Nr. 9 . Mittwoch, den 30. Mai. 1 8 9 4 Snternationaie '£itteraturberiehte. Abonnementspreis Inserate pro Quartal M. 2.—, Wochenschrift die 4 gespaltene Petitzeile oder deren Raum 15 Pf. bei direktem Bezug unter für die Bei grösseren Aufträgen Kreuzband: Rabatt. Inland M. 2.40, Ausland Beilagen: 4000 bis zu ä 4 gr. M. 2.65. Interessen der Bücherkäufer und Biicherliebhaber. M. 18.—. Alle für die Redaktion und Expedition bestimmten Sendungen sind an C. F. Müller Verlag, Leipzig, Grimmaischer Steinweg 2, zu richten. ^nhalt: Lhomond. — Ein Blick auf Polens Litteratur seit 1889. (Schluss).— Johannes Senn. (Schluss.) — Klassische Epigonen-Ästhetik. (Schluss.) Vom deutschen Büchermarkt. — Ausländ. Litteratur. — Erschein. Bücher. — Deutsche Bücher in fremdsprachl. Übersetzungen. — Litterar. Notizen. — Kunst u. Theater. — Eingeg. Bücher. — Besprechungen. — Herabgesetzte Bücher. — Bibliothekswesen, Auktionen. — Kataloge. — Totenschau. — Vermischtes. — Manuskriptangebote. — Inserate. inzwischen den geistlichen Beruf erwählt, allein auch als Lhomond. Abbe blieb er der Pädagogik treu. Er hatte sich ganz in Ein Gedenkblatt zu dessen 100jährigem Todestage. den klassischen Geist des Altertums eingelebt, wenn auch Von Tony Kellen. die stoischen Tugenden, die er in Roms Helden seinen Schülern vorführte, ihn nicht verhinderten, ein überzeugungs­ M Sonntag, den 20. Mai, beging1 man in Frankreich treuer Priester zu sein. eine eigenartige Centenarfeier. Vor hundert Jahren Bald kam er als Professor nach Paris ins College starb nämlich in Paris ein bekannter Grammatiker, A Cardinal-Lemoine. Er wurde dort Klassenlehrer der Sexta, Charles Frangois Lhomond, dessen Werke in Deutschland und schloss sich so sehr an seine Schüler an, dass er nie nicht unbekannt sind, und der wohl auch ein kleines Ge­ eine andere Klasse übernehmen wollte. Auch wies er an­ denkblatt in den „Internationalen Litteraturberichten“ ver­ dere ihm angebotene Stellen beständig zurück. dient. Lhomond (oder wie manche schreiben L’homond) Für die Schüler der Sexta und der anderen unteren war kein Genie, sondern ein einfacher, bescheidener Geist­ Klassen schrieb er jene Lehrbücher, die so einfach und so licher, der sich ganz dem Unterricht gewidmet hatte und knapp gehalten und dem Auffassungsvermögen der Schüler der den Bedürfnissen seiner Schüler angepasste Werke so gut angepasst sind. Lhomond huldigte dem Prinzip, schrieb, welche später „das klassische Brot“ für eine Reihe man müsse die Lehren langsam in den Geist der Kinder von Generationen von Gymnasialschülern wurden. einfliessen lassen, gerade wie man Wasser langsam in ein In unserer Zeit, wo so viele Jubiläen gefeiert werden, Gefäss giesst. dass man schliesslich garnicht mehr weiss, wo man einen Die bedeutendsten Werke Lhomonds, die alle einen Mann finden soll, der nicht schon Jubilar war oder es in ungeheuren Erfolg fanden, der durch die zahllosen Auflagen der nächsten Zeit werden dürfte, ist es gewiss nicht ver­ bestätigt wird, sind: De viris illustribus urbis Romae, Epi­ wunderlich, dass man auch eines Mannes gedenkt, dessen tome historiae sacrae, Elements de la grammaire frangaise, Schulbücher in so vielen Ausgaben und Auflagen erschienen, Elements de la grammaire latine, Doctrine chretienne, wie selten andere Bücher. Lhomond besitzt nunmehr ein Histoire abregee de l’Eglise, Histoire abregee de la religion. Denkmal in seinem Geburtsort Chaulnes, und dort fand Alle diese Werke zeichnen sich dadurch aus, dass sie auch die erwähnte Feier statt, zu welcher bereits vor klar und übersichtlich gehalten und der Geisteskraft der einiger Zeit die Abgeordneten und Senatoren des Somme- Schüler, für welche sie bestimmt sind, angepasst sind. Departements den Minister des öffentlichen Unterrichts ein­ Wie man aus den erwähnten Titeln sieht, beschäftigte geladen hatten. Lhomond sich nicht bloss mit der lateinischen und fran­ Allerdings fand die betreffende Centenarfeier nicht am zösischen Sprache, sondern auch mit der Religions­ Todestage Lhomonds statt, denn derselbe starb am 31. De­ und Kirchengeschichte. Ausserdem war er in der Botanik zember 1794, allein man hat sich wohl nur aus äusseren sehr bewandert. Er war es nämlich, der den berühmten Rücksichten veranlasst gesehen, die Feier früher festzusetzen. Mineralogen Rene Juste Haüy (1743—1822) zum Studium Jedenfalls dürfte es bei dieser Gelegenheit auch viele von der Botanik anleitete. denjenigen, die in ihrer Jugend die „De Viris“ — wie die Lhomond wurde, wie viele andere Geistliche, während Gymnasiasten sagen — in der Hand hatten, interessieren, der französischen Revolution (1792) verhaftet, weil er den einiges über das Leben und Wirken des berühmten Eid auf die bürgerliche Verfassung des Klerus verweigerte. Grammatikers zu erfahren. Tallien, dessen Lehrer er gewesen war, bewirkte aber dessen Lhomond wurde 1727 in Chaulnes (Departement der Freilassung. Lhomond war damals eng befreundet mit dem Somme) geboren. Er studierte am Gymnasium vonlnville, wo bereits erwähnten Mineralogen Haüy, der einige Zeit später er eine Studienbörse erhielt und auch sp ä te r zum Schul- zum Mitglied der Akademie der Wissenschaften ernannt vorsteher (principal de College) ernannt wurde. Er hatte wurde. Mit ihm stand er während der Ferien in Kor­ — 98 — respondenz; die Briefe, die die beiden Gelehrten sich schienenen Abhandlung über die altfranzösische Liebespoesie schrieben, verraten eine fast kindliche Naivetät, so einfach übersetzte Gräfin T herese W odzicka die eingestreuten und so herzlich sind sie gehalten. Lhomond besass eine Dichtungsproben mit echt poetischem Schwünge. Ausser- „antike Seele“, wie man zu jener Zeit sagte. Haüy war dem arbeitet Karwowski an der grossen Warschauer viel jünger, und er überlebte seinen Freund noch viele Encyklopedya, sowie in deutscher Sprache an der „All­ Jahre. gemeinen Encyklopädie der Wissenschaften und Künste“ mit. Dieser machte häufig einen Spaziergang nach dem Den „Aufstand Swidrygiello’s“ , des ehrgeizigen reizend gelegenen Sceaux, wo er wahrscheinlich auch den litauischen Grossfürsten, welcher sich mit dein deutschen Dichter Florian kennen lernte. Auf einem seiner Ausflüge Ordensrittern gegen Witolds Bruder Sigmund verband, aber wurde er von zwei Strolchen überfallen, die ihm einen Teil 1435 besiegt und zum Frieden gezwungen wurde, führt des Geldes, welches er bei sich trug, abnahmen. Er wollte uns A natolius L ew icki in einem von der Historischen sie nicht einmal verfolgen lassen. „Die armen Kerle“, Gesellschaft zu Paris preisgekrönten Werke (1892) in sagte er, „haben gewiss Geld nötig; ich möchte ihnen noch lebendigen Zügen vor Augen. Gleich wie der Verschmelzung die Hälfte von dem Gelde geben, das sie mir gelassen Polens mit Litauen stellten sich auch der endlich 1529 haben.“ Dieser Vorfall wird als wahrheitsgetreu berichtet, erfolgten Vereinigung mit Masowien mannigfache Schwierig­ und er lässt den Charakter Lhomonds in einem günstigen keiten entgegen. Diese veranschaulicht der gewiegte Licht erscheinen. Quellenforscher Adolph P aw in sk i in seinem Werke „Die Obsclion Lhomond das Priesterkleid trug, war er doch ganz letzte Masowische Herzogin“ (1892) und schildert die von klassischen Traditionen durchdrungen. Er schrieb das Jugendjahre Sigmunds I. des Alten, unter welchem jene Lateinische nicht wie Cicero oder Yergil, und er stellte auch Vereinigung erfolgte. — Nicht nur die innere, sondern auch keine gelehrten Regeln in seinen Grammatiken auf, aber die äussere, zum Absolutismus hinneigende Politik Sig­ er behielt vor allem den Umstand im Auge, dass er sich munds III., unter welchem Polen in die erste Reihe der an junge Schüler wandte. „Mein Zweck,“ schrieb er selbst europäischen Staaten gehörte, führte endlich zu einer Kon­ an der Spitze eines seiner Schulbücher, „bestand darin, jenem föderation des Adels gegen den König, in welcher Nikolaus liebenswürdigen Alter einen Teil der Thränen zu ersparen, Zebrzydowski nach dem Tode des ungleich bedeutenderen die bei den ersten Studien vergossen werden.“ Joh.. Zamojski 1605 die Oberleitung übernahm. Zur Ge­ Die Tageszeitungen haben bereits über die Feierlich­ schichte dieses, eine Epoche bildenden, 1607 besiegten Auf­ keiten, die in Chaulnes zu Ehren des berühmten Gramma­ standes brachte Alexander Rembowski 1893 in einer tikers veranstaltet wurden, berichtet — der Unterrichts­ umfassenden Arbeit ein reiches Quellenmaterial bei. minister Spuller wohnte der Enthüllung des Denkmals Das neueste Werk Dr. A lb ert Z ippers, Professors in bei und hielt die Festrede. Er feierte in derselben Lemberg, „Lutnia i miecz“ (Laute und Schwert) 1893. die Verdienste Lhomonds, der nicht allein eine milde Moral zeichnet in plastischer Darstellung mit der diesem Ver­ im christlichen Sinne, sondern auch vornehmlich Vaterlands­ fasser eigenen Gründlichkeit und Stilgewandtheit das Wirken liebe, Gesetzestreue und Freiheitsliebe gelehrt habe. An des bedeutendsten ungarischen Volksdichters A. Petöfi, diese Ausführungen schloss er politische Bemerkungen an, welcher — infolge seiner unsteten Lebensweise — nie zum aus denen man ersieht, dass die inzwischen gestürzte Genuss eines ruhigen Glückes gelangte und 1849 im Regierung auch bei einer solchen Gelegenheit ihre Grund­ ungarischen Aufstande fiel. Die dieser Biographie bei­ sätze und Tendenzen zur Geltung zu bringen sucht. gegebenen poetischen Proben sind von dem namhaften neueren Dichter Stan. Rossow ski, von Sabow ski und --------------------------------------- ----------------------------------------- — Seweryna Duchiriska metrisch übersetzt. R ühm ende ' Ein Blick auf Polens Litteratur
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