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Editorial In Erinnerung Der 5. Oktober 2017 war lange ein ganz normaler Tag: E-Mails, Telefonate, Heftplanung, Arbeit an Beiträgen, kurze Besprechungen. Der Drucktermin für die letzte Ausgabe des Jahres lag schon in Sichtweite. Und mittendrin eine Chefredakteurin, die Schwung und Humor in die Abläufe brachte, eine Idee hier loswurde, eine Anregung dort. Gegen Mittag kam ein Text, der ihr so ge- fiel, dass sie sich kurz in den Gang zwischen die offenen Türen stellte und zwei, drei Sätze daraus vorlas („Mehr Marktplatz, weniger Papier“ von Sarah Brockmeier und Heiko Nitzschke). Dann ging es los zu einem Termin, ihre Einschätzung war gefragt. Das The- ma war die Zukunft des transatlantischen Verhältnisses, das ihr besonders am Herzen lag. Sie freute sich auch schon, kommendes Jahr als erste Stipendiatin einige Zeit im Thomas-Mann-Haus in Los Angeles zu verbringen. Später am Nachmittag erreichten uns dann erste Nachrichten über einen tödlichen Un- fall. Die Redaktion blieb zusammen, versuchte, mehr Informationen zu erhal- ten in der Hoffnung, es würde sich alles als ein Irrtum herausstellen. In der Nacht kam dann die bis heute kaum fassbare Nachricht: Sylke Tempel ist tot. Als sie Ende 2008 die Internationale Politik übernahm, fand sich die Zeit- schrift noch in einer Neufindungsphase. Unter Sylke Tempel wurde aus derIP eine Zeitschrift mit Verve und Weitblick, eine Pflichtlektüre für außenpolitisch Interessierte. 2011 kam das Länderporträt – jetzt „IP Wirtschaft“ – hinzu, das drei Mal im Jahr erscheint. Und 2015 erhielt das Blatt mit dem Berlin Policy Journal ein digitales, englischsprachiges Schwesterblatt, das Deutschlands ge- wachsene außenpolitische Rolle für ein internationales Publikum verständli- cher macht und kritisch begleitet. Zugleich wirkte Sylke Tempel weit über die Zeitschriften hinaus – als klug argumentierende, schlagfertige und charmante Vordenkerin und Vermittlerin von Außenpolitik. Auch ihre zahlreichen ehrenamtlichen Engagements – etwa für „Women in International Security“ (WIIS) Deutschland, deren Vorsitzen- de sie war – machten aus ihr ein Vorbild, gerade für junge Frauen. Für uns verstand es sich von selbst, ihr die November/Dezember-Ausgabe zu widmen – mit aktuellen Beiträgen von ihr und von Weggefährtinnen und Weggefährten, die ihre Leidenschaft für die großen Themen unserer Zeit tei- len: die Zukunft des Westens, die Konflikte an Europas Peripherie im Nahen Osten und Nordafrika, den Umgang mit autokratischen Regimen und antide- mokratischen Strömungen. „How would Lubitsch do it?“, lautete der Merksatz, der jahrzehntelang im Hollywood-Büro von Regisseur Billy Wilder hing. Die Redaktion der IP wird sich noch lange fragen: „Wie hätte Sylke es gemacht?“ Die Redaktion IP • November / Dezember 2017 1 Inhalt Bild nur in 4 Thomas Schmid Printausgabe Eine fröhliche Kämpferin Werben für das westliche Modell: verfügbar Zum Tod von Sylke Tempel 7 Constanze Stelzenmüller Ein Tod in der „Sisterhood“ Vom Glück, dazugehört zu haben: Ein Single Malt auf eine wunderbare Freundin 12 Bedächtig Der verantwortliche Umgang mit Differenzen zwischen SCHWERPUNKT Deutschland und den USA ist heute wichtiger denn je Vordenken und vermitteln 12 Sylke Tempel et al. Trotz alledem: Amerika Ein transatlantisches Manifest in Zeiten von Donald Trump dpa 16 IP-Forsa-Frage: Verlässlicher Partner USA? ; Seite 3: Bild nur in 20 Jörg Lau Printausgabe Doppelte Verletzlichkeit Der neue „Kampf der Systeme“ findet Stefano Rellandini / verfügbar mitten in der globalisierten Welt statt REUTERS 23 Fania Oz-Salzberger Freundin Israels und Palästinas , unten© Im Nahost-Konflikt mangelt es an ehrlichen Maklern und kritischen Unterstützern 96 Bedürftig Die Migration über die zentrale 26 Sylke Tempel Mittelmeerroute hat Italiens Viel hilft wenig Regierung unter massiven Zwei Politikstile konkurrieren: Probleme REUTERS/Matthias Schrader Druck gesetzt zerschlagen oder aufdröseln 30 Sarah Brockmeier und Heiko Nitzschke World Economic Forum/Faruk Pinjo Economic Forum/Faruk World Mehr Marktplatz, weniger Papier Think Tanks sollten stärker den Dialog mit der breiteren Öffentlichkeit suchen Fotos Titel: © Titel: Fotos Inhalt:Seite 2 oben: © Fotos 2 IP • November / Dezember 2017 Bild nur in Printausgabe verfügbar 112 Städte als Retter Die Nationalstaaten werden unsere Probleme nicht lösen. Sie sind in Grenzen gefangen – Klimawandel, Terror oder Pandemien sind es nicht. Es ist Zeit, dass sich unsere Städte global vernetzen Verdeckte Offensive 38 Thorsten Benner Autokraten auf dem Vormarsch 96 Ulrich Ladurner Wie Demokratien auf illiberale Einfluss- Torwächter Europas nahme reagieren sollten Mit Libyens Hilfe arbeitet Italien an einer Lösung der Flüchtlingskrise 48 Richard Herzinger Die verwundbare Demokratie 101 Piotr Buras Ein verdeckter Krieg ist im Gange, doch Polen im Teufelskreis die Gefahr wird unterschätzt Die Europa-Skepsis der PiS-Regierung kommt das Land teuer zu stehen 56 Andy Greenberg Übungsfeld im Cyber-Krieg 106 Theresia Töglhofer In der Ukraine testen und verfeinern Sehnsucht nach dem Rechtsstaat russische Hacker ihre Fähigkeiten Die Menschen im Westbalkan wollen von der EU nicht nur Wohlstand Gegen den Strich Essay 66 Bernhard Bartsch Zukunftskontinent Asien 112 Benjamin Barber Acht Thesen auf dem Prüfstand Wenn Bürgermeister die Welt regieren China Unsere Städte müssen sich global ver- netzen, um die Demokratie zu retten 74 Nele Noesselt Ganz auf Linie 126 Brief aus … Belgrad | Marko Martin Xi Jinping sieht die Volksrepublik global Ost-westliche Ambivalenz auf der Überholspur 128 Internationale Presse | Bettina Vestring Konfliktlösung Frankreich: Die Methode Macron 81 Christoph Heusgen und Antonia Reimelt Wann Sanktionen wirken 132 Buch des Jahres Um dem Völkerrecht Respekt zu ver- Pflichtlektüren 2017 schaffen, braucht es langen Atem 136 Buchkritik | Jana Puglierin Europa Europas Achterbahnfahrt 88 Georg Blume 144 Schlusspunkt Der Frankreich-Blues Uns fehlen die Worte Deutschland riskiert eine Freundschaft, aus der jetzt eine Ehe werden müsste 142 Impressum IP • November / Dezember 2017 3 Eine fröhliche Kämpferin Werben für das westliche Modell: Zum Tod von Sylke Tempel Dass ausgerechnet ein Sturm sie das Leben kostete – darin liegt eine beson- ders tragische Pointe. Denn Sylke Tempel war eine Persönlichkeit, von der man glauben musste, dass sie allen Stürmen standhalten würde, dass nichts sie umwerfen kann. Am 5. Oktober wurde sie – als der Sturm Xavier über Norddeutschland fegte – in Berlin von einem umfallenden Baum erschlagen, nur 54 Jahre alt. So überzeugend wie wenige andere hat sie für das Modell der westlichen Demokratien geworben. Gerade auch angesichts der Erfolge von Populisten und Autokraten blieb sie bei der festen Überzeugung, dass Rechts- staat und offene Gesellschaft am Ende stärker und attraktiver sind. Man müs- se freilich etwas dafür tun. Geboren 1963 in Bayreuth, studierte sie Politische Wissenschaften und Ju- daistik in München. Früh verband sich das mit einem Interesse an und Sym- pathie für Israel, sie sprach gut Hebräisch. Ein von dem Historiker Michael Wolffsohn initiiertes Forschungsprojekt, an dem sie teilnahm, prägte fortan ihre wissenschaftlichen und politischen Interessen. Es ging um das „Dreieck“ Israel, Deutschland, USA. Zwei Jahre forschte Sylke Tempel in den USA, sie 4 IP • November / Dezember 2017 promovierte 1993 mit einer Arbeit über die Beziehungen der amerikanisch- jüdischen Organisationen zur Bundesrepublik Deutschland. Ab und an schrieb sie in New York für den Aufbau, eine Zeitschrift jüdischer Emigranten aus Deutschland, die im Laufe der Jahrzehnte immer mehr Leser verloren hat. Sylke Tempel erzählte gerne von der tieftraurigen Skurrilität, die das Aufbau- Milieu auszeichnete. Im Jahr ihrer Promotion ging Sylke Tempel als Nahost-Korrespondentin zur Woche, schrieb später als freie Autorin für zahlreiche Zeitungen und Zeit- schriften. 2008 wurde sie Chefredakteurin der Zeitschrift Internationale Poli- tik (IP), die von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik herausge- geben wird. Ein größeres Publikum lernte sie durch ihre scharfzüngigen Auf- tritte in vielen TV-Runden kennen, etwa bei „Anne Will“ oder im „Presse- club“ des WDR. Demokratie macht Spaß, der westliche Geist ist sexy Wer, immer schon, argwöhnisch auf die USA und eher mit Verständnis auf Russland und Putin blickte oder wer Israel im Verdacht hat, es verhindere einseitig den Frieden im Nahen Osten, der hat gewöhnlich in den politischen Sendungen des deutschen Fernsehens schnell einen guten Stand. Sylke Tempel war eine der wenigen, die sich mit einem dezidierten Gegenprogramm durch- zusetzen verstand und sich einen Namen machte. Das lag auch daran, dass sie nie defensiv argumentierte. Demokratie – diese schwache starke Ordnung – ist nicht selbstverständlich, sondern immer von Gefährdungen umlagert. Vie- le, die sie verteidigen, kommen daher grämlich, verzagt und fast apokalyptisch daher. Nicht so Sylke Tempel. Sie war von robuster, ansteckender Fröhlichkeit. Sie verkörperte: Demokratie macht Spaß, der westliche Geist ist sexy. Erdogan, Assad, Putin und dann noch, gewissermaßen im eigenen Spielfeld, Trump: Vieles ist aus den Fugen geraten. Sylke Tempel lag es fern, diese Verdüs- terung des weltpolitischen Horizonts zu bestreiten. Sie warb nur dafür, sich da- von nicht ins Bockshorn jagen zu lassen. Und den Despoten mit Angriffslust und guter Laune zu begegnen. Anfang dieses Jahres schrieb sie in der IP einen Auf- satz mit dem Titel „Der Glanz der Ignoranz“, der sich mit der „Methode Trump“ und damit befasste, wie man ihre weitere

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