äußerst präzisen, bis ins kleinste Detail ge- henden Beobachtung im Gelände, was be- weist, dass der Verfasser die genannten Ört- lichkeiten selbst aufgesucht hat. In der hier vorliegenden Genauigkeit wurde sie später weder im heimatgeschichtlichen Schrifttum noch in der einschlägigen wissenschaftlichen Literatur nochmals in diesem Umfang schriftlich fixiert. Vom Leser erfordert die Lektüre allerdings neben detaillierter geolo- gischer Kenntnis ein besonderes Beobach- Rhyolith-Abbau bei Traisen auf der Rückseite des Rotenfelsens. Foto: Rainer Seil, Rüdesheim tungsvermögen und die exakte Kenntnis der betreffenden Örtlichkeiten. Ferner neigt Burkart dazu, bereits eingehend untersuchte Gebiete in anderem Zusammenhang erneut Das Register der Zeitschrift der Deutschen gabe für Werner Vogt). Kirn 1994, S.59-66 aufzugreifen, häufig im Rahmen besonderer geologischen Gesellschaft für die Bände 1-50 - Otto ATZBACH: Geologische Verhält- geologischer Vergleiche, was gelegentlich zu (1848-1898), erschienen 1903 in Berlin, listet nisse der Verbandsgemeinde Rüdesheim. In. Wiederholungen führt. unter Burkarts Namen u.a. auf: R. Seil: Chronik der Verbandsgemeinde Rü- Erschwert wird die fachliche Verständ- - Ueber die Erscheinungen bei dem Aus- desheim. Idar-Oberstein 1998, S. 25-33 lichkeit des Traktats bzw. seine Lesbarkeit bruche des mexicanischen Feuerberges Jo- - Otto ATZBACH: Geologische Verhält- nicht nur für Geologen, sondern auch für in- rullo im Jahre 1759 nisse der Nahe-Region. Die Entwicklung un- teressierte Laien dadurch, dass seit dem 19. - Ueber einen Feuerausbruch in dem Ge- serer heimatlichen Landschaft und ihrer Bö- Jahrhundert ein Großteil der geologischen birge von Real del Monte in Mexico. den. In: Beiträge zur Geschichte des Land- Fachterminologie sich völlig gewandelt hat. 4) Dieses Anzeigeblatt erschien von 1817 kreises Bad Kreuznach (= Heimatkundliche Im 19. Jahrhundert waren beispielsweise die bis 1837 und enthielt vor allem amtliche Mit- Schriftenreihe des Landkreises Bad Kreuz- häufig der mittelalterlichen deutschen Berg- teilungen des nach der napoleonischen Zeit nach, Bd. 31). Bad Kreuznach 2000, S. 13-36 manns-, gelegentlich der volkstümlichem geschaffenen Landkreises Kreuznach. Das - Kurt BECKER (Hrsg.): Heimatchronik des Umgangssprache entnommenen Bezeich- Publikationsorgan enthielt neben den amtli- Kreises Kreuznach. Köln 1966 nungen wie Roteisenerz, Brauneisenerz, Ei- chen Verlautbarungen auch praktische Hin- - Rudolf GRAUBNER: Lexikon der Geolo- senglanz, Hornblende, Kalkspat, Grünstein, weise für die damals weitgehend ländlich gie, Minerale und Gesteine. München 1980 Trapp, Lette usw. durchaus noch üblich, strukturierte Bevölkerung, vornehmlich aus - Alex KIPFER: Mineralienindex (nach dem ebenso aus dem Griechischen entnommene dem Bereich der Landwirtschaft. Stand vom 30. Juni 1974). Stuttgart 1974 Begriffe wie „Petrefakt“ oder „geognos- 5) Der Begriff „Geognosie“ (etwa: Erder- - Volker KNEIDL: Hunsrück und Nahe. tisch“, die heute nicht oder kaum mehr ge- kenntnis, Erdkennung), davon abgeleitet Mineralogie und Paläontologie. Ein Weg- läufig sind. Die Nomenklatur in der Geologie „geognostisch“, wurde um 1780 von A.G. weiser für den Liebhaber. Stuttgart 1984 und Mineralogie hat sich seitdem bedeutend WERNER eingeführt. Geologen wurden da- - Volker KNEIDL: Hunsrück. Insel der gewandelt. In der Mineralogie wurde bei- mals noch Geognosten genannt (M. MU- Tropen. Hamburg 2011 spielsweise im Jahre 1974 von der IMA (In- RAWSKI, 1972, S. 75). - Gregor MARKL: Minerale und Gesteine. ternational Mineralogical Association) eine 6) Einzusehen bei www.dilibri.de (Lan- Eigenschaften – Bildung – Untersuchung. international anerkannte Terminologie ein- desbibliothekszentrum Rheinland-Pfalz). München 2004 geführt. 7) Vgl. R. SEIL, 2002, S. 218 Anmerkung 1 - Hans MURAWSKI: Geologisches Wör- Die moderne Fachterminologie orientiert (Dort weiterführende Literaturhinweise). terbuch. Stuttgart 1972 sich längst an den allgemein gültigen anglo- 8) Ebenda, S. 430 f. - Wilfried ROSENBERGER: Bergamtsbe- amerikanischen Begriffen, was für die 9) Ebenda, S. 213 zirk Bad Kreuznach (=Beschreibung rhein- deutschsprachige Geologie zur Folge hatte, 10) Genauer in R. SEIL, 2008 land-pfälzischer Bergamtsbezirke, Bd. 3). dass die im Heimatschrifttum so geläufigen 11) O. ATZBACH, 1994, S. 64 Saarbrücken 1971 Bezeichnungen „Porphyr“ und „Melaphyr“ 12) Der Schwerpunkt der ehemaligen - Rainer SEIL: Guldental mit den Ortsteilen wie erwähnt durch „Rhyolith“ bzw. „Ande- Kohlevorkommen im Bereich des Pfälzer Breitenfelserhof, Heddesheim und Waldhil- sit“ ersetzt wurden. 15) Ähnliches trifft auf die Berglandes lag außerhalb des Bearbeitungs- bersheim. Idar-Oberstein 1989 paläontologischen Fachtermini zu. Als Bei- gebietes von Burkart; er reichte von Südwest - Rainer SEIL: Chronik der Stadt Strom- spiele für völlig abgegangene Bezeichnun- nach Nordost, berührte u. a. Kusel, Wolfstein berg. Idar-Oberstein 2002 gen seien aufgeführt: Glaßopeter, Konchilie, und endete im Raum Meisenheim. Vgl. Karte - Rainer Seil: Zur Geschichte der Steinbrü- Moluszit, Terebratulit, Turbinit. Diese Erd- in W. ROSENBERGER, 1971, S. 151. che und Gruben im Landkreis Bad Kreuz- wissenschaft richtet sich schon längst nach 13) Vgl. H. SILBERMANN, 1980, S. 247. nach. In: Landeskundliche Vierteljahrsblät- der binären Nomenklatur, wie sie der schwe- 14) Ebenda, S. 266 ff. und 277 ter. Heft 1 (Trier 2008). S. 13 – 26 dische Naturforscher Carl von Linné seit dem 15) Ferner haben sich in der neuesten - Horst SILBERMANN: Die wirtschaftliche 18. Jahrhundert in der Biologie verbindlich Fachliteratur für die früher häufig verwen- Entwicklung des unteren Nahegebietes im eingeführt hat. dete Sammelbezeichnung „Schiefer“ die 18. Jahrhundert (= Heimatkundliche Schrif- Begriffe „schist“, „slate“ und „shale“ einge- tenreihe des Landkreises Bad Kreuznach. Bd. Anmerkungen bürgert. Aussagekräftiger sind jedoch die 8). Bad Kreuznach 1980. 1) Vgl. O. ATZBACH, 1994, 1998 und 2000. deutschen Bezeichnungen Tonschiefer (= - SIMON & SCHUSTER'S guide to rocks Dort weitere Literaturhinweise. An dieser slate) und Glimmerschiefer bzw. Grünschie- and minerals. New York 1978 Stelle sei Herrn J. J. REISEK, Heimatwissen- fer. Will man den vertrauten deutschen Be- - Harald UHLIG: Landkreis Kreuznach. schaftliche Zentralbibliothek Bad Kreuznach, griff weiter verwenden, sollte man – wie Speyer 1954 für die konstruktive Durchsicht des Manu- schon Burkart – für den Nahe-Hunsrück- skripts und zahlreiche wertvolle Literhin- Raum von „Tonschiefer“ sprechen, da Glim- weise vielmals gedankt. merschiefer in unserer Region nicht vor- 2) Vgl. V. KNEIDL, 2011, S. 3. Zum literari- kommt. schen Aspekt vgl. GERO von WILPERT: Die Bad Kreuznacher Heimatblätter erscheinen Goethe Lexikon. Stuttgart 1998, S. 707 f. Literatur monatlich in Zusammenarbeit mit dem Verein 3) Vgl. http://de.wikisource.org/wi- - Otto ATZBACH: Die Hydrogeologie des für Heimatkunde für Stadt und Kreis Bad Kreuznach ki/ADB:Burkart,-Hermann-Josef (Stand: Landkreises Bad Kreuznach. In: Kultur- und e.V. (i. A. Dr. Horst Silbermann, 28.02.2011). Geschichtslandschaft Nahe-Hunsrück (Fest- Dienheimer Berg 11, 55545 Bad Kreuznach). Nummer 9/2012 BadKreuznacher Beilage Bad Kreuznach Heimatblätter

„Ich bin sehr gnädig von ihnen empfangen worden.“ Samuel Chappuzeau besucht 1669 den Pfalz-Simmerschen Fürstenhof zu Kreuznach - Ein Mosaikstein zur Kreuznacher Residenzgeschichte

VON JÖRG JULIUS REISEK, BAD KREUZNACH

Der aus Frankreich stammende Samuel Chappuzeau (geb. 1625 in Paris, gest. 1701 in Celle) war Arzt, Hauslehrer, Gelehrter und vor allen Dingen ein Europa-Reisender. Auf seinen ausgedehnten Reisen sammelte er Informationen über die Herrscherhäuser Europas, die er schriftstellerisch vermark- tete. In zahlreichen gedruckten Reisebe- schreibungen berichtete er schmeichelhaft über die Höfe Englands, der Niederlande, der Schweiz, Deutschlands und Italiens. En- de April 1669 besuchte er die Residenz des Pfalzgrafen Herzog Ludwig Heinrich Moritz von Pfalz-Simmern (geb. 1640 in Sedan, gest. 1674 in Kreuznach), der mit seiner Ge- mahlin Marie von Oranien-Nassau (geb. 1642 in Den Haag, gest. 1688 in Kreuznach) den Pfalz-Simmerschen Fürstenhof in „Creutzenach“ bewohnte. Pfalzgraf Ludwig Heinrich Moritz war der zweite und letzte Pfalzgraf der jüngeren pfalz-simmerschen Nebenlinie der pfälzi- schen Wittelsbacher. Die ältere Linie war 1410 entstanden, als nach dem Tod Kurfürst Ruprechts III. von der Pfalz (von 1400 bis 1410 deutscher König) dessen Herrschaft unter seinen vier Söhnen aufgeteilt wurde. Dabei erhielt Stephan, der drittgeborene Sohn, die Pfalzgrafschaft Pfalz-Simmern- Zweibrücken mit der Residenz in Simmern. Originalauszug aus der Reisebeschreibung von Samuel Chappuzeau aus dem Jahre 1669. Als die Heidelberger Kurlinie der pfälzi- schen Wittelsbacher 1559 ausstarb, folgte dem Erzbistum Mainz wegen der Herr- Die Anwesenheit des Fürstenpaares hatte dort die ältere Linie Pfalz-Simmern und schaft über das Böckelheim, das seinen durchaus Vorteile für die Stadt, beispiels- stellte bis zu ihrem Aussterben 1685 sechs Verwaltungssitz in Sobernheim hatte, zu weise, als sie im Dezember 1673 dazu bei- pfälzische Kurfürsten, darunter Friedrich V., vermeiden. Am 23. September 1666 schloss trug, „bei Kriegstrubeln über ihr schwe- den sogenannten „Winterkönig“. er in Kleve die Ehe mit Marie von Oranien- bendes Unglück abzuwenden“. Der Stadt- Pfalzgraf Ludwig Philipp, ein Sohn des Nassau. Der Kreuznacher Oberschultheiß rat „hätte sich gerne durch ein Praesent er- Kurfürsten Friedrichs IV. bzw. ein jüngerer Johann Jakob Kneupel vermerkte dazu im kenntlich gezeigt“, doch fehlte hierfür das Bruder des „Winterkönigs“, begründete Juli 1666 in seinem Tagebuch: „Den 27. Geld. Stattdessen ersuchte man um eine Au- 1611 mit der Übernahme der Vorderen Graf- sein Ihre Fstl. Dchlcht. [Fürstliche Durch- dienz, bei der eine städtische Deputation schaft Sponheim die jüngere Linie Pfalz- laucht] zu Pfaltz Simmern unser gster [gnä- dem Pfalzgrafen den Dank der Stadt aus- Simmern, die aber bereits mit seinem Sohn digster] Fürst und Herr hinab nacher Cleve sprechen sollte. Diese Audienz fand am 6. Ludwig Heinrich Moritz endete. Als dieser vereiset, um alda mit der jüngsten Print- Dezember statt und der – wohl krankheits- 1674 kinderlos starb, fiel das Fürstentum zeßin von Oranien Hochzeit zu halten.“ Im bedingt abwesende – Pfalzgraf „hat die Ab- Pfalz-Simmern zurück an den in Heidelberg Dezember desselben Jahres vermeldete er gesandten durch den von Weickersheim & residierenden Kurfürsten Karl I. Ludwig von weiter: „Den 7. sein Ihre Fstl. Dchlcht. zu andere Cavaliere in dem großen Saal mit ei- der Pfalz (1632-1680). Pfaltz Simmern mit dero Gemahlin her- nem Trunck tractieren lassen“. 2) Als Pfalz- Pfalzgraf Ludwig Heinrich Moritz nahm kommen, welche allhie continuirlich Hoff graf Ludwig Heinrich Moritz am 3. Januar 1660 zunächst die Stadt Sobernheim zur Re- halten werden. Den 28. Sein Ihrer Fstl. 1674 im Alter von 33 Jahren kinderlos starb, sidenz, verlegte dieselbe aber bald darauf Dchlcht. Gemahlin am ersten [zum ersten wurde er zunächst in der Kreuznacher nach Kreuznach, wohl um Streitigkeiten mit Mal] allhie zum H. Abendmahl gangen.“ 1) Wörthkirche (heute: Pauluskirche) beige- 2 (Seite 34 des Jahrgangs) Bad Kreuznacher Heimatblätter - 9/2012

und die Sicherheit der Stadt könne im Be- reich des neuen Tores nicht gewährleistet sein. Die Vertreter des Pfalzgrafen betonten jedoch, bei dem neuen Tor handle es sich nur „um einen kleinen Durchgang in I. Dchl. [Ihro Durchlaucht] Garten […] ohne Schaden & Lasten“ für die Stadt. Überdies solle die Stadtmauer in Nähe des neuen To- res durch zusätzliche Befestigungsanlagen noch besser als bisher gesichert werden. Aus den Ratsprotokollen geht des weiteren hervor, dass auch der Markgraf von Baden, der zweite Stadtherr neben dem Pfalzgra- fen, versicherte, er wolle “den Bau nicht im Geringsten […] beeinträchtigen“. Die Stadtansicht Merians von 1633 („krie- gerischer Merian“) zeigt einen älteren Bau- Der „Pfaltz Hoff“ in Kreuznach um 1609. zustand des „Pfaltz Hoffs“ nach einer Vor- Pfalzgräfin Marie von Pfalz-Simmern, geborene Ausschnitt aus einem 1633 entstandenen lage aus der Zeit um 1609. Der vorsprin- Prinzessin von Oranien-Nassau (1642-1688). Kupferstich von Matthaeus Merian. gende „dicke“ Turm rechts neben den Ge- Ausschnitt aus einem Gemälde von Jan Mijtens Bildvorlage: Heimatwissenschaftliche Zentralbibliothek des bäuden trug später wahrscheinlich den (datiert: 1666). Bildvorlage: wikipedia Landkreises Bad Kreuznach (HWZB) „Blumen-Garten“. Der von Chappuzeau er- wähnte Architekt Sturler bzw. Stürler ent- setzt. Die Kosten dafür betrugen 639 Gul- stammte einer weitverzweigten und be- den und 9½ Kreuzer. deutenden Schweizer Familie aus dem Ber- Plünderungen und Requisitionen während Die nunmehr verwitwete Pfalzgräfin Ma- ner Land. 6) Leider liegen keine zeitgenös- der sogenannten Lothringer Einfälle 9) hat- rie blieb bis zu ihrem Tod am 20.März 1688 sischen Abbildungen der Baulichkeiten des ten den Landstrich ruiniert. Erinnert sei hier in Kreuznach. Nach dem Vorbild ihrer drei späten 17. Jahrhundert vor. In der Histori- an das Jahr 1660: Frei-Laubersheim und Ha- Schwestern, welche die Schloss- und Park- schen Topographie von Karl Geib sind ckenheim wurden „ganz und zu mahlen anlagen „Oranienstein“ (bei Diez an der Grundrisse aus späterer Zeit zu sehen. Über ausgeplündert“, dabei „die arme Leuth, Lahn), „Oranienbaum“ (östlich von Dessau) die Baugeschichte informiert Walter Zim- Weib und Manß personen nackhend auß- und „Oranienburg“ (in der gleichnamigen mermann in den Kunstdenkmälern des gezogen, und über die maaßen Barbarisch brandenburgischen Stadt) errichteten, ließ Kreises Kreuznach. 7) Von der ehemaligen mit ihnen umbgangen“. 1668 war ein Jahr Marie von Oranien die Reste des ehemali- Pracht der Kreuznacher Residenz und des des Schreckens. Marodierende kurpfälzi- gen Kreuznacher Nonnenklosters St. Peter Oranienhofes ist heutzutage nichts mehr zu sche und lothringische Söldner durchstreif- zum „Oranienhof“, ihrem Witwensitz mit sehen. Was im Laufe der Geschichte übrig ten die Gegend. Im September kam es zu Wirtschaftsgebäuden und Lustgarten, um- blieb, fiel spätestens der modernen Neu- Kämpfen in der Nähe von Bingen, die mit gestalten. Ihr früher Tod vereitelte jedoch stadtsanierung in den 1970er Jahren zum der totalen Niederlage der kurpfälzischen die Beendigung des Bauprojektes und be- Opfer. Friedrich M. Senner berichtete da- Partei endeten. Im gleichen Jahr fand auch reits 1689 wurde der Oranienhof im Pfälzi- rüber in den Heimatblättern. 8) der verheerende kurpfälzische Überfall auf schen Erbfolgekrieg zerstört. 3) Heute be- Chappuzeau war Augenzeuge einer Neu-Bamberg statt. Zwei lange Jahre dau- findet sich auf dem Gelände der Bad Kreuz- fürstlich-luxuriösen Hofhaltung in Kreuz- erte es noch, bis die letzten „lothringischen nacher Oranienpark. nach, aber auch der katastrophalen Zu- Völker“ (1670) abgezogen waren. Darauf Eine zeitgenössische Quelle berichtet, stände im kriegsgeschundenen Umland. folgte die verheerende Zeit der Reunions- dass die Witwe ihren reformierten Gottes- Der Dreißigjährige Krieg und die ihm fol- kriege bzw. des Pfälzer Erbfolgekrieges dienst in der katholischen Karmeliterkirche genden anhaltenden Truppenbewegungen, (1688-1697). [heute: Nikolauskirche] abhalten durfte. Über das Fürstentum „Pfaltz Simmern“ Die Mönche hätten „...der verwittweten und seinen Besuch in der Kreuznacher Re- Prinzessin von Simmern gegen revers de sidenz schreibt Chappuzeau: non praehubicando neque de praeheriben- „Das Fürstenthum Simmern ligt auff dem do [eine nicht übertragbare kirchliche Aus- Hunsrücken zwischen der Mosel / dem nahmegenehmigung] erlaubt […], ihren Rhein und der Nah. Simmern ist die Haupt- Gottes Dienst einsweilen in der Carmeliter Stadt / hat ein Schloß / da sich der Fürst sel- Kirch halten zu mögen, welches Exercitium ten aufhält / dann er hat seine gewöhnliche sich hernach bis auf (das) […] 1688er Jahr Residentz zu Creutzenach / deren Be- fortgetrieben...“ Dieselbe Quelle berichtet: schreibung bald hernach folgen wird. „1688 den 12. August, wurden, unter 3ma- E[h]renberg / Waldeck / Bolenden [Bolan- liger Abfeuerung der Canonen die Leiber den] und Stromburg [Stromberg] seynd die des letzten Simmerischen Herzogs und des- vornehmste Ort dieses Fürstenthumbs / wel- sen Frau Mutter aus der Wörthkirch; wie ches allezeit an dem Chur-Hauß Pfaltz ge- auch der Leib seiner Gemahlin n.[amens] blieben / seydher Friderichen / Grafen von Mariae einer Gräfin von Oranienstein aus Simmern und Sponheim / Stephani Sohn; ist dem Fürstenhoff nacher Simmern geführet aber nachmals Ludwig Philippen Chur- ...“ 4) Das Pfalzgrafenpaar wurde in der Fürst Friderich deß V. Königs in Böhmen Fürstengruft der Simmerner Stephanskirche Herrn Bruder zu Theil worden / welcher beigesetzt. sich geschrieben Pfaltzgraf von Simmern. Als Chappuzeau 1669 in Kreuznach weil- Ludwig Henrich Mauritius, ein Sohn Lud- te, waren die Um- und Neubauarbeiten an wig Philipps und Mariae Eleonorae, ein dem im 15. Jahrhundert errichteten „Pfaltz Tochter Joachim Friderich / Chur-Fürst Jo- Hoff“ in der Hochstraße zur Schaffung einer achim Friderichs von Brandenburg Tochter zeitgemäßen Residenz größtenteils ausge- / ist gebohrn den 1. Oct. 1640. Ein Fürst / führt. Die Planungen erfolgten wohl bereits der ein solches Ansehen hat / welches sei- im Jahr 1664; denn am 24. und 25. August nem Herkommen gemäß ist / ob er schon dieses Jahres befasste sich der Kreuznacher nur von mittelmässiger Leibs-Grösse ist. Er Stadtrat ausführlich mit „dem vorhabenden reitet über auß wohl / und liebt die Haus- Pfalz Simmerschen Bau“. Dabei ging es be- haltung und die Jagt sehr / auff welcher er sonders um ein im Zuge der Baumaßnah- gantz unermattlich ist / er hat einen Mar- men vorgesehenes neues Tor in der Stadt- stall in seinem Pallast und unter seinem Zim- mauer. Im Stadtrat wurden Befürchtungen mer bauen lassen / als der da lieber deß Mor- geäußert, der freie Durchgang durch das Pfalzgraf Ludwig Heinrich Moritz von gens das Rasseln der Pferde / welches et- bisher in der Nähe des „Pfalzhofs“ beste- Pfalz-Simmern (1640-1674). was Martialisches an sich hat / als die beste hende Tor könne beeinträchtigt werden Bildvorlage: Bildindex für Architektur und Kunst, Marburg Music hört. Auch ist er sehr curios auff [in- Bad Kreuznacher Heimatblätter - 9/2012 (Seite 35 des Jahrgangs) 3

teressiert an] schöne und kostbare Pferde; ligt auff einer grossen Ebene / und ist eine Und als ich die Ehr hatte ihm auffzuwarten / von den best-fortificirten [befestigten] Städ- hat er eben ein Tartarisches Pferd gekaufft / ten. Man gab mir / wie es der Brauch ist / ei- darvor er biß in die sieben hundert Reichs- nen Segeanten mit / der mich von einem thaler gegeben. Er sitzt / wie gesagt / sehr Thor biß zum andern begleitete / dann wohl zu Pferd / und ich sahe ihn sechs Pferd [denn] ich bin nicht abgestiegen / weil ich nach einander reiten / den andern Tag als desselben Tags noch einen grossen Weg zu ich dahin kam. Aber er hat über das [darü- thun hatte. Zu Altzey stieg ich ab / welches ber hinaus] alle Qualitäten die seinem eine zimliche Stadt ist / vier Stunden von Stand gebühren / Er ist hertzhafft / dapfer / Worms / darinn auch eine Besatzung lag / hofflich und großmüthig / er redt sehr und kam spät nach Creutzenach / nach dem gründlich von den Sachen / und er hat ei- ich den halben Tag in einem Hügelichten nen solchen Verstand / daß er sich auß al- Land gereyßt / welches doch fruchtbar und lem herauß zu wickeln weiß. sehr anmuthig ist. Also bald des Abends Er hat zur Ehe genommen Maria / Printz wurde ich besucht von Herren Sturler / Ihro Henrich Friderichs von Uranien [Oranien] Durchl. von Simmern Hof-Junckern / und und Ameliae / Gräfin von Solms Fräulein Nicolai Sturlers / Ober-Amptmanns zu Nion Tochter bey welcher sie in dem Glantz und Sohn [verm. Niklaus Stürler, Landvogt von in der Ubung hoher Tugenden ist aufferzo- Grandson und Nyon am Genfer See, 1621- gen worden. Es ist eine Princessin / welche 1693] / von dem ich in der Tafel von Schweit- den Glantz deß Hauses / darauß sie ent- zerland geredt [S. 1]; ich bate ihn er sollte sprossen / an ihrer Stirn führt / sie ist sehr meine Ankunfft zu wissen thun [zu melden] wolgestalt / obschon nicht gar von grosser / damit ich möchte die Ehr haben Ihro F. F. Person; gantz voll Geistes / gütig / gesprä- D. D. [Abkürzung der Mehrzahl von Fürst- chich / großmüthig / die das Lesen liebt / liche Durchlaucht] die Hände zu küssen. und subtiles Verstands ist / deren alle Di- Creutzenach ist die gewöhnliche Resi- Sandsteinportal des Pfalz-Simmerner Hofes. scurs [Gespräche] und Actionen [Taten] dentz der Pfaltzgrafen von Simmern / eine Foto von Nelli Schmithals (um 1920). Bildvorlage: KMZ nichts / als Grosses und Heroisches haben. zimliche Stadt / wiewol man noch die Wür- Ich will bald erzehlen / wie ich die Ehr ge- ckung deß Teutschen Kriegs [30jähr. Krieg] habt Ihr D. D. [Abkürzung des Plurals von daran sieht. Nicht weit davon seynd sehr an- Durchlaucht] zu Creutzenach auffzuwarten. muthige Hügel / welche dieselbe gegen tenhofes] / dessen Vordertheil schon vol- Der Marschalck an dem Simmerischen Morgen [Osten] und Abend [Westen] be- lendet war / als ich dadurch reysete / und Hof ist H. - - - von Stubenvoll / welcher vor decken / gegen Norden ist sie offen / und ge- war nichts mehr übrig / als der rechte Arm diesem bey ChurPfaltz in Diensten gewesen gen dem Rhein zu ist das Land fett und [Seitenflügel] / daran man auch vorhabens / und mit Ruhm sein Ampt verwaltet. Der fruchtbar. Sie hat nur eine schlechte Maur war [vorhatte] / bald anzufangen. Die Prin- Ober-Stallmeister war damahls Herr - - - - und etliche Thürn [Türme] / welche sie cessin ließ auch damals ein neues Gemach Kolb / welchen seine schöne Qualitäten sei- nicht hätten vor den Lothringern / deren et- zurüsten / sampt einem Blumen-Garten auff nem Herrn angenehm gemacht / der ihn liche Partheyen bißweilen biß vor die Thor einem dicken Thurn / welcher in das Feld hi- auch seydher zum Ober-Amptmann zu Sim- kommen / als sie mit Chur Pfaltz Krieg ge- naus siehet / worinnen sie sich deß Fleisses mern gemacht. Carl Friderich Paul / der führt / defendiren [verteidigen] können; und der Kunst des H. Sturlers / welcher ein jüngste von den vier Brüdern / von denen Aber sie seynd nicht darein kommen / und guter Igenieur (sic!) ist / und die Mathema- ich hievor geredt / ist geheimer Rath und haben nichts feindliches in der Nachbar- tic auß dem Grund verstehet / bediente. Ober-Amptmann zu Böckelheim / und hat schafft / da sie nichts zu fordern hatten / an- Weil Ihro Durchl. die Hertzogin von Sim- zu diesen schönen Aemptern alle Tugend gefangen. mern eine solche Frau Mutter hat / welche und Fähigkeit / die an dieses Geschlecht an- Das alte Schloß zu Creutzenach [die Kau- allezeit den Glantz und die Nettigkeit ge- gehefftet seynd. zenburg] ligt auff einem Hügel / und ist in liebt / als [deshalb] ist sie mit köstlichem ... Den 28. [April 1669] reyste ich durch dem letzten Krieg deß Reichs offtmals ein- Haußrath versehen / und ich weiß niemand Franckenthal umb fünff Uhr deß Morgens / genommen worden / aber der Hertzog laßt der es ihr hierinn bevor thut [der sie hierin welches ein berühmter Ort / und in den letz- anjetzo in der Stadt ein schönes Hauß bau- übertrifft] / als ihre Schwester / deren ten Kriegen so sehr bekandt gewesen / und en [Umbau des Pfalz-Simmerschen Fürs- Pracht und Kostbarkeit in den Gemächern zu Dessau alles übertrifft / was in Fran- ckreich und Teutschland gesehen / deß Kö- nigs Pallast ausgenommen / als der auff der Welt seines gleichen nicht hat. Den 29. besuchten mich etliche von Adel / welche meine gute Freunde waren / und weil die Hertzogin nicht wol auff war / so konnte ich Ihro D.-D. die Hände nicht küs- sen als biß auff den Abend. Ich bin sehr gnä- dig von ihnen empfangen worden / und son- derlich von der Princessin / welche mir ge- sagt / sie seye sehr froh daß sie jemand sehe der in deß Printzen von Uranien ihres En- ckels [wohl: Onkels] Dienst gewesen / und daß sie mich noch betrachtete / als ein Glied desselben Hauses / gegen welchem / wie ihr wohl bewußt / ich allezeit eine be- sondere Affection und Eyfer gehabt. Ihro D. D. würdigten mich an Ihrer Tafel zu setzen / so lang ich in Creutzenach war; da ich dann / wie auch an andern Höfen offtmahls mit Hunger wieder auffgestanden / umb zu be- zeugen / was die Wohlständigkeit [An- stand] erforderte / wann der Fürst oder die Fürstin mit mir redten. Dann ausserhalb ei- ner Solennität [Festlichkeit] hält man an den Fürstlichen Höfen in Teutschland nicht lang Tafel / und man ißt und trinckt sehr mässig / und sitzt selten eine gantze Stund daran. Nach dem Nacht-Essen stiegen Ihro Der Pfalz-Simmerner Hof in Bad Kreuznach vor seinem Abriss in den 1970er Jahren. D D. allein auff ein Calesch [Kutsche] / und Foto: Kreismedienzentrum Bad Kreuznach (KMZ) fuhren spatziren / und war noch eine Jung- 4 (Seite 36 des Jahrgangs) Bad Kreuznacher Heimatblätter - 9/2012

frau bey der Hertzogin / ich aber blieb bey den Edelleuten von Hof stehen / biß daß es Zeit war sich hinweg zu begeben. Den 30. gieng ich deß Morgens mit Ihro Durchl. auff die Reit-Schul / da sie dann sechs Pferd geritten, gleichwie sie in diesem Exercitio [Disziplin] sehr geübt / und uner- mattlich [unermüdlich] darinn seynd / als welches sie sehr lieben / gleichwie auch die Jagt / auff welche sie bißweilen alsobald von der Tafel eylen. Die Princessin behielte mich bey Ihr biß auff Ihro Durchl. Wider- kunfft / welches erst gegen dem Nacht-Es- sen geschah / und führte mich in ihre Ge- mächer / und fragte mich umb mein Gut- düncken wegen ihres neuen Baus / auch er- innerten wir uns der vornehmsten Ge- schichte / so sich begeben / als ich die Gnad hatte / in ihres Hauses Diensten zu seyn; auch mußte ich Ihr etliche güldene und sil- berne Medaillen in Ordnung stellen / da ich dann deß Herrn Patins Hülff wohl bedürfft [Charles Patin, 1633-1693, franz. Arzt und Numismatiker]. Nach dem Nacht-Essen Der Pfalz-Simmerner Hof in Bad Kreuznach vor seinem Abriss in den 1970er Jahren. nahm ich Abschied von Ihro D. D. in der Foto: Kreismedienzentrum Bad Kreuznach (KMZ) Princessin Cabinet / welche mir einen Brieff gab an Ihre Frau Schwester / die Fürstin und ihnen solches zu essen gegeben / pfalz und dem Herzogtum Lothringen in der von Anhalt / und noch einen andern an die gleichwie ich auch darvon gegessen / sampt Mitte des 17. Jahrhunderts. Vgl. dazu: Die Landgräfin von Hessen-Cassel; und so bald einem wenig nichts werthen Butter / so hät- Nahe- und Hunsrücklandschaft während ich in mein Losament [wohl: Logement, d.h. te ich desselben Tags nicht nach Oppen- der lothringischen Einfälle (1650-1670). Unterkunft] kommen / kam der Cammer- heim kommen können / da ich auch erst zwi- 1932. (Mitteilungen des Vereins für Hei- meister und brachte mir eine schöne Be- schen vier und fünff Uhr angelangt.“ matkunde im Landesteil Birkenfeld, Jg. zeugung ihrer Großmüthigkeit / deren ich Der Text ist zitiert aus: 6.2/3); Martin, Michael: Pfalz und Frank- doch unwürdig war. Chappuzeau, Samuel: Das Protestirende reich. Vom Krieg zum Frieden. Leinfelden- Den 1. Tag May verreysete ich Morgens Teutschland / Oder Neue Relation einer Echterdingen 2008. S. 29-30. früh von Creutznach / und kam durch viel Reyse / die der Author an die Höfe der Pro- zerstörte Dörffer / dahin die Lothringer seit- testirenden Chur- und Fürsten deß H. R. Literatur dher kurtzer Zeit gestreifft hatten. In wäh- Reichs in den Monaten April / May / Junio / render meiner Reyse von sechs Monaten Julio und Augusto deß Jahrs MDCLXIX - Becker, Hans Ludwig: Über die Fürs- und vierzehen hundert Frantzösischen Mei- [1669] gethan. (in: Jetzlebenden Europae tenhäuser Pfalz-Simmern und Nassau-Ora- len ist eine grosse Ungleichheit gewesen in Dritter Theil. Frankfurt a. Main: Schiele, nien. Zur Oranier-Ausstellung 1999/2000. meinen Mahlzeiten und an meinem Nacht- 1672) S. 100-102 und 118-122 (Digitalisat s. 1999. (Hunsrücker Heimatblätter, Heft 109). lager. Ich gieng des Morgens auß eines books.google.de). Hinsichtlich der kurpfäl- - Geib, Karl: Historische Topographie von Fürsten Hof / da ich sehr wohl gelebt / und zischen und pfalz-zweibrückischen Resi- Kreuznach. Sdr. Ö.A. 1929. Tl. 1: S. 44-53. sehr weichlich geschlaffen / zu Nachts aber denzen bietet der Band weitere interessante - Hessel, Karl: Zur Geschichte des Ora- fand ich offtmals mehr nicht als ein Stück Informationen. nienhofes in Kreuznach. 1913. (Bilder aus dürr Fleisch und klein Bier und Stroh zum li- der Geschichte Kreuznachs). gen; Dieses widerfuhr mir auch den Tag / Anmerkungen - Stribrny, Wolfgang: Ist Carmer in Kreuz- als ich von Creutzenach abreysete / da ich nach vergessen? : Der Pfalz-Simmerner Hof dann umb den Mittag außruhen mußte. Ich 1) Buttmann, Rudolf: Johann Jakob Kneu- als Kreuznacher Besitztum des preußischen fand weder Heu noch Haber vor meine Pfer- pels Tagebuch. (Pfälzische Geschichtsblät- Königshauses im 17. und 18. Jahrhundert de / und wann ich nicht sehr schwartz Brod ter, 1902.2-11). Vgl. auch: Burckhardt, Paul: und als zeitweiliger Wohnsitz des preußi- bekommen / darüber ich Bier geschütt / Kreuznach in den Jahren 1652-1666. Aus schen Rechtsreformers J.H.C. Carmer (Bad dem Tagebuch eines Oberschultheißen. Kreuznacher Heimatblätter 2006, Heft 11). (Bad Kreuznacher Heimatblätter, 1959.2-3) - Stribrny, Wolfgang: Die Kreuznacher 2) Die Zitate entstammen den von Carl Besitzungen des Preußischen Königshauses Velten transkribierten Kreuznacher Stadt- 1688-1748. 2005. (Jahrbuch für westdt. Lan- ratsprotokollen des Jahres 1673 (Stadtar- desgeschichte, 31). chiv Bad Kreuznach Gr. 101, Nr. 17). - Velten: Carl: Hofstaat der Herzogin-Wit- 3) Nutznießer der wirtschaftlichen Ein- we von Oranien 1684. (Bad Kreuznacher künfte des Oranienhofes wurde als Erbe der Heimatblätter 1976, Heft 3). Oberstallmeister und Geheime Rat Johann - Wagner, Willi: Die Wittelsbacher der Li- Kasimir Kolbe Graf von Wartenberg nie Pfalz-Simmern : Ihre Vorfahren, ihre Fa- (geb.1643 in Metz, gest. 1712 in Frank- milien und ihre Grabdenkmäler. Simmern furt/Oder). Er gilt als der galante Liebhaber 2003. (Schriftenreihe des Hunsrücker Ge- Marias. Nach ihrem Tode zog er nach Berlin schichtsvereins, 34). und durchlief dort bis zu seinem Sturz we- - Weber, Friedrich: Das pfälzische Adels- gen der Veruntreuung von Staatsgeldern ei- geschlecht der Kolbe von Wartenberg: Ab- ne steile politische Karriere am preußischen stammung, Besitz- und Herrschaftsrechte in Königshof. Vgl. www.preussen-chronik.de. der nachmittelalterlichen Zeit. Mit e. ausf. 4) Extract aus des Carmeliters Angeli His- Würdigung des preußischen Erstministers toriola. Handschrift. Heimatwissenschaftli- Johann Casimir Kolb von Wartenberg. Kai- che Zentralbibliothek des Landkreises Bad serslautern 1955. Kreuznach (HWZB) , beigef. in: SW 54. 5) Die Zitate sind den Kreuznacher Stadt- ratsprotokollen des Jahres 1664 entnom- men. Vgl. Anmerkung 2. 6) Hist. Lexikon der Schweiz im Internet Die Bad Kreuznacher Heimatblätter erscheinen 7) S. 97-98 monatlich in Zusammenarbeit mit dem Verein 8) 1982, Heft 11 für Heimatkunde für Stadt und Kreis Bad Kreuznach Sandsteinportal des Pfalz-Simmerner Hofes. 9) Lothringische Einfälle: Militärische e.V. (i. A. Dr. Horst Silbermann, Foto von Nell Schmithals (um 1920). Foto: KMZ Auseinandersetzungen zwischen der Kur- Dienheimer Berg 11, 55545 Bad Kreuznach). Nummer 10/2012 BadKreuznacher Beilage Bad Kreuznach Heimatblätter

Der Hof Vom Leben im Gutshof des Bad Kreuznacher Weingutes August Anheuser in den 1950er und 1960er Jahren

VON DR. PETER FUCHSS, BAD KREUZNACH

Vorbemerkung ausreichend um den Kufen eine Reichweite ben. Diese ernährten die Pferde, Kühe, von annähernd dreißig Metern zu geben. Schweine und Hühner und somit in Teilen Bei dem folgenden Text handelt es sich Oben gab es den Kuhstall, die Scheune und auch die Menschen. So kam die große Viel- um Kindheits- und Jugenderinnerungen solange noch mehr Pferde da waren als falt zustande, die den Hof ausmachte. des Autors, der als Sohn des Gutsverwalters Lanz-Bulldogs und Unimogs auch Unter- Heu und Stroh lagerten im Dachgebälk im Gutshof des Weingutes August Anheu- kunft für eines der Gespanne. Am Fuße der über den Ställen und in der Scheunenein- ser aufgewachsen ist und von 1946 bis 1970 Abfahrt hatten die Schweine ihr Domizil, fahrt. Ein großer Durchlass erlaubte das He- dort gelebt hat. denen es einmal im Jahr an den Kragen rabwerfen von oben und weiter durch eine Die Liegenschaft in der Güterbahnhof- ging. Ums Eck befand sich der große Pfer- Maueröffnung mit Holzläden in den unte- straße 6 in Bad Kreuznach wurde etwa 1860 destall in einem alten Eiskeller. Die Lie- ren Pferdestall im Eiskeller. Das alles war errichtet und war zunächst eine Getränke- genschaft gehörte im 19. Jahrhundert ei- wie gemacht für unsere Streifzüge, unsere handlung. Später diente sie dem Weingut nem Getränkehändler, der das Stangeneis Versteckspiele, unsere imaginären Fluchten Anheuser als Wirtschaftshof seines Außen- in einem Lagerraum in Form eines grauen vor noch imaginäreren Feinden. Ich liebte betriebes. Dieser Betrieb hatte in seiner Blü- Würfels aus meterdick gemauerten Bruch- diesen Bereich. Oft bin ich über das in der tezeit annähernd 50 ha Weinberge und ge- steinen aufbewahrte. Sechs Pferdeboxen Tenne aufgeworfene frische Grün der jun- hörte damit zu den Weinbau-Großbetrieben gab es dort bis in die sechziger Jahre für die gen Luzerne, das so vegetal duftete, so süß- in Deutschland. Viele Jahre galt er als mus- Warm- und Kaltblüter, die in Landwirt- lich, fett und nass, hinweggestiegen und die tergültig und war – gemeinsam mit einer schaft und Weinbau im damals gemischt große Leiter hinaufgeklettert in die Duft- Reihe von Weingütern gleicher Struktur – strukturierten Betrieb ihre große Arbeits- welt des schon länger gelagerten Heus und an der Entwicklung des Qualitätsweinbaus leistung brachten und der Stolz des Wein- Strohs. Das neue, gerade getrocknete Lu- an der Nahe unmittelbar beteiligt. gutes waren. zerneheu, an dem noch viele Blätter hafte- In den hier geschilderten Jahren domi- ten, roch anders als das lange gelagerte. Erster Teil nierte diese Wirtschaftsform. Das in sich ge- Die jungen Heublumen hatten einen betö- schlossene System von Brachen und Nut- renden Geruch nach süßem Tabak, nach Der Hof war etwas in sich Geschlossenes zungsjahren im Weinberg umschloss auch prickelnden reintönigen Aromen bis hin zu und bezieht man den Garten in die Be- Getreidebau, Luzerne, Kartoffeln und Rü- Anis und frischer Wiese. Das alte Heu roch trachtung mit ein beinahe etwas Autarkes. Solange er existierte, umfasste er uns und lebte zugleich aus sich heraus. Immer wuchs, entstand etwas und es verging oder wurde verwertet. Das System war bestimmt durch viele innere Wechselwirkungen. Wir Kinder fühlten uns geborgen. Da gab es die Be- grenzungen, die Mauern, die Bäume, ural- te, viele Meter hohe mächtige Platanen, ei- nen Nussbaum, ein exotisches Exemplar, dessen Namen niemand kannte, und na- türlich ein Tor oben und unten, das wir be- kletterten, öffneten, schlossen. Der Hof hat- te zwei Ebenen; eine obere, wo das Guts- haus stand, und eine untere, mit dem Areal der Schuppen und der Maschinen, wo der große Pferdestall und die Werkstatt waren, die Aufenthaltsräume der Arbeiter und Fuhrleute. Es waren Orte, wo es viel zu se- hen, zu hören, zu erlauschen gab. Wo es roch nach dicken Brotscheiben, dem Inhalt der Essenskännchen und dem Haustrunk, der dort kostenlos von der Herrschaft ver- abreicht wurde. Die Verbindung zwischen oben und un- ten bildeten eine alte ziegelsteinstufige Treppe und – davon getrennt durch das Schweinefuttersilo und die Hühnerställe – eine Abfahrt, die uns zur Winterzeit als Das einem Châteaux ähnliche Hauptgebäude des Weingutes August Anheuser um 1960. Schlittenbahn diente, nicht sehr steil, aber Foto: Privatsammlung Dr. Peter Fuchß, Bad Kreuznach 2 (Seite 38 des Jahrgangs) Bad Kreuznacher Heimatblätter - 10/2012

ßen knirscht der gepflegte Kies des oberen Hofes. Drunten gab es die langen gepflas- terten Abläufe auf die Dohlen [Einlauf- schächte für Abwässer] zu, wo in den fünf- ziger Jahren ungehindert blaugrüne Spritz- brühen aus den Behältern, die gesäubert wurden, in die Kanalisation flossen. Auf den groben Pflastersteinen vor den Stallungen höre ich die beschlagenen Pferdehufe hohl klappern. Die roten Ziegel auf dem Dach fassten sich ganz anders an als die Well- blechdächer der Schuppen oder die raue Dachpappe auf der Siloabdeckung, die im Sommer streng nach Asphalt roch. Alles das eröffnete Erlebniswelten in einer unglaub- lichen Vielfalt. Wir hatten Zeit und Muße es zu entdecken. Der Hof gab uns viel. Das System belebte sich morgens zwi- schen fünf und sechs, wenn sich das Eisen- tor des oberen Hofes in Bewegung setzte und die Fuhrleute ihre Räder auf den Kies schoben. Den Pferden und dem übrigen Vieh galten die ersten Aktivitäten. Freudi- ges Wiehern begrüßte die Männer und sie steckten den Tieren das Heu auf, schütteten Rechts im Bild: Das obere Haus des Gutshofes an der Güterbahnhofstraße 6 mit der Wohnung des Gutsver- den Hafer in die Krippen. Zu hören war walters Heinrich Fuchß. Fundstelle der Abbildung: Denkmaltopographie der Stadt Bad Kreuznach. Düsseldorf 1987, Seite 99 dann das mahlende Geräusch, wenn die Pferde das Heu zwischen die Zähne nah- strenger, manchmal etwas stickig. Staub- Schulfreunden und Nachbarjungs, viel öfter men, es herabrissen aus der Raufe und mit wolken stiegen auf, wenn man drüber ging aber alleine in meinen einsamen, aber ent- ihren sensiblen Nüstern, so schien es, den und es rieselten die mürben Teile aus den spannten Stunden nach der Schularbeit feinen Geruch der getrockneten Luzerne verzweigten Luzerneästen, um auf dem Bo- durch die Ställe, über die Trennwände der genossen. Schnaubend widmeten sie sich den einen dicken, fruchtbaren Teppich zu Pferdeboxen, das Heu der Raufe hinauf zu der Hafergabe in der Krippe. Währenddes- bilden, den man sorgsam aufnahm, wenn den Strohballen im Dachfirst oder es zog sen striegelten die Fuhrleute ihre Tiere. die Scheune einmal bis auf den Boden ge- mich auf den Stallgarten. Dort auf dem fla- Staub wurde auf die Pflastersteine am Über- leert wurde. Beim Stroh gab es Unterschie- chen Dach des Pferdestalles erlaubte frucht- gang der Boxen zum Gang abgeschlagen de in der Konsistenz. Gerstenstroh war bare Erde Gemüse zu pflanzen, was die und es bildete sich das Muster des gezack- kurz, weich und glatt. Es hielt nicht die Gastarbeiter später nutzten. Es hatte sich ten Striegels auf den Steinen. Inzwischen Form im Boßen [Strohballen], wenn man da- dort eine eigene Pflanzengesellschaft an- hatte auch der Schweizer seine Arbeit auf- rauf herum kletterte. Weizenstroh war di- gesiedelt. Vor allem aber hatte man einen genommen. So nannte man den für die Kü- cker und stabiler, länger im Halm. Man prächtigen Blick über den unteren Hof, auf he zuständigen Melker. Er hatte gemistet konnte es ohne Gefahr aufeinandersetzen das Platanengeviert und die angrenzende und saß nun unter den Kühen um die Melk- zu großen Burgen und verschwiegenen Ver- Pfingstwiese, den großen Festplatz der Stadt arbeit, damals natürlich von Hand, zu ma- stecken. Die große Scheune war nie ganz außerhalb des behüteten Bereichs. chen. Am lautesten führten sich die Schwei- voll, vor allem seit die Zahl der Gespanne Der Hof schlief nie. In den Ställen klirr- ne im Saustall auf. Beim ersten Klappern abnahm und die der Traktoren sich unauf- ten leise die Ketten der Kühe, die sich nie- der Futtereimer begannen sie ein höllisches haltsam vermehrte. So hingen ungestört im dergetan hatten. Katzen huschten unter den unberührten Teil weit droben im Gebälk Spalt des Tennentores und im Schweine- faszinierende Kunstwerke: die Netze großer stall grunzte und quietschte es von Zeit zu Kreuzspinnen. Wenn die Sonne von Westen Zeit. Gelegentlich wurde ich abends zum her durch den runden Durchlass im Giebel Holzschober geschickt, weil es am nötigen der Scheue hereinleuchtete, konnte man je- Nachschub an Brennholz in Küche und de Facette dieses natürlichen Gewebes er- Wohnzimmer fehlte. Dann piepste hier und kennen. Im Zentrum befand sich die große da ein Mäuslein und die Bohlen des Schup- Spinne. Ich habe diesen großartigen Tieren pens knarrten. Wir Kinder mochten diese nie Antipathie entgegenbringen können, nächtlichen Wege nicht. Zu nahe waren uns eher eine gewisse Ehrfurcht vor ihrer Funk- die Märchen und Sagengestalten aus den tion und Leistung als Verfolgte in einer Büchern. Unsere eigene Fantasie schreckte Welt, die sie nicht versteht und wo Ängste uns, wenn wir die Schlagschatten sahen geschürt werden, wo es nichts zu befürch- oder ein milchiger Mond diffuses Licht ten gibt. Wie viele diese Kunstwerke wer- warf. Das nachrutschende Holz vom Hau- den von Unwissenden zerstört! Im Scheu- fen, wo wir unten sammelten, jagte uns nengebäude neben der Abfahrt gab es ei- Schrecken ein. Wir waren froh, wenn sich nen kleinen Gewölbekeller. Er diente zur die alte braune äußere Haustür hinter uns Lagerung von Rüben zur Verfütterung und schloss, die zum Hof hinausführte und wir von Rebenbündeln, die in feuchten Rhein- in den schützenden Hausflur gerettet wa- sand eingeschlagen wurden. Sie sollten spä- ren. Neben der Erinnerung an die Gerüche ter veredelt werden. Das Gewölbe bestand und Geräusche ist mir das Erfahren vieler aus grob behauenen schweren Porphyr- unterschiedlicher Materialien und Bau- steinen und vermittelte im Sommer eine an- strukturen des Hofes bewusst. Ich spüre die genehme Kühle. Sicher trug dazu auch der dicken Farbschichten der Türen und Tore gestampfte Lehmboden bei. Es hat wohl frü- unter meinen Fingern ebenso wie viele For- her als Weinlager gedient. Eine ausgetre- men von Putz auf den Wänden von Haus, tene Steintreppe führte nach draußen. Über Scheune und Stallungen. Genau weiß ich eine gemauerte Rutsche konnte man Rüben noch, wie sich der große Steintrog mit sei- oder Kartoffeln hineinfallen lassen. Es fuh- nen großporigen, aber glatten Strukturen ren dann die Wagen draußen heran und die anfühlte, der neben der Hintertür vor dem Arbeiter beschickten den Keller. Sie taten Waschküchenanbau stand, ebenso wie die das so perfekt, dass die Feldfrüchte nie be- kühlen Steinquader im Kellergewölbe oder Der Autor als Zweieinhalbjähriger auf dem oberen schädigt und der Fäulnis anheim gegeben die Holzverkleidungen der Schuppen. Ich Hof mit seinem damaligen Lieblingsspielzeug, wurden. Jeden Zentimeter meines Reiches meine noch die abgetretenen glatten Spros- einem Männchen ohne Kopf (1949). kannte ich. Wie oft kletterte ich mit den sen der Leitern zu fassen. Unter meinen Fü- Foto: Privatsammlung Dr. Peter Fuchß, Bad Kreuznach Bad Kreuznacher Heimatblätter - 10/2012 (Seite 39 des Jahrgangs) 3

lange Zeit spartanisch. Einige wenige bes- sere Möbelstücke aus dem mütterlichen El- ternhaus und Leihgaben der Weingutsbe- sitzerfamilie aus dem wohlhabenden Ge- bäude gegenüber vermittelten eine be- scheidene Wohnlichkeit. Dementsprechend waren auch unsere Kinderzimmer funktio- nal und einfach gestaltet, aber ich erinnere mich nicht, dass meine Schwestern und ich Anstoß daran genommen hätten. Wir fühl- ten uns aufgehoben und geborgen in unse- rer Familie, unserem Haus und unserem Hof. Der Krieg hatte vieles genommen und die finanziellen Verhältnisse gestatteten viele Jahre lang keinerlei Luxus. Vaters Ge- halt war klein. Die Abmachungen nach dem Krieg mit seinem Arbeitgeber galten in ers- ter Linie dem Lebensunterhalt und der Exis- tenzsicherung seiner Familie. Sie beinhal- teten lange Zeit einen hohen Anteil an Leis- tungen in Naturalien. Vater betrat morgens um sieben pünkt- lich die Arbeitsszene. Dies war die Zeit der Anweisungen, des Gesprächs mit dem Zweiten Verwalter, der Direktiven für den Untere Hofebene (heute während des Bad Kreuznacher Jahrmarkts: Weingarten Lichtenberg) mit den Tagesplan. Es setzte Betriebsamkeit ein, ein Friesen Lotte und Nestor. Foto: Privatsammlung Dr. Peter Fuchß, Bad Kreuznach Trupp nach dem anderen verließ den Hof durch das untere Tor. Neben den Zugtieren und den lauten Lanz-Traktoren kamen nach und nach komfortable Unimogs, Zugma- Gekreische, das spätestens jetzt alle auf eingeschlagen und nach Bedarf ans Tages- schinen mit geschlossenen Kabinen und dem Hof weckte. Mittlerweile waren auch licht geholt. Schwarzwurzeln, Sellerie, Kleinschlepper zum Einsatz. Diese waren die anderen Männer zur Arbeit gekommen, Lauch, Weiß- und Rotkohl, Möhren, alles mit Anhängern und Anbaugeräten ausge- die nichts mit dem Vieh, sondern mit der Ar- das wurde im feuchten grauen Rheinsand stattet und repräsentierten die neue Zeit der beit im Weinberg und auf den Feldern zu konserviert und hielt viele Monate. Ein paar voranschreitenden Mechanisierung und tun hatten. Sie kamen aus den umliegenden Stufen höher befand sich die Milchküche Motorisierung im Weinbau.Vaters Anwei- Dörfern mit Fahrrädern, Motorrädern und - mit rotem Sandsteinboden, großen schwe- sungen wurden strikt befolgt. Grundlegen- bei besserer Entlohnung in den fünfziger ren Steinplatten, ein idealer, wohltempe- de Diskussionen im Team gab es nicht. Der Jahren - mit ihren Isettas, dreirädrigen mo- rierter Ort. Dosenwurst, eingelegte Eier, Verwalter trug die volle Verantwortung und torisierten Käfern, deren Tür sich nach vor- Bratwürste im Naturdarm, Geräuchertes, war eine absolute Autorität. Die Mitarbeiter ne öffnete. So hielt damals das Wirtschafts- Schwartemagen, das alles wartete dort auf suchten seine Entscheidungen und brauch- wunder auch bei den sogenannten kleinen den Verzehr. Hier befand sich auch Vaters ten diese klaren Vorgaben. Hierarchie wur- Leuten erkennbar Einzug. Alle trafen sich von den Freunden gerühmtes Weindepot, de als etwas Notwendiges, Sinnvolles an- in der Fuhrmannsküche, die schon einge- die Flaschen aufwendig eingewickelt in Fla- gesehen. Parallel bildete sich zwischen den heizt war, wenn man sich nicht gerade im schenseiden in einer eisenbeschlagenen Beteiligten in fast allen Fällen so etwas wie Hochsommer befand. Jetzt kamen auch die Exportkiste. In einer anderen steinernen Treue aus. Das ist heute ein altmodisches übrigen Arbeitsprozesse in Gang und die Kammer gab es gepökeltes Fleisch und ei- Wort, aber es beschreibt die Tatsache, dass schweren Lanz-Bulldogs wurden angewor- nen beachtlichen Vorrat an Sauerkraut, ein- die meisten Mitarbeiter, die er in seinem fen. Im Winter musste man sie mit einem gelegt in graues Steingut. Auch mittels Verantwortungsbereich hatte, vom ein- Brenner vorheizen, bevor ein Schwungrad Milchsäuregärung konservierte große Gur- fachsten Fuhrmann bis zum Vorarbeiter, für an der Seite mit viel Kraftaufwand bedient ken wurden dort mit einem Holzgreifer aus Vater durchs Feuer gegangen wären. Jetzt wurde. Bei den ganz alten Modellen wurde dem Topf geangelt. Sogenannte Einmach- kehrte auf dem Hof Stille ein. Nur der gar das Steuerrad herausgenommen und schränke, rohe Holzschränke mit feinen seitwärts in Position gebracht um den Trak- Fliegengittern hinter den Öffnungen bar- tor zum Laufen zu bringen. Unter knallen- gen eine Vielzahl Gläser und Flaschen mit den, explosionsartigen Geräuschen setzte eingekochtem Obst, Konfitüren, Gelees und sich die Maschinerie in Bewegung. Gele- Säften. Der Hof war viele Jahre, was die Er- gentlich ging das Knallen in Röcheln über; nährung betraf, praktisch autark. Später man glaubte, die Maschinen würden sich gab es dann mehr und mehr auch Außer- verschlucken. Sie fanden dann aber doch Haus-Käufe. Das kleine „Lädchen“, ein Le- zum Rhythmus und die Kolbenschläge stei- bensmittelladen am Rande der Pfingstwie- gerten sich in ein ohrenbetäubendes Stak- se, wurde frequentiert, ein Sprudellieferant kato.In der Milchküche im Keller des Guts- aus Bad Vilbel kam alle vierzehn Tage und hauses versorgte Mutter in aller Frühe die der Hackenheimer Metzgermeister, der Eimer und trennte mittels einer Zentrifuge auch für den Vieheinkauf auf dem Koblen- den Rahm von der Magermilch. Dieses zer Markt zuständig war, brachte gele- Wertvollste der Milch kam dann zur Herr- gentlich wohlgefüllte Tüten vorbei. schaft auf der anderen Seite der Bahn ins In den ersten Jahren bewohnte die Ver- Weingut, wo die Köchin Butter und Schlag- walterfamilie die beiden oberen Stockwer- sahne bereitete. Ein Stück Butter wanderte ke des Gutshauses. Im Parterre waren Kel- zurück zur Verwalterfamilie. Nur mit der lermeister und Lehrlinge, wie das damals Sahne tat man sich schwer, die war dem Un- hieß, untergebracht. Später übernahmen ternehmerhaushalt vorbehalten. wir das Haus ganz, als sich die Familie ver- Das Gutshaus war mein Zuhause bis zum größerte. Als wir das Erdgeschoss mit ein- Ende der Schulzeit und dem Abschied von bezogen, wurden alle Funktionsräume dort Kreuznach. Es war ein beachtliches Haus, konzentriert. Die große behagliche Küche gebaut Mitte des 19.Jahrhunderts von ei- war ein Kommunikationszentrum. Hier be- nem wohlhabenden Getränkehändler und gann der Tag, drei Generationen trafen sich hatte vier Ebenen. Der Keller erlaubte Vor- dort. Unter dem Küchenherd mit Siphon ratshaltung vom Feinsten. Im kühlen Ge- und großer Platte mit Einsatzringen über wölbe zwischen gemauerten steinernen der Feuerung lag die Katze mit ihren Jun- Ein „Lanz-Bulldog“ wird vorgeheizt. Fasslagern wurde Gemüse in feuchten Sand gen. Die Einrichtung der Wohnräume war Bildgeber: Eduard Hinkel, Uelversheim 4 (Seite 40 des Jahrgangs) Bad Kreuznacher Heimatblätter - 10/2012

Schweizer und der Gutshandwerker hatten hier noch etwas verloren. Später wurden sie ebenso wie der Gärtner auch zu Arbeiten im Keller herangezogen. Dieser lag auf der anderen Seite der Gutsverwaltung und des Hofes jenseits der Bahn im „Brückes“. Dort gab es ein wahrhaftiges Château mit eben- erdigen Kellern, tief eingegraben in das Rot- liegende, das hier anstand und gänzlich ein- gewachsen von wildem Wein. Der Verwal- ter machte inzwischen eine erste Kontroll- tour und kehrte, soweit er in der Nähe be- schäftigt war, zu einem kurzen Vormittags- kaffee nach Hause zurück. Dann standen Planungsaufgaben oder Verwaltungsarbei- ten in seinem kleinen Büro an, Gespräche mit dem Gutsbesitzer und seinem Prokuris- ten wurden gesucht und Termine in der Stadt oder den umliegenden Dörfern wahr- genommen. Später ging es wieder zur Ar- beitskolonne. In den ersten Jahren benutzte Vater ein Motorrad, auf dessen hoch ge- legtem Rücksitz man ein luftiges Mitfahren hatte. Er holte uns gelegentlich in der Volks- schule ab, die nahe den Weinbergen lag. Gerne fuhren wir auch bei den Fuhrleuten auf dem Bock mit, wenn die Gespanne zur Mittagszeit den Hof ansteuerten. Es roch dort intensiv nach Pferd aus den alten De- cken und gelegentlich entfuhren den treuen Genossen kräftige Pferdefürze, von denen Verwalter Heinrich Fuchß im Ford „Taunus“ seiner Chefin. Foto: Privatsammlung Dr. Peter Fuchß, Bad Kreuznach auch die dahinter Sitzenden eine Menge ab- bekamen. Wir waren aber nicht zimperlich. Später übernahm Vater den noblen Wagen der Chefin, einen viertürigen Ford Taunus kennen. Abends um fünf war wieder alles Platane, die sich auf einer Höhe von drei mit Buckel, ein edles Gefährt. Leider endete im Hof. Durchs untere Tor fuhren sie ein Metern vierfach verzweigte. So war eine na- diese Praxis des Abgebens von Fahrzeugen und brachten Meldungen aus Weinberg türliche Plattform entstanden, sie wurde der Unternehmerfamilie. So waren es dann und Feld mit. Die Pferde trotteten in den mein Baumhaus. Später baute ich eine rich- zuverlässige VW-Käfer, die ihm zur Verfü- Stall, befreit vom Druck des Arbeitstages tige Brücke mit nachsichtiger Duldung des gung standen und die auch für Familien- und nahmen dankbar die warme Stallat- Vaters, der sonst für solche Unordnung auf ausflüge genutzt werden durften. mosphäre an um sich dem Saufen und Fres- seinem Hof, für den er die Verantwortung Mutter hatte im System des Hofes außer sen hinzugeben. Die Frauen und Männer trug, kein Verständnis hatte. In der Phase der Verantwortung für die Verarbeitung der versammelten sich noch kurz in der Fuhr- des Karl-May-Lesens war dieses Palisa- Milch und der Verköstigung der Drescher mannsküche, dann packten sie ihre Bündel denreich natürlich ein Hort der Fantasie im Spätsommer keine direkten Pflichten. In und verschwanden durchs Tor, müde ge- und des Erlebens aufregender Hetzjagden, den fünfziger Jahren bildete sie weibliche schafft dem Abend entgegen. Die meisten Verteidigungen und Eroberungen, sei es re- Lehrlinge aus. Das entfiel später. Eine be- Männer hatten vorher noch aus derben, al mit den Schulfreunden, den Pfingstwie- sondere Beziehung hatte sie zur Tierwelt dickwandigen Gläsern aus der Korbflasche senjungen oder in den Gedankenwelten des Hofes, vor allem zu den Pferden. Hal- dem Haustrunk zugesprochen, den sie „Jo- meiner einsamen Stunden nach den Schul- tungsfragen, Pflege und Gesundheit der Ar- ckel“ nannten. Dieses Gesöff war das Er- arbeiten. Das Platanenhaus und die Sti- beitspferde lagen ihr sehr am Herzen und gebnis einer Pressung von Traubentrester, ckelpalisaden gehörten zu einem Geflecht sie sprach häufig mit den Fuhrleuten, gab dem man zuvor Wasser zugegeben hatte, von Verstecken und Fluchtwegen auf dem Tipps und hinterfragte. Ihre Menschen- ein Produkt, das im Weingesetz ausdrück- Hof, die mich unangreifbar machten. Wer freundlichkeit und ihr besonderes Interesse lich legalisiert war. Später wurde es auch hätte mich verfolgen können oder gar fan- für die Tiere kamen bei den Arbeitern sehr aus Gründen der Gesundheitsvorsorge ver- gen wollen, wenn ich über die Mauer hinter gut an. Trotz der formellen Distanz, die sich boten. Für die Weinbergsarbeiter war der dem Schuppen kletterte, auf ihr entlang ba- aus der Stellung der Verwaltersfrau zum Haustrunk eine Droge, die sie ein wenig lancierte und über den großen Holzhaufen Personal des Hofes ergab, war sie sehr be- aus der harten Arbeitsbelastung heraus- rutschte um zum Rübenkeller zu laufen? liebt. Die gelegentlich groben Fuhrleute be- nahm. So mancher, der es dabei übertrieb, Dort konnte ich durch die Außenklappe stei- gegneten ihr gesammelt und zugewandt, schob aber das Fahrrad abends auf „runden gen und in die Heimlichkeiten der großen sie überwanden ihre Hemmungen sich zu Füßen“ in Richtung Behausung, was von Scheune eintauchen. Es gab hier den äußern und holten sich gerne ein Lob und den Frauen und Kindern alles andere als Durchlass durch das Futterfenster zum un- ein paar Minuten Aufmerksamkeit für sich gern gesehen wurde. So mancher Streit und teren Pferdestall hin, wo man über die Krip- und ihre Arbeit ab. viele Schläge waren auf den „Jockel“ zu- pe hinweg auf den Trennwänden der Boxen Häufig belebte sich der Hof zur Mittags- rückzuführen. Inzwischen hatte sich der entfliehen konnte. Wer hätte mich auf dem zeit wieder. Die Pferde wurden gefüttert, Schweizer im Stall zu schaffen gemacht, die Dach des großen Pferdestalls ergreifen kön- wenn sie in der Nähe arbeiteten. Auch die Kühe, Kälber und Schweine gefüttert und nen, wo die Ziegeldächer des Nachbarhau- schnellen Unimogs kehrten mittags auf den das Ritual des Melkens begonnen. Er war ses nahe waren und ein Entkommen er- Hof zurück. Dann war Leben in der Fuhr- der letzte, der den Hof verließ. Es trat jetzt möglicht hätten. Der Hof bot Schutz und un- mannsküche, die Essenskännchen wurden Ruhe ein und die Nacht begann. Aber der glaubliche Vielfalt und Freiheit. Er war uns gewärmt, die unglaublich dicken Brot- Hof schlief nie. Wüste und Llano Estacado, Balkan und Sa- schnitten mit dem Klappmesser geschnit- Ein ganz besonderer Bereich des Hofes vanne zugleich. ten. Gelegentlich bekamen wir Kinder et- war das Areal der vier riesigen Platanen, (Zweiter Teil folgt). was angeboten, wenn wir hereinschauten. dort wo heute die Besucher des Weingar- Die Eltern sahen das überhaupt nicht gerne. tens am Jahrmarkt sitzen können. Damals Sie meinten, das sei das Essen der Männer, waren hier Hunderte Weinbergspfähle in das man nicht zu schmälern hatte. Die der- großen Vierecken gestapelt, die zum Er- ben Späße verstummten, wenn wir Kinder neuern der Rebanlagen gebraucht wurden. Die Bad Kreuznacher Heimatblätter erscheinen auftauchten. Erst später als Heranwach- Diese Ansammlung von „Stickeln“ mit ih- monatlich in Zusammenarbeit mit dem Verein sende mit spitzeren Ohren verstanden wir ren Zwischengängen boten ideale Verste- für Heimatkunde für Stadt und Kreis Bad Kreuznach das Gesagte und lernten die gelegentlich cke. Man konnte auf ihnen herumklettern e.V. (i. A. Dr. Horst Silbermann, sehr deftige Sprache der einfachen Leute und sie ermöglichten den Zugang zu der Dienheimer Berg 11, 55545 Bad Kreuznach). Nummer 11/2012 BadKreuznacher Beilage Bad Kreuznach Heimatblätter

Der Hof Vom Leben im Gutshof des Bad Kreuznacher Weingutes August Anheuser in den 1950er- und 1960er-Jahren

VON DR. PETER FUCHSS, BAD KREUZNACH

Zweiter Teil

Der Verwalter hatte unter dem Eindruck der Kriegserlebnisse und der schweren Not- zeiten danach einen aus heutiger Sicht un- gewöhnlichen Arbeitsvertrag mit dem Guts- besitzer geschlossen. Wesentliche Bestand- teile waren neben dem Gehalt ein Wohn- recht im Gutsgebäude, die Lieferung eines festgelegten Quantums an Grundnahrungs- mitteln wie Kartoffeln, Mehl und Zucker, das Recht Hühner zu halten, ein halbes Schwein im Jahr und ein Gartenstück zur Nutzung. Weingutsbesitzer Egon Anheuser (Dritter von links) und Verwalter Heinrich Fuchß (rechts) beim Glühwein Der große Garten des Gutes hatte eine auf der Feldjagd. Foto: Privatsammlung Dr. Peter Fuchß, Bad Kreuznach Fläche von annähernd einem Hektar. Er lag oberhalb der Kellerei und man trat über Treppen zuerst in einen tiefer gelegenen mauerumgrenzten kleinen unteren Teil und getrockneten Pflanzen hingen von der Decke war und die öfter ausfielen, wenn es galt. Es dann in den darüber liegenden Hauptteil ein. und befanden sich in den Schubläden der war die Stunde der Geschichten, des Leh- Dieser untere Mauergarten mit seinem grob gezimmerten Schränke und Kommo- nens an den Wänden und den Türholmen. wunderbaren Kleinklima der von den Stei- den. Harken, Schaufeln, Sensen und Spaten Zoten machten die Runde und die Fuhr- nen abstrahlenden Wärme und seiner ge- hatten hier ihren Platz, sortiert nach Größe mannsküche wurde nie leer. Geschwätz schützten Südlage mit Rosenpflanzungen und Funktion und aufgehängt an langen zwischen Männern und Frauen vermischte und Pfirsich- und Aprikosenbäumen, die je- Nägeln. Dieser alte Gärtner war ein skurriler sich mit dem beständigen Gurgeln und des Jahr Früchte trugen, war ein Schmuck- Typ, der uns Kinder mit wunderlichen, fan- Tropfen des Regens in den steingepflasterten stück der Gartenkultur. Der Gärtner, den tasiereichen Erzählungen in Atem hielt, aber Abläufen zur Dohle hin, den Strömen aus sich das Gut leistete, hatte im Auftrag der auch manchmal erschreckte. Sein Nachfol- verstopften Dachrinnen über die Hauswän- Köchin ein Auge darauf, wer sich dort auf- ger war ein Macher und Schaffer, dessen de. Es war einfach alles nass, was unge- hielt. Dennoch gelang es uns Kindern, die praktisches Geschick uns in Erstaunen ver- schützt dem Himmel ausgeliefert wurde. An rechte Stunde zu nutzen und gelegentlich setzte. Er baute ein neues Gartenhaus mit solchem Tag war Arbeiten unter Dach ange- einige der schmackhaften Früchte zu ergat- Anbau für die Kleinmaschinen und Geräte, sagt, in Scheune und Keller, in den Schup- tern. Und zu Partyzeiten brachte eine Edel- wie es jetzt noch steht. Später musste er sich pen. Es wurde Holz gehackt, die Tenne ge- rose von dort dem Übermittler viel Anerken- einschränken lassen und Aushilfe in der fegt, Rüben wurden umgeschichtet, die nung. Mutter war die Verantwortliche für Kellerei leisten, so wie es dem Gutshand- Handwerkszeuge geschliffen und geölt, die unseren Gartenteil. Neben dem ausgedehn- werker schon ergangen war. Die Arbeits- Schlepper in Teile zerlegt. Geräte und Ma- ten Staudenbereich, in dem es bis in den No- kosten stiegen. Das würde zu großen Konse- schinen reinigte und wartete man. Bei dem vember hinein blühte, waren die Beete ak- quenzen für das Weingut führen. großen Bestand an Arbeitskräften litten die- kurat angelegt. Als ländliche Hauswirt- Besondere Tage auf dem Hof waren die se Tätigkeiten an Überbesatz. Aktivismus schaftsleiterin hatte sie große Passion und Regentage, vor allem im Sommer, wenn sich ging gelegentlich vor Effektivität und es bil- besondere Fertigkeiten im Gärtnern. Das die Schleusen des Himmels öffneten um den dete sich so manche Nische für den Nichts- ganze Jahr über ernährten uns das Gemüse, für Weinberg und Feld so nützlichen Dauer- tuer, den faulen Menschen am Regentag. die Früchte und Kräuter von dort. regen abzulassen. Das bedeutete eine un- Zumindest hielt sich die Anstrengung in Mutter nahm uns Kinder häufig mit zur endliche Betriebsamkeit dort. Vaters Blicke Grenzen. Der unvermeidliche Haustrunk Gartenarbeit. Wir verbrachten viele Kind- waren an einem solchen Tag der Situation spielte eine große Rolle und mancher verließ heitstage dort und wurden später angelernt angepasst: wolkenverhangen. Seine Stim- den Hof mit dem Fahrrad in steifer Haltung um tüchtig bei Pflege und Ernte mitzuhelfen. mung war schlecht. Zum einen bedeuteten oder aber mit absonderlichen Schlenkern Besonders beeindruckt hat mich der alte Regenphasen Aufschub für wichtige Arbei- und Kurven. Und wieder waren diese Heim- Gärtner, der Ende der Fünfziger in Rente ten im Weinberg oder auf dem Feld. Die kehrer bei den Familien in den Dörfern nicht ging. Der hauste in einem großen alten Feuchtigkeit machte ein Mehr an Pflanzen- beliebt und das eine und andere Drama Holzschuppen zwischen den Geräten und schutz notwendig. Aber vor allem fanden spielte sich unter den Dächern ab. Aber das Gegenständen, die das Jahr über benötigt sich an einem solchen Tag alle die auf dem hat den Hof wenig berührt, es sei denn, dass wurden. Unzählige Tüten mit Samen und Hof ein, deren Arbeitsleistung nicht die beste später fantasievolle Erzählungen und Ge- 2 (Seite 42 des Jahrgangs) Bad Kreuznacher Heimatblätter -11/2012

rüchte den Weg in die Fuhrmannsküche ge- funden hätten. So, wie es einen Tagesrhythmus auf dem Hof gab, gab es eine lange Zeit im Jahresab- lauf stets wiederkehrende Ereignisse. Die Winterruhe war sprichwörtlich. Die meisten der fest angestellten Frauen und Männer gingen „stempeln“, waren also eine Zeit lang arbeitslos und bezogen ihr knappes Salär aus der Kasse der Sozialversicherung. Kontinu- ierlich beschäftigt waren außer der Füh- rungsebene nur der Gutshandwerker, der Melker, der Gärtner und die Fuhrleute, so- weit es den Außenbetrieb betraf. Dieser war von Kellerei und Vertrieb viele Jahrzehnte völlig getrennt und erst in der letzten Phase des Bestehens des Weingutes wurden die Arbeitskräfte dem Kostendruck folgend ausgetauscht. Willkommene Abwechslung für Menschen und Zugtiere waren in dieser arbeits- und bewegungsarmen Zeit die Feldjagden. Fast immer waren es klare, frostklirrende Tage, an denen der riesige Heu- und Garbenwagen für die Jagd vorbe- Der „Varimot“ –ein Spezial-Kleinschlepper mit verschiedenen Anbaugeräten –bei der Arbeit im Weinberg reitet wurde. Zwischen den Leiterholmen (1960er Jahre). Foto: Privatsammlung Dr. Peter Fuchß, Bad Kreuznach wurde der entastete Stamm einer Fichte an- gebracht, an dem später hundert und mehr erlegte Feldhasen aufgehängt waren. Vom Speicher holte man den großen Kupferkessel Süßliches an sich. Natürlich stank das alles durch und durch dreckige Gefährt lenkten. und lud ihn auf den kleinen einachsigen An- mehr oder weniger, waren doch immer die Wir hielten uns in gehörigem Abstand von hänger, der hinter einem Schlepper ins Feld Rinnsale des Tierurins in der Nähe. Die dieser Prozedur, die aber dennoch den Reiz fuhr. Er diente an der von trockenem altem Dunglegen dampften in der Kälte, wenn sie des Ungewöhnlichen hatte. Die Fuhrleute Rebholz beschickten Feuerstelle draußen am geleert wurden. Den Arbeitern schien es sorgten natürlich auch im Winter täglich für Weinbergshaus als Behältnis für den damp- nichts auszumachen, wenn sie mit ihren gro- ihre Tiere. Sobald es ging wurden Außenar- fenden Glühwein, um den sich das loden- ben Stiefeln, dem grünen Frack oder der beiten mit ihnen wahrgenommen, vor allem grüne Jägervolk versammelte. Für die Fahrer blauen Arbeitsjacke den großen Haufen mit um sie zu bewegen. Im März ging es dann und Fuhrleute, die an diesem Tag als Treiber Gabeln und Schippen zu Leibe rückten. Es wieder zur Feldarbeit. Die leichten Pferde eingesetzt wurden und dienende Kulisse der gab für den Misttransport, der im System des konnten früher eingesetzt werden als die Jagdgesellschaft waren, war das ein beson- Weingutes als betriebseigener Wirtschafts- schweren Maschinen. Auch der Rebschnitt deres Ereignis im stetig wiederkehrenden dünger eine große Rolle spielte, also beileibe begann in dieser Zeit. Es gab genügend Ar- Jahresablauf. Das Jägerlatein des Winters nicht Abfallprodukt war, besondere Holz- beitskräfte, um ihn risikolos ohne Zeitdruck gab Stoff für Gespräche im Weinberg später karren. Diese hatten Eisenbereifung und unter Dach und Fach zu bringen. Deutlich im Jahr. wurden von einem Pferd gezogen. Der Fuhr- häufiger als heute waren damals nämlich die Im zeitigen Frühjahr, wenn die Böden mann saß auf einem kleinen Bock vor dem Winterfröste und so scheute man sich, zu früh noch gefroren waren, manchmal sogar bei hohen Mistbehälter. Auch der war aus Holz das Potenzial des Rebstocks zu begrenzen. Schnee wurden die großen Mistlegen vor gefertigt und draußen auf dem Feld oder vor Ein besonderes Ereignis in dieser Jahres- den Ställen, die tiefen betonierten Aufbe- dem Weinberg war dieses Behältnis nach phase war der Fastnachtsumzug, der bis in wahrungsorte streng riechenden Dungs der hinten klappbar, und konnte so entleert die 60er-Jahre in der Stadt veranstaltet wur- Tiere entleert und ihr Inhalt auf die Felder werden. Wenn diese ungeschlachten Karren de, also der Vorläufer der späteren Narren- und in die Weinberge gefahren. Schweine- durchs untere Hoftor hinausquietschten und fahrt. Die Pferdefuhrwerke der großen Gü- mist roch stark und scharf nach Ammoniak, hier und dort ein Mistklumpen herunterfiel, ter, der Anheusers, Herfs und von Pletten- Kuhmist duftete mehr nach Wiese und vege- galt unser Mitleid den Männern, die stoisch, bergs, waren unverzichtbare und gern gese- talem Grünzeug und die Exkremente der aber sicherheitshalber mit hochgeklapptem hene Bestandteile dieses Umzuges. Tage- Pferde hatten vermischt mit Stroh etwas Kragen dieses stinkende, dampfende und lang wurden die schmucken Geschirre ge- putzt und gefettet, die Messingverzierungen der Kummets zum Glänzen gebracht. Es wurden bunte Quasten angehängt und die Wagen grün und schwarz gestrichen. Die Fuhrleute besetzten im Ehrenkleid den Bock, dem die beste Decke aufgelegt war. Auch die fein geputzten und gestriegelten Gespanne trugen der Witterung angemessen dicke Decken im Karodessin. Diese Fuhrwerke waren der Stolz des Betriebes. In den Fünfzi- gern leistete sich das Weingut sogar, sorgsam in Flaschenseiden eingewickelte halbe Fla- schen an die Bevölkerung zu verteilen. Im März bezog die Rebenveredlerge- meinschaft der Kreuznacher Güter den Hof. Die Arbeiten begannen mit dem Ausschla- gen der Edelreiser und der Unterlagsruten aus dem feuchten Sand im Rübenkeller. Sie wurden dann zugeschnitten und die dicken Bündel der Unterlagsreben wurden in ein chinosolgetränktes Bad in einer großen Holzbütte gegeben. Der strenge, süßlich- medizinische Geruch des Chinosols ist mir noch in der Nase. Die Ruten des Rebholzes wurden in kleine Stücke zerlegt mit je einem „Auge“, der Knospenanlage. Auch sie wur- Ergebnis der Rebenveredlung: in der Lage „Narrenkappe“ im November 1953. den gewässert und behandelt und dann ging Foto: Privatsammlung Dr. Peter Fuchß, Bad Kreuznach es los im umgebauten ehemaligen Getreide- Bad Kreuznacher Heimatblätter -11/2012 (Seite 43 des Jahrgangs) 3

lager, wo beheizte, rustikale Räume bereit- standen und auf grob gezimmerten Holzti- schen die Edelreiser ausgebreitet wurden. Die Veredlerinnen und Veredler, besonders geschulte Frauen und Männer aus den um- liegenden Winzerdörfern, verdingten sich zwei Wochen lang für diese Spezialarbeit. Sie arbeiteten im Stückakkord und fanden mit unglaublichem Geschick und geübtem Auge die zueinander passenden Teile aus Edelreis und Unterlagsrebe. Dann wurde ein Zungenschnitt gefertigt und beide Bestand- teile der zukünftigen Pfropfrebe so mitei- nander verbunden, dass nichts überstand und gute Chancen für ein Zusammenwach- sen der veredelten Rebe gegeben waren. Es war faszinierend, den durch Pflaster ge- schützten Händen in ihrer Bewegung zuzu- sehen. Uns erschien es ein Wunder, dass kaum einmal Verletzungen zu beklagen waren. Einher gingen mit der harten, ge- schwinden Arbeit viele Scherze, Erzählun- Das renovierte Haupthaus des früheren Gutshofes zwischen Eisenbahn und Jahrmarkt 2012. gen, ein Eldorado des Lauschens und Auf- Foto: Privatsammlung Dr. Peter Fuchß, Bad Kreuznach schnappens und Gelegenheit, selbst einmal etwas Wichtiges oder Unwichtiges zu sagen, was die Aufmerksamkeit der Frauen und Männer fand. Ein zu loses Wort brachte dann ten Weltkrieg zerbombt, aber schon kurz Gast, der große Not litt, weil ihm Heu und auch einmal eine Backpfeife des unbemerkt danach in alter Schönheit wieder aufgebaut Stroh ausgegangen waren. Der Zirkusdirek- dazu gekommenen Vaters ein, dem Selbst- worden. Ein paar Grundstücke weiter im tor- ein winziges Männlein- machte bei Vater darstellung des Sohnes überhaupt nicht Brückes befand sich die Kellerei mit ihrem seine Aufwartung, der mit dem Nötigsten passte. Die veredelten Reben wurden in gro- Château-Ambiente und wunderbaren aushalf. Er besaß die Freundlichkeit uns ße Kisten gesetzt und mit feuchtem Säge- ebenerdigen Kellern im Hang dahinter. Das Kinder zu besuchen und da wir gerade krank mehl umgeben, das man in großer Menge untere Tor grenzte den Hof gegen die im Bett lagen, gute Besserung zu wünschen. beim Schober am Bahnhof eingekauft hatte. Pfingstwiese ab, den großen Festplatz der Heute noch erinnere ich mich daran und bin Die Kisten dienten zum sogenannten Vor- Stadt. Bahn und Pfingstwiese brachten immer noch fasziniert von diesem klein- treiben, dem ersten Zusammenwachsen der mehrere Male im Jahr Abwechslung in die wüchsigen Menschen, dessen Gesichtszüge Veredlungsstellen, dem Austrieb und der gewohnten Abläufe des Hofes. So kam der erstaunlich wohlproportioniert waren und Bewurzelung. Das alles fand in dem beheiz- Zirkus mit dem Zug an und wurde am Güter- der über feingliedrige Hände verfügte. Er ten dunklen Raum statt, in dem zuvor die bahnhof von Schienen auf Räder, Füße und war wirklich ein perfekter Miniaturmensch. Veredler gesessen hatten. Im Raum Beine gestellt. Wagen und Tiere zogen am Das regte unsere Fantasie an und wir glaub- schwebte der Geruch des Pflanzenschutz- Gutshaus vorbei, die Elefanten trotteten ten, dass eine der Zaubergestalten aus unse- mittels, das puderförmig auf die Reben ge- hintereinander, zumeist nach Größe sortiert ren Märchenbüchern höchstpersönlich an stäubt worden war. Vater war besonders und hielten sich mit dem Rüssel am Schwanz unser Bett getreten sei. stolz, wenn er am Weinbaustammtisch beim des Vorgängers. Wir Kinder bekamen eine Die unmittelbare Nachbarschaft zum Hees in der Hochstrasse, den er jeden Mon- kostenlose Tierschau geboten, denn auch die Festplatz vermittelte uns den Kreuznacher tag besuchte, von einer hohen Quote erfolg- Affen, Löwen und Tiger durften schon frische Jahrmarkt ganz besonders intensiv. Schon reicher Veredlungen berichten konnte. Luft durch die Gitterstäbe ihrer Wagen seine Vorbereitungen berührten den Hof, an Der Hof lag mit seinem nördlichen Ende schnuppern; vom Güterbahnhof bis zum dessen Rand sich die Zeltstadt und Fahrge- der Bahn zugewandt gegenüber dem Haus Festplatz waren es ja nur ein paar hundert schäfte aufbauten. Wir bekamen als unmit- der Unternehmerfamilie. Das war im Zwei- Meter. Einmal war ein Liliputaner-Zirkus zu telbare Nachbarn auch den Wandel dieses großen Volksfestes hautnah mit. Das kleine Seitentürchen am unteren Hoftor eröffnete uns die Welt des Vergnügens und der Aus- gelassenheit, aber auch den Weg zurück in die Vertrautheit des Hofes, seine Abgren- zung und Sicherheit. Es waren viele Freunde da in diesen Tagen, wir gingen gemeinsam mit den Eltern, als Heranwachsende dann alleine auf den Rummelplatz. Über allem lag der beständige Duft der gebrannten Man- deln, der Bratwürste und Spießbraten, die Musik der Fahrgeschäfte, die Geräuschviel- falt des Volksfestes. Vater hatte als Vor- standsmitglied des großen Turnvereins be- sondere Funktionen im Vereinstreff am Rande des Jahrmarkts, lange Zeit dem Saal der Wirtschaft „Zum Wiesenzelt“. Da wur- den Preise kalkuliert und Ausschankweine verkostet. Ich durfte ihn begleiten und nahm bei einem Apfelsaft begierig die Atmosphäre des leeren Raumes auf, wo es so intensiv nach Wein und Bier und dem kalten Rauch roch, so richtig nach Wirtschaft, während die ersten rührigen Hände für Sauberkeit und frische Papierdecken sorgten. Später, als wir schon nicht mehr im Gutshaus wohnten, wurde der untere Teil des Hofes geöffnet und als Wein- garten dem Publikum zugänglich gemacht. Ich betrete seither mit einer gewissen Be- troffenheit dieses besondere Stück Erde, das Der Gutshof August Anheuser (rechts unten im Bild) während eines Bad Kreuznacher Jahrmarktes in den nur noch einen Teil „meines“ Hofes umfasst 1930er Jahren. Fundstelle: 200 Jahre Jahrmarkt Bad Kreuznach. Geschichte &Geschichten. Bad Kreuznach 2010, S. 93 und sich natürlich verändert hat. Aber selbst 4 (Seite 44 des Jahrgangs) Bad Kreuznacher Heimatblätter -11/2012

das wirkt noch auf mich ein und erinnert bracht wurden. Seit Jahren waren sie auf ei- mich an die Welt meiner Kindheit. nem Abstellgleis des Güterbahnhofs mit zu- Die Bahn gegenüber dem nördlichen geschweißten Schornsteinen abgestellt. Es Hoftor brachte viel Lärm und Bewegung. endete eine Ära, wir spürten es. Wenn die dampfspeienden schweren Loko- Mit der Kartoffelernte nahte ein jedes Jahr motiven vorbeirasten, vibrierte die Erde. wiederkehrendes Großereignis: das Silieren Morgens in aller Frühe wurde auf dem Ne- und Konservieren für die Schweinemast. Ein bengleis parallel zur Güterbahnhofstrasse aus Ziegelsteinen gemauertes quaderförmi- rangiert. Die Bahn nahm keine Rücksicht auf ges Silo von erhöhten Seitenwänden drei- Schlafende. Aber wir hatten uns an diese fach umrandet diente hierzu. Es war innen Begleiterscheinungen gewöhnt und regist- mit einem Spezialanstrich schwarz ausge- rierten sie nur am Rande. In meinen frühen strichen und wurde mit gekochten Kartoffeln Kindertagen ereignete sich etwas Besonde- gefüllt und mit einer Lehmschicht abge- res, das mich in der Erinnerung bis heute im deckt. Dann kamen Planen und Holzbohlen Bann hält. Die letzten Kriegsgefangenen aus darauf um es wasserdicht zu verschließen. Russland waren angekommen. Plötzlich Der Inhalt säuerte und wurde nach und nach stand einer dieser abgemagerten, alten zum Verfüttern abgestochen, wozu das Silo Männer in Feldgrau im düsteren Licht der „portionsweise“ geöffnet wurde. Dieser Wohnungstür, fragte nach den Eltern und bat säuerlich-modrige Geruch des Schweine- Fröhliches Treiben im Weingarten während des um einen Teller Suppe. Mutter gab ihm am futters ist mir noch markant in der Nase. Jahrmarktes 2012. Tisch in der Küche zu essen. Ich sehe ihn vor Frühmorgens im September fuhr die Foto: Privatsammlung Dr. Peter Fuchß, Bad Kreuznach mir, wie er ruhig und still die Mahlzeit zu sich Dampfkolonne auf den Hof. Riesige Eisen- nahm. Die Erwachsenen sprachen nicht viel. behälter nahten, mit Rädern fahrbar ge- Nach einem kurzen Dank ging der Mann macht. Hinzu kam eine große Waschanlage, seines Weges. Der Hof gab, wenn es erfor- die hauptsächlich aus einer großvolumigen der Nachbarschaft hatte am Vortag seine derlich war. Noch ein anderes Genre der vom durchlässigen, drehbaren Trommel bestand. Gerätschaften beigeschafft. Am beeindru- Krieg Gezeichneten kam auf den Hof. Es Die großen geschlossenen Dampfbehälter ckendsten für uns Kinder war die Wurstma- waren die Händler, die Besen und Bürsten -wir empfanden sie als überdimensionierte schine, wie wir sie nannten. An einen großen anboten und in Bauchläden Nadeln, Zwirn, Töpfe -waren zu befeuern und wurden mit befüllbaren Metallzylinder war ein Stutzen Knöpfe und Bänder feilhielten. Sie klappten Wasser und den gereinigten Erdäpfeln be- angebracht, auf den die gesäuberten Därme ihre eigenartigen Läden auf und entlockten füllt. So gab es den ganzen Tag lang warme geschoben wurden. Es wurde ein großes ihnen kleine nützliche Dinge. Mit ein paar Pellkartoffeln. Man konnte sie in allen Kom- Schwungrad gedreht und der Inhalt porti- Pfennigbeträgen war Mutter immer zur binationen zu sich nehmen: mit Butter oder onsweise in die Därme gepresst. Die Länge Stelle um diesen Männern, die fast immer Wurst aus der Dose, die an diesem Tag groß- der Wurst wurde durch Abbinden mit Kordel einen abgeschossenen Arm oder ein fehlen- zügiger als sonst aus dem Keller geholt wur- bestimmt. Wir bekamen die Wurst vorher des Bein zu beklagen hatten, zu helfen. Ih- de. Abends zog der Tross klappernd und „angemessen“, indem der Meister große nen galt ihr Mitgefühl, während die Zigeu- scheppernd wieder ab. Striche mit Blut aus einem Topf auf unsere ner, wie man sie damals nannte, strikt zu- Ein Tagwerk genügte um die Schweine- Backen machte. Das war keineswegs beliebt, rückgewiesen wurden. mast in wesentlichen Teilen zu sichern. Zur aber unerlässlich um der so begehrten klei- Die Arbeit der Bahnwärter beobachteten Mast der Schweine und zur Ernährung von nen Kinderwürstchen habhaft zu werden. wir mit viel Sympathie und Interesse. Sie sa- Rind und Pferd war der Getreidebau von Die Würste und Dosen kamen in die Milch- ßen Tag und Nacht in ihren Wellblechhäus- Nutzen, der in der Mehrfelderbewirtschaf- küche, die Schinken zum Räuchern in den chen, im Winter geheizt durch stinkende tung und Brachestrategie des Weingutes Eisenofen unter dem Dach. Ganz früher kleine Kohleöfen und versahen ihren eintö- gewissermaßen als Nebeneffekt praktiziert wurden Fleischteile in schweren irdenen nigen Dienst, wenn sie die Schranken des wurde. So kamen jedes Jahr absonderliche Töpfen in sogenanntem „Lack“ konserviert. nahen Bahnübergangs hinauf- und herab- Gestalten in die Gutsverwaltung. Droben in Am beliebtesten war direkt nach der drehten. Dazu mussten sie bei jedem Wetter der großen Scheune oberhalb des Gartens Schlachtung die Bratwurst, die aber später hinaus ins Freie, denn die Kurbel befand sich war die Dreschmaschine aufgefahren und fürchterlich salzig und hart wurde. Wir ver- vor dem Häuschen. Einer der Schlepperfah- wurde mehrere Tage lang von schwarzen, weigerten dann den Genuss, was große rer des Betriebes wechselte zur Bahn. Wenn staubigen Brüdern in Betrieb gehalten. Die Missbilligung bei der älteren notzeitenori- er mit seiner Lokomotive an der Gutsverwal- Arbeiterinnen und Arbeiter des Gutes halfen entierten Generation fand. tung vorbeifuhr, ertönte ein lautes Pfeifsig- mit. Die Scheune war voller Leben, wenn die (Der dritte und letzte Teil folgt). nal. Die Eltern meinten dann, dass sei der Garben auf die Maschine geschafft wurden, Meier, er denke an seine Zeit auf dem Hof. die von einem großen Elektromotor über ei- Ende der sechziger Jahre fuhr ein trauriger nen ledernen Transmissionsriemen ange- Zug alter quietschender Dampfloks am trieben wurde. Es ratterte und rüttelte und in Gutshaus vorbei, die zum Verschrotten ge- Strömen floss das Getreide in die Säcke. In manchen Jahren war der Boden bedeckt von Mit Familie verbunden Mäusen. Die Arbeiter trugen es mit Fassung und machten viele Späße, wenn sie sahen, Im Kontakt mit der Familie Anheuser wie sich Frauen und Kinder vor den Mäusen und meinen Eltern, Heiner und Elisa- erschreckten. Diese Drescher wurden wäh- beth Fuchß, habe ich nie eine soziale rend ihres Einsatzes von der Verwaltersfrau Kluft erlebt. Unsere Familien haben verköstigt. Sie saßen in der Küche auf den roh nach dem Krieg eine Zeit gemeinsam gezimmerten Hockern und „aßen wie die auf dem Gutshof gewohnt und eine hilfs- Drescher“. Hier wurde eine Redewendung bereite Nachbarschaft gepflegt. wahrhaftig vorgelebt. Ich habe nie zuvor und Mit diesem miteinander Denken und nicht nachher Menschen gesehen, die solche Handeln wurde ich groß. Bis heute bin Unmengen an Pellkartoffeln, weißem Käse, ich mit der Familie Anheuser eng ver- Dosenwurst, Brot, Bohnensuppe und natür- bunden. lich „Jockel“ in sich hineinarbeiteten. Wenn die Nächte kühler wurden, kam die Annegret Fischer, geborene Fuchß Zeit die Schweine zu schlachten. In der Waschküche hinter dem Gutshaus wurden die Vorbereitungen getroffen. Wieder kam der große Kupferkessel vom Speicher zum Einsatz, der jetzt den alten Waschkesselein- satz verdrängte und zum Rühren und Erhit- Die Bad Kreuznacher Heimatblätter erscheinen zen der Wurstfüllungen, zum Garen des monatlich in Zusammenarbeit mit dem Verein für Der Eingang zum heutigen Weingarten auf der un- Wellfleisches und Kochen der Wurstdosen Heimatkunde für Stadt und Kreis Bad Kreuznach e.V. teren Ebene des früheren Gutshofes 2012. diente. Dazu wurde der gemauerte Herd (i. A. Dr. Horst Silbermann, Foto: Privatsammlung Dr. Peter Fuchß, Bad Kreuznach kräftig beheizt. Metzgermeister Krüger aus Dienheimer Berg 11, 55545 Bad Kreuznach). Nummer 12/2012 BadKreuznacher Beilage Bad Kreuznach Heimatblätter

Der Hof Vom Leben im Gutshof des Bad Kreuznacher Weingutes August Anheuser in den 1950er und 1960er Jahren

VON DR. PETER FUCHSS, BAD KREUZNACH

Dritter und letzter Teil

Die hohe Zeit des Jahres deutete sich schon im August an. Der Herbst stand vor der Tür, Zeit, die Früchte der Arbeit einer Vege- tationsperiode einzubringen. In den Spät- sommertagen waren alle Angehörigen des Außenbetriebes und auch einige Männer aus der Kellerei damit beschäftigt, die Lesewa- gen herauszuziehen und die Holzbütten zu säubern und zu streichen. Diese wichen spä- Gutsverwalter Heinrich Fuchß (Mitte) und Fuhrmann Nikolaus Link (rechts) gratulieren Weingutsbesitzer ter Metallbehältern, die außen grün gestri- Egon Anheuser zum 60. Geburtstag (1972). Foto: Privatsammlung Dr. Peter Fuchß, Bad Kreuznach chen und innen dick mit weißer Farbe verse- hen waren. Es bedurfte vieler Arbeitstage, aber das Arsenal der fertiggestellten Gerät- schaften, der Büttchen, Lögel und schweren Nässe ,Kälte und klebrigem Traubensaft teter Ruf „rafft die Pergele uff“ durch die Lesebehälter wuchs zusehends. Auch die ausgesetzt zu sein. Es war ein großes Privileg Rebzeilen hallte. Die Lesekolonne umfasste Rebscheren wurden jetzt geölt und mit neu- der Lögelträger, die Hände in den warmen hundert und mehr Menschen. Alles ging von en Federn versehen, wo das nötig war. Alle Taschen halten zu können! Hand und die Lese dauerte von Ende Sep- Anhänger wurden neu gestrichen. Ihre grü- Lange vor der Ernte war eine besondere tember bis weit in den November hinein. nen Aufbauten waren farblich abgesetzt vom Truppe im Einsatz: die Weinbergshüter. In Vater brachte viel Genugtuung über die Er- Fahrwerk, das in Schwarz gehalten wurde. einer wohlverschlossenen Kammer auf dem folge an den Abendtisch mit. Auch Schlecht- So war die Kolonne denn Ende September Hof waren ihre Gerätschaften das Jahr über wetterperioden konnten ihn nicht aus dem fahrbereit und konnte zur Ehre des Weingu- sorgsam aufbewahrt worden: alte Vorderla- Gleichgewicht bringen. Auf die Mannschaft tes in die Gemarkung geschickt werden. Es der-Pistolen, deren Metallläufe mit war Verlass, und am besten lief es in der Zeit war wahrlich eine blanke Wehr, die ins Ge- Schwarzpulver und Zeitungspapier gestopft der Spätlese, wenn die Schulkinder schon fecht um die besten und feinsten Trauben, wurden, bevor sie abfeuerbereit waren. Die- wieder büffeln mussten und er seine um die Spätlesen und Auslesen ging. Etwas se alten Pistolen verschwanden, als es den Stammmannschaft beieinander hatte. War Besonderes waren die Lesebleche, die den „schießenden Bleistift“ einer Zulieferfirma gar eine Trockenbeerenauslese gelungen, Speziallesen dienten, den Beeren- und Tro- gab, später die Schreckschusspistolen, wie gab es besondere Zufriedenheit und Stolz im ckenbeerenauslesen, wenn sie denn möglich wir sie heute noch kennen mit ihren Raketen, Gutshaus.In dieser Zeit brachte Vater Fe- waren. In der Weinlese entstand ein unend- viel einfacher zu handhaben als die alten derweißen aus der Kellerei mit. Nur diesen liches Gewusel auf dem Hof. Die meisten Vorderlader. Die Wege durch die Weinberge angegorenen Spätlesetraubenmost mochte Leser kamen frühmorgens hierher, vor allem wurden geschlossen und es war nach der er, noch leicht süß, aber schon von den feinen wenn es zu den weiter entfernt gelegenen damals geltenden Herbstordnung verboten Aromen der reifen Rieslingtrauben geprägt, Weinbergen ging. Auf den Fuhrwerken und sich ohne triftigen Grund dort aufzuhalten. nicht vergleichbar mit dem milchig weißen Traktoren mit ihren Anhängern saßen auf Die Zugänge zum dem Hof gegenüberlie- Getränk aus den frühreifen Sorten. Das war allen verfügbaren Plätzen Menschen, viele genden Treppenweg, der auch heute noch ein besonderes Privileg. Hier setzte der Ver- Schulkinder , Erwachsene aus der Stadt und von den Jahrmarktsgängern gerne frequen- walter seine ganze Autorität ein: „Korz, hol die ständigen Mitarbeiter des Gutes. Man tiert wird, wurden mit Dornen und Gestrüpp mir Federweißer vom St. Martin“ war die fuhr nicht hinaus ohne eine zusammenge- undurchdringlich verschlossen, damit ja klare Anweisung und der Küfermeister ge- bundene Rebwelle aus Schnittholz des Reb- niemand an die wertvollen Rieslingtrauben horchte, obwohl er dem Verwalter nicht un- stocks auf den Wagen zu werfen um das des Gutsbesitzers ging, obwohl deren Ge- terstellt war. wärmende Feuer am Rande des Weinbergs nusswert bekanntermaßen viel geringer Der absolute Höhepunkt des Jahres war zu speisen, in das zur Mittagszeit die Essens- einzuschätzen war als Federweißer oder fer- das „Stockfest“ zum Abschluss der Weinlese. kännchen gestellt oder wo einfach nur Kar- tiger Wein. Auch während der Lese selbst In den guten Zeiten des Betriebes wurde es in toffeln und Brotstücke geröstet wurden. wurde mit allen Mitteln versucht die Verluste großem Stil mit Musik und Tanz und defti- Dankbar nahmen die Leser auch die Gele- gering zu halten. Oft mussten die Leser ein- gem Essen, wobei es an nichts fehlte, für alle genheit wahr, wenigstens gelegentlich die zelne Beeren aufklauben, die unter den Mitarbeiter begangen. In der Packhalle des klammen, klebrigen Finger dort etwas auf- Stock gefallen waren. Vater teilte schon auf Weingutes feierten die Bediensteten und die zuwärmen. Es gibt kaum ein unangenehme- dem Hof besonders erfahrene und Autorität Unternehmerfamilie vom Mittag bis in die res Gefühl als in den frühen Morgenstunden ausstrahlende Arbeiter ein, deren gefürch- Nacht. Bilanz des Herbstes wurde gezogen, 2 (Seite 46 des Jahrgangs) Bad Kreuznacher Heimatblätter - 12/2012

es wurden Dankesworte gesprochen. Die Leute hatten sich fein herausgeputzt und genossen diesen Tag mit einer gewissen Ehrfurcht. Nie gab es Ausschweifungen, ganz selten betrunkenes Gehabe. Dazu war diese Feier zu wertig in sich selbst. Es kam die wechselseitige Achtung voreinander zum Ausdruck. Man fühlte sich dem Betrieb zugehörig und die Weingutsbesitzerfamilie betonte ihre Verbundenheit mit dem Perso- nal. Als das Fest dann nicht mehr stattfand, bedeutete das für die Leute weniger wegen der fehlenden Genüsse als deswegen, weil die Zeiten offenkundig schlechter wurden, einen Einbruch. Die Leute hatten das im Ge- fühl. Die Fuhrleute und Arbeiter waren einfa- che Menschen, die es fast nie zu besonderen schulischen Leistungen und Abschlüssen gebracht hatten. Ihre Sprache war eindi- mensional, viele hatten Mühe sich auszu- drücken und wurden meist unter dem Ein- fluss von Alkohol nur gelegentlich redege- wandter. Manch einer hatte schwierige Le- bensverhältnisse zuhause oder war Einzel- gänger, zumeist aber an eine dörfliche Seit Ende der 1950er Jahre ergänzen italienische Gastarbeiter mit ihrer fröhlichen Lebensweise das Großfamilie assoziiert. Herausgehobener in Stammpersonal des Gutes. Foto: Privatsammlung Dr. Peter Fuchß, Bad Kreuznach ihrer Qualifikation waren die Fahrer, von denen man Technikverständnis und auch wissend, was vielen dieser Zwangsarbeiter Arbeitskolonne im Weinberg still wegfuhr, eine gewisse Vorarbeiterrolle erwartete. Und nach ihrer Rückkehr widerfahren ist. Eine sahen sie aber an seinem Gesicht, ob es gut es gab die vielen Auszubildenden, die da- große Veränderung auf dem Hof trat Ende war oder nicht. Am Abendtisch hörten wir mals noch Lehrlinge hießen. Vater hatte als der Fünfziger ein, als die ersten Gastarbeiter manchmal Einschätzungen über die Leis- Geisenheimer Absolvent und im deutschen aus Süditalien eintrafen, die Vitos, Giovan- tungen der Mitarbeiter, aber nur selten gab Weinbau bekannter Technikspezialist viele nis, Fideles, Vincencos, Olgas und Conciet- es mehr als Andeutungen. Gelegentlich Anfragen nach Ausbildungsplätzen. Für uns tas. Nun gab es eine bunte italienische Kolo- warnte uns Vater vor zu großen Berührungen Verwalterkinder waren diese jungen Men- nie auf dem Hof. Nebengebäude waren für mit dem Personal. Er selbst war auf der Seite schen eine Bereicherung des Alltags, wohn- sie ausgebaut worden und sie blieben bis der Stillen, der Konstanten. Sein Lieblings- ten sie doch zumeist im Gutshaus und waren zum Ende des Gutes. Manche heuerten noch mitarbeiter war ein alter Vorarbeiter aus gelegentlich abends verfügbar. beim neuen Arbeitgeber an. Es roch nach Winzenheim, ein wahrlich knorriger Mann, Ein skurriler, wunderlicher Mensch war Pasta und Parmesan, häufig ertönte Musik dem kaum einmal ein Satz zu entlocken war, der Melker. Dann gab es noch den etwas eit- und melodischer Gesang. Das war ein echter der aber mit traumhafter Sicherheit alle len Gutshandwerker, der für jede seiner Kontrast zur Lebensweise der verschlosse- Weinbergsarbeiten beherrschte, Engpässe Leistungen gebührendes Lob erwartete. nen alten Weinbergsmänner, denen selten erkannte und die Fähigkeit hatte, das Rich- Frauen waren saisonal eingesetzt, sieht man ein Lächeln oder gar ein Lied zu entlocken tige zur richtigen Zeit zu tun. von wenigen Ausnahmen ab, wie zum Bei- war. Wir Heranwachsenden verbrachten Wesentlicher Bestandteil des Hofes waren spiel der Lisbeth, einer Jungfer mit Kopftuch, manche Stunde bei den fröhlichen Gesellen natürlich die Tiere. Es gab eine große Schar die oft schwerhörig tat und über manche an- aus Italien mit ihren Frauen und Kindern. Es Hühner und zur Mast bestimmte Hähnchen. zügliche Bemerkung der Kollegen hinweg- waren sehr herzliche Menschen. Vater ge- Eine Zeit lang befanden sich Zwerghühner hören musste. Im Krieg hatte es auch noss bei ihnen eine besondere Achtung. Sei- darunter, geschenkt vom Schmied Martin, in zwangsweise dienstverpflichtete Arbeite- ne Führungsqualitäten waren gefragt bei dessen bis Anfang der siebziger Jahre mitten rinnen und Arbeiter gegeben. Von diesen dieser gemischten Mannschaft. Man in der Stadt gelegener Schmiede die Guts- Russen und Polen sprachen die älteren Be- brauchte die kurzen, klaren Anweisungen, pferde beschlagen wurden. Sein Hobby war diensteten recht positiv. Sie hätten bis auf das karge Lob, gelegentlich eine kritische das Zwerghuhnzüchten und er nahm sogar wenige Ausnahmen den Weg in ihre Heimat Bewertung der Leistung. Manchmal sagte er erfolgreich an Ausstellungen teil. Mast- nur ungern angetreten meinten sie, nicht auch nichts. Wenn er nach der Visite bei der schweine fristeten ihr Dasein im kleinen Stall und durften gelegentlich im unteren Hof Auslauf halten. Uns Kinder erschreckte ihr Höllengequieke, wenn die Eimer klapper- ten, die Mischung aus silierten Kartoffeln und Getreideschrot hergestellt und auch die Küchenabfälle verfüttert wurden. Auch der scharfe Geruch der Exkremente war uns nicht angenehm. Aber immer dann, wenn die Tiere auf den Wagen des Metzgers getrieben wurden, wobei man ihre Schwänze gräuslich drehte, ging uns das alles doch sehr nahe. Trotzdem war das Wissen um den Schlacht- hof für uns nichts Fremdes. Wir akzeptierten ihn, denn er war wohl notwendig, damit es das Stück Fleisch und die Wurst auf dem Teller geben konnte. Den Kühen galt unsere besondere Aufmerksamkeit. Der Kuhstall befand sich auf dem oberen Hof, gegenüber der hinteren Haustür und war so nur einige Schritte entfernt. Diese Tiere waren im Ge- gensatz zu den Arbeitspferden jeden Tag da. Immer drückten wir uns dort herum, wenn der Tierarzt kam mit seinen beigen Knicker- bockern und gewichsten hohen Schaftstie- feln. Er nahm im Stall die künstliche Besa- Weinbergsarbeiter-Stammpersonal des Weingutes Anheuser (1968). mung der Kühe vor. Bei dieser Gelegenheit Foto: Privatsammlung Dr. Peter Fuchß, Bad Kreuznach fuhr er den Tieren mit hochgekrempelten Bad Kreuznacher Heimatblätter - 12/2012 (Seite 47 des Jahrgangs) 3

Beziehung zu den Pferden. Für uns Kinder waren diese großen Tiere Achtung gebie- tende Wesen. Wir hielten uns in gebührender Entfernung von ihnen. Gelegentlich setzten uns die Fuhrleute auf ihre dicken Rücken- es waren eine Zeit lang mächtige Kaltblüter unter ihnen. Aber es blieb nur selten Zeit für solche Späße. Oft war Thema am Tisch, dass auch diese treuen Tiere irgendwann auf den Wagen des Schlachters geführt werden würden. Mutter hätte ihnen allen am liebsten einen Lebensabend auf der Weide zuge- standen. Das geschah mit dem letzten Pferd, der „Lotte“. Niemand brachte es übers Herz dieses Tier schlachten zu lassen und so hat es lange Jahre noch als Solitär den Weinbergs- Schäferhund Hasso, der „Kamerad vieler Stunden pflug in den Reihen gezogen, geführt von ei- Lotte, das letzte Pferd des Weingutes, bei der in Hof und Garten“. nem alten Fuhrmann, der genauso schrullig Frühjahrsarbeit im Weinberg. Foto: Privatsammlung Dr. Peter Fuchß, Bad Kreuznach und faltig wie sein Tier war. Häufig wurde Foto: Matthias Luhn, Bad Kreuznach unter Eltern und Kindern die Frage der Pfer- detransporte diskutiert. In den Güterzügen konnte man ja gelegentlich Viehwagen se- Armen tief in den Hintern hinein. Diese Pro- hen, durch deren Lüftungsschlitze die Tiere ren Hunden. Auf dem Hof gehörten die zedur war schaurig-reizvoll, wobei wir mit herausschauten .Die Vorstellung, dass die Schäferhunde zum dienenden Personal. Sie den Tieren litten, die das alles mit angstvoll wunderbaren, schmucken und sehr ge- waren aber nicht nur treue Wächter, sondern aufgerissenen Augen über sich ergehen las- pflegten Gespanne den Weg nach Belgien echte Familienhunde, großartige Kamera- sen mussten. Dass der Tierarzt hinterher ei- und Frankreich gingen und dabei mögli- den und Begleiter unserer Kindheit und der nen grünen Arm hatte, machte uns schaden- cherweise Qualen zu erleiden hatten, war für Jahre des Heranwachsens. Sie lebten im froh. Es geschah ihm Recht, wenn er schon die Leute des Hofes nur schwer zu ertragen. Haus und auf dem Hof, nur am Anfang im ein solch komisches Treiben zu verantworten Besonders beliebte Mitbewohner waren Zwinger, der aber später zum Hühnergehe- hatte. Auch nach dem Kalben galt unser Au- die Katzen, die ein freies Leben in Haus und ge umfunktioniert wurde. Ihre treue Zuwen- genmerk nicht nur dem oft noch vom Tro- Hof hatten. Sie gehörten zur Familie. Zwei- dung, der Gehorsam, ihre Akzeptanz und ckenreiben zerzausten neuen Kalb, sondern mal im Jahr fanden wir in einer mit Stoffres- Klugheit waren etwas ganz Besonderes, was auch den Müttern mit den heraushängenden ten fein ausgepolsterten Kiste unter dem ich nie habe missen wollen. Hasso I hat uns Nachgeburten, die erst später verschwan- Kohleherd in der Küche ihre Jungen. Zu- besonders lange begleitet. Am Sonntag stieg den. Es wurde uns früh klar, dass Nutztier- meist brachte sie die Mutter aus der Scheune er hinauf in den „Olymp“, meine Dachman- haltung nicht in erster Linie mit Romantik zu herein, wo sie zur Welt gekommen waren. sarde ,und wartete vor der Tür, bis ich auf- tun hatte und dass am Ende der Viehhändler Mehrere Wochen waren sie Mittelpunkt des stand. Er kannte den Wochenrhythmus ganz oder Metzger stand, der das Tier seinem Le- Interesses. Es war etwas Schönes, sie auf dem genau und wusste, wenn ich frühmorgens bensende zuführte. Kopf zu kraulen, ihre spielerischen krallen- nicht in der Küche erschien, wo ich zu finden Oft war ich im Stall, nahm die Wärme die- bewehrten Abwehrbewegungen zu erleben war. Öffnete ich meine Mansardentür, lag ses Ortes auf, die Geräusche und die süßli- und ihre enorme Beweglichkeit anzusehen. die riesige Gestalt - er war ein außerge- chen Gerüche des frischen Klees in Raufe Gerne hätten wir sie alle behalten, aber die wöhnlich großer Deutscher Schäferhund - und Krippe. Es war ein seltsames Gefühl die meisten endeten unter den Händen der entspannt an der Wand und wedelte heftig saugenden Mäuler der Kälber zu spüren, Fuhrleute. Der Tod war etwas Unvermeidli- mit dem Schwanz. Dann kam er auf die Vor- wenn man ihnen den Finger überließ und sie ches in der Tierhaltung, so lernten wir das. derfüße, den Kopf mit den dunkelbraunen das Euter der Mutter zu schmecken wähnten. Aber es gab ja die Geburt neuen Lebens- wir Augen auf mich gerichtet , freudig und er- Von den üblen Streichen, die wir später als mussten das so akzeptieren. Das galt auch für wartungsvoll. Ich sprach ihn an und das Heranwachsende dem Melker spielten, die kopflosen Hühner, die reflexartig zap- brachte ihn vollends auf die Beine und er möchte ich nichts weiter erzählen. Später pelten neben dem Holzklotz. Die Männer des warf mich fast um mit seiner impulsiven schämten wir uns, den armen Mann so geär- Hofes waren für das Töten zuständig. Sie er- Freude. Wir trollten dann gemeinsam die gert zu haben. Mutter hatte aus ihrer Zeit als ledigten das als schnitten sie den Rebstock. Treppe hinunter und er bekam auf dem Kind in einer Getreidemühle eine besondere Die stärkste Beziehung hatte ich zu unse- Treppenabsatz kaum die Kurve. Seine Kral-

Die Weinlese-Mannschaft des Gutes in den fünfziger Jahren. Foto: Privatsammlung Dr. Peter Fuchß, Bad Kreuznach 4 (Seite 48 des Jahrgangs) Bad Kreuznacher Heimatblätter - 12/2012

len gaben klackende Geräusche auf dem Holzfußboden. Hasso war mein Kamerad vieler Stunden in Hof und Garten. Er wurde sehr alt. Irgendwann war er nicht mehr da und hatte beim Tierarzt die sogenannte Gnadenspritze bekommen. Das galt für alle Hunde, wenn sie gebrechlich wurden. Die Eltern begründeten das damit, dass man sie nicht ohne Not leiden lassen wolle. Den Ab- schiedsschmerz half ein neuer Freund im Hundekorb überwinden. Es gab auf dem Hof natürlich einige Gäste, die nicht dem Nutz- vieh zuzuordnen waren und auch nicht den Haustieren. Da waren Mäusenester in den Hühnerställen, Schwalben im Pferde- und Kuhstall, gelegentlich ein Marder, der die Gartenschläferpopulation klein hielt, eine unsympathische Ratte, die langen Ameisen- kolonnen, die der Mutter und ihren Vorräten das Leben schwer machten. Immer gab es etwas Lebendes zu beobachten, ereignete sich etwas Besonderes in der Tierwelt des Hofes. Auch in der Phase des Heranwachsens, Der Weingarten ist beliebter Treffpunkt während des Bad Kreuznacher Jahrmarktes. der Weiterentwicklung in der Schule, der Foto: Privatsammlung Dr. Peter Fuchß, Bad Kreuznach Auseinandersetzung mit geistigen Dingen hat mich der Hof weiter begleitet und ich ha- be seine Ausstrahlung dankbar angenom- men. Gerne ging ich am Abend nach dem ehemalige Eiskeller aus den Anfängen des Inhaltsverzeichnis des Jahrgangs 2012 Lernen für die Schule hinaus und genoss die Hofes noch da, unverrückbar und monu- Gerüche „meines“ Hofes. Häufig habe ich mental als könne der Wandel der Zeit ihm Aufsätze Heft dann in den Ferien im Betrieb mitgearbeitet nichts anhaben. Jetzt ist er vollständig ein- Hans Schneider: Spektakulärer und erstes Geld verdient. Das brachte mich gebaut und mit einem Schrägdach versehen, Fund bei Guldental. Ein römischer noch näher mit den Leuten zusammen. das ihn unkenntlich macht. Er dient nun den Fingerring belegt die Anwesenheit Selbst als Landwirtschaftsstudent saß ich Bedürfnissen der Weingartenbesucher. von Christen in unserer Region noch gelegentlich in der Fuhrmannsküche, bereits im 4. Jahrhundert. 1 sprach mit den Fahrern und Arbeitern und Neu auf dem Büchermarkt der Heimat Kerstin Zehmer: Jüdische Frauen berichtete aus der für sie fremden akademi- in Bad Kreuznach. Ihr Leben und Wirken schen Welt. Auf der Höheren Schule war ich Martin Senner: 52 Geschichten aus in der Geschichte der Nahestadt. 2 als Hofmensch ein Außenseiter. Die Söhne Kreuznachs Geschichte. Band 7. Rainer Seil: Zur Wirtschaftslage der Ärzte, Beamten und Selbstständigen im Bad Kreuznach 2012. 112 Seiten. Preis 9,80 des Nahegebiets um 1935. Altsprachlichen waren in einer Euro. ISBN: 978-3-935516-76-1. Erhältlich im Aus einer Bestandsaufnahme des anderen Welt aufgewachsen. Ich war ein Buchhandel und beim Verlag Matthias Ess. Koblenzer Regierungspräsidenten. 3 Exot, ein Kind vom Land am Rande der Stadt. Carl Ferdinand Harrach: Eine Höfe der hier beschriebenen Form gibt es Der Bad Kreuznacher Historiker Dr. Mar- Zeitungs-Dynastie zwischen Tradition heute nicht mehr, weil sich die Struktur der tin Senner, der die Akten- und Zeitungsbe- und Fortschritt. 125 Jahre Verlag und landwirtschaftlichen Betriebe und Weingü- stände des Archivs seiner Heimatstadt kennt Familie Harrach in Bad Kreuznach. 4 ter in unserer Gegend völlig verändert hat. wie kein Anderer, hat aus diesem Quellen- Rolf Schaller: Von Salzquellen und Das gilt vor allem für ihre Arbeitsverfassung. fundus erneut 52 teils kuriose, teil erheitern- Gradierwerken. Zur Geschichte der Die Vielfalt und das in sich geschlossene de, immer aber interessante Geschichten Kreuznacher Mineralbrunnen (3 Teile). 5-7 System sind Vergangenheit. Der Betrieb hat zusammengestellt und sie den folgenden, Dr. Horst Silbermann: Pragmatische den Gang vieler großer Lohnarbeitsbetriebe seit dem ersten Bändchen von 2006 unver- Pädagogik. Ein Brief der Bad im deutschen Weinbau gehen müssen. Er ändert gebliebenen sieben Themenberei- Kreuznacher Lyzeumsdirektorin wurde veräußert und zerteilt. Gutsverwal- chen zugeordnet: „Kreuznach wird Bad – Lina Hilger (1874-1942). 7 tung, Schuppen, die anliegenden Gebäude und immer moderner!“, „Handel und Wan- Rainer Seil: Ein früher Beitrag zur wurden an verschiedene Parteien verkauft. del“, „Kreuznacher – und andere Men- Geologie des Hunsrück-Nahe- Die Scheune ist abgebrannt. Auf ihren Fun- schen“, „Einfach tierisch!“, „Fast schon kri- Raumes (1823). Kritische Betrachtung damenten wurde ein Wohnhaus gebaut. minell“, „Feste und Feiern“ und „Die Große der „geognostischen Betrachtungen“ Unten im Hof ist am Jahrmarkt der Weingar- Politik“. Wer wissen möchte, was sich hinter des Geologen Hermann Josef Burkart ten eingerichtet und bietet unter den vier Überschriften wie „Schnellboot statt Stra- (1798-1874) zum Kreis Kreuznach. 8 Platanen und in den alten Schuppen Platz für ßenbahn?“, „Milch vom Fliegenpilz“, „Der Jörg Julius Reisek: „Ich bin sehr ausgelassenes Treiben. Lange Zeit stand der Doktortitel aus USA“, „Zelemochumer Chi- gnädig von ihnen empfangen worden.“ mären“, „Blutrausch im Weinberg“, „Bohè- Samuel Chappuzeau besucht 1669 me in Braun“ oder „Bad Hohenzollern“ ver- den Pfalz-Simmerschen Fürstenhof birgt, wird in der siebenten Ausgabe von zu Kreuznach – Ein Mosaikstein zur Senners „Geschichten aus Kreuznachs Ge- Kreuznacher Residenzgeschichte. 9 schichte“ überraschende Auskunft erhalten. Dr. Peter Fuchß: Der Hof. Vom Im Hinblick auf das im Jahre 2013 anste- Leben im Gutshof des Bad Kreuznacher hende 100-jährige Jubiläum des Kurhauses Weingutes August Anheuser in den hat der Autor sein Büchlein „den goldenen 1950er und 1960er Jahren (3 Teile). 10-12 Jahren unseres Bades“ gewidmet. Wie im- mer: kaufens- und lesenswert! Buchbesprechungen (Dr. Horst Silbermann) Ulrich Hauth: Von der Nahe in die Ferne. Zur Geschichte der Eisenbahnen In der Nahe-Hunsrück-Region. Bad Kreuznach 2011. (Dr. Silbermann) 1 Martin Senner: 52 Geschichten aus Die Bad Kreuznacher Heimatblätter erscheinen Kreuznachs Geschichte. Band 6. monatlich in Zusammenarbeit mit dem Verein Bad Kreuznach 2011. (Dr. Silbermann) 1 Historische Traktoren als Ausstellungsstücke im für Heimatkunde für Stadt und Kreis Bad Kreuznach Martin Senner: 52 Geschichten aus Weingarten auf dem Gelände des früheren Gutsho- e.V. (i. A. Dr. Horst Silbermann, Kreuznachs Geschichte. Band 7. fes. Foto: Privatsammlung Dr. Peter Fuchß, Bad Kreuznach Dienheimer Berg 11, 55545 Bad Kreuznach). Bad Kreuznach 2012. (Dr. Silbermann) 12