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Sendung vom 26.05.2004, 20.15 Uhr

Peter Herbolzheimer Leiter des Bundesjugend-Jazzorchesters im Gespräch mit Rainer Wallraf

Wallraf: Herzlich willkommen, Peter Herbolzheimer, im Alpha-Forum. Peter Herbolzheimer, das ist ein Name, sogar ein Markenzeichen als Posaunist, Komponist, Arrangeur, Bandleader, Organisator, Produzent und Musikpädagoge – von ersten Arbeiten als Gitarrist und Karosseriedesigner ganz abgesehen. Er hat Hunderte von Schallplatten, Radio- und Fernsehshows, Jazzkonzerten, Jazzfestivals, Schauspiel-, Film- und Fernsehfilmmusiken gemacht, Preise über Preise, Auszeichnungen bis zu Bundesverdienstkreuzen bekommen. Und dann das aller Interessanteste: Peter Herbolzheimer ist ein Mensch wie du und ich und ein äußerst freundlicher Mensch sogar, denn das beweist allein schon dieses Plattencover: "Smile!" Was hat es denn mit diesem Plattencover auf sich? Herbolzheimer: Tja, das war eine unserer Platten, die wir Ende der achtziger Jahre, wie ich glaube, gemacht haben. Das war zusammen mit meinem Orchester. Sie wurde damals beim Südwestfunk aufgenommen, weil sie dort sehr gute Studios hatten. "Smile" ist ein Titel auf diesem Album, eine Komposition von Charlie Chaplin übrigens, den ich gerne mit auf der Platte haben wollte: Den hat damals bei mir zu Hause während der Nacht John Clayton zusammen mit mir geschrieben. Ja, und daraus wurde dann eben das Stück "Smile", das mir dann so gut gefallen hat, dass es gleichzeitig fürs Plattencover genommen wurde. Da lag dann nahe, diesen berühmten Smilie vorne drauf zu machen. Es war ja schon immer schwierig, ein Plattencover zu machen, aber ich muss doch auch sagen, dass diese Cover damals doch etwas an sich hatten verglichen mit den CD-Hüllen von heute. Wallraf: Denn die sind halt viel, viel kleiner im Format. Peter Herbolzheimer, Ihre Karriere als Musiker umspannt 43 Jahre, wir wollen das nun ungefähr 43 Minuten schildern: Das werden wir wohl kaum schaffen. Sie wurden am letzten Tag des Jahres 1935 in Bukarest geboren. Rumänien war damals noch ein Königreich, eine Monarchie unter Carol II. Herbolzheimer ist aber nun nicht gerade ein rumänischer Name; wie kam Ihre Familie dort hin? Herbolzheimer: Mein Vater war ähnlich veranlagt wie ich bzw. ich bin ähnlich veranlagt wie mein Vater: Er hatte immer nur Reisen im Kopf. Eines Tages lernte er in Deutschland einen rumänisch-jüdischen Filmschauspieler kennen, der zu ihm sagte: "Mensch, komm doch mit nach Rumänien." Mein Vater ging daraufhin tatsächlich nach Rumänien: Dort hat es ihm so gut gefallen, dass er dort geblieben ist, dort geheiratet und ein Kind gezeugt hat – in Wirklichkeit waren es sogar zwei Kinder, aber das zweite Kind habe ich nie kennen gelernt. Tja, so entstand das Ganze. Er ging 1928 nach Rumänien und blieb dort bis 1951. Wallraf: Wenn Sie bis 1951 dort waren, dann haben Sie ja nicht nur das Königreich von Carol II., sondern auch den Krieg dort mit erlebt. Die Rumänen haben ja gegen die Sowjetunion gekämpft. Nach dem Krieg wurden sie dann natürlich von den Russen besetzt und 1947 in eine Volksdemokratie umgewandelt. Das haben Sie ja alles noch mitbekommen. Sie haben also auch noch unter der kommunistischen Herrschaft dort gelebt. Herbolzheimer: Ja, das habe ich alles noch mitbekommen. Ich erinnere mich auch noch recht gut an diese Zeiten, denn am Ende war ich ja gar nicht mehr so klein zu diesem Zeitpunkt. Ich muss sagen, dass der Krieg für die Rumänen bereits 1944 vorbei gewesen ist, also ein Jahr vor dem tatsächlichen Ende des Zweiten Weltkriegs. Die ersten Soldaten, die ich gesehen habe, waren Amerikaner und Engländer, die von Griechenland her kamen. Und dann kamen die Sowjets. Das waren natürlich turbulente Zeiten. Es waren politisch auch sehr vielversprechende Zeiten gleich nach dieser Wende. Diese kommunistische Herrschaft, die ja durch Wahlen und keinesfalls durch einen Putsch oder so an die Macht gekommen war, hatte zunächst einmal viele gute Sachen zur Folge. Aber diese Generation von rumänischen Politikern wurde dann doch sehr schnell wegintrigiert. Es kamen dann diese düsteren Gestalten... Wallraf: ...mitsamt der Nomenklatura. Als Sie 1951 dann mit Ihren Eltern in den Westen kamen: War das eine Flucht oder war das legal? Herbolzheimer: Es war legal, aber wir hatten sehr, sehr viel dafür zahlen müssen an verschiedene Kanäle. Es gab da z. B. auch so eine Art Blockwart, der etwas bekommen musste. Irgendein Typ von der Polizei hat dann unsere Wohnung übernommen: Auch der hat abgefunden werden müssen. Es war also eine ganze Horde von Leuten, die davon profitiert haben. Aber das war ja so üblich und gang und gäbe: In der DDR war es ja genauso. Wir hatten dann wirklich gar nichts mehr. Die Schwester meines Vaters lebte in Nürnberg und sie hatte von außerhalb ebenfalls mitgewirkt, dass unsere Ausreise letztlich zustande gekommen ist. Wir wussten aber bis zum Schluss nicht, ob wir überhaupt rauskommen würden: bis zum Tag der Abfahrt. Wir sind dann mit dem Zug von Bukarest zuerst einmal nach Wien gefahren. Wallraf: Sie gingen dann gleich darauf geradezu ins entgegengesetzte System, nämlich in die USA, nach Detroit. Wie kam das denn zustande? Herbolzheimer: Diese Flucht von mir ist aus zwei Gründen verständlich. Erstens hatte zu jener Zeit sowieso jeder, der aus dem Osten gekommen ist, eine Vorstellung über die USA, die nicht der Wirklichkeit entsprochen hat: Jeder wollte nach Amerika! Bei mir war es außerdem noch so, dass ich diese ersten Jahre meines Seins in der Bundesrepublik nicht mochte: Da war alles grau in grau; ich war in Nürnberg, in Franken, und der dortige "Charme" hat mich sehr überwältigt. Ich wollte daher entweder nach Rumänien zurück oder nach Amerika. Damals konnte man aber gar nicht in die USA einreisen, weil die Beschaffung eines Visums unglaublich schwierig war. Denn damals gab es noch dieses idiotische Quotensystem, das erst 1956 oder 1957 geändert worden ist. Damals aber gab es noch diese "Lex Köstler", genannt nach dem Philosophen: Denn er wollte in den USA bleiben, worauf die Amerikaner gesagt haben, "Schluss mit diesen Einwanderern!". Man konnte also nur im Rahmen einer bestimmten Quote in die USA gelangen, einer Quote, die vom eigenen Geburtsland abhing. Wenn ich damals zufälligerweise in Japan geboren worden wäre, dann wäre ich quotenmäßig als Japaner eingestuft worden. Und Rumänien existierte damals für die Amerikaner so gut wie gar nicht: Sie wussten vermutlich nicht einmal, wie man das schreibt oder wo das überhaupt liegt. Ich habe die Amis dann aber so gelöchert hier in München, ich bin damals fast jeden Tag nach der Schule zum Konsulat in die Leopoldstraße gegangen, sodass ich dort schon bald jeden kannte, dass es letztlich doch klappte. Irgendwann rief mich nämlich eines Tages der Konsul an und sagte zu mir, das würde nun in Ordnung gehen. Wallraf: Sie waren damals ja erst 16 Jahre alt und keineswegs absolut welterfahren. In Detroit haben Sie dann aber sogar eine Arbeitserlaubnis bekommen, und zwar als Karosseriedesigner. Als ich das gelesen habe, wurde mir schlagartig ein bestimmter Zusammenhang klar. Ich habe zu Hause bei mir etwa 10000 Langspielplatten und zu den schönsten Platten gehören diese Platten von Ihnen, auf denen vorne auf dem Cover wunderschöne alte, amerikanische Autos zu sehen sind. Diese Platten heißen "Music For Swinging Dancers". Hat das etwas mit Ihrer Ausbildung, mit Ihrer damaligen Arbeit in Detroit zu tun? Herbolzheimer: Das hat eher mit meiner Vorliebe für Autos zu tun. Ich liebe bis zum heutigen Tag Autos. Das waren damals in den dreißiger und vierziger Jahren so schöne Modelle, dass ich sie heute noch als Prachtstücke empfinde, wenn ich sie sehe. Mein Sohn ist, was mich sehr freut, z. B. auch Restaurator von alten Autos geworden: Das hat ganz einfach mit der Liebe zu den alten Autos zu tun. Es geht also nicht ums Fahren oder gar ums Rennfahren, sondern um diese Autos als Objekte selbst. Ich glaube, das sind wirkliche Kunstwerke. Wallraf: Wie kamen Sie dann zur Musik? Sie arbeiteten also in der Karosserieabteilung von General Motors, der größten Automobilfirma der Welt, und fingen dann eines Tages an Gitarre zu spielen. Herbolzheimer: Nein, ich spielte natürlich vorher schon Gitarre. Ich habe im Nebenberuf Gitarre unterrichtet. Damals hatte ja jeder Amerikaner noch einen Nebenberuf: Selbst der Universitätsprofessor fuhr noch Taxi nebenbei usw., denn zu Hause herumzusitzen war fast schon ein Stigma. Ich habe also damals Gitarrenunterricht für die Firma Wurlitzer gegeben. Das war damals eine große Firma, die in verschiedenen Städten in den USA Niederlassungen hatte. Ich habe also zu diesem Zeitpunkt bereits einige Jahre Gitarre gespielt. Ich habe damals freilich nie daran gedacht, eines Tages im Musikfach zu enden. Wallraf: Sie gingen dann nach Nürnberg zurück und auf die Musikhochschule. 1959 wechselten Sie dann zur Posaune. Die Posaune ist natürlich schon auch ein sehr interessantes Instrument. Welche Posaune spielten Sie dann eigentlich? Tenorposaune? Bassposaune? Ventilposaune? Herbolzheimer: Bassposaune. Wallraf: Und da gab es selbstverständlich berühmte Vorbilder im Jazz wie z. B. die Posaunisten Jack Teagarden, Kid Ory, Tommy Dorsey, Trummy Young, Kay Winding, JJ. Johnson und vor allen Dingen natürlich . Ich habe gehört, dass man beim Blasen der Posaune einen ungeheuren Druck im Kopf aushalten können muss. Herbolzheimer: Ach, das weiß ich gar nicht. Das ist bestimmt mit Druck verbunden, aber das ist nicht stärker als bei anderen Blasinstrumenten – ausgenommen vielleicht bei der Piccolotrompete oder der Oboe. Ich habe vor allem deswegen auf die Posaune gewechselt, weil man damals bei der Posaune die Möglichkeit hatte, seinen Ton selbst zu gestalten. Auf der Gitarre war das in jenen Tagen nämlich noch nicht so leicht möglich: Die Verstärker waren noch nicht sehr gut damals. Das hatte mich aber immer schon genervt. Wallraf: Sie haben also in Nürnberg Musik studiert. War das ein spezielles Posaunenstudium? Oder war das ein generelles Musikstudium mit Kompositionslehre usw. Herbolzheimer: Ja, ich habe auch Komposition studiert. Das hieß, und ich glaube, es heißt heute noch so, Tonsatz. Wallraf: Und dann kamen die sechziger Jahre: Sie waren 25 Jahre alt und hatten dann ihre ersten Engagements in amerikanischen Clubs, die es damals noch in großer Zahl gegeben hat. Nürnberg war damals ja quasi voll mit amerikanischen Soldaten. Und Sie haben dann auch in Radiobands gespielt. Herbolzheimer: Das mit den Radiobands fing, wie ich glaube, erst 1967 an. Aber die Clubs waren, wie Sie richtig sagten, meine Hauptbetätigungsfelder. Diese Clubs gab es freilich auch im Ausland, was dazu führte, dass ich z. B. auch oft in Frankreich gespielt habe. Dies wiederum hatte zur Folge – ich war damals ja bereits verheiratet und wir hatten bereits Kinder –, dass die Berufsgenossenschaften mich nicht aufgenommen haben. Denn ich habe damals quasi exterritorial gearbeitet. Wallraf: Diese Clubs galten sozusagen als amerikanisches Hoheitsgebiet. Herbolzheimer: Genau, und als ich dann z. B. Kindergeld beanspruchte, hat mir der zuständige Beamte geschrieben, er würde es bedauern, aber ich sei eine Gesetzeslücke und es wäre doch am besten, wenn ich den Beruf wechseln würde. Nun, das habe ich natürlich nicht gemacht. Wallraf: Gott sei Dank. Sie sind dann nach gegangen und zwar ans Schauspielhaus. Dort war damals Egon Monk Intendant – leider nicht allzu lange. Monk war jedenfalls musikalisch sehr interessiert: Er hat Sie als junger Mensch als Komponist nach Hamburg geholt. Herbolzheimer: Ja, als Komponist. Ich habe dort zu zwei von den vier Stücken, die damals unter ihm Premiere hatten, die Musik geschrieben. Ich kam damals mit , der vor kurzem gestorben ist, zu ihm. Egon Monk war genau 76 Tage Intendant am Schauspielhaus, denn er hat sich gleich zu Beginn mit dem Kultursenator angelegt und dieser Kultursenator von der FDP saß sozusagen am längeren Hebel. Heute wäre das nicht mehr so einfach, einen Intendanten rauszuschmeißen. Wallraf: Ein bisschen später, nämlich 1969, haben Sie dann die berühmte "Rhythm Combination & Brass" gegründet: Ihre Band, mit der Sie ungeheure Erfolge hatten. Was war das Konzept, was war die Idee hinter dieser Band? Herbolzheimer: Das Konzept war aus einem Zwang heraus entstanden. Die Besetzung hatte einen konzeptionellen Hintergrund: Ich wollte damals keinen Saxophon-Satz, sondern höchstens ein bis zwei Saxophonspieler. Ich wollte Blechbläser haben und genauso viele Rhythmusleute in der Band. Und das gelang mir dann auch. Die Besetzung selbst ergab sich zu dieser Zeit zwangsläufig, denn damals gab es in Deutschland nicht sehr viele hervorragende Solisten, die auch gute Notisten gewesen wären. Es gab zwar sehr gute Spieler, aber die waren notistisch nicht so sehr auf der Höhe. Und da wir nie Geld hatten, um proben zu können, musste diese Zeit minimiert werden. Ich kannte ja in der Zwischenzeit all die einschlägigen Musiker: den von hier, jenen von dort usw. Diese Leute waren alle nicht nur phantastische Musiker, sondern auch sehr gute Notisten. Heute wäre das gar nicht mehr notwendig, weil die jungen Leute von heute unheimlich gut vom Blatt lesen können. Wallraf: War dieser Zwang, die Zeit minimieren zu müssen, auch der Grund dafür, dass Sie in der Badewanne komponiert haben, wie man sich erzählt? Herbolzheimer: Das war auf eine andere Sache zurückzuführen. Wir hatten drei Kinder und wohnten nördlich von Hamburg auf dem Land. Bei uns ist es immer ziemlich frei zugegangen: Die Kinder durften spielen, durften sogar auf dem "geheiligten" Rasen Fußball spielen usw. Es war also immer sehr viel Lärm bei uns. Der einzige Ort, an den ich mich zurückziehen konnte, war tatsächlich die Badewanne. Das entstand also aus einem richtigen Zwang. Ich hatte mir dort eine Vorrichtung gebaut, auf die ich eine, wie man damals noch sagte, Heimorgel und Papier und Stift legen konnte. Dort konnte ich mich dann gut konzentrieren. Später habe ich dann erfahren, dass Schiller so etwas Ähnliches z. B. mit seinen Äpfeln gemacht hat. Wallraf: Diese Äpfel waren allerdings nicht elektrisch angeschlossen: Das, was Schiller gemacht hat, war also weniger gefährlich. Herbolzheimer: Bei mir war das auch nicht gefährlich, weil das alles mit Niedervolt gelaufen ist. Wallraf: Ach so, aber ich weiß nicht, ob in der Badewanne selbst Niedervolt nicht vielleicht doch gefährlich ist. Sie haben damals sehr viel für Schallplatten oder für Jazzfestivals komponiert. Vor allen Dingen haben Sie 1972 etwas ganz Berühmtes komponiert, etwas, das vielleicht ein wenig in Vergessenheit geraten ist, weil das Künstlerische bei einer Olympiade keine so große Rolle spielt. Sie haben nämlich damals die Einzugsmusik für die Olympischen Spiele von 1972 in München komponiert, die dann ein so tragisches Ende fanden. Sie haben diese Musik zusammen mit Jerry van Rooyen und komponiert. Sie waren dann später etwas verärgert darüber, wie ich gelesen habe, dass man immer Kurt Edelhagen, der diese Musik dann gespielt hat, mit Ihnen als dem Komponisten verwechselt hat. Herbolzheimer: Nun, das ist ja verständlich. Der Edelhagen hat eigentlich nie behauptet, er hätte diese Musik geschrieben. Aber er hat die Fragen der Nichtwissenden geschickt so ausgenützt, dass man es sehr wohl so auslegen konnte. Er war nicht derjenige, der hier in München mit der Bundeswehr geprobt hat, sondern wir. Das ganze Konzept stammte von uns und von dem damaligen Toningenieur vom ZDF, einem gewissen Herrn Zapf, der heute wohl bereits pensioniert ist. Er hatte die technische Durchführung so durchdacht, dass das alles auch wirklich hingehauen hat. Wir spielten ja live mit an die 16 Schlagzeugern usw. Wallraf: Das muss doch ein toller Tag für Sie gewesen sein. Das war auch für die Zuschauer etwas ganz Besonderes, denn mit dieser Form von fast jazziger Unterhaltungsmusik war bis dahin noch nie eine Olympiade eröffnet worden. Herbolzheimer: Aber auch da hat es damals eine Geschichte gegeben, an die ich mich jetzt nach so vielen Jahren noch ganz genau erinnern kann. Es war nämlich so, dass ich im ersten Moment nicht ins Stadion kommen konnte. Das war so ähnlich wie heute hier beim Bayerischen Fernsehen. Wir hatten davor noch einen Auftritt im Olympiadorf und wurden dann ins Stadion gefahren. Wallraf: Sie wollten auch selbst ins Stadion. Herbolzheimer: Ich musste ins Stadion, denn ich war doch derjenige, der das Zeichen gab und die Leute dirigierte. Ein Wachmann sagte aber zu mir: "Sie, da kommen Sie aber nicht rein mit diesem Ausweis!" Ich meinte nur: "Ich habe den von Ihnen, ich muss jetzt da rein!" Er hat dann angefangen zu telefonieren und in dem Moment habe ich angefangen zu laufen. Er rannte mir natürlich hinterher, aber er erwischte mich nicht mehr. Wenn man genau aufpasst, dann stellt man fest, dass die Musik tatsächlich etwas zu spät anfängt, weil die doch alle auf mich gewartet hatten. Ich kam angelaufen und gab noch im Laufen das Zeichen zum Anfangen. Wallraf: Wenn das Ganze ein Jahr später gewesen wäre, dann hätten Sie diesem Wachmann, diesem Portier des Olympiastadions eventuell mit dem Bundesverdienstkreuz am Band imponieren können, denn das haben Sie nämlich ein Jahr danach bekommen. Welchen Stellenwert haben eigentlich Preise, Auszeichnungen und besonders so eine von Politikern verliehene Auszeichnung für Sie? Herbolzheimer: Wenn ich ganz ehrlich sein soll, und ich habe mir ja vorgenommen, ganz ehrlich zu sein, dann muss ich sagen: keine. Das ist eine nette Sache, die es halt gibt, aber es gibt auch sehr viele Gründe, die dagegen sprechen. Vor zwei, drei Jahren habe ich z. B. das Bundesverdienstkreuz bekommen, und zwar von Johannes Rau. Das hat mich gefreut, weil das das erste Mal war, dass seit Theodor Heuss der Bundespräsident diese Auszeichnung an einen Musiker vergeben hat. Aber auch bei dieser Auszeichnung habe ich gefunden, dass schon wesentlich geeignetere Leute als ich auszeichnet worden sind. Ich finde es schon gut, dass man den Leuten einen Preis verleiht, aber ich habe da doch mit meiner Musik nichts verloren. Wallraf: Sie haben unter deutschen Musikern jedoch eindeutig das Verdienst, sehr, sehr vielseitig zu sein. Sie haben z. B. 1974 nicht nur den ersten Preis beim "Concours International de Composition de Thèmes de Jazz" in gewonnen, sondern Sie haben dafür auch eine Zwölftonkomposition gemacht. Diese Kompositionsmethode stammt ja von Schönberg bzw. von Alban Berg, der ja in Ihrem Geburtsjahr gestorben ist. Wie kamen Sie denn darauf, eine Zwölftonkomposition zu machen? Herbolzheimer: Dazu muss ich ein bisschen ausholen. Normalerweise verbindet man mit Zwölftonmusik Atonalität. Es gibt aber auch regelrechte Gegenbeispiele. Es gibt ein Buch von Krenek, in dem er sogar genau das anzweifelt, dass Zwölftonmusik immer atonal sein müsse. Er sagt: Wenn in der Zwölftonmusik eine Komposition angenehm verläuft, dann hat sie genau so einen Erinnerungswert wie die andere Musik. Diese gewollte bzw. diese immer wieder entstehende Atonalität in der Zwölftonmusik ist daher nicht zwingend. Im Jazz hat es zu diesem Zeitpunkt überhaupt keine solche Musik gegeben. Und so dachte ich mir: Da solltest du mal was machen, das in dieses Genre hineinpasst und trotzdem Zwölftonmusik ist. Das war dann eine ganz angenehme Geschichte. Wallraf: Und genau dafür haben Sie dann diesen berühmten ersten Preis bekommen. Im Jahr darauf wurde die "Rhythm Combination & Brass" von den Lesern des "Jazz Forums", das damals die wichtigste Publikation auf dem Gebiet des Jazz gewesen ist, zur Nummer Eins von Europas Bands gekürt. Und das ist sie dann auch viele Jahre lang geblieben. Herbolzheimer: Ja, praktisch bis zum Zusammenbruch dieser Band. Wallraf: War das einer der wenigen Fälle, in denen Sie dann auch kommerziellen Erfolg hatten? Denn das waren ja immerhin Zeiten damals, in denen Bigbands eigentlich nicht mehr zu halten waren. Herbolzheimer: Kommerzielle Erfolge sind bis auf wenige Ausnahmen im Jazz einfach nicht vorhanden. Im Jazz ist das Wort "kommerzieller Erfolg" sehr oft von den Kritikern als Prügel verwendet worden, um einem Musiker zu unterstellen: "Du machst nicht genau, was du willst, sondern du machst, was die Leute wollen!" Auf gut Deutsch gesagt kann man auf so einen Vorwurf aber einen Haufen machen. Nach meinem Verständnis, nach Ihrem Verständnis und sicherlich nach dem Verständnis eines jeden, der auch nur kurz darüber nachdenkt, hat z. B. jemand wie Bach einen "kommerziellen Erfolg": Dieser Mann kann seine Musik nun schon 200, 300 Jahre lang verkaufen. Das ist ein kommerzieller Erfolg! Wallraf: Ein kommerzieller Erfolg auf höchstem Niveau. Herbolzheimer: Wenn heute jemand sechs Monate lang auf Platz Eins der Hitparaden steht, während man schon überhaupt nicht mehr weiß, wer im vorigen Jahr diesen Platz eingenommen hatte, dann ist das doch kein kommerzieller Erfolg: Das ist eine kurze Geschichte, die den Leuten gefällt. Das ist mehr oder weniger reine "Wegschmeißmusik", die man halt konsumiert, die man aber auch sofort auf den Müll wirft, wenn man sie nicht mehr mag. So gesehen hat der Jazz so gut wie keinen kommerziellen Erfolg gehabt. Dass man davon leben kann, ist freilich das Selbstverständliche überhaupt. Wallraf: Der Jazz hat halt immer vergleichsweise wenig Publikum: Er hat keine Einschaltquoten. Sogar die Jazzarrangements wurden immer schon schlechter bezahlt als andere. Herbolzheimer: Ja, das scheint selbstverständlich zu sein. Wallraf: All das, was Auflagen haben muss wie Platten oder Noten, ist im Vergleich zu Volksmusik-Events oder Schlagershows sehr viel weniger gut verkaufbar. Herbolzheimer: Das ist klar. Wallraf: Was hat Sie denn dann getrieben, diese schwierige Sparte innerhalb der Musik zu betreiben? Herbolzheimer: So richtig als bewusste Überlegung kann ich das gar nicht nachvollziehen. Ich habe ganz einfach erstens einmal gefühlt, dass die Leute, die diese Schlagermusik bzw. Popmusik machen, im Laufe der Zeit mitbekommen, dass ich nicht ganz hinter so einer Art von Musik stehe. Das ist aber etwas ganz Schlimmes. Wenn jemand Heino ist, dann ist er Heino: Er macht nicht auf Heino! Aber wenn ich dasselbe mache, dann wittert man recht bald die Unehrlichkeit dabei. Das war einer der Gründe, warum ich das nicht weiterverfolgt habe. Der zweite Grund war, dass mich diese Musik als solche musikalisch nicht besonders interessiert. Es gibt da neben dem Jazz durchaus auch noch andere Gebiete in der Musik, in denen ich mich betätige und die mir gefallen. Die Popmusik jedoch ist keine Musik, die mir besonders Spaß machen würde. Marschmusik ist z. B. auch so etwas: Da gibt es ganz bestimmt sehr, sehr viel gute Musik wie z. B. die Musik von Philipp Sousa, aber das ist einfach nicht mein... Wallraf: ...Bier! Herbolzheimer: Ja, das ist nicht mein Bier. Dass man das selbst dennoch professionell machen könnte, ist natürlich eine andere Sache. Ich kann natürlich Noten machen für diese Sparte der Musik, ich kann setzen usw. Ich habe ja auch mal drei, vier Sachen für Roy Black geschrieben, ganz zu Beginn seiner Karriere. Ich war damals ganz einfach in Köln, der Produzent von Roy Black war in Köln und so hat sich das ergeben. Das ist ganz einfach eine professionelle Seite, die man beherrschen muss. Aber mein Herz lag und liegt nun einmal nicht auf dieser Seite. Und außerdem waren mir die Gepflogenheiten in dieser Branche zuwider: dieses nach Erfolg heischen usw. Heute weiß ich, dass das direkt mit etwas anderem zusammenhängt: Wenn man sich mal all diese abfotografierten Leute in einer Illustrierten ansieht, dann stellt man fest, dass die immerzu nur lächeln. Aber es ist eigentlich gar nicht alles zum Lächeln. Der Fotoreporter sagt jedoch ganz einfach jedes Mal: "So, jetzt lächeln Sie mal!" Meistens ist es aber so, dass die Leute schon von sich aus so tun, als würden sie lächeln. Ich mag das nicht, für mich wäre das nichts: Ich mache da doch nicht den Affen! Dass ich also nicht stärker in die kommerziellen Bereiche der Musik eingestiegen bin, hat mit all diesen Gründen zu tun. Wallraf: Dennoch kann man ganz eindeutig bestätigen, dass sich Ihre Erfolge sehen lassen konnten. Sie haben z. B. 1977 die große Galashow des ZDF gemacht usw. Und Sie haben auch Tourneen mit den ganz Großen des Jazz gemacht. Wir wollen hier allerdings nicht zu spezifisch werden, denn damit verbindet sich immer ein ganz bestimmtes Problem. Ich selbst habe ja auch jahrelang Linernotes für Schallplattencover geschrieben. Es gibt im Jazz so ungefähr hundert ganz große Musiker. Das sind Leute wie meinetwegen , Chet Baker, usw. Jeder, der es wie Sie wirklich geschafft hat, hat mit diesen hundert Leuten irgendwann gespielt – und mit den anderen Hundert, die es wie er ebenfalls geschafft haben. Daraus folgt, dass sich die Biographien vieler Jazzer aufs Haar ähneln. Sie jedenfalls haben mit all diesen Größen wie Stan Getz, Gerry Mulligan, Toots Tielemans und selbstverständlich auch Ihrem Kollegen Albert Mangelsdorff Tourneen gemacht. Das muss doch eine wirklich anstrengende Geschichte gewesen sein. Haben Sie denn dabei auch, wie man heute sagen würde, One-Night-Stands gemacht? Haben Sie also jeden Abend woanders gespielt? Herbolzheimer: Nein, so etwas hat es damals noch nicht gegeben. Man hat immer mehrmals und auch länger in einem Club gespielt. Dass das nicht mehr so ist, hat vielleicht mit der Schnelllebigkeit unserer Zeit zu tun, die einem vorgaukelt, man könnte heute dieses und morgen schon wieder etwas ganz anderes machen. In Wirklichkeit ist es dann aber so, dass die beiden Sets, die man an zwei aufeinander folgenden Tagen bespielen muss, so weit entfernt voneinander liegen, dass alleine schon der Transport der Musiker mitsamt ihren Instrumenten dorthin große Schwierigkeiten macht: vielleicht nicht bei den Musikern, aber ganz sicher bei den Leuten, die den Lastwagen mit dem ganzen Equipment fahren. Für die ist so etwas schon sehr, sehr prekär. Da sind auch schon oft Leute gestorben dabei, weil sie nachts Kokain oder was anderes genommen haben, nur um das alles auf die Reihe bringen zu können. Diese Art von Kurzengagement liegt eigentlich keinem Musiker. Wir haben früher tatsächlich lange Tourneen gemacht bzw. längere Tourneen mit all diesen berühmten Leuten: Das war sehr angenehm und diese Musiker selbst waren auch sehr angenehm. Die Musiker von heute sind auch angenehm, aber es gibt keine Beständigkeit mehr im Zusammenspiel. Das ist halt so. Wallraf: Bio, also Alfred Biolek, der ja immer nach ausgefallenen Sachen für seine Shows suchte, besonders für seine Sendung "Bios Bahnhof", in der er wirklich die verrücktesten Künstler hat auftreten lassen... Herbolzheimer: Das war eine großartige Sache damals. Wallraf: ... hat Sie ebenfalls engagiert für diese Show. Was wollte Biolek von Ihnen im Zusammenhang mit dieser Show? Herbolzheimer: Biolek wollte mehrere Sachen von mir haben, und zwar wollte er erstens einmal meine musikalische Beratung, ob bestimmte Sache überhaupt gemacht werden sollten oder nicht. Im Endeffekt hat das aber doch immer er selbst entschieden. Und zweitens wollte er wissen, wie man das alles in diesem Bahnhof realistisch umsetzen kann. Wir hatten dort immer drei Bühnen; manchmal fuhr auch ein Zug in den Bahnhof und deswegen musste das Ganze eben so gemacht werden, dass das dennoch alles reibungslos ablaufen konnte. Und das gelang uns dann auch immer: Das war wirklich eine sehr, sehr reizvolle Aufgabe. Wallraf: Das Erstaunliche war ja, dass in dieser Sendung alles live gespielt und gesungen wurde. Das war das Besondere an dieser Sendung. Herbolzheimer: Ja, da war alles live. Wallraf: Gar nicht live hingegen ist die Arbeit als Filmkomponist: Da sitzt man bei seiner Arbeit vor einem Schneidetisch bzw. in jüngerer Zeit vor einem Bildschirm. Sie haben Filme mit ganz bekannten Regisseuren wie z. B. Ulrich Schamoni gemacht. Sie waren auch dabei, als einige von Wolfgang Menges Drehbüchern verfilmt worden sind. Erzählen Sie doch ein bisschen über diese Arbeit als Filmkomponist. Herbolzheimer: Ja, das mit Uli Schamoni war eine sehr, sehr angenehme Arbeit. Denn er sagte z. B. zu mir: "Schau mal, diese Szene hier, da stelle ich mir Musik vor." Ich habe ihn dann immer gefragt: "Ja, welche Musik stellst du dir denn vor?" "Weeß ick nich! Mach mal was!" Und meistens hat es dann auch gepasst. Wir hatten damals ja auch Geld zur Verfügung für die Filmmusik. So viel ich weiß, waren das damals die einzigen Filme, die der Schamoni überhaupt gemacht hat, für die extra Musik produziert worden ist. Denn ansonsten hat er ja immer nur Billig-Filme gemacht – von den Kosten her selbstverständlich, nicht vom Inhalt her. Für diese billigen Filme hat er halt immer grad die Musik genommen, die es schon gab und die passte. Die Zusammenarbeit mit ihm war wirklich sehr erfreulich – man spricht ja öfter mal von geistigen Pendants und das wäre hier vielleicht auch zu viel gesagt –, diese Arbeit mit ihm war deshalb so erfreulich, weil er aus dem Bauch heraus redete und ich das anscheinend ganz gut umsetzen konnte. Wallraf: Im Dezember 1981 bekamen Sie einen Brief von der Swing-Legende . Er schrieb darin: "Dear Peter, I listen to your new record and I certainly got my kicks … enjoyed your choice of tunes … and the arrangements are terrific. My best wishes, Benny Goodman." Haben Sie ihn denn je persönlich kennen gelernt? Herbolzheimer: Ja, Benny Goodman war damals in einer Sendung bei "Bios Bahnhof": Sie war sehr schön und interessant gemacht. Wir stiegen dort nämlich aus dem Film "The Benny Goodman Story" mit unserer Musik mitten in die Realität hinein. Das war für eine Livesendung wirklich etwas Besonderes. Das hat ihm sehr gefallen und wir hatten damals eben auch miteinander gesprochen: Dabei gab ich ihm diese Platte und diesen Brief hat er dann im Flugzeug geschrieben. Das war eigentlich kurz vor seinem Tod. Wallraf: Sie hatten ja überhaupt recht gute Verbindungen nach New York und hier eben auch zu Benny Goodman. Gleich darauf machten Sie dann beim WDR in Köln die "Harlem Story". Das ist ja eine Geschichte, die ebenfalls sehr viel mit der Zeit von Benny Goodman und mit diesen berühmten "Battles of the Bands" zu tun hat. Diese Produktion von Ihnen damals hat dann auch zu einer Schallplatte geführt. Ich habe diese Schallplatte hier ebenfalls mit dabei, denn ich mag sie sehr, sehr gerne. Das war eine richtige, schöne amerikanische Show im Schauspielhaus in Köln. Herbolzheimer: Ursprünglich war das Ganze seltsamerweise eigentlich als Rundfunkproduktion konzipiert. Aber die Leute, die dafür engagiert worden sind, waren Tänzer und Musiker mit großer Bühnenerfahrung. Aus diesem Grund haben wir dann mit Erfolg versucht, das Fernsehen hinzuzugewinnen. Deswegen entstand dann diese ganze "Harlem Story" als Live-Geschehen im Schauspielhaus in Köln. Das war wirklich eine sehr gelungene und wunderbare Produktion. Am Schluss, am letzten Tag, gab es über 30 Minuten lang Zugaben. Die Leute kamen auf die Bühne und fingen zu tanzen an usw. Das war eine ganz großartige Sache. Wallraf: Ich war damals selbst auch im Rundfunk: Wir haben das damals sehr viel gespielt im Radio. Gespielt haben Sie dann auch mit einer Institution, die Sie dann auch sogar geleitet haben, nämlich dem Bundesjazzorchester. Es wurde 1987 gegründet, wenn ich mich nicht täusche. Sie sind bis heute immer aktiv mit dabei beim Bundesjazzorchester. Wie nennt man dabei Ihre Funktion? Präsident? Herbolzheimer: Nein, ich bin der künstlerische Leiter. Wallraf: Was ist das Bundesjugendjazzorchester eigentlich? Herbolzheimer: Das ist ein Orchester, das aus den besten jungen Musikern zusammengestellt wird. Sie werden zum Vorspielen eingeladen und dabei spielt es keine Rolle, ob sie aus Nord-, Süd-, West- oder Ostdeutschland kommen. Dieses Orchester hat auch keinen festen Standort, sondern wird immer woanders gemacht, damit diese Bundeskomponente auch wirklich zum Tragen kommt. Wallraf: Wird es denn vom Bund bezahlt? Herbolzheimer: Hm. Wallraf: Sie wiegen Ihren Kopf? Herbolzheimer: "Da schweigt des Sängers Höflichkeit". Es wird z. T. vom Bund getragen. Sagen wir es mal so: Der Bund zahlt etwas, der WDR zahlt etwas und Daimler-Benz und Yamaha tragen das Orchester. Die Summen, die der WDR und der Bund hier zahlen, sind jedoch so klein, dass jede dieser Institutionen so eine Summe bei anderen Anlässen locker für ein Abendessen ausgibt. Wallraf: Ist denn die Ausbildung der jungen Musiker der Sinn bei der Sache? Herbolzheimer: Ja. Man kann sagen, dass das so eine Art Meisterklasse ist, in die die jungen Musiker kurz vor dem professionellen Spielen eintreten. Wobei diese Grenzen natürlich fließend sind. Wir haben sehr, sehr gute junge Leute, die natürlich auch in ganz anderen Besetzungen spielen. Sie sind aber alle samt und sonders Musikstudenten. Dort an diesen Hochschulen wird sehr, sehr viel mit den jungen Leuten gearbeitet. Wir teilen für die jungen Musiker im Bundesjazzorchester das Jahr in zwei Arbeitsphasen auf, in eine Sommer- und in eine Winterarbeitsphase. Außerdem gibt es noch Konzerte zu verschiedenen Anlässen. Die Musiker, die an diesen Arbeitsphasen teilnehmen, bekommen dafür pro Arbeitsphase ein ganzes Semester in der Hochschule angerechnet. Wallraf: Wo kann man denn dieses Orchester hören und sehen, wenn man will? Herbolzheimer: Dafür muss man in die entsprechenden Publikationen sehen. Wir sind z. B. ab übernächster Woche für zwölf Tage in Trossingen an der dortigen Bundesakademie. Dort wird dann geübt: Wir probieren dabei ein Programm von Lalo Schifrin, das dann wiederum im Juni aufgeführt werden wird. Wir werden damit drei oder vier Konzerte bestreiten. Ich weiß gar nicht, ob das Bundesjazzorchester in München selbst schon mal gespielt hat. Aber wir haben in der Nähe von München sehr wohl schon einige unserer Arbeitsphasen gemacht: Überall dort werden dann natürlich auch Konzerte aufgeführt. Wir treten überhaupt zu den verschiedensten Anlässen auf. Man schickt das Bundesjazzorchester mittlerweile auch öfter ins Ausland, weil es wirklich erstaunliche Erfolge hat dabei. Denn ein Klassikorchester hat ja jedes Land, aber ein Jazzorchester auf gesamtnationaler Ebene eben nicht. Die Politiker in Deutschland haben das nun auch erkannt und machen sich das zunutze. Wir waren z. B. schon in Südafrika zu den Krönungsfeiern von Lesotho. Wir haben aber auch schon eine Tournee im Baltikum gemacht. Wallraf: Das ist also eine Visitenkarte des deutschen Jazz. Beschränkt sich denn Ihre Lehrtätigkeit alleine auf das Bundesjazzorchester oder unterrichten Sie darüber hinaus noch an irgendwelchen Musikhochschulen? Herbolzheimer: Nein, an der Hochschule nicht mehr. Ich habe aber früher in Graz und in Köln an den dortigen Musikhochschulen unterrichtet. Heute mache ich jedoch sehr viele Workshops, also Seminare, die immer für drei Tage an einem Wochenende am Stück stattfinden. Solche Seminare mache ich wirklich sehr viele. Ich schätze, dass ich um die zwanzig solcher Workshops pro Jahr mache, auch im Ausland im Übrigen. Voriges Jahr war ich z. B. zwei Mal in Norwegen und einmal in Finnland, dieses Jahr geht es nach Riga und auch wieder nach Südafrika. Ich habe also sehr viele solcher Seminare und die mache ich auch mit Freuden. Wallraf: Sie sind ja kurz nach dem Mauerfall auch zum ersten Mal mit der "Rhythm Combination & Brass" in den neuen Bundesländern gewesen. Dabei waren Sie sogar im Gewandhaus in Leipzig. Wie haben denn die früheren DDR- Bewohner auf Ihre Musik reagiert? Herbolzheimer: Die Reaktionen waren natürlich grandios. Ich war aber schon seit 1980 einmal im Jahr als Gastdirigent in verschiedenen Städten wie Leipzig, Dresden oder Berlin gewesen. Bei unserem ersten Auftritt nach der Wende – ich weiß eigentlich gar nicht, was das gewendet wurde, weil man doch immer von der “Wende” spricht – blieb jedenfalls Kurt Masur noch den ganzen Abend im Haus: Das war das erste Jazzkonzert, das im Gewandhaus stattfand und er blieb den ganzen Abend über. Das war sehr erfreulich, auch das Treffen mit ihm: Er ist ein sehr menschenfreundlicher Mensch. Wallraf: Es ist ja auch eine große Auszeichnung, wenn der bedeutende Klassiker sich zu der Musik hernieder lässt, die wir gerne mögen. Herbolzheimer: Ja. Wallraf: Sie waren dann auch auf Tournee im Baltikum und in St. Petersburg. Das war das erste Mal, dass Sie vor Russen gespielt haben. Herbolzheimer: Ja, in Leningrad. Und wir waren danach auch in Südosteuropa: Wir fuhren vor zwei Jahren über Österreich nach Slowenien und dann auch in die Türkei. Wir waren dabei auch in Troja: Wir waren wirklich die erste Band, die nach Tausenden von Jahren dort in Troja bei den Ruinen gespielt hat! Wallraf: Der Musikpreis der Stadt Frankfurt ist wohl bisher die letzte große Auszeichnung, die Sie bekommen haben. Herbolzheimer: Kann sein. Wallraf: Ja, kann sein. Ich muss sagen, ich konnte gar nicht alle Preise und Auszeichnungen aufzählen, die Sie bekommen haben. Was machen Sie denn damit? Billy Wilder hat einmal gesagt, er würde den "Oscar" als Türstopper benutzen. Herbolzheimer: Wir haben keine solchen Türen, wir haben nämlich überhaupt keine Türen, wie ich gestehen muss. Bei mir hängen jedenfalls verschiedene von diesen Auszeichnungen an der Wand. Und auf die schaue ich dann ab und zu. Dort an den Wänden finden sich aber auch Modelleisenbahnen und andere Sachen, die ich mir gerne ansehe: u. a. ein Photo mit den Babyfüßen meiner Enkelin. Das erfreut alles mein Auge beim Komponieren und Arrangieren. Wallraf: Wie ich schon am Anfang sagte: Peter Herbolzheimer, ein Mensch wie du und ich. Das Motto lautet immer noch "smile" wie bei jener Platte. Ich bedanke mich herzlich für dieses Gespräch und wünsche Ihnen viele weitere Preise und eine gute Zeit. Danke schön. Herbolzheimer: Ich bedanke mich.

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