Ein biograscher Garten Der Garten der Familie Dix in Hemmenhofen s war ein wildes Gemisch aus kräigen Far- Frau Martha und den Kindern Nelly (13), Ursus (9) und «Eben », so erinnert sich Jan Dix an die Blumen- Jan (8) zog er 1936 auf die Halbinsel Höri nach Hemmen- sträusse, die seine Muer Martha und seine Schwester hofen, gegenüber von Steckborn am deutschen Ufer des Nelly aus dem Garten der Familie des Malers Oo Dix Bodensees. Die Höri war bereits anfangs des 20. Jahrhun- zusammenstellten. « Schwefelgelbe Schafgarbe neben derts als ländlicher Sehnsuchtsort von Lebensreformern nachtschwarzen Malven, vielerlei Formen und komple- und Künstlern entdeckt worden, unter ihnen auch Her- mentäre Farben, dicht gedrängte, starrköpge Zinnien mann Hesse, der sich 1907 im benachbarten Gaienhofen in ihren unwahrscheinlich reichen Farbnuancen waren für fünf Jahre niedergelassen hae. Die Dixens gehörten Motive für Blumenbilder. Kapuzinerkresse, Schwertlilie, zu einer zweiten Generation von Höri-Künstlern, die sich Nelke, alles o in Portraits als Aribut verwendet, wurde in in der Zeit der Nazi-Diktatur wohl oder übel aus dem Hemmenhofen im Garten angepanzt und gepegt. » Vom öentlichen Leben haen zurückziehen müssen. Oo Dix, Garten auf die Leinwand des Vaters waren es nur wenige der « Grossstadtmensch », pegte zeitlebens ein gespalte- Schrie. Und auch wenn Oo Dix weder Blumenmaler nes Verhältnis zu seinem neuen Lebensort, den er bis zu noch Gärtner genannt werden kann, so sind Panzenbeob- seinem Tod 1969 beibehielt. « Zum Kotzen schön », so achtungen aus dem Garten doch vielfach in seine Arbeiten Dix, sei diese Landscha, die er in den Zeiten der inne- eingeossen, wurde der Garten zum geliebten und gestalte- ren Emigration gleichwohl oder gerade deswegen immer ten Zuhause für ihn und seine Familie. Der Garten Dix war wieder als künstlerisches Motiv aufgri. ein Lebensort, der von seinen Bewohnern immer wieder Das Haus, das die Familie dank einer Erbscha von verändert wurde und gemeinsam mit ihnen alterte. Martha Dix beziehen konnte, wurde nach den Plänen des Dresdner Architekten Arno Schelcher erbaut. Schelcher hae für die Familie ein grosszügiges Landhaus im Stil der Ein neues Zuhause in Hemmenhofen Stugarter Schule entworfen – einen zweigeschossigen Walmdachbau, der sich an regionalen Vorbildern orien- Oo Dix (1891–1969) gehört zu den herausragenden tierte. Grosszügige Fensterönungen, ein umlaufender Vertretern der Neuen Sachlichkeit in Deutschland. Weil Balkon und eine Loggia im Westen unterstrichen den die Nationalsozialisten seine Kunst als « entartet » dia- Bezug des Hauses zur Landscha. Als Bauplatz wurde mierten, musste Dix im Jahr 1933 seinen Lehrstuhl an der eine schmale Geländestufe in den zum Bodensee steil Kunstakademie Dresden verlassen. Gemeinsam mit seiner abfallenden Obstwiesen ausgewählt. Zu dem weitläu- Abb. 2: Auf der grünen Wiese: Das Haus im Winter 1936/37 nach seiner Fertigstellung. Wiese. Durch den Aushub des sandigen Materials vor dem Haus gruben sich tiefe Erosionsrinnen. Weil der Architekt keine Vorschläge für den Garten geliefert hae, machten sich die Dixens selbst ans Werk. Treibende Kra war dabei Martha Dix, die von den Kindern, vor allem Jan, tatkräig unterstützt wurde. Oo Dix, so erinnert sich Jan, « hae seine Vorstellungen auch leidenschalich eingebracht, er war aber nicht gerade ein begeisterter Gärtner ». Unter- stützt wurde die Familie anfangs durch den befreundeten Abb. 1: Vom Garten auf die Leinwand: Der Maler und das Gärtner Walter Kaesbach. Kaesbachs Vater war 1933 von Kind, 1947, Öl. den Nazis von seinem Posten als Direktor der Kunstaka- demie in Düsseldorf vertrieben worden und ebenfalls auf gen Umschwung des Hauses gehörte auch ein staliches die Höri gezogen. Kaesbach junior, der etwa 1938 ein run- Grundstück am Seeufer – Liegenschaen, die in den des Jahr im Garten Dix mitarbeitete, hae anscheinend in folgenden, wirtschalichen Notzeiten eine wichtige Berlin-Dahlem eine gärtnerische Ausbildung genossen. Kapitalreserve darstellten und teilweise wieder verkau Doch neben der professionellen Unterstützung Kaesbachs werden mussten. wurde vielfach auch allgemeine Gartenliteratur zurate gezogen. Ein praktisches Anschauungsbeispiel düre auch die Gartenpracht der Schweizerischen Landesausstellung Entstehung und Experiment in Zürich gewesen sein, welche die Familie 1939 besuchte. Ohne Berührungsängste packten die Dixens an (Abb. 3). Als die Dixens im September 1936 das Haus bezogen, Sie liessen Wege anlegen, Treppen bauen, Mauern war vom Garten noch nichts zu sehen (Abb. 2). Ausser errichten und setzten kistenweise die Panzen in ihren einem alten Kirschbaum, einem Nussbaum und ein paar Garten, die ihnen gerade geelen, wie Jan Dix berichtet: Feldgehölzen im Umfeld stand das Haus auf der grünen « Ich erinnere mich auch an Fahrten nach Steisslingen Abb. 3: Kistenweise Pflanzen setzen: Jan, Martha und Nelly Dix um 1940 bei der Gartenarbeit (v. l. n.r). zur Baumschule und Staudengärtnerei Ammann mit dem Alpen aller Erdteile in unseren Gartenbereich hineinzu- Cabriolet […], vollbeladen mit Panzen, sodass ich nur ziehen ». Besonderer Beliebtheit erfreute sich in diesem noch stehen konnte. » Zusammenhang das « Schönheitsreich » Alpinum, das im Garten Dix an einigen Stellen zu einem Leitmotiv wurde. Der Garten, der nun entstand, war eine Laienschöpfung So war die Böschung am Staudengarten mit Kalksteinbro- im besten Sinne, in der sich auch die Gestaltungstenden- cken besetzt und mit Ginster, Bergkiefer, Wacholder, einer zen seiner Zeit widerspiegelten. So war das direkte Umfeld Hängebirke und Wildrosen bepanzt. des Hauses im Sinne des Architekturgartens der Kunst- Einen persönlichen Zugang zu diesem Gartenthema gewerbereform formal stark auf das Gebäude bezogen. haen nicht zuletzt eine Reise im Jahr 1935 über die Alpen Auf der Westseite des Hauses bei der Loggia wurde ein nach Venedig sowie ein Kuraufenthalt von Oo Dix 1938 im von Bäumen beschaeter Sitzplatz angelegt und ein Weg Oberengadin erönet. Zahlreiche Bilder, die Oo Dix von entlang der Südseite der Fassade geführt. Vor dem Haus- schroen Gebirgsformationen mit Fichten- und Lärchen- eingang im Osten und in der Verlängerung der Fassade wäldern anfertigte, zeugen von seiner Faszination für die kam eine Terrasse mit formalem Vorplatz und angrenzen- Alpenwelt. Und was Oo Dix auf seiner Staelei malte, das dem Staudengarten zu liegen. Eine exedrenförmige Mauer wollte er auch in Sichtweite seines Atelierfensters in Form aus Tengener Muschelkalk mit integrierter Steinbank eines Lärchen- und Fichtenwäldchens erblicken. Zahlrei- schloss den Vorplatz ab. Neben dieser repräsentativen che weitere Baumpanzungen wurden vorgenommen, um Geste folgten das weitere Umfeld und die Bepanzung dem exponierten Grundstück Rahmung und Schaen zu der Anlage stilistisch eher dem informell gestalteten geben: über dem Haus ein Robinienwäldchen, an der West- Wohngarten der Moderne, welcher an die Ästhetik des grenze eine Erlengruppe, eine Birkengruppe an der Ter- englischen wild gardening anknüpe. Der populäre deut- rasse der Loggia sowie eine Blutbuchengruppe am Fuss des sche Staudenzüchter Karl Foerster schlug diesbezüglich Grundstücks. Noch mehr Fichten, Lärchen und eine Ess- seinen Lesern vor, die « Blumenromantik der Wildnis kastanie beschaeten die serpentinenförmige Treppe, die dem Garten zu vermählen und etwas vom Schmuck und von der alten Landstrasse den Hang bis zum Vorplatz des Aroma urweltlicher Einsamkeit der Wälder, Sümpfe, Hauses erklomm. Neben « alpin » anmutenden Koniferen Strande, Steppen, Wiesen, Bäche und Teiche, Flüsse und und ederlaubigen Bäumen mit lichtem Schaen spielte Ein biografischer Garten Johannes Stoffler auch der Nutzen eine Rolle bei der Gehölzwahl. So wurde spielte Jazzmusik und war morgens – zum Erstaunen der auf der oenen Wiese unterhalb des Hauses ein Obstgarten Dorewohner – ungerührt im Schlafanzug oder Mor- mit Reihen dunkler Herzkirschen und Prsichen angelegt. genmantel im Garten unterwegs. Wenn die Kinder vom Beeren- und Gemüsebeete kamen an ebeneren Stellen des « Naturschlaf », also der selbst gesetzten Schlafruhe, Hangs inmien der Wiese zu liegen. Walnussbäume und erwacht waren, stand ihnen der Garten für ihr experimen- eine blühende Feldgehölzhecke markierten die Grenze des telles Spiel zur Verfügung. Auf der sandigen, weitgehend Obstgartens entlang der Landstrasse. ungestalteten Terrasse des oberen Gartens über dem Haus stand ein Hasenstall, hing eine Schaukel im Baum, wurde Um 1940 war der Garten damit in seinen wesentlichen Boccia gespielt. In schweisstreibender Arbeit hob hier Jan räumlichen und baulichen Grundstrukturen angelegt ein gewaltiges Erdloch aus, das nach seinen Plänen ein (Abb. 4). Und doch war der Garten nie fertig. Denn durch Schwimmbad werden sollte. Das ambitionierte Projekt die Anstrengungen, Rückschläge und Erfolgserlebnisse scheiterte, weil an dem sandigen Südhang eigentlich während seiner Entstehung war das Arbeiten und Experi- beständiger Wassermangel herrschte. Für Badefreuden mentieren am und im Garten zu einer leidenschalichen verlässlicher war eindeutig der Bodensee. Gewohnheit seiner Bewohner, allen voran Martha und In den Notzeiten des Krieges und der Jahre danach Jan, geworden. wurde der Garten zu einem wichtigen Nahrungsliefe- rant – je grösser die Not, desto umfangreicher die Gemü- sebeete im Garten. Fast überall, wo es annähernd ebene Wachstum und Veränderung Flächen gab, zog man Saubohnen, Kartoeln, Salat, Paprika, Auberginen und Tomaten. Martha Dix’ gärtne- In den folgenden Jahren spielte der Garten im
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