Überlegungen zur Entstehung und Bedeutung des französischen Musiksalons im 18. Jahrhundert Claudia Schweitzer To cite this version: Claudia Schweitzer. Überlegungen zur Entstehung und Bedeutung des französischen Musiksalons im 18. Jahrhundert. Volker Timmermann; Annkatrin Babbe. Musikerinnen und ihre Netzwerke im 19. Jahrhunderts , BIS, pp.27-40, 2016. hal-01508830 HAL Id: hal-01508830 https://hal.archives-ouvertes.fr/hal-01508830 Submitted on 14 Apr 2017 HAL is a multi-disciplinary open access L’archive ouverte pluridisciplinaire HAL, est archive for the deposit and dissemination of sci- destinée au dépôt et à la diffusion de documents entific research documents, whether they are pub- scientifiques de niveau recherche, publiés ou non, lished or not. The documents may come from émanant des établissements d’enseignement et de teaching and research institutions in France or recherche français ou étrangers, des laboratoires abroad, or from public or private research centers. publics ou privés. 1 Version d‘auteure Überlegungen zur Entstehung und Bedeutung des französischen Musiksalons im 18. Jahrhundert Claudia Schweitzer Die Behauptung, dass Salons ein interessanter und wichtiger Ort des Austausches waren, bedarf wohl keines ausdrücklichen Beweises. Dies trifft natürlich ganz allgemein auf die Salonnièren und die geladen Gäste zu, aber auch für Musikerinnen war der Salon bereits im 18. Jahrhundert ein Ort, der für sie von grossem beruflichen Interesse sein konnte. Zahlreiche Vorteile sind denkbar: ein Rahmen für Auftritte, Aufführungsmöglichkeiten für etwaige Kompositionen, Austausch über neue Entwicklungen, sei es in Bezug auf musikästhetische oder instrumentenkundliche Fragen oder zu persönlichen Veränderungen, musikalische Anregungen, Zusammenspiel mit anderen KünstlerInnen, Kontakte zu Durchreisenden, aber auch zu potentiellen SchülerInnen sind sicher nur einige Beispiele. Wirkliche „Musiksalons“ entstanden jedoch, so Veronika Beci in ihrer diesem Thema gewidmeten Studie, „erst spät im 18. Jahrhundert“1. Ein Blick in die wichtigsten französischen Wörterbücher der Zeit als Repräsentanten des offiziell anerkannten Wortschatzes bestätigt dies: Für die ersten Lexikographen am Ende des 17. Jahrhunderts handelt sich bei „Salon“ ausschließlich um einen entsprechend großen und oftmals pompös ausgestatteten Raum, entweder zu privaten oder zu öffentlichen Zwecken genutzt. In der „Encyclopedie“ fehlt selbst ein derartiger Eintrag. Erst die fünfte Edition des „Dictionnaire de l'Académie“ (1798) erwähnt einen Salon im Sinne eines Raumes ohne feste Bestimmung, der verwendet wird, um dort (in Gesellschaft) zusammenzukommen. In der sechsten Ausgabe von 1835 finden sich dann der „Salon de musique“ sowie die Verwendung des Begriffes im Sinne einer Kunstausstellung und, im übertragenen Sinne, als Zusammenkunft von Leuten der gehobenen Klasse.2 Insofern könnte dieser Aufsatz an dieser Stelle schon beinahe beendet sein. Doch da selten Konzepte aus dem Boden gestampft werden, für die noch dazu das Feld nicht vorher bereitet wurde (und zudem die Tatsache stutzig macht, dass auch der literarische Salon in den frühen Eintragungen gänzlich fehlt)3, lohnt es sich, die Frage nach dem „warum gerade jetzt“ und „warum gerade hier“ zu stellen. Beci konstatiert zu Recht, dass in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert „die Salonkultur plötzlich zwei verschiedene Richtungen einschlägt: in Deutschland, Österreich und England leben die literarischen Salons nach französischem Vorbild auf, in Frankreich gewinnen dagegen die Musiksalons an Bedeutung“4. Die Autorin führt im Folgenden mehrere Gründe dafür an: die Entwicklung der bürgerlichen Musikkultur und den damit verbundenen höheren Stellenwert des Musikers sowie dessen neu erwachtes Selbstbewusstsein zählen ebenso dazu wie die durch die 1 Veronika Beci, Musikalische Salons. Blütezeit einer Frauenkultur, Düsseldorf u. Zürich 2000, S. 7. 2 Pierre Richelet, Dictionnaire françois, Genève 1680, Eintrag „Salon“, Antoine Furetière, Dictionaire universel, La Haye 1690, Eintrag „Salon“, Dictionnaire de l'Académie, Paris 16941, Eintrag „Salle“, 17182, 17403, 17624, 17985, 18356, jeweils Eintrag „Salon“, Corpus des Dictionnaires de l'Académie française [17e-20e siècles], Edition électronique, Classiques Garnier Numériques, 2007, Direktion Bernard Quemada; Denis Diderot u. Jean le Rond d'Alembert (Hrsg.), Encyclopédie ou dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, par une société de gens de lettres, Paris 1751–1772, http://fr.wikisource.org. Zugriff am 29. Sept. 2013. Die „Musicienne“ wird dagegen bereits 1680 bei Richelet eigens erwähnt. 3 Antoine Lilti nennt als erste Verwendung des Terminus im Sinne eines Hauses, in dem man „empfängt“, die „Maximes et Pensées“ von Chamfort von 1794: „Die Gesellschaft, die Klubs, die Salons, all das, was man die „Welt“ nennt, ist nur ein erbärmliches Schauspiel, eine schlechte uninteressante Oper, die sich nur durch die Maschinerien und Dekorationen behauptet.“ („La société, les cercles, les salons, ce qu’on appelle le monde, est une pièce misérable, un mauvais opéra, sans intérêt, qui se soutient un peu par les machines et les décorations. “), Sébastien-Roch Nicolas de Chamfort, Maximes et Pensées, Paris 1794, nach Antoine Lilti, Le Monde des salons. Sociabilité et mondanité à Paris au XVIIIe siècle, Paris 2005, S. 10. 4 Beci, Musikalische Salons, 2000,S. 26. 2 Version d‘auteure Revolution vorangetriebene Frauenbewegung. Wir wollen versuchen, diese Analyse zu vertiefen, verschiedene bekannte Tatsachen neu zu verknüpfen und zu zeigen, dass gerade die Besonderheiten der französischen Musikkultur, aber auch epistemologische Entwicklungen das Entstehen des Musiksalons in Frankreich förderten. Soziale und kulturelle Voraussetzungen Die Entstehung des musikalischen Salons wird in der Regel mit Julie de Lespinasse (1731-1776) in Verbindung gebracht. Bekannt geworden als Gesprächspartnerin d'Alemberts und des Doktors Bordeu in Didertos „Le Rêve de d'Alembert“ (1769) ist sie das perfekte Beispiel einer typischen Pariser Salonnière. Dabei steht Mme de Lespinasse bekanntermaßen in einer langen Tradition von Frauen gehobenen Standes, die ihre Stellung dazu nutzten, Konversation und intellektuellen Austausch zu pflegen. Wie Hélène Merlin-Kajman erläutert, ist die Bestrebung fortschreitender Individualisierung des Einzelnen, die das 17. Jahrhundert kennzeichnet, gleichsam auch als eine Art Aufwind für die Selbstständikeit der Frauen zu verstehen5: Die zunehmende Verweltlichung der Gesellschaft förderte die schriftstellerische Tätigkeit von Frauen (ebenso wie ihre thematische Präsenz in den Querelles littéraires, die das Jahrhundert bestimmten). Während in der Literatur die Entdeckung des eigenen „Ich“ vorangetrieben wird (man denke an Marie-Madeleine de La Fayettes La Princesse de Clèves von 1678), zeigt sich, so die Autorin, die Individualisierung, selbst innerhalb der Familien, unter anderem an sprachlichen Merkmalen. Merlin-Kajman zitiert hierzu beispielsweise einen Kommentar François de Callières zu dem Ende des 17. Jahrhunderts einsetzenden Brauch, seine Frau mit „Madame Une telle“ und seinen Mann mit „Monsieur Untel“ anzureden, anstatt wie früher die klar hierarchisierenden Formulierungen „ma femme“ und „mon mari“ zu verwenden.6 Diese allgemeine Entwicklung lässt sich, so Merlin-Kajman, auch auf „das Publikum“ selbst übertragen, das nun nicht mehr als Ganzes betrachtet wird, sondern als ein Konglomerat aus zwei Religionen (katholisch und protestantisch), zwei Geschlechtern (männlich und weiblich) und zwei Lebensräumen (öffentlich und privat). Die Regence brachte einen neuen Aufschwung für das soziale Leben. Die Stadt mit ihren Salons und Cafés löste nach und nach den Hof in seiner Rolle als Zentrum des kulturellen Lebens ab. In den berühmtesten Salons trafen sich auch die führenden Köpfe der Zeit: Mme de Lespinasse empfing Philosophen und Schriftsteller wie Nicolas de Concordet, Etienne Bonnot de Condillac, Denis Diderot und Jean le Rond d'Alembert; bei der Schauspielerin Jeanne-Françoise Quinault- Dufresne (1699-1783) trafen sich Noblesse und Literaten (der Duc d'Orléans, Diderot, Jean-Jacques Rousseau, Pierre Carlet de Marivaux, Voltaire, d'Alembert, Friedrich Melchior Grimm u. a.); bei Ninon de Lenclos (1620-1705) waren unter anderen Bernard Le Bouyer de Fontenelle, Charles de Saint-Evremont, Paul Scarron, Jean de La Fontaine, Jean Racine und die Champmeslé (Marie Desmares), aber auch Jean-Baptiste Lully anzutreffen, … Ohne hier genauer auf die verschiedenen Entwicklungsstufen des literarischen Salons eingehen zu können, kann man doch allgemein festhalten, dass dieser mit seiner Mischung aus Debatte, Konversation, (zumeist) kleineren künstlerischen Darbietungen, Tanz und (mehr oder minder zwanglosem) Diner tatsächlich ein ganzes Ensemble von Praktiken an der Grenze zwischen schöngeistiger Beschäftigung und Mondänität umfasste.7 Eine Salonnière wie Mme de Geoffin (1699-1777), die fast ausschließlich Herren empfing, konnte, indem sie sich in ihrem mondänen Raum präsentierte, die Beziehungen zu und zwischen Literaten, Wissenschaftlern und Künstlern rechtfertigen.8 Anne Herbelin unterstreicht die für Ausländer häufig überraschende Nähe zwischen 5 Hélène Merlin-Kajman, „Un nouveau XVIIe siècle“, in: Revue d'histoire littéraire de la France 2005, S. 11-36. 6 François de Callières, Des mots à la mode, 1692, zit. nach Merlin-Kajman, „Un nouveau XVIIe siècle, 2005, S. 22. 7 Die politische Einflussnahme, die teilweise über die Salons ausgeübt wurde, interessiert in diesem Zusammenhang
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