Freier Download BA 60 Als
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B A A L D C H E M 6 0 Y 1 Alles renkt sich wieder ein Irgendwann geht es vorbei Der Schmerz tut weh und es wird besser Nur durch unsere Melodie Lass den Kopf nicht hängen Sweetheart! Es wird alles wieder schön Halt die Ohren steif, my darling Und unser Glück wird in Erfüllung gehn Eva Jantschitsch 2 Andere denken bei der Zahl 23 an Burroughs‘ 23 Skidoo, die Illuminatus- Reihe von Wilson & Shea oder den Hacker Karl Koch. Wir denken dabei an den Saxophonisten, (Bass)-Klari- nettisten, Allroundkünstler, Projekte- macher und Mindfucker ALFRED 23 HARTH und noch im selben Atemzug an Goebbels / Harth (1975-88) und Cas- siber (w/ Anders, Cutler, Goebbels, 1982-84), vielleicht auch noch Ge- stalt et Jive (w/ Beresford, Hollinger, Richard u. a., 1984-88), Lindsay Coo- per‘s Oh Moscow (1987-93) und Vla- dimir Estragon (w/ Einheit, Haage, Minton, 1988-89). Und haben dabei einen Typen in Erinnerung in blauer Designerbrille, der insgeheim als empfindlich und ‚schwierig‘ galt, defi- nitiv one of the "complicated" types*, alles andere als unbewandert in den ‚Principia Discordia‘. Anything Goes – Jazz ist eigentlich ein querstehendes Gefühl Dass A23H über einen einzigartigen Ton auf Tenorsax und Bassklarinette verfügt, verstellt durch den Instrumentalisten leicht den ganzen Harth, den kreativen Tau- sendsassa mit einer angeborenen Vorliebe für Ausgefallene & Ausgefallenes°, den elektroakustischen und audiovisuellen Jongleur mit Max Bense, Zen und Flu- xus, den polystilistischen, mit Duchamp-Pisse getauften, Schwitters-verzwitterten Kunstmacher und Foto-Grafen, den Gedichtmetz und Blogspötter, der sich (mit kritischem Abstand) zum alten Europa bekennt, zu Charly Parker und C.G. Jung als persönlichen Mindblowern, zu einem Faible für Fabeln, Fiktionen und Korre- spondenzen, mit dem man über Winnetou ebenso parlieren könnte wie über Gurdjieff, der in Bekanntem von Doris Lessing (Bemerkungen über den Planeten Shikasta, 1987) oder Brodskij ebenso belesen ist wie in weniger Bekanntem von Paul Scheerbart oder seinem doppelgesichtigen Namensvetter Camillo Harth / Peter Duhr. Aber wie eloquent A23H auch mit Klängen, Bildern, Worten spielt, sie bilden - kombiniert und rekombiniert - letztlich nur den einen ‚Text‘, der das weiße Blatt des eigenen Selbst mit wachsender Selbsterkenntnis beseelt. Das Schöne daran ist, dass A23H diesen ‚Text‘ als Offenen Brief verfasst. BA hatte A23H so um 1989/90 rum aus den Augen verloren und als dann die enge Verbindung zu ‚Recommended‘ insgesamt abriss, entging mir (damals) sogar so Einschlägiges wie die feministischen Domestic Stories (ReR, 1992), Lutz Glan- diens drachenschuppig schillernde Vertonungen von Chris Cutler‘scher Babel / Bibel-Mythopoesie. Dagmar Krauses Gesang, Cutlers schepperndes Drumming, Fred Frith an Bass & Gitarre und eben Gebläse von A23H bilden die Quersumme aus Art Bears, News From Babel und Cassiber. Cutler raunt von 7 Teufeln, 7 Schleiern, 7 Toren, von Lilith, Salome und Magdalena, zeigt, dass die Schlange im Paradies und die, die um Äskulaps Stab sich schlingt, Schwestern sind, gibt Frei- heit den Vorzug vor Eden. Schon dadurch ein unverzichtbarer Lichtblick im Pri- matenfeld, macht Harths Ton, seine eindringlichen Statements bei ‚Unquiet Days in Eden‘, ‚Pharmikon‘ oder ‚Red, Black, Gold‘, diesen Songzyklus zu einer Her- zensangelegenheit, zu purer Bad Alchemy. Dieses quintessentielle Konzeptalbum ist eine Perle in der RIO-Krone und in Harths Diskographie. 3 > < Der Zeitgeist jener Jahre ließ BA die Fühler Richtung Soviet-Avantgarde und CSSR-Un- derground ausstrecken, während A23H mit dem TRIO TRABANT A ROMA 1991 in Ess- lingen State of Volgograd (FMP, 1994) einspielte und zusammen mit dem Ex-Moskauer Pianisten Simon Nabatov, dem polnischen Bassisten Vitold Rek und dem GTC-Trommler Vladimir Tarasov aus Vilnius das QUASARQUARTET bildete, von dem der Live-Mit- schnitt POPendingEYE (free flow music, 1992) aus der Alten Oper in Frankfurt zeugt. Da- mals lief einiges asynchron, so manches Traumschiff auf Sand. Avantgarde & Unter- grund hinter dem Vorhang waren so schnell verdunstet, dass erst gar nicht die Notwen- digkeit einer neuen Retrogarde bewusstseinsfähig wurde. Oh Moscow seufzte man nun aus anderen Gründen, die Mottos hießen ‚Osterweiterung‘ und ‚Umzug nach Europa‘. Das Trio vereinte Harth, der 1970 mit Just Music auf dem Jazzfestival Prerov noch Le- nins 100sten mitgefeiert hatte, mit Lindsay Cooper, Veteranin des Sturms auf den Win- terpalast, & Phil Minton, seinem Reisegefährten zum Planeten Shikasta, Mitverkuppler von Aleister And Alice (1987) und mit Vladimir & Estragon gewürzter Trauergast auf Fin- negans Beerdigung, oder war‘s Godot, der von uns gegangen war? Die frühen 90er ka- men mit dem Begraben nicht nach, taumelnd zwischen ‚1st2nd3rd&4th‘ Welten, auf der Suche nach verlässlichen Magnetpolen auf der zerzausten Windrose. Exit Moskau, enter Mekka? Die drei Trabanten tourten zwischen Stalingrad und Wolkenkuckucksheim, machten Schluss mit poppiger Augenwischerei und empfahlen Spinat. Cooper mit Fagott & Sopranino, Harth mit einem Vollspektrum an Gebläse, Minton als Minton, alle abwech- selnd mit Piano, dazu Keyboards und elektronische Effekte, so probierten sie zwischen Beauty & Biest und Non & Sense bab(b)ellogische Sprechweisen, mit Cooper-Harth als pfingstlichem und Minton als calibanischem, polymorph-perversem Element, das erst recht verblüfft, wenn es lauthals There will be other songs to sing anstimmt (‚beyond cut‘ aka ‚There Will Never Be Another You‘). Das Quartett andererseits - und ganz anders - wechselte zwischen Coltrane‘esker Hymnik und fast nur geträumten Melodiefetzen, plin- kendem Glockenklang, perlenden Läufen oder futuristisch gehämmertem Pianoratta- zäng. Nabatov ist mehr noch als Ganelin mit europäischen Wassern gewaschen, wäh- rend Tarasov feingliedrig changiert zwischen seiner snare-rasselnden, silbrig pingen- den und tockenden ‚Atto‘-Folklore und Hot-Cat-Swing. Harths vollmundiger Gesang und Feueratem jagt einen immer wieder aus melancholischem Brüten und spleenigen Lau- nen auf ins Licht, lässt einen im übernächsten Atemzug mit heiterem Zungenschlag ins Schlaraffenland tänzeln, um doch recht besonnen und lakonisch zu enden. + = ? 4 Jahrzehntelang war Frankfurt das kreative Zentrum des 1949 (1+9+4+9 = 23!) in Kronberg im Taunus geborenen Sprosses einer Kaufmannsfamilie, die aus Rothenfels im Spessart stammt. Zu seinen multiplen Aktivitäten dort hatten bereits Mitte der 60er das Centrum Frei- er Cunst gezählt, das Ensemble Just Music (1967-70), mit dem er 1969 auf ECM debutierte, oder die Punkjazzgroup (1979, w/ C. Anders, Nicole Van den Plas u. a.) als Cassiber-Vorläu- fer. Dazwischen war sein Aktionsradius schon europäisch geworden mit EMT (1971-74, w/ N. van den Plas & S.-A. Johansson) und der Gunter Hampel Galaxy Dreamband (1973-74). Später organisierte er in Ffm dann die Avantgardegalerie waschSalon (1984-91), das Kunstkonzept ‚Gedankenhotel‘ (1993-95) und nicht zuletzt lancierte er 1993 den Avant- gardezirkel FIM (Frankfurts Indeterminables Musiqwesen) mit dem eigenen Recout-Label als Forum. Neben Seti im Club (w/ Peter Fey, 1991), dem Stern4et (1994) oder Tattoo (2000/01) ging mit IMPERIAL HOOT (1998-2000, vorher Imperial Hot, 1996-97) daraus ein Projekt hervor, das im Verbund mit dem Drummer Günter Bozem, Christoph Korn an Gitarre & Bass und Marcel Daemgen am Soundsystem Harths Faszination durch Liveelektronik be- förderte, nachdem die Mixadelic-Scheibe Pollock (1996) und die programmatische Cut-up- LP Anything goes (1986) bereits sein Interesse an postmoderner Metaauthentizität, Sampling und Eigenblutdoping gezeigt hatten. Secrets of Development (Blue Noises, 1999) steht beispielhaft für ein unpuristisches Collagieren, den Einsatz von Samples und automa- tisierter Rhythmik, alles Elemente, die dann durch etwa Thirsty Ears Blue Series zum Maß avancierter ‚Jazz‘-Dinge wurden. Aber allein mit seinem ungeheuerlichen Bassklarinetten- spiel auf ‚You cannot break even‘ macht Harth Rudi Mahall den Dolphy-Award abspenstig, wobei Korns erratische Gitarreneinsprengsel für zusätzlichen Lustgewinn sorgen. Ein Monstertrack, der, wie sehr auch elektronisch angekurbelt und mit Stimmsamples gespickt, zuletzt dem Tenorsax abverlangt, noch einen besonders schönen Punkt aufs i zu setzen, ein Genuss, den ‚Loon‘ fast noch etwas krasser sogar noch topt. Daemgen & Korn griffen übri- gens (w/ O. Augst) als ARBEIT, Daemgen & Augst zudem mit TEXTxtnd & EMT (sic!), die ‚Arbeit am Lied‘ im Geist einer ‚Frankfurter Schule‘ und Goebbels-Harth‘scher Lehrpläne wieder auf mit dem von Harth persönlich angereicherten Projekt Brecht-Eisler (1999) und den Arbeiter- & Volksliedneubearbeitungen MARX (2004) und JUGEND (2007). Guenter Bozem / Christoph Korn / A23H / Marcel Daemgen,1998 Letztlich hat A23H aber sein Glück nicht gefunden am Main. Grund genug, zwischendurch nach Paris zu wechseln. Sweet Paris (1990) übersät die Seinemetropole mit Harth‘schen Fingerabdrücken. Zeilen, die der Karlsruher Maler Wolf Pehlke aus Paris geschrieben hat, gelesen von Schauspielern und Passanten, sind gebettet auf orchestrale Samples, O-Ton Paris und Drummachinebeats und durchmischt mit Musik von Wolfgang Seidels Populäre Mechanik (1983), La Guardia (1987, w/ L. Rudolph, S. Wittwer & W. Wito), Gestalt et Jive (1984), Projekten mit Van den Plas (1972 & 79) und sogar einem ‚Melancholy Blues‘ von 1965. Mit ‚Oberkampf‘ & ‚Stalingrad‘ logiert A23H im Hotel Majestic, aber Paris zeigt sich spröde und Melancholie und Rückzug waren angesagt. Mit ‚Sweet & Bitter Little Death‘ ver- abschiedete er sich mit einem