Peter Herbolzheimer Leiter Des Bundesjugend-Jazzorchesters Im Gespräch Mit Rainer Wallraf
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BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks http://www.br-online.de/alpha/forum/vor0405/20040526.shtml Sendung vom 26.05.2004, 20.15 Uhr Peter Herbolzheimer Leiter des Bundesjugend-Jazzorchesters im Gespräch mit Rainer Wallraf Wallraf: Herzlich willkommen, Peter Herbolzheimer, im Alpha-Forum. Peter Herbolzheimer, das ist ein Name, sogar ein Markenzeichen als Posaunist, Komponist, Arrangeur, Bandleader, Organisator, Produzent und Musikpädagoge – von ersten Arbeiten als Gitarrist und Karosseriedesigner ganz abgesehen. Er hat Hunderte von Schallplatten, Radio- und Fernsehshows, Jazzkonzerten, Jazzfestivals, Schauspiel-, Film- und Fernsehfilmmusiken gemacht, Preise über Preise, Auszeichnungen bis zu Bundesverdienstkreuzen bekommen. Und dann das aller Interessanteste: Peter Herbolzheimer ist ein Mensch wie du und ich und ein äußerst freundlicher Mensch sogar, denn das beweist allein schon dieses Plattencover: "Smile!" Was hat es denn mit diesem Plattencover auf sich? Herbolzheimer: Tja, das war eine unserer Platten, die wir Ende der achtziger Jahre, wie ich glaube, gemacht haben. Das war zusammen mit meinem Orchester. Sie wurde damals beim Südwestfunk aufgenommen, weil sie dort sehr gute Studios hatten. "Smile" ist ein Titel auf diesem Album, eine Komposition von Charlie Chaplin übrigens, den ich gerne mit auf der Platte haben wollte: Den hat damals bei mir zu Hause während der Nacht John Clayton zusammen mit mir geschrieben. Ja, und daraus wurde dann eben das Stück "Smile", das mir dann so gut gefallen hat, dass es gleichzeitig fürs Plattencover genommen wurde. Da lag dann nahe, diesen berühmten Smilie vorne drauf zu machen. Es war ja schon immer schwierig, ein Plattencover zu machen, aber ich muss doch auch sagen, dass diese Cover damals doch etwas an sich hatten verglichen mit den CD-Hüllen von heute. Wallraf: Denn die sind halt viel, viel kleiner im Format. Peter Herbolzheimer, Ihre Karriere als Musiker umspannt 43 Jahre, wir wollen das nun ungefähr 43 Minuten schildern: Das werden wir wohl kaum schaffen. Sie wurden am letzten Tag des Jahres 1935 in Bukarest geboren. Rumänien war damals noch ein Königreich, eine Monarchie unter Carol II. Herbolzheimer ist aber nun nicht gerade ein rumänischer Name; wie kam Ihre Familie dort hin? Herbolzheimer: Mein Vater war ähnlich veranlagt wie ich bzw. ich bin ähnlich veranlagt wie mein Vater: Er hatte immer nur Reisen im Kopf. Eines Tages lernte er in Deutschland einen rumänisch-jüdischen Filmschauspieler kennen, der zu ihm sagte: "Mensch, komm doch mit nach Rumänien." Mein Vater ging daraufhin tatsächlich nach Rumänien: Dort hat es ihm so gut gefallen, dass er dort geblieben ist, dort geheiratet und ein Kind gezeugt hat – in Wirklichkeit waren es sogar zwei Kinder, aber das zweite Kind habe ich nie kennen gelernt. Tja, so entstand das Ganze. Er ging 1928 nach Rumänien und blieb dort bis 1951. Wallraf: Wenn Sie bis 1951 dort waren, dann haben Sie ja nicht nur das Königreich von Carol II., sondern auch den Krieg dort mit erlebt. Die Rumänen haben ja gegen die Sowjetunion gekämpft. Nach dem Krieg wurden sie dann natürlich von den Russen besetzt und 1947 in eine Volksdemokratie umgewandelt. Das haben Sie ja alles noch mitbekommen. Sie haben also auch noch unter der kommunistischen Herrschaft dort gelebt. Herbolzheimer: Ja, das habe ich alles noch mitbekommen. Ich erinnere mich auch noch recht gut an diese Zeiten, denn am Ende war ich ja gar nicht mehr so klein zu diesem Zeitpunkt. Ich muss sagen, dass der Krieg für die Rumänen bereits 1944 vorbei gewesen ist, also ein Jahr vor dem tatsächlichen Ende des Zweiten Weltkriegs. Die ersten Soldaten, die ich gesehen habe, waren Amerikaner und Engländer, die von Griechenland her kamen. Und dann kamen die Sowjets. Das waren natürlich turbulente Zeiten. Es waren politisch auch sehr vielversprechende Zeiten gleich nach dieser Wende. Diese kommunistische Herrschaft, die ja durch Wahlen und keinesfalls durch einen Putsch oder so an die Macht gekommen war, hatte zunächst einmal viele gute Sachen zur Folge. Aber diese Generation von rumänischen Politikern wurde dann doch sehr schnell wegintrigiert. Es kamen dann diese düsteren Gestalten... Wallraf: ...mitsamt der Nomenklatura. Als Sie 1951 dann mit Ihren Eltern in den Westen kamen: War das eine Flucht oder war das legal? Herbolzheimer: Es war legal, aber wir hatten sehr, sehr viel dafür zahlen müssen an verschiedene Kanäle. Es gab da z. B. auch so eine Art Blockwart, der etwas bekommen musste. Irgendein Typ von der Polizei hat dann unsere Wohnung übernommen: Auch der hat abgefunden werden müssen. Es war also eine ganze Horde von Leuten, die davon profitiert haben. Aber das war ja so üblich und gang und gäbe: In der DDR war es ja genauso. Wir hatten dann wirklich gar nichts mehr. Die Schwester meines Vaters lebte in Nürnberg und sie hatte von außerhalb ebenfalls mitgewirkt, dass unsere Ausreise letztlich zustande gekommen ist. Wir wussten aber bis zum Schluss nicht, ob wir überhaupt rauskommen würden: bis zum Tag der Abfahrt. Wir sind dann mit dem Zug von Bukarest zuerst einmal nach Wien gefahren. Wallraf: Sie gingen dann gleich darauf geradezu ins entgegengesetzte System, nämlich in die USA, nach Detroit. Wie kam das denn zustande? Herbolzheimer: Diese Flucht von mir ist aus zwei Gründen verständlich. Erstens hatte zu jener Zeit sowieso jeder, der aus dem Osten gekommen ist, eine Vorstellung über die USA, die nicht der Wirklichkeit entsprochen hat: Jeder wollte nach Amerika! Bei mir war es außerdem noch so, dass ich diese ersten Jahre meines Seins in der Bundesrepublik nicht mochte: Da war alles grau in grau; ich war in Nürnberg, in Franken, und der dortige "Charme" hat mich sehr überwältigt. Ich wollte daher entweder nach Rumänien zurück oder nach Amerika. Damals konnte man aber gar nicht in die USA einreisen, weil die Beschaffung eines Visums unglaublich schwierig war. Denn damals gab es noch dieses idiotische Quotensystem, das erst 1956 oder 1957 geändert worden ist. Damals aber gab es noch diese "Lex Köstler", genannt nach dem Philosophen: Denn er wollte in den USA bleiben, worauf die Amerikaner gesagt haben, "Schluss mit diesen Einwanderern!". Man konnte also nur im Rahmen einer bestimmten Quote in die USA gelangen, einer Quote, die vom eigenen Geburtsland abhing. Wenn ich damals zufälligerweise in Japan geboren worden wäre, dann wäre ich quotenmäßig als Japaner eingestuft worden. Und Rumänien existierte damals für die Amerikaner so gut wie gar nicht: Sie wussten vermutlich nicht einmal, wie man das schreibt oder wo das überhaupt liegt. Ich habe die Amis dann aber so gelöchert hier in München, ich bin damals fast jeden Tag nach der Schule zum Konsulat in die Leopoldstraße gegangen, sodass ich dort schon bald jeden kannte, dass es letztlich doch klappte. Irgendwann rief mich nämlich eines Tages der Konsul an und sagte zu mir, das würde nun in Ordnung gehen. Wallraf: Sie waren damals ja erst 16 Jahre alt und keineswegs absolut welterfahren. In Detroit haben Sie dann aber sogar eine Arbeitserlaubnis bekommen, und zwar als Karosseriedesigner. Als ich das gelesen habe, wurde mir schlagartig ein bestimmter Zusammenhang klar. Ich habe zu Hause bei mir etwa 10000 Langspielplatten und zu den schönsten Platten gehören diese Platten von Ihnen, auf denen vorne auf dem Cover wunderschöne alte, amerikanische Autos zu sehen sind. Diese Platten heißen "Music For Swinging Dancers". Hat das etwas mit Ihrer Ausbildung, mit Ihrer damaligen Arbeit in Detroit zu tun? Herbolzheimer: Das hat eher mit meiner Vorliebe für Autos zu tun. Ich liebe bis zum heutigen Tag Autos. Das waren damals in den dreißiger und vierziger Jahren so schöne Modelle, dass ich sie heute noch als Prachtstücke empfinde, wenn ich sie sehe. Mein Sohn ist, was mich sehr freut, z. B. auch Restaurator von alten Autos geworden: Das hat ganz einfach mit der Liebe zu den alten Autos zu tun. Es geht also nicht ums Fahren oder gar ums Rennfahren, sondern um diese Autos als Objekte selbst. Ich glaube, das sind wirkliche Kunstwerke. Wallraf: Wie kamen Sie dann zur Musik? Sie arbeiteten also in der Karosserieabteilung von General Motors, der größten Automobilfirma der Welt, und fingen dann eines Tages an Gitarre zu spielen. Herbolzheimer: Nein, ich spielte natürlich vorher schon Gitarre. Ich habe im Nebenberuf Gitarre unterrichtet. Damals hatte ja jeder Amerikaner noch einen Nebenberuf: Selbst der Universitätsprofessor fuhr noch Taxi nebenbei usw., denn zu Hause herumzusitzen war fast schon ein Stigma. Ich habe also damals Gitarrenunterricht für die Firma Wurlitzer gegeben. Das war damals eine große Firma, die in verschiedenen Städten in den USA Niederlassungen hatte. Ich habe also zu diesem Zeitpunkt bereits einige Jahre Gitarre gespielt. Ich habe damals freilich nie daran gedacht, eines Tages im Musikfach zu enden. Wallraf: Sie gingen dann nach Nürnberg zurück und auf die Musikhochschule. 1959 wechselten Sie dann zur Posaune. Die Posaune ist natürlich schon auch ein sehr interessantes Instrument. Welche Posaune spielten Sie dann eigentlich? Tenorposaune? Bassposaune? Ventilposaune? Herbolzheimer: Bassposaune. Wallraf: Und da gab es selbstverständlich berühmte Vorbilder im Jazz wie z. B. die Posaunisten Jack Teagarden, Kid Ory, Tommy Dorsey, Trummy Young, Kay Winding, JJ. Johnson und vor allen Dingen natürlich Albert Mangelsdorff. Ich habe gehört, dass man beim Blasen der Posaune einen ungeheuren Druck im Kopf aushalten können muss. Herbolzheimer: Ach, das weiß ich gar nicht. Das ist bestimmt mit Druck verbunden, aber das ist nicht stärker als bei anderen Blasinstrumenten – ausgenommen vielleicht bei der Piccolotrompete oder der Oboe. Ich habe vor allem deswegen auf die Posaune gewechselt, weil man damals bei der Posaune die Möglichkeit hatte, seinen Ton selbst zu gestalten. Auf der Gitarre war das in jenen Tagen nämlich noch nicht so leicht möglich: Die Verstärker waren noch nicht sehr gut damals. Das hatte mich aber immer schon genervt. Wallraf: Sie haben also in Nürnberg Musik studiert. War das ein spezielles Posaunenstudium? Oder war das ein generelles Musikstudium mit Kompositionslehre usw. Herbolzheimer: Ja, ich habe auch Komposition studiert. Das hieß, und ich glaube, es heißt heute noch so, Tonsatz.