SPD – 05. WP Fraktionssitzung: 30. 11./01. 12. 1966 167 30. November/1. Dezember 1966: Fraktionssitzung FP Legislaturperiode V/I. Fraktion. Protokolle u. Tgo I. 19. 10. 1965 – 27. 4. 1967, neu: AdsD, SPD-BT-Fraktion 5. WP, 44. Überschrift: »SPD-Bundestagsfraktion. Protokoll der Fraktionssitzung am 30. November 1966«. Anwesend: 187 Abgeordnete.1 Prot.: Winkler und Glückert. Zeit: 16.30 – 0.15 Uhr (1. 12. 1966). Beginn: 16.30 Uhr Vorsitz: Herbert Wehner Tagesordnung: Die Bildung der neuen Bundesregierung Herbert Wehner gedenkt des verstorbenen Genossen Wenzel Jaksch.2 Er würdigt das Leben, Wirken und die Verdienste des Toten. Nach einleitenden Bemerkungen von Herbert Wehner ergreift Willy Brandt das Wort. Willy Brandt nimmt zunächst Stellung zu einigen noch offenen Sachfragen. I. Offene Sachfragen: 1. Es sei nicht zweckmäßig, etwas über die Dauer der Zusammenarbeit zwischen SPD und CDU zu vereinbaren. Die CDU/CSU teile diese Auffassung.3 2. In der Frage der Soforthilfe für die Gemeinden und der Neuregelung des Bundesan- teils an der Einkommensteuer und Körperschaftssteuer sei in einer Sonderkommission Einigung erzielt worden. Darüber werde Alex Möller der Fraktion berichten.4 3. In der Verhandlungsdelegation habe man sich (für die Zeit nach 1969) für ein neues Wahlrecht ausgesprochen, das noch in dieser Legislaturperiode im Grundgesetz veran- kert werden soll.5 Die Verhandlungsführer der SPD hätten jedoch betont, daß damit 1 Die Angabe über die anwesenden Abgeordneten nach Bestandsaufnahme 1966, S. 42. 2 Wenzel Jacksch war am 27. 11. 1966 an den Folgen eines Verkehrsunfalles gestorben; zu seiner Wür- digung vgl. BT Sten. Ber. 62, S. 3521. 3 In der Regierungserklärung von Bundeskanzler Kiesinger vom 13. 12. 1966 wurde ausdrücklich betont, es sei »der feste Wille der Partner der Großen Koalition, diese nur auf Zeit, also bis zum En- de der Legislaturperiode zu vereinbaren«. BT Sten. Ber. 63, S. 3657. – Auch der Fraktionsvors. der CDU/CSU Barzel betonte in der Aussprache über die Regierungserklärung am 15. 12.: »Wir wollen diese Koalition auf Zeit.« Brandt äußerte sich demgegenüber in der »Parteiratssitzung 28. 11. 66« (AdsD, PV ab 12. 9. 66 bis 1. 4. 67) wesentlich offener. Er gehe davon aus, daß es »zumindest bis 1969 hält«, doch halte er es für falsch, »darüber etwas aufzuschreiben«. Er wolle »als theoretische Überle- gung« auch »gar nicht ausschließen, daß sich herausstellen könnte, es gibt da Aufgaben, die länger als drei Jahre in Anspruch nehmen«. Doch wolle er davon »keinerlei Diskussionen und Festlegungen ableiten«. Vgl. die Wiedergabe in Bestandsaufnahme 1966, S. 58. 4 Siehe weiter unten die Ausführungen Möllers. 5 Nach Bestandsaufnahme 1966, S. 88 stimmten »die Kommissionen von CDU/CSU und SPD« »in der Auffassung überein, daß ein neues Wahlrecht zu entwickeln sei, aus dem klare Mehrheiten im Bundestag hervorgehen müßten«, womit ein »relatives Mehrheitswahlrecht« gemeint gewesen sei. »Man wurde sich einig, daß jeweils bevorstehende Wahlen stets nach dem geltenden Wahlrecht abge- halten werden müßten.« Für 1969 sei »eine Übergangsregelung ins Auge gefaßt worden«, »die aber noch nicht in Einzelheiten besprochen wurde. Ein neues Wahlrecht kann also erst bei den ersten Wahlen nach 1969 wirksam werden.« Brandt bat in seinem Bericht in der »Parteiratssitzung 28. 11. 1966«, S. 15 f. (vgl. Anm. 3) um eine »Bereitschaftserklärung, daß wir für 1969, aber für die Wahl nach 1969, ein Wahlrecht in Aussicht nehmen, das klare Mehrheiten schafft. Nicht ein manipuliertes Mehrheitswahlrecht, und vor allen Dingen auch – zumal auf 1969 bezogen – nichts, was wie ein Kar- tell von Zweien aussieht, die dem Dritten die Gurgel durchschneiden.« Wenn man sich auf ein ent- Copyright © 2017 KGParl Berlin 1 SPD – 05. WP Fraktionssitzung: 30. 11./01. 12. 1966 die Fraktion der SPD noch nicht gebunden sei.6 Vor allem der Parteitag werde sich zunächst mit diesem Problem beschäftigen müssen.7 Die CDU/CSU habe ebenfalls erklärt, daß sie sich in dieser Frage jetzt noch nicht binden könne.8 4. Eine Mitwirkung der Berliner Abgeordneten bei der Kanzlerwahl sei nicht sicher.9 Bundestagspräsident Gerstenmaier habe Bedenken.10 Der künftige Außenminister11 sprechendes Wahlrecht für die Zeit nach 1969 einige, dann müsse dieses »in der Verfassung verankert werden« und »durch Zweidrittel-Mehrheit, damit nicht immer mit dem Wahlrecht herumgemacht werden kann, jeweils vor einer Wahl«. Vgl. auch Kiesinger in der Regierungserklärung am 13. 12. 1966 (BT Sten. Ber. 63, S. 3657), während der Großen Koalition solle ein »neues Wahlrecht grundge- setzlich verankert werden, daß für künftige Wahlen zum Deutschen Bundestag nach 1969 klare Mehrheiten ermöglicht. […] Die Möglichkeit für ein Übergangswahlrecht für die Bundestagswahl 1969 wird von der Regierung geprüft.« Vgl. auch die Darstellung bei JESSE, Wahlrecht, S. 114 f. HIL- DEBRAND, Erhard, S. 255 betont, es sei Einigkeit »im Hinblick auf die Einführung eines Übergangs- wahlrecht für das Jahr 1969, das die Bundesrepublik von politischer Extremierung bewahren sollte, und die Schaffung eines Mehrheitswahlrechts für das Jahr 1973 erzielt worden«. Vgl. dagegen das folgende sowie Anm. 7 und 8. 6 In der Sitzung des Partei- und Fraktionsvorstandes am 28. 11. 1966, AdsD, PV ab 12. 9. 66 bis 1. 4. 67, betonte Brandt, daß es »keine feste Bindung zur Wahlrechtsänderung« gäbe und es »für 1969 noch keine Festlegung geben dürfe«. Vgl. auch Nr. 166, Anm. 29. – In der Aussprache zur Regierungser- klärung favorisierten zwar H. Schmidt und Schmitt-Vockenhausen für sich persönlich ein Mehr- heitswahlrecht; doch zur Haltung der SPD-Fraktion sagten sie nur, sie werde »auf einer sehr gründli- chen Prüfung dieser schwierigen Materie bestehen, ehe sie überhaupt zu einer Entschließung bereit ist«. BT Sten. Ber. 63, S. 3718, 3722, 3822-3824. 7 Gemeint war auf dem nächsten ordentlichen Parteitag der SPD; die Einberufung eines außerordentli- chen Parteitages lehnte der Parteivorstand in einer gemeinsamen Sitzung mit dem Fraktionsvorstand am 28. 11. (ebd.) ab und faßte gegen die Stimme von Wilhelm Conrad den Beschluß: »Der Parteivor- stand hält es für richtig, daß in die Vereinbarungen aufgenommen wird, daß für die erste Wahl nach 1969 ein Wahlrecht angestrebt wird, das klare Mehrheiten schafft, daran mitzuwirken, dafür die Grundlagen zu schaffen.« In seiner Plenarrede vom 15. 12. erklärte H. Schmidt noch für die SPD- Fraktion: »Meine Partei wird diese Frage auch auf einem Bundesparteitag behandeln.« BT Sten. Ber. 63, S. 3722. 8 In der Sondersitzung der CDU/CSU-Fraktion am 28. 11. 1966 war die geplante Wahlrechtsreform und das Verhalten ihrer Verhandlungskommission ausgiebig debattiert und vielfach heftig kritisiert worden. KNORR, S. 95 f. 9 Zur Vorgeschichte vgl. Nr. 162, Anm. 14, 163, bes. Anm. 15 und 166, bes. Anm. 26. Wie Brandt in der »Parteiratssitzung 28. 11. 1966«, S. 16 f. (vgl. Anm. 3) mitteilte, hatten am 27. 11. die »Experten« mit dem zuständigen Ministerialdirektor im BMI darüber beraten und man werde »hoffentlich jetzt noch in den nächsten zwei Tagen auf den Weg bringen, was eine Lösung in Stufen bedeuten würde. Ich hoffe, es wird dadurch möglich, bereits zur Kanzlerwahl eine Regelung zu erreichen, wie bei der Bundespräsidentenwahl 1954. Das heißt, das getrennte Abgeben der Stimmen, das gemeinsame Ver- künden des Ergebnisses. Eine entsprechende Regelung bei der Schlußabstimmung über Gesetze und eine entsprechende Regelung im Bundesrat ist auch jetzt aufgeschrieben und muß in die Erörterung der beiden die Regierung tragenden Parteien hinein.« 10 Zu Gerstenmaiers Bedenken vgl. Nr. 163, Anm. 15. – Bei der Wahl des Bundeskanzlers am 1. 12. 1966 erklärte Gerstenmaier als Bundestagspräsident: »Unsere Berliner Mitglieder sind weiterhin – was ich lebhaft bedaure – einem Sonderstatus unterworfen, der ihnen das volle Stimmrecht vorent- hält.« Dementsprechend können »auch bei dieser Bundeskanzlerwahl die Stimmen der Berliner Mit- glieder des Hauses nicht berücksichtigt werden« und nur »gesondert gezählt werden«. Bei der Ver- kündung des Wahlergebnisses gab Gerstenmaier zunächst getrennt die Zahlen der abgegebenen gül- tigen und ungültigen Stimmen sowie der Nein-Stimmen und weißen Stimmkarten bekannt, um dann fortzufahren: »Mithin sind für Herrn Dr. Kiesinger, wenn ich die Berliner Stimmen mitzähle, 356 Stimmkarten abgegeben worden. Auch wenn man die Berliner Stimmen wegläßt, ändert das an dem Ergebnis der Wahl insofern nichts, als die Zahl von 340 Stimmen das Quorum von 249 Stimmen weit übersteigt.« BT Sten. Ber. 62, S. 3539 f. Copyright © 2017 KGParl Berlin 2 SPD – 05. WP Fraktionssitzung: 30. 11./01. 12. 1966 werde sich jedoch der Frage des Stimmrechts der Berliner Abgeordneten in besonde- rem Maße annehmen. II. Organisatorische Struktur: Die Zahl der Minister in der neuen Bundesregierung soll um zwei vermindert werden: Bundesverteidigungsrat und Kanzleramt.12 Im Laufe der Legislaturperiode solle dann das Postministerium verschwinden.13 Ein weiterer Abbau der Ministerien sei leider nicht zu erreichen gewesen. Die Gründe hierfür liegen bei der anderen Fraktion, insbe- sondere bei der CSU, die sich nunmehr mit drei (statt bisher fünf) Ministerien begnü- gen müsse.14 Für einige Ministerien sollen sog. Parlamentarische Staatssekretäre ge- schaffen werden: Bundeskanzleramt, Innenministerium, Verteidigungsministerium, Finanzministerium, Auswärtiges Amt, Wirtschaftsministerium und Verkehrsministeri- um.15 Es sei ferner vereinbart worden, keine »Überkreuzbesetzung« (Proporzsystem) in den Ministerien vorzunehmen.16 Das Bundespresseamt erhalte eine neue
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