Sonntag, 15. November 2020 15.04 – 17.00 Uhr Ludwig van Beethoven Eine Sendereihe von Eleonore Büning 46. Folge: „Best of Beethoven“ Herzlich Willkommen zu unserer Hitparade „Best of Beethoven“. Ich grüße Sie! Dies ist heute die vorletzte Folge, da ist es, Zeit für einen gemeinsamen Kassensturz. Wie stehen unsere Beethovenaktien heute? Steigen oder fallen sie? Oder sind sie nach wie vor stabil? Ist die Musik Beethovens möglicherweise grundsätzlich wertkonstant und marktresistent, eine feste Kulturwährung im klassischen Musikbetrieb, auf die man sich verlassen kann, etwa so, wie die Wallstreet-Broker sich auf das Gold verlassen haben? Nachweislich sind die Symphonien von Beethoven heute nicht mehr ganz so häufig in den Konzertsälen zu hören, wie zu Karajans Zeiten. Tendenz: rückläufig. Mahler, Schostakowitsch, Sibelius sind auf dem Vormarsch. Aber ich wette: Würde der rbbKultur-Reporter morgen früh im nächstbesten Shoppingcenter eine Blitzumfrage starten und nachfragen: „Was sagt Ihnen Beethoven? Welche Stücke mögen Sie am liebsten?“; ich wüsste das Ergebnis schon heute: Als erstes wird bestimmt die Mondscheinsonate genannt. Dann: Für Elise. Oder vielleicht doch eher: die Neunte? TOT- 1) Die Toten Hosen: „Hier kommt Alex“ (Album-Version), 2:15 Music64/ von „Ein kleines bißchen Horrorschau“ Virgin (1988) 7867632/4 LC <1> Beethoven hätte dazu wahrscheinlich „Schusterfleck“ gesagt – zu dem, was die Toten Hosen da komponiert haben, als Fortsetzung seines Intros zum letzten Satz seiner Neunten! Auch die Brücke zwischen den verschiedenen Musiktextsorten, dieser Urschrei der Toten Hosen, strotzt nicht gerade von musikalischer Raffinesse. Aber das ist ja auch nicht der Sinn eines Punkrock-Schlagers, da muss es etwas unzivilisiert zugehen, das gehört zum Stil. Mit diesem Song „Hier kommt Alex!“ standen die Toten Hosen 1988 mehr als ein Jahr lang in den Charts. Es war erst ihr fünftes Album überhaupt und das erste, das diese Gruppe in Deutschland bekannt gemacht hat. Letztlich verdankt also der Popstar Campino, der heute noch, mittlerweile über fünfzig, durch die Boulevardpresse flaniert und in „Rock am Ring“ mit Luftsprüngen junge Mädels kirre macht, seine Karriere Ludwig van Beethoven – und natürlich Stanley Kubrick und Anthony Burgess. Kubrick hatte 1971, nach dem Roman von Burgess, den Film „A Clockwork Orange“ gedreht, darin Beethovens Neunte als psychotherapeutische Droge im „Ludovico“- Test eine Hauptrolle spielt. Und darum geht‘s: Alex, Anführer einer Jugend-Gang, ist ein sozial total entgleister Sadist. Er mordet, er vergewaltigt, am liebsten zu klassischer Musik. Er wird verhaftet, therapiert und als geheilt entlassen. Und fortan ergreift ihn jedes Mal ein Brechreiz, wenn er die Neunte nur von weitem trapsen hört. Am Ende springt Alex, in den Wahnsinn getrieben von der Freudenode, aus dem Fenster. Ludwig van Beethoven - 46. Folge Seite 2 von 10 Kubricks Film wurde für den Oscar nominiert. Die Toten Hosen standen anschließend in der Beethovenstadt Bonn, Stadtteil Bad Godesberg, Abend für Abend auf der Bühne, und spielten als Musiker und Statisten in einer Theaterversion der Story mit. Sie komponierten ihren Hit: „Hier kommt Alex!“ Und wer damals zur rebellischen Jugend rechnete und Beethovens Neunte noch nicht aus dem Schulunterricht oder aus der Werbung oder aber aus Muttis Hitparade der Volksmusik kannte – der kannte sie jetzt: 03708 / W S M 2) Miguel Riós: “Song of Joy” (1970) 0:59 426184-2 EAN: 0639842618427 T.4 34 Wochen in den Pop-Charts. Davon 14 Wochen auf Platz 1. Soweit die Erfolgs- bilanz dieser Verpopmusikalisierung der Beethovenschen Freudenode von Miguel Riós, die 1970 herauskam. Sie verbreitet bis heute, in unzähligen Cover-Versionen, unverdrossen die gute Botschaft, an der auch die Toten Hosen nicht haben kratzen können, dass alle Menschen Brüder werden und glücklich sein sollen. Unzählig die Werbespots, sei es für Versicherungen, sei es für Pizza, die sich dieses Versprechen zu Nutze machten. Und wie steht es mit dem „Best-of-Beethoven“-Hit Nummer 2, diesem mildfreund- lich meditativen Evergreen in cis-Moll, den schon Beethovens Zeitgenossen so geliebt haben? Der ist eher geeignet für Duschgel, Bausparverträge, Partnervermittlung und Katzenfutter: Sony SMK 3) Ludwig van Beethoven: Sonate Nr.14 cis-Mollop.27,2 4:10 52638 Daraus: 1. Satz, Adagio sostenuto LC 06868 Glenn Gould (Klavier) CD 3 1967/1994 track <14> Glenn Gould hat sich zwar nicht an Beethovens Vorschrift gehalten, wonach dieser gesamte erste Satz der Sonate „Quasi una fantasia“ cis-Mollop.27, 2 mit aufgehobenem Dämpfer gespielt werden sollte. Das tat damals aber noch niemand. Als diese Aufnahme entstand, Mitte der Sechziger, waren die Pianisten weltweit noch nicht von der historisch informierten Aufführungspraxis angeweht. Dafür spielte Gould diese sogenannte „Mondschein“-Sonate so sportlich schnell, wie vor ihm keiner - und außerdem: Gould war Kult. Diese Sonate freilich war schon sehr viel länger ein Kultstück. Viele Komponisten, darunter Robert Volkmann, Franz Liszt, Edward Elgar, Dmitri Schostakowitsch, Alfred Schnittke und György Kurtág haben diesem ungewöhnlich langsamen Kopfsatz, der so ungewöhnlich nebelhaft vorzutragen ist und in einer ungewöhnlichen Kreuztonart steht, ein kollegiales Denkmal errichtet. Überraschenderweise findet sich unter den ersten, die sich dieses „Mondschein“- Muster zum Vorbild nahmen und „Musik über Musik“ dazu schrieben, der italienische Opernkomponist Vincenzo Bellini – ein „welscher Komponist“, dem keiner, Beethoven wohl am allerwenigsten, so viel Empathie zugetraut hätte. Dass Bellini die deutschen Instrumentalmusiken kannte und liebte und studierte, ist © rbbkultur www.rbbkultur.de Ludwig van Beethoven - 46. Folge Seite 3 von 10 bekannt. Aber dass er so weit ging, einen kompletten Opernchorsatz auf dem Zitat des ersten Satzes einer Beethovensonate aufzubauen, das ist einzigartig. 1826 brachte Bellini in Neapel die Oper „Bianca e Fernando“ heraus, mit einem Verschwörer-Chor im zweiten Akt, der in arpeggierter Begleitung und Gesangslinie exakt den geheimnisvollen Mondscheinsonatenbeginn kopiert, nur von cis-Moll nach f-Moll übersetzt. Das Arpeggio ist rhythmisch gleich und figurativ variiert, die harmonische Struktur identisch. Das gefiel ihm selbst so gut, dass er exakt den gleichen Chor noch mal verwendete, mit neuem Text, in der Oper „Zaire“, 1829. Und dann noch ein drittes Mal, und zwar in der Oper „Norma“, 1831. Inzwischen war Bellini aber berühmt geworden, und seine „Norma“ wurde überall aufgeführt, so dass er sich ein bisschen Mühe gab, diesen musikalischen Diebstahl zu verschleiern durch ein markiges Vorspiel in Dur sowie durch zwei kleine, veränderte Intervallverschiebungen in der Beethovenschen Basslinie. Sie wird geharft vom Pizzicato der Orchesterbässe. Wer es weiß, hört es aber trotzdem, spätestens, wenn der Chor einsetzt: Decca 4) Vincenzo Bellini: „Norma“ 4:16 467 796-2 Daraus: „Non parti“ 2.Akt, 2.Szene Chor & Orchester des Maggio Musicale Fiorentino LC 0171 CD 5 Richard Bonynge (Leitung) Track <7> 1964/2000 Der Kriegerchor „Non parti“ aus Vincenzo Bellinis Oper „Norma“ wurde musiziert von Chor und Orchester des Maggio Musicale Fiorentino unter Leitung von Richard Bonynge. Eine meisterhafte Parodie auf den ersten Satz aus Ludwig van Beethovens cis-Moll-Sonate: und eines der schönsten Beispiele dafür, wie kreativ das Verfahren copy & paste als „Musik über Musik“ funktionieren kann. Kehren wir kurz zurück in die Beinahe-Gegenwart, in das Jahr 1969. Da spielte eine junge Frau daheim im Wohnzimmer ihrem Liebsten, der auf dem Sofa lag und las – zumindest behauptete er später, er habe auf dem Sofa herumgefaulenzt, eben diese Beethovensche cis-Moll-Sonate vor. „Spiel das nochmal“, sagte er, aufmerksam geworden. „Und jetzt bitte nur die Akkordfolge...“ Und: „Jetzt bitte mal das Arpeggio rückwärts.“ Die Frau tat ihm den Gefallen. Sie lebt noch, sie heißt Yoko Ono. Der Mann lebt nicht mehr, er hieß John Lennon. Aus dieser häuslichen Klavierstunde erwuchs aber die Idee für das Intro der unsterblichen Lennon-Ballade „Because the world is round“. Es ist natürlich nicht exakt die umgedrehte Mondscheinsonatenmelodie. Aber doch eindeutig ihre popmusikalische Kusine: Apple Vinyl 5) The Beatles: „Because“, Albumversion, von: Abbey 2:45 SO 383 Road (1969) Kein LC track <8> Veröffentlicht auf dem Album der Beatles: „Abbey Road“, anno 1969: „Because“. George Martin spielte das elektronische Cembalo zur Eröffnung. John Lennon verstärkte die Mondscheinsonatenbegleitmelodie mit der Melodiegitarre. Lennon, McCartney und Harrison sangen dreistimmig und ihre Stimmen wurden gesampelt und addiert zur Neunstimmigkeit. Danach lösten sich die Beatles auf. © rbbkultur www.rbbkultur.de Ludwig van Beethoven - 46. Folge Seite 4 von 10 Auch der dritte Satz aus der sogenannten „Mondschein“-Sonate Beethovens, das dämonisch davonrasende, sich überschlagende Presto, hat unter den Rockmusikern Freunde gefunden und Furore gemacht und die Kreativität beflügelt. Dazu gleich. Zunächst möchte ich aber, in dieser „Best-of-Beethoven“-Sendung, unbedingt den vernachlässigten zweiten Satz, das Allegretto, zu seinem Recht kommen lassen, von dem Franz Liszt behauptet hat, „es blühe wie eine Blume, zwischen den Abgründen“: Sony SMK 6) Ludwig van Beethoven: Sonate Nr.14 cis-Mollop.27,2 6:36 52638 Daraus: 2. & 3. Satz Allegretto/Presto LC 06868 Glenn Gould (Klavier) CD 3 tracks 1967/1994 <15 &16> Glenn Gould spielte den Mittel- und den Finalsatz aus der Sonata Quasi una Fantasia cis-Moll von Ludwig van Beethoven – der sogenannten „Mondschein“- Sonate.
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