LWL-Landesjugendamt Westfalen

Ideen & Konzepte 56

Hilfe zur Selbständigkeit – gelingende Übergänge gestalten Abschlussbericht des Modellprojektes Impressum

Ideen & Konzepte Nr. 56 Hilfe zur Selbständigkeit - gelingende Übergänge gestalten Abschlussbericht des Modellprojektes Herausgeber: Landschaftsverband Westfalen- LWL-Landesjugendamt Westfalen 48133 Münster www.lwl-landesjugendamt.de

Autoren: Prof. Dr. Dirk Nüsken, Neukirchener Jugendhilfe Institut (NJI), wissenschaftlicher Leiter Peter Lukasczyk M.A., Wissenschaftlicher Mitarbeiter Auflage: 750 Expl. Druck: Druckerei Kettler, Bönen Titelgestaltung Andreas Gleis, Titelbild: ©1STunningART - stock.adobe.com

Münster, im Juni 2019

Mitwirkende aus den Modellstandorten: Kreis Siegen-Wittgenstein Andrea Bosch, RSD-Regionalstellenleitung Sandra Thiemt, Jugendhilfeplanerin Rebecca Feierabend, Fachkraft im RSD Stefan Schmidt, Jobcenter Siegen-Wittgenstein, Teamleitung Integration-Point Christian Moore, Jobcenter Siegen-Wittgenstein, Teamleitung U25 Torsten Stephany, Bereichsleitung ambulante Hilfen bei der Ev. Jugendhilfe Friedenshort Siegen GmbH

Kreis Anke Frölich, ASD-Leitung Ina Buchholz, Regionalteam ASD Lena Brehm, Fachdienst UMF, Jugendamt, Kreis Warendorf Heinz-Bernd Mehl-Klein, Caritasverband im Kreisdekanat Warendorf e.V. Matthias Peilert, Jobcenter Laura Schlingmann, Jobcenter, Jugendberufsagentur

Kreis Lippe Tobias Schelenberg, Spezialdienst UMF, Jugendamt Ulrike Glathe, Fachgebietsleitung Soziale Dienste, Jugendamt Maren Stücke, Spezialdienst „Verselbständigung“, Jugendamt Wolfgang Eidmann, Fachgebietsleitung, Jobcenter Frank Mensching, Fachgebietsleitung, Jobcenter Jaqueline Donath, Beschäftigungsorientierte Beratung U25, Jobcenter Jerome Köhler, Leitung, Jugendsiedlung Heidehaus e.V. Evelyn Eickmeyer, Erziehungsleitung, Fürstin-Pauline-Stiftung Frau Schmidt, Bereichsleitung, SOS Kinderdorf Lippe Laura Krüger, Teamleitung Berufsberatung, Agentur für Arbeit

Stadt Rheine Sabrina Dierker, Spezialdienst „Reintegration+Verselbständigung/UMA“, Jugendamt Georg Friedrich Becker, Evangelische Jugendhilfe Münsterland, Leitung HzE Inga Knappmeier-Jürgens, Jobcenter Kreis , U25 Fachteamleitung, Regionalbereich Rheine Norbert Ortmeyer, Agentur für Arbeit, Rheine Ferdinand Plagemann, Caritas Kinderheim Rheine, Fachbereichsleitung Junge Erwachsene+Migration

Koordination im LWL-Landesjugendamt Westfalen Jutta Möllers - Referat Erzieherische Hilfen Dr. Hildegard Pamme - Referat Erzieherische Hilfen Kinder brauchen einen guten Start. Ich kümmere mich darum.

Mareike Wilke

DAS JUGENDAMT. Unterstützung, die ankommt. www.unterstuetzung-die-ankommt.de Hilfe zur Selbständigkeit – gelingende Übergänge gestalten

Abschlussbericht des Modellprojektes

Mit zahlreichen weiteren Materialien unter: www.gelingende-uebergaenge.lwl.org

Vorwort 3

Vorwort

Jeder junge Mensch hat gem. § 1 Abs. 1 SGBVIII das Recht auf Förderung seiner Entwicklung und Erziehung zu einer ei- genverantwortlichen und gemeinschafts- fähigen Persönlichkeit. Dieses Recht kann nur erreicht werden, wenn die zuständi- gen Leistungsträger gem. § 81 SGB VIII strukturell zusammenarbeiten. Das LWL- Mein Dank gilt allen Beteiligten: den Pro- Landesjugendamt Westfalen engagiert jektverantwortlichen und -teilnehmenden, sich daher in vielfältiger Weise, Kooperati- der wissenschaftlichen Begleitung so- onen systematisch zu unterstützen und zu wie den LWL-Fachberaterinnen. Ich freue stärken. mich, dass Sie alle im Sinne der jungen Menschen in Westfalen-Lippe so enga- Mit dem vorliegenden Abschlussbericht giert im Projekt mitgearbeitet haben und des Modellprojektes „Hilfe zur Selbsthilfe wünsche mir, dass die Ergebnisse des Mo- – gelingende Übergänge gestalten“ wird dellprojektes anregend für die Praxis vieler ein zentraler Beitrag zur Stärkung von Kommunen und Kreise wirken werden. Kooperationsbezügen an einer besonders fragilen Stelle geleistet. Der Übergang in Münster, im Juni 2019 ein eigenverantwortliches Leben kann in- Ihre dividuell brüchig sein, weil der Weg in die emotionale, soziale und finanzielle Selb- ständigkeit selten gradlinig verläuft. Er ist für junge Menschen, die vor oder im Über- gang ins Erwachsenenleben Unterstützung durch Hilfen zur Erziehung erhalten, auch Birgit Westers institutionell verletzlich. Zu häufig werden Landesrätin Hilfen nicht rechtzeitig, nicht weitgehend LWL-Landesjugendamt, Schulen, Koordinationsstelle Sucht genug und nicht ohne Brüche bewilligt.

Die Freude war daher groß, als sich 2016 die vier Modellstandorte – die Stadt Rhei- ne sowie die Kreise Lippe, Siegen-Wittgen- stein und Warendorf – gefunden hatten, um mit Hilfe verbindlicher, lokal abge- stimmter Übergangskonzepte kooperative Antworten auf diese Herausforderung zu finden. Wer einmal hilfesystemübergrei- fende Kooperationen initiiert und weiter- entwickelt hat, weiß, wie viel Geduld und gegenseitiges Verständnis die verschiede- nen Leistungsträger brauchen, um gelin- gend zusammenzuwirken.

Inhaltsverzeichnis 5

Inhaltsverzeichnis

Einleitung: Übergänge gelingend gestalten 7

1. Wissenschaftliche und fachpraktische Zugänge 10 1.1 Gelingende Übergänge in und aus den Hilfen zur Erziehung 10 1.2 Fachpolitische Verortung und Fallzahlenentwicklung 13 1.3 Rechtliche Vergewisserungen 15 1.4 Zur fachlichen Perspektive öffentlicher und freier Träger 17 1.5 Übergänge gestalten - Forschungsergebnisse 19 1.6 Zwischenbilanz: Perspektiven und Anforderungen an lokale Übergangskonzepte 25

2. Das Modellprojekt „Hilfe zur Selbständigkeit – gelingende Übergänge gestalten” 28 2.1 Projektbeschreibung 28 2.2 Projektverlauf 29 2.3 Evaluationskonzept 33

3. Ausgangssituation, Herausforderungen und Ergebnisse in den vier Modellstandorten 35 3.1 Stadt Rheine 35 3.2 Kreis Lippe 39 3.3 Kreis Siegen-Wittgenstein 41 3.4 Kreis Warendorf 44 3.5 Die Standorte im bewertenden Vergleich 46

4. Drei-Stufenmodell zur Qualitätsbeschreibung 49 4.1 Strukturqualität 49 4.2 Prozessqualität 51 4.3 Ergebnisqualität 53 4.4 Transferpotentiale aus Sicht von Expert*innen 55

5. Fazit und Ausblick 58

6. Literaturverzeichnis 62

7. Anhang 66 6  Einleitung: Übergänge gelingend gestalten 7

Einleitung: Übergänge gelingend gestalten

„Es ist noch nie jemandem gelungen, und sozialen Ressourcen ihrer Herkunfts- einen anderen zu verselbständigen. familie zurückgreifen. Gleichzeitig weisen Es hat ja auch noch niemand eine ihre Biografien Brüche auf, die ihnen den Pflanze gewachsen. Wir haben Mög- Übergang in die Selbständigkeit deutlich lichkeiten Rahmenbedingungen zu schwerer machen und sie vor größere Ent- schaffen, die der Verselbständigung wicklungsleistungen stellen. förderlich sind. Unter partizipativen, flexiblen, am Jugendlichen und seinen Gemäß § 41 SGB VIII soll jungen Volljäh- Ressourcen orientierten Bedingungen rigen für die Persönlichkeitsentwicklung kann Verselbständigung in ganz viel- und zu einer eigenverantwortlichen Le- fältiger Weise gelingen. Den Rest ma- bensführung daher so lange Hilfe gewährt chen die jungen Leute schon selbst“ werden, wie es aufgrund der individuellen (Bedarf 2015, S. 33). Situation des jungen Menschen notwen- dig ist. In begründeten Einzelfällen auch Selbständiges Leben ist eine Herausfor- über das 21. Lebensjahr hinaus. Ein Blick derung: Wer sein Elternhaus verlässt, ist in die amtliche Kinder- und Jugendhil- auch danach immer mal wieder für einen festatistik zeigt jedoch ein anderes Bild: Rat oder eine Finanzspritze dankbar. Fällt Zwischen dem 17. und 18. und dem 18. die Entscheidung über eine selbständige und 19. Lebensjahr gehen die Fallzahlen Zukunft schwer oder war die Ausbildung der Hilfen zur Erziehung deutlich zurück oder das Studium doch nicht das Richtige, (HzE-Bericht 2015, S. 28). Wissenschaftli- tut es gut zu wissen, dass der Weg zurück che Untersuchungen zeigen zudem, dass ins Elternhaus (zumindest vorübergehend) die Gewährung von Hilfen gem. § 41 SGB offen steht. Insofern hat ein großer Teil der VIII nicht nur insgesamt begrenzt, sondern jungen Erwachsenen eine „Rückkehropti- auch regional sehr unterschiedlich erfolgt on“. Wir Erwachsenen wissen das häufig (vgl. Nüsken 2008). Es scheint, als ob viele aus eigener Erfahrung. Jugendämter noch immer die Volljährigkeit mit dem Ende der Hilfen gleichsetzen. In Der Übergang ins Erwachsenalter stellt für der Konsequenz müssen junge Menschen, junge Menschen generell eine Lebensphase die die Hilfe verlassen, sog. Care Leaver, dar, die angesichts von Individualisierung im Übergang zur Selbständigkeit mit we- und Pluralisierung, Digitalisierung und Glo- niger Unterstützung als ihre Altersgenos- balisierung an Herausforderungen zuge- sen auskommen. Die statistischen Daten nommen hat und tendenziell immer länger zeigen darüber hinaus, dass knapp ein dauert. Das durchschnittliche Alter junger Drittel der Care Leaver zum Zeitpunkt der Menschen, die ihr Elternhaus verlassen, Beendigung der Hilfe weder eine Schule liegt derzeit zwischen 23 und 24 Jahren. besuchen, noch eine Ausbildung machen oder eine Berufsförderung erhalten (Ju- Für Kinder und Jugendliche, die ganz oder gendhilfe aktuell 3/2012, S. 18). teilweise in der öffentlichen Erziehungshil- fe aufgewachsen sind, birgt dieser Über- Hinzu kommt, dass Care Leaver die ihnen gang weitere Unsicherheiten: Anders als prinzipiell zustehenden Hilfen aus ande- ihre Altersgenoss*innen können sie nicht ren Sozialgesetzbüchern (z. B. Grundsi- oder nur eingeschränkt auf die materiellen cherung, Arbeitsförderung, Wohngeld 8

gestellt werden und bringt diesen bedenk- lichen Sachverhalt auf den Punkt.

Und was sagen die jungen Menschen, wenn eine Entlassung aus der Jugendhilfe fachlich nicht geboten ist, die Hilfe aber trotzdem nicht (weiter) gewährt wird?

„Es kann ja nicht sein, dass die beim Ge- sundheitsamt mich erst für bekloppt er- klären müssen, damit ich weiter in der Ju- gendhilfe bleiben kann. Dann versuch ich es lieber alleine. (lacht) Am Ende stellen die noch was fest…“ (Marvin, wird bald 18) (Bedarf 2015, S. 33)

© Simone - stock.adobe.com „Ich hab jetzt gehört, dass ich warten soll, bis ich 21 bin. Dann bekomme ich Hilfe. etc.) oftmals faktisch nicht in Anspruch Solange ich 20 bin, würde das abgelehnt. nehmen, weil die Tatbestandsvorausset- Irgendwie ist mit 21 eine andere Behörde zungen der Leistungsträger sich zum Teil zuständig oder so.“ (Farina, 20 Jahre, widersprechen und die jungen Menschen seit 18 Monaten ohne festen Wohn- in der Konsequenz vom Jugendamt auf sitz) (Bedarf 2015, S. 33) die Arbeitsagentur, von der Arbeitsagen- tur ans Jobcenter und vom Jobcenter zum Diese Ausgangslage und die Erfahrungen Sozialamt verwiesen werden. Care Leaver von Care Leavern hat das LWL-Landes- drohen somit im „Bermuda-Dreieck“ der jugendamt zum Anlass genommen, sich Rechtskreise unter zu gehen. intensiv in einem Drei-Schritt dem Thema Care Leaver und Übergänge zu widmen: „Ausgerechnet diejenigen, deren Auf- Erstens mit der Fachtagung „Hilfe für jun- wachsen „an einem anderen Ort“ eine ge Volljährige und Übergangsbegleitung“ Vielzahl biografischer Belastungen in- 2014, zweitens mit dem Fachmagazin diziert, sind mit 18 so erwachsen und JUGENDHILFE AKTUELL unter dem selbständig, dass sie keiner weiteren Schwerpunktthema „Hilfen für junge Voll- Begleitung und Unterstützung bedür- jährige und Übergangsbegleitung - Dieser fen?!“ und „Wirkt Hilfe zur Erziehung Zug endet hier. Thank you for travelling so phänomenal, dass pünktlich ab 18 with deutsche Jugendhilfe“ 2015 sowie alle Wunder vollbracht sind und die drittens mit der Konzipierung eines Mo- Hilfe eingestellt werden kann?“ Mit dellprojektes, welches im Dezember 2016 diesen provokanten Fragen spielt Norbert an vier Standorten in Westfalen-Lippe ge- Struck (2013), Jugendhilfereferent des startet ist. Zuvor hatte der Landesjugend- Paritätischen Gesamtverbandes auf den hilfeausschuss die finanzielle Förderung Widerspruch zwischen einer sich verlän- des Modellprojektes beschlossen. gernden Jugendphase und einer restrikti- ven Hilfegewährung im Bereich der Hilfen Ziel des Modellprojektes war die Ent- für junge Volljährige an. Sie kann neben wicklung lokal abgestimmter und ver- den stationären Hilfen gleichermaßen für bindlicher Übergangskonzepte für die die teilstationären und ambulanten Hilfen Begleitung von Jugendlichen/jungen Voll-  Einleitung: Übergänge gelingend gestalten 9

jährigen in ein selbständiges Leben in bzw. nen. Im Anschluss an die Ausführungen nach der (stationären) Erziehungshilfe/Hil- zu den wissenschaftlichen und fachprak- fe für junge Volljährige. tischen Zugängen zu dem Thema Hilfe zur Selbständigkeit - Gelingende Übergänge Mit Professor Dr. Dirk Nüsken vom Neu- gestalten“ (Kapitel 1) und der Projektbe- kirchener Jugendhilfe Institut (NJI, An-In- schreibung (Kapitel 2) werden die Aus- stitut der Evangelischen Hochschule RWL gangssituation, Herausforderungen und ) konnte ein renommierter Wis- Ergebnisse mit den konkreten Elementen senschaftler für die wissenschaftliche Be- der jeweiligen Übergangskonzepte der gleitung des Modellprojektes gewonnen vier Modellstandorte dargestellt (Kapitel werden. Peter Lukasczyk, Jugendhilfe Con- 3). Die ausführlichen Konzepte, Prozessbe- sulting JHC hat als wissenschaftlicher Mit- schreibungen und praxisrelevante Doku- arbeiter das Projekt begleitet und seinen mente, die von den Modellstandorten im Erfahrungsschatz zur Verfügung gestellt. Rahmen des Projektes erarbeitet worden sind, stehen unter www.gelingende-ueber- Zwischen Dezember 2016 und Februar gaenge.lwl.org zum Download bereit. In 2019 haben sich Akteure der Jugendämter, Kapitel 4 finden sich dann anhand der drei von freien Trägern und der Arbeitsagen- Qualitätsdimensionen Struktur-, Prozess- turen bzw. Jobcenter zu sieben Entwick- und Ergebnisqualität ganz konkrete Hin- lungswerkstätten in Münster getroffen: weise für die Praxis für eigene Konzept- Die Akteure aus den Projektstandorten entwicklungen. Das Kapitel 5 liefert neben Stadt Rheine, Kreis Lippe, Kreis Siegen- einer komprimierten Zusammenfassung Wittgenstein und Kreis Warendorf haben der erreichten Ergebnisse und der (ange- die Entwicklungswerkstätten genutzt, um passten) Übertragbarkeit einen fachpoliti- fachliche Impulse für die Entwicklung ihrer schen Ausblick. lokalen Übergangskonzepte zu erhalten. Parallel dazu haben sie vor Ort eine an ihre Keinen jungen Menschen zurücklassen! jeweiligen Zielsetzungen angepasste Ko- Für dieses Ziel haben sich die Projektteil- operationsstruktur aufgebaut, um weiter nehmenden der vier Modellstandorte ins an ihren lokalen Übergangskonzepten zu Zeug gelegt. Die Ergebnisse können sich arbeiten und erste Schritte zur Umsetzung sehen lassen und geben viele Anregungen von Konzeptelementen in die Wege zu für die örtliche Praxis. leiten. In diesem Abschlussbericht werden nun die zentralen Erfahrungen, die die Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre. Modellstandorte im Rahmen des Projektes gemacht haben, so aufbereitet, dass auch andere Kommunen davon profitieren kön- Jutta Möllers Dr. Hildegard Pamme

©prudkov - stock.adobe.com 10

1 Wissenschaftliche und fachpraktische Zugänge

1.1 Gelingende Übergänge in und Der Unterschied macht den Unterschied: aus den Hilfen zur Erziehung Während ein großer Teil der jungen Men- schen, die in den HzE aufwachsen mit 18 Wie bewältigen junge Menschen, die in oder kurz danach auf sich selbst gestellt den Hilfen zur Erziehung (HzE), also z. B. ist, ziehen junge Erwachsene in Deutsch- in Wohngruppen oder Pflegefamilien auf- land durchschnittlich mit etwa 23 (junge wachsen den Übergang in ein (möglichst) Frauen) oder gut 24 Jahren (junge Män- selbständiges Leben? Welche Rechtsan- ner) von Zuhause aus (vgl. Statista 2018). sprüche haben sie? Welche konkreten Hil- Junge Erwachsene nehmen darüber hinaus fen stehen ihnen zur Verfügung? Welche psycho-soziale wie materielle Unterstüt- Umsetzungsbedingungen in den Jugend- zung ihrer Herkunftsfamilien in Anspruch amtsbezirken und welche Infrastruktur – teilweise kehren sie nach einem Auszug braucht es, um diese Hilfen zu realisieren? auch noch einmal ganz in ihr Elternhaus zurück (vgl. BMFSFJ 2013, S. 216). Ersicht- Fragen wie diese werden im Zusammen- lich wird damit eine deutlich höhere Anfor- hang mit den seit etwa zehn Jahren ge- derung an Care Leaver, die den Übergang führten Diskursen um die Absicherung von ins Erwachsenenleben in der Regel früher, Übergängen und die persönliche und sozi- schneller und irreversibler als ihre Peers ale Unterstützung von Care Leavern the- bewältigen müssen (vgl. Stein 2012; Kön- matisiert. Der Begriff Care Leaver stammt geter/Schröer/Zeller 2012). Zudem fühlen aus dem englischen und bezeichnet Ju- sich viele Care Leaver auf den Übergang gendliche und junge Erwachsene, die (zu- nicht gut vorbereitet und erleben diesen mindest zeitweise) in öffentlichen Erzie- als schweren Einschnitt (Thomas 2013, hungshilfen (zumeist Wohngruppen oder/ Ehlke 2013). und Pflegefamilien) aufgewachsen sind und sich im Übergang in ein selbständiges Die besondere Relevanz der Frage nach Leben befinden. Hintergrund der Diskurse den Entwicklungsprozessen und den Le- in den letzten Jahren in Deutschland sind benslagen im Übergang aus der Jugendhil- die Erkenntnisse einschlägiger Initiativen, fe heraus zeigen auch einige aktuelle fach- Forschungs- und Entwicklungsprojekte1. politische Diskurse auf. Der 15. Kinder und Es ist vor allem aber die Situation, dass ein Jugendbericht trägt die Überschrift „Ju- Großteil der HzE mit dem 18. Lebensjahr gend ermöglichen“ und thematisiert ex- oder kurz danach endet, während Studien­ plizit einen „Mangel an Verantwortungs- ergebnisse zeigen, dass junge Menschen struktur“ (BMFSFJ, 2017, S. 69) und die durchschnittlich bis weit in das dritte Le- Herausforderungen an junge Menschen bensjahrzehnt hinein Unterstützungen ih- bei der Beendigung von Erziehungshilfen rer Herkunftsfamilien in Anspruch nehmen mit Eintreten der Volljährigkeit (vgl. ebd., (Papastefanou 2006, Zinnecker/Strzoda/ S. 434 ff.). Bereits die Kommission des 14. Georg 1996, Vascovics 1996). Kinder- und Jugendberichtes rief 2013 ein

1 z. B. „Gut begleitet ins Erwachsenenleben“ IGfH/Uni Hildesheim; „Übergänge in die Zeit nach dem Heim“ FH Münster; Längsschnittstudie zur Handlungsbefähigung - SOS Kinderdorf 2017, Ehemaligenstudie Kinderdorf Bethanien - Faltermeier 2017, AGJ Diskussionspapier „Junge Volljäh- rige nach der stationären Hilfe zur Erziehung. Leaving Care als eine dringende fach- und sozialpolitische Herausforderung in Deutschland“ (2014); Berliner Erklärung der IGfH/Uni Hildesheim/Care Leaver e.V. "März 2019"; Aktivitäten des Care-Leaver e.V. oder des Care-Leaver Kompetenznetzes Wissenschaftliche und fachpraktische Zugänge 11

1 Wissenschaftliche und „Jahrzehnt der Verselbständigung“ aus. ständigkeitslücken geprägt (vgl. Sievers/ Bestandteil des Koalitionsvertrages der Thomas/Zeller 2015, Bellermann/Nüsken fachpraktische Zugänge Bundesregierung der 18. Legislaturperio- 2012, Köngeter/Schröer/Zeller 2012). de (2013-2017) waren Jugendberufsagen- turen zur Bündelung der Leistungen nach Konkret geht es an dieser Stelle darum, den Sozialgesetzbüchern II, III und VIII für dass die Lebenssituation von Care Lea- unter 25-Jährige wie auch die Initiative zur vern dadurch gekennzeichnet ist, dass die Etablierung einer eigenständigen Jugend- Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe politik. Der Bundesrat hat zudem in einer zu einem bestimmten Zeitpunkt enden: Stellungnahme zum 15. Kinder- und Ju- Dies kann der Fall sein indem der zustän- gendbericht darauf hingewiesen „dass der dige Leistungsträger (das Jugendamt) den häufig mit dem Eintritt der Volljährigkeit durch Leistungen der Kinder- und Jugend- eintretende Wegfall von erzieherischen hilfe zu deckenden Bedarf als gedeckt Hilfen für einen Teil der jungen Erwachse- ansieht, oder dadurch, dass die gesetz- nen bedeutet, dass ihnen die Möglichkeit lich geregelte obere Altersgrenze (bei Hil- einer gelingenden Bewältigung ihrer Kern- fen für junge Volljährige 21 Jahre oder in herausforderungen der Qualifizierung, Ausnahmefällen bis zum 27. Lebensjahr) Verselbständigung und Selbstpositionie- erreicht ist. In beiden Fällen können Leis- rung genommen wird. Der Bundesrat be- tungen nach anderen Rechtsgrundlagen zeichnet dies als eine nicht hinnehmbare für die jungen Menschen in Betracht kom- Einschränkung der Entwicklungschancen men, die bis dahin entweder nachrangige dieser jungen Menschen und verweist auf Bedeutung hatten oder auf die Deckung die in solchen Fällen entstehenden sozialen anderer Bedarfe ausgerichtet sind. Solche Folgekosten. Er appelliert ferner an die zu- Übergänge sind typischerweise die ständigen örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe, hier eine den Erfordernissen • von der Kinder- und Jugendhilfe in die der jungen Menschen angemessene Praxis Grundsicherung für Arbeitsuchende zu entwickeln. Zugleich verweist er auf die (SGB II) oder die Ausbildungsförderung Verantwortung der Bundesregierung über (SGB III), eine Reform des SGB VIII Rechtsklarheit zur Pflicht der bedarfsgerechten Hilfege- • von der Kinder- und Jugendhilfe in die währung für junge Erwachsene im be- Sozialhilfe (SGB XII) in Form der Hilfe schriebenen Sinn zu schaffen“ (Bundesrat zur Überwindung besonderer sozialer 2017, S. 5.). Dies erscheint auch deshalb Schwierigkeiten (§ 67 ff. SGB XII), notwendig, da Care Leavern zwar prinzipi- ell eine ganze Reihe sozialstaatlicher Hilfen • von der Kinder- und Jugendhilfe in die zur Verfügung stehen (Grundsicherung, Kinder- und Jugendpsychiatrie als Leis- Arbeitsförderung, Wohngeld, Berufsaus- tungserbringer im Rahmen der gesetz- bildungsbeihilfe, BAföG, Eingliederungs- lichen Krankenversicherung oder der hilfe u. a. m.), diese für junge Menschen Eingliederungshilfe oder umgekehrt. (wie für viele Fachkräfte) aber kaum trans- parent darstellbar und i. d. R. nicht auf- Rechtlich entscheidend ist an dieser Stelle einander abgestimmt erbracht werden. ob Leistungen miteinander konkurrieren, Der Übergang von Care Leavern ist damit also in einem Vor- oder Nachrangverhält- nicht nur durch einen Zuständigkeitswech- nis zueinander stehen. Solche Vor- oder sel von Transferleistungsträgern sondern Nachrangverhältnisse sind von großer auch durch Abgrenzungs- und Verschie- Bedeutung und für den Laien schwer zu beproblemantiken und damit durch Zu- fassen. In den einschlägigen juristischen 12

Kommentaren werden diesem Thema lastungen gegenüberstehen, zeigt ange- umfangreiche Diskurse gewidmet. Zusam- sichts der Verantwortungsaufteilung auf menfassend lässt sich an dieser Stelle z. B. die verschiedenen Fördersysteme (und öf- auf Wiesner (2014) verweisen oder auf die fentlichen Haushalte) keine Wirkung mehr Illustrationen von Sievers/Thomas/Zeller (vgl. ebd. S. 44 f.). (2015). Auch Wiesner weist jedoch darauf hin, dass wenn zwischen den Leistungen Neben, bzw. durch solche Vor- oder Nach- kein explizites Konkurrenzverhältnis be- rangverhältnisse von sozialstaatlichen Leis- steht, junge Menschen der Gefahr ausge- tungen ergeben sich für Care Leaver Kon- setzt sind, keine rechtzeitige Anschlusshil- sequenzen, die sich durch das geforderte fe zu erhalten. Dieses Risiko ist besonders Ausschöpfen bestimmer Leistungen (und gravierend, wenn die Deckung eines exis- das Beibringen entsprechender Bescheide) tenziellen Bedarfs also hinsichtlich der im Vorfeld der Beantragung anderer Leis- Wohnung oder des Unterhalts gefährdet tungen zeigen. ist (vgl. Wiesner 2014, S. 35 ff.). Den möglichen Ansprüchen ihrer Lebens- Care Leaver sind damit eine Personen- phase folgend, müssen die meisten Care gruppe, die in ganz besonderer Weise den Leaver ihren Lebensunterhalt nach dem strukturellen Risiken des ausdifferenzier- Ende der HzE aus mehreren Quellen de- ten staatlichen Sozialleistungssystems in cken. Neben juristischen und verwaltungs- Deutschland ausgesetzt sind. Innerhalb rechtlichen Kompetenzen bedarf es dazu der Kinder- und Jugendhilfe gehören sie jedoch großer Disziplin und Hartnäckig- zu dem Personenkreis, der im Hinblick auf keit. Deutlich wird dies, schaut man sich das Lebensalter in absehbarer Zeit den einige mögliche Kombinationen von Leis- Verantwortungsbereich der Kinder- und tungen an, die für Care Leaver in Frage Jugendhilfe verlässt, ohne dass aber mit kommen. dem Erreichen der Altersgrenze ihr Hil- fe- und Unterstützungsbedarf mehr oder • Für Care Leaver in einer betrieblichen weniger automatisch endet. Anders als bei Ausbildung kommen neben der Aus- (jüngeren) Kindern, deren Hilfebedarf (zu- bildungsvergütung Kindergeld, Be- mindest auch) davon beeinflusst wird, ob rufsausbildungsbeihilfe (BAB) und ggf. vorangehende Hilfen erfolgreich waren, Unterhaltsleistungen der Eltern in Be- wirken sich Investitionen in ältere Jugend- tracht. In bestimmten Fällen kommen liche oder junge Volljährige nicht mehr SGB II-Leistungen zur Deckung der auf die künftige Inanspruchnahme von Kosten der Unterkunft hinzu. Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe (und damit die Belastung der kommuna- • Für Care Leaver in schulischer Ausbil- len Haushalte) aus. Damit entfällt ggf. ein dung oder in einem Studium gilt es entscheidendes Motiv für die nachhaltige BAföG- bzw. Schüler-BAföG-Ansprü- Unterstützung dieser jungen Menschen. che und Kindergeldleistungen sowie Das sozialpolitische Argument, dass er- ggf. Unterhaltsansprüche gegenüber folgreiche Hilfen für diesen Personenkreis den Eltern zu realisieren. auch der Abhängigkeit von staatlichen Leistungen zur Existenzsicherung und dem • Care Leaver, die sich nicht in einer Aus- Abgleiten in die Kriminalität und Sucht bildung oder Erwerbstätigkeit befinden wirksam vorbeugen bzw. entgegenwirken haben Anspruch auf SGB II-Regelleis- können und aktuell aufgewendeten Res- tungen (zur Deckung ihres Unterhaltes sourcen damit langfristig erwartbare Ent- und der Kosten einer Wohnung) Zu- Wissenschaftliche und fachpraktische Zugänge 13

gleich müssen sie ihre Kindergeldleis- desländern Leistungen der Erziehungshilfe tungen einbringen (ggf. abtreten) und für junge Volljährige seit Ende 1975 unter ggf. Unterhaltsansprüche gegenüber bestimmten Bedingungen (Fortführung ihren Eltern geltend machen. einer Erziehungshilfe für zuvor Minderjäh- rige, Bindung an einen Schul- bzw. Aus- Je nach Konstellation können weitere bildungsabschluss) möglich, der Beginn Leistungen etwa Wohngeld, (Halb-)Wai- von erzieherischen Hilfen nach dem 18. senrente, Leistungen des Opferentschädi- Lebensjahr und die Berücksichtigung in- gungsgesetzes oder der Eingliederungshil- dividueller Lebenssituationen waren aber fe in Frage kommen. Allein diese kurzen nicht vorgesehen. Ohne Grundlage für Skizzen machen deutlich, welches know- eine Erziehungshilfe blieben somit junge how und welcher Aufwand für Care Lea- Menschen, die eine Ausbildung erst zu ver (und für Fachkräfte in entsprechenden einem späteren Zeitpunkt (nach dem Er- Hilfen) mit der Existenzsicherung verbun- reichen der Volljährigkeit) begannen oder den ist bzw. verbunden sein kann. bei denen diese vorzeitig beendet (abge- brochen) wurde. Der Abbruch einer Schul- Jugendhilferechtlich geraten für Care Lea- oder Berufsausbildung führte bei volljähri- ver an der Stelle der Übergänge aus den gen HzE-Empfänger*innen in Konsequenz HzE jedoch zunächst insbesondere die Hil- gleichsam zu einem Ende der Erziehungs- fen für junge Volljährige gem. § 41 SGB VIII hilfe (vgl. Nüsken, 2014, S. 3). Die Reform in den Blick. Demnach soll jungen Volljäh- des Kinder- und Jugendhilferechts zielte rigen Hilfe für die Persönlichkeitsentwick- deshalb auch darauf ab, diese Mängel zu lung und zu einer eigenverantwortlichen beheben. Die Bundesregierung beschreibt Lebensführung gewährt werden, wenn dies in einem Textheft zum SGB VIII 1995 und solange die Hilfe auf Grund der indi- wie folgt: viduellen Situation des jungen Menschen notwendig ist. Die Hilfe wird in der Regel „Die Jugendhilfe lässt damit künftig nur bis zur Vollendung des 21. Lebensjah- die Jugendlichen nicht mehr im Stich, res gewährt; in begründeten Einzelfällen die noch nicht in der Lage sind, ein soll sie für einen begrenzten Zeitraum dar- eigenständiges Leben zu führen, weil über hinaus fortgesetzt werden (§ 41 SGB sie ohne ein stützendes Elternhaus in VIII, Abs. 1). Auch im Anschluss an diese Heimen groß geworden sind. Sie ha- Hilfen sollen Beratung und Unterstützung ben Schwierigkeiten, sich in die Ge- stattfinden (§ 41 SGB VIII, Abs. 3). sellschaft zu integrieren. Wenn ihnen keine Starthilfe gegeben wird, ist die Abhängigkeit von der Sozialhilfe oder 1.2 Fachpolitische Verortung und eine kriminelle Karriere vorgezeich- Fallzahlenentwicklung net. Bekommen nur die ‘Problem- fälle’ Hilfe? Nein. Nach dem Motto Die Verbesserung der Hilfen für junge ‚Ausbildung und Beschäftigung statt Volljährige und damit – der biografisch Sozialhilfe‘ können nach dem Kinder- betrachtet – letzten Hilfephase der erzie- und Jugendhilfegesetz auch junge herischen Hilfen galt als ein von der seiner- Volljährige gefördert werden, die sich zeitigen Bundesregierung hervorgehobe- mit dem Einstieg in die Berufs- und ner Schwerpunkt bei der Neuordnung des Arbeitswelt schwer tun, weil sie zum Kinder- und Jugendhilferechts 1990/1991 Beispiel nach dem Schulabgang nur (vgl. Bundesratsdrucksache 503/89, S. 40). ‚gejobbt‘ haben und mit 19 merken, Zwar waren in den (westdeutschen) Bun- wie wichtig eine Lehre für sie wäre. 14

Oder junge Erwachsene, die sich erst Gleiches zeigt sich bei den Hilfequoten be- spät vom Elternhaus gelöst haben zogen auf 10.000 der 18- bis unter 21-Jäh- und auf sich allein gestellt erst ein- rigen. Die Quote der Inanspruchnahme in mal in ein ‚tiefes Loch‘ fallen. Auch Relation zur altersentsprechenden Bevöl- bei Konflikt- und Krisensituationen kerung stieg von 353 Hilfen in 2010 auf in bestehenden Familienstrukturen 443 dieser Hilfen in 2016. Weitere Daten und Lebensgemeinschaften sind nach zu den Hilfen für junge Volljährige finden dem Kinder- und Jugendhilfegesetz sich im Monitor Hilfen zur Erziehung 2018 für junge Erwachsene ambulante und insbesondere in den Kapiteln zwei und teilstationäre Hilfen möglich“ (BMFS- acht. Diese Daten zeigen auch, dass Hil- FJ, 1995, S. 30) fen für junge Volljährige nur etwa 7% der gesamten Hilfen zur Erziehung ausmachen und dass insbesondere zwischen dem 17. Die Hilfen für junge Volljährige sollten so- und 18. und dem 18. und 19. Lebensjahr mit auch erstmalige erzieherische Hilfen die Hilfezahlen merklich (jeweils um etwa nach Vollendung des 18. Lebensjahres ein Drittel) sinken. Hilfen für junge Volljäh- ermöglichen, so dass junge Volljährige an rige werden folglich erkennbar weniger der Schwelle zum Ausbildungsmarkt oder häufig realisiert als Hilfen für andere Al- bei konflikthaften Ablöseprozessen von tersgruppen. „Volljährigkeit wirkt“ somit den Eltern auf Leistungen der Hilfen zur hinsichtlich der geleisteten Hilfen zur Er- Erziehung zurückgreifen können (vgl. ebd. ziehung (vgl. Pothmann, 2011, S. 27). S. 32). Kontextdaten zum Hilfeende Erziehungshilfen für junge Volljährige Wie bereits erwähnt bedeutet ein Hilfeen- Die Fallzahlen für begonnene Hilfen für de mit 18 oder 19 Jahren für junge Men- junge Volljährige bewegen sich zwischen schen aus den stationären Erziehungshil- 2010 und 2015 bei gut 36.000 Hilfen pro fen in Konsequenz und im Unterschied zur Jahr (Erzieherische Hilfen insg. §§ 27,2- altersgleichen Gesamtbevölkerung, dass 35/41 SGB VIII). Bedingt durch die Auf- sie deutlich früher mit Selbständigkeitser- nahme junger geflüchteter Menschen (Ar- wartungen konfrontiert werden und da- beitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik bei, nach dem Ende der HzE zumeist nicht 2018, S. 12 f.) steigt dieser Wert in 2016 auf ein gesichertes familiäres bzw. sozial auf gut 42.500 Hilfen an. Auch die Da- gewachsenes Netz aus materiellen und ten zu der Summe aus andauernden und immateriellen Unterstützungsleistungen beendeten Hilfen zeigen seit 2010 einen und sozialen Beziehungen zurückgreifen ähnlichen Verlauf. Von zuvor durchschnitt- können. Der hier statistisch ersichtliche lich knapp 100.000 Fällen zeigt sich eine Unterschied zeigt sich auch angesichts erste Zunahme in 2015 (106.000 Fälle) des durchschnittlichen Lebensalters bei und in 2016 verzeichnet die Kinder- und Abschluss eines Ausbildungsvertrages Jugendhilfestatistik gut 117.000 dieser welches im Jahr 2016 in Deutschland bei Fälle (Quelle: Statistisches Bundesamt: Sta- 19,7 Jahren und damit statistisch gesehen tistiken der Kinder- und Jugendhilfe – Hil- deutlich nach der Beendigung der aller- fe zur Erziehung, Eingliederungshilfe, Hilfe meisten Erziehungshilfen lag (vgl. BIBB- für junge Volljährige; versch. Jahrgänge; Datenreport zum Berufsbildungsbericht, Zusammenstellung und Berechnung AKJ- 2018, S. 169). Mit Blick auf die Frage Stat). nach einer wissenschaftlich bestimmbaren Altersspanne für die Zeit der Adoleszenz Wissenschaftliche und fachpraktische Zugänge 15

weisen neuere Veröffentlichungen aus ralen rechtlichen und sozialpädagogischen den USA und Großbritannien zudem dar- Reformanliegen nach. auf hin, dass neben sozialen und kulturel- len Faktoren auch neurowissenschaftliche Nach einer Übergangszeit, die dem Auf- Forschung die These deutlich unterstüt- und Ausbau eines entsprechenden Hilfe- zen, dass Adoleszente deutlich älter sind systems dienen sollte, sind die Hilfen für als bislang angenommen und diskutieren junge Volljährige seit dem 01.01.1995 als demzufolge die Frage, ob 25 das neue 18 Soll-Regelung gefasst. Damit handelt es sei (gemeint ist das Lebensalter, vgl. Arno- sich um einen Regelrechtsanspruch, d. h. ne, 2014). dem Leistungsberechtigten (hier den jun- gen Volljährigen) ist im Regelfall dieser Rechtsanspruch (die Leistung) zu gewäh- 1.3 Rechtliche Vergewisserungen ren. Ablehnungen sind nur in atypischen Ausnahmefällen zulässig, solche Aus- § 41 SGB VIII Hilfen für junge nahmesituationen sind vom öffentlichen Volljährige, Nachbetreuung Träger zu begründen und zu beweisen, darauf weist die einschlägige Kommen- (1) Einem jungen Volljährigen soll Hil- tarliteratur hin (vgl. Wiesner § 41 Rz. 25; fe für die Persönlichkeitsentwicklung Mrozynski § 41 Rz. 3; Kador in Jung § 41 und zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung gewährt werden, Rz. 7; Fischer in Schellhorn/Fischer/Mann/ wenn und solange die Hilfe auf Grund Kern § 41 Rz. 5; Wabnitz, Rechtsansprü- der individuellen Situation des jungen che 2005, S. 216f; Nüsken § 41 Rz. 8). Menschen notwendig ist. Die Hilfe wird in der Regel nur bis zur Vollen- Dr. Thomas Meysen damals, Deutsche Ins- dung des 21. Lebensjahres gewährt; titut für Jugendhilfe und Familienrecht e. V. in begründeten Einzelfällen soll sie für (DIJuF) wies in seinem Beitrag zum Projekt einen begrenzten Zeitraum darüber Gelingende Übergänge am 30.01.2017 hinaus fortgesetzt werden. darauf hin, dass bislang kein Fall bekannt (2) Für die Ausgestaltung der Hilfe sei, bei dem eine gerichtlich überprüfte gelten § 27 Absatz 3 und 4 sowie die Ablehnung aufgrund eines solchen atypi- §§ 28 bis 30, 33 bis 36, 39 und 40 schen Ausnahmefalls bestätigt wurde. entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Personensorgebe- Aufgrund der bestehenden Volljährig- rechtigten oder des Kindes oder des keit ist der/die junge Volljährige selbst Jugendlichen der junge Volljährige leistungsberechtigt und damit berechtigt tritt. (und verpflichtet zugleich) entsprechende Anträge zu stellen und Verfahrensschrit- (3) Der junge Volljährige soll auch te vorzunehmen. Der Rechtsanspruch auf nach Beendigung der Hilfe bei der Verselbständigung im notwendigen Hilfen für junge Volljährige gilt für junge Umfang beraten und unterstützt wer- Menschen im Alter von 18 - 21 Jahren, in den. Ausnahmefällen können Hilfen über das 21. Lebensjahr hinaus (weiter) gewährt werden. Dieser Anspruch ist unabhängig Hintergrund und Rechtscharakter davon, ob zugleich eine Schul- oder Be- rufsausbildung absolviert wird oder davon, Mit den Regelungen der Hilfen für junge ob bereits eine Hilfe vor der Volljährigkeit Volljährige kam der Gesetzgeber 1990/­ geleistet wurde. 1991 wie unter 1.2 skizziert einem zent- 16

jungen Volljährigen noch keine altersge- mäß entwickelte Persönlichkeit wie auch keine ausreichenden Kompetenzen ei- ner eigenständigen Lebensführung ent- wickelt sind und dass eben diese durch Leistungen der Jugendhilfe erreicht wer- den können und sollen. Konkret lässt sich in diesem Zusammenhang auf den Grad der entwickelten Autonomie, die Durch- halte- und Konfliktfähigkeit, die Fähigkeit zum Aufbau und zur Pflege von sozialen Beziehungen, wie auch die Kompetenzen zur Bewältigung der Anforderungen des alltäglichen Lebens etwa hinsichtlich von Haushaltsführung und Finanzen oder dem Kontakt mit Institutionen verweisen (vgl. ©New Africa - stock.adobe.com Stähr § 41, Rz. 6).

Hilfen für junge Volljährige sollen gewährt Entsprechende Zusammenhänge mit rele- werden, wenn und solange die Hilfe auf vanten Leistungen anderer Sozialleistungs- Grund der individuellen Situation des jun- systeme (SGB II, SGB XII u. a. m.) für junge gen Menschen notwendig ist (§ 41 Abs. Volljährige oder auch die Abgrenzung zu 1, Nr. 1). Die hier vom Gesetzgeber nicht Leistungen der Jugendsozialarbeit gem. § weiter bestimmte „individuelle Situation“ 13 SGB VIII werden in der Kommentarlite- erscheint einerseits als vage und nicht kon- ratur aufgegriffen und u. a. von Wiesner kret, zugleich verweist der Begriff auf die (2014) und Nüsken (2014) in einschlägi- unbedingt notwendige Prüfung (die sozi- gen Expertisen (s. u.) aufgezeigt. alpädagogische Diagnose bzw. das Fall- verstehen) des Einzelfalls. Darüber hinaus Hilfen für junge Volljährige - zeigt die bewusst fehlende Festschreibung Auf einen Blick: von bestimmten hilfeauslösenden Kriteri- en, dass möglichst viele Problemlagen von • Hilfen können zwischen 18 und 21 wei- jungen Volljährigen umfasst werden sollen terführend, erstmalig oder erneut be- (Tammen in Münder/Meysen/Trenczek § antragt und gewährt werden 41, Rz. 4; Wiesner § 41, Rz. 9). Zudem soll • Die Hilfen stellen eine „Soll-Leistung“ eine negative Zuschreibung etwa im Sin- dar (Regel-Rechtsanspruch), atypische ne von bestimmten Verhaltensstörungen Ausnahmen die zur Ablehnung führen oder Abweichungen vermieden werden sind zu begründen (Mrozynski § 41 Rz. 3 mit Bezug auf BT- • In den Blick geraten müssen Bedarfe Drucks. 11/6748 S. 82). der Persönlichkeitsentwicklung und zur eigenverantwortlichen Lebensführung Auch die Ziel- und Zweckbestimmung ei- (Sozialpädagogische Diagnose) ner Hilfe für junge Volljährige (Persönlich- • Mitwirkung und eine Schul- oder Be- keitsentwicklung und eigenverantwort- rufsausbildung sind wichtig, stellen liche Lebensführung § 41 Abs. 1 Satz 1) aber keine besondere Hilfebedingung bleibt zur Bestimmung einer Leistungsge- dar währung eher abstrakt und unbestimmt. • Hilfeziele müssen nicht abschließend, Deutlich wird am ehesten, dass bei den aber mit einer entsprechenden Ent- Wissenschaftliche und fachpraktische Zugänge 17

wicklung erreicht werden können (Pro- 1.4 Zur fachlichen Perspektive öf- gnose) fentlicher und freier Träger • Das Hilfeende ist bis zum 21. Lebens- jahr aufgrund der Notwendigkeit und Schaut man sich die statistischen Befunde der individuellen Situation des jungen zur Verteilung der Leistungen nach §§ 27 Menschen zu bestimmen ff SGB VIII an, fällt auf, dass die Anzahl • In begründeten Einzelfällen (z.B. Siche- der erbrachten Hilfen mit Beginn des 18. rung der Schul- oder Berufsausbildung, Lebensjahres signifikant sinkt. Bei der An- oder therapeutischer Hilfen) soll sie für zahl der neu begonnenen Hilfen wird die- einen begrenzten Zeitraum darüber hi- ser Bereich fast bedeutungslos. Wenn man naus fortgesetzt werden zunächst den Fokus auf die sich bereits in • Junge Volljährige sollen auch nach Be- Hilfe befindlichen Minderjährigen richtet, endigung der Hilfe bei der Verselbstän- kann man sich die Frage stellen, warum digung im notwendigen Umfang bera- angesichts enormer finanzieller Investiti- ten und unterstützt werden (z. B. durch onen bis dahin, nicht selten im Umfang einschlägige Beratungsangebote) von mehr als 100.000 Euro, die Initiative diese Hilfen zu beenden größer ist, als die Idee diese bedeutsame „Investition“ Hinweise zur Vertiefung: zu einem effektiven „Output“ zu führen. Viele junge Menschen, die das Schicksal • Nüsken, D.: Kommentierung zu § 41 teilen, nicht bei ihren fürsorglichen Eltern SGB VIII (Hilfen für junge Volljährige, aufwachsen zu können, kommen unzurei- Nachbetreuung). In: Wabnitz, R./Fie- chend vorbereitet aus den Hilfen zur Er- seler, G./Schleicher, H. (Hrsg.): Kinder- ziehung in eine Situation, in der sie sich und Jugendhilferecht. Gemeinschafts- häufig nicht gut zurechtfinden. Ihre Le- kommentar zum SGB VIII, Neuwied benssituation steht damit im Gegensatz • Juristische Kommentarliteratur, z. B. zu den jungen Erwachsenen, die nicht in Münder/Meysen/Trenczek 2019 (Frank- öffentlicher Verantwortung groß werden furter Kommentar SGB VIII), Wiesner und die für ihren Reifungsprozess mehr 2015 (SGB VIII • Kinder- und Jugend- Zeit zugesprochen bekommen. Das wissen hilfe) auch die Fachkräfte, die beim öffentlichen • Expertisen zum Thema „Care Leaver“/ Träger für die Steuerung zuständig sind Junge Volljährige von Prof. Dr. Reinhard und bei den freien Trägern, die das dafür Wiesner und Prof. Dr. Dirk Nüsken. nötige Rüstzeug vermitteln sollen. Abrufbar unter: https://www.igfh.de/ cms/nachrichten/expertisen-zum-thema- Wie unter 1.3 ausgeführt, legt der Gesetz- %E2%80%9Ecare-leaver%E2%80%9C- geber den Fachkräften keine Steine in den junge-vollj%C3%A4hrige-von-prof-dr- Weg, den Übergang in die Selbständigkeit reinhard-wiesner-und „sanfter“ und individuell angepasster zu gestalten. Wie ist es aber zu erklären, dass diese Gruppe in der Praxis der HzE, häufig so marginalisiert ist?

Die Gründe mögen vielfältig sein, warum im Einzelfall die Entscheidung zu einer Ver- kürzung dieser „Endreifung“ berechtigt zu sein erscheint und eine Studie zu den regionalen Disparitäten (Nüsken 2008) 18

zeigt entsprechende wissenschaftliche Er- Effekt ist insofern enorm, als dass sich die kenntnisse zu den unterschiedlichen Hilfe- jungen Menschen in der Regel in Einrich- kulturen in den Jugendämtern auf. tungen befinden, deren Durchschnittskos- ten sich schnell auf über 20.000 Euro pro An dieser Stelle sollen jedoch einige Hy- Jahr summieren können. Die gesellschaft- pothesen dazu formuliert werden, was lichen Folgekosten bleiben aber unbedacht Akteure der Jugendhilfe (auch) bewegen und finden sich im Budget eines anderen könnte, die Chancen für ein nachhaltiges Leistungsträgers wieder. Auch für die Trä- Gelingen von HzE für ältere Jugendliche ger, die sich in pädagogischen Einrichtun- und junge Volljährige zu vernachlässigen: gen um diese Menschen mühen, stellt ein Hilfeende mit 18 oder kurz danach kein Der ASD, als zuständige Organisation, hat wirtschaftliches Risiko dar, da die „Nach- angesichts der enormen Anstrengungen rücker“ bereits „vor der Tür“ stehen, und um die Sicherung des Kinderschutzes, ei- diese deutlich jünger sind. nen Perspektivwechsel vorgenommen. Während die Leistungen für die Kleinsten, Junge Menschen sind in dieser Lebens- auch durch die positive und sehr zu begrü- phase zudem teilweise „schwierig“, so ßende Entwicklung der „Frühen Hilfen“, sehen es zumindest die Erwachsenen, die kontinuierlich gestiegen sind, sind die Hil- mit ihnen zu tun haben oder die, die sich fen/die Hilfezahlen für junge Erwachsene um sie professionell bemühen. Es scheint insgesamt konstant niedrig geblieben. so zu sein, dass diese Entwicklungsphase auch in den pädagogischen Institutionen Die Debatte um eine fehlende Orientie- und bei den pädagogischen Fachkräften rung hinsichtlich der Festlegung von Fall- ähnliche Effekte erzeugt, wie bei Eltern, bearbeitungsgrenzen, führt nahezu au- die ihre Kinder durch diese Reifungspha- tomatisch zu einer Priorisierung, hin zu se hindurchbegleiten. Die Hilfeplanung den (vermeintlich oder offensichtlich) vul- wird schwieriger, die Entwicklung scheint nerableren jüngeren Zielgruppen. Hierzu zu retardieren, die Verlässlichkeit steht in kommt, dass die „Kleinen“ in der öffent- Frage, die Krisensitzungen mit den päda- lichen Wahrnehmung deutlich präsenter gogischen Fachkräften werden häufiger, sind. Die mediale Aufbereitung prekär ver- Scheitern steht im Raum. laufender Kinderschutzfälle verstärkt diese Fokussierung. Auch die pädagogischen Einrichtungen, die stark von Struktursicherheit geprägt Diese Priorisierung entzieht der Zielgruppe sind und Angst haben, dass sich diese Ver- der jungen Erwachsenen jede Form einer haltensweisen „anarchistisch“ verbreiten Lobby, sie geraten aus dem Blick. Sie ge- könnten, kommen häufig an ihre Grenzen. raten mitunter auch zwischen die Mühl- steine der strategischen und fiskalischen Viele Eltern kennen solche Grenzerfahrun- Betrachtung dieses Leistungsbereiches. Es gen und halten solche Phasen durch. Jun- ist vergleichsweise einfach auf der Steue- ge Menschen aus den HzE haben jedoch rungsebene zu entscheiden, diesen Bereich bereits einmal oder mehrmals in ihrem in der Leistungsdichte zu reduzieren (Hilfen kurzen Leben erfahren, dass Erwachsene nicht zu verlängern oder nicht zu gewäh- nicht durchhalten, professionelle Pädago- ren), da kaum Widerstand zu erwarten ist gen sie nicht aushalten. Der Unterschied und existenzielle Notlagen, anders als bei zu einer regelhaften Sozialisation ist aber: kleinen Kindern, keine öffentlichen Diskur- Dieser Abschied ist final. se nach sich ziehen. Der kurzfristig erhoffte Wissenschaftliche und fachpraktische Zugänge 19

1.5 Übergänge gestalten - For- Praxisbeispiele an, die aus nationaler wie schungsergebnisse internationaler Perspektive als gelunge- ne Übergangspraxis beschrieben werden. Explizite und aktuelle Einblicke in Über- Kennzeichen solcher Positivbeispiele sind gangsbegleitungen im Anschluss an bzw. eine grundsätzlich flexible Gestaltung von aus stationären Erziehungshilfen heraus (u. a. auch reversiblen) Hilfearrangements und damit in Hilfen für ältere Jugendliche wie auch die tragfähige Kooperation mit und für junge Volljährige geben Sievers/ Bildungsinstitutionen, die Entwicklung Thomas/Zeller (2015) auf Grundlage von verlässlicher sozialer Bindungen und die 47 Experteninterviews mit Fach- und Füh- nachhaltige Klärung bzw. Sicherung der rungskräften von freien und öffentlichen wirtschaftlichen Situation der jungen Trägern. Analysiert und mit Praxisbeispie- Menschen nach dem Hilfeende. len illustriert werden hier der Übergang in einen eigenen Wohnraum, Kompetenz- Mittlerweile liegen auch einige Studien trainings, Entwicklungsbegleitung, soziale vor, in denen Care Leaver nach ihren Er- Beziehungen, der Übergang in Ausbildung fahrungen mit den Übergängen aus den und Arbeit und Aspekte der Nachbetreu- HzE heraus befragt worden sind. Unter ung und Ehemaligenarbeit. Kritisch be- dem Titel „Helfen Hilfen für junge Volljäh- werten die Autorinnen die hohe bzw. rige? Bewertungen aus Nutzersicht“ (Nüs- überwiegende Konzentration vieler Träger ken 2011) zeigt diese Untersuchung Hilfen auf die Begleitung des Übergangs in einen für junge Volljährige aus Sicht ehemaliger eigenen Wohnraum. Viele Aktivitäten und Nutzerinnen und Nutzern solcher Hilfen Maßnahmen richten sich demnach auf die auf. Die qualitative Inhaltsanalyse der 21 gezielte Vorbereitung der Care Leaver auf Interviews zeigt, dass junge Erwachsene ein Leben in eigenem Wohnraum. „Die ihre Zeit in den Hilfen für junge Volljährige Begleitung im Hinblick auf das Erreichen rückblickend als intensive Lern- und Ent- von Bildungserfolgen oder den Auf- und wicklungsphasen betrachten. Retrospek- Ausbau tragfähiger sozialer Beziehun- tiv thematisieren die jungen Erwachsenen gen nimmt nicht annähernd den gleichen Aspekte ihrer Persönlichkeitsentwicklung, Raum ein. Der Bezug der eigenen Woh- die Aufnahme und Pflege sozialer Kontak- nung und ggf. die Anbindung an Ausbil- te, schulisch-berufliche Fortschritte und dung oder Jobcenter gelten als zentrale das Erlernen von Kulturtechniken selbstän- Kriterien für das Erreichen der Hilfeziele, diger Lebensführung und bringen diese die Einstellung der Hilfe und das Ende der Erfahrungen zeitlich und in unterschiedli- Zuständigkeit der Kinder- und Jugendhil- chen Anteilen auch ursächlich mit Leistun- fe“ (Sievers/Thomas/Zeller, 2015, S. 92). gen der Jugendhilfe in Verbindung (vgl. Nüsken 2011, S. 104). Die Erlangung von Die in der Betrachtung von Gründen und Selbständigkeit zeigt sich hier als zentraler Zielen einer Hilfe deutlich werdende Diffe- Aspekt in den Schilderungen der jungen renz zwischen psycho-sozialen Notlagen/ Menschen. Der Beginn eines selbständi- Hilfebedarfen als Legitimation einer Hil- gen Lebens war für die jungen Menschen fe einerseits und einer lebenspraktischen zunächst allerdings in hohem Maße mit Selbständigkeit als Fokus der Hilfekon- Verunsicherung verbunden, da die Heraus- zepte von Leistungen gem. § 41 SGB VIII forderung nun alltagspraktisch wie sozial andererseits zeigte sich auch in der Stu- für sich selber sorgen zu müssen demnach die zu den regionalen Disparitäten (Nüs- oftmals eine Überforderung darstellte. ken 2008, S. 163). Sievers/Thomas/Zeller Und zwar insbesondere dann, wenn kei- (2015) führen darüber hinaus zahlreiche ne Vorbereitung einer Verselbständigung 20

im Rahmen von Heimerziehung eingeleitet Erziehung in die Eigenständigkeit er- wurde bzw. die jungen Volljährigen „von folgreich bewältigen? der Straße“ oder aus schwierigen familiä- • Welche strukturellen Konsequenzen ren Situationen in die Hilfe gem. § 41 SGB sind daraus mit Blick auf die Heimer- VIII kamen. Selbständigkeit zeigte sich für ziehung zu ziehen“ (Kress 2012, S. 4)? die jungen Erwachsenen im Nachhinein vor allem im Umgang mit Institutionen Die in 2012 veröffentlichte Broschüre ist (Ämter, Behörden etc.) und anhand ihrer Teil einer Langzeituntersuchung der FH Durchsetzungsfähigkeit. Aspekte der Er- Münster (Prof. Dr. Peter Hansbauer), in der ziehungshilfe, denen die jungen Menschen in regelmäßigen Abständen von zwei bis einen Beitrag zu ihren Entwicklungen zu- drei Jahren Jugendliche und junge Men- messen, zeigen sich sehr unterschiedlich. schen, die 2008 älter als 15 Jahre und in Für einige stellt bereits das Setting (eigene verschiedenen Formen der Heimerziehung Wohnung und Betreuung) die entschei- untergebracht waren, mit Hilfe standardi- dende Leistung der Jugendhilfe dar, die sierter Fragebögen und von Leitfadenin- für sie zu dieser Selbständigkeit beiträgt, terviews befragt werden. Die zusammen- andere heben stärker auf ihre Bezugsper- gefassten Ergebnisse lassen auch einige son ab oder auf bestimmte methodische Schlüsse mit Blick auf die Übergangsge- Ansätze, z. B. beim Erlernen des selbstän- staltung von Care Leavern zu: digen Umgangs mit Geld (vgl. ebd.). Als zentraler Gelingensfaktor aus Sicht der • So zeigt sich in einer ersten Analysestu- Nutzer*innen wird eine tragfähige Bezie- fe bereits der Befund, dass diejenigen hung zum/zur Betreuer*in aufgeführt. der Befragten, die auf verlässliche Be- ziehungen zurückgreifen können, auch Im Rahmen des Forschungs- und Praxis- hinsichtlich der beruflichen Integration entwicklungsprojektes „Ablösung und In- besser aufgestellt sind und umgekehrt. tegration: Übergänge in die Zeit nach dem „Insgesamt haben sich drei in wech- Heim“ befassten sich Mitarbeiter*innen selseitiger Abhängigkeit zueinander der Fachhochschule Münster, der Diako- stehende Themenbereiche bzw. Gelin- nie Rheinland-Westfalen-Lippe e. V. (RWL) gensfaktoren als zentral für das Meis- und Fachkräfte aus der Praxis der statio- tern des biografischen Schritts von der nären Erziehungshilfe mit Interviewmate- Heimerziehung in die Eigenständigkeit rial aus der zweiten Erhebungsphase einer herauskristallisiert: Erstens die ‚Bezie- Langzeituntersuchung der FH Münster. hungsgestaltung‘, zweitens der ,Er- Hier wurden junge Menschen in und aus werb von Schlüsselkompetenzen‘ und der Heimerziehung über Folgen und die drittens die ‚berufliche Integration‘“ subjektive Relevanz von stationärer Hei- (ebd. S. 9). In der o. g. Broschüre wer- munterbringung und zu ihrer Lebenssitua- den zu diesen Themen auch Anregun- tion und ihren Erfahrungen mit und Sicht- gen etwa zu verlässlichen Beziehungen weisen auf Heimerziehung befragt. Die oder zum Erwerb von Sozialkompetenz Analyse und Interpretation der Aussagen angeführt. der jungen Menschen zielte hauptsächlich darauf, folgende Fragen zu beantworten: • „Dem eigenen Lebenstempo folgen zu können“: Dieses aus der Diskussion • „Welche Kompetenzen und Eigen- der Ergebnisse mit Fachkräften hervor- schaften lassen es wahrscheinlich er- gegangene Hilfecharakteristikum be- scheinen, dass junge Menschen den zeichnet die Möglichkeit junger Men- biografischen Schritt von der Hilfe zur Wissenschaftliche und fachpraktische Zugänge 21

schen, Schritt für Schritt vorzugehen und nicht an gesellschaftlichen Zeit- vorgaben scheitern zu müssen, und es stellt einen perspektivisch wirkenden Unterstützungsfaktor dar. Viele der jungen Menschen mit Heimerziehungs- erfahrung, so die Studie, sind in ihrer Jugend, einer Zeit, in der laut des ge- sellschaftlich vorgesehenen Zeitplans zentrale Bausteine für den späteren beruflichen Erfolg gelegt werden, mit Problemlagen konfrontiert, die eine Konzentration hierauf erschweren. Deshalb, so zeigten einzelne Aussagen der Befragten, brauchen sie etwas län- ger als Jugendliche mit „Normalbiogra- ©bodnarphoto - stock.adobe.com fien“, um die einzelnen Schritte hin zu einer erfolgreichen beruflichen Integra- tion zu meistern (vgl. ebd. S. 25). Auch im Rahmen des Projektes „Rechte im Übergang – Die Begleitung und Be- • Wichtig sind zudem tragfähige Netz- teiligung von Care Leavern“ (IGfH & Uni werke und ein Ausbau der Hilfen ge- Hildesheim 2014-2016) fanden Interviews mäß § 41 SGB VIII für die Zeit nach und Workshops mit Care Leavern zu ih- der Heimerziehung: „Da für viele der ren Übergangserfahrungen statt. Diese jungen Menschen die zu knapp be- dienten im Wesentlichen der Identifizie- messene Zeit zum Erwerb von Grund- rung von Schlüsselelementen in den Über- voraussetzungen für die berufliche gangserfahrungen und der Identifikation Integration (Schulabschluss, Berufs- der für Care Leaver relevanten Kenntnis- ausbildung) eine entscheidende Rol- se von Rechtsansprüchen und Unterstüt- le spielt, braucht es Maßnahmen, mit zungsmöglichkeiten im Übergang. denen langfristig biografische Negativ- konsequenzen verhindert werden kön- Die Zusammenfassungen zeigen, dass nen. Möglichkeiten hierzu seien, so die Care Leaver bereits in der Erziehungshilfe projektteilnehmenden Fachkräfte, u. a. mit der Gewissheit leben, dass das Hilfe- der erhebliche Ausbau der Hilfen ge- system und damit auch die Menschen, die mäß § 41 SGB VIII und der Aufbau von sie begleiten, irgendwann formal nicht und die Gewöhnung an weitere profes- mehr für sie zuständig sind. Dafür sind sionelle und private Netzwerke, die im sie gewissermaßen gewappnet, jedoch Anschluss an die Heimzeit weiter be- kaum auf das vorbereitet, was sie danach stehen bleiben. Für die Heimerziehung zu bewerkstelligen haben. Sie wachsen selbst, sei es zentral eine strukturierte zumeist mit der von den meisten Fach- (und finanzierte) Nachbetreuung der kräften vermittelten Vorstellung auf, dass jungen Menschen zu organisieren, bei- der 18. Geburtstag eine Zäsur in der Hilfe spielweise wenn Einrichtungen einen darstellt. Kaum jemand von ihnen wird da- Bereich speziell für die „Nachbetreu- rüber aufgeklärt, dass eine Hilfe bis zum ung“ etablieren. Denkbar sei dies zum 21. Lebensjahr rechtlich möglich ist. Die Beispiel als offenes Angebot mit festen eigentliche Vorbereitung und Begleitung Bezugspersonen“ (ebd.). in der teils formal komplizierten und sozi- 22

al anspruchsvollen Zeit nach Verlassen der und/oder psychische Turbulenzen. Diese Erziehungshilfe fällt für viele kurz und mit führten vielfach zu negativen Weichen- auffallend wenigen Gelegenheiten zum stellungen für die weitere Biografie. Feedback aus. Die hier geführten Gesprä- • Care Leaver benötigen eine gezielte Un- che mit den Care Leavern (die wie in ande- terstützung zur Bewältigung ihrer Ent- ren Studien auch tendenziell eher gelun- wicklungsaufgaben. gene Verläufe darstellen) zeigen, dass die • Sie können zumeist nicht oder nur Existenzsicherung im Übergang nach der sehr begrenzt mit Hilfen durch Fami- stationären Erziehungshilfe häufig nicht lie, Freund*innen, oder Arbeitskolleg* gewährleistet ist und dass berufliche Pers- innen rechnen. pektiven unklar bleiben. Ein unterstützen- • In Nachbetreuungssettings sollten so- des privates Netzwerk stellt einen Gelin- wohl gewachsene Beziehungen zu gensfaktor dar, über den aber keineswegs Fachkräften als auch Ehrenamtliche alle verfügen. Rechtliche Unsicherheiten und informelle Netzwerke wie auch lo- bei der Einkommenssicherung (Unterhalts- kale Netze von Care Leavern einbezo- ansprüche, Kindergeld, der Vorrang/Nach- gen werden. rang unterschiedlicher Sozialleistungen, el- • Care Leaver brauchen Orte des Zu- ternabhängige Leistungen etc.), aber auch rückkommens, um sich auszutauschen, Fragen zu Ausbildungsmöglichkeiten und aber auch um Rat und Hilfen für All- beruflichen Perspektiven wie die Rechte tagsprobleme erlangen zu können. und Pflichten gegenüber Vermietern sowie • Auch in der Arbeit mit Care Leavern Möglichkeiten der Gesundheitssorge sind müssen biografische Schlüsselthemen für Care Leaver kaum zusammenfassend und sozial und emotional erlebte Trau- aufbereitet worden. Ein entsprechender mata eine Rolle spielen, diese führen Bedarf zeigt sich jedoch deutlich. Aus die- dazu, dass Care Leaver häufiger als sem Projekt hervorgegangen ist u. a. die andere junge Erwachsene in Krisen Broschüre „Durchblick - Infos für Deinen und Konflikte geraten (vgl. Faltermeier Weg aus der Jugendhilfe in das Erwachse- 2017, S. 39 ff.). nenleben“ und die Internetpräsenz • Zu den konkreten Aufgaben einer Nach- http://CareLeaver-online.de/ betreuung zählen die Sicherung der sozioökonomischen Bedarfe, die Klä- Die Hochschule RheinMain Wiesbaden rung formaler Qualifikationswege, die (Faltermeier 2017) befragte sieben Care Unterstützung beim Aufbau sozialer Leaver des Kinderdorfes Bethanien (in El- Netzwerke, Beratung und emotionale tville) hinsichtlich ihrer Hilfebedarfe nach Unterstützung bei Fragen der allgemei- dem Verlassen der Einrichtung und nach nen Lebensführung wie in Konfliktsi- den Anforderungen einer nachstationä- tuationen. Hinzu kommen praktische ren Begleitung. Zentrale Ergebnisse sind, Unterstützung etwa bei Anträgen oder dass die gegenwärtigen Strukturen und Bewerbungen, die Einrichtung von Pa- die Organisation einer Nachbetreuung bei tenschaften mit Ehrenamtlichen und die weitem nicht ausreichen und Erfolge der Förderung der regionalen Selbstorganisa- Heimerziehung so nachhaltig gefährdet tion von Care Leavern (vgl. ebd. S. 45 f.). werde. Konkret verwiesen wird (u. a.) auf folgende Erkenntnisse: Seit 2014 (Vorgängerstudie seit 2011) führt das Sozialpädagogische Institut des • Nach dem Verlassen der Heimeinrich- SOS Kinderdorf e.V. in Kooperation mit tung und ohne begleitenden Rahmen dem Institut für Praxisforschung und Pro- gerieten alle interviewten Care Leaver jektberatung (IPP) eine Längsschnittstudie früher oder später in soziale, berufliche mit Einrichtungen des SOS e.V. durch (Sier- Wissenschaftliche und fachpraktische Zugänge 23

wald/Strauss 2015). Die Studie befasst sich Die Ergebnisse der Studie mit jungen mit dem Aufwachsen junger Menschen in Menschen ab 16 Jahren (N=136 aus der Heimerziehung (in den familienana- 2013) zeigen zunächst, dass die Verselb- logen SOS-Kinderdorffamilien und ihrem ständigungsphase in den SOS-Kinderdorf- eher langzeitorientierten Konzept) sowie familien durchaus unterschiedlich erlebt ihrem Übergang in die Selbständigkeit. Da- wird. Die Forscher*innen beschreiben bei werden auch Care Leaver aus den SOS vier Wahrnehmungen: Verselbständigung Kinderdörfern nach ihrem weiteren Wer- wird als normaler Schritt, als Rauswurf degang befragt. Auf Grundlage des Capa- („aus dem Nest fallen“), als Ambivalenz bility Approach richtet sich ein besonderer von Freiheit und Unsicherheit oder als Blick hier auf die Verwirklichungschancen Befreiung erlebt. Das jeweilige Erleben junger Menschen und deren Handlungs- ist auch im Kontext des Zugehörigkeits- befähigung, die als wichtige Ressource ei- empfindens zur Kinderdorffamilie vs. der ner eigenständigen Lebensführung ange- Herkunftsfamilie zu verstehen (vgl. ebd. sehen wird (vgl. Teuber 2017). Neben den S. 13 f.). eingesetzten Fragebögen zur Lebenssitua- tion von Care Leavern (u. a. zu Wohnung, Auch einige Ergebnisse der Ehemaligenbe- Bildung und Beruf, Finanzen, Gesundheit, fragung aus 2015 (N=60) sind mittlerweile soziale Integration) finden auch vertiefen- veröffentlicht. Demnach fühlten sich etwa de Interviews statt. Sierwald et al. stellen zwei Drittel der Befragten gut auf den einführend im Rahmen dieser Studie drei Übergang vorbereitet und ebenso viele wa- Gelingensfaktoren für den Übergang in das ren mit der Nachbetreuung der Einrichtung Erwachsenenalter heraus: zufrieden. Etwa ein Viertel verspürte Druck des Jugendamtes beim Auszug und nur gut „1. Soziale Beziehungen und stabile Netz- die Hälfte war an der Entscheidung über werke sind entscheidend für einen ge- den Auszug beteiligt. Für die Hälfte der lingenden Übergang und die berufliche Befragten war der Auszug ein harter Ein- Integration (Anghel 2011; Kress 2012). Be- schnitt und der Beginn der Selbständigkeit deutende Personen können zur Schlüssel- ein schweres Unterfangen (vgl. ebd. S. 15). ressource werden, wenn Ehemalige nach Als hilfreich für den Übergang beschreiben dem Auszug noch Kontakt zu ihnen halten die jungen Erwachsenen ein tragendes so- können (Smith 2011, Thomas 2013). ziales Netz mit viel Unterstützung durch Fachkräfte, Familie und Freunde und eine 2. Biografische Arbeit und Elternarbeit gute Perspektive in Ausbildung und Beruf. können die elterliche Unterstützung der Negativ wird der Verlust von Beziehungen, Care Leaver und darüber hinaus die Aus- ein unbefriedigendes Ende der Betreu- bildung sozialer Kontakte allgemein beför- ung, ein unfreiwilliger Wohnortwechsel dern (Biehal/Wade 1996, Thomas 2013). und fehlende Unterstützung beschrieben. Schwierigkeiten im Übergang bereiten fer- 3. Bildung und Integration in die Erwerbs- ner das Alleinsein, die Organisation des tätigkeit sind entscheidend für Selbstän- Alltags, prekäre finanzielle Situationen, digkeit und wirtschaftliche Unabhängig- zudem eine unsichere berufliche Situati- keit. Um weiterführende Bildungswege zu on. Jeder Dritte befragte Care Leaver hat ermöglichen, sind finanzielle Unterstüt- sich bereits für seinen Lebensunterhalt ver- zungen notwendig (Ehlke 2013). Auch schuldet. Die finanzielle Situation wie die non-formale Bildungsprozesse wirken sich Wohnsituation sind bei vielen Care Leavern positiv auf Fähigkeiten, Selbstbewusstsein zum Zeitpunkt der Befragung (Median 2,5 und die persönliche Entwicklung aus (Ang- Jahre nach der Betreuung) nicht gefestigt hel 2011)“ (Sierwald et al. 2017, S. 11). (vgl. ebd. S. 17). 24

Die Autor*innen schlussfolgern zwei we- Unruh 2009. Zusammenfassende Inspirati- sentliche Herausforderungen: onen und Hinweise geben Zeller/Köngeter 2018 und Peters et al. 2018. „Zum einen gilt es während der Betreu- ung, aber auch im Übergang und in der Nachbetreuung die Handlungsbefähigung Zusammenfassung zu stärken. Dies kann vor allem über Betei- ligung, Biografiearbeit und Erfahrung von Auch wenn keine der skizzierten Studien Verantwortung, Selbstwirksamkeit und repräsentativ sein kann oder will und die Anerkennung erreicht werden. Zugänge und Fragestellungen durchaus Unterschiede aufweisen so zeigen sich zu- Zum anderen müssen vor allem aber die sammenfassend doch eine Reihe von Er- strukturellen Bedingungen für Care Leaver kenntnissen, die allein durch ihre Häufung deutlich verbessert werden. Die Jugend- Aufmerksamkeit erfordern. Zugespitzt hilfe sollte zumindest bis zum Abschluss weisen die Studien auf folgende typische einer Ausbildung bzw. bis zum Eintritt ins Phänomene hin: Erwerbsleben in der Verantwortung blei- ben. Verlässliche Nachbetreuungs- und Be- 1. Verselbständigung ist mit Verunsiche- ratungsstrukturen für Care Leaver müssen rung, mit Erfahrungen des Alleinseins diese Übergangsphase absichern und die und mit Krisenerfahrungen verbun- jungen Erwachsenen dabei unterstützen, den. mit den unterschiedlichsten Anforderun- 2. Übergänge brauchen eine gute Vor- gen eines eigenständigen Lebens zurecht bereitung und die Beteiligung junger zu kommen“ (ebd. S. 18). Menschen. 3. Übergangskonzepte, die sich auf ein Die Zusammenstellung der für Care Lea- selbständiges Wohnen oder die Been- ver im Übergang wichtigen Ergebnisse digung von HzE konzentrieren, greifen einschlägiger Studien beansprucht keinen zu kurz. Anspruch auf Vollständigkeit. Mit Blick 4. Biografische Erfahrungen und Themen auf Care Leaver an Hochschulen ließen prägen auch den Übergang. sich beispielsweise die Arbeiten aus dem 5. Keine einzige Studie verweist darauf, Projekt „Higher Education without Family dass Selbständigkeit mit 18 gewisser- Support“ (Uni Hildesheim & University Ra- maßen automatisch gelingt. mat Gan/Israel) anführen (z. B. Mangold/ 6. Gelingensfaktoren für Care Leaver im Ehlke/Strahl 2012). Sievers (2019) stellte Übergang zur individuellen Selbstän- jüngst eine Befragung von Care Leavern in digkeit sind: Karlsruhe vor, die danach fragt, was Care • nachhaltig geregelte Existenzsiche- Leaver von der Jugendhilfe gebraucht hät- rung ten, um nicht mit der Wohnungslosenhilfe • erklärte Bildungswege in Berührung zu kommen bzw. kommen • Verbindliche Bezugspersonen zu müssen. Den Blick auf Pflegekinder und • verlässliche Netzwerke ihren Weg in das Erwachsenenleben rich- • der Erwerb von Schlüsselkompe- ten Sievers/Steinhauer (2018) in einer ent- tenzen sprechenden Expertise. • die Akzeptanz des eigenen (langsa- meren) Lebenstempos Auch internationale Publikationen wurden • Möglichkeiten der Nachbetreuung nicht berücksichtigt. Hingewiesen sei hier und Orte des Zurückkommens beispielsweise auf Stein 2012 oder Clark/ Wissenschaftliche und fachpraktische Zugänge 25

Deutlich wird damit, dass sich die Ge- Dschungel an sozialen Diensten (BMFSFJ, staltung eines erfolgreichen Übergangs 2017, S. 458) und nicht selten zu „Ver- ins Erwachsenenleben von der Idee einer schiebebahnhöfen“ und zu mangelhafter „Entlassung in die Selbständigkeit“ lösen Zusammenarbeit, so dass angesichts des muss. Vielmehr kommt es darauf an, er- Integrationsdilemmas der „Lost Genera- folgreiche Übergänge ins Erwachsenenle- tion“ (Bürger, 2010) notwendige kon- ben als einen „Übergang im Kontext von tinuitätssichernde Modelle eines „per- sozialen Beziehungen“ zu denken und manency planning“ kaum sichtbar sind. sozialpädagogisch unterstützt zu ermög- Zwar gibt es rechtliche Zuständigkeitsbe- lichen (vgl. Zeller/Köngeter 2018, S. 18). stimmungen in allen Leistungssystemen gegenüber den jeweils anderen, die zahl- reichen unbestimmten Rechtsbegriffe – 1.6 Zwischenbilanz: Perspektiven z. B. „besondere soziale Schwierigkeiten“ und Anforderungen an lokale (§ 67 SGB XII) oder „Hilfe zu einer eigen- Übergangskonzepte verantwortlichen Lebensführung“ (§ 41 SGB VIII) – lassen jedoch Spielräume für Die Daten der Kinder- und Jugendhilfe­ die Versagung von Hilfen und Verweise statistik zeigen, dass die Kinder- und Ju- auf die (vermeintliche) Zuständigkeit an- gendhilfe ihrem Auftrag hinsichtlich der derer Systeme (vgl. Bellermann/Nüsken, älteren Jugendlichen und jungen Volljäh- 2012). rigen grundsätzlich betrachtet durchaus nachkommt. Im Vergleich der unterschied- Eine der wesentlichen Herausforderungen lichen Altersgruppen und bezogen auf die mit Blick auf Care Leaver liegt damit in entsprechende Alterspopulation entfallen der verbindlichen strukturellen Zusam- jedoch die wenigsten Hilfen zur Erziehung menarbeit der Leistungsträger. Der 15. auf junge Volljährige. Interpretieren ließen Kinder- und Jugendbericht verweist dar- sich diese geringen Fallzahlen und Quo- auf, dass bereits mehrfach ein transparen- ten etwa mit einer bis zum 18. Lebensjahr tes und kohärentes Sozialgesetzbuch für erreichten Selbständigkeit und mit einer Jugendliche und junge Erwachsene gefor- vom Gesetzgeber anvisierten abnehmen- dert worden ist und dass dieser Vorschlag den Zuständigkeit der Leistungen der Kin- von einigen Expertinnen und Experten der- und Jugendhilfe. Schließlich ließe sich reflexartig als utopisch zurückgewiesen im Kontext der weiteren möglichen Leis- wird, da die unterschiedlichen Regulie- tungen des Sozial- und Bildungssystems rungsbereiche zwischen Gesundheits-, Ar- für Care Leaver von einer sozialpolitischen beits-, Bildungs- und Sozialpolitik sich nie Akzeptanz entsprechender Problemla- in einer entsprechenden Struktur würden gen angesichts der zahlreichen weiteren einbinden lassen (BMFSFJ, 2017, S. 458). Leistungsmöglichkeiten etwa des SGB II Folglich müssten der Kommission zufol- oder des SGB XII sprechen. Die „doppelte ge aber wenigstens Spiegelungen in den Benachteiligungstruktur“2 von Care Lea- Gesetzen verankert sein, damit Übergän- vern hinsichtlich des Übergangs in Beruf ge gelingen und auch Beteiligungsformen und Beschäftigung und die mögliche Zu- fortgesetzt werden können und nicht an ständigkeit verschiedener Sozialleistungs- einer sozialstaatlichen Versäulung orien- träger führen in der Praxis jedoch zu einem tiert bleiben.

2 Gemeint sind die durchschnittlich schlechteren Schulabschlüsse und die Benachteiligung aufgrund der biografischen Brüche von Care Leavern (vgl. Köngeter/Schröer/Zeller 2008) 26

Ob die eingangs aufgeführten Jugend- richtige Richtung. Ergänzend sollten je- berufsagenturen hier in den Kommunen doch auch entsprechende Bildungs- bzw. der Ort zur praktischen Bewältigung sol- Ausbildungsprozesse Berücksichtigung cher Herausforderungen sein können ist finden. Der im Frühjahr 2017 vorgelegte derzeit noch nicht absehbar. Aufgabe des Referentenentwurf eines Kinder- und Ju- Gesetzgebers wäre an dieser Stelle jedoch gendstärkungsgesetzes für eine (kleine) der Erlass hinreichend bindender Koopera- Reform des SGB VIII zeigte zudem die so- tionsverpflichtungen für (alle) beteiligten zialpolitische Ambivalenz in der Wahrneh- Hilfesysteme genauso wie die Regelung mung des Aufwachsens von Care Leavern entsprechender Vorleistungsgebote (wie auf. Einerseits war die explizite Nennung etwa in der Eingliederungshilfe im SGB einer „Coming-back-Option“ in § 41 zu XII), so dass junge Menschen (zunächst begrüßen (wenngleich diese bereits derzeit und unabhängig von der Stelle in der sie möglich ist), andererseits erschien die im zuerst vorstellig werden) ihnen zustehen- Referentenentwurf bei 17-jährigen gefor- de Leistungen erhalten, ohne dabei durch derte Prognose der Erreichung einer Ver- Zuständigkeitsklärungsfragen behindert selbständigung nach dem 18. Lebensjahr zu werden. (zunächst § 36b Abs. 1) äußerst problema- tisch. Beide Aspekte fanden im schließlich Die Zugangs- und Abgangsproblematik gescheiterten Regierungsentwurf keine bezogen auf die Hilfen für ältere Jugend- Berücksichtigung mehr. Zu begrüßen war liche und junge Volljährige stellt hingegen jedoch die zuletzt in § 36b vorgesehene eine wichtige Aufgabe für die Strukturen Sicherung der Zusammenarbeit mit an- und Konzepte der Kinder- und Jugendhilfe deren Sozialleistungsträgern beim Zu- dar. Da der Gesetzgeber keine bestimm- ständigkeitsübergang. ten leistungsauslösenden Merkmale für eine Hilfe für junge Volljährige ausgeführt Die Auswertung der vorliegenden Studien hat, sondern Leistungen qua Verfahren zu Übergängen hat zu dem gezeigt, dass rechtlich normiert, kommt an dieser Stelle Selbständigkeit gegen Ende und nach Be- insbesondere der qualifizierten Hilfepla- endigung der HzE eine gute Vorberei- nung ein „zentraler sozialpädagogischer tung und Beteiligung der jungen Men- Gestaltungsauftrag“ zu (Merchel, 1998, schen benötigt denn mit dem Selbständig S. 14). Dies erscheint insbesondere des- werden gehen Erfahrungen der Verunsi- halb notwendig, da eine einmal beende- cherung, des Alleinseins und Krisenerfah- te Hilfe für ältere Jugendlichen und junge rungen einher. Übergangskonzepte müs- Volljährige bislang – anders als i. d. R. ein sen sich durchaus der Existenzsicherung Auszug aus dem Elternhaus – in Deutsch- und dem Thema selbständiges Wohnen land praktisch keine Rückkehroption in widmen. Sie müssen zudem aber soziale entsprechende Erziehungshilfen umfasst. Netzwerke, biografische Themen und die Eine Orientierung an den tatsächlichen Verbindlichkeit von Bezugspersonen Kompetenzen der jungen Menschen berücksichtigen. einfügen: Die folgen- wie in der niedersächsischen Handrei- de Abbildung 1 fasst die zentralen Be- chung „Aufbau von Kompetenzen einer darfe junger Menschen im Übergang selbständigen Lebensführung im Rahmen und die Eckpunkte lokaler Übergangs- der Hilfen zur Erziehung“ erscheint hier konzepte noch einmal übersichtlich (wenn neben Lebensführungstechnologi- zusammen. en auch Persönlichkeitsentwicklung in den Blick genommen wird) als Schritt in die Wissenschaftliche und fachpraktische Zugänge 27

Abbildung 1: Anforderungen an lokale Übergangskonzepte

Junge Menschen auf dem Weg ins Erwachsenenleben brauchen zur ge- lingenden Bewältigung des Übergangs zur Selbständigkeit kontinuitätssi- chernde Hilfesettings, in denen folgende Aspekte abgedeckt sind: 1. die verbindliche und nachhaltige Regelung der Existenzgrundlage 2. geklärte Bildungswege und eine fortgeschrittene berufliche Integration 3. tragfähige soziale Beziehungen, die sie in den für die Lebensphase typischen Krisen verlässlich unterstützen 4. Schlüsselkompetenzen zur lebenspraktischen Gestaltung des Alltags (z. B. Umgang mit Geld, mit Behörden) 5. einen begleiteten Übergang in eigenständiges Wohnen 6. die Akzeptanz eines individuellen Entwicklungstempos bis etwa 25 Jahre 7. Möglichkeiten der Nachbetreuung und Orte des Zurückkommens

Um diese kontinuitätssichernden Hilfesettings auf lokaler Ebene unter den aktuellen rechtlichen Voraussetzungen (Stand: Frühjahr 2019) gewährleisten zu können, braucht es Übergangskonzepte.

Eckpunkte lokaler Übergangskonzepte a. Eckpunkte dieser lokalen Übergangskonzepte für die Jugendhilfe:  gezielte Vorbereitung der jungen Menschen auf und ihre kontinuier- liche Beteiligung an der Gestaltung des Übergangs in der Kinder- und Jugendhilfe und an der Schnittstelle zu anderen Leistungsträgern  eine mit Blick auf die Herausforderungen des Übergangs in die Selb- ständigkeit qualifizierte Hilfeplanung im Jugendamt  die Orientierung an den tatsächlichen Kompetenzen der jungen Menschen bei der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 41 SGB VIII

b. Verbindliche strukturelle Zusammenarbeit zwischen den Leistungs­ trägern aus dem SGB II, III, VIII sowie ggf. dem Asyl- und Ausländerrecht mit  bindender Kooperationsverpflichtungen für (alle) beteiligten Hilfe- systeme und  Regelungen zu Vorleistungsgebote, um Zuständigkeitslücken zu vermeiden 28

2 Das Modellprojekt „Hilfe zur Selbständigkeit – gelingende Übergänge gestalten”

2.1 Projektbeschreibung Voraussetzung für die Teilnahme am Mo- dellprojekt war daher von Anfang an, dass An die in Kapitel 1 aus Studien und Fach- die Leitungskräfte im Jugendamt bzw. die diskurs geschilderte Ausgangssituation von ihnen autorisierten Fachkräfte aus knüpft das LWL-Projekt „Hilfe zur Selb- den Spezialdiensten für junge Volljährige ständigkeit – gelingende Übergänge ge- sich zusammen mit einschlägigen Koope- stalten“ nahtlos an. rationspartnern anmelden. Die Ausschrei- bung adressierte vor allem Vertretungen Die Projektausschreibung verweist darauf, von Jugendämtern und: dass das öffentliche und fachpolitische In- a) zwei Vertreter*innen der freien Träger teresse am Übergang junger Menschen in aus dem Bereich Hilfen zur Erziehung ein eigenständiges Leben gewachsen ist und/oder der Wohnungslosenhilfe und dass wissenschaftliche Untersuchun- b) eine Vertreterin oder ein Vertreter der gen zeigen, dass Care Leaver, die ein ei- ARGE/Jobcenter/U25. genständiges Leben als junge Erwachsene beginnen, in der Regel kaum über ausrei- Die Anforderung, dass eine Teilnahme am chende materielle Ressourcen und soziale Modellprojekt nur möglich war, wenn alle Netzwerke verfügen. Diese Situation birgt drei Akteure (Jugendamt, freie Träger und für Heranwachsende im Exil spezifische Arbeitsagentur bzw. Jobcenter) bereit zur und besondere Herausforderungen in sich. Teilnahme und zur Durchführung des Pro- Diese Herausforderungen werden eben- jektes waren, ist trotz zahlreicher Initiativen so aufgegriffen wie die teilweise von der und Projekte (vgl. Kapitel 1) ein Procedere, Kinder- und Jugendhilfe selbst produzier- das zumindest mit Blick auf die strukturel- te „Hürde“ der Hilfen für junge Volljäh- le Einbindung der Arbeitsagenturen bzw. rige (auch Ersthilfen) und das „Bermuda- Jobcenter in ein solches Entwicklungspro- Dreieck“ der für Care Leaver relevanten jekt für Care Leaver ein Novum darstellt. Rechtskreise (SGB II, III, VIII, XII etc.). Das Modellprojekt war von Anfang an Die Projektausschreibung im Frühjahr 2016 auf zwei Ebenen angesiedelt: Die Teilneh- zielte darauf, Jugendämter und Kooperati- menden am Modellprojekt (Jugendämter onspartner aus den anderen Rechtskreisen und Kooperationspartner) waren zu sie- zu gewinnen, um vor Ort eine Koopera- ben Entwicklungswerkstätten eingela- tionsstruktur zu initiieren bzw. weiter zu den (Ebene 1), auf denen sie zu einzelnen entwickeln, die den Übergang junger Schwerpunktthemen fachliche Impulse und Menschen aus den Erziehungshilfen ver- Unterstützung bei der Initiierung und Wei- lässlich gewährleistet und dabei die be- terentwicklung ihrer lokalen Übergangs- sondere Situation von unbegleiteten min- konzepte erhalten sollten. Über die Teil- derjährigen Flüchtlingen berücksichtigt. In nahme an diesen Entwicklungswerkstätten den Projektstandorten sollten lokale Über- hinaus sollte vor Ort eine lokale Koope- gangskonzepte initiiert bzw. weiterentwi- rationsstruktur aufgebaut werden, in der ckelt werden. die Impulse der Entwicklungswerkstätten Das Modellprojekt Hilfe zur Selbständigkeit – gelingende Übergänge gestalten – 29

2 Das Modellprojekt aufgegriffen und an die lokalen Bedin- 2.2 Projektverlauf gungen angepasst werden (Ebene 2). Die „Hilfe zur Selbständigkeit – tatsächliche Entwicklung der lokalen Über- Das Modellprojekt fand zwischen Ende gangskonzepte war damit auf der örtlichen 2016 und Anfang 2019 statt. Entschei- gelingende Übergänge gestalten” Ebene angesiedelt, die rahmenden Impulse dend für den Verlauf waren die zentral und die Grundstruktur des Projektes ent- stattfindenden Entwicklungswerkstätten sprangen der überörtlichen Projektebene. in Münster (Ebene 1, vgl. Abbildung 2) und die dezentralen Kooperationsstruktu- Mit dem Ende der Bewerbungsfrist im Juli ren in den vier Modellstandorten (Ebene 2016 hatten sich vier Jugendämter zur 2, vgl. Abbildung 2). Die wesentliche Ent- Teilnahme bereit erklärt: die Stadt Rheine wicklungsarbeit fand an den Modellstand- sowie die Kreise Lippe, Siegen-Wittgen- orten in den Jahren 2017 und 2018 statt. stein und Warendorf. Die ursprünglich mit Gerahmt und fachlich begleitet wurde die der Ausschreibung anvisierten sechs Ju- lokale Entwicklungsarbeit durch sieben gendämter konnten nicht gewonnen wer- Entwicklungswerkstätten mit inhaltlichen den. Angesichts der seit 2015 sprunghaft Schwerpunktthemen sowie einen Exper- ansteigenden Zahlen von unbegleiteten ten- und einen Auswertungsworkshop. jungen Flüchtlingen waren die westfä- Die inhaltlichen Schwerpunkte bei den lisch-lippischen Jugendämter, wie die Ju- Entwicklungswerkstätten wurden durch gendämter bundesweit, im Krisenmodus: zahlreiche externe Expert*innen fundiert. Sie hatten die Herausforderung zu bewäl- Die Entwicklungswerkstätten dienten da- tigen, innerhalb kürzester Zeit zu entschei- rüber hinaus dazu, den aktuellen Stand, den, welche Ankommenden leistungsbe- die Fortschritte sowie Hemmnisse und rechtigt und welche Hilfen notwendig und Entwicklungsbedarfe der örtlichen Ent- geeignet sind. Dazu musste in enger Zu- wicklungen zu reflektieren und kollegial sammenarbeit mit den freien Trägern eine und wissenschaftlich zu beraten und in neue Angebotsstruktur aufgebaut wer- örtlichen bzw. akteursspezifischen Ar- den. Diese Anstrengungen ließen – trotz beitsgruppen weiter zu entwickeln. der Berücksichtigung der neuen Zielgrup- Bei diesem Projektdesign lassen sich im pe im Modellprojekt – aus der Perspektive Kern drei Projektphasen ausmachen. Zu- vieler Jugendämter keine Bewerbung im nächst ging es darum, die Projektstruk- Modellprojekt zu, so die Rückmeldungen. turen zu installieren und zu erheben, mit welcher Ausgangslage die vier Standorte Die Bewerbung der Stadt Rheine sowie in das Modellprojekt gestartet sind. An- der Kreise Lippe, Siegen-Wittgenstein und schließend erfolgte die Entwicklung der Warendorf ist vor diesem Hintergrund be- verbindlichen Übergangskonzepte und sonders zu würdigen. Die vier Bewerber deren schrittweise Implementation in die hatten sich alle als jeweils lokaler Koopera- Praxis. Schließlich sollten die Übergangs- tionsverbund beworben und konnten die- konzepte und – soweit möglich – die Pra- se örtlichen Kooperationsstrukturen über xis dieser evaluiert und die Projekterkennt- den gesamten Projektzeitraum aufrechter- nisse dokumentiert und der Öffentlichkeit halten (vgl. ausführlich Kapitel 4). präsentiert werden. 30

Abb. 2: Übersicht über den Projektverlauf

1. Phase: Etablierung Projektstrukturen 2. Phase: Entwicklung der Übergangs-­ 3. Phase: Sicherung der Nachhaltigkeit und Ausgangssituation konzepte und erste Implementationsschritte und Evaluation

Ebene 1: Zentrale Veranstaltungen und Entwicklungswerkstätten (EW) im Rahmen des Modellprojektes

EW VI/VII: Zentraler Fixierung Workshop Transfer- Planungs- EW I: EW II-V: Thematische Experten- der Über- Evaluation veran werkstatt Auftakt Schwerpunkte workshop gangskon­ und staltung zepte Transfer

Ebene 2: Dezentrale Kooperationsstrukturen in vier Modellstandorten

Entwicklung der Vier Übergangskonzepte lokale Eva- in Rheine, Kreise Lippe, Work- luation Siegen-Wittgenstein und shops Warendorf

Erprobung und Implementation von Konzeptelementen in der Praxis

12/2016 2017 2018 2019

Zur Installation der Projektstrukturen dien- Die Entwicklungswerkstatt I fand wie te zunächst eine entsprechende Planungs- alle weiteren ganztägig zentral im LWL in konferenz der Akteure des NJI mit den Münster statt. Angesichts der erkennbaren Akteuren des LWL. Diese Planungskonfe- regionalen Disparitäten mit Blick auf Care renz im Herbst 2016 galt der Konkretisie- Leaver und die Hilfen für junge Volljährige, rung und Terminierung der angebotenen wie hinsichtlich der unterschiedlichen Leis- Leistungen und der entsprechenden Auf- tungen und Leistungsvoraussetzungen der gaben des LWL und der lokalen Akteure. hier relevanten Rechtskreise SGB II, SGB III, SGB VIII und SGB XII (hinzu kommen die In einer Auftaktveranstaltung im Dezem- entsprechenden rechtlichen Regelungen ber 2016, die als Planungswerkstatt kon- für junge geflüchtete Menschen etwa UN zipiert war, erfolgte die Präsentation des KRK, AufenthG, AsylG u. a. m.) erschien konkreten Projektdesigns und die erste zu Projektbeginn eine rechtliche Vergewis- Vorstellung der vier Jugendamtsbezirke serung notwendig. Dazu diente ein ent- und ihrer Kooperationspartner. Ferner sprechender Input, der allen Projektakteu- standen die Darstellung, Diskussion und ren eine gemeinsame und aktuelle Basis Verabredung der Arbeitsaufgaben der lo- der geltenden rechtlichen Normen (vorbe- kalen Akteure im Mittelpunkt. haltlich einer zum Zeitpunkt der Planung Das Modellprojekt Hilfe zur Selbständigkeit – gelingende Übergänge gestalten – 31

nicht absehbaren möglichen SGB VIII-Re- Die Themen junge geflüchtete Menschen form) bot. Dieser juristische Input bedurfte wie auch die Beteiligung in Hilfeprozessen der entsprechenden Expertise, die von Dr. wurden (in unterschiedlichem Umfang) in Thomas Meysen eingebracht wurde. jeder Entwicklungswerkstatt aufgegriffen. Sie standen ferner im Mittelpunkt der Ent- Im Anschluss an die erste Entwicklungs- wicklungswerkstätten IV bzw. V. Neben werkstatt recherchierten die lokalen Pro- den im Folgenden beschriebenen Schwer- jektpartner die mit ihnen abgestimmten punkten der jeweiligen Entwicklungswerk- Daten etwa zu den Hilfequoten, zu den statt fand stets auch eine gemeinsame Akteuren der örtlichen Hilfelandschaft, zu Arbeitsphase oder eine Arbeitsgruppe der den Arbeitszusammenhängen (vorhande- jeweiligen lokalen Akteure mit Blick auf ne Arbeitskreise etc.) wie zu den Arbeits- die zu entwickelnden Überganzkonzep- abläufen/Prozessen in der Fallarbeit. te statt. Die Entwicklungswerkstätten II bis V dienten so der Inspiration und der Noch in der Startphase des Projektes, fand reflexiven Auseinandersetzung mit den auf lokaler Ebene (Ebene 2) jeweils ein bisherigen lokalen Entwicklungen und Er- ganztägiger vom NJI extern moderierter fahrungen wie mit den Entwicklungsnot- Workshop statt. Zu diesem wurden alle wendigkeiten und -chancen. Sie bildeten relevanten lokalen Partner eingeladen. den Hintergrund und ermöglichten Impul- Die Festlegung der teilnehmenden Akteu- se und konkrete Planungen für die von den re oblag den Projektverantwortlichen vor lokalen Akteuren in den Jahren 2017 und Ort. Zur Etablierung lokaler Projektstruk- 2018 entwickelten lokal abgestimmten turen und Erhebung der Ausgangssitua- und verbindlichen Übergangskonzepte. tion wurden zwei Methoden eingesetzt. Diese wurden in der Entwicklungswerk- Mit Hilfe einer Mindmap im Live-Modus statt VI präsentiert und diskutiert. wurden zunächst die relevanten lokalen Institutionen identifiziert und deren orga- Die Entwicklungswerkstatt II widmete nisatorische Beziehungen beschrieben und sich dem Thema Schnittstellen und gute hinsichtlich ihrer Bedeutung diskutiert. In Beispiele. Gemeinsam mit den projektbe- einem weiteren Schritt wurde eine SWOT- teiligten Akteuren wurden hier entspre- Analyse-Matrix erarbeitet, um die Qualität chende Schnittstellen auch mit Blick auf und die Herausforderungen für weitere junge geflüchtete Menschen identifiziert Kooperationsbeziehungen zu beschrei- und in Arbeitsgruppen hinsichtlich der ben. Die erarbeiteten Dokumente wurden entsprechenden Chancen und Herausfor- den Standorten im Anschluss zur Verfü- derungen bearbeitet. Aus jeder beteiligten gung gestellt und dienten der weiteren Kommune wurde ferner ein gelungenes Bearbeitung vor Ort und als eine Grund- Beispiel mit Blick auf jeweils eine Schnitt- lage für die wissenschaftliche Begleitung stelle präsentiert. Ferner galt die Entwick- zur Einschätzung der lokalen Praxis. Diese lungswerkstatt II der Präsentation des Eva- Materialien sind online verfügbar unter: luationsdesigns. www.gelingende-uebergaenge.lwl.org Entwicklungswerkstatt III fokussierte Diese Daten wie auch die jeweiligen Kon- das Thema Care Leaver und Bildung. Ent- zepte (z.B. pädagogische Konzepte, Ko- sprechende Forschung (Sievers/Thomas/ operationskonzepte) der Träger und der Zeller 2015) hat gezeigt, dass der Blick auf Jugendhilfeplanung wurden der wissen- Bildungsaspekte und die Sicherung ent- schaftlichen Begleitung zur Verfügung ge- sprechender Übergänge in/nach Bildungs- stellt und von dieser ausgewertet. institutionen in der Kinder- und Jugend- 32

hilfe in Deutschland bislang unzureichend Abteilungen wirtschaftliche Jugendhilfe ausgeprägt ist. Auf Grundlage eines ent- der beteiligten Jugendämter und den Leis- sprechenden Inputs aus den Care-Leaver- tungsabteilungen der Job-Center wurde Projekten der IGfH und der Uni Hildesheim angesichts der wenigen Teilnehmenden (Referent Benjamin Strahl) wurde hier in ebenfalls abgesagt. Arbeitsgruppen wiederum entsprechen- den Herausforderungen und Chancen In der Entwicklungswerkstatt VII fand nachgegangen. Zweites Thema dieser Ent- dann im März 2018 die Präsentation der wicklungswerkstatt war die Gestaltung Übergangskonzepte und die Reflektion der von Veränderungsprozessen in Organsati- Transferpotentiale statt. Im Mittelpunkt onen (Change Management). standen dabei die jeweiligen Entwicklungs- strategien und die ersten Erfahrungen mit Im Mittelpunkt der Entwicklungswerk- dem Praxistransfer der Übergangskonzep- statt IV standen Übergänge bei jungen te. Jeder Standort präsentierte hier seine geflüchteten Menschen. Erörtert wurden Implementationsstrategie und die bislang hier die Bedarfslagen junger Flüchtlinge gelungenen Aspekte wie entsprechende im Übergang insbesondere mit Blick auf Herausforderungen. Die jeweils anderen die Anforderungen an die Kinder- und Ju- Standorte nahmen Kommentierungs- und gendhilfe z. B. in Kooperation mit den Mi- Beratungsaufgaben wahr. grationsdiensten. Referent*innen waren hier Volker Maria Hügel, Gemeinnützige Im abschließenden zentralen Workshop, Gesellschaft zur Unterstützung Asylsu- erfolgte die Präsentation und Diskussion chender e.V. (GGUA), Münster und Kath- der lokalen Entwicklungen und Erfahrun- rin List, LWL-Landesjugendamt Westfalen, gen, die Vorbereitung der Transferveran- Fachberaterin. staltung und Dokumentation sowie die Konkretion der Erhebungen der Evaluation Das Thema Übergänge und Beteiligung der entwickelten Übergangskonzepte und bestimmte die Entwicklungswerkstatt der lokalen Evaluationsbedarfe. V. Diese Werkstatt diente der Identifikati- on von Potentialen zur Weiterentwicklung Expert*innenworkshop einer Beteiligungskultur, die Ressourcen für gelingende Übergänge freilegen kann. Im April 2018 fand der Expert*innen­ Zum Thema Beteiligung aus Nutzerpers- workshop statt. Nach der Präsentation pektive referierte Alexandra van Driesten der bisherigen Entwicklungen und der vom Care Leaver e.V. Kommentierung dieser stand die Identifi- kation von Transferpotentialen im Mittel- Die Entwicklungswerkstätten VI und VII punkt der Erörterungen. Eingeladen wa- sollten sich der Fixierung und dem Pra- ren Vertreter*innen aus Wissenschaft und xistransfer der lokal abgestimmten und ver- Praxis sowie Vertreter*innen der beteilig- bindlichen Übergangskonzepte widmen. ten Kooperationspartner, die sich schwer- In der Entwicklungswerkstatt VI sollten punktmäßig mit dem Thema „gelingende die lokalen Akteure die von ihnen bis da- Übergänge in die Selbständigkeit“ be- hin zu entwickelnden lokal abgestimmten schäftigen. Zudem haben sich auch Care und verbindlichen Übergangskonzepte Leaver und das Care-Leaver-Netzwerk mit präsentieren. Durch die Verzögerungen ihrer Expertise beteiligt. Die Ergebnisse des der Entwicklungen an den Modellstandor- Expert*innenworkshop sind in Kapitel 4.4 ten, fiel diese Entwicklungswerkstatt aus. aufbereitet, die Teilnehmenden sind im Ein alternativ geplanter Workshop mit den Anhang dokumentiert. Das Modellprojekt Hilfe zur Selbständigkeit – gelingende Übergänge gestalten – 33

Die Projektsteuerung nahmen die wis- wie diese zu bewerten sind. Dabei gerieten senschaftliche Begleitung (Prof. Dr. Dirk die geforderte lokale Abstimmung und die Nüsken) und wiss. Mitarbeiter (MA Peter verlangte Verbindlichkeit als Bewertungs- Lukasczyk) in Koordination mit den Fachre- kriterien in den Blick. Ferner sollte soweit ferentinnen des LWL-Landesjugendamtes möglich die Nachhaltigkeit evaluiert wer- Westfalen (Dr. Hildegard Pamme und Jutta den. Dabei sollten Erfolgsfaktoren und Möllers) gemeinsam wahr. Dazu dienten Hemmnisse der unterschiedlichen Vor-Ort- explizite Steuerungstreffen sowie die Bera- Konzepte identifiziert werden. tungen im Kontext der Entwicklungswerk- stätten und zentralen Workshops. Die Evaluation hat den Charakter einer formativen Prozessevaluation und ent- hält durch die abschließenden Bewertun- 2.3 Evaluationskonzept gen gleichzeitig Aspekte einer summati- ven Programmevaluation (vgl. Rossi et al. Zielsetzung dieses Modellprojektes war 2004). Während der Entwicklung der lo- wie ausgeführt die Entwicklung lokal kalen Übergangskonzepte haben die vier abgestimmter und verbindlicher Über- Standorte regelmäßige fachliche Rückmel- gangskonzepte für die Begleitung von dungen bei den Entwicklungswerkstätten Jugendlichen/jungen Volljährigen in ein erhalten, die sie für die jeweilige Weiter- selbständiges Leben in bzw. nach der (sta- entwicklung nutzen konnten. Am Ende tionären) Erziehungshilfe/Hilfe für junge des Projektes, etwa ab September 2018, Volljährige. An dieser Zielsetzung richtete sind die entwickelten lokalen Übergangs- sich auch die Projektevaluation aus, d. h. konzepte auch aus einer stärker bilanzie- sie hatte die Aufgabe darüber Auskunft renden, summativen Perspektive für diesen zu geben, ob und inwiefern solche Über- Abschlussbericht in den Blick gekommen. gangskonzepte entwickelt wurden und

Die folgende Übersicht zeigt die zum Einsatz gekommenen Erhebungsinstrumente:

Evaluations- Analyseschwerpunkt Erhebungsinstrument schwerpunkt

Analyse der Ausgangs- Mind-maps bei den lokalen Workshops Akteurs- und Strategieanalyse situation SWOT-Analyse bei den lokalen Workshops

Mitschrift entscheidender Entwicklungsschritte Formative Prozessbeobachtung und Konzept- aus den jeweiligen Standortbestimmungen, Prozessevaluation entwicklung Reflexionen und kollegiale Beratungen der sieben Entwicklungswerkstätten

Abschließende Berichte aus den Standorten gekoppelt mit leitfadengestützten Telefon­ Summative Ergebnis: Lokale interviews Programmevaluation Übergangskonzepte Verfahren der diskursiven Fremd- und Selbst­ evaluation (Leitfragen und Skalierungen sowie Gruppendiskussionen) 34

Die Darstellungen der entwickelten Ele- • Abstimmung der Vorgehensweise mente der Projektstandorte in Kapitel 3 und Erörterung des Instrumentes basieren auf einer durch einen Leitfaden mit dem LWL und den lokalen Ak- systematisierten Selbstdarstellung der je- teuren weiligen Standorte. Die Ausführungen in • Unmittelbare Sammlung von Do- Kapitel 4 basieren auf allen Erhebungsin- kumenten durch direkte Weiterlei- trumenten. tung an die wissenschaftliche Be- gleitung Die Evaluation orientierte sich an folgen- • Transparente und verständliche Dar- den Prinzipien: stellung der Ergebnisse und Emp- fehlungen • Transparente Darstellung der Er- • Beachtung der Standards für Eva- hebungszwecke und Auswertungs- luation der Gesellschaft für Evalu- methoden ation e.V. (DeGEval) (Nützlichkeit, • Freiwillige Teilnahme & Erfassung Genauigkeit, Durchführbarkeit und ohne personenbezogene oder per- Fairness) sonifizierbare Daten

©Marco2811 - stock.adobe.com Ausgangssituation, Herausforderungen und Ergebnisse in den vier Modellstandorten 35

3 Ausgangssituation, Herausforderungen und Ergebnisse in den vier Modellstandorten

Auf der Grundlage einer durch die wissen- gebot für junge heranwachsende Men- schaftliche Begleitung vorgeschlagenen schen verortet. Dabei unterstützen das Struktur, werden im Folgenden die Stand- Jugendamt, die Jugendhilfeträger, ver- orte aus der Sicht der Projektverantworli- schiedene Beratungsstellen und weitere chen beschrieben hinsichtlich: Institutionen junge Menschen bei ihrem Übergang in ein selbständiges Leben als • der Ausgangssituation, junge/r Erwachsene/r. • der Problemlagen, • der örtlichen Kooperationsstruktur und Die folgenden fest etablierten Angebote Projektsteuerung, lassen sich exemplarisch hervorheben: • der Ergebnisse, konkret der Elemente des Übergangskonzeptes • der Spezialdienst „Team Reintegration • und der die Entwicklungen rahmenden und Verselbständigung des Jugend- Leitgedanken. amtes Rheine“ (Team R+V) steuert die Hilfen zur Erziehung bzw. Hilfen für Die Texte wurden für diese Dokume- junge Volljährige gezielt hin zur Unter- nation aus Platzgründen gekürzt. Eine stützung der Persönlichkeitsentwick- ausführliche Darstellung u.a. mit Emp- lung und selbständigen Lebensführung fehlungen und einer Darstellung von Gelin- (gem. § 41 SGB VIII); gensbedingungen und Hemmnissen aus der • Rheine hat bis Ende 2018 am niedrig- lokalen Sicht ist online unter http://www. schwelligen ESF-Projekt „Jugend stär- gelingende-uebergaenge.lwl.org/ verfügbar. ken im Quartier“ (JUSTiQ) des Bun- desministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) teilgenom- 3.1 Stadt Rheine men. Das Projekt begleitet junge Men- schen im Übergang von Schule in den Die Stadt Rheine mit gut 75.000 Einwoh- Beruf (gem. § 13 SGB VIII). Infos: https:// nern im Kreis Steinfurt liegt an der nörd- www.jugend-staerken.de/ (Abrufdatum: lichen Grenze der westfälischen Tiefland- 06.05.2019); bucht an der . In den Kategorien der • die Jugendberatungsstelle des Caritas NRW-Jugendämter wird Rheine dem Ju- Verbandes berät junge Menschen und gendamtstyp 9 zugerechnet. Diese Kate- unterstützt sie bei den Übergängen in ein gorie setzt sich aus Jugendämtern kreisan- selbständiges Leben (gem. § 13 SGB VIII); gehöriger Gemeinden mit mehr als 50.000 • die Betreuung für junge Flüchtlinge Einwohner*innen und einer geringen Kin- wird durch den Spezialdienst „Team derarmut zusammen (Belastungsklasse 3). UMA“ des Jugendamtes und durch den Fachdienst Integration und Migration Ausgangssituation der Stadt Rheine sichergestellt; • zudem bestehen vielfältige, an den Be- Im Stadtgebiet Rheine ist seit vielen Jahren darfen der jungen Menschen orientier- ein vielfältiges und umfassendes Hilfsan- te Hilfeformen der Jugendhilfeträger 36

zur Förderung der Verselbständigung Doppelstrukturen im Stadtgebiet, soll (gem. § 41 SGB VIII); die Effektivität von Hilfen für junge • Das Thema Übergangsgestaltung, Menschen gesteigert werden. bspw. zum Übergang Schule-Beruf wird in spezifischen Arbeitskreisen und Örtliche Kooperationsstruktur und Projektbezügen bearbeitet. Projektsteuerung

Problemlagen Als ständige Projektteilnehmer und damit auch Mitglieder der Projektsteuerungs- Auf der örtlichen Angebotsebene wurden gruppe sind für den Standort Rheine zu eine Vielzahl von Hilfsangeboten, Arbeits- nennen: kreisen und Projekten identifiziert, die je- doch aufgrund fehlender Übersichtlichkeit • Jugendamt Stadt Rheine, Spezialdienst und mangelnder übergeordneter Steue- „Reintegration und Verselbständigung“ rungsebene teilweise sich überschneiden- • Caritas Kinder- und Jugendheim de Hilfen anbieten. Trotz dieser Angebots- • Evangelische Jugendhilfe Münsterland vielfalt und den bisherigen Bemühungen • Agentur für Arbeit Rheine koordinierter Zusammenarbeit geht aus • Jobcenter Kreis Steinfurt, Arbeitsver- Sicht der Fachkräfte eine hohe Anzahl jun- mittlung ger Menschen aus den Hilfeprozessen ver- loren oder findet keinen Anschluss an die Die Projektsteuerung und Gesamtverant- passenden Hilfen. wortung für das Modellprojekt lag im Ju- gendamt der Stadt Rheine, Spezialdienst Nach der zu Projektbeginn erfolgten Analy- „Reintegration und Verselbständigung“. se des Hilfenetzwerks (vgl. Kapitel 2.2/2.3) und der dazugehörigen Angebotsstruktu- Unter der Federführung der Projektsteue- ren sind folgende Veränderungsbedarfe rungsgruppe kam es zu folgenden Prozes- ersichtlich geworden: sen in der Projektphase:

• Es bedarf einer transparenten Darstel- • Erstellung der Kooperationsvereinba- lung der diversen Hilfsangebote für rung für die Netzwerkarbeit unter Ein- junge Menschen in der Stadt Rheine; bezug der lokalen Kooperationspartner • die Gestaltung der Zugänge zu diesen • Aufbau einer Informationsplattform für Angeboten soll niedrigschwelliger er- junge Menschen auf der Homepage folgen; der Stadt Rheine (vgl. https://www. • gewährleistet werden muss eine Be- rheine.de/rathaus-service/dienstleistun- gleitung der jungen Menschen an den gen/bw_/Modellprojekt_Hilfe_zur_Selbs- Schnittstellen der Hilfesysteme und den taendigkeit/40.Oft-gefragte-Services. jeweiligen Angeboten durch Fachkräf- html?detID=2422 (Stand: 06.05.2019)) te; • Durchführung lokaler Workshops zu • im Zusammenwirken der Hilfsangebo- Übergangsthemen, zu denen dann die te im Stadtgebiet Rheine sollen trans- relevanten Akteure im Stadtgebiet ein- parente und funktionale Strukturen geladen wurden: Themen: „Gelingen- gestaltet und verbindliche Vereinba- de Hilfebeendigungen – Hilfeabbrüche rungen zur Zusammenarbeit getroffen reduzieren“ und „Bedeutung partizi- werden; pativer Arbeitsweisen für das Gelingen • durch die Schaffung fehlender lokaler der Übergangsgestaltung in der Ju- Hilfsangebote und die Auflösung von gendhilfe“ Ausgangssituation, Herausforderungen und Ergebnisse in den vier Modellstandorten 37

• Abstimmungsgespräche zwischen Ju- • Übergang Schule-Beruf durch Einbe- gendamt und Jobcenter, Abteilung rufung der Hilfekonferenz: Für alle Leistungsgewährung, um finanzielle jungen Erwachsenen im Jugendhilfe- Versorgungslücken für Care Leaver zu kontext im Stadtgebiet Rheine ist eine vermeiden Hilfekonferenz im Hilfeplanverfahren • Verabredung des Schlüsselprozesses zwischen dem 17. und 18. Lebensjahr „Hilfekonferenz der Rechtskreise SGB vorgesehen. Darüber hinaus können II/SGB III/SGB VIII“ zwischen den Steu- jederzeit weitere Hilfekonferenzen von erungsgruppenmitgliedern im Kontext jedem der Beteiligten angeregt wer- der Berufsorientierung junger Men- den. Beteiligt sind die jungen Men- schen schen mit den Sorgeberechtigten, der Jugendhilfeträger, das Jugendamt, das Leitgedanken Jobcenter und die Agentur für Arbeit. Die Einberufung und Koordinierung In der Auseinandersetzung mit den Beson- der Konferenz erfolgt bei Zuständigkeit derheiten der Zielgruppe der Care Leaver des Jugendamts Rheine über die jewei- und deren häufig herausfordernden We- lige Fachkraft im Spezialdienst „R + V“. gen in die Selbständigkeit, wurde den Sofern die Zuständigkeit nicht beim Ju- Projektverantwortlichen deutlich, dass die gendamt Rheine liegt, übernehmen die Gestaltung der Übergänge und die eige- Fachkräfte der zuständigen Jugendhil- nen Hilfeprozesse in einem gut aufein- feträger in Rheine die Einberufung und ander abgestimmten Übergangskonzept Koordination. als „Wegweiser und Brücke“ für diese • Übergang von stationären in ambu- Zielgruppe fungieren können. Um Care lante Hilfesettings und der ggf. damit Leaver auf ihrem Weg zu einer größtmög- verbundene Umzug in die eigene Woh- lichen Eigenständigkeit zu unterstützen nung: Einhaltung des abgestimmten und zu fördern, bilden die beteiligten In- Prozessablaufes zwischen Jugendamt, stitutionen und Kooperationspartner das Jugendhilfeträgern und Jobcenter Fundament. Dabei ist zu berücksichtigen, (Leistungsgewährung) durch die jewei- dass es „Stolpersteine“ geben kann und ligen Fachkräfte zur Sicherung des fi- dass der Weg eines jungen Menschen auf nanziellen Überganges für die jungen der Brücke auch mal wieder zurück gehen Menschen. kann/darf. Das verbindliche Übergangs- • Begleitung zu Anschlusshilfen/-angebo- konzept soll diese „Stolpersteine“, „brü- ten: Die Kooperationspartner unterbrei- chigen Stellen“ und „Brückenabschnitte ten den jungen Menschen jederzeit das ohne Geländer“ erkennen, reparieren und Angebot direkter Begleitung zu weite- den Weg insgesamt ebnen. ren Hilfsangeboten oder Anschlusshil- fen und führen dies auf Wunsch auch Die aufgestellten Kooperationsvereinba- durch. rungen und Verabredungen setzen aus Sicht der Steuerungsgruppe an zentralen Trotz dieser Verabredungen und der Ver- Schnittstellen an. Die Verbindlichkeit kann breitung des Übergangskonzepts im insbesondere durch die geregelte Verant- Stadtgebiet kann derzeit (Frühjahr 2019) wortungsübernahme für die Einleitung be- noch wenig über mögliche Wirkungen, stimmter Schlüsselprozesse geregelt wer- die Nachhaltigkeit der Prozesse oder mög- den. Auch wenn sich viele dieser Prozesse liche Problemstellen berichtet werden. So derzeit noch in der Testphase befinden, bleibt zunächst offen, inwiefern die ge- lassen sich die folgenden hervorheben: troffenen Vereinbarungen auch einheit- 38

lich und verbindlich von allen Fachkräften • Übergangskonzept „Hilfe zur Selbstän- genauso umgesetzt werden und ob diese digkeit – gelingende Übergänge gestal- Absprachen auch mögliche Personalwech- ten“ für die Stadt Rheine sel „überstehen“. Insbesondere lose Ko- operationsbezüge oder Absprachen sind Darin enthalten sind u.a. die folgenden von dem Engagement der jeweiligen Trä- Prozessgestaltungen: ger abhängig. Umso wichtiger wird daher eine prozesshafte Evaluation der Umset- • Die Hilfesteuerung im Jugendamt Team zung des Übergangskonzeptes sein, um „R+V“ beinhaltet eine Hilfeplangesprä- auf mögliche Schwachstellen oder Un- che in dreimonatigen Abständen bei klarheiten in den Prozessen aufmerksam Care Leavern. zu machen. Dazu ist geplant, die Zielset- • Bei Hilfebeendigung werden verbindli- zungen des Übergangskonzeptes auf dem che Abschlussgespräche zum Hilfeende jährlichen Austauschtreffen der Kooperati- mit allen Beteiligten geführt, vor allem onspartner zu überprüfen und ggf. anzu- um Übergänge zu weiteren Hilfsange- passen. Dieses bleibt eine dauerhafte Her- boten zu optimieren und aus Erfahrun- ausforderung, um das Übergangskonzept gen zu lernen. im Stadtgebiet kontinuierlich aktiv umzu- • Im Rahmen der Hilfesteuerung im SGB setzen. VIII wird zwischen dem 17. und 18. Lebensjahr der jungen Menschen min- Die Bemühungen zur Gründung selbstor- destens eine Hilfekonferenz zum The- ganisierter Angebotsformen haben sich im ma der Berufsorientierung einberufen, Modellprojekt insbesondere auf das The- zu der dann die jeweiligen Beteiligten menfeld der Partizipation von Care Lea- und die zuständigen Fachkräfte aus vern konzentriert. In dem stattgefunde- den Rechtskreisen SGB VIII/SGB II/SGB nen lokalen Workshop zu diesem Thema III zusammen kommen. haben sich die beteiligten Akteure grund- • Es erfolgt eine standardisierte Prozess- sätzlich für die Idee einer trägerübergrei- gestaltung des finanziellen Übergangs fenden Regionalgruppe für Care Leaver von SGB VIII- in SGB II-Leistungen. ausgesprochen. Gleichzeitig wurde aber • Alle Prozessbeteiligten stellen Res- darauf verwiesen, dass diese Form eines sourcen für Überleitungsgespräche langsamen, sukzessiven und organischen sowie die Begleitung zu geeigneten Wachstums bedarf. Die Jugendhilfeträger Anschlusshilfen/-angeboten bereit. haben sich dementsprechend vorgenom- • Einmal jährlich findet im Stadtgebiet ein men, Ideen zu entwickeln wie erste Treffen Austauschtreffen aller Kooperations- für „Ehemalige“ aus den jeweiligen Pro- partner, die mit Care Leavern arbeiten, jekten heraus organisiert werden könnten. statt. Auf diese Weise sollen die Bedarfe und • Es erfolgt die Verabredung einer ge- Interessenlagen von Care Leavern eruiert meinsamen Haltung zur Partizipations- werden, um die Angebote für Care Leaver förderung. in Rheine möglichst adressatenorientiert • Entwicklung von Instrumenten und Me- zu gestalten. thoden in der Praxis der jeweiligen Ju- gendhilfeträger, u. a.: Ergebnisse: · Selbsteinschätzungsbögen für junge Elemente des Übergangskonzeptes Menschen vor und in der Verselb- ständigungsphase • Kooperationsvereinbarung zur Zusam- · Verselbständigungsordner für Care menarbeit zum Modellprojekt Leaver, den diese selber pflegen und Ausgangssituation, Herausforderungen und Ergebnisse in den vier Modellstandorten 39

ausfüllen können und der ihnen auch nachhaltig nach Beendigung der Hilfe zur Verfügung stehen kann

3.2 Kreis Lippe

Der Kreis Lippe ist mit knapp 350.000 Einwohnenden der zweitbevölkerungs- stärkste Kreis im Regierungsbezirk Det- mold (Ostwestfalen-Lippe) im Nordosten Nordrhein-Westfalens. In den Kategorien der NRW-Jugendämter wird der Kreis Lip- pe dem Jugendamtstyp 3 zugerechnet. Diese Kategorie setzt sich aus den Jugend- ämtern der Kreise und einer geringen Kin- derarmut zusammen (Belastungsklasse 4).

Ausgangssituation ©alphaspirit - stock.adobe.com

Im Kreis Lippe gibt es eine Vielzahl von Angeboten für junge Volljährige, die von Vorgehensweisen sowie auch Handlungs- unterschiedlichen Jugendhilfeträgern vor- möglichkeiten im Einzelfall auf der Steu- gehalten werden. Im Bereich der Verselb- erungsebene genau zwischen den Betei- ständigung bieten die jeweiligen freien ligten erörtert werden müssen. Werden Träger zahlreiche Konzepte mit individu- die individuellen Möglichkeiten sowie ellen Betreuungsmöglichkeiten an. Mit Handlungsbereitschaft und Erwartungen der Teilnahme am Modellprojekt erhoffte nicht kommuniziert, kann sich das nega- sich der Kreis Lippe die unterschiedlichen tiv auf den Steuerungsprozess auswirken. Handlungsmöglichkeiten der beteiligten Darüber hinaus bleibt für den Standort Institutionen und Einrichtungen im Sinne des Kreises Lippe festzuhalten, dass min- der Care Leaver besser zu nutzen und auf- destens 2/3 der jungen Menschen in einer einander abzustimmen. Hierfür musste in Verselbständigungsphase nicht in der sta- erster Linie der Austausch untereinander tionären Jugendhilfe eines der beteiligten hergestellt und eine Kommunikationsebe- Jugendhilfeanbieter und ein Großteil da- ne geschaffen werden. von gar nicht im Kreis Lippe untergebracht ist. Damit erfolgt in diesen Fällen eine Zu- Problemlagen sammenarbeit mit Kooperationspartnern und Institutionen, die an den erzielten Innerhalb des Kreisgebietes gibt es neben Vereinbarungen nicht nur nicht beteiligt dem Kreisjugendamt noch vier Stadtju- waren, sondern deren Praxen von den gendämter mit eigenen Standards, Kon- Standards und Prinzipien der in Lippe er- zepten und Handlungsleitfäden. arbeiteten Übergangsgestaltung z. T. weit entfernt sind. Diese vielfältige Träger- und Angebots- landschaft stellt neben den damit einher- Somit ergeben sich weiterhin (altbekann- gehenden Potenzialen auch die Heraus- te) Problemlagen, welche z. T. nur sehr forderung dar, dass die unterschiedlichen eingeschränkt steuerbar sind. 40

Örtliche Kooperationsstruktur und zu gestalten. So können thematisch auch Projektsteuerung schwierige Problemlagen im Vorfeld mitei- nander besprochen und gemeinsame Lö- Als Projektpartner nahmen folgende Institu- sungen erörtert werden. Fachkräfte wer- tionen und Einrichtungen neben dem Kreis- den somit unterstützt, Jugendliche sowie jugendamt Lippe am Modellprojekt teil: junge Volljährige im Übergang in die Selb- • Jobcenter Lippe ständigkeit zu coachen und zu begleiten. • Agentur für Arbeit • Jugendsiedlung Heidehaus e.V. Um mit dem Ende des Modellprojektes • Fürstin-Pauline-Stiftung nicht auch ein Ende der Kooperation ein- • SOS-Kinderdorf Detmold zuläuten, hat der Kreis Lippe ein Netzwerk „Care Leaver“ gegründet. Hier können Die Vertreter*innen der o. g. Organisati- sich Fachkräfte aus relevanten Einrichtun- onen bildeten die Steuerungsgruppe für gen und Institutionen mindestens zweimal das Projekt, welche sich regelmäßig zu- pro Jahr treffen, um sich über aktuelle Be- sammensetzte und die Ausgestaltung des lange auszutauschen, Veränderungen und Modellprojektes auf lokaler Ebene disku- Ideen gemeinsam planen und umsetzen tierte. Erfahrungen aus einer ähnlichen und den positiven Grundgedanken der Arbeitsgruppe „Jugendberufsagentur“ intensiveren Kommunikation und Beteili- konnten zur Bildung der neuen Arbeits- gung aller zu erhalten und fortzuführen. gruppe genutzt werden. Die Projektlei- tung übernahm der Kreis Lippe. In der Erarbeitung zeigte sich, dass es im Kreis Lippe zunächst notwendig war, dass Leitgedanken sich alle Beteiligten aus ihrer „Deckung“ wagen und die eigenen Handlungsmög- Insgesamt hat das Modellprojekt im Kreis lichkeiten aufzeigen, die dazu beitra- Lippe zu einer Qualitätsoffensive der gen können, die Versorgungslücken zu Übergangsgestaltung mit dem Jugend- schließen und strukturübergreifende Pro- amt als zentralem Akteur geführt. Unter zesse besser aufeinander abzustimmen. Federführung des Jugendamtes haben Der Austausch über die eigenen Gren- die beteiligten Akteure ihre Ressourcen zen, Ressourcen und Handlungsspielräu- stärker gebündelt („Zusammen gestal- me löste sodann viele „Aha-Erlebnisse“ ten wir den Übergang“). Die intensive aus. Allerdings ist hierfür die Bereitschaft Auseinandersetzung aller Kooperations- der einzelnen Beteiligten im Sinne der partner während des Prozesses der Kon- Adressat*innen und der Übergangsgestal- zepterarbeitung hat spürbar eine verän- tung zu handeln absolute Voraussetzung. derte innere Haltung wie auch intensivere Im Zweifel bedeutet dies auch mehr Arbeit Auseinandersetzung mit dem gesamten und mehr notwendige Ressourcen. Prozess der Übergangsgestaltung bei al- len Kooperationspartnern bewirkt. Die Ergebnisse: Kontaktaufnahme erfolgt nun deutlich Elemente des Übergangskonzeptes früher und die Kommunikation verläuft über kürzere Wege. Benötigte Unterlagen Nach intensiver Diskussion und Arbeit kön- können schon im Vorfeld zusammengetra- nen nun insgesamt drei strukturübergrei- gen, relevante Fristen berücksichtigt und fende Kernprozesse beschrieben werden. konkrete Handlungsschritte unbürokra- tisch abgesprochen werden, stets mit dem Die Kernprozesse sind im Einzelnen: Ziel den anstehenden Übergang lückenlos 1. „Verselbständigung aus stationärer Ju- Ausgangssituation, Herausforderungen und Ergebnisse in den vier Modellstandorten 41

gendhilfe“: Dieser Prozess bietet zu- nächst einmal einen groben Überblick über den gesamten Ablauf der Verselb- ständigung. 2. „Umzug in die eigene Wohnung“: Vor allem aus Sicht der Jugendhilfeträger wurde bemängelt, dass es in diesem Prozess häufig zu Versorgungslücken komme. Dieser Kernprozess beschreibt daher Schritt für Schritt den Weg aus der stationären Jugendhilfe in eine ei- gene Wohnung, exemplarisch mit dem Jobcenter als zuständige Behörde. 3. „Krise“: Dieser Kernprozess erschien notwendig, da Jugendliche bzw. junge Volljährige aufgrund einer Krise häufig ©BillionPhotos.com - stock.adobe.com den Kontakt zum bestehenden Hilfesys- tem verlieren und nicht wieder aufneh- und Einheit in die lippische heterogene Ju- men bzw. nicht mehr aufgenommen gendhilfelandschaft zu bringen. werden. Mit der Prozessbeschreibung soll daher deutlich gemacht werden, dass ein (Wieder-)Eintritt in das Jugend- 3.3 Kreis Siegen-Wittgenstein hilfesystem trotz bzw. gerade aufgrund einer Krise grundsätzlich möglich ist. Der Kreis Siegen-Wittgenstein liegt im Süd- osten von Nordrhein-Westfalen und ist der Darüber hinaus wurden unterschiedliche südlichste in Westfalen. Mit knapp 280.000 Instrumente, Kopiervorlagen und Über- Einwohnenden gehört das Jugendamt des sichten überarbeitet oder neu erstellt und Kreises Siegen-Wittgenstein ebenfalls der der bestehenden Konzeptbeschreibung Belastungsklasse 3 an und weist eine sehr beigefügt. Vor allem die Einschätzungs- geringe Quote der Kinderarmut auf. bögen zum Stand der Verselbständigung stellen ein umfangreiches Befragungsins- Ausgangssituation trument sowohl für den/die jungen Men- schen als auch für Dritte dar. Die Einschät- Das Kreisjugendamt richtet generell seine zungsbögen enthalten zentrale Kriterien Hilfen einzelfallbezogen aus, d. h. es wird der Verselbständigung und bieten somit eine Hilfe gesucht und ausgestaltet, die ein geeignetes Hilfsmittel sowie eine gute sich am pädagogischen Bedarf des jungen Grundlage für das Hilfeplangespräch und Menschen orientiert. Zu Beginn einer Hil- die weitere Planung. Zudem geben die fe werden unter Einbeziehung des jungen Übersichten des Jobcenters und der Agen- Menschen, des Personensorgeberechtig- tur für Arbeit Jugendlichen bzw. jungen ten, dem Träger und der Fachkraft des Sozi- Volljährigen und Fachkräften einen guten aldienstes (RSD-Fachkraft) gemäß § 36 SGB Überblick über die einzelnen Leistungsan- VIII Ziele und Vereinbarungen getroffen. gebote. Zunächst war das Projekt zugeschnit- Zusammenfassend ist die im Rahmen des ten auf die besondere Herausforderung Modellprojektes erarbeitete Konzeptbe- der Gestaltung von erfolgreichen Über- schreibung ein Versuch mehr Transparenz gängen von unbegleitet minderjährigen 42

Ausländer*innen (umA), die andere An- Örtliche Kooperationsstruktur und forderungen an Hilfeverläufe aufgrund Projektsteuerung ihrer zum Teil sehr spezifischen Bedarfe stellen. Vor Projektbeginn fehlten kon- Begleitend zur operativen Ebene wurde kret definierte Standards im Hinblick auf eine Steuerungsgruppe installiert, zu der ein gemeinsames fachliches Verständnis Vertreter*innen (mindestens mittlere Lei- über Kompetenzen zur Aufgabe „Verselb- tungsebene): ständigung junger Menschen“. Es stand vielmehr im jeweiligen Ermessen bzw. der • von Trägern von HzE-Maßnahmen, Definition der jeweiligen pädagogischen • der Jugendsozialarbeit, Fachkraft, was Verselbständigung bein- • des Jobcenters Siegen-Wittgenstein, haltete. Zudem war nicht geregelt, welche • des Kommunalen Integrationszentrums weiteren Institutionen für einen erfolgrei- • und der Wohnungslosenhilfe eingela- chen Hilfeverlauf und/oder den Übergang den wurden. nach einer Hilfegewährung gemäß dem SGB VIII notwendiger Weise zu beteiligen Auf der operativen Ebene wurden die sind. Ebenso war der Zugang zu anderen schon durch das ESF-Projekt des BMFSFJ Institutionen nicht klar geregelt und somit „Jugend Stärken im Quartier“ (JUSTiQ) vom jeweiligen Ermessen der beteiligten im Aufbau befindlichen Strukturen zur Fachkräfte abhängig. Dies stellte die Fach- rechtskreisübergreifenden Zusammenar- kräfte sowohl bei den freien Trägern als beit weiter gestärkt. auch im Jugendamt vor das Dilemma, dass oftmals keine belastbaren Kompetenzbe- Leitgedanken schreibungen über den jungen Menschen zum Zeitpunkt des Hilfeplangespräches Es gilt die Maxime: Die Verselbständigung vorlagen und diese zunächst im Hilfeplan- orientiert sich am Entwicklungsstand des gespräch geklärt werden mussten. Die jungen Menschen sowie dem Erreichungs- vorliegenden Vorberichte waren häufig grad der Verselbständigung und nicht am wenig aussagekräftig. Alter („Es wird solange Jugendhilfe ge- währt, wie diese notwendig ist“). Problemlagen Während des Modellprojektes wurden die Zunächst richtete sich der Blick auf die Hil- entwickelten Bögen (s. u.) in immer wieder feplanung für junge Menschen, die sich auf modifizierter Form in Hilfeplangesprächen eine eigenständige Lebensführung vorbe- in einer Regionalstelle des ASD angewen- reiten oder sich bereits intensiv mit dieser det. Die aktuelle Fassung – obwohl inhalt- Entwicklungsaufgabe beschäftigen. Diese lich umfassend und damit entsprechend Vorgehensweise galt es als definiertes Ziel zeitintensiv – erfährt bei allen Beteiligten der beteiligten bzw. im Projekt mitwirken- positive Rückmeldung, weil einerseits sehr den (Heim-)Träger und des Kreisjugend- detailliert, Ressourcen und Unterstützungs- amtes zu optimieren. Hintergrund dieser bedarfe deutlich werden und zum anderen gemeinsamen Ausgangsanalyse war die Ansatzpunkte für umfassendere Hilfestel- Einschätzung, dass die Vorberichte der Trä- lung bei der Entwicklungsaufgabe/-pha- ger bislang kaum standardisiert waren. Zu- se Verselbständigung sichtbar werden. gleich sollte gemeinsam definiert werden, Diese Beschreibung von Ressourcen und welche Herausforderungen sich aus päda- Entwicklungsbedarfen in der Kombina- gogischer Sicht darstellen, um die zentrale tion mit Fallkonferenzen, die oftmals Entwicklungsphase/ -aufgabe „Verselb- auch vor einem angedachten Hilfeende ständigung“ erfolgreich zu bewältigen. eingesetzt werden, vermitteln den jun- Ausgangssituation, Herausforderungen und Ergebnisse in den vier Modellstandorten 43

gen Menschen die Sicherheit, da sie so Ergebnisse: die Gewissheit erlangen können, dass Elemente des Übergangskonzeptes sie bei Bedarf weiterhin auf kompetente Ansprechpartner*innen, auch in anderen Ausgangspunkt für die konzeptionellen Institutionen, zurückgreifen können. Überlegungen ist, dass die Entwicklungs- aufgabe „Verselbständigung von jungen Aktuell ist ein RSD (ein ASD-Regionaldienst Menschen“ in einer stationären Jugend- von insgesamt vier regionalen Sozialdiens- hilfe ab dem 14. Lebensjahr beginnt. ten) im Kreisjugendamt in das Modellpro- Idealtypisch folgt auf eine vollstationäre jekt eingebunden. Diese Orientierung auf Unterbringung im Rahmen der Verselb- einen RSD-Standort erfolgte vor dem Hin- ständigung die teilstationäre Betreuung tergrund, dass die Projektausschreibung und nachfolgend die Begleitung junger des LWL aus Sicht des Kreises zunächst Menschen in ambulanter, pädagogischer sehr viel mehr auf die besondere Situati- Hilfe. Diesem Stufenmodell eines Hilfe- on von umA zugeschnitten war und die verlaufs folgend wurden drei Bögen zur intensive Einbindung des RSD Mitte in das Verselbständigung konzipiert, die die bis- Projekt vor dem Hintergrund erfolgte, dass herige Praxis der Vorberichte zum Hilfe- in dieser Regionalstelle die Betreuung und plangespräch im gesamten RSD ablösen Hilfeplanung von umA erfolgt. sollen:

Es ist jedoch seitens der Leitung geplant, Bogen 1: Stationäre Jugendhilfe dass alle vier Regionaldienste in absehba- Bogen 2: Verselbständigung im teilsta- rer Zeit nach den im LWL-Projekt entwi- tionären Rahmen, z. B. einer ckelten Standards arbeiten. Es ist vorge- Jugendwohngruppe sehen, dass alle Mitarbeiter*innen in den Bogen 3: Verselbständigung in eigener jeweiligen Regionaldiensten eingehend Wohnung und ambulanter, über den Projektstand informiert werden pädagogischer Hilfe und mit der Arbeit der entwickelten Bögen vertraut gemacht werden (voraussichtlich Da zunächst eine Konzentration auf der in der ersten Jahreshälfte 2019). Optimierung der Hilfeplanung lag (schwer- punktmäßig bis ca. März 2018) wurde ab Aktuell werden diese Bögen von den „gro- dem Frühjahr 2018 damit begonnen, die ßen“ Anbietern, die in der für das Projekt Schnittstellen zu den Rechtskreisen SGB II eingerichteten Steuerungsgruppe ver- und III nochmals unter dem Fokus der im treten sind, angewendet. Ziel ist es, dass Projekt entstandenen Konzeption „Gelin- nach entsprechender Information diese gende Übergänge gestalten“ zu schärfen flächendeckend von allen Trägern, mit de- und weiterzuentwickeln. Diese Prozessbe- nen das Kreisjugendamt zusammenarbei- schreibung wurde aufgrund von personellen tet, angewendet werden. Ressourcen zunächst auf die vorgenannten Kooperationspartner*innen begrenzt, da Die Anwendung der Bögen stellt auch eine für das Modellprojekt „Gelingende Über- Methode dar, um mit den jungen Men- gänge gestalten“ im Kreisjugendamt keine schen zielgerichtet und kontinuierlich ins zusätzlichen Personalkapazitäten zur Verfü- Gespräch über ihre Situation, Wünsche gung standen. Solche Prozessbeschreibun- und Ängste zu kommen. Darüber hin- gen müssen zukünftig noch mit weiteren aus soll die Mitverantwortung der jungen wichtigen Kooperationspartner*innen er- Menschen an dem positiven Gelingen der folgen (z. B. Wohnungslosenhilfe, Kommu- Hilfe durch Beteiligung gestärkt werden. nales Integrationszentrum). 44

Im Projektzeitraum haben bislang etwa konnten nur getrennt voneinander bewil- fünf Fallkonferenzen stattgefunden, die ligt werden und waren nicht aufeinander im Ergebnis gezeigt haben, dass die Ent- abgestimmt. wicklung im Einzelfall sehr viel effek- tiver und effizienter gestaltet werden Grund für die Teilnahme an dem Projekt konnte. Der junge Mensch und die/der war die oben beschriebene Ausgangslage Personensorgeberechtigte/n werden im verbunden mit der Idee, die sog. Care Lea- Vorfeld dieser Konferenzen darüber in- ver aus der stationären Jugendhilfe besser formiert und um Schweigepflichtsentbin- zu erreichen und die bereits vorhandenen dung gebeten. Im Einzelfall wird auch eine Hilfen und Angebote zusammenzuführen Beteiligung der jungen Menschen an der und zu optimieren. Daraus erwuchs die Fallkonferenz abgewogen. Idee, Leistungen des Jugendamtes und des Jobcenters unter Einbezug des § 16h SGB II zu verzahnen und somit frühe und ein- 3.4 Kreis Warendorf fache Zugänge für die jungen Menschen zu den verschiedenen Angeboten zu er- Der Kreis Warendorf liegt im Münsterland möglichen. Dadurch soll das Ziel der Ver- im Regierungsbezirk Münster im Norden selbständigung der jungen Menschen aus des Landes Nordrhein-Westfalen. In den der (stationären) Jugendhilfe frühzeitig ab Kategorien der NRW-Jugendämter wird dem 15. Lebensjahr gemeinsam bearbei- der Kreis Warendorf mit seinen ebenfalls tet werden. Außerdem soll mit Hilfe des knapp 280.000 Einwohnenden dem Ju- Modellprojektes die Kooperation zwischen gendamtstyp 3 zugerechnet. Diese Kate- dem Amt für Kinder, Jugendliche und Fa- gorie setzt sich aus den Jugendämtern der milien, Jobcenter und dem freien Träger Kreise und einer geringen Kinderarmut zu- Erziehungshilfe St. Klara vertieft werden. sammen (Belastungsklasse 4). Problemlagen Ausgangssituation Die primäre Zielsetzung des Projektes war Im Kreis Warendorf waren vor Beginn des die Entwicklung eines Rahmenkonzeptes Modellprojektes bereits viele Angebote der frühen Kooperation zwischen dem von den verschiedenen Beteiligten (Job- Amt für Kinder, Jugendliche und Famili- center, Amt für Kinder, Jugendliche und en, dem Jobcenter und den freien Trägern Familien und freie Träger) vorhanden. Be- der Jugendhilfe. In dem Rahmenkonzept sonders zwischen dem Amt für Kinder, Ju- sollten die nachhaltige Verselbständigung gendlichen und Familien und dem freien durch finanzielle Absicherung der jungen Träger Erziehungshilfe St. Klara besteht Menschen sowie passgenaue und bedarfs- eine lange enge Kooperation. Zu Beginn orientierte Hilfsangebote festgeschrieben des Modellprojektes wurde deutlich, dass und so unter anderem die „gelebte Pra- die verschiedenen Angebote der beteilig- xis“ verschriftlicht und vereinheitlicht wer- ten Institutionen längst nicht allen Betei- den. Mit Hilfe eines frühzeitigen Blicks auf ligten bekannt sind. Es gab gute individu- die perspektivische Verselbständigung von elle Kooperationen, die Prozesse waren jungen Menschen aus der stationären Ju- jedoch nicht festgeschrieben, sondern be- gendhilfe und dem rechtzeitigen Einbezug ruhten auf der Zusammenarbeit zwischen des Jobcenters (und anderer Partner) in einzelnen Mitarbeiter*innen (z. B. im Be- die Hilfeplanung soll der Übergang in die reich der Auszugsberatung). Die Leistun- Selbständigkeit und Unabhängigkeit nach- gen nach dem SGB VIII und dem SGB II haltig unterstützt werden. Ausgangssituation, Herausforderungen und Ergebnisse in den vier Modellstandorten 45

Zu Beginn des Projektes wurden folgen- de Vereinbarungen auf unterschiedlichen Ebenen getroffen:

• Strukturebene: Verzahnung der Hilfen mit dem Ziel der nachhaltigen Verselb- ständigung • Prozessebene: Begleitung und Unter- stützung der jungen Menschen bei der Erreichung ihrer eigenen Ziele. Erstel- lung eines verbindlichen Handlungs- konzeptes. Früherer Einbezug des Job- centers • Ergebnisebene: Grundlagen schaffen für weitere Zusammenarbeit

Örtliche Kooperationsstruktur und ©Nuthawut - stock.adobe.com Projektsteuerung rendorf vereinbaren, ihre Hilfeleistungen zu In der Steuerungsgruppe des Projektes ha- verzahnen. Durch die Verzahnung der Hil- ben als feste Teilnehmende fen kann die Verselbständigung früher un- terstützt und abgesichert werden. Angebo- • das Amt für Kinder, Jugendliche und te im Übergang erfolgen abgestimmt und Familien bedarfsorientiert: Doppelstrukturen wer- • und das Jobcenter den vermieden. Die Verselbständigung des • sowie die Erziehungshilfe St. Klara (Trä- jungen Menschen und seine Integration ger: Caritasverband im Kreisdekanat in den Arbeitsmarkt gelingen dauerhafter Warendorf e. V.) teilgenommen. und nachhaltiger. Darüber hinaus verlassen junge Menschen – durch die frühe Planung Die Projektsteuerung wurde gemeinsam hin zur Integration in den Arbeitsmarkt – vom Jugendamt und vom Job-Center das Hilfesystem wahrscheinlich eher, dauer- wahrgenommen. hafter und idealerweise über die Aufnahme einer Ausbildung. Es erfolgt eine gemein- Leitgedanken same Integrations-/Hilfeplanung durch Ju- gendamt, freien Träger und Jobcenter. Leitgedanke des Übergangkonzeptes in Warendorf ist eine nachhaltige Verselb- Dafür wird ab dem 15. Lebensjahr eine po- ständigung mit dem Ziel, im Übergang al- tenzielle Zuständigkeit des Jobcenters ge- les zu unternehmen, um junge Menschen prüft und – sofern diese gegeben ist – eine in die Lage zu versetzen, mittelfristig ein gemeinsame Hilfeplanung durchgeführt. eigenständiges Leben jenseits von Trans- In einem gemeinsamen Hilfeplangespräch ferzahlungen zu führen. Das Übergangs- mit dem Jobcenter sollen konkrete Abspra- konzept folgt damit einer präventiven chen getroffen werden. Diese beinhalten Grundausrichtung. die Art der möglichen Unterstützungen des Jobcenters und die Art der weiteren a) Vereinbarungen zur Kooperation: Begleitung. Denkbar wäre, dass es nach- Das Amt für Kinder, Jugendliche und Fa- folgende Beratungstermine für den jun- milien und das Jobcenter des Kreises Wa- gen Menschen und dessen Betreuer*in 46

geben wird und dass die Ausbildungsver- Ergebnisse: mittlung an weiteren Hilfeplangesprächen Elemente des Übergangskonzeptes beteiligt wird. Die Absprachen sollen im Zum Projektende liegen vor: Hilfeplan festgehalten und in folgenden Hilfeplangesprächen immer wieder über- • Eine Zustimmung des Sozialdezernats prüft werden. zur ämterübergreifenden Zusammenar- beit mit der Besonderheit der Komplex- Spätestens nach dem Hilfeplangespräch, leistung bei dem es um konkrete Verselbständi- • Ein Rahmenkonzept zur Zusammenar- gungsplanungen geht (im Idealfall mit beit zwischen Jobcenter, Amt für Kin- Beginn des 17. Lebensjahres), gibt es ein der Jugendliche und Familien und dem weiteres gemeinsames Hilfeplangespräch freien Jugendhilfeträger mit Beteiligung des zuständigen Ausbil- • Ein Handbuch für praktische Anwen- dungsvermittlers. In diesem sollen Vereinba- dung inklusive der Prozessbeschreibun- rungen/Terminierungen für die Beratungs- gen und Ablaufschemata leistung und die Auszugsberatung in der • Ein Kompetenzspiegel zur Befragung Anlage zum Hilfeplan dokumentiert wer- von jungen Menschen in der Verselb- den. Auch der Zeitpunkt der künftigen und ständigungsphase rechtzeitigen Antragstellung für Leistungen • Eine Anlage zum Hilfeplan zum Einbe- nach dem SGB II soll festgelegt werden, zug des Jobcenters wenn diese Hilfen die erwartbare Existenzsi- • Eine Schweigepflichtsentbindung ge- cherung nach dem Ende der HzE darstellen. mäß DSGVO

Nach dem erfolgreichen Umzug in eine selbständige Wohnform wird im Regel- 3.5 Die Standorte im bewerten- fall eine ambulante sozialpädagogische den Vergleich Betreuung über die Jugendhilfe erfolgen, in der die Kooperation mit dem Jobcenter Nach der Darstellung der Entwicklungen und die Verzahnung der jeweiligen Leis- und der Ergebnisse an den einzelnen Mo- tungen fortgeführt wird. dellstandorten sollen diese im folgenden Überblick vergleichend und bewertend b) Controlling: dargestellt werden. Wesentliches Kriterium Im Rahmen der Weiterentwicklung soll ein dazu ist die mit dem Modellprojekt anvisier- jährlicher Qualitätsdialog zwischen dem te Gestaltung gelingender Übergänge. Amt für Kinder, Jugendliche und Familien, dem Jobcenter und dem freien Jugendhilfe- Zur Darstellung der übergreifenden Pro- träger stattfinden. Über die Arbeitsgemein- jektergebnisse zeigt die Tabelle in einem schaft im Rahmen des § 78 SGB VIII werden ersten Schritt eine systematische Übersicht Informationen an weitere Partner übermit- der von den vier Standorten im Rahmen telt, mit dem Ziel die Inhalte des Konzeptes des Modellprojektes erreichten Zielstel- auf weitere Träger zu übertragen. lungen. Zunächst werden die durch das Modellprojekt explizit vorgegeben Projekt- c) Gründung von Formen der Selbstorga- ziele (s. Kapitel 2) aufgeführt. Grundlage nisation: dieser Zusammenfassung sind die Anga- Die Gründung von Formen der Selbstorga- ben der Modellstandorte, wie sie in Kapi- nisation gilt es im Laufe der kommenden tel 3 dokumentiert sind, die Konzepte und Zusammenarbeit zwischen den Projektbe- Materialien, die unter www.gelingende-ue- teiligten zu erarbeiten und zu intensivieren. bergaenge.lwl.org abrufbar sind, und die Ausgangssituation, Herausforderungen und Ergebnisse in den vier Modellstandorten 47

Übersicht der erreichten Zielstellungen (Stand: Februar 2019) Zielstellungen des LWL-Projektes Übergangskonzepte Verbindlichkeit Nachhaltigkeit

Stadt Rheine X X NN

Kreis Lippe X X NN

Kreis Siegen- Wittgenstein X (X) NN Kreis Warendorf X X NN telefonische Nachbefragung im Rahmen weitung auf die gesamte Kommune noch der Evaluation im Januar/Februar 2019. erfolgen soll. Im Kreis Lippe zeigte sich im Rahmen des Modellprojektes eine Besonder- Alle vier Modellstandorte haben die an- heit hinsichtlich der Verbindlichkeit dadurch, visierten Übergangskonzepte entwickelt. dass die dort entwickelten Konzepte bislang Diese widmen sich vor allem den Über- nur für junge Menschen in Zuständigkeit des gängen in den HzE, also den Übergängen Kreises und bei Trägern innerhalb des Krei- aus stationären Hilfen in ambulant betreu- ses gelten (s. Kapitel 3.2). Diese Problematik te Wohnformen und dem damit zumeist gilt jedoch für alle Kooperationen in denen einhergehenden Wohnungswechsel, der die Gebietskörperschaften der Kommunen Vorbereitung und Realisierung der Been- nicht mit den örtlichen Zuständigkeiten der digung von HzE und der Sicherung von Arbeitsagenturen oder/und der kommuna- Zuständigkeitsübergängen sowie der Exis- len Zuordnung freier Träger (zur Vereinba- tenzsicherung im Zuge solcher Übergänge. rung von Leistungen, Entgelten und Quali- tätsentwicklung) zusammenfallen. Über entsprechende Fachkonzepte und ein- geführte Instrumente sichern die Standorte Eine gesicherte Nachhaltigkeit kann zu Be- die Verbindlichkeit der Anwendung dieser ginn des Jahres 2019 noch bei keinem Mo- Entwicklungen. Die KIammer in der Spalte dellstandort konstatiert werden, da sich eini- „Verbindlichkeit“ steht dafür, dass die Ele- ge Elemente noch in der Einführungsphase mente des Übergangskonzeptes im Kreis befinden und die geplanten Controlling- Siegen-Wittgenstein zunächst in einem Regi- oder Reflexionstreffen erst zukünftig statt- onalteam eingeführt wurden und eine Aus- finden sollen.

Zielstellungen des Fachdiskurses Qualifizie- Beteili- Qualifizie- Coming Orientie- Soziale rung Hilfe- gung rung der back & rung an Netz- planung Bildungs- Nachbe- Kompe- werke und Aus- treuung tenzen für Care bildungs- Leaver prozesse Stadt Rheine X X X (X) X NN

Kreis Lippe X X X X

Kreis Siegen-Wittgen- stein X X X Kreis Warendorf X X X NN 48

Neben den expliziten Projektzielen werden des Kreises Leistungen von Trägern inner- in dieser Tabelle einige dem Fachdiskurs halb des Kreises nutzen. Die noch nicht (vgl. Kapitel 1.5) entnommene Zielstel- feststellbare Nachhaltigkeit der hier vorlie- lungen aufgeführt. Diese fanden entwe- genden Konzepte weist hingegen eher auf der über die Entwicklungswerkstätten zeitliche Dimensionen solcher Reformen (vgl. Kapitel 2.2) Eingang in das Modell- im Zuge von Modellprojekten hin. projekt (z. B. Beteiligung) oder entspran- gen lokalen Entwicklungen wie etwa die Die über die expliziten Erfolge des Modell- Qualifizierung des Hilfeplanverfahrens. In projektes hinaus erreichten Zielstellungen der Tabelle bei einzelnen Standorten nicht zeugen einerseits vom Engagement der markierte Zielstellungen bedeuten nicht, Akteure und verweisen noch einmal dar- dass diese an einem Standort nicht vorzu- auf, dass Übergänge von Care Leavern sich finden sind. Dokumentiert sind lediglich nicht in den Übergängen von Zuständig- die Entwicklungen, die innerhalb des Mo- keiten sozialpolitischer Leistungen erstre- dellprojektes identifiziert werden können. cken, sondern als umfassende Prozesse der Die einschränkenden Angaben für die Erlangung von Selbständigkeit in Fragen Stadt Rheine bedeuten, dass Rückschritte der Existenzsicherung, der Bildungs- und und Stolpersteine in Übergangsprozessen Ausbildungsaspiration, der Kulturtechni- zwar in den Leitgedanken, der „Telling ken und nicht zuletzt der psycho-sozialen Story“ thematisiert werden, jedoch bis- Entwicklung zu betrachten sind. Zugleich lang nicht mit konkreten diesbezüglichen zeigen sich hier, ähnlich wie bei den im (Coming back-) Optionen versehen sind Rahmen des Expert*innenworkshops dis- bzw. dass die Initiierung einer lokalen Care kutierten Transferpotentialen, weitere Leaver-Gruppe in Rheine und Warendorf Entwicklungsnotwendigkeiten etwa hin- hier zwar angedacht ist aber eben bislang sichtlich der Nachbetreuungen oder der nicht realisiert wurde (NN). Förderung von sozialen Netzwerken von Care Leavern. Über die in der Tabelle dar- Wie die beiden Übersichten zeigen, ist es gestellten Entwicklungen ließe sich auf im Rahmen des Modellprojektes gelungen, Grundlage des Expert*innenworkshops vier lokale Übergangskonzepte für Care zudem noch auf eine verbindliche Ein- Leaver zu entwickeln. Diese widmen sich bindung der Wohnungslosenhilfe, der Übergängen in den HzE und dem Über- Jugendsozialarbeit und von Jugendmig- gang aus diesen heraus. Neben der hier im rationsdiensten verweisen. Auch die Initi- Kern sozialpädagogisch relevanten Koope- ative für und die Einbindung von lokalen ration von öffentlichem und freien Trägern Care Leaver-Netzwerken lassen sich als Zu- kommt der Kooperation mit dem SGB II- kunftsaufgabe festhalten. Gleiches gilt für Träger eine besondere Rolle hinsichtlich die Beachtung und Bearbeitung des Ver- der lückenlosen Existenzsicherung von schuldungsrisikos von Care Leavern. Care Leavern zu. Dieses Risiko konnte im Zuge der hier dokumentierten Konzepte gebannt oder zumindest deutlich gemin- dert werden.

Strukturelle Herausforderungen der Ver- bindlichkeit solcher Konzepte zeigen sich am Beispiel des Kreises Lippe und der Träger, die außerhalb des Kreises agieren bzw. der Jugendämter die von außerhalb Drei-Stufenmodell zur Qualitätsbeschreibung 49

4 Drei-Stufenmodell zur Qualitätsbeschreibung

Jenseits der lokalen Charakteristika und 4.1 Strukturqualität der jeweiligen Schwerpunkte der Modell- standorte zeigen die Auswertungen zum Unter Strukturqualität wird allgemein die Projektverlauf und zu den vorliegenden Beschreibung der Rahmenbedingungen Ergebnissen, dass die Akteure an den vier verstanden, die für die Erbringung einer Modellstandorten im Prinzip einem drei- Dienstleistung im Einzelfall oder die not- stufigem Verfahren gefolgt sind. Wichtig wendigen Fähigkeiten der Institution zur zu erwähnen ist noch einmal, dass die Erbringung der Dienstleistung benötigt Grundlage dazu die Ausschreibung des werden. Zum einen umfasst die Struk- LWL und der damit verbundene Abstim- turqualität dabei die relativ stabilen Cha- mungsbedarf wie die Willensbildung der rakteristika der eingesetzten personellen Akteure zu einer gemeinsamen Beteiligung und materiellen Ressourcen, die einem Vorraussetzung war (vgl. Kapitel 2.1). Auf Leistungsanbieter/Leistungsträger zur Ver- dieser Basis haben die Modellstandorte zu- fügung stehen. Materielle oder sachliche nächst die relevanten lokalen Akteure und Rahmenbedingungen beziehen sich auf Problemstellungen identifiziert und damit die technische Ausrüstung, die bauliche eine Projektstruktur geschaffen (Stufe 1). Einrichtung, die Infrastruktur sowie die Gerahmt durch die Zielstellungen und Räumlichkeiten und Arbeitsmittel. Unter Impulse des Modellprojektes mit seinen personellen Ressourcen lassen sich die Entwicklungswerkstätten (vgl. Kapitel 2.2) Kenntnisse, Fähigkeiten, Kompetenzen, haben sie anschließend konkrete Ziele und Qualifikationen sowie der Aus-, Wei- Prozesse, die bearbeitet werden sollten, ter- und Fortbildungsstand des Personals bestimmt und diese in entsprechenden subsumieren. Zum anderen sind auch Formaten wie etwa Workshops bearbei- die organisatorischen und finanziellen tet (Stufe 2). Die Produkte und Ergebnisse Gegebenheiten, z.B. Arbeitskonzepte wurden schließlich gesichert und Quali- und rechtliche/vertragliche Bestimmun- täts- und Nachhaltigkeitsaspekte bedacht gen gemeint, unter denen sich die Leis- und (z. T.) bereits realisiert (Stufe 3). tungserbringung vollzieht. Darüber hin- aus zeigt sich die Strukturqualität in den Auf der Grundlage des klassischen Qua- Zugangs- und Nutzungsmöglichkeiten litätsverständnisses nach Donabedian der Leistung durch die nachfragenden (1980) und der Unterscheidung in drei bzw. anspruchsberechtigten Adressat*innen. Dimensionen der Qualität auf der Struk- tur-, Prozess- und Ergebnisebene sollen Verbindliche Kooperation sichern: im Folgenden die wesentlichen Erfolgsfak- Einen wesentlichen Aspekt der Struk- toren der Entwicklungen aufgezeigt und turqualität gelingender Übergänge konkrete lokale Beispiele dazu angeführt stellen die Verbindlichkeit und die Tie- werden. Grundlage dazu ist die Systemati- fe der Kooperationsbezüge der Akteu- sierung und Bewertung der örtlichen Pra- re dar. Zwei unterschiedliche Herange- xis der Modellstandorte auf Basis der Pro- hensweisen erscheinen hier möglich: jektausschreibung und -teilnahme durch Stehen zu Beginn solcher Vorhaben den LWL. zunächst politisch-strukturelle Ent- 50

scheidungen oder wird mit der prak- Die Standorte: tischen Arbeit begonnen ohne bereits Neben den Absprachen und Beschlüssen frühzeitig eine Idee von einer Nach- im Zuge der Bewerbung für das Modellpro- haltigkeitsentwicklung zu haben oder jekt begann die Kooperation auf der loka- haben zu müssen? Beide Strategien len Ebene im Rahmen des Modellprojektes sind im Einzelfall denkbar. Im Ergebnis mit einem Auftaktworkshop (vgl. Kapitel aber bedürfen beide Vorgehenswei- 2.2). Konkret bildeten somit diese beiden sen einer nachhaltigen Absicherung in Impulse (Absprachen und Beschlüsse zur den Organisationen, spätestens wenn Bewerbung und Auftaktworkshop) den neue Vorgehensweisen allgemein ver- Rahmen für die Entwicklung der Struktur- bindlich werden sollen. qualität gelingender Übergänge.

Die Autoren vertreten die Auffassung, Stadt Rheine dass zunächst alle relevanten Akteure identifiziert werden sollten, um sie an Die Bereitschaft zur Kooperation und der „einen Tisch zu holen“. Hierbei sollen Qualitätsanspruch an diese speist sich aus sie für die Kooperation bei Übergängen der guten und bereits lange existierenden gewonnen werden, es sollen grundsätz- Zusammenarbeit zwischen den Hauptak- liche Ziele der Entwicklung formuliert teuren Jugendamt und den freien Trägern werden und die Ressourcenausstattung als Leistungsanbieter. Der dritte Partner, muss thematisiert und geklärt werden. das Job-Center, unterstützt das Anliegen, ist aber aufgrund der nicht einfachen Or- Die Verbindlichkeit der systematischen ganisationsstruktur zwischen Kreis und Zusammenarbeit sollte durch eine kreisangehörigen Kommunen, in seinem schriftliche Kooperationsvereinbarung unmittelbaren Engagement eingeschränkt. oder einen „letter of intent“ gesichert Die Initiative und die Nachhaltigkeit wird werden, auch die spätere Verabschie- durch die spezialisierte und beauftragte dung eines entwickelten Fachkonzep- Fachkraft des Jugendamtes gewährleis- tes im Jugendhilfeausschuss ist mög- tet. Abstimmungen folgen der Logik einer lich. Durch eine solche formale Struktur Aufbauorganisation der öffentlichen Ver- soll vermieden werden, dass sich Ko- waltung und dauern oft lange. Die Zusam- operationen häufig ausschließlich auf menarbeit mit den freien Trägern gestaltete die gute Zusammenarbeit zwischen sich traditionell positiv und erhielt durch Einzelpersonen beziehen, die wegbre- das Projekt noch einen qualitativen Schub. chen, wenn diese Personen nicht mehr Dieser zeigt sich nach Angaben der lokalen im gleichen Kontext arbeiten. Akteure dadurch, dass man noch intensiver miteinander im Gespräch sei und dass das Anschließend folgt das Arbeitspro- gegenseitige Verständnis für die jeweili- gramm, in dem gemeinsame und or- ge Rolle im Hilfeplan gewachsen sei. Eine ganisationsbezogene Arbeitsformen schriftliche Kooperationsvereinbarung exis- sowie themenbezogene Fortbildungen tiert an diesem Standort nicht, jedoch ein festgelegt werden. Das Ergebnis sollte dokumentiertes Fachkonzept (vgl. unter: ein organisationsübergreifendes und www.gelingende-uebergaenge.lwl.org) verbindliches Fachkonzept darstellen. Um dem Anliegen Nachdruck zu ver- Kreis Lippe leihen, könnten die Ergebnisse durch eine spezifische Öffentlichkeitsarbeit Die Projektlinien verfolgen im Kreis Lippe (Presse, Medien, Infomaterialen, ggf. das Ziel, die bereits bestehenden internen Berichtswesen) unterstützt werden. Strukturen des Jugendamtes zu verbessern. Drei-Stufenmodell zur Qualitätsbeschreibung 51

Die Qualität der Zusammenarbeit kann eher Kreis Warendorf als Koordinierung zwischen den Projekt- partnern verstanden werden. Für den Kreis Lippe stellt es sich als strukturelles Problem Anders als in den zuvor beschriebenen heraus, dass die für den Kreis gefundenen Standorten, entspringt die Initiative zu Vereinbarungen nicht auf andere Gebiets- dem Projekt einer strategischen Zielbe- körperschaften Anwendung gefunden ha- schreibung der Verwaltungsspitze. Unter- ben. Dies gilt insbesondere für stationäre stützt wurde diese Richtungsentscheidung Unterbringungen außerhalb der eigenen durch den Umstand, dass die wesentli- Zuständigkeit, also bei Trägern in anderen chen Organisationseinheiten (Jugendamt Kommunen. Das Job-Center war während und Job-Center) unter einer Dezernats- des Projektzeitraums nicht oder nur sche- zuständigkeit arbeiten. Hier wurde der § matisch als Projektträger erkennbar, wenn gleich eine zentrale Intention (Leistungslü- 16h SGB II als Realisierungsmöglichkeit cken zu vermeiden), mitgetragen und als zur Zusammenarbeit herangezogen. Diese Wirkung deutlich erkennbar wurde. Eine Umstände haben den Prozess in Waren- explizite Kooperationsvereinbarung exis- dorf wesentlich unterstützt. Allerdings ist tiert an diesem Standort nicht, die Entwick- es auch hier nicht geglückt, bzw. im Kon- lungen wurden jedoch in einem Konzept text der o. g. politischen Zielbestimmung festgehalten. und der organisatorischen Nähe nicht mehr notwendig gewesen, eine schriftli- Kreis Siegen-Wittgenstein che Kooperationsvereinbarung zu formu- lieren. Die Zusammenarbeit mit den freien Eine schriftliche Kooperationsvereinbarung Trägern gestaltete sich traditionell positiv zwischen den Projektpartnern existiert in und erhielt durch das Projekt noch einen diesem Standort ebenfalls nicht. Dies ist bestimmten Schub, indem neue Angebote hier expliziter als an anderen Standorten durch einen Kooperationspartner entwi- der Projektstruktur geschuldet, nach der ckelt wurden, die bisher nicht vorhanden sich das Jugendamt des Kreises Siegen- waren. Wittgenstein zunächst auf eine Außen- stelle des RSD (ASD) konzentriert hat. Die Projektentwicklung fand zunächst lediglich 4.2 Prozessqualität in dieser Außenstelle, die sich durch die Hauptsachbearbeitung für die Zielgruppe Die Qualität der Prozesse bezieht sich auf der umA auszeichnete, statt. Zielrichtung die Art und Weise wie Leistungen erbracht und konzeptionelle Vorstellungen haben werden und beschreibt somit die Gesamt- im Projektverlauf mehrfach gewechselt heit aller Aktivitäten, die im Verlauf der und sich erst zum Schluss konsolidiert. Die tatsächlichen Erstellung des Produktes/der Projektergebnisse werden nun auf andere Leistung vollzogen werden. Sie umfasst ASD-Standorte übertragen. Das Job-Center damit alle Tätigkeiten, die entweder direkt entwickelte sich im Laufe des Prozesses zu oder indirekt mit der unmittelbaren Leis- einem erkennbaren Gestaltungsfaktor für tungserbringung verbunden sind. Sie be- bestimmte Projektideen und stellt inzwi- inhaltet etwa die Durchführung von Bera- schen einen verlässlichen Partner dar. Die tungen, den Ablauf der Hilfeplanung, die Zusammenarbeit mit den freien Trägern ge- Handhabung von Standards und Vereinba- staltete sich traditionell positiv. Allerdings rungen zwischen Anspruchsberechtigten ist bei diesem Standort beobachtbar, dass und Erbringern von Leistungen. sich durch die konzeptionelle Veränderung die Trägerauswahl verändert hat. Die ur- sprünglich vorgesehenen Träger sind im Projekt nicht mehr präsent, dafür andere. 52

Prozesse identifizieren und -ver Unterarbeitsgruppen oder Workshops und bindlich gestalten sind in Kapitel 3 bzw. in den ausführlichen Beschreibungen der Standorte enthalten. Für eine leistungsgewährende Struk- (vgl. unter: www.gelingende-uebergaenge. tur innerhalb der Jugendhilfe wie im lwl.org) Kontext des SGB II kommt der Iden- tifikation und der Beschreibung und Stadt Rheine verbindlichen Festlegung von Über- gangsprozessen sowie der Adressa- Es existieren für relevante Abläufe grafisch ten-Beteiligung eine besondere Be- aufbereitete Schlüsselprozessbeschrei- deutung zu. Zentral ist die Frage, wie bungen, wie z. B. Falleingangssteuerung, Rechtsansprüche gesichert werden Beratung oder zum Thema Verselbständi- und wie allgemeine Merkmale eines gung. Die beteiligten Träger haben diese Prozesses zur Leistungsbewilligung Entwicklungen aufgenommen und in ihre geregelt und wie Schnittstellen zu eigenen Prozessabläufe implementiert. anderen Leistungsfeldern identifiziert Die Prozesse sind mit allen Partnern ab- und gemeinsam bearbeitet werden. gestimmt und befinden sich in der Erpro- Schließlich: Wie gelingt die umfassen- bung. Sie sind Bestandteil eines gemeinsa- de Beteiligung der jungen Menschen? men Fachkonzeptes. Für wiederkehrende Relevante Prozesse/Schlüsselpro- Fragestellungen wurden Formulare ent- zesse sind hier z. B. Reflexion und wickelt und allen Akteuren zur Verfü- Vorbereitung von Selbständigkeit, gung gestellt. Instrumente zur Selbst- und Bildungsförderung, Hilfeplanung, Fremdeinschätzung wurden entwickelt Hilfekonferenzen, Antragswege, die oder bestehende Instrumente qualifiziert. Schnittstelle zur wirtschaftlichen Ju- Fallkonferenzen sind zu unterschiedlichen gendhilfe und der Leistungsbereich Zeiten und Anlässen vorgesehen, aller- des Job-Centers, Umzug/Wohnungs- dings noch nicht oder kaum erprobt. wechsel, Beschwerdemanagement, Krisensituationen, Hilfeabbrüche. Kreis Lippe Verbindlichkeit und Qualitäts- merkmale lassen sich z. B. durch Es existieren für die relevanten Abläufe, Konzepte, Flussdiagramme, In- wie etwa zum Hilfeplanverfahren grafisch formationswege oder Fallkonfe- aufbereitete Schlüsselprozesse. Die Pro- renzen bestimmen und sichern. zesse sind mit allen Partnern abgestimmt Neben solchen Prozesselementen und befinden sich in der Erprobung. Für kommt der Entwicklung von Haltung wiederkehrende Fragestellungen wur- und Umsetzung von verbindlichen den hilfeplanunterstützende Formulare und den jungen Menschen gemäßen entwickelt und allen Akteuren zur Verfü- methodischen Formen der Beteili- gung gestellt. Instrumente zur Selbst- und gung im Einzelfall eine hohe Bedeu- Fremdeinschätzung wurden entwickelt tung zu. oder bestehende Instrumente qualifiziert. Fallkonferenzen sind an diesem Standort zum Projektende nicht vorgesehen. Die Standorte:

Die Arbeitsformen und Prozesse der loka- len Partner mit Blick auf die Prozessqualität von Übergängen bestanden zumeist aus Drei-Stufenmodell zur Qualitätsbeschreibung 53

Kreis Siegen-Wittgenstein vereinbarungen dienen als Synonyme für Erfolg. Jedoch können auch Indikatoren Es existieren für relevante Abläufe wie wie die Zunahme an wahrgenommenen z. B. zur Überleitung von der Jugendhil- Ressourcen, z. B. einer bessereren Zusam- fe zum Job-Center grafisch aufbereitete menarbeit zur Bestimmung von Ergebnis- Prozessbeschreibungen. Die Prozesse sind qualität herangezogen werden. mit allen Partnern abgestimmt und befin- den sich in der Erprobung. Instrumente zur Selbst- und Fremdeinschätzung wur- Qualität und Nachhaltigkeit den entwickelt oder bestehende Instru- sichern mente qualifiziert. Einschätzungsbögen in jugendgemäßer Form wurde hier eine Qualitätsentwicklung verfolgt das besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Ziel, Produkte oder Leistungen kon- Fallkonferenzen sind zu unterschiedlichen tinuierlich weiterzuentwickeln und Zeiten und Anlässen vorgesehen, aller- das Ergebnis für die Nutzenden dings noch nicht oder kaum erprobt. stetig zu verbessern (Prozess der kontinuierlichen Qualitätsverbesse- Kreis Warendorf rung, siehe auch PCDA- Kreislauf). Dabei kommt der Sicherung der Nach- Es existieren grafisch aufbereitete Schlüs- haltigkeit von gelingenden Übergän- selprozesse für die Themenfelder Hilfe- gen eine besondere Bedeutung zu. planung und Übergangsgestaltung zum Auf folgende Indikatoren lässt sich an Job-Center. Die Prozesse sind gemeinsam dieser Stelle verweisen: mit allen Partnern entwickelt worden und • Vermeidung von Leistungsfehlzei- befinden sich in der Erprobung. Es wurden ten sicherstellen Formulare für die Zusammenarbeit mit • Nachgehende Beratung absichern den freien Trägern und eine gemeinsame und ggf. Rückkehroptionen ver- Schweigepflichtsentbindung von Jugend- einbaren amt und Job-Center entwickelt und einge- • Sicherung der Beteiligung im Ein- führt. Instrumente zur Selbst- und Fremd- zelfall einschätzung, wie ein Kompetenzspiegel Vermieden werden soll in jedem Fall wurden entwickelt. Fallkonferenzen sind ein Abgleiten von jungen Menschen zu unterschiedlichen Zeiten und Anlässen in die Wohnungslosigkeit. vorgesehen, allerdings noch nicht oder kaum erprobt. Darüber hinaus sind Anstrengungen zu unternehmen, Hilfe und Unterstüt- zung bei der strukturellen Beteiligung 4.3 Ergebnisqualität der Care Leaver zu geben z. B. durch Informationen in jugendgerechter Unter Ergebnisqualität werden die Verän- Sprache, Aufklärung über Rechte und derungen des gegenwärtigen und zukünf- Pflichten, Ehemaligenarbeit und loka- tigen Zustandes eines Sachverhaltes oder le Care-Leaver-Initiativen. einer Veränderung des Verhaltens verstan- den. Meist wird die Ergebnisqualität durch Die Datenlage in den Kommunen und die Betroffenen selbst bewertet, Zufrieden- Kreisen zur Arbeit mit Care Leavern ist heit und Lebensqualität sind dabei wichtige dünn. Daher gehören Evaluation und Qualitätsaspekte. Aber auch der Grad einer Controlling zur weiteren Sicherung Zielerreichung und die Einhaltung von Ziel- der Nachhaltigkeit, um die Weiter- 54

entwicklung der „gelingenden Über- finden aber allein im „Kernprozess gänge“ auf der Struktur- und Pro- Krise“ am Standort Lippe Berücksich- zessebene zu sichern. Beispielhafte tigung. Insgesamt besteht an dieser Ansatzpunkt dazu sind: Vereinbarung Stelle weiterer Entwicklungsbedarf von Auswertungs- und Austausch- hinsichtlich einer konzeptionellen und treffen, Verabredung von Control- strukturellen Verankerung. ling-Daten und Einführung bzw. Einbettung in Qualitätsmanagement- 3. Die Sicherung der Beteiligung im Einzel- systeme vor Ort. Wichtiges Thema fall findet sich in den Prozessabläufen ist die kontinuierliche Reflexion der der Modellstandorte und in den Mate- (kommunalen) Reichweite, die vor al- rialien zur Hilfeplanung wieder. Damit lem in Kreisen und kreisangehörigen zeigt sich eine erkennbare Aufwertung Gemeinden den Geltungsbereich der der Beteiligung der jungen Menschen lokalen Übergangssicherung begren- vor allem im Rahmen der Hilfepla- zen kann. Nicht zuletzt legitimieren nung aber auch darüber hinaus etwa diese Daten die Einführung solcher in Hilfeprozessen oder Fallkonferenzen. Konzepte gelingender Übergänge. Unklar bleibt bislang jedoch, welche Wirkung über verstärkte Beteiligung erreicht werden soll. Entwicklungsbe- Die Standorte darf zeigt sich damit hinsichtlich der konzeptionellen Verbindung zwischen Für alle vier Standorte sind die Ergebnisse der Förderung von Beteiligung und an dieser Stelle sehr vergleichbar, ausge- nachfolgenden Effekten (auch) für ge- prägte Unterschiede sind nicht festzustel- lingende Übergänge und eine nachhal- len. Dies ist insofern auch nicht verwun- tige Selbständigkeit derlich, da die beteiligten Organisationen bisher wenig Wert auf strukturierte Wir- 4. An keinem Standort ist es bislang gelun- kungsbewertungen gelegt haben. Den- gen, eine Form der lokalen Selbstorga- noch lassen sich zusammenfassend fol- nisation der Care-Leaver im Projektzeit- gende Befunde identifizieren: raum zu etablieren. Ein entsprechendes Vorhaben ist an den Standorten Rheine 1. Durch die Zusammenarbeit und die und Warendorf zu erkennen. Vereinbarungen mit dem Job-Center konnte in allen Standorten nach Aus- 5. Eine strukturierte Evaluation, basierend sage der beteiligten Akteure und an- auf einer stabilen Datenlage, war bis gesichts der erarbeiteten Prozesse er- zum Ende der Projektzeit bei keinem reicht werden, dass die Schnittstelle der Projekte geplant. Vereinbart wur- zwischen der wirtschaftlichen Jugend- den jedoch qualitative Auswertungs- hilfe und der Leistungsabteilung des gespräche zur Selbstvergewisserung in Job-Centers nicht mehr in eine Sack- einem (halb-) jährlichen Rhythmus. gasse für die jungen Menschen führt. Die bruchfreie Überleitung zwischen diesen beiden Leistungsträgern konnte so möglich gemacht werden.

2. Die Sicherung von nachgehender Bera- tung und die Realiserung von Rückkeh- roptionen sind bislang zwar bedacht, Drei-Stufenmodell zur Qualitätsbeschreibung 55

4.4. Transferpotentiale aus Sicht Beteiligung sollte zudem nicht erst in der von Expert*innen Hilfeplanung eine Rolle spielen. Vorausset- zung einer Beteiligung sind jugendgemäße Im April 2018 fand im Rahmen des Mo- Informationen und Kenntnisse über Ange- dellprojektes ein Expert*innenworkshop bote, Ansprüche und Rechte. Dies gilt auch statt. Ziel dieses Workshops war die Re- für junge geflüchtete Menschen. Notwen- flexion der Entwicklungen innerhalb des dig erscheint aus Sicht der Expert*innen Modellprojektes und die Identifikation von hier zudem die systematische Einbindung Transferpotentialen. Teilgenommen haben von Dolmetscher*innen und Jugendmig- Expert*innen aus Wissenschaft und Praxis, rationsdiensten. Die Expert*innen regten Vertreter*innen der beteiligten Kooperati- ferner an, dass junge Menschen zu Fall- onspartner und Care Leaver aus dem Care konferenzen eine Person ihres Vertrauens Leaver e.V. (Liste der Teilnehmenden s. An- mitbringen können. hang). Die Kooperation im Rahmen des § 16h Auf Grundlage einer Darstellung der Pro- SGB II am Standort Warendorf und die jektelemente (Matrix), einer qualitativen in diesem Rahmen anvisierte Verzahnung Beschreibung der Entwicklungen und von Leistungen des SGB II und des SGB Vorhaben der Modellstandorte (Matrix VIII (vgl. Kapitel 3.4) kommentierten die qualitative Beschreibung) und der Be- Expert*innen hinsichtlich des Transferpo- schreibung möglicher transferrelevanter tentials uneinheitlich. Sie verwiesen einer- Ansätze reflektierten und kommentierten seits darauf, dass beachtet werden muss, die Expert*innen mögliche Potentiale dass das SGB II einen anderen Auftrag als dieser Ansätze. die Kinder- und Jugendhilfe hat und dass deshalb die Gefahr bestehen kann, dass An den Standorten Rheine, Lippe und hier Leistungen anstelle der Leistungsprin- Siegen-Wittgenstein ließen sich im Pro- zipien und Zuständigkeit der Jugendhilfe jektzeitraum explizite Initiativen zur (um- entwickelt werden. Fraglich sei demnach fangreicheren) Beteiligung der jungen auch, ob im Rahmen von Leistungen nach Menschen ausmachen. Anspruch ist es, § 16h SGB II auch Beziehungsarbeit ge- häufig Jugendliche und junge Erwachsene leistet werden kann oder ob dafür dann entsprechend ihrer Entwicklung qualitativ die Kinder- und Jugendhilfe zuständig sei? an den Hilfen und im Rahmen der Über- Auf der anderen Seite wurden die Ge- gänge zu beteiligen. Ziel soll es sein, dass staltungsmöglichkeiten des § 16h SGB II keine Entscheidungen getroffen werden, gewürdigt, die viele Möglichkeiten eröff- die sich gegen den Willen der Betroffenen neten, die den lokalen Bedarfen entspre- richten. chend genutzt werden können, wie das Beispiel aus Warendorf eben zeige. Auch Die Expert*innen verwiesen auf das Po- ohne diese spezielle Rechtsgrundlage sei tential solcher Entwicklungen, wenn damit es jedoch wichtig, Jobcenter früh in Ent- gesichert würde, dass die Hilfe erst dann wicklungen für Care Leaver und junge Er- beendet wird, wenn der junge Mensch wachsene allgemein einzubeziehen und dies auch will. Dabei ist zu berücksichtigen, eine Struktur für Kombinationsleistungen dass die Jugendhilfe (prinzipiell) auch nach zu entwickeln. In diesem Zusammenhang einem Hilfeende zuständig bleibt und dass wurde auch das Ziel einer Sanktionsver- junge Menschen auch nach dem formalen meidung thematisiert. Deutlich sprachen Hilfeende eine Rückkehrmöglichkeit in die sich die Expert*innen dafür aus, dass Leis- öffentliche Unterstützung haben müssen. tungsgestaltungen sich in erster Linie am 56

Wohl und den Entwicklungen junger Men- gen Stellen zusammenkommen. Angeregt schen auszurichten hätten. werden ferner Konzepte der Peer-to-Peer- Beratung oder Patenschaftsmodelle. Beide Die insbesondere in Rheine und Waren- Formen der individuellen Unterstützung dorf erkennbare politische Leitidee (vgl. entfalten bei in Deutschland aufgewach- Leitgedanken in Kapitel 3.1 und 3.4) in senen jungen Menschen genauso wie bei Form einer „Telling Story“ und ihr Impuls geflüchteten jungen Menschen aus Sicht für die Durchsetzungsfähigkeit einer kon- der Expert*innen eine hohe Wirkung. zeptionellen Neuausrichtung zeigt aus Sicht der Expert*innen auf, dass die hinter Das angesichts der Planungen an den solchen Leitideen stehende Haltung eine Standorten Rheine und Warendorf auf- große Rolle spielt. Diese zeige sich hier in geworfene Thema der (lokalen) Selbst- der bewussten Verantwortung der betei- hilfeorganisationen von Care-Leavern ligten Akteure für die Zielgruppe der Care (vgl. Kapitel 3.1 und 3.4) wurde von den Leaver. Eine besondere Chance wird darin Expert*innen mit Potentialen hinsichtlich gesehen, Funktionsträger der politisch- von zwei Richtungen erörtert. Einerseits als administrativen Entscheidungs- und Lei- Möglichkeit von und für Care Leaver, um tungsebene in Kontakt mit Care Leavern soziale Bezüge und persönliche Unterstüt- zu bringen, sie ggf. von ihnen fortbilden zungsnetzwerke zu knüpfen, und ande- zu lassen. rerseits als strukturelle Chance ehemalige Leistungsempfangende aus der Jugend- Ziel aller vier Standorte ist die Entwicklung hilfe in entsprechende Akteursnetzwerke einer verbindlichen Kooperation der und die kommunale Jugendhilfeplanung beteiligten Träger. Solche Formen der einzubeziehen. Konkret diskutierte Aspek- Zusammenarbeit können unterschiedlich te waren mehr Gruppenangebote für Care ausgeprägt sein und lassen sich als Koexis- Leaver bei freien Trägern (trägerspezifisch tenz, Koordinierung oder Kooperation be- oder/und trägerübergreifend) und die Auf- zeichnen (vgl. Bertelsmann Stiftung 2012). gabe von freien oder/und öffentlichen Trä- Mit Blick auf die an allen vier Standorten gern Care Leavern, Anschubinitiativen für entwickelten Formen der interdisziplinä- Care Leaver Netzwerke und z. B. auch Räu- ren und leistungsübergreifenden Zusam- me für Treffen zur Verfügung zu stellen. menarbeit weisen die Expert*innen darauf Schließlich erörterten die Expert*innen hin, dass es sich hier um beachtenswerte die Aufgabe von Jugendämtern Nachbe- Entwicklungen handelt, die aber nicht als treuungskonzepte und Gruppenangebo- abgeschlossen betrachtet werden sollten. te für Care Leaver als Qualitätsentwick- Aus ihrer Sicht sind hier weitere Akteure lungsmerkmal im Rahmen von Leistungs-, relevant. Konkret verwiesen wird auf Ak- Entgelt und Qualitätsvereinbarungen teure aus dem Bildungswesen (Schule, In- (§§ 78a-f SGB VIII) zu verhandeln. itiative „Kein Abschluss ohne Anschluss“, Bildungsbüros). Damit einher ging der Auch Phänomene, die bislang nicht von deutliche Hinweis, dass die Förderung im den Modellstandorten aufgegriffen wur- Bereich Bildung sich nicht in der Sicherung den, die aber im Rahmen der Übergänge von Hauptschulabschlüssen erschöpfen aus den HzE heraus eine Rolle spielen, darf. Als weitere relevante Akteure wurden wurden aufgegriffen. Jugendmigrationsdienste und andere Leis- tungsfelder der Jugendhilfe etwa die auf- Dazu zählt die Gefahr für Care Leaver suchende Arbeit genannt. Wichtig sei in die Jugendhilfe mit einer Schuldenpro- jedem Fall, dass die entscheidungsmächti- blematik zu verlassen, die etwa aus Drei-Stufenmodell zur Qualitätsbeschreibung 57

Handyverträgen, Ratenkäufen oder gar bene Kooperation mit der Wohnungs- Rückzahlungspflichten gegenüber dem losenhilfe. Einige Expert*innen konnten Jugendhilfeträger herrührt. Als notwen- an dieser Stelle von positiven Erfahrungen dig erachteten die Expert*innen zunächst berichten, die sich etwa auf die Möglich- eine erhöhte Sensibilität für dieses Risi- keit bezog, im Rahmen der Wohnungslo- ko in laufenden Hilfen und das Ziel eines senhilfe rasche Gewährungen von Hilfen Schuldenabbaus vor dem Hilfeende. Zu- und Maßnahmen der Existenzsicherung zu dem bräuchten Care Leaver Informationen realisieren. Offen blieb jedoch die Frage, zu ihren Rechten, etwa um sich von der welche Hilfen junge Erwachsene über die Heranziehung zu Kosten der Jugendhilfe Existenzsicherung hinaus benötigen und befreien zu lassen und so eigenständi- welche Hilfearten und -methoden dazu ge Einkommensquellen zu schützen. Die die passenden sind. In diesem Kontext Möglichkeit innerhalb einer laufenden HzE sollten auch Möglichkeiten der Jugend- größere Geldbeträge anzusparen wurde sozialarbeit (§ 13 SGB VIII) sowie nied- hingegen als schwierig erachtet. rigschwellige Angebote, Beratungs- und Nachbetreuungsmöglichkeiten für Care Schließlich richtete sich der Blick der Leaver sowie entsprechende Gruppenan- Expert*innen auf die mögliche, aber bis- gebote bedacht werden. lang von den Standorten nicht vorangetrie-

©Antonioguillem - stock.adobe.com 58

5 Fazit und Ausblick

Im Rahmen des Modellprojektes gelang zuletzt der psycho-sozialen Entwicklung es an allen vier Modellstandorten Über- zu betrachten sind. Weitere Entwicklungs- gangskonzepte für Care Leaver zu entwi- erfordernisse lassen sich hinsichtlich der ckeln. Diese Konzepte und die damit ver- Konzepte von Nachbetreuungen und der bundenen Prozesse widmen sich zunächst Förderung von sozialen Netzwerken von den Übergängen in den HzE, also den Care Leavern wie hinsichtlich der Initiative Übergängen aus stationären Hilfen in am- für und der Einbindung von lokalen Care bulant betreute Wohnformen. Verbindlich Leaver-Netzwerken markieren. Auch auf gestaltet werden mit diesen Übergängen eine verbindliche Einbindung der Woh- zumeist einhergehende Wohnungswech- nungslosenhilfe, der Jugendsozialarbeit sel, die Vorbereitung und Realisierung der und von Jugendmigrationsdiensten und Beendigung von HzE, und die Sicherung die Beachtung und Bearbeitung des Ver- von Zuständigkeitsübergängen. Von be- schuldungsrisikos von Care Leavern lässt sonderer Bedeutung ist hier die verbind- sich an dieser Stelle hinweisen. liche Kooperation mit dem SGB II-Träger hinsichtlich der lückenlosen Existenzsiche- Für Akteure anderer Kommunen, die sich rung von Care Leavern. Zudem wurden auf den Weg der Entwicklung gelingender Maßnahmen zur Stärkung der Beteiligung Übergänge machen, hat das Modellprojekt junger Menschen, zur Orientierung an ih- gezeigt, dass ein solcher Entwicklungs- ren Kompetenzen und zur Qualifizierung prozess einer politischen Willensbildung der Hilfeplanung erarbeitet. Teilweise auch bedarf und in einem dreistufigen Verfah- zur Qualifizierung von Bildungs- und Aus- ren gelingen kann. Die politische Willens- bildungsprozessen und zur Realisierung bildung besteht in dem Entschluss des von Rückkehroptionen und Nachbetreu- öffentlichen Trägers und der freien Trä- ungsmöglichkeiten. ger der Kinder- und Jugendhilfe und des Jobcenters/der Arbeitsagentur (ggf. auch Noch nicht abgeschlossen sind zu Beginn weiteren Akteuren), ein solches Konzept des Jahres 2019 Maßnahmen zur Siche- gelingender Übergänge für Care Leaver zu rung der Nachhaltigkeit, da sich einige entwickeln. Das dreistufige Verfahren be- Elemente an den Modellstandorten noch steht daraus in der Einführungsphase befinden und die geplanten Controlling- oder Reflexions­ • die relevanten lokalen Akteure und Pro- treffen erst zukünftig stattfinden sollen. blemstellungen zu identifizieren und damit eine Projektstruktur zu schaffen Die über die Gestaltung von Zuständig- (Stufe 1), keitswechseln erkennbar hinaus gehen- • die konkreten Ziele und Prozesse, die den Entwicklungen zeigen auf, dass sich bearbeitet werden sollen, zu bestim- Übergänge von Care Leavern nicht in den men und diese in entsprechenden For- Übergängen von Zuständigkeiten sozial- maten wie etwa Workshops zu bear- politischer Leistungen erstrecken, sondern beiten (Stufe 2) als umfassende Prozesse der Erlangung • und die Produkte und Ergebnisse zu von Selbständigkeit in Fragen der Existenz- sichern und Qualitäts- und Nachhaltig- sicherung, der Bildungs- und Ausbildung- keitsaspekte zu bedenken und zu ver- saspiration, der Kulturtechniken und nicht einbaren (Stufe 3). Fazit und Ausblick 59

5 Fazit und Ausblick Darüber hinaus wurden in dem Modellpro- Im Kontext der Entwicklungen des Mo- jekt vier konkrete Konzepte für gelingen- dellprojektes „Hilfe zur Selbständigkeit - de Übergänge erarbeitet, die mit ihrem Gelingende Übergänge gestalten“ zeigen Prozessbeschreibungen und Instrumenten sich schließlich einige Aspekte, die als Fra- nun zur Verfügung stehen und als Beispie- gen bzw. Impulse für zukünftige Entwick- le zur Orientierung und Anregung dienen lungen dienen können: können. (vgl. unter: www.gelingende-ue- bergaenge.lwl.org) • Welche Reichweite können Übergangs- konzepte haben? Angesichts der He- Blickt man über den Rahmen eines sol- terogenität der Strukturen und der chen Modellprojektes hinaus, so müssen Gewährungspraxen der Kinder- und Ju- gelingende Übergänge aber auch in einer gendhilfe (u. a. durch Jugendämter in umfassenderen Perspektive diskutiert und Kreisen und entfernte HzE-Träger und problematisiert werden. Angesichts der unterschiedliche Hilfekulturen bei Leis- bekannten durchschnittlich schwächeren tungen für Care Leaver). formalen Bildungabschlüsse von Care Lea- vern (vgl. LWL 2012, S. 18) stellen Leistun- • Wie lassen sich Herausforderungen bei gen der Grundsicherung nach dem SGB II Übergängen in SGB XII-Leistungen und für viele Care Leaver (zumindest zunächst) damit in die Zuständigkeit eines über- eine wichtige existenzsichernde Leistung örtlichen Trägers bewältigen und wie dar. Diese abzusichern und Notsituation können solche Träger in Übergangs- zu vermeiden, die durch fehlende Kennt- konzepte eingebunden werden? nisse oder/und (rechtzeitige) Anträge auf Leistungen und die entsprechenden Be- • Welches Für und Wider ist bei der Ein- arbeitungszeiten entstehen können, ist führung oder Nutzung von Spezial- ein wichtiges Kennzeichen gelingender diensten für Care Leaver zu beachten? Übergänge für Care Leaver. So notwendig Spezialdienste bringen neben Spezial- diese existenzsichernden Übergänge in kenntnissen zumeist auch Beziehungs- die Leistungen der Grundsicherung auch abbrüche mit sich. Das Modellprojekt sind, so dürfen sie doch den Blick nicht kann hier keine umfassende Aufklä- verstellen für die sozial- und bildungs- rung leisten, zeigt lediglich dass Über- politischen Herausforderungen, die sich gangskonzepte mit wie ohne eine sol- durch die schlechteren Bildungschancen che Spezialisierung möglich sind. von jungen Menschen, die in den HzE aufwachsen ergeben. Ziel der Förderung • Wie lässt sich eine Beteiligung der wirt- von jungen Menschen in den HzE und mit schaftlichen Jugendhilfe an der Ent- Blick auf nachhaltige Übergänge muss es wicklung von Übergangskonzepten deshalb sein, diesen jungen Menschen realisieren? Im Modellprojekt hat sich zu möglichst guten Schul- und Berufsab- gezeigt, dass hier ein relevanter Akteur schlüssen zu verhelfen, so dass Leistungen zunächst übersehen wurde und dann der Grundsicherung gar nicht erst benö- nicht mehr systematisch eingebunden tigt werden. Dazu bedarf es einer grund- werden konnte. legenden Qualifizierungsoffensive der HzE hinsichtlich der Förderung von Bildungs- • Wie lässt sich ein angemessener und für chancen und der Unterstützung (auch von Care Leaver nützlicher Umgang mit den höheren) formalen Bildungsabschlüssen „Verselbständigungsdilemma“ finden? von jungen Menschen, die in den erziehe- Gemeint ist damit die Ambivalenz der rischen Hilfen aufwachsen. Entwicklungen von Übergangskonzep- 60

ten, die einerseits ein erhöhtes Maß an • Wie kann auch bei Care Leavern eine Unterstützung in Übergangsprozessen angemessene Reflektion von Her- legitimieren und entsprechende Hil- kunftsfamilie und Herkunftsgeschichte fen zugänglich machen, zugleich aber gefördert werden? „Verselbständigung“ zu einem (sehr) frühen Thema in den HzE machen (z. Das Modellprojekt hat gezeigt, dass auch B. mit 14 oder 15 Jahren) und damit in im Rahmen der derzeitigen gesetzlichen der Gefahr stehen alters- und entwick- Regelungen Übergangskonzepte für Care lungsunangemessene Hilfetendenzen Leaver nicht nur nötig sondern auch mög- voranzutreiben. lich sind. Angesichts der derzeit (Frühjahr 2019) laufenden Vorbereitungen einer • Wie kann es gelingen lokale Selbstor- SGB VIII-Reform und der auch in diesem ganisationen von Care Leavern zu be- Rahmen diskutierten Aspekte für Care fördern und diese in die Planung und Leaver sollen schließlich in komprimierter Entwicklung von HzE-Konzepten einzu- Form einige sozialpolitische Forderungen binden? formuliert werden:

• Welche (weiteren) Gestaltungsmög- • Verbindlichere Fassung der Regelungen lichkeiten bietet der § 16h SGB II? Das des § 41 SGB VIII als „Muss-Leistung“ Modellprojekt zeigt hier Möglichkeiten und Anhebung der Altersgrenze auf 23 auch im Rahmen der Gestaltung von Jahre, zumindest aber bis zum Erlan- Übergangskonzepten auf. gen des ersten berufsqualifizierenden Abschlusses. • Wie kann seitens der Akteure der Ju- gendhilfe und darüber hinaus mit den • Einführung eines eigenen Rechtsanspru- ausländerrechtlichen Hürden für ge- ches „Leaving Care“. Mit diesem sollen flüchtete junge Menschen umgegan- kontinuierliche Existenzsicherung und gen werden? die Sicherung von Übergängen genau- so wie von Ausbildungsperspektiven, • Wie lassen sich in der Gestaltung Persönlichkeitsentwicklung sowie den von Kooperationsbezügen für Care Aufbau und Erhalt von Beziehungen Leaver verbindliche Kontrakte und unterstützt werden. personenunabhängige Kontinuität befördern? Durch die Teilnahmebedin- • Verbindliche rechtliche Absicherung der gungen des Modellprojektes waren die wechselseitigen Kooperationsverpflich- Kooperations- und Beteiligungsbereit- tung der Sozialleistungsträger (insbe- schaft der Akteure bereits gegeben, sondere SGB VIII, SGB II und SGB XII) das kann in anderen Konstellationen zur Sicherung von Übergängen und nicht immer vorausgesetzt werden. Einführung einer verbindlichen Vorleis- tungspflicht bei unklaren oder zu prü- • Wie kann ein angemessenes Berichts- fenden Zuständigkeiten. Bestandteil und Controllingwesen für Übergangs- solcher Kooperationsverspflichtungen konzepte und das Qualitätsmanage- sollten Kooperationsvereinbarungen ment und die Qualitätssicherung und gemeinsame Beschreibungen von etabliert werden? Schlüsselprozessen sein.

• Wie können öffentliche und freie Träger • Einführung strukturell abgesicherter die „Lücke“ Ehemaligenarbeit schlie- Selbstorganisationen. Gemeint sind ßen? Fazit und Ausblick 61

regionale und überregionale Vereini- gungen von jungen Menschen, die Er- fahrungen mit Leistungen der HzE ha- ben oder hatten und die Ihre Expertise (Expertise durch Erfahrung) bündeln und in fachpolitische Diskurse und Ent- scheidungen einbringen können. Das Beispiel des deutschen Careleaver e.V. zeigt wie wertvoll diese Expertise der- jenigen, um die es geht auch für fach- liche und rechtliche Entwicklungen ist.

• Qualifizierung der stationären HzE hinsichtlich der Bildungs- und Aus- bildungsförderung von jungen Men- schen, die in öffentlicher Erziehungshil- fe aufwachsen.

Der Anlass für ein solches Modellprojekt und diese Forderungen zeigen abschlie- ßend noch einmal die Notwendigkeit der Weiterentwicklung der Förderung von Care Leavern auf. Auch mehr als 25 Jahre nach Einführung des SGB VIII können Care Leaver – insgesamt betrachtet – nicht auf eine verbindliche Absicherung ihrer Über- gänge und ihrer Persönlichkeitsentwick- lung bei den entscheidenden Schritten des Erwachsenwerdens zurückgreifen. Die sozialpolitische Problematik solcher Phä- nomene lässt sich mit Hans Thiersch wie folgt formulieren:

„Man diskutiert über das ‚Wie‘ der Arbeit und verdeckt damit die sozial- politischen Fragen nach dem ‚Was‘; indem man okkupiert ist mit den Fragen der Organisation, bleibt nicht nur keine Energie für die prinzipiellen Strukturfragen, sondern diese werden ins vermeintliche Abseits müßigen Räsonierens geschoben; das Faktum der intensiven Organisationsdiskus- sion suggeriert, die sozialpolitischen Rahmen seien hinreichend geklärt“ (Thiersch 1997, S. 151). 62

6 Literaturverzeichnis

Anghel, R. (2011): Transition within tran- www.bmfsfj.de/blob/119160/c8ba3f56a- sition. How young people learn to leave 357ec2ffd96b1146f10d0bd/referentenent- behind institutional care whilst their carers wurf-kjsg-data.pdf (Abrufdatum 01.05. are stuck in neutral. Children and Youth 2019) Services Review 33, S. 2526-2531 BMFSFJ (Hrsg.) (2017b): 15. Kinder- und Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfesta- Jugendbericht. Bericht über die Lebens- tistik (2018): Monitor Hilfen zur Erziehung situation junger Menschen und die Leis- 2018, tungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland, Berlin Arnone, J. M. (2014): Adolescents May Be Older Than We Think: Today 25 Is the New BMFSFJ (Hrsg.) (2013): 14. Kinder- und Ju- 18, or Is It? In: International Journal of Ce- gendbericht. Bericht über die Lebenssitua- liac Disease 2.2 (2014), S. 47-48. Abrufbar tion junger Menschen und die Leistungen unter: http://pubs.sciepub.com/ijcd/2/2/4/ der Kinder- und Jugendhilfe, Berlin (Abrufdatum: 01.05.2019) Bundesministerium für Familie, Senioren, Bedarf, Erik: (2015): Wie lassen wir uns an Frauen und Jugend (BMFSFJ) (Hrsg.) der Verselbständigung junger Menschen (1995): Schriftenreihe Bd. 25: Junge Er- beteiligen? In: LWL-Landesjugendamt wachsene mit sozialen Schwierigkeiten – Westfalen (Hrsg.): Hilfen für junge Voll- Analyse und Hilfeplanung. Kohlhammer, jährige und Übergangsbegleitung - Dieser Stuttgart Zug endet hier. Thank you for travelling with deutsche Jugendhilfe. In: Jugendhil- Bundesinstitut für Berufsbildung (2018): fe aktuell 02/2015, S. 32/33 https://www. Datenreport zum Berufsbildungsbericht lwl.org/lja-download/pdf/Jugendhilfe-aktu- 2018, ell-2-2015.pdf ((Abrufdatum: 14.06.2019) Bundesrat (2017): Beschluss des Bun- Bellermann, M./Nüsken, D. (2012): Junge desrates zum Bericht über die Lebens- Erwachsene mit Unterstützungsbedarf - situation junger Menschen und die Verschollen im sozialstaatlichen Bermuda­ Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe dreieck? In: Sozial Extra 11/12 2012, S. in Deutschland – 15. Kinder- und Ju- 18-23 gendbericht – und Stellungnahme der Bundesregierung. Drucksache 115/17 Bertelsmann Stiftung (2012): Chancen für (Beschluss) vom 31.03.2017 https://www. Kinder, Gütersloh bundesrat.de/SharedDocs/TO/956/erl/50. pdf?__blob=publicationFile&v=1 (Abrufda- Biehal, N./Wade, J. (1996): Looking back, tum: 14.06.2019) looking forward: Care leavers, families and change. Children and Youth Services Re- Bundesrats-Drucksache 503/89 vom view 18(4) S. 425-445 29.09.1989: Gesetzesentwurf der Bun- desregierung, Entwurf eines Gesetzes BMFSFJ (2017a): Entwurf eines Geset- zur Neuordnung des Kinder-und Jugend- zes zur Stärkung von Kindern und Ju- hilferechts (Kinder-und Jugendhilfege- gendlichen. Abrufbar unter: https:// setz – KJHG). Deutscher Bundesrat, Bonn  Literaturverzeichnis 63

6 Literaturverzeichnis Abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/ Köngeter, S./Schröer, W./Zeller, M. (2008): doc/brd/1989/D503+89.pdf (Abrufdatum: . In Munro, E. R./Stein, M. (Eds.): 14.06.2019) Young People’s Transitions from Care to Adulthood. International Research and Bürger, U. (2010): Kinder- und Jugendhilfe practice book (pp. 63-77), London im demografischen Wandel. Herausforde- rungen und Perspektiven der Förderung Köngeter, S./Zeller, M. (2018): Soziale Ar- und Unterstützung von jungen Menschen beit der Übergänge für Care Leaver – in- und deren Familien in Baden-Württem- ternationale Inspirationen und transnati- berg. KVJS/ Landesjugendamt, Stuttgart onale Dynamiken. In: Sozialmagazin, 7/8 2018, S. 15-23 Clark, H./Unruh, D. (2009): Transition of Youth and Young Adults with Emotional Köngeter/Schröer/Zeller (2012) Statuspas- or Behavioral Difficulties: An Evidence- sage „Leaving Care“: Biografische Heraus- Supported Handbook. Brookes Publishing, forderungen nach der Heimerziehung. In: Baltimore Diskurs Kindheits- und Jugendforschung 3/2012, S. 261-276 Donabedian, A. (1980): The definition of quality and approaches to its assessment Kress, L. (2012): Übergänge in die Zeit and monitoring. Vol. 1. Ann Arbor: Health nach dem Heim. Ergebnisse aus einem Administration Press, Chicago Projekt mit ehemaligen Jugendlichen aus den Erziehungshilfen. Münster Ehlke, C. (2013): Care Leaver auf dem Weg in die Selbständigkeit In: Sozial Extra, LWL-Landesjugendamt Westfalen (2012) 9/2013, S. 53-55 (Hrsg.): Jugendarmut - Rettungsschirm Erziehungshilfe?. In: Jugendhilfe aktu- Faltermeier, J. (2017): Care Leaver - erfolg- ell 3/2012. Abrufbar unter: https://www. reiche nachstationäre Begleitung junger lwl.org/lja-download/pdf/Jugendhilfe-aktu- Erwachsener. Expertise. IGfH-Eigenverlag, ell-2012-03.pdf (Abrufdatum: 14.06.2019) Frankfurt am Main LWL-Landesjugendamt Westfalen/LVR- Fischer, L. (2012): § 41. In: Schellhorn, W./ Landesjugendamt Rheinland (2015): Ent- Fischer, L./Mann, H./Kern, C. (Hrsg.): SGB wicklungen bei der Inanspruchnahme und VIII Kommentar. Luchterhand, München den Ausgaben erzieherischer Hilfen in Nordrhein-Westfalen. HzE Bericht 2015. IGfH & Uni Hildesheim Projekt Rechte im Datenbasis 2013. Münster/Köln/Dort- Übergang (o. J.): Abschlussbericht. Verfüg- mund https://www.lwl-landesjugendamt. bar unter: https://www.igfh.de/cms/sites/ de/de/erzhilf/Familie/jugendhilfeplanung/ default/files/IGfH%20Care%20Leaver%20 (Abrufdatum: 14.06.2019) Abschlussbericht%20Stiftung%20Jugend- marke.pdf (Abrufdatum: 01.05.2019) LWL-Landesjugendamt Westfalen/LVR- Landesjugendamt Rheinland (2018). Ent- Kador, T. (2008): § 41. In: Jung, H. P. wicklungen bei der Inanspruchnahme und (Hrsg.): SGB VIII. Haufe-Lexware, Freiburg den Ausgaben erzieherischer Hilfen in Nordrhein-Westfalen. HzE-Bericht 2018. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU Datenbasis 2016. Münster/Köln/Dortmund UND SPD (2013): Deutschlands Zukunft gestalten. 18. Legislaturperiode, Berlin Mangold, K./ Ehlke, C./ Strahl, B. (2012): Unterstützung zur Selbständigkeit oder 64

Selbständigkeit und Unterstützung? In: Nüsken, D. (2015): Kommentierung zu § Sozial Extra 7/8, 2012, S. 46-49 41 SGB VIII (Hilfen für junge Volljährige, Nachbetreuung). In: Wabnitz, R./Fieseler, Merchel, J. (1998): Hilfeplanung bei den G./Schleicher, H. (Hrsg.): Kinder- und Ju- Hilfen zur Erziehung § 36 SGB VIII. Boor- gendhilferecht. Gemeinschaftskommentar berg, Stuttgart u. a. zum SGB VIII. Beck, Neuwied

Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfes- Papastefanou, C. (2006): Ablösung im Er- tatistik (2018): Monitor Hilfen zur Erzie- leben junger Erwachsener aus verschiede- hung 2018. Dortmund http://hzemonitor. nen Familienstrukturen In: Zeitschrift für akjstat.tu-dortmund.de/fileadmin/user_up- Soziologie der Erziehung und Sozialisation load/documents/Monitor_Hilfen_zur_Erzie- 1/2006, S. 23-35 hung_2018.pdf (Abrufdatum: 14.06.2019) Peters, U./Karl, U./Göbel, S./Lunz, M./ Mrozynski, P. (2009): SGB VIII Kinder- und Herdtle, A.-M. (2018): „Leaving Care“ Jugendhilfe. Beck, München als institutionalisierte Statuspassage und Übergangskonstellation. In: Sozialmagazin Niedersächsisches Landesamt für Soziales, 8/2018, S. 6 - 12 Jugend und Familie (2013): Handreichung zum Aufbau von Kompetenzen einer selb- Pothmann, J. (2011): Auf dem Abstell- ständigen Lebensführung: Abrufbar un- gleis? Jugendliche und junge Erwachsene ter: www.ib-niedersachsen.de/download/ in der Kinder- und Jugendhilfe - Ein Blick attachments/1507450/Handreichung%20 in den Zahlenspiegel. In: Sozialpädago- Verselbst%C3%A4ndigung%20komplett_ gisches Institut des SOS-Kinderdorf e.V. Druckfassung.pdf?version=2&modification (Hrsg.): Fertig sein mit 18? Dokumentation Date=1420464472547&api=v2 (Abrufda- zur Fachtagung „Jugendliche und junge tum: 06.05.2019) Volljährige - Eine Randgruppe der Kinder- und Jugendhilfe?“ 4.-5. November 2010 Nüsken, D. (2008): Regionale Disparitäten in Berlin. München, S. 22-41 in der Kinder- und Jugendhilfe. Eine em- pirische Untersuchung zu den Hilfen für Rossi, P. H./Lipsey, M. W./Freeman, H. junge Volljährige. Waxmann, Münster/ E. (2004): Evaluation: A Systematic Ap- New York proach. Sage Publications Inc., California/ London/New Delhi Nüsken, D. (2011): Helfen Hilfen für junge Volljährige? Bewertungen aus Nutzersicht. Sierwald, W./Weinhandl, K./Salzburger, V./ In: SOS-Kinderdorf e.V. Sozialpädagogi- Strauss, F. (2017): Wie Care Leaver den sches Institut: Fertig sein mit 18? Doku- Weg in die Selbständigkeit erleben. Erste mentation der Fachtagung „Jugendliche Ergebnisse aus der SOS-Längsschnittstudie und junge Volljährige - Eine Randgruppe zur Handlungsbefähigung. In: Unsere Ju- in der Kinder- und Jugendhilfe?“ Mün- gend 1/2017, S. 10-17 chen. S. 84-109 Sierwald, W./Strauss, F. (2015): Handlungs- Nüsken, D. (2014): Übergang aus der stati- befähigung und Verwirklichungschancen onären Jugendhilfe ins Erwachsenenleben junger Menschen – empirische Studien in Deutschland. Expertise für die Internati- in SOS-Kinderdörfern und -Jugendein- onale Gesellschaft für erzieherische Hilfen. richtungen. In: Forum Erziehungshilfen, Frankfurt 4/2015, S. 226-227  Literaturverzeichnis 65

Sievers, B. (2019): Care Leaver in der In: Forum Erziehungshilfen, 3/2013, S. 131 Jugend- und Wohnungslosenhilfe in Karlsruhe. Ergebnisse einer Adressat_in- Tammen, B. (2019): § 41. In: Münder, J./ nenbefragung und Ansatzpunkte für Meysen, T./Trenczek T. (Hrsg.): Frankfurter die Praxisentwicklung. IGfH-Eigenverlag, Kommentar SGB VIII, Kinder- und Jugend- Frankfurt am Main hilfe. Baden-Baden, Nomos

Sievers, Britta/Steinhauer, Katharina Teuber, K. (2017): Der Capability Approach (2018): Pflegekinder auf ihrem Weg ins Er- als Perspektive in stationären Hilfen. Hei- wachsenenleben begleiten – Empfehlun- merziehung als Befähigung. In: Forum Er- gen für die Fachpraxis, Expertise. Frankfurt ziehungshilfen 2/2017, S. 78-82 am Main Thiersch, H. (1997): Gerechtigkeit und Ef- Sievers, B./Thomas, S./Zeller, M. (2015): fektivität. Die Soziale Arbeit in den Zeiten Jugendhilfe und dann? Zur Gestaltung der der Globalisierung – Eine Skizze zur Selbst- Übergänge junger Erwachsener aus statio- vergewisserung der Profession. In: Blätter nären Erziehungshilfen. IGfH-Eigenverlag, der Wohlfahrtspflege 1997, Heft 7 und 8, Frankfurt am Main S. 151-153

Smith, W. B. (2011): Youth leaving foster Thomas, S. (2013): Keine Zeit für Abenteu- care. A developmental relationship-based er. Erwachsen werden in stationären Erzie- approach to practice. University Press, Ox- hungshilfen. In: Sozial Extra 9-10/2013. S. ford 42-45

Statista 2018: Durchschnittsalter junger Vaskovics, L. (1996): Innerfamiliäre Trans- Menschen beim Verlassen des elterlichen ferbeziehungen zwischen den Generatio- Haushalts nach Geschlecht in Ländern nen. In: Vaskovics, L./Silbereisen, R./Zinne- Europas im Jahr 2018. Abrufbar unter: cker, J. (Hrsg.): Jungsein in Deutschland. https://de.statista.com/statistik/daten/ Leske + Budrich, Opladen studie/73631/umfrage/durchschnittliches- alter-beim-auszug-aus-dem-elternhaus/ Wabnitz, R. J. (2005): Rechtsansprüche (Abrufdatum: 13.06.2019) gegenüber Trägern der öffentlichen Kin- der- und Jugendhilfe nach dem Achten Statistisches Bundesamt (versch. Jahrgän- Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII). Arbeits- ge): Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe gemeinschaft für Jugendhilfe, Berlin - Hilfe zur Erziehung, Eingliederungshilfe, Hilfe für junge Volljährige; Zusammenstel- Wiesner, R. (2015): SGB VIII · Kinder- und lung und Berechnung AKJStat Jugendhilfe., Beck, München

Stähr, A. (2018): § 41. In: Hauck, K./Noftz, Wiesner, R. (2014): Hilfen für junge Voll- W. (Hrsg.): SGB VIII, Kinder- und Jugend- jährige. Rechtliche Ausgangssituation. Ex- hilfe. Erich Schmidt, Berlin pertise. Frankfurt am Main

Stein, M. (2012): Young People Leaving Zinnecker, J./Strozda, C./Georg, W. (1996): Care, supporting pathways to adulthood. Familiengründer, Postadoleszente und Jessica, Kingsley Nesthocker. In: Buba, H. P./ Schneider, N. (Hrsg.): Familie zwischen gesellschaftlicher Struck, N. (2013): ‘Care Leaver’ - eine not- Prägung und individuellem Design. West- wendige neue Diskussion in Deutschland! deutscher Verlag, Opladen. S. 289-306 66

7 Anhang

Teilnehmenden-Liste des Experten-Workshops im April 2018

Petra Beckersjürgen, LWL-Landesjugendamt Westfalen

Erik Bedarf, Verbund sozialtherapeutischer Einrichtungen (VSE)

Anne Erhard, Care Leaver e.V.

Sabine Gembalczyk, Ombudschaft Jugendhilfe NRW e.V.

Stephan Glaremin, Leiter des Jugendamtes Köln

Prof. Dr. Nicole Knuth, Fachhochschule Dortmund

Dr. Karola Köhling, Institut für Arbeit und Qualifikation

Laura Krüger, Regionaldirektion Arbeitsagentur NRW

Kathrin List, LWL-Landesjugendamt Westfalen

Anna Seidel, Care Leaver Kompetenznetz

Thomas Velmerig, KSD

Prof. Dr. Wolfgang Schroer, Uni Hildesheim

Dr. Severine Thomas, Uni Hildesheim Platz für Überlegungen, um einen gelingenden Übergang zu gestalten 67

7 Anhang

Teilnehmenden-Liste des Experten-Workshops im April 2018

Petra Beckersjürgen, LWL-Landesjugendamt Westfalen

Erik Bedarf, Verbund sozialtherapeutischer Einrichtungen (VSE)

Anne Erhard, Care Leaver e.V.

Sabine Gembalczyk, Ombudschaft Jugendhilfe NRW e.V.

Stephan Glaremin, Leiter des Jugendamtes Köln

Prof. Dr. Nicole Knuth, Fachhochschule Dortmund

Dr. Karola Köhling, Institut für Arbeit und Qualifikation

Laura Krüger, Regionaldirektion Arbeitsagentur NRW

Kathrin List, LWL-Landesjugendamt Westfalen

Anna Seidel, Care Leaver Kompetenznetz

Thomas Velmerig, KSD Hamm

Prof. Dr. Wolfgang Schroer, Uni Hildesheim

Dr. Severine Thomas, Uni Hildesheim 68 Platz für Überlegungen, um einen gelingenden Übergang zu gestalten