„Schwarzer Untertan versus schwarzer Bruder“. Bernhard Dernburgs Reformen in den Kolonien Deutsch-Ostafrika, Deutsch-Südwestafrika, Togo und Kamerun ________________________________________________________________ Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) vorgelegt dem Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universität Kassel von Sören Utermark aus Moringen vorgelegt bei Prof. Dr. Jens Flemming und Prof. Dr. Winfried Speitkamp Eingereicht am: 18. November 2011 Tag der mündlichen Prüfung: 20. Juli 2012 Meinen Großeltern 2 Danksagung Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Jens Flemming von der Universität Kassel, der mir während meines Studiums den Weg zur historischen Forschung aufzeigte und mich während der Anfertigung dieser Arbeit betreute. Außerdem möchte ich Herrn Prof. Dr. Winfried Speitkamp für die Anfertigung des Zweitgutachtens meinen Dank aussprechen. Ebenso bedanke ich mich bei Herrn Prof. Dr. Hans-Joachim Bieber, der durch seine Seminare mein Interesse an der deutschen Kolonialgeschichte geweckt und damit den Grundstein dieser Arbeit gelegt hat. Weiterhin möchte ich ganz besonders meinen Großeltern und Frau Anke Groß danken, die mich während der Fertigstellung der Dissertation maßgeblich unterstützt haben. Dass ich diese mit vielen Forschungsreisen verbundene Dissertation anfertigen konnte, ist der Universität Kassel zu verdanken, die mich mit einem Promotionsstipendium finanziell unterstützt hat. 3 Inhaltsverzeichnis Vorwort 8 Einleitung 9 A. Zielsetzung der Arbeit 16 B. Aufbau und Methode 16 C. Forschungsstand 21 Praereformerische Kolonialpolitik (1884 bis 1906) 25 I. Entwicklung und Verwaltung der Kolonien 25 II. Organisation der deutschen Kolonialverwaltung 41 1. Zuständige Organe der Kolonialverwaltung 41 1.1. Obere Verwaltungsbehörde (Zentralverwaltung) 41 1.1.1. Der Kolonialdirektor und die Kolonialabteilung im Auswärtigen Amt 42 1.1.2. Personalbesetzung der Kolonialabteilung bis 1905 43 1.2. Mittlere Verwaltungsbehörde: Gouvernements 44 1.2.1. Gouvernementsrat 45 1.3. Die untere Verwaltung: Lokalverwaltung 46 2. Der Kolonialrat 47 2.1. Landfrage und Erteilung von Konzessionen an deutsche Kolonialgesellschaften sowie die Forderung nach staatlich garantierten Sicherheiten für das Privatkapital 47 2.2. Die verstärkte Heranziehung staatlicher Mittel zum Ausbau der Verkehrswege 48 2.3. Die Mitglieder des Kolonialrats 50 3. Der Alldeutsche Verband und die Deutsche Kolonialgesellschaft 53 III. Eingeborenenpolitik in der praereformerischen Zeit (1884-1906) 60 1. Das Problem der Arbeiterbeschaffung 61 2. Maßnahmen zur Arbeiterbeschaffung: Arbeitszwang und Wegzugsbeschränkungen 61 2.1. Rechtmäßige Zwangsarbeit 63 2.2. Rechtswidrige Zwangsarbeit 65 2.3. Indirekter Arbeitszwang 66 2.4. Wegzugsbeschränkungen 70 4 3. Das koloniale Arbeitsrecht der praereformerischen Zeit 73 3.1. Arbeiteranwerbung 74 3.2. Geltungsbereich der Arbeitsverträge 76 3.3. Erklärung und Form des Arbeitsvertrages 77 3.4. Beschränkungen der Dauer des Arbeitsvertrags 78 3.5. Lohnvergütung 79 3.6. Beendigung des Arbeitsvertrags 80 3.7. Fürsorgebestimmungen 81 4. Die „Farbigenstrafrechtspflege“ 1884-1906 85 4.1. Prügelstrafe und „väterliche Züchtigung“ als Beitrag zur Menschwerdung des Afrikaners? 91 4.2. Gründe zur Anwendung der Prügelstrafe 91 4.3. Amtliche und private „Züchtigung“. Formale Unterschiede in der körperlichen Misshandlung der Afrikaner 93 4.3.1. Die kodifizierte Prügelstrafe 94 4.3.2. Das „väterliche Züchtigungsrecht“ der deutschen Siedler 96 IV. Wirtschafts- und Finanzpolitisches Resümee der Jahre 1884 bis 1906 99 V. Eine Bilanz der Jahre 1885-1906 107 Die „Ära Dernburg“ (1906 bis 1910) 114 I. Die deutsche Kolonialpolitik nach Dernburgs Amtsantritt 1906 114 1. Die Ernennung Dernburgs zum Kolonialdirektor 114 1.1. Persönlichkeit Dernburgs und dessen bisheriger beruflicher Werdegang 116 1.2. Vorbereitung auf das neue Amt 123 1.3. Der Reichstag und die Kolonialpolitik von November-Dezember 1906 124 1.4. Die Auflösung des Reichstags 128 1.5. Der Wahlkampf 1906/1907: „Führ Ehr und Gut der Nation gegen Sozialdemokraten, Polen, Welfen und Zentrum!“ 130 1.6. Kritik an Dernburgs Wahlkampfprogramm 134 1.7. Das Ergebnis der Reichstagswahlen 135 1.7.1. Gründung des Reichskolonialamts 136 5 1.7.2. Die Auflösung des Kolonialrats 140 2. Dernburgs Informationsreisen in die afrikanischen Kolonien 145 II. Eingeborenenpolitik in der „Ära Dernburg“ (1906-1910) 156 1. Dernburgs „neues“ Kolonialprogramm 156 1.1. Dernburgs Eingeborenenpolitik. Reformen zur Lösung der „Arbeiterfrage“ 158 1.2. Dernburgs Kolonialprogramm. Ein Novum seiner Zeit? 162 1.3. Eine Eingeborenenpolitik im Dienste der Humanität? 167 1.4. Dernburgs Afrikabild und seine Kolonial-Konzept-Legitimation 169 2. Kolonialdiskussionen über Dernburg Reformen. Standpunkte vom Utilitarismus zum Sozialdarwinismus 173 2.1. Das rassistische Selbstverständnis der deutschen Ansiedler. „Negrophile“ und Sozialdarwinismus 173 2.2. Reformen im Spiegel der Öffentlichkeit 186 2.2.1. Ansiedler und nationale Presse 186 2.2.2. Reaktionen der Kaufmannschaft und Kolonialbeamten 190 2.2.3. Positionen im Reichstag 192 3. Die Umsetzung der Dernburgschen Reformen. Beginn einer humanen Ära? 207 3.1. Die Expropriation der indigenen Bevölkerung 207 3.2. Zwangsarbeit und indirekter Arbeitszwang während der „Ära Dernburg“ 212 3.3. Wegzugsbeschränkungen 221 3.4. Das Arbeitsrecht der Eingeborenen 223 3.4.1. Arbeiteranwerbung 227 3.4.2. Arbeitsverträge. Geltungsbereich der Bestimmungen 238 3.4.3. Erklärung und Form des Arbeitsvertrages 240 3.4.4. Beschränkungen der Dauer des Arbeitsvertrags 244 3.4.5. Lohnvergütung 246 3.4.6. Beendigung des Arbeitsvertrags und Vertragsbruch 251 3.4.7. Fürsorgebestimmungen 258 3.5. Eingeborenenkommissare als Stütze deutscher Herrschaft 279 3.6. Die Reformierung der „Farbigenstrafrechtspflege“? 285 3.6.1. Eingeborenenrechtsreform 286 3.6.2. Kodifizierte Prügelstrafe 292 3.6.3. Väterliches Züchtigungsrecht 301 6 3.7. Die Förderung wissenschaftlicher Methoden 303 3.7.1. Die Ausbildung der Kolonialbeamten und Förderung wissenschaftlicher Institute 304 3.7.2. Das koloniale Schulwesen unter Dernburg 309 III. Dernburgs politischer Kurswechsel 318 IV. Wirtschafts- und Finanzpolitik unter Dernburg 330 V. Schlussbemerkung 339 VI. Quellen und benutzte Literatur 349 VII. Abkürzungsverzeichnis 366 7 Vorwort „Sorglose Trägheit, rohe Sinnlichkeit, Eitelkeit, Prunkliebe, Leidenschaftlichkeit, Rücksichtslosigkeit, ja Grausamkeit; daneben auch Gutmütigkeit und tierische Anhänglichkeit und teilweise Unterwürfigkeit; Liebe zum Lärm, zur Musik- soweit sie diesen Namen verdient- und Spiel. Geistige Bedürfnisse hat der Neger nicht, Wissensdurst ist ihm fremd, hat er hinreichend zu essen und eine Pfeife Tabak, dann fehlt ihm nichts mehr.“1 Mit dieser Sichtweise ließ sich die Unterwerfung und Ausbeutung der afrikanischen Stammesgesellschaften ohne moralische Skrupel rechtfertigen, und es begann die 30 Jahre währende deutsche Kolonialära. Aus der Kurzlebigkeit des deutschen Kolonialreichs wie auch der „relativen Folgenlosigkeit dieser historischen Erfahrung für das gegenwärtige politisch- historische Bewusstsein in Deutschland“2 ist die Tatsache zu begründen, dass die deutsche Kolonial-Ära im Geschichtsbewusstsein der deutschen Bevölkerung eine eher marginale Rolle zu spielen scheint. Tatsächlich aber ist die Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte insofern geboten, als ihre Auswirkungen auf die Bevölkerung der ehemaligen Kolonialgebiete auch heute noch zu erkennen sind: Für die betreffenden Völker Afrikas und Asiens bedeutete die Berührung mit den europäischen Vorstellungen von Zivilisation, Humanismus und Religion „einerseits einen radikalen Bruch mit ihrer Vergangenheit und kulturhistorischen Identität, andererseits den Ausgangspunkt für einen letztlich wohl unvermeidbaren sozialen und kulturellen Wandel und eine neue nationale Identitätsfindung“3. Deutschland trägt dementsprechend einen bedeutsamen Teil dieser historischen Verantwortung, so dass eine detaillierte Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit geboten ist. 1 Hey, Friedrich: Die Eingeborenen West-Afrikas und unsere Stellung zu ihnen. In: Die Deutschen Kolonien. Monatsschrift des Deutschvölkischen Kolonialvereins 6 (1907), S. 48. Hier zit. nach Gründer, Horst: „… da und dort ein junges Deutschland gründen“ Rassismus, Kolonien und kolonialer Gedanke vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, München 1999, S. 251 f. 2 Gründer, Horst: Geschichte der deutschen Kolonien, 5. Aufl., Paderborn 2004, S. 9 und Wassink, Jörg: Auf den Spuren des deutschen Völkermordes in Südwestafrika. Der Herero- und Nama-Aufstand in der deutschen Kolonialliteratur. Eine literarhistorische Analyse, München 2004, S. 17. 3 Gründer, Horst: Geschichte der deutschen Kolonien, S. 9. 8 Einleitung Als das Deutsche Reich im Jahre 1884 die kolonialpolitische Weltbühne der großen Nationalstaaten betrat, war der Wettlauf um die Aufteilung der Welt bereits zugunsten Frankreichs und Groß-Britanniens entschieden. Erst durch die im Jahre 1871 erfolgte Reichsgründung und die seit Ende der 1870er Jahre in Europa vorherrschenden „außenpolitischen Schönwetterlage“4 war das Eintreten des Deutschen Reiches in die Kolonialpolitik realisierbar geworden. Im Zuge der „nationalen Aufbruchstimmung“5 gab Reichskanzler von Bismarck seine anfängliche Zurückhaltung gegenüber einer staatlichen Kolonialpolitik auf, so dass in relativ kurzer zeitlicher Abfolge Gebiete in Afrika und Asien unter deutsche Schutzherrschaft gestellt wurden6. Der Versuch, die für
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