Cello Konzerte Deutsche Radio Philharmonie Christoph Poppen 02 03 Auf ganz besondere Weise faszinieren mich diese in reiferen Jahren an ihrer Sprache unmittelbar durch die melodischen Linien oder die rhythmi- Meisterwerke der neueren Celloliteratur, deren zu identifizieren; und alle gaben sich, nachdem sche Gliederung tragen lassen, ohne sich um an- Komponisten am musikalischen Scheideweg des sie sich erst einmal die tonkünstlerischen Hörner deres kümmern zu müssen“ – gewiss ein Leichtes Deutsch 20. Jahrhunderts bewusst den Pfad des Serialismus abgestoßen hatten, ganz eindeutig als Kinder ih- angesichts der köstlichen Kantilene, die sogleich Deutsch vermieden und bei konsequenter Verfolgung ihrer rer Heimatländer zu erkennen: Der böhmische in allen spektralen Farben über uns ausgespannt ganz eigenen Sprachen jeweils hochdramatisches Akzent, den Bohuslav Martinů nur vorüberge- wird, wenn der Solist sich erstmals zu Worte mel- Cello-Musiktheater geschaffen haben. Es lag für hend ablegt, als er in der Seine-Metropole die det. Mehr noch, es entsteht „der Eindruck einer mich also nahe, sie in einem Programm zu koppeln große Welt der Musik entdeckt; der französische Erzählung“, wie ihn Honegger in seinen Komposi- und in einem Gedankenspiel zu fragen, wie sich Zungenschlag des in Le Havre gebürtigen Schwei- tionen erzeugen wollte, einer jener Romane oder denn wohl unsere Musik und der damit einherge- zers Arthur Honegger; und schließlich der „Ton- Novellen, als die ihm sinfonische Werke erschie- hende Betrieb der Neuen Musik hätten entwickeln satz“, mit dem Paul Hindemith seit dem Ende der nen, „wobei die verschiedenen Themen den Per- können, wären diese anderen Wege von Anfang an zwanziger Jahre allmählich seine bürgerschreckli- sonen entsprächen. Wir verfolgen, nachdem wir von einer breiteren Anhängerschaft konsequent che Turbulenz in die Bahnen einer idealisierten ihre Bekanntschaft gemacht haben, ihre Entwick- mitgetragen worden. „altdeutschen“ Geschichte lenkt, um wie ein lung und den Ablauf ihres seelischen Verhaltens.“ Mathis der Maler Werk und Handwerk, Volksgut Johannes Moser und Kunst, Spielmannsweise und Spiritualität Diese erzählerische Attitüde verbindet sich mit mit ei nander zukunftsweisend zu versöhnen – einem Genre, dem Arthur Honegger besonders aus all dem hören wir je ganz eigene Charakter- zugetan war: dem Film. Harte Schnitte neben Ob es der Blitz ist, der die nächtliche Landschaft der Weisen gefunden, war der Bruch mit der Ge- züge, die sich potenzieren, wo sie einander äh- langsamen Überblendungen, weiches Licht und des noch ungeschaffenen Kunstwerks in all ihren schichte so radikal, dass nicht die kleinste Erfah- neln, indessen auch ihre Gegensätze sich nicht jäh aufgleißende Scheinwerfer, darin Gestalten Konturen erhellt, wie es Paul Hindemith erlebte; rung mehr Gültigkeit haben durfte – mit dem Re- ausschließen, sondern wechselseitig erhellen. voll schmachtender Blicke und andere von trium- ob man jemandem nur ein Blatt Notenpapier vor- sultat, dass auf eine Ode an den Westwind Myria- phierendem Aplomb – ist die Partitur am Ende halten musste, um es binnen kurzem voller Mu- den serieller Partituren kommen, deren Papier Nehmen wir zunächst Arthur Honegger am Bei- gar das Drehbuch zu einer nächtlichen Geschich- sik zurückzubekommen wie im Falle Bohuslav gut und gern anderen Nutzungszwecken hätte spiel des Konzertes aus dem Jahre 1929. Er be- te voller unausgesprochener Abenteuer, die der Martinůs; oder ob einer wie Arthur Honegger die zugeführt werden dürfen. Indessen gingen ober- wundert und beneidet nach eigenen Worten (Ich konzertante Protagonist bravourös besteht? Inspiration zu einer Komposition eher als die Pla- halb des Abgrunds die – aus der Tiefe behohnlä- bin Komponist) die Kollegen Milhaud und Hinde- nung eines Gebäudes beschreibt, das sich zu- chelten – Meister ihrem Berufe nach und schufen mith, „denen die Arbeit so leicht fällt, dass sie in Während sich Honegger beim Komponieren vor- nächst nur undeutlich in seinem Gesamtumriss faszinierende Werke, so individuell wie ihre Ver- unaufhörlichem Flusse schreiben“, und er gibt zu, kam, als sollte er „eine Leiter aufstellen, ohne sie Cello-Konzerte zeigt: Tausend und mehr Wege führen nicht nur fasser, einprägsam in ihren unverwechselbaren dass ihm gerade sinfonische Werke viel Mühe be- an eine Mauer anlehnen zu können“, muss der | in die Ewige Stadt, sondern auch zu jenen heili- Gestalten und in ihren musikalisch-technischen reiten: „Sie verlangen eine ununterbrochene Kon- zwei Jahre ältere Bohuslav Martinů in seinen gen Stätten, in denen der creator spiritus wohnt, Herausforderungen von der Umgebung ebenso zentration der Überlegung.“ Dennoch werden wir emsigsten Jahren ein regelrechtes Gravitations- und wer da getreulich eine dieser Straßen wan- unterschieden wie durch den Intensitätsgrad ih- völlig vergebens nach dieser „Schwere“ suchen. feld erzeugt haben, das seine musikalischen derte, geriete nicht in jenes finstere Tal, in das rer jeweiligen Botschaft und Emotionen. Die gemächlich-verführerische Anfangsgeste, das Schöpfungen vor dem Umfallen bewahrte. Zu- vor einem halben Jahrhundert die leichtgläubi- völlig entwaffnende, wahrhaftige Chanson mindest immer dort, wo ihm Erhebliches, wenn gen Tonkunstjünger gleich scharenweise stürzten Die Suche nach solchen Individualitäten be- (Track 7, ab 1:06), die kunstvollen Metamorpho- nicht gar Großes gelang, denn seine Produktivi- bei dem Versuch, nicht hinter den „Stand des Ma- stimmte denn auch das vorliegende Programm, sen und schließlich auch der zyklisch übergrei- tät war so kolossal, dass bis heute wohl nicht terials“ zurückzufallen. in dem Johannes Moser drei konzertante Meister- fende Brückenschlag bieten eine unangestrengte einmal der bedeutende Martinů-Kenner Harry werke des 20. Jahrhunderts miteinander ins Ge- Vorstellung von Honeggers melodischer und ar- Halbreich (er verbirgt sich hinter dem H. des Dass Technik noch nie Persönlichkeit ersetzte, spräch kommen lässt. Die drei Komponisten ge- chitektonischer Zielsetzung: „Die höchste melo- Werkverzeichnisses) abschließende Angaben hätte ein Blick in die Historie lehren können. hörten einer einzigen Generation an, sie kannten dische Form schwebt mir vor als ein Regenbogen, über den tatsächlichen Umfang des Œuvres ma- Doch nach 1945 hatte man ja endlich den Stein und schätzten einander, alle drei sind spätestens der aufsteigt und fällt [...] Die Hörer sollten sich chen könnte. Natürlich, manches geriet durch- ORCHESTRA Hindemith · Honegger Martinů· 02 03 Auf ganz besondere Weise faszinieren mich diese in reiferen Jahren an ihrer Sprache unmittelbar durch die melodischen Linien oder die rhythmi- Meisterwerke der neueren Celloliteratur, deren zu identifizieren; und alle gaben sich, nachdem sche Gliederung tragen lassen, ohne sich um an- Komponisten am musikalischen Scheideweg des sie sich erst einmal die tonkünstlerischen Hörner deres kümmern zu müssen“ – gewiss ein Leichtes Deutsch 20. Jahrhunderts bewusst den Pfad des Serialismus abgestoßen hatten, ganz eindeutig als Kinder ih- angesichts der köstlichen Kantilene, die sogleich Deutsch vermieden und bei konsequenter Verfolgung ihrer rer Heimatländer zu erkennen: Der böhmische in allen spektralen Farben über uns ausgespannt ganz eigenen Sprachen jeweils hochdramatisches Akzent, den Bohuslav Martinů nur vorüberge- wird, wenn der Solist sich erstmals zu Worte mel- Cello-Musiktheater geschaffen haben. Es lag für hend ablegt, als er in der Seine-Metropole die det. Mehr noch, es entsteht „der Eindruck einer mich also nahe, sie in einem Programm zu koppeln große Welt der Musik entdeckt; der französische Erzählung“, wie ihn Honegger in seinen Komposi- und in einem Gedankenspiel zu fragen, wie sich Zungenschlag des in Le Havre gebürtigen Schwei- tionen erzeugen wollte, einer jener Romane oder denn wohl unsere Musik und der damit einherge- zers Arthur Honegger; und schließlich der „Ton- Novellen, als die ihm sinfonische Werke erschie- hende Betrieb der Neuen Musik hätten entwickeln satz“, mit dem Paul Hindemith seit dem Ende der nen, „wobei die verschiedenen Themen den Per- können, wären diese anderen Wege von Anfang an zwanziger Jahre allmählich seine bürgerschreckli- sonen entsprächen. Wir verfolgen, nachdem wir von einer breiteren Anhängerschaft konsequent che Turbulenz in die Bahnen einer idealisierten ihre Bekanntschaft gemacht haben, ihre Entwick- mitgetragen worden. „altdeutschen“ Geschichte lenkt, um wie ein lung und den Ablauf ihres seelischen Verhaltens.“ Mathis der Maler Werk und Handwerk, Volksgut Johannes Moser und Kunst, Spielmannsweise und Spiritualität Diese erzählerische Attitüde verbindet sich mit mit ei nander zukunftsweisend zu versöhnen – einem Genre, dem Arthur Honegger besonders aus all dem hören wir je ganz eigene Charakter- zugetan war: dem Film. Harte Schnitte neben Ob es der Blitz ist, der die nächtliche Landschaft der Weisen gefunden, war der Bruch mit der Ge- züge, die sich potenzieren, wo sie einander äh- langsamen Überblendungen, weiches Licht und des noch ungeschaffenen Kunstwerks in all ihren schichte so radikal, dass nicht die kleinste Erfah- neln, indessen auch ihre Gegensätze sich nicht jäh aufgleißende Scheinwerfer, darin Gestalten Konturen erhellt, wie es Paul Hindemith erlebte; rung mehr Gültigkeit haben durfte – mit dem Re- ausschließen, sondern wechselseitig erhellen. voll schmachtender Blicke und andere von trium- ob man jemandem nur ein Blatt Notenpapier vor- sultat, dass auf eine Ode an den Westwind Myria- phierendem Aplomb – ist die Partitur am Ende halten
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