
Miss, Model, First Lady Zur Geschichte von Schönheitswettbewerben Von Thomas Macho Sendung: SWR2 Essay Redaktion: Michael Lissek Regie: Iris Drögekamp Produktion: Südwestrundfunk 2011 SWR2 können Sie auch im SWR2 Webradio unter www.SWR2.de und auf Mobilgeräten in der SWR2 App hören – oder als Podcast nachhören: Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. 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Gewiss, die Erzählung vom Urteil des Paris – und der Entführung Helenas, Anlass des Trojanischen Kriegs – war schon zu Homers Zeiten bekannt; sie war so bekannt, dass Helenas Schönheit idealisiert oder dämonisiert werden konnte, zum Vexierbild zwischen Hure und Heiliger: vom Lobpreis der Helena, den der Sophist Gorgias aus Sizilien verfasste, bis zur Tragödie des Euripides. Jenseits der Frage nach der mehrfach geraubten Helena gelang es aber erst Lukian, dem genialen Spötter und Aufklärer, die Szene des Paris-Urteils auf ihre landwirtschaftlichen Wurzeln zurückzuführen: Die ersten Schönheitswettbewerbe wurden nicht zwischen Göttinnen, sondern auf Viehmärkten ausgetragen. Darum klagt Paris in Lukians Satire, wie denn »ein bloßer Sterblicher und ein Bauer« als »Richter in einer solchen Sache« amtieren solle. Spr. 3 »Das geht über den Verstand eines Kuhhirten: solche Dinge gehören für die hübschen Herren aus der Stadt. Ja, wenn die Frage von drei Ziegen oder jungen Kühen wäre, da wollte ich nach der Kunst entscheiden, welche die schönste sei!« Spr. 2 Der Hirte bleibt skeptisch, was »die Sache für einen Ausgang nehmen wird«, doch genügen ihm die Vision Helenas und das wiederholte Versprechen der Venus, seine Liebeswerbung zu unterstützen, um ihr den goldenen Zankapfel zuzusprechen. Seine Entscheidung für Venus, das Urteil im ersten Schönheitswettbewerb der Kulturgeschichte, führte bekanntlich zu Krieg und Tod. So schlimm kam es jedoch nur ausnahmsweise. Konflikte ließen sich zwar auch Jahrtausende später - etwa im Schönheitswettbewerb zwischen Schneewittchen und der bösen Königin – nicht immer vermeiden, aber sie konnten vorsorglich entschärft werden: durch Praktiken der Ritualisierung. Schon im Mittelalter war es – etwa in den Niederlanden, in Spanien, Frankreich oder Deutschland – üblich, das schönste Mädchen einer Region zur ›Maikönigin‹ oder ›Maibraut‹ zu wählen und auf dem Maifest, oft unter dem Maibaum, als ›Mailehen‹ zu versteigen. Mit dem Geld aus der Versteigerung wurde oft die Aussteuer der weniger attraktiven Mädchen aufgebessert. Danach aber wurde eine 2 Strohpuppe der vorjährigen ›Maikönigin‹ zeremoniell verbrannt: Eine kräftigere Warnung vor Stolz und Eitelkeit ist schwer denkbar. Spr. 1 Die Erfolgsgeschichte der Schönheitswettbewerbe begann im 19. Jahrhundert, und sie begann neuerlich mit dem Vieh: mit der Ausstellung von Hunden, Vögeln und Geflügel. Es war der vielleicht bedeutendste Schausteller der Epoche, Phineas Taylor Barnum, der erstmals diese Wettbewerbe in seinem American Museum in New York veranstaltete. Das Museum hatte Barnum 1841 übernommen und rasch zum führenden Unterhaltungs-Etablissement ausgebaut: Er zeigte betriebsame Flöhe, gelehrte Hunde, Jongleure, Automaten, Bauchredner, lebende Bilder, dicke Kinder, Zwerge, Riesen, Seiltänzer, Karikaturen und Pantomimen, Sänger und Tänzer, aber auch Modelle von Dublin, Paris oder den Niagarafällen, sowie amerikanische Indianer mit ihren kriegerischen und religiösen Zeremonien. Zu seinen berühmtesten Sehenswürdigkeiten gehörten eine (grob gefälschte) Seejungfrau, eine vorgeblich 161 Jahre alte schwarze Frau, der kleinwüchsige Charles S. Stratton, der als General Tom Thumb die europäische Aristokratie faszinierte oder die Opernsängerin Jenny Lind, angepriesen als schwedische Nachtigall. Spr. 2 Weiter zeigte Barnum eine exotische Menagerie, darunter Grizzlybären und erstmals einen Walfisch; er präsentierte einen Riesengorilla und entwickelte die Freakshows, in denen – schon ab 1860 – verschiedene Charaktere als ›What is It?‹ oder ›Nondescripts‹ präsentiert wurden. Insbesondere der 1926 verstorbene William Henry Johnson absolvierte zahlreiche Engagements bei Barnum, in denen er als eine Art von missing link zwischen Mensch und Orang-Utan vorgeführt wurde. Auf ähnliche Weise wurde Julia Pastrana als Bear Woman oder Ape Girl ausgestellt; sie starb bereits 1860, kurz nach der Geburt eines Kindes, aber ihr konservierter Körper (und der Körper ihres Kindes) wurden noch bis in die Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts auf diversen Jahrmärkten gezeigt. In Verbindung mit den bereits erwähnten Schönheitswettbewerben für Blumen, Hunde oder Vögel organisierte Barnum Beauty Pageants für Babies, wie er in seiner Autobiographie berichtete: 3 Spr. 3 »Bei verschiedenen Gelegenheiten zog ich ›Baby Shows‹ auf, bei denen ich großzügige Preise für das hübscheste oder fetteste Baby verteilte, für die niedlichsten Zwillinge oder Drillinge, und so weiter. Diese Shows kündigte ich stets monatelang an und beschränkte die Zahl der Babies, die an der Ausstellung teilnehmen durften, auf hundert. Lange vor dem Termin war dann die Liste voll, und ich kannte einige Mütter, die bitterlich weinten, weil die Anmeldefrist abgelaufen war und sie keine Gelegenheit mehr erhielten, ihre wunderschönen Babies auszustellen. Diese Shows waren ebenso beliebt wie einzigartig, und während sie sich in finanzieller Hinsicht rentierten, war es mein Hauptinteresse, die Zeitungen dazu zu bringen, über mich zu schreiben, mit neuen Fanfarenstößen in die Trompete, die ich stets für das Museum blies. Die größte Schwierigkeit bestand darin, den Hauptpreis von hundert Dollar auf den Baby Shows zu verleihen. Jede Mutter dachte ja, ihr eigenes Baby sei das schönste und beste, und erwartete vertrauensvoll den ersten Preis. Welche Mutter würde schon ihr Baby gegen ein anderes eintauschen? Damit hatte ich nicht gerechnet, als ich zum ersten Mal in den erwartungsvollen Kreis trat, um anzukündigen, dass ein Damen-Komitee entschieden hatte, den Hauptpreis an das Baby von Frau Soundso zu verleihen: Ich war nicht vorbereitet auf den Sturm der Entrüstung, der sich danach auf allen Seiten erhob. Neunundneunzig schwer enttäuschte und – wie sie dachten – zutiefst ungerecht behandelte Mütter verbündeten sich, um das erfolgreiche Kindchen als das durchschnittlichste und unansehnlichste Baby von allen zu bezeichnen, und mich und mein Komitee der Dummheit und Parteilichkeit zu bezichtigen. ›In Ordnung, meine Damen‹, sagte ich beim ersten Mal, ›dann wählen sie doch ein Komitee aus ihren eigenen Reihen und ich werde noch einmal einen Preis von hundert Dollar für das Baby stiften, das sie zum schönsten Kind erklären werden.‹ Doch ab dem selben Augenblick waren die neunundneunzig Verbündeten – als hätte ich Öl ins Feuer geschüttet – Todfeindinnen, und keine neuen Babies wurden für den zweiten Preis vorgeschlagen. Später habe ich dafür gesorgt, dass die Preisentscheidung nur mehr schriftlich, nicht mehr persönlich bekanntgegeben wurde. Nach dem ersten Wettbewerb dieser Art verbreitete sich das vage, doch immer noch sehr aktuelle Gerücht, manche jungen Mütter hätten in der Eile des Aufbruchs vom Museum ihre Babies vertauscht (die ja alle in gleichem Alter und ähnlich gekleidet waren); sie hätten ihren Irrtum erst zuhause bemerkt, etwa anlässlich folgenden Gesprächs mit ihrem Ehemann: ›Hat unser Baby den Preis gewonnen?‹ ›Nein! Unser Liebling wurde um 4 den Erfolg gebracht.‹ ›Gut, und warum hast du dann nicht dasselbe Baby heimgebracht, das du ins Museum geschleppt hast?‹ Ich bin allerdings froh, sagen zu dürfen, dass ich dieses grausame Gerücht nicht bis zu einer authentischen Quelle zurückverfolgen konnte.« Spr. 1 Beflügelt durch die Popularität der Hunde-, Vögel- und Baby-Shows in seinem American Museum versuchte P.T. Barnum, auch Schönheitswettbewerbe für junge Frauen zu initiieren. Ab Mitte der Fünfzigerjahre inserierte er in verschiedenen Zeitungen, etwa unter der Überschrift »BARNUM’S GALLERY OF AMERICAN BEAUTY« in der New York Tribune vom 23. Juli 1855. Den schönsten Frauen wurden Preise von fünftausend Dollars geboten; sie sollten über sechzehn Jahre alt sein, verheiratet oder ledig. Um die Entscheidung treffen zu können, sollten Photographien oder Daguerrotypien der schönsten Frauen, aus allen Teilen der Vereinigten Staaten und Kanadas, mit oder ohne Namen, im American Museum ausgestellt werden, und das Publikum sollte mit Stimmzetteln die Preisträgerinnen wählen. Die zehn Porträts mit den meisten Stimmen sollten gemalt und im
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