CONFESSIO AUGUSTANA Kultur Henri Marteau Künstler und Mensch (1874–1934) – von Wilfried Schönweiß – enri Marteau wurde am 31. März dent der Philharmonischen Gesell- 1874 in Reims/Champagne gebo- schaft in Reims. Dies waren ideale ren.H Der Vater, Charles Marteau, Bedingungen für die früh sich ab- Franzose, entstammte einer Industri- zeichnende intellektuelle und künst- ellenfamilie, die auf ein altes Aragon- lerische Hochbegabung von Henri nen-Geschlecht zurück- Marteau, welche die Bild: privat ging. Die Mutter, Clara Eltern in vielfältiger Wilfried Schön- Marteau, geborene Hinsicht förderten. weiß war nach Schwendy, deren Vor- Neben seinem Instru- Jahren in der fahren aus dem würt- ment galt Marteaus Mission Pfarrer tembergischen Adelsge- Liebe den Sprachen, im Schuldienst schlecht der Freiherrn der Geschichte und der und Studiendi- rektor. von Schwendy kamen, Literatur. Zeugnisse Er war der stammte aus einem dafür sind die Kenntnis Initiator und gutbürgerlichen Haus mehrerer Sprachen, Organisator in Dresden. darunter auch Altgrie- der ersten Die Musik nahm im chisch, und seine mehr- Marteau-Violin- Hause Marteau einen wichtigen Rang tausendbändige Hausbibliothek. Als wettbewerbe. ein. Die Mutter, mit Clara und Ro- Violinpädagoge erinnerte er seine bert Schumann befreundet, war eine Schüler immer wieder daran, dass ausgezeichnete Pianistin. Der Vater, neben dem Geigenstudium allgemein- der selbst Geige spielte, war Präsi- bildende Studien Voraussetzung für Schönweiß 50 CA IV/2011 einen ernstzunehmenden Künstler Henri Marteau gewidmet“ versah, seien. die im Jahr 1887 in der Kathedrale zu Reims uraufgeführt wurde. SCHON ALS KIND GENIAL WELTKARRIERE Im Hause Marteau gingen bedeu- tende Persönlichkeiten aus Kunst Den Grundstein für seine Weltkar- und Wissenschaft ein und aus. So riere legten die Konzertauftritte in auch der Violinvirtuose Camillo Sivo- Wien und London, wo der Dreizehn- ri, Paganinischüler. Das Geigenspiel jährige 1887/88 unter dem berühm- Sivoris faszinierte den fünfjährigen ten Dirigenten Hans Richter (1843– Henri so sehr, dass auch er Geiger 1916) — er dirigierte die Uraufführung werden wollte. Sein von Richard Wagners Bild: WWW.hAus-mArteAu.de erster Lehrer war „Ring der Nibelun- Musikbegeistert der Schweizer Au- gen“ bei den Bay- – konnte gust Bünzli. Zwei reuther Festspielen Marteau auch Jahre später wurde — das berühmte Vio- viele andere Henri Schüler des linkonzert g-Moll von begeistern. weltberühmten Kom- Max Bruch spielte. ponisten, Violinvirtu- Unter den Zuhö- osen und Violinpäda- rern war auch Johan- gogen — Haupt der nes Brahms (1833— bekannten franco- 1897), der von dem belgischen Geigen- jungen Geiger re- schule – Hubert Leo- gelrecht schwärmte. nard (1819–1890) in Sein Biograph und Paris. Er war sein Musikkritiker Max wichtigster Lehrer. Kalbeck schrieb: Bereits mit 10 Jah- „… wirklich ist das ren gab Henri mit Spiel Marteaus das dem Violinkonzert Nr. 5 seines Leh- eines Mannes. In nichts verrät es das rers Leonard sein Debüt vor über jugendliche Alter des Virtuosen ... 2000 begeisterten Zuhörern in seiner Der kleine Mann braucht deswegen Heimatstadt Reims, dem ein Jahr nicht wie andere Wunderkinder vor später Mendelssohn-Bartholdys Vio- dem Älterwerden zu zittern. Seine linkonzert folgte. Kunst kommt ohne Geburtszeugnis Der bekannte französische Kom- aus.“ ponist Charles Gounod (1818–1893) Mit diesen Konzerten war das Tor war vom Spiel des Zehnjährigen zu den europäischen Fürsten- und Henri Marteau so begeistert, dass er Herrschaftshöfen und zur internatio- in seine Jubelmesse, die er in Erin- nalen Konzertwelt offen — besonders nerung an Jeanne d‘Arc und die Krö- zur neuen Welt. nung Karl VII. (1492) komponierte, Als Neunzehnjähriger startete er als „musikalisches Hors d‘ceuvre“ 1893 seine erste Amerika-Tournee mit ein Violin-Solo mit Orgelbegleitung 50 Konzerten, der sich gleich eine mit dem Vermerk „meinem kleinen zweite Tournee 1893/94 mit 100 Kon- CA IV/2011 51 Kultur zerten anschloss. Am 15. Dezember Marteau 1900 einem Ruf an das Con- 1893 spielte Marteau die Erstauffüh- servatoire de Musique de Geneve. rung des Violinkonzerts von Johan- Violinstudenten aus der ganzen Welt nes Brahms in der New Yorker Car- kamen nach Genf, darunter auch negie Hall. Anton Dvorákˇ (1841— sein wohl bester Schüler, der 1904), dessen Symphonie Nr. 9 „Aus Deutsch-Amerikaner Florizel Reuter der neuen Welt“ am gleichen Kon- (1890—1985), der später zwei Genera- zertabend uraufgeführt wurde, war tionen von Geigern in Amerika aus- vom Spiel Marteaus so sehr beein- bilden sollte. In seinem Leben unter- druckt, dass er ihm die Erstauffüh- richtete Marteau über 500 Schüler. rung auch seines Violinkonzertes in In Genf gründete Marteau sein den USA antrug. erstes Streichquartett und eine eige- Es folgten Konzertreisen durch ne Konzertreihe, zu der er Geigenvir- Skandinavien und Osteuropa. tuosen wie Joseph Joachim, Eugène Über 8500 Konzerte spielte Mar- Ysaÿe und Fritz Kreisler einlud. teau in seinem Leben. Mit seiner In Genf war es auch, dass die an berühmten Geige, die Giovanni Mag- sechs Abenden gespielten 45 Werke gini (1579—1630) aus Brescia gebaut von Mozart für Klavier und Violine hat und auf der Mozart einst seine Marteau den Ruf einbrachten, der Violinkonzerte bei Hofe gespielt ha- beste Mozart-Interpret seiner Zeit zu ben soll — die Geige war im Besitz sein. In dieser Zeit war auch sein von Kaiserin Maria Theresia –, er- Eintreten für das Bach’sche Werk, oberte er die Konzertsäle der Welt. vor allem für die Solo-Violinsonaten, Darunter war auch 1926 ein Konzert beispiellos. Ein Höhepunkt war das in Jerusalem, wo er mit dem Orches- Leipziger Bachfest 1908, bei dem ter aus Tel-Aviv im über 5000 Perso- Marteau mit Max Reger zwei Sona- nen fassenden Amphitheater auf dem ten sowie die beiden Solosonaten Ölberg Violinkonzerte von Bach, C-Dur und d-Moll von Bach spielte. Mozart und Beethoven spielte. Und am 20. Februar 1933 konzertierte FAMILIENGRÜNDUNG Marteau auch mit dem Organisten Rudolf Zartner in der Anstaltskirche In Genf heiratete Henri Marteau in Neuendettelsau. Das Programm im Jahr 1900 die Deutsche Agnes von enthielt vornehmlich Werke von Ernst. Im Jahr 1903 kam der Sohn, Bach. den die Eltern in Verehrung Bachs Johann Sebastian nannten, zur Welt. BESTER MOZART-INTERPRET Als Jean Marteau wurde er in der französischen Schweiz ein bekannter Als wunderbarer Botschafter der Schriftsteller. Musik war er zugleich Mittler zwi- In zweiter Ehe war Marteau seit schen den Völkern. „Licht senden in 1910 mit der aus Straßburg stammen- die Tiefen des menschlichen Herzens den Deutschen Blanche Hirsekorn ist des Künstlers Beruf.“ Ganz im verheiratet. Die Kinder aus dieser Einklang mit diesen Worten Robert Ehe waren die Töchter Raymonde, Schumanns sah Marteau seine Beru- Marcelle, Blanchette und der Sohn fung. – Bereits mit 26 Jahren folgte Eugen Hendrik. Blanche Marteau hat Schönweiß 52 CA IV/2011 über ihre Familie und besonders von Bach, Mozart und Beethoven – ausführlich über die glanzvolle Welt- ebenso wie die Werke zeitgenössi- karriere ihres Mannes in ihrem 1971 scher Komponisten, für die er sich erschienen Buch „Henri Marteau vehement einsetzte. Es störte Mar- — Siegeszug einer Geige“ eindrucks- teau nicht, wenn es dabei nicht im- voll berichtet. mer zu einem Kassenerfolg kam. Auf seinen Programmen standen Namen KÖNIGLICH PREUSSISCHER PROFESSOR Im Jahr 1907 starb der geniale Geiger und Komponist Joseph Joa- chim. Die unangefochtene Hochach- tung, die Joachim zuteil wurde, überstrahlte die ganze zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Dieses Geiger- fürsten Vermächtnis war es, Henri Marteau einmal zu seinem Nach- folger an die von ihm gegründete „Königlich-Preußische Hochschule für Musik“ in Berlin zu berufen. Marteau alleine traute er zu, dass der klassische Musikgeist, der nur den Dienst am Werk kennt, weiterge- führt würde. So kam es, dass der Bild: WWW.ViolinWettBe- Franzose Marteau 1908 zum könig- wie Carl Nielsen, Jules Massenet, WerB-mArteAu.de Wohnhaus lich--preußischen Professor auf Le- Camille Saint Saëns, Cesar Franck, der Familie benszeit ernannt wurde. Leander Schlegel, Christian Sinding, Marteau in Der preußische König und deut- Tor Aulin, Joseph Lauber, Wilhelm Lichtenberg/ sche Kaiser Wilhelm II. (1888—1918) Stenhammer, Karl Fritjof Valentin, Oberfranken – empfing Marteau in Audienz und Johan Svendsen, Edvard Grieg, Lud- heute Internati- sagte zu ihm: „Sie sind mir als Fran- wig Thuille, Cäsar Cui, Friedrich onale Musikbe- zose ebenso willkommen, wenn Sie Gernsheim und Max Reger. Aus der gegnungsstätte mir nur unsere Jugend in dem Geist Reihe dieser Komponisten stammen in Trägerschaft des Bezirks erziehen, der Ihrer weltgültigen mehrere Werke, die Marteau gewid- Oberfranken. Kunst entspricht.“ met sind. Im dreijäh- Die Jahre zwischen 1908 und 1914 rigen Rhyth- gehörten zu den Höhepunkten in MARTEAU UND MAX REGER mus findet der Marteaus künstlerischer Laufbahn. internationale 1910 hatte er 123 Konzertauftritte. 1911 Geigen-Wettbe- Eine besondere Freundschaft, spielte er in Berlin an sechs Aben- werb statt. verband Henri Marteau mit Max den 18 Violinkonzerte mit dem Blüth- Reger (1873—1916). Marteau erkannte nerorchester unter dem Hofkapell- früh die Genialität Regers. So spielte meister Richard Sahla. Sein reiches er mit dem weithin noch unbekann- Repertoire enthielt die Werke klassi- ten Komponisten, der auch ein her- scher Violinliteratur — besonders die vorragender Pianist war, rund 40 CA IV/2011 53 Kultur Hüttner war es auch, der Marteau und seine Frau bald darauf in das oberfränkische, an der bayerisch-
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