WENN DER KOPF ZUR LAST WIRD TEIL 1 MEIN WEG ZUR DIAGNOSE Karina Sturm Wenn der Kopf zur Last wird WIDMUNG Dieses Buch ist für alle Menschen mit einer schweren chronischen oder seltenen Erkrankung. Für meine Eltern, meine Familie, meine Freun- de und alle Menschen, die mir beigestanden haben. Für Markus, den Menschen, der mich immer unterstützt und liebt, unabhängig von meiner Krank- heit. 3 HAFTUNGSABLEHNUNG Ich habe dieses Buch in bestem Wissen und Gewissen verfasst und hoffe, es haben sich keine Fehler eingeschlichen. Alle Informationen spiegeln meine persönliche Meinung wieder. Teilweise war ich sehr emotional, trotzdem sind all meine Erfahrungen mit Ärzten, Kliniken und deutschen Behörden nicht zu verallgemeinern und lediglich meine persönliche Erfahrung. Da es sich hier um ein schwieriges Thema handelt, hoffe ich, dass sich niemand angegriffen oder beleidigt fühlt. Ich habe sehr versucht, möglichst wer- tungsfrei und neutral zu schreiben. Ich kritisiere das Gesundheitssystem und einige Ärztegruppen. Es soll aber klar sein, dass es sich um einzelne auserwählte Beispiele aus meinem Leben handelt und dies unter keinen Umständen auf alle Anderen übertragen wer- den kann. Des Weiteren bin ich kein Arzt sondern medi- zinisch technische Laboratoriumsassistentin. Alle In- formationen in diesem Buch, die sich mit medizini- schen Details beschäftigen, wurden von mir geschrie- ben und sind somit nicht als ärztlicher Rat zu sehen. Jeder, der an einer ernsthaften Krankheit wie der HWS Instabilität leidet, sollte sofort einen Arzt des Vertrauens aufsuchen. Dieses Buch soll Hilfestellung bei der Diagno- se geben aber keinesfalls eine ärztliche Konsultation ersetzen. Wenn der Kopf zur Last wird 5 Karina Sturm 1 MEINE REISE BEGINNT IM AUGUST 2010 Es war eine stressige Woche. Kurz vor dem ersten richtigen Jahresurlaub musste noch so viel or- ganisiert werden. Ich arbeitete erst seit einem Jahr an der Uni. Alles war neu, aufregend und spannend. Dementsprechend froh war ich darüber, dass ich dann doch endlich Urlaub hatte. Zielstrebig wie ich bin, habe ich mich noch für eine Fortbildung ange- meldet, die über ein Jahr verteilt an Wochenenden stattfinden sollte. Ich hatte also einen straffen Zeit- plan. Samstag war ich auf der Hochzeit meines Cous- ins eingeladen und Montag sollte ich früh um 6 Uhr im Zug nach Karlsruhe sitzen. Alles war perfekt geti- med und meine Koffer natürlich schon vor dem Wo- chenende gepackt. Schon immer hatte ich die Ange- wohnheit, alles perfekt zu strukturieren, um nie in Zeitdruck zu geraten. Ich brauchte Stress zum Leben, und ich liebte ihn. Ohne Stress kam ich mir unnütz und langweilig vor. Und diesen Stress hatte ich mir aus Ehrgeiz schon immer selbst gemacht. Ich habe das aber nie als stö- rend wahrgenommen. Es war eher der Antrieb, den ich brauchte, um das Gefühl zu haben, ich bewege etwas, ich mache etwas sinnvolles. Dann gibt es da natürlich auch unschönen Stress, wie Umzug oder unangenehme Begegnungen, die man nicht braucht. Ein kurzer Blick in meine Vergangenheit. Eigentlich bin ich ein eher schüchterner Mensch, der recht schnell nervös wird vor neuen Dingen. Das merkt Wenn der Kopf zur Last wird man mir nur nie an. Ich kann mich nach außen hin sehr gut verkaufen. Viele sagen, ich komme arrogant oder sogar überheblich 'rüber. Das mag sein, aber diese Schutzschicht brauche ich. Ich war auch nicht immer so. Im Teenageralter war ich wohl das, was man als Mauerblümchen bezeichnen würde. Ich habe nicht wirklich gewusst, wie ich meine Meinung vertre- te und wollte meinen Freunden gefallen. Ich habe sehr viel Blödsinn gemacht auf den ich nicht beson- ders Stolz bin. Schule war mir damals egal, ich wollte nur Spass haben. Eigentlich war mir nichts wirklich wichtig, außer das, was meine Freunde von mir dach- ten. Nachdem ich damit einige Male auf die Nase ge- fallen bin, bin ich dann zum absoluten Gegenteil ge- worden. Ich fand all das toll, was sonst keiner meiner Freunde mochte. Heavy Metal, dunkle Kleidung, düstere Sa- chen eben. Auch in dieser Zeit musste ich noch viel über mich selbst lernen. Unter anderem die Tatsache, dass man manche Dinge oder Menschen nicht ändern kann, egal wie sehr man sich anstrengt oder, dass man auch auf seine eigenen Bedürfnisse achten muss. Ich weiß nicht wie ich den Zwiespalt beschreiben soll in dem ich war. Eigentlich wollte ich nie mehr weich sein und total hart 'rüber kommen. Andererseits hatte ich schon immer einen ziemlich ausgeprägten Helfer- komplex, der mir da ins Gewissen geredet hat. Nach- dem ich also meinen Abschluss an der Realschule gerade so geschafft hatte, stellte sich die Frage, was ich als nächstes machen sollte. Viel Auswahl blieb da ja nicht mit meinen Noten. Arzthelferin sollte es sein. Mit meinem Helferinstinkt 7 Karina Sturm und der Tatsache, dass ich sehr gut mit älteren Men- schen kann, war das die Ausbildung, die am besten passte. Es war eine gute Zeit in einem Beruf, der mich richtig ausgefüllt hat. Ich war gerne für andere Men- schen da und habe ein bisschen mehr die eigentliche Karina wieder gefunden. Meine Patienten waren meis- tens ganz begeistert von mir. Als ich dann noch den besten Abschluss des Jahrgangs gemacht hatte, wusste ich, ich musste noch mehr können oder sein, ich musste noch einmal die Schulbank drücken. Ich kompensierte meine Unsicherheit von da an über schulische Leistung. Diesmal auf der MTA Schule. Ich wurde auch was Freunde angeht stabiler. Wo ich mich sonst immer eher auf die Chaoten gestürzt hat- te, wurde ich ein bisschen reifer und verantwortungs- bewusster. Ich habe wieder angefangen richtig Sport zu treiben und ganz in Beachvolleyball aufzugehen. War ich nicht am Lernen, war ich draußen. Perfekt als Ausgleich zum Schulalltag. Drei Jahre intensives Lernen zahlten sich auch in der MTA Ausbildung aus und ich konnte als Jahrgangs- beste abschließen und als erste in der Klasse einen guten Job in der Forschung finden. Und schon plante ich meine Karriere weiter. Wie könnte ich noch weiter kommen? Lehrerin oder leitende MTA? Es sollte die Lehrkraft sein. Ich liebte meine Arbeit an der Uni und mein Leben. Als MTA verdiente man ganz okay, die Arbeit war anspruchsvoll und endlich nach jahrelanger Abstinenz durfte ich wieder mit Männern arbeiten. Im Großen und Ganzen konnte ich wirklich mit mir und meinem Wenn der Kopf zur Last wird Leben zufrieden sein. Die Anstrengungen der letzten Jahre waren vergessen; die MTA Ausbildung, die Ab- schlussprüfung, neue Arbeit, die erste eigene Woh- nung. Alles wie weggeblasen. Jetzt ging mein Leben endlich richtig los. Das dachte ich zumindest. Doch in Wirklichkeit wurde ab jetzt alles anders. Ich hatte nur noch einen Termin beim Orthopäden. Fiese, kleine Verspannungen im Nacken ärgerten mich schon seit Wochen. Das wollte ich im Urlaub doch loswerden. „Ein schöner Sommertag“, dachte ich noch und war guter Dinge. Die Praxis machte einen kompetenten Eindruck. Bis auf die getrennten Wartezimmer für Privat- und Kassenpatienten über die ich mich immer aufrege, konnte ich nichts ausset- zen. Die Wartezeit war lang aber was soll's, ich hatte ja Urlaub. Wenn ich heute daran denke, hätte ich ein- fach wieder gehen sollen. Schon als ich das Behandlungszimmer betrat war mir unwohl zumute. So ein seltsames Bauchgefühl das man manchmal hat. Der Arzt wirkte hektisch, hatte kaum Zeit. Aber das kennt man ja mittlerweile auch als Kassenpatient. Ich hoffte auf mein standardmäßi- ges Massagerezept, das ich mir alle paar Jahre mal hole. Ab diesem Zeitpunkt ging alles ganz schnell. Der Arzt sagte mir, es gäbe da etwas viel effektiveres. Ein paar kleine Spritzen und man ist die lästigen Ver- spannungen los. Lidocain (ein Lokalbetäubungsmittel) und Kortison (ein Mittel gegen Entzündungen). Ohne lang nachzudenken willigte ich ein, obwohl ich gar nicht begeistert war. Als ehemalige Arzthelferin hätte 9 Karina Sturm ich das eigentlich besser wissen müssen. Nach zwei Minuten war alles vorbei. Wirklich alles. Mir war komisch zumute. Irgendwie als ob mein Kreislauf gleich schlapp machen würde. Meine At- mung wurde ganz flach und mir wurde flau im Ma- gen. Aus Angst ich könnte mitten in der Stadt kolla- bieren fing ich an zu rennen. Ich dachte mir, so lange ich meinen Kreislauf irgendwie in Schwung halte, würde ich nicht umkippen. Mit der Zeit wurde ich wirklich ein wenig nervös. Irgendwie habe ich es dann doch noch nach Hause geschafft. Vorsichtshalber legte ich mich erst einmal hin und wartete ab. Wenn der Kopf zur Last wird 2 ZWEI TAGE DANACH Wenn ich über diese Erinnerungen schreibe oder spreche treten mir immer wieder Tränen in die Augen. Das war das Schlimmste was mir jemals pas- siert ist. Der mit Abstand schrecklichste Tag in mei- nem Leben. Ich hatte noch nie eine solche Angst. Wir saßen gerade beim Abendessen. Ich weiß noch genau, dass es Nudelauflauf gab. Bis heute habe ich keinen mehr gegessen. Ich will mich nicht an diesen Abend erinnern. Plötzlich während dem Essen wird mir heftig schwin- delig, ich kann kaum noch sehen und bekomme schwer Luft. Ich will aufstehen und merke meine Bei- ne knicken weg und ich kann kaum gehen. Mein Na- cken fängt an zu brennen wie Feuer, ich schwitze und friere gleichzeitig. Ich fühle mich, als würde ich jeden Moment sterben. Mein Herz rast und es schlägt so heftig, dass ich es im ganzen Rücken schlagen spüren kann. Meine Arme werden taub, meine Zunge, meine linke Gesichtshälfte. Ich dachte das war's jetzt, ein Schlaganfall mit 24. Wir rufen einen Arzt. Während er meinen Blutdruck gemessen hat und dabei eine Frage von „Wer wird Millionär“ beantwortet, gibt er mir eine kleine Pille und erzählt mir, wenn ich wieder eine Panikattacke hätte, sollte ich die Pille nehmen. Bitte eine was? Warum sollte ich eine Panikattacke haben? Ich war schockiert. Mir ging's ja eben noch super. Es gab nichts an meinem Leben auszusetzen. 11 Karina Sturm Ich dachte es muss einen Zusammenhang zwischen den Spritzen und diesem „Anfall“ gegeben haben.
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