R ÖSCH • Vegetationsgeschichte Herrenwieser See, Nordschwarzwald 43 Vegetation und Waldnutzung im Nordschwarzwald während sechs Jahrtausenden anhand von Profundalkernen aus dem Herrenwieser See MANFRED RÖSCH 1 Einleitung und erst durch eine Ausgrabung kann sie vielleicht auch datiert werden. Bei vielen der Verdachtsstellen könnte es Der Schwarzwald galt lange als im Wesentlichen erst hoch- sich um neuzeitliche Meilerpodien handeln. Neuerdings mittelalterlich besiedelt (z. B. Hausrath 1938; Brückner konnte durch systematische Begehung und Suche nach 1981; Ottnad 1981; Schaab 2003; Wilmanns 2001, 2009). Oberlächenfunden in den Tälern des südlichen und Mitt- Diese Aufassung begründete sich auf dem Fehlen oder der leren Schwarzwaldes eine dichte römische Besiedlung und Spärlichkeit vormittelalterlicher schritlicher oder archäolo- Landnutzung während der Römischen Kaiserzeit wahr- gischer Quellen. Bis vor wenigen Jahren widersprach die Ve- scheinlich gemacht werden (Wagner 2011). Eine Auswei- getationsgeschichte dem nicht, zumal vereinzelte palynologi- tung dieses surveys auf den Nordschwarzwald ist in Vorbe- sche Hinweise auf vormittelalterliche menschliche Eingrife reitung. Es scheint also Bewegung zu kommen in das starre im Schwarzwald als Fernlug aus Tielagen gedeutet wurden Bild vom spät besiedelten Schwarzwald. (Radke 1973; Hölzer u. Hölzer 2006; Jahn et al. 1990). Neben der Ortsnamenforschung (Kleiber 2008, 2009; Anderslautende Stimmen (z. B. Frenzel 1982) verhallten Boesch 1980) gibt nach wie vor die Pollenanalyse den ungehört. schnellsten und besten Einblick in die Besiedlungsge- In jüngster Zeit wurden im Raum Neuenbürg mehrere schichte, sofern sie am richtigen Material mit modernen umfangreiche eisenzeitliche Eisenverhüttungsplätze, beste- Methoden und unter Einbezug unabhängiger absoluter Da- hend jeweils aus mehreren Rennfeueröfen, Schmiedeplät- tierungs- und sedimentologischer Methoden durchgeführt zen und Schlackenhalden aufgedeckt (Gassmann et al.. wird (Berglund u. Ralska-Jasiewiczowa 1986)). 2006; Gassmann u. Wieland 2008). Weiterhin ließen sich Zwischen 2005 und 2011 haben wir in einem von der Höhensiedlungen auf Umlaubergen von Nagold und Enz DFG unterstützten Forschungsprojekt aus allen acht Karseen siedlungsarchäologisch bis in die späte Bronzezeit zurück- des Nordschwarzwaldes Profundalkerne entnommen und verfolgen (Jensen 1986; Damminger u. Wieland 2004; im Hinblick auf Spuren früherer Landnutzung untersucht Wieland 2006). Nachdem der Nordschwarzwald sehr (Rösch 2009 a, b, 2010, Rösch u. Heumüller 2008, Rösch reich nicht nur an Buntmetall-, sondern auch an Eisenerz- u. Tserendorj 2011a, b). Hier sollen nun die Ergebnisse aus Lagerstätten ist (Werner u. Dennert 2004), und nachdem dem Herrenwieser See vorgestellt und diskutiert werden. in den Alpen und anderen Gebirgen im Zusammenhang mit Bergbauaktivitäten eine dauerhate Besiedlung hoher La- gen ab der Bronzezeit angenommen wird (z. B. Presslin- 2 Material und Methoden ger u. Eibner 2003), erhob sich die Frage, ob der Zeitpunkt der erstmaligen Besiedlung des Schwarzwaldes nicht neu Der Herrenwieser See (8°17‘47“E, 48°40‘09“N, 830 m über überdacht werden muss, wenn entsprechende Anhalts- NN) ist der nördlichste und mit nur 1,3 ha Wasserläche der punkte vorliegen. Zu bedenken bleibt freilich, dass gesicher- kleinste der Karseen des Nordschwarzwaldes. Er hat eine te archäologische Belege für eine prähistorische Besiedlung maximale Wassertiefe von 9,5 m. Das Kar ist in die Ost- sich bislang auf Randlagen beschränken, wie auch die von lanke der 1.001 bzw. 1.002 m hohen Erhebungen Seekopf Frenzel (1982, 2001) und Lorenz (2001) postulierte vor- und Badener Höhe eingetiet. Der See hat nur kleinere Zu- geschichtliche Besiedlung nicht von vornherein für den ge- lüsse aus der Karwand und von diesen Bergen. Er entwäs- samten Nordschwarzwald vorausgesetzt werden kann. sert nach Norden in den Seebach, der 1,2 km weiter östlich Eine lächige und umfassende archäologische Durchfor- in den Schwarzenbach, bzw. die Schwarzenbachtalsperre schung im Mittelgebirge ist ein schwieriges und langwie- mündet. riges Unterfangen, wenngleich sich durch den Einbezug Die nähere Umgebung des Sees ist heute geschlossen neuer Prospektionsmethoden die Chancen zu einer Ver- bewaldet (Abb. 1). Die nächsten größeren Rodungsinseln wirklichung verbessert haben (Bofinger u. Hesse 2011). beinden sich 2,5 km west-südwestlich um die Ortschat So hat sich im Südschwarzwald durch Lidarscan-Auswer- Herrenwies (Größe etwa 0,5 km2), sowie 4,5 km östlich um tung die Zahl archäologischer Verdachtsstellen verviel- Forbach im Murgtal. Die stark entwaldete Vorbergzone bei facht. Dennoch wird eine archäologische Verdachtsstelle Bühl, die zur Oberrheinischen Tiefebene überleitet, beginnt nur durch Begehung zu einer archäologischen Fundstelle, gut acht km westlich. Mitteilungen des VFS standort.wald 47 (2012), 43-64 44 R ÖSCH • Vegetationsgeschichte Herrenwieser See, Nordschwarzwald Abb. 1: Der Herrenwieser See ist von geschlossenem Wald umge- ben. Luftbild: OTTO BRAASCH. Abb. 2: Am Rande hat er eine schmale Verlandungszone, die im Wesentlichen vom Sphagnetum magellanici gebildet wird. Auf dem See Entnahme von Kurzkernen am 9.9. 2008. Am 4.9.2006 wurde im Zentrum des Sees bei 9 m Was- kern (Nr. 4) die obersten 5 cm. Zur Methode vgl. Rösch sertiefe mit einem modiizierten Livingstone-Bohrer und (2009a). Hervorzuheben ist, dass im Gegensatz zu frühe- mit logistischer Unterstützung durch das Systematisch- ren Untersuchungen im Schwarzwald (zusammenfassend Geobotanische Institut der Universität Bern ein 6,75 m vgl. Lang 2005) die Kerne ab der Schattholzeinwanderung langer Kern entnommen. Am 9.9.2008 wurden in Zusam- lückenlos in 1 cm-Schritten mit einer Baumpollensumme menarbeit mit dem Institut für Bodenkunde und Standorts- von mindestens 1.000 je Probe untersucht wurden. lehre der TU Dresden ebenfalls im Zentrum des Sees mit einem Niederreiter-Bohrer mehrere Kurzkerne von jeweils ca. 70 cm Länge entnommen (Abb. 2, 3). Der Langkern, in Einzelkernen von jeweils 1 m Länge Tab. 1: Lithologie des Langkerns. und mit zwei überlappenden Parallelkernen gebohrt, be- Tiefe (cm) Sedimentbeschreibung Farbe nach Munsell steht durchgehend aus brauner Feindetritusmudde ohne visuell erkennbare Schichtung (Tab. 1). 0-575 Feindetritusmudde braun 10Y2/1 Der Langkern sowie ein Kurzkern (Nr. 2) wurden paly- 575-675 Feindetritusmudde braun 10Y3/1 Bohrung wegen Widerstands abgebrochen nologisch bearbeitet, zusätzlich von einem weiteren Kurz- standort.wald 47 (2012), 43-64 wald • ökologie • natur • kultur R ÖSCH • Vegetationsgeschichte Herrenwieser See, Nordschwarzwald 45 Abb. 3: Die Kurzkerne wurden von einem Floß aus mit einem Nieder- reiter-Bohrgerät entnommen. Berechnung und Darstellung erfolgte mit den Program- vgl. Bengtsson u. Enell (1986). Es wurde nur bei 550 °C men „Taxus“ und „Tilia“ (Grimm 1990; Schnelke unpu- geglüht, nicht anschließend noch bei 925 °C, weil die Se- bl.). Die Prozentwerte für die Gehölze und terrestrischen dimente durchweg kalkfrei sind. Umfangreiche geochemi- Nichtbaumpollen wurden auf der Basis der Grundsumme sche Analysen erfolgten im Rahmen einer Diplomarbeit am berechnet, die sämtliche Gehölze und die terrestrischen Institut für Umweltgeologie der TU Braunschweig (Betreu- Nichtbaumpollen umfasst. Wasser- und Moorplanzen, so- er: Prof. Dr. Harald Biester). Die geochemische Unter- wie Sporen wurden aus dieser Bezugssumme ausgeschlos- suchung der Kurzkerne erfolgt in harandt am Institut für sen. Die Berechnung ihrer prozentualen Anteile beruht auf Bodenkunde und Standortslehre der TU Dresden unter der der Summe aus Grundsumme + Sporen- bzw. Moor- und Leitung von Prof. Dr. Karl-Heinz Feger. Wasserplanzensumme. Im Juni 2012 wurden drei Proben aus Sphagnumrasen Die Pollendiagramme wurden mit dem Programm „Ti- an drei Stellen in Ufernähe entnommen und pollenalytisch lia“ erstellt. Ihre Zonierung erfolgte unter Verwendung der untersucht, um den rezenten Pollenniederschlag am Her- Deinitionen von Bastin (1979). renwieser See zu erfassen und um zu überprüfen, ob die Um den menschlichen Einluss besser bewerten und zeit- Kurzkerne tatsächlich bis zur Gegenwart reichen. lich einordnen zu können, wurden aufgrund des Vorkom- mens von Getreidepollen Landnutzungsphasen deiniert. Jede Landnutzungsphase ist dabei von der benachbarten 3 Ergebnisse durch mindestens zwei Horizonte ohne Getreidenachweis getrennt. Ist das nicht gegeben, was besonders ab der späten 3.1 Datierung vorrömischen Eisenzeit zutrit, so wurden die Landnut- zungsphasen aufgrund von fehlendem Getreidenachweis in Die im Kurzkern 2 zwischen 10 und 60 cm Kerntiefe in nur einem Horizont oder aufgrund von deutlichem Rück- Abständen von 10 cm entnommen Proben lieferten kon- gang der Menge an Getreidepollen weiter untergliedert. ventionelle Alter zwischen 263 und 2428 B.P. (Tab. 2). Ext- Aus dem Langkern wurden 27 Sedimentproben (Bulk- rapoliert man das Alter für die obersten 10 Kernzentimeter proben) entnommen und am Institut für Umweltphysik der unter der Prämisse, dass bei der Kurzkern-Bohrmethode Universität Heidelberg datiert (Zählrohr-Datierung). Eine auch jüngste dünnlüssige Sedimente gewonnen werden, Probe, die für Zählrohrdatierung zu klein war, wurde am so enthält der Kern die Ablagerungen der letzten 2500 Jah- Beschleuniger der ETH Zürich nachdatiert. Am Kurzkern re (Abb. 4). Die Bulkdaten sind im Schnitt um knapp 200 2 wurden insgesamt 16 Proben datiert, und zwar mit dem Jahre älter als die an terrestrischen Großresten gemessenen Beschleuniger, 13
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