The Knowledge Bank at The Ohio State University Article Title: Martin Luther und das frühe baltische Schrifttum Article Author: Eckert, Rainer Journal Title: Polata Knigopisnaia Issue Date: August 1987 Publisher: William R. Veder, Vakgroep Slavistiek, Katholieke Universiteit, Postbus 9103, 6500 HD Nijmegen (Holland) Citation: Polata Knigopisnaia: an Information Bulletin Devoted to the Study of Early Slavic Books, Texts and Literatures 16 (August 1987): 6-25. Appears in: Community: Hilandar Research Library Sub-Community: Polata Knigopisnaia Collection: Polata Knigopisnaia: Volume 16 (August 1987) MARTIN LUTHER UNO DAS FRUHE BALTISCHE SCHRIFTTUM R. ECKERT I. EinZeitende Bemerkungen Am 10. November vergangenen Jahres beging man in vielen Ländern den 500. Jahrestag der Geburt des großen deutschen Reformators Dr. MARTIN LUTHER. Im Laufe des ganzen Jahres 1983 fanden Konferenzen und Festveranstaltungen änlaßl ich dieses: denkwürdigen Datums statt, erschienen zahlreiche BÜcher, Sammelschriften und Aufsätze zum Luther-Jubiläum, wurden Gemälde-, Kunst­ und Buchausstellungen gezeigt, die dem 16. Jahrhundert gewidmet waren, wie z. B. die Ausstellung "Kunst der Reformationszeit" im Alten Museum in Ber­ lin vom 26. August bis 13. November. Als bedeutendste sprachwissenschaftliche Veranstaltung der DDR im Luther-Jahr hat die internationale Konferenz "Luthers Sprachschaffen. Gesellschaftliche Grundlagen, geschichtliche Wirkungen" zu gelten, die vom Zentralinstitut fÜr Sprachwissenschaft der AdW der DDR ausgerichtet wurde und die vom 21. bis 25. März 1983 an historischer Stätte in Eisenach auf der Wartburg tagte. Der Kampf MARTIN LUTHERS gegen solch eine internationale Macht­ institution, wie sie die römische Kirche darstellte, und seine Reformen erlangten gleich von Anfang an internationale, europäische Bedeutung. Es war daher ganz folgerichtig, daß als eines der Hauptthemen der Komplex "Das lutherische Sprachschaffen in gesamteuropäischen Bezügen" auf der obenerwähnten Konferenz behandelt wurde. Es gelangten in diesem Zusammen­ hang vor allem Fragen zur Erörterung, die den Einfluß der reformatorischen Tätigkeit MARTIN LUTHERS auf die Entwicklung des Protestantismus in Mittel- und Nordeuropa betrafen sowie die Entstehung einer literatur­ sprachlichen Tradition bei den Lausitzer Sorben. Teilweise wurden auch Probleme der Verbreitung des Protestantismus unter den deutschen Einwan­ derern in Dänemark, in der Slowakei und in Rumänien berührt. Im Zusammenhang damit möchten wir Bedeutung und Aktualität des hier in Cambridge veranstalteten Kolloquiums hervorheben, das dem frühen Pro­ testantismus und Osteuropa gewidmet ist. Wir begrÜßen die Initiative der englischen Slawisten, die in der Gruppe fÜr slawische und osteuropäische mediävistische Studien vereinigt sind. Gleichzeitig möchten wir herzlich 6 danken fÜr die Einladung zur Teilnahme an dieser bedeutsamen wissen- schaftliehen Veranstaltung. Wie erklärt sich der rasche und sehr weitreichende Einfluß der Tä• tigkeit MARTIN LUTHERS, des BegrÜnders der deutschen Reformation? Was verlieh dieser Bewegung den gewaltigen Schwung, der sie auszeichnete? Worin besteht MARTIN LUTHERS Bedeutung fÜr die Entwicklung des Schrifttums und der Literatursprachen (Schriftsprachen) fÜr eine Reihe von VÖlkern Osteuropas, im besonderen fÜr die baltischen VÖlker? Bevor eine Antwort auf diese Fragen versucht werden soll, ist es un­ umgänglich, kurz jene Epoche zu charakterisieren, in der der große Reform­ ator lebte und wirkte, und einige Besonderheiten seines Schaffens heraus­ zuarbeiten. MARTIN LUTHER traf die Geschichte in einer Zeit großer Wandlungen und UmbrÜche an: Das Mittelalter ging zu Ende, die Neuzeit begann. ln Deutsch­ land und in Europa trat der Feudalismus in die Epoche seines Zerfalls ein. Im Schoße der alten Gesellschaft entwickelte sich stÜrmisch die FrÜhform einerneuen Gesellschaftsformation der Manufakturkapitalismus. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts erreichten die WidersprÜche im Heiligen RÖmischen Reich deutscher Nation, das in viele feudale Teilstaaten zer­ splittert war, eine ungeahnte Schärfe. Die Vertreter der Renaissance und des Humanismus gestalteten Kunst und Literatur um und begrÜndeten immer tiefgrÜndiger eine neue Weltsicht und neue Ansichten Über die Stellung des Menschen, sie kritisierten immer schärfer die alten Überkommenen Vorstell­ ungen und gesellschaftlichen ZÜstande. Die großen geographischen Entdeck­ ungen und die neuen Errungenschaften in Wissenschaft und Technik (z. B. auf dem Gebiet der Astronomie; der Buchdruck) erschÜtterten die alte, durch die Kirche geheiligte Ordnung. Was die Kirche selbst anbelangt, so trat sie nicht nur als zentrale geistige Macht auf, deren Dogmen als ob­ ligatorisch galten, sondern sie war gleichzeitig der mächtigste Feudalherr und -eigentÜmer, der viele Länder Europas ausbeutete. Mit ihren Institu­ tionen nahm sie eine beherrschende Stellung im Leben der damaligen Zeit ein. Deshalb äußerten sich die sozialen Bewegungen in theologischem und kirchlichem Gewande und mÜndeten in Konflikten mit der offiziellen röm• isch-katholischen Kirche. Mit großer Ausdauer und einem ungewöhnlichen Mut nahm MARTIN LUTHER seinen Kampf gegen das römische Papsttum und seine Vertreter und Verfech­ ter auf, als es um die Entlarvung und Beseitigung des Ablaßhandels ging, der wohl widerwärtigsten Form der Bereicherung durch die rÖmische Kurie. 7 Er verurteilte mit aller Schärfe und Entschiedenheit den abermäßigen Bereicherungstrieb der kirchlichen Machthaber und die parasitäre Lebens­ weise des Klerus und der Mönche. Gleichzeitig stellte er der alten Kir­ che mit ihrem Streben nach alleiniger politischer und geistiger Macht seine neue Auffassung von der Kirche entgegen, die sich auf die Verkündi• gung des Gotteswortes, die Predigt des Evangeliums gründet, auf ein neues Verhältnis zwischen Gott und dem Menschen. ln seiner schonungslosen Kritik der römischen Kirche verwies LUTHER immer wieder auf die Heilige Schrift. in der unglaublich kurzen Zeit vom Dezember 1521 bis zum 1. März 1522 übersetze er das Neue Testament. Zum Jahre 1534 waren auch die Übrigen Teile der Bibel übersetzt (z. T. zusam­ men mit seinen Mitkämpfern) und zwar in die ostmitteldeutsche Variante der deutschen Literatursprache. Unsere Geschichtswissenschaftler betrachten die Reformation und den Großen Deutschen Bauernkrieg im Kontext des einheitlichen historischen Prozesses des Obergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus, wobei sie diese erste Etappe als die frÜhbÜrgerliche Revolution definieren1. Ein solch breites Herangehen ermöglicht ein tieferes Verständnis für die ganze Widersprüchlichkelt und Kompliziertheit der historischen Ereignisse in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, erlaubt Erklärungen zu finden für die außerordentliche Breite der Reformationsbewegung, in der nicht nur die Proteste gegen das internationale Joch der römischen Kirche ihren Aus­ druck fanden, sondern auch verschiedenartige soziale, Ökonomische, poli­ tische und nationale Interessen. Die Prozesse der frÜhbÜrgerlichen Revolution im ganzen gesehen führ• ten zu starken Veränderungen in den Kommunikationsbedürfnissen der Men­ schen. Die gegendenPapstgerichtete Agitationsliteratur LUTHERS (Send­ schreiben, FlÜgblatter) richtete sich an breite Schichten der Gesell­ schaft. Eine solche technische Neuheit wie der Buchdruck beschleunigte und erweiterte die Kommunikation zwischen den Menschen in bedeutendem HaBe. Dies alles wirkte sich entscheidend auf die Sprachsituation aus: Die bereits in der vorhergehenden Entwicklungsetappe einsetzende Tendenz der Unifizierung und des Ausgleiches hinsichtlich verschiedener geograph­ ischer Varianten der deutschen Literatursprache, erhielt mächtige Impulse durch die Lutherische BibelÜbersetzung und die weite Verbreitung seiner anderen gedruckten Schriften. Die soziale Schicht der Träger der Litera- S tursprache wurde erweitert. ln funktionaler Hinsicht eroberte sich die deutsche Literatursprache neue Bereiche (z. B. teilweise in der Wissen­ schaft und auf dem kirchlich-religiösen Gebiet} bei Zurückdrängung des Latelns2 • Wir sind der Meinung, daß diese eben charakterisierte wesentliche Ausweitung der Kommunikationsbedürfnisse im Zusammenhang mit den äußerst aktiven gesellschaftlichen Prozessen in der ersten Hälfte des 16. Jahr­ hunderts nicht nur für Deutschland Geltung besitzt, sondern auch für eine ganze Reihe von Ländern in Europa, in denen die Reformation schnell Fuß faßte oder zumindest Über einen bestimmten Zeitraum hinweg Verbreitung fand. Es ist bezeichnend, rlaß in diesen Landstrichen in der Folgezeit neue Zentren des Buchdrucks entstanden. ln Bezug auf den Gegenstand un­ serer Untersuchungen, nämlich des frühen baltischen Schrifttums, genügt schon ein Verweis auf die rege Buchdruckertätigkeit im vormaligen Königs• berg (heute: Kai iningrad} in der Mitte des 16. Jahrhunderts. Hier er­ schienen bekanntlich die altpreußischen und altlitauischen Obersetzungen des Lutherschen Katechismus sowie frühe lettische und polnische protes­ tantische Schriften. II. MARTIN LUTHER und das altpreußische Schrifttwn Noch zu Lebzeiten LUTHERS kamen 1545 in KÖnigsberg die ersten beiden alt­ preußischen Katechismen heraus, denen der sogen. Kleine Katechismus von M. LUTHER, erschienen 1531 in Wi ttenberg, zu Grunde 1i egt. Im einzelnen handelt es sich um den sogen. ersten altpreußischen Katechismus mit dem Titel: "Catechismus jn preußnischer sprach I vnd dagegen das deÜdsche. 1545." Von Interesse ist das in Deutsch verfaßte Vorwort dazu, in dem folgendes mitgeteilt wird: ... "dieser Cate- chismus ist inn vnde~tscher
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