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Zoologisch-Botanische Datenbank/Zoological-Botanical Database

Digitale Literatur/Digital Literature

Zeitschrift/Journal: Jahrbuch des Vereins zum Schutz der Bergwelt

Jahr/Year: 1990

Band/Volume: 55_1990

Autor(en)/Author(s): Scheurmann Karl, Karl Johann

Artikel/Article: Der obere im Wandel der Zeiten 105-122 © Verein zum Schutz der Bergwelt e.V. download unter www.vzsb.de/publikationen.php und www.zobodat.at

Der obere Lech im Wandel der Zeiten

Von Karl Scheurmann undJohann Kar!

Der tiroler Lech ist einer der wenigen Alpenflüsse, Auflandung durch gewerbliche Kiesentnahmen, die die noch die natürliche Dynamik verzweigter Flüsse den natürlichen Geschiebenachschub weit übertreffen. zumindest in Teilbereichen aufweisen. Er hat damit eine außerordentlich hohe Bedeutung für die an offene Um den oberen Lech in seiner Einmaligkeit zu er­ Kiesflächen gebundenen Pflanzen und Tiere. halten, ist zu fordern, Die das Geschiebe liefernden Feststoffherde an den - die flußbaulichen Maßnahmen auf das für die Ab­ Wildbächen sind trotz leicht verwitternder Gesteine wendung unmittelbarer Gefahren unbedingt not­ im Lechgebiet nicht sehr ergiebig. Deshalb wirken sich wendige Maß zurückzunehmen, flußbauliche Eingriffe hier rasch und nachhaltig aus. - das in Seitentälern künstlich zurückgehaltene Ge­ Der Flußbau hat am oberen Lech seit Jahrzehnten schiebe zumindest teilweise wieder in Bewegung zu das Bestreben, den Fluß auf ein fest begrenztes Bett zu setzen, fixieren, um Sicherheit für Siedlungen und Wirt­ - gewerbliche Schotterentnahmen auf ein Mindest­ schaftsflächen zu gewinnen. So sind am Lech weite maß zu begrenzen, Strecken bereits begradigt und die letzten Umlage­ rungsstrecken werden zur Zeit reguliert. Die Folgen - den Rückbau von Buhnen und Traversen zu erwä• sind nicht nur der Verlust unersetzlicher Ökosysteme, gen, die den Abflußquerschnitt einengen, um so sondern auch rasche Flußeintiefungen, die zu weiteren dem Lech wieder mehr Raum zur Bildung natur­ technischen Eingriffen zwingen. naher Verzweigungen zu geben, Vollends aus dem Gleichgewicht gebracht wird das - vom Talsperrenbau im Hinblick auf den Geschie­ empfindliche Zusammenspiel zwischen Abtrag und beentzug abzusehen.

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Der obere Lech ist als geschiebeführender Nordalpen­ - Die vierte und oberste Decke ist die Grabachjoch­ fluß von sommerlichen Hochwassern geprägt. Die decke, die in isolierten Resten zwischen Flexenpass Hochwasser entsprechen dem nordalpinen Witterungs­ und Almejurtal den Kreideschichten der Lechtaldecke charakter mit häufigen Starkregen. Das Geschiebe ent­ aufliegt. stammt rezenten, subfossilen und fossilen Feststoffher­ den, deren Entstehen auf den Gebirgsbau einschließlich 1.2 Gesteine seiner eiszeitlichen und nacheiszeitlichen Überformung Das Einzugsgebiet des oberen Lech liegt nahezu gänz• sowie auf die Vegetation und deren nacheiszeitliche Ge­ lich in der Oberostalpinen Zone. Die geringen Anteile an schichte zurückzuführen ist. der Molasse, der Unteren Kreide und dem Ostalpinen Flysch im äußersten Norden des Teileinzugsgebietes Vils können hier vernachlässigt werden. 1 Gebirgsbau Die Vielfalt der Erscheinungsformen alpiner Flüsse Die alpine Trias als älteste Formation ist mit dem Wet­ wird maßgebend vom Gebirgsbau - der Tektonik und tersteinkalk der Ladinischen Stufe, dem Hauptdolomit den Gesteinen - bestimmt. Für das Verständnis der und Plattenkalk der Norischen Stufe und dem Ober­ durch eine lebhafte Formenentwicklung gekennzeichneten rhätkalk der Rhätischen Stufe vertreten. Flußgeschichte des oberen Lech ist deshalb eine kurze Schichten des alpinen Jura finden sich in unserem Ge­ Betrachtung der geologischen Verhältnisse notwendig. biet als Fleckenmergel des Lias, auch Allgäu-Schichten 1.2 Tektonik genannt sowie als Aptychenkalk des Malm. Letzterer Wie weite Teile der Nordalpen werden die Lechtaler baut den Gipfel der Parseier Spitze auf, die mit 3036 m ü. Alpen und der nördlich anschließende Allgäuer Haupt­ NN der höchste Berg der Lechtaler Alpen ist. kamm von Decken geprägt, die sich als Überschiebungen Das am weitesten verbreitete Gestein ist der Hauptdo­ während der Alpenfaltung entwickelt haben. Dabei wur­ lomit. Der meist deutlich geschichtete braungraue Fels ist den von Süden nach Norden über größere Entfernungen morphologisch durch seine Verwitterung in schroffe und und in großen zeitlichen Abständen ältere auf jüngere brüchige Formen gekennzeichnet. Von Klüften, Tobeln, Gesteinsschichten aufgeschoben. Am großartigsten ist Runsen und Schrofen zerrissene Steilflanken bilden seine dies am Nordrand der Lechtaldecke im Allgäuer Haupt­ Hangpartien. Die leichte Verwitterung zu feinem Grus bei kamm zu sehen, wo der Hauptdolomit der Trias den hohem Magnesiumgehalt oder scharfem Trümmerwerk Allgäuschichten des Lias aufliegt. bei geringerer Dolornitisierung bedingt die ausgedehnten Insgesamt sind im Einzugsggebiet des Lech vier Decken Schutthalden am Fuß seiner Wände. ausgebildet: An zweiter Stelle der Verbreitung stehen die Flecken­ - Die Allgäudecke als unterste tektonische Einheit bil­ mergel, als dunkle Kalkrnergel oft vergesellschaftet mit det den nördlichen Randstreifen der Nordtiroler Kal­ Mergeln und Sandsteinen. Tongehalt, Dünnschiefrigkeit kalpen. und leichte Verwitterung begünstigen das Wasserhalte­ - Die nächsthöhere Lechtaldecke ist entlang dem All­ vermögen, sodaß auch bei steiler Hangneigung und in gäuer Hauptkamm vom Biberkopf bis zum Kasten­ größerer Höhe noch eine dichte Grasnarbe gedeihen kann. kopf auf die Allgäudecke aufgeschoben und baut fast Die ihm eigenen sanften Formen heben den Gegensatz alle Hochgipfel und Kämme nördlich des Lech auf. zum Hauptdolomit hervor. - Die nächsthöhere Inntaldecke ist nur in Form mehre­ rer erosions zerschnittener, allseits freier Deckschollen Trotz des Übergewichts von Hauptdolomit und erhalten und an der Linie Silberjöchl - Madautal - Fleckenmergel können sich zwei weitere Gesteinsgruppen - Boden - Nordfuß der Heiterwand der vereinzelt morphologisch durchsetzen: Der wuchtige liegenden Lechtaldecke aufgeschoben. Ihr gehören die Wandfluchten bildende harte Wettersteinkalk und die wei­ Haupterhebungen der Lechtaler Alpen südlich des cheren Partnach-, Raibler- und Cenomanschichten. Diese Lech fast durchwegs an. Gesteine sind im allgemeinen in den grasbewachsenen

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Sattelzonen zwischen den härteren Kämmen und Gipfeln Der üblichen morphologischen Klassifizierung nach ist anzutreffen. der Lech überall dort, wo er sein Bett in der eigenen Das Formenbild wird so zu einem wesentlichen Teil Alluvion frei entwickeln kann, den sogenannten verzweig­ vom Gesteinswechsel bestimmt. Darüber hinaus trägt das ten Flüssen zuzuordnen. Im Gegensatz zum gestreckten Gebirge den Stempel eines fluviatilen Stockwerks baues Typ gibt es bei diesem Muster kein begrenztes Bett mit und der darin eingegliederten Karsysteme. Ein breiter wenig veränderlichen Ufern. Der Fluß ist vielmehr in Streifen Liasmergel trennt die Lechtaler Alpen von den Rinnen zerspalten, die auseinanderstreben, sich wieder parallel ziehenden Allgäuer Hochalpen; ihm folgt das obe­ vereinen und bei jedem Hochwasser ihre Gestalt ändern. re bis in den Raum von Häselgehr, wo der Lias­ Wenn eine Rinne zugeschüttet wird, bahnt sich das Was­ mergel über Bschlabs und Namlos gegen wei­ ser daneben einen anderen Weg, bis auch dieser ver­ terzieht. schwindet und ein neuer Arm eröffnet wird. Die dazwi­ schen eingestreuten Kiesbänke sind meistens vegetations­ Zuletzt hat die eiszeitliche Vergletscherung das Lech­ los und in fortgesetztem Umbau begriffen. gebiet überformt. Wie sie ausgesehen haben mag, läßt sich nur in Umrissen rekonstruieren. Das ganze obere Ein­ Wegen ihres urtümlichen Charakters werden solche zugsgebiet war mit mächtigen Firnfeldern bis 2400 m ü. Verzweigungen oft als Flußverwilderung oder Entartung, NN bedeckt, die ihre Eisströme nach verschiedenen Rich­ ja noch stärker abwertend als Kieswüsten bezeichnet. Die­ tungen entsandten. Auch aus den Seitentälern flossen se Auffassung geht fehl, denn Verzweigungen sind nichts große Eisrnassen ins Haupttal. Bis zum Becken von Reut­ anderes als der sichtbare Ausdruck eines spezifischen te, wo das Eis immerhin noch 1650 m ü. NN erreichte, Wechselspiels der wirkenden Naturkräfte. erhielt der Lechgletscher über breite Sattelzonen, z.B. das 2.1 Feststoffe Hahntennjoch, einen Zustrom vom Inntal. Besonders Ein wichtiger morphologischer Begriff ist das soge­ mächtig war der Arm des Inngletschers, der über den nannte Geschiebetransportvermögen eines Flusses. Es Fernpaß zog und teilweise über das Planseetal floß, teil­ handelt sich um eine statistische Größe, die sich aus der weise beiderseits des Tauernberges sich mit dem Lecheis Konfiguration des flußbetts, der Geschiebekorngrößen• vereinigte. Periglaziale Talverfüllungen, wie sie von der verteilung und den Abflußverhältnissen errechnet. Wenn nördlichen Alpenrandzone bekannt sind, fehlen in den sich der mittlere Geschiebezulauf einer Flußverzweigung Lechseitentälern. und das Transportvermögen ungefähr die Waage halten, spricht man von einer Umlagerungsstrecke, die sich lang­ 2 Elemente der Bettgestaltung fristig weder auflandet noch eintieft. Zwar schwankt die Der Lech entspringt beim Formarinsee in Vorarlberg Sohlenhöhe je nach dem augenblicklichen Feststoffeintrag auf etwa 1880 m Höhe ü. NN. Er überquert bei Warthdie nach oben oder unten; sie verhält sich aber insgesamt Grenze gegen Tirol, durchfließt bei streckenweise mehr stabil. WUNDT (1962) sprach treffend von einem Wett­ als 20%0 Gefälle eine tief eingesenkte Schlucht, bis er bei streit zwischen Erosion und Akkumulation. Bevor der Steeg wieder besiedeltes Gebiet erreicht. Dort öffnet sich Mensch Hand angelegt hat, reihten sich im Lechtal solche der Talboden nahe der Kaiserbachmündung auf fast 500 m Umlagerungsstrecken aneinander, ohne daß es zu progres­ siven Akkumulationen kam. Breite, wobei das Gefälle ziemlich unvermittelt auf rd. 6%0 zurückgeht. Weiter flußabwärts kann man drei verschie­ Wahrend der stürmisch verlaufenden Bettbildungspro­ dene Landschaftsräume unterscheiden: Das Längstal zwi­ zesse nach dem Rückzug der Wtirmvereisung konnte von schen Steeg und Häselgehr, die anschließende, etwas enge­ einer ausgeglichenen Feststoffbilanz des Lech noch nicht re Durchbruchstrecke bis Weißenbach und schließlich die die Rede sein. Vielmehr sind nach dem Abschmelzen des Beckenreihe von . Nach dem untersten dieser Eises von den kahlen Bergflanken gewaltige Schottermen­ Becken bei und mit knapp 4°/00 Gefälle gen ins Tal verfrachtet worden, die zu mächtigen Anlan­ strebt der Lech in einer Schlucht der Landesgrenze bei dungen geführt haben. Mit zunehmender Festlegung vieler Füssen zu. Geschiebeherde durch die Vegetation und der Entwick-

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Das Einz ugsgeblet. des ob eren Lech

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· _ · -~·Grenze d"s_ Einzugsgebietes

o 10 k.

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Geologische Skizze des oberen Lechtals

EJ Molasse ~ (enoman, Unterkreide ~ Flysch ~ Jura un. Rät ~ Hauptdolomit DIIIIl Wettersteinkalk

109 © Verein zum Schutz der Bergwelt e.V. download unter www.vzsb.de/publikationen.php und www.zobodat.at lung standfester Böschungen hat sich der Vorgang später Neben dem Geschiebe sind Schwebstoffe eine wichtige umgekehrt. Wie die Terrassenstufen des Talbodens be­ Komponente im Feststoffhaushalt der Flüsse. Schweb­ zeugen, ist die Sohle in der Folgezeit stufenweise tiefer stoffe sind, wie der Name sagt, alle Partikel, die im Wasser geschaltet worden, ja es ist anzunehmen, daß sich der Lech infolge von Turbulenzen schwebend dahintreiben, ohne noch in säkularer Eintiefung befindet, die freilich durch daß man eine eindeutige Grenze zum Geschiebe ziehen menschliche Eingriffe bis zur Unkenntlichkeit verwischt kann. In alpinen Flüssen entstammen die Schwebstoffe wird. Diese Eingriffe reichen bis in das frühe Mittelalter erodierten Böden, dem Feinkornanteil der Feststoffherde zurück, als die bajuwarisch-alemannischen Siedler mehr als und dem Abrieb des Geschiebes. In der Jahresreihe die Hälfte der Walder insbesondere in der oberen Hälfte 1971/86 betrug die mittlere Fracht bei Füssen 301 000 t/a. des Einzugsgebietes in Grasland umwandelten. Die damit Wie sehr die Schwebstofführung vom Abfluß abhängt, verbundene Verschärfung der Spitzenabflüsse insbesonde­ macht das Hochwasserjahr 1970 mit über 900 000 t/a re in den Wildbächen beeinflussen seither das Abfluß- wie Fracht evident. Trotz dieser hohen Zahlenwerte tritt die das Geschieberegime. Bedeutung der Schwebstoffe für die Bettgestaltung im Jeder Fluß strebt einem Ausgleichs- oder Beharrungsge­ Vergleich mit den grobkörnigen Feststoff-Fraktionen in fälle zu, bei dem die Schubspannung des fließenden Was­ den Hintergrund, wobei allerdings nicht zu übersehen ist, sers mit dem Widerstand der beweglichen Sohle im dyna­ daß Schwebstoffe bei fortschreitender Vertiefung des mischen Gleichgewicht steht. Wie STERNBERG (1875) Rinnensystems vermehrt auf Kiesbänken abgelagert wer­ gezeigt hat, könnte ein flußabwärts bewegter Geschiebe­ den und deren Verbuschung fördern. Wenn die Vegetation transportkörper der Gleichgewichtsbedingung nur dann Fuß gefaßt hat, verlieren Kiesbänke ihre ursprüngliche genügen, wenn dessen Komgrößen unverändert blieben. Beweglichkeit und nehmen an der Umlagerung nur noch Da aber das Flußgeschiebe im Verhältnis der erbrachten eingeschränkt teil, was letztlich verstärkend auf die Ero­ Transportleistung abgenutzt wird, führt der Energieüber• sion der Rinnen rückwirkt. An der Isar in der Ascholdin­ schuß, der aus dem Massenverlust folgt, zu einer exponen­ ger Au kann man eine ähnliche Entwicklung anschaulich tiellen Abnahme des Gefälles. Ist darüber hinaus das reale verfolgen. Gefälle größer als das Ausgleichsgefälle, sucht der Fluß 2.2 Feststoffherde sich diesem durch Tiefenerosion anzugleichen. Sieht man von dem im Zuge der Eintiefung sehr ergie­ Unter den bis ins vorige Jahrhundert herrschenden Be­ bigen Geschiebeherd "Lechsohle" ab, dann stammen die dingungen konnte der Lech in der 55 km langen Strecke Feststoffe aus den Seitenbächen, die alle definitionsgemäß zwischen Steeg und Pinswang eine einigermaßen dauer­ als Wildbäche zu bezeichnen sind. Am Lech selbst und hafte Sohlenlage bei rund 5,5%0 mittlerem Gefälle ausbil­ seinen Seitenbächen finden wir von seinem Ursprung bis den. Heute entspricht das vorhandene Gefälle wegen des hinunter nach Steeg nur wenige Feststoffherde in Form gestörten Geschiebehaushalts nicht mehr dem Gleichge­ von Gräben in rezentem Hauptdolomitschutt. Von Steeg wichtszustand im Sinne des Stembergschen Gesetzes. abwärts bringen weder der Kaiserbach noch der Sulzbach größere Geschiebemengen. Erst der Alperschonbach aus Zuverlässige Zahlenangaben über die Geschiebefrach­ dem Madautal erhält größere Geschiebemengen aus dem ten sind kaum möglich, da sie starken natürlichen anstehenden Hauptdolomit und aus Anbrüchen im Lias­ Schwankungen unterliegen und überdies durch Schotter­ Fleckenmergel. Ähnliches trifft für den kleinen, bei Grieß• entnahmen aus dem Flußbett geschmälert werden. Nach au einmündenden Bach zu. den gebaggerten Massen aus dem Forggensee zu schließen, handelt es sich in der Größenordnung um 100 000 t/a. Die Der Otterbach aus dem Grarneisertal bringt aus rezen­ Menge zeigt fallende Tendenz und bleibt wegen der Ab­ ten Schutthalden des Hauptdolomit und aus Uferanbrü• riebverluste und Schotterentnahrnen aus dem Lech be­ chen, bezogen auf die Größe des Einzugsgebietes, nur trächtlich hinter der Summe der natürlichen Einträge der wenig Geschiebe. Seitenbäche zurück, zumal sie auch noch einen Teil des Der stärkste Geschiebelieferant des gesamten oberen erodierten Sohlenmaterials repräsentiert. Lechgebietes ist der Bschlabsbach. Hier sind oberhalb von

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Boden umfangreiche Feilen- und Uferanbriiche in rezentem den winterlichen Schneeriickhalt auf den Hochlagen ·ein und subfossilem Hauptdolomitschutt vorhanden, die beträchtlicher Teil in den Friihsommer, die Hauptzeit der reichlich Geschiebe in den Lech liefern. Schneeschmelze, verlagert wird. Dem Abflußminimum Ein weiterer starker Geschiebezubringer wäre auch der im Januar steht ein Maximum im Juni gegenüber, wie es Hombach, wenn das Geschiebe nicht hinter einer großen für sogenannte Schneeregime des Berglandes mit nur zwei und mehreren kleinen Sperren zuriickgehalten würde. Die hydrologischen Jahreszeiten typisch ist. Der mittlere Ab­ 2 Wirkung insbesondere der großen, noch nicht gefüllten fluß nimmt vom Pegel Steeg (AN = 250,1 km ) bis zur 3 3 Sperre zeigt sich sehr deutlich in der etwa drei Meter Landesgrenze bei Füssen von 12 m /s auf 57 m /s zu. betragenden Eintiefung der Mündungsstrecke des Horn­ Maßgebend für die Gestaltungsvorgänge sind die baches, die durch Reste von Uferverbauungen in ihrer Hochwasserereignisse, die große Feststoffmassen umla­ ursprünglichen Höhe dokumentiert ist. gern. Beispielsweise wurden am 10. August 1970 bei Steeg 3 3 Der Namloser Bach ist als Geschiebelieferant von ge­ 290 m /s, bei Füssen hingegen 770 m /s Scheitelabflüsse 3 2 ringer Bedeutung und ähnliches gilt für den Schwarzwas­ beobachtet, was Abflußspenden von 1,16 m / s km , bezie­ 3 2 serbach. Im Rotlech wird das Geschiebe in einem Stausee hungsweise 0,55 m /s km entspricht. Die Abnahme der zuriickgehalten. Der Abfluß des Plansees ist ebenso wie Spenden flußabwärts bringt zum Ausdruck, daß Hoch­ die Vils für unsere Betrachtung ohne Bedeutung, da deren wasserwellen infolge der Retention der teilweise überflu• weniges Geschiebe den Lech erst kurz vor dem durch eine teten Talaue deutlich verflacht werden. Sperre fixierten Lechfall bei Füssen erreicht. Die Talverschüttung ist ziemlich wasserdurchlässig und Insgesamt ist festzustellen, daß die Geschiebeherde des deshalb von einem starken Grundwasserstrom erfüllt. In oberen Lechtales im Vergleich mit anderen Alpenflüssen der winterlichen Trockenzeit weist der Lech infolge von nicht sehr ergiebig sind und dementsprechend der Ge­ Grundwasseraufstößen streckenweise einen ansehnlichen schiebeeintrag relativ gering ist. Die flußbaulichen Eingrif­ Abfluß auf. Wegen der Warme des aufdringenden fe in die in einem hochempfindlichen stationären Un­ Grundwassers gibt es so gut wie keine Eisbildung. gleichgewicht befindlichen Umlagerungsstrecken des Lech führen damit zwangsläufig verstärkt zu den fatalen 3 Flußgeschichte in historischer Zeit Folgen massiver Eintiefungen des Flußbettes. 3.1 Ausgangssituation 2.3 Abfluß Die wilden Wasser des Lech haben durch häufige Fluß• Neben der Feststofführung und den Feststoffherden verwerfungen den größten Teil des Talbodens beherrscht. gilt unsere Aufmerksamkeit dem Abfluß als dritter bett­ Es gibt Anzeichen dafür, daß schon im Zuge der Besied­ bildender Komponente. Das bis zur Landesgrenze gegen lung des Lechtales lokale Uferschutzbauten errichtet Bayern 1406 km2 umfassende Niederschlagsgebiet des worden sind, deren Spuren gelegentlich noch heute aus Lech wird von Gebirgszügen flankiert, die bis über 2700 m dem Dunkel der Vergangenheit hervortreten. Nach ü. NN ansteigen. Je nach Höhenlage und Exposition LACKlNGER (1952) trifft man in Wiesen auf versun­ schwanken die mittleren Jahresniederschläge in einer kene, verwitterte und überwachsene Bruchsteinzeilen Bandbreite zwischen 1100 und 2700 mm/a, wobei die Spit­ oder auf alte Archen, das sind durch roh gezimmerte zenwerte auf die Gipfelregion der Allgäuer Hauptkette Holzroste zusammengehaltene Knüppellagen. entfallen, während die Talsohle die niedrigsten Jahres­ Den Fluß nach einem übergeordneten Konzept zu re­ summen aufweist. Wegen des bekannten Staueffekts des geln lag den Bergbauern früherer Zeiten fern. Jeder trach­ Alpenrandes ist der Niederschlag flußabwärts trotz ab­ tete nur danach, seinen Grund und Boden unmittelbar zu nehmender Seehöhe größer als im Zentrum des Lechtales. schützen. Die Arbeit der Bauern verdient jedoch hohen Gemittelt über das ganze Einzugsgebiet kann mit rund Respekt, da sie die Voraussetzungen für die Kultivierung 1800 mm/a Niederschlag gerechnet werden. des T alraumes schuf. Bauern wie Gemeinden waren jedoch Der Abfluß ist nicht proportional zum Niederschlag, überfordert, als größere flußbauliche Maßnahmen not­ weil- ganz zu schweigen von der Verdunstung - durch wendig wurden, um die Lebens- und Sicherheitsanspriiche

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in den Tallagen zu erfüllen. 1910 an Größe nur wenig nachstand. Zurück blieben brei­ Von der Mitte des vorigen Jahrhunderts an sah sich te Schotterfelder, die stellenweise von einem Talrand bis deshalb die öffentliche Hand genötigt, unterstützend ein­ zum anderen reichten wie z.B. in der Blockau bei Stan­ zugreifen. Zuerst wurden in herkömmlicher Weise örtli• zach, wo Soh!enerhöhungen um mehrere Meter gemessen che Schutzbauten gefördert; dann setzte sich allmählich wurden. Der Lech hatte sich den Raum zurückerobert, die Einsicht durch, daß mit zusammenhanglosem Stück• der ihm in jahrzehntelanger Arbeit abgerungen worden werk auf die Dauer wenig auszurichten ist. Einem in den war. siebziger Jahren vom Landesbauamt erstellten Regulie­ Die Betroffenen gaben sich aber nicht geschlagen, son­ rungsentwurf für den Lechabschnitt von bis Weiß• dern versuchten mittels eines dritten Projektes vom März haus blieb jedoch der Erfolg versagt, weil das Projekt an 1914 den Kampf gegen das Wasser erneut aufzunehmen. Geldmangel scheiterte. Man behalf sich weiter mit lokalen Der Weltkrieg setzte jedoch diesen Bemühungen ein ra­ Schutzbauten. sches Ende.

Beim Hochwasser 1901 hat der Lech vom sog. "Gächt• Nach sechsjähriger Unterbrechung wurden die Arbei­ le" unterhalb Höfen bis zum Wehr der Reuttener Spinne­ ten 1920 unter den schwierigen Bedingungen der Nach­ rei sich ein neues Gerinne in der Aue eröffnet, den Altlauf kriegszeit wieder aufgneommen, wobei das dritte General­ verlassen und das dort vorhandene Triebwerk trockenge­ regulierungsprojekt weiter richtungsweisend war. Der legt. Man überließ dem Fluß die selbst gewählte Bahn und Lech wurde in drei Bauabschnitte eingeteilt, nämlich von legte ihn mit Schottertraversen fest, worauf der Lech mit Steeg bis Elmen, von Elmen bis Weißenbach und von starker Eintiefung reagierte. Weißenbach bis zur Landesgrenze.

Wiederholt vorgetragene Wünsche der Gemeinden um Für den obersten Abschnitt waren hauptsächlich Abhilfe gaben 1905 den Anstoß, eine eigene Lechbaulei­ Längsbauten vorgesehen, denen neben dem Uferschutz tung einzurichten und ein neues Projekt zu erstellen. Aber die Aufgabe zugedacht war, die Soh!eneintiefung durch noch ehe das sogenannte erste Generalregulierungsprojekt enge Führung des Wassers voranzutreiben und dadurch genehmigt war, mußte es angesichts der Hochwasserkata­ Ausuferungen zu unterdrücken. An eine systematische strophe vom Juni 1910 zurückgezogen werden, weil sich Regelung des zweiten Abschnitts mit seinen breiten die bis dahin angewandten Bauweisen als unzureichend Schotterfeldern glaubte man zunächst nicht herangehen erwiesen hatten. zu dürfen, weil dabei große Kiesmassen freigesetzt und Im Mai 1910 war ausgiebig Schnee gefallen, der noch auf zum Nachteil der Unterlieger verfrachtet worden wären. den Bergen lag, als Anfang Juni warmes Wetter mit tägli• Es wurde vielmehr empfohlen, sich auf örtliche Bauten zu chen Gewitterregen einsetzte. Die rasche Schneeschmelze beschränken, diese jedoch so anzuordnen, daß sie gleich­ verwandelte jeden Graben in einen reißenden Wildbach, sam als Vorarbeiten in die einer späteren Zeit vorbehaltene Triftklausen und Sperren gingen zu Bruch, die Wasser­ "Norrnalisierung" des Lech eingebunden werden können. stände des Lech überstiegen alle jemals beobachteten Hö• Im dritten Abschnitt wurde der Abschluß der unvollende­ hen. Schwere Uferanbrüche waren zu beklagen, sieben ten Regulierungswerke Höfen - und Ehen­ Brücken fielen dem Hochwasser zum Opfer, viele Wiesen bich! - Unterletzen ins Auge gefaßt. wurden überschottert und von angeschwemmtem WJd­ Die Regelung des 32 km langen Abschnitts Steeg - holz bedeckt, nicht zu reden von den Schäden an Hab und war 1931 im wesentlichen abgeschlossen. Maß• Gut der Bewohner. gebend war nach wie vor das Projekt von 1914, wenngleich Das unter dem Eindruck des Hochwassers umgearbei­ da und dort Modifizierungen erforderlich waren, "denn tete zweite Generalregulierungsprojekt sah ein System das Wasser bildet einen ewig wachen Gegenspieler, der auf von kombinierten Quer- und Längsbauten vor. Wieder jeden Eingriff in sein Bett mit Rückwirkungen kommt, die kam aber die Natur den Bemühungen der Wasserbauer zwar in allgemeinen Umrissen, aber nie in ihre Stärke, zuvor, denn ehe die Pläne bewilligt waren, ereignete sich Reichweite und auch Eigenart genügend vorausgesehen am 8. und 9. Mai 1912 ein Hochwasser, das jenem von werden können" (LACKlNGER 1952).

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Der Lech erreicht in einer wilden Schlucht Tiro!. 'Foto: Kar!.

Verzweigte Umlagerungsstrecken mit offenen Kiesbänken sind im tiroler Lechtal noch als seltene Lebensräume vorhanden. Foto: Kar!

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Das für die natürliche Dynamik des Lech notwendige Geschiebe stammt aus den Wildbächen. Foto: Kar!.

Der wichtigste Geschiebelieferant ist der Bschlaberbach mit seinem jetztzeit­ lichen Verwitterungs- und eis­ zeitlichen Hangschutt. Foto: Kar!.

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In den schmalen Umlagerungsstrecken Die Unterläufe der Wtldbäche sind werden die Feststoffe sortiert und meist als enge Tobel entwickelt. bei Hochwasser weitertransportiert. Foto: Kar!. Foto: Kar!.

In einigen Bächen sind felsige Klammen In den Tobeln und Klammen wird das entstanden. Geschiebe rasch durchtransportiert. Foto: Kar!. Foto: Scheurmann.

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Der Le~h hat sich nacheiszeitlich in Talverfüllungen und Schuttkegel eingeschnitten und dabei Ufer­ terrassen hinterlassen. (Bild oben). Foto: Scheunnann.

Solche natürliche Umlagerungsstrecken sind heute im Lech selten geworden. (Bild mitte). Foto: Kar!.

Seit Jahrzehnten engen Traversen die Umlagerungsstrecken ein und zwingen den Lech in ein Einheitsgerinne. (Bild unten). Foto: Kar!.

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Die Folge dieser Eingriffe sind starke Sohleneintiefungen, die zur Sicherung der einstürzenden Ufer zwingen. Foto: Kar!.

Trotz dieser nachteiligen Entwicklung wird auch heute noch der Fluß mit Buhnen eingeengt. Foto: Scheurrnann.

Der Fluß tieft sich nunmehr rasch ein und streckt seinen vorher gewundenen Lauf. Foto: Kar!.

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Die vor der Regulierung offenen Kies­ flächen verlanden und verbuschen rasch. Foto: Scheurmann.

Mit den früher bei jedem Hochwasser umgelagerten Kiesbänken gehen die letzten Lebensräume kiesbewohnender Pflanzen und Tiere verloren. Foto: Scheurmann.

Verstärkt wird der Zerstörungsprozeß des ursprünglichen Lech durch gewerb­ liche Kiesentnahmen, die weit über dem natürlichen Geschiebezulauf liegen. Foto: Scheurmann.

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In den dreißiger Jahren wurde der Lechausbau mit der sion und eine verbesserte Ordnung des Hochwasserab­ Anlage von Leitwerken, Traversen und Ufersicherungen flusses. ohne besonderen Nachdruck fortgeführt. Als Fernziel Ausgehend von der alten Regel, daß einer Flußbettein• wurde die Einschnürung des Lech in den breiten Schotter­ tiefung infolge eines Feststoffdefizits am besten durch feldern mittels Großtraversen anvisiert. Sie sollten die Reduktion des Gefälles begegnet werden kann, empfiehlt Anlage eines geschlossenen Mittelwasserbetts vorbereiten das Projekt, die Sohle mit Querschwellen abzutreppen, helfen und zugleich die Verlandung der nackten Kiesflä• um das Transportvermögen zu drosseln und wieder ins chen mit Feingeschiebe und Schwebstoffen fördern, um Gleichgewicht mit der geschwächten Geschiebefracht zu sie in nutzbares Land zu verwandeln. Wegen des großen bringen. Ferner sollte danach getrachtet werden, die Aufwandes konnten bis 1938 nur wenige dieser Bauwerke gewerblichen Schotterentnahmen, die die natürlichen mit Hilfe des freiwilligen Arbeitsdienstes errichtet wer­ Frachten erreichen, wenn nicht übertreffen, tunlichst den. Nach kriegsbedingten Unterbrechungen wird die einzuschränken. Verbauung der großen Schotterfelder bei Pinswang, Stan­ Was das zweite Hauptziel betrifft, werden Vorkehrun­ zach und Weißenbach mit Traversen und Steinbuhnen bis gen gegen Überschwemmungen der flachen Beckenberei­ in die Gegenwart fortgesetzt. che bei Stanzach - Rieden, pfIach und Musau erwogen. Eine begrenzte Tieferschaltung der Flußsohle war von Siedlungen soll ein Vollschutz gewährt werden, während Anfang an erklärtes Korrektionsziel. Nun sind seit länge• für landwirtschaftlich genutzte Flächen ein Schutz bis zu rer Zeit Eintiefungen zu beobachten, die weit über das einem Hochwasser mit dreißigjährlicher Wahrscheirllich­ erwünschte Maß hinausgehen. Sie betragen im Mittel rund keit der Wiederkehr für ausreichend erachtet wird. Im 5 cm/a, örtlich bewegen sie sich im Meterbereich. Wichtig­ übrigen setzen sich die Projektsverfasser dafür ein, daß ste Ursachen der Tiefenerosion sind der SchotteITÜckhalt Retentionsräume erhalten bleiben und Bettverwerfungen in einigen Seitentälern, insbesondere im Hornbach, ge­ in den noch nicht vollständig ausgebauten Strecken un­ werbliche Schotterentnahmen in einer Größenordnung terbunden werden. Abwärts vom Kniepaß wurde eine von schätzungsweise weit mehr als 100 000 rnJ/a und die Rollierung der Sohle empfohlen. enge Einschnürung des Flußbettes. Die Feststoffrückhal• Mit diesen Vorschlägen verfolgt das Projekt weitgehend tung in den Seitenbächen spielt in dieser Auflistung die die traditionellen Ziele des Flußbaues, wie sie C.F. von geringere Rolle, auch wenn die Wlidbachverbauung Fest­ WlEBEKING (1811) schon vorfast 200 Jahren treffend stoffe festgelegt hat. formuliert hat. Er sah im Wasserbau "die Wissenschaft, Aus diesen Gründen versucht der Lech seit Jahrzehnten welche die Flüsse wohlthätig für ihre Anwohner leitet, die sein ungesättigtes Transportvermögen durch Kiesauf­ Hochgewässer in feste Bahnen hält ... , Moräste und Seen nahme aus dem eige~en Bett auszulasten. Ein solcher in fruchtbares Land verwandelt, und öde Sandfelder und Vorgang hat die fatale Eigenschaft, daß er progressiv ist, da sterile Heyden in lachende Gefilde umschafft". Als Ideal­ mit zunehmender Senkung der Sohle die Fülltiefe bei ziel galt der zwischen künstlichen Ufern ruhig dahinglei­ Hochwasser und damit die erodierende Schubspannung tende Fluß. In unseren Tagen sind solche Gedanken keines­ anwächst. Es handelt sich, wie es HARTUNG (1973) wegs überwunden; wie wäre es sonst erklärlich, daß die formuliert hat, um eine positive Rückkopplung, die den "Kieswüsten " der Umlagerungsstrecken da und dort noch Tiefenschurf immer weiter treibt. heute Mißfallen erregen? Einer konsequenten Verwirklichung der Projektvor­ 3.2 Neuere flußbauliche Überlegungen schläge stehen aus heutiger Sicht schwerwiegende Gründe Bei dieser Sachlage war es angezeigt, die Gestaltungs­ entgegen. Der Bau von Sohlrampen gegen die übermäßige vorgänge des Lech in einem neuen Rahrnenprojekt zu Eintiefung wäre gewissermaßen die ultima ratio, da mit überprüfen und Vorschläge für den weiteren Ausbau zu ihnen der natürlichen Tendenz des Lech, Verzweigungen entwickeln. Das vom Ingenieurbüro H. Zottl - H. Er­ zu bilden, gewaltsam entgegengearbeitet würde. ber, Wien vorgelegte Projekt vom März 1978 stellt zwei Hauptziele in den Raum: Die Bekämpfung der Tiefenero- Derzeit werden gegen diese rein ökonomisch ausgerich-

119 © Verein zum Schutz der Bergwelt e.V. download unter www.vzsb.de/publikationen.php und www.zobodat.at tete Flußgestaltung von fachkundiger Seite ernste Beden­ kein konkretes Planungsstadium getreten sind. Mehrere ken erhoben, weil sie die ursprüngliche Dynamik unter­ Varianten werden erwogen, wobei teils an speicherfähige drückt und damit naturnahe Lebensräurne zerstört, die Talsperren, teils an Fassungen mittels Tirolerwehren ge­ hier im oberen Lechtal ihr letztes Refugium in den Nord­ dacht wird. Die Wasserkraft könnte entweder in unab­ alpen haben. hängigen Stufen oder in größeren Systemen im hydrauli­ Die Absicht, dem Lech in den Umlagerungsstrecken schen Verbund genutzt werden. Die vor Jahren im was­ Raum für eine ungebundene Entwicklung zu lassen, prä• serwirtschaftlichen Rahmenplan in Aussicht genommene judiziert allerdings Interessenskonflikte, die angesichts des Überleitung des Narnlosbaches zum Rotlechspeicher soll realen wie des vermeintlichen Landbedarfs im Außerfern aus wirtschaftlichen und landschafts-ökologischen Grün• nur mit überzeugenden Argumenten durchzustehen sein den nicht mehr verfolgt werden. werden. Solange die Planung über erste Ansätze einer Varian­

In der Erwägung, daß befriedigende Lösungsansätze tenuntersuchung nicht hinausgelangt ist, sind keine stich­ nur in einer integralen Würdigung der wasserbaulichen, haltigen Vorhersagen möglich, wie der Lech auf die Anla­ ökologischen und wirtschaftlichen Probleme des ganzen gen morphologisch reagieren würde. Grundsätzlich grei­ Talraumes gewonnen werden können, beabsichtigt das fen jedoch folgende Überlegungen Platz: Talsperren wir­ Österreichische Bundesministerium für Land- und Forst­ ken als Geschiebefänger und können erfahrungsgemäß nur wirtschaft die maßgebenden Teilaspekte in einer "Regio­ ungenügend freigespült werden. Jede Sperre würde daher nalstudie Lech - Außerfern" überprüfen zu lassen und das Feststoffdefizit vergrößern und die ohnehin gegebe­ daraus ein Gesamtkonzept zu entwickeln. Erste Überle• nen Erosionstendenzen verstärken. Wie durch Beispiele gungen wurden im März 1988 zu Papier gebracht. zu belegen ist, senkt sich das Niveau von Umlagerungs­ strecken bei Geschiebemangel aber keineswegs flächen• haft, sondern der Fluß greift bevorzugt vorhandene Rin­ 4 Nutzung der Wasserkräfte nen an und schürft diese weiter aus. Die Kiesbänke werden Im Raum Reutte wird die Wasserkraft des Lech in unbeweglicher und drohen mit der Zeit zu verbuschen. mehreren Werken genutzt. Die älteste Anlage gehört den Weniger ungünstig sind Fassungen mittels Tirolerweh­ Reuttener Textilwerken, die dem Lech bis 36 m3/s Wasser ren zu beurteilen, da diese den Geschiebetrieb allenfalls über einen Seitenkanal entzieht. zeitweilig beeinflussen, aber die Frachten insgesamt nicht Das Elektrizitätswerk Reutte entnimmt dem Lech am schmälern. Ausreichende Restwasserabflüsse sind voraus- Kniepaß bis 50 m 3/s Wasser, eine Menge, die nahe an den zusetzen. Mittelwasserabfluß heranreicht. Es wird durch einen Stol­ len zum Kraftwerk Weißhaus geleitet und gelangt von 5 Folgerungen dort über einen Unterwasserkanal zurück ins Mutterbett. Das tiroler Lechtal wird als eine der letzten - wenn Zu den jüngeren Anlagen gehört der Speicher im Rot­ nicht die letzte - weitgehend naturbelassene Flußland• lechtal bei der Ratswaldalpe mit 1,3 Mio. m3 Nutzraum. schaft der Alpen in Wort und Schrift gerühmt. Wenn­ Er schöpft aus dem Rotlech und dem Liegfeistbach einen gleich im Hinblick auf die lange Geschichte des Wasser­ Teil des natürlichen Wasserdargebots ab und versorgt baus hierzu einige Vorbehalte am Platz sind, ist festzustel­ über einen Stollen das Kraftwerk am gleich­ len, daß Abschnitte des Lech ihren urwüchsigen Charak­ namigen See. Das Wasser wird dann in den Plansee über• ter als Umlagerungsstrecken bis zur Gegenwart ein­ geleitet und im Kraftwerk Plansee ein zweites Mal abgear­ drucksvoll repräsentieren. Insofern nimmt der Lech unter beitet, bis es unterhalb Reutte seine natürliche Vorflut im den Gebirgsflüssen Mitteleuropas eine herausragende Stel­ Lech findet. lung ein, denn die landschaftsprägende Dynamik des flie­ Seit einiger Zeit werden weitere Ausbauabsichten dis­ ßenden Wassers tritt hier wie bei kaum einem anderen kutiert, die sich nicht nur über den Lech, sondern auch Alpenfluß heute noch beispielhaft zutage. Damit ist dem über eine Reihe von Seitenbächen erstrecken, aber noch in oberen Lech höchste Schutzwürdigkeit zuzuordnen.

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Um diesem hohen Anspruch gerecht zu werden, sollten 6 Schrifttum den natürlichen Gestaltungskräften keine neuen Fesseln Au rad a, F.: Der Lech, geographische Beschreibung; in: Österr. angelegt werden, vielmehr wäre ihre freie Entfaltung nach Wasserkraftkataster, herausgg. v. Österr. Bundesministerium Möglichkeit zu unterstützen. Die derzeitigen flußbauli• für Handel und Wirtschaft; Wien 1955. chen Eingriffe sind allerdings geeignet, einen der letzten Bunza, G. Kar!, J., Mangelsdorf, J.: Geologisch-Morpho­ logische Grundlagen der WJdbachkunde. Schriftenr. d. Bay­ naturnahen Flußabschnitte der Nordalpen endgültig in er. Landesamtes f. Wasserwirtschaft; H. 17; München 1982. ein Kunstgerinne zu verwandeln. Deutsches Gewässerkundliches Jahrbuch -Donauge­ biet, Abflußjahr 1986; herausgg. v. Bayer. Landesamt f. Aus diesen Gründen sind folgende Forderungen zu Wasserwirtschaft. München 1988. stellen: Deutsche Norm DIN 19663, WJdbachverbauung - Be­ - Die flußbaulichen Maßnahmen sind auf das für Ab­ griffe, Planung und Bau. Berlin 1985. wendung unmittelbarer Gefahren unumgängliche Maß Hart u n g , F .: Stützschwellenkraftwerke. Wasserwirtschaft; zurückzunehmen. 63. Jahrg.; H 11112; Hamburg 1973. - Das in Seitentälern künstlich zurückgehaltene Ge­ Jerz, H.; Schauer, Th.; Scheurmann, K.: Zur Geologie, Morphologie und Vegetation im Gebiet der Ascholdinger schiebe sollte zumindest teilweise wieder in Bewegung und Pupplinger Au. Jahrb. d. Vereins z. Schutz d. Bergwelt. gesetzt werden; dies gilt insbesondere für den Hom­ S. 81-151. München 1986. bach. Lackinger, W.: Aus der Geschichte der Lechregulierung. - Gewerbliche Schotterentnahmen sind auf ein Min­ Unveröffentlicht; 1952. Mangelsdorf, J., Scheurmann, K.: Flußmorphologie - destmaß zu begrenzen. ein Leitfaden für Naturwissenschaftler und Ingenieure. - Soweit Traversen und Buhnen den Abflußquerschnitt München 1980. stark einengen, ist ein Rückbau zu erwägen, um dem S p eng I er, E.: Die nördlichen Kalkalpen samt Flyschzone und Lech mehr Raum zur Bildung naturnaher Verzwei­ helvetischer Zone. In: F.X. Schaffer; Geologie der Ostmark; S. 202-291. Wien 1943. gungen zu geben. Sternberg, H.: Untersuchungen über Längs-und QuerprofJe - Vom Talsperrenbau ist im Hinblick auf den Feststoff­ geschiebeführender Flüsse. Zeitschr. f. Bauwesen; H. 11/12. entzug abzusehen. 1875. Wir möchten an dieser Stelle nicht versäumen, der an­ Wie b e kin g, C. F . v . : Theoretisch-praktische Wasserbaukunst. München 1811. scheinend verbreiteten Meinung entgegenzutreten, allein Wund t, W . : Aufriß und Grundriß der Flußläufe, vom physi­ der Verzicht auf weitere Nutzungen der Wasserkraft wür• kalischen Standpunkt aus betrachtet. Zeitschr. f. Geo­ de genügen, den aus dem Gleichgewicht geratenen Regel­ morphologie. N.F. Bd. 6; S. 198-217. Berlin 1962. kreis der Umlagerungsstrecken wieder zu stabilisieren. Zottl. H.; Erber, H. : Lechregulierung Steeg - Weißhaus. Unveröffentlichtes Projekt. Wien 1978. Wahrend Argumente gegen die Ausbauabsichten der Kraftwerksgesellschaft zusammengetragen werden, wird der ungebremsten Erosion des Lechbettes als Folge der Anschrift der Verfasser: flußbaulichen Aktivitäten offenbar weniger Aufmerk­ samkeit geschenkt, als es der Dringlichkeit des Problems Professor DrAng. Kar! Scheurmann angemessen wäre. Brüder-Grimm-Straße 18 Um die Landschaft des Lechtales, die in Mitteleuropa D-8300 Landshut immer noch ihresgleichen sucht, in ihrem Bestand zu er­ halten, ist die Erarbeitung einer ökonomisch wie ökolo• Dr. J ohann Karl gisch ausgewogenen umfassenden Lösung dringend erfor­ Jugendstraße 7 derlich. D-8000 München 80

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Die Wasseramsel ist ein typischer Bewohner naturnaher Alpenflüsse und Wildbäche. Foto: Archiv U. Bauer

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