WER MIT WEM 3 Inhalt Daniel Cherbuin 20.01
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SuR | KulturPolitik für Stuttgart und Region Ausgabe 47 — Dez | Jan | Feb 2018 WER MIT WEM 3 Inhalt DANIEL CHERBUIN 20.01. – 17.02.2018 02 Editorial 03 Schwerpunkt 15 Stuttgart 35 und 51 Region 65 Termine und Kalender Daniel Cherbuin, I Hand myself Over on a Plate, Now, 2017 mixed media, print on glass, wooden frame, screen, video loop 34 min. 12 sec. Ed: 8 + 2 AP, 53 x 53 cm Öffnungszeiten: Di – Fr: 11 – 18 Uhr Sa: 11 – 16 Uhr u.n.V. Galerie von Braunbehrens Rotebühlstr. 87 T +49 (0)711 . 52 85 14 50 www.galerie-braunbehrens.de Inhaber Frank Molliné 70178 Stuttgart F +49 (0)711 . 52 85 14 59 [email protected] 4 Liebe SuR-Leserinnen und -Leser, im scheidenden Jahr 2017 gab es einige Jubiläen. 500 Jahre Reformation – oder 75 Jahre »Casablanca«. Der Film mit Ingrid Schwerpunkt Bergmann und Humphrey Bogart, 1942 gedreht, handelte von Menschen, die aus Europa vor den Nazis nach Amerika flohen. In Casablanca gestrandet hofften sie auf ein Ausreisevisum. Am Set befanden sich Statisten aus 33 Nationen, die dies spiegelten. »wer mit wem« Heute wollen die Menschen übers Mittelmeer nach Europa. Dort wurde 1918 im Wald von Compiègne der Erste Weltkrieg been- det. Und bald 100 Jahre später scheint die Weltlage wieder wie ein Tanz auf dem Vulkan. Da werden Fake News moniert, aber ver- breitet, an einer Bundesregierung herumgedoktert, Zwietracht in deutschtümelnden Mäntelchen gesät, Abschottung und Abspal- 4 Head Downer, … tung forciert. Mögen diese Tendenzen in einigen Regionen Euro- pas historisch und wirtschaftlich nachvollziehbar sein, dennoch: 7 Den Bullshitter identifizieren Die Probleme der Welt sind nur grenzüberschreitend zu lösen. Im Schwerpunkt geht es daher um Beziehungen, nationale wie 12 No-Fun-Facts about … internationale. Diese steigen und fallen mit der Kommunikati- on. Nur wer miteinander redet, kann Lösungen finden, Konflikte durchschauen und verhindern. Eine Binse? Sicher! Aber der Blick in die Nachrichten zeigt: Sich konstruktiv auszutauschen scheint schwerer denn je. Einer, der das konnte, war der Filmemacher Jus- tus Pankau. Im Dezember wäre er 94 Jahre alt geworden, wir be- richteten. Im November ist er gestorben. Walter Jens nannte ihn zu Recht den »Meister visueller Rhetorik«, ein Teamarbeiter. Dafür kann gerade die Kultur Beispiel geben. Tanzen, spielen, sin- gen doch wie selbstverständlich Menschen vieler Nationen ge- meinsam, etwa beim Eclat Festival für Neue Musik oder bei der Imaginale, dem Internationalen Figurentheaterfestival Baden- Württemberg. Auch das künftige Stadtmuseum hat keinerlei Be- rührungsängste, es mutiert – zwischengenutzt – zum »Palais des Techno«. Und die Kunststiftung bespielt mit ihren Stipendiaten die Räume des ZKM Karlsruhe. Viele weitere Events, die wir für Sie herausgesucht haben, zeigen: Austausch kann so bereichernd sein! Die SuR-Herausgeberinnen Eva Maria Schlosser und Petra Mostbacher-Dix, und das gesamte SuR-Team 6 Head Downer und Transzendenz-Erfahrungen SuR 47 — 12 | 01 | 02 2017/18 — WER MIT WEM 7 Chancen der digitalen Kommunikation. Ohne Kommu- Jedenfalls manifestieren sich die Auswirkungen der Digita- nikation geht’s nicht. Sie ist die Basis des Zusammenlebens, lisierung mittlerweile nicht mehr allein Zuhause, im stil- der »Klebstoff«, der ein System, sei es eine Gesellschaft len Kämmerlein, sondern eben auch in freier Wildbahn, im oder auch »nur« ein Paar, zusammenhält. Mittels Kom- Alltag. Wer täglich mit dem Bus oder Zug zur Arbeit fährt, munikation, ob verbal oder in anderer Form, werden In- wird mit dieser neuen Form der Beziehungspflege auf frap- formationen geteilt, Erfahrungen ausgetauscht, Beziehun- pierende Weise konfrontiert. Der Großteil der Reisenden be- gen gepflegt. Sie vermittelt uns, woran wir mit unserem schäftigt sich mit seinem Smartphone. Was um sie herum Gegenüber sind, zeugt von Zuneigung, Abneigung oder geschieht, nimmt kaum einer wahr. Aber auch im Urlaub schlichter Neutralität, versichert uns unserer selbst. Und oder beim Essen im Restaurant sind die Geräte mit dabei. Da klar, es gibt auch Regeln der Kommunikation, die wir zu- kann es schon mal passieren, dass die Pizza kalt und der Aus- meist erlernen, Übereinkünfte innerhalb einer Gruppe, ei- gehpartner sauer wird. »Head Downer« heißt die Spezies, die ner Gesellschaft oder eines Kulturkreises, die sicherstellen, sich in den vergangenen zehn Jahren rasant vermehrt hat dass der eine versteht, was der andere sagen will. Nur funk- und eine neue Zeitrechnung provoziert – in eine Vergangen- tioniert das nicht immer. Manchmal scheitert die Kommu- heit ohne mobile Endgeräte und in eine Gegenwart mit den nikation am unterschiedlichen Bildungsniveau, oder auch selbigen. Weltbild. Aber wer nicht kommuniziert, läuft Gefahr sich Andererseits bringen soziale Medien Menschen und Völker zu isolieren – im großen Stil – oder zu vereinsamen – als näher, man lernt sich kennen. In Foren diskutieren Wild- Individuum. Dabei ist die Kommunikation von Angesicht fremde miteinander Themen, sie finden Gleichgesinnte, zu Angesicht gemeint, nicht jene in der virtuellen, digita- vom ähnlichen Schicksal Betroffene und Groopies der glei- len Welt, die bislang noch keine Regeln kennt, in der mit- chen Band. Via Facebook werden Flashmobs organisiert, zur unter die Schranken des Anstand fallen und auf Respekt Vernissage eingeladen oder Initiativen gegen Plastikverpa- und Höflichkeit – ursprünglich Grundregeln der analogen ckungen in Supermärkten geteilt. Es werden Wissen, Au- Kommunikation – verzichtet wird. tos und Bohrmaschinen geteilt, Schränke und Geschirr ver- schenkt. Das Internet befördert also auch die Sharing-Kultur. Im März 2017 wurde von der Universität im us-amerikani- schen Pittsburgh eine Studie veröffentlicht, die behauptet, Und um hier nochmals auf das Wörtchen Kommunikati- wer mehr als zwei Stunden mit sozialen Medien verbringt, on im etymologischen Sinne einzugehen: Kommunizieren fühlt sich einsamer als jene, die weniger als 30 Minuten kommt von communicare, was so viel heißt wie teilen, mit- damit verbringen. Andererseits, so geben auch die Wissen- teilen, teilnehmen lassen, gemeinsam machen, vereinigen. schaftler des Pitt's Center for Research on Media, Techno- Also bedeutet Kommunizieren auch in gewisser Weise Ko- logy and Health zu, vermag die Studie nicht darüber Auf- operation. Dieselbe hat im Kulturbereich Tradition. Künst- schluss zu geben, ob doch eventuell das Gefühl der Isolati- ler tauschen sich aus, weil die Sprache der Kultur eine uni- on vorher da war und die sozialen Medien quasi das Fenster versale ist. »Kultur ist ein Code zum Verständnis der Welt. zur Welt beziehungsweise zu Beziehungen darstellen. Sie hat die Aufgabe, uns eine Tür zur Welt zu öffnen«, sagt Auch wenn ihre Qualität eine andere ist als jene der unmit- Peter Weibel, Leiter des Zentrums für Kunst und Medien- telbaren Kontakte zu Menschen im realen Leben, egal ob technologie in Karlsruhe. »Ich gehe sogar so weit zu sagen, sie einem nahe stehen oder nicht. Kultur kann dort eine Tür öffnen, wo sie keiner sonst sieht.« 8 Den Bullshitter identifizieren 9 Kultur also als universale Sprache. Die Digitalisierung, so Weibel weiter, helfe dabei, Codierungen auf höherem Ni- veau vorzunehmen, um vermehrt personalisierte Bezie- hungen zwischen Individuum und Umwelt herzustellen. »Wir sehen durch digitale Codierung etwas, was wir vorher nicht sehen konnten, hören etwas, was wir vorher nicht hö- ren konnten, und haben Gefühle, die wir vorher nicht hat- ten. Es handelt sich um eine Art Transzendenz«, so Weibel. Seine Vision und Hoffnung: »Die Welt von morgen wird sich von einer Arbeits- zu einer Wissensgesellschaft ver- wandeln.« • Eva Maria Schlosser Jörg Meibauer ist Professor für Sprachwissenschaft des Deutschen an der Johannes Gutenberg-Universität zu Mainz. Der gebürtige Hamburger forschte unter ande- rem über Hassreden und Lügen, publizierte – zum Teil mit anderen – Artikel und Bücher zu »Hate Speech/Hassre- de«, »Lying at the semantics-pragmatics interface« oder »Empirical approaches to lying and deception«. Ein Aus- tausch über Lügen als Diplomatie, Abschottung, die Fä- higkeit zuzuhören zu können und Bullshit zu erkennen. In der Politik, insbesondere auf dem internationalen Parkett, ist Diplomatie gefragt, theoretisch. Wenn man sich manche Gespräche und Kommentare anschaut, könnte man meinen, Lügen gehört dazu. Wie Sie in Ihren Arbeiten zum Thema nach- 10 SuR 47 — 12 | 01 | 02 2017/18 — WER MIT WEM 11 weisen, gibt es unterschiedliche Arten des Lügens. Etwa indem on – »Saddam Hussein kann Atomwaffen bauen« – kann zur man Dinge weglässt. Oder nicht sagt, was man wirklich denkt. Motivation eines Kriegs benutzt werden, der Hunderttausen- Was meint also der Begriff Diplomatie linguistisch gesehen? de von Menschenleben kostet. Es ist daher wichtig, dass über Diplomatie meint vor allem, Standpunkte gegenüber einem die kontrollierenden Institutionen hinaus – zum Beispiel Par- Partner durchzusetzen und Einigungen herbeizuführen, ohne teien, Parlamente, Presse – möglichst viele Menschen Zugang das Gesicht des anderen zu verletzten. Diplomatie hat daher zu verlässlichen Informationen haben und gelernt haben, mit viel mit sprachlicher Höflichkeit zu tun. Wenn jemand höf- diesen kritisch umzugehen. lich ist, lügt er manchmal. Oder er lässt Information weg, wenn sie dazu geeignet ist, den anderen zu kränken. Wenn ich zu je- Kein einfaches Unterfangen angesichts der Tatsache, dass in mand eingeladen werde, der sehr stolz auf seine Bastelarbeiten den sozialen Medien jeder verbreiten kann, was er will – und ist, sollte ich, nach meinem Urteil