MARLENE ILLIES* Universität Duisburg-Essen Die Moritat von Mackie Messer Von der Dreigroschenoper zum Evergreen Ein Essay Die Bettler betteln, die Diebe stehlen, die Huren huren. Ein Moritatensänger singt eine Moritat. August 1928. Im Berliner Theater am Schiffsbauerdamm herrscht Chaos. Am 31. des Monats soll das Theater mit einer Uraufführung eröffnet werden. Eine Opernpersiflage von Bertolt Brecht und Kurt Weill, die Dreigroschenoper. In der Stadt kursieren Gerüchte darüber, dass Brecht ein „völlig unzugängliches“ Stück geschrieben habe. Lotte Lenya, die Frau Kurt Weills, die in der Oper die Rolle der „Spelunken-Jenny“ übernommen hat, schreibt später in ihren Erinnerungen, dass das Stück unter keinem guten Stern stand. Tatsächlich scheint eine Pechsträhne die Produzenten zu verfolgen: Zwei Hauptrollen müssen kurz vor der Premiere neu besetzt werden. Außerdem kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen dem Regisseur Erich Engel und dem Autor Brecht über die Lieder des Stücks. Es wird sogar vorgeschlagen, die Musik ganz zu streichen. Regisseur Engel wirft schließlich das Handtuch, so dass Brecht kurzerhand die Regie selbst übernimmt. Dass Harald Paulsen, der Darsteller des Mackie Messer, auch noch eine bessere Einführung seiner Rolle mit einem Lied verlangt, fällt bei all dem Trubel kaum noch ins Gewicht. Brecht schreibt einen Text und Weill vertont ihn über Nacht. So entsteht durch die Eitelkeit des Schauspielers Paulsen in einer Nachtaktion der berühmteste Song des Schauspiels, Die Moritat von Mackie Messer. Ein Song, der Jahrzehnte überdauern und als Mack The Knife in die Jazz-Geschichte eingehen wird. Auch die ersten Zeilen der Original- Version von Brecht liegen bis heute noch leicht auf der Zunge: Und der Haifisch, der hat Zähne und die trägt er im Gesicht. Und Macheath, der hat sein Messer, doch sein Messer sieht man nicht. Drei Jahrzehnte vergingen zwischen der Entstehung der Moritat von Mackie Messer und den ersten Aufnahmen des Jazz-Songs Mack the Knife in den 1950er Jahren. Doch die Wurzeln des Liedes finden sich ganze zwei * cb Creative Commons Attribution 3.0 License E-Mail: [email protected] 230 andererseits Vol. 2 Jahrhunderte früher: Genau 200 Jahre vor der Uraufführung der Dreigroschenoper 1928 in Berlin fand im Londoner Lincoln’s Inn Fields Theatre am 29. Januar 1728 die erste Aufführung der Beggar’s Opera statt. Sie handelt vom Wegelagerer Macheath und von Lucy und Polly, zwei Frauen, die ihn lieben – und von Mr Peachum, einem Hehler und außerdem Vater von Polly, der beschließt, Macheath zu töten, als er von der Beziehung seiner romantisch veranlagten Tochter zu dem Schürzenjäger erfährt. Auch wenn Macheath am Galgen landet, für ihn geht es gut aus: Da das Publikum ein Happy End verlangt, wird er freigesprochen. Der Librettist John Gay und der aus Berlin stammende Komponist Dr. Johann Christoph Pepusch schrieben diesen Prototyp eines modernen Singspiels, mit dem sie die damals verbreitete opera seria, vor allem die neapolitanische Oper mit ihrem Pathos, mit ihren Arien und Duetten, ihren Liebes- oder Racheszenen aus der Götter- und Fürstenwelt der Lächerlichkeit preisgeben wollten. Ganz besonders traf dieser Angriff den berühmten Komponisten Georg Friedrich Händel. Der große Opernkomponist zog sich zurück und schrieb fortan vor allem Oratorien. Lange nach ihrem Tod sollten die Werke Händels und die Oper von Gay und Pepusch erneut aufeinandertreffen: In den 1920er Jahren fand zunächst in Deutschland eine wahre Händel-Renaissance statt. Zur gleichen Zeit brachte der Engländer Sir Nigel Playfair die alte Beggar’s Opera in einem Londoner Theater neu auf die Bühne, mit überwältigendem Erfolg. Die simplen Lieder und Schlager des alten Singspiels wurden auch im 20. Jahrhundert zu Gassenhauern. Der Erfolg drang bis nach Berlin. Als 1928 ein begüterter Schauspieler sein neues Theater am Schiffbauerdamm einweihen wollte und nach einem geeigneten Stück suchte, traf er auf Bertolt Brecht und Kurt Weill, die mit ihren Dramenaufführungen und Vertonungen in Berlin bekannt geworden waren. Elisabeth Hauptmann, Mitarbeiterin und Sekretärin Brechts, machte sie auf die Beggar’s Opera aufmerksam. Sie übersetzte den Text und schuf damit die Voraussetzung für die Bearbeitung der Oper durch Brecht und Weill. Bertolt Brecht stellte einmal fest, dass The Beggar’s Opera oft als „Die Bettleroper“ falsch ins Deutsche übersetzt wurde. Die richtige Übersetzung wäre „Des Bettlers Oper“, das heißt, eine Oper für Bettler. Ein solches Missverständnis sollte bei seiner eigenen Oper nicht vorkommen. So lautet sein einleitender Text auf der Schallplattenaufnahme der Oper „Sie werden jetzt ein paar Songs aus einer Oper für Bettler hören. Weil diese Oper so prunkvoll gedacht war, wie nur Bettler sie erträumen, und weil sie doch so billig sein sollte, dass Bettler sie bezahlen können, heißt sie Die Dreigroschenoper.“ 2011 ILLIES: Die Moritat von Mackie Messer 231 Brecht hielt sich eng an das Libretto von Gay: an die Kontroverse zwischen dem Hehler- oder Bettlerkönig Peachum und dem Straßenräuber Macheath – auch als Mackie Messer oder Mack the Knife bekannt –, der Peachums Tochter Polly heiratet und dem der Tod am Galgen droht. Doch obwohl Brecht das Handlungsgerüst im Wesentlichen übernahm, transponierte er den Stoff und die Tendenz des Stückes ins 20. Jahrhundert. Er veränderte den sozialkritischen Tenor: Während Gays Werk sich als Satire gegen den Adel richtete und eine Parodie auf einen überholten Operntyp darstellte, wurde Brechts Dreigroschenoper ein zynischer Lobgesang auf den Amoralismus und den Nihilismus des Bourgeois, auf das Animalische, auf die Habsucht und Gier der Bürger in den „Goldenen Zwanzigern“. Die Oper wurde ein rauschender Erfolg. Einige Lieder brachten es zu besonderem Ruhm, insbesondere jene Moritat von Mackie Messer. Viele Künstler nahmen das Lied in ihr Repertoire auf, zahlreiche Aufnahmen entstanden. Bertolt Brecht selbst vertonte die Moritat erstmals im Mai 1929, auch er sang seine eigenen berühmten Zeilen: Und Schmul Meier bleibt verschwunden und so mancher reiche Mann. Und sein Geld hat Mackie Messer, dem man nichts beweisen kann. Die erste öffentliche Darbietung des Liedes war allerdings alles andere als ruhmreich. Bei der Premiere der Dreigroschenoper am 31. August 1928 versagte die Drehorgel, mit der Schauspieler Kurt Gerron als Moritatensänger das Stück begleitete. In der zweiten Strophe sprang das Orchester spontan als Begleitung ein, doch das Publikum schenkte der Moritat kaum Beachtung. Erst in späteren Aufführungen verlangte es am Ende der Oper als Zugabe „Mackie Messer“. Obwohl Gerron der erste Moritatensänger war, wurde erst am 7. Dezember 1930 eine Aufnahme mit ihm eingespielt, zwei Jahre nach einer Aufnahme mit Harald Paulsen und ein Jahr nach der ersten Aufnahme Brechts. Der Erfolg der Dreigroschenoper war groß. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Ländern kam es zu zahlreichen Aufführungen. Doch ab 1933 wurde es still um das Werk. Komponist Kurt Weill emigrierte über Paris in die USA. Brecht floh nach Prag und nach Dänemark, kam nach Finnland und erreichte über die Sowjetunion ebenfalls die USA. Brecht versuchte, dort mit seinen Werken Fuß zu fassen, stieß jedoch auf wenig Gegenliebe. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde eines seiner Werke in den USA nicht nur gewürdigt, sondern gefeiert, und das verdankte Brecht Leonard Bernstein. Dieser drängte den Komponisten Marc Blitzstein, die Three Penny Opera zu bearbeiten und für eine Aufführung in den USA einzurichten. Blitzstein verlegte die Handlung der Oper ins New York von 1870, den Texten 232 andererseits Vol. 2 verlieh er einen amerikanischen Slang und veränderte unter anderem auch den Eingangssong. Aus der Moritat von Mackie Messer wurde Mack the Knife. Jetzt lautete der Anfang: Oh, the shark has pretty teeth, dear and he shows them pearly white. Just a jackknife has Macheath, dear and he keeps it out of sight. When the shark bites with his teeth, dear scarlet billows start to spread. Fancy gloves, though, wears Macheath, dear, so there’s not a trace of red. Die Three Penny Opera wurde zunächst vor allem konzertant aufgeführt, die Lieder wurden also ohne das dazugehörige Schauspiel präsentiert. Lotte Lenya, die Frau von Kurt Weill, war von Anfang an dabei. Sie sang und spielte die Rolle der Polly. Von Aufführungen an der Brandeis-Universität berichtete sie später, dass die Studenten bereits während der Proben die großen Songs regelmäßig mitsangen. Am 10. März 1955 erreichte die Three Penny Opera den Broadway. Das Theater war nur für drei Monate gemietet und das Stück wechselte sich mit anderen Aufführungen ab. Doch jedes Mal, wenn der bekannte Kritiker Brook Atkinson die Aufführung eines anderen Stückes rezensierte, hängte er den stereotypen Schlusssatz an: „Bringt die Dreigroschenoper wieder auf die Bretter!“ Es folgte eine jahrelange, nicht endende Spielzeit und von Amerika aus eroberte die Oper weltweit die Bühnen. Auch in der Bundesrepublik und in der DDR erlebte die Oper ein Comeback. Alle großen Theater nahmen das Stück von Brecht und Weill in ihr Repertoire auf. Zur gleichen Zeit erfolgten zahlreiche Einspielungen des Songs Mack The Knife – in der Version von Marc Blitzstein. Jazz-Orchester, Bands, Combos, Vokalisten, alle sangen On the sidewalk Sunday morning lies a body oozing life; someone’s sneaking round the corner, is that someone Mack the Knife? Vergleicht man die frühen Aufnahmen der Moritat mit den berühmten Jazz-Versionen von Mack the Knife, ist eine deutliche Entwicklung des Songs zu erkennen: So klingen
Details
-
File Typepdf
-
Upload Time-
-
Content LanguagesEnglish
-
Upload UserAnonymous/Not logged-in
-
File Pages8 Page
-
File Size-