Ärzte und Medizin im Nationalsozialismus H. Zehmisch Deutsche Hakenkreuzmedizin Ideologen und Praktiker dass man noch 60 Jahre nach dem Ende des Dieser hatte ihn in Landsberg mehrmals be- Hitlerfaschismus fragen muss, wie so etwas sucht, war für die NSDAP ein aktiver Geld- geschehen konnte. beschaffer und besaß die richtige Weltanschau- ung (Juden- und Marxistenhasser). Mutsch- Zur Vorgeschichte mann war Gauleiter von Sachsen, wurde 1933 Auftrieb bekamen die deutschen Rassenhy- von Hitler zum Reichsstatthalter für Sachsen gieniker nach dem Ersten Weltkrieg, als mit ernannt und 1935 war er nach Ausschaltung ihren Worten wertvolles deutsches Erbgut auf von v. Killinger bis Mai 1945 auch Minister- den Schlachtfeldern verblutete und die Wehr- präsident von Sachsen. Mutschmanns diktato- unfähigen in der Heimat die Fortpflanzung rische Handlungen konnte niemand bremsen, von minderwertigem Nachwuchs besorgten. selbst Hitler ließ ihn bei der Abschaffung von Der aus Chemnitz stammende und in Zwi- Ministerien und der eigenwilligen Ablösung von ckau als Bezirksarzt tätig gewesene Dr. Gus- Ministern und Oberbürgermeistern gewähren. tav Boeters entfachte in den 20er Jahren eine In Plauen hatte Mutschmann nicht nur An- heftige Polemik zur Sterilisation Minderwer- hänger. In der „Plauener Volkszeitung“ wurde tiger. In seiner „Lex Zwickau“ hatte er die er nach dem Ersten Weltkrieg als Garnschie- Sterilisation blinder, taubstummer und blöd- ber angegriffen. Symbol für die Hakenkreuz-Medizin sinniger Kinder vor der Einschulung gefor- Der Redakteur dieser Zeitung, Eugen Fritsch, Statt eines Vorwortes: dert. Mit seinen an die obersten Behörden wurde im November 1933 im KZ Hohnstein Albert Schweitzer: „Wir müssen aus dem gerichteten Gesetzesvorschlägen kam er zwar (Elbsandsteingebirge) umgebracht. Schlafe aufwachen und unsere Verantwortung nicht durch, aber als geistigen Impulsgeber Die Gleichschaltung der Ärzteschaft übertrug sehen“. (auf seine Veranlassung wurden in Zwickau Hitler 1933 Dr. Gerhard Wagner (1888 bis in den 20-er Jahren über 250 heimliche Steri- 1939), den er zum Reichsärzteführer bestimmte. Boris Polewoi („Nürnberger Tagebuch“ – lisationen durchgeführt) muss man Gustav Wagners erstes Ziel war die Entjudung des nach der Urteilsverkündung im Kriegsverbre- Boeters (1869 bis 1942) ansehen. Berufsstandes. Mit dem Gesetz vom 7. 4. 1933 cherprozess am 1. Oktober 1946): „Zur Wiederherstellung des Berufsbeamten- Als Adolf Hitler 1923/24 in Landsberg inhaf- tums“ und dem „Arierparagraph“ wurden mit „...Doch das Wichtige sind nicht sie, tiert war und sein Machwerk „Mein Kampf“ Wagners Worten sehr schnell „die eigenen diese Handlanger Hitlers, schrieb, las er auch rassenhygienische Lite- Reihen gesäubert“. 1936 waren 30 Prozent das Wichtigste ist der Nazismus, seine Ideen. ratur. Er erkannte die Nützlichkeit dieser der deutschen Ärzte Mitglieder der NSDAP. Er, seine grauenvolle Grimasse, Ideen und die damit verbundene Rolle der Bei einer Gesamtmitgliederzahl von 2,5 Mill. wurde vor der ganzen Welt entlarvt. Ärzte für seine politische Zielstellung: ein lag von den 32 Gauen der Gau Sachsen 1935 Ob aber der Nazismus als Ideologe zum Tode rassereines großdeutsches Reich. mit einem Anteil von 9,2 Prozent an der oder nur zu zeitweiliger Haft verurteilt wurde, Spitze und auch bei den Mitgliedern im NSD- diese wichtige Frage ist noch nicht Die Mächtigen und ihr Apparat Ärztebund lag der Gau Sachsen ganz vorn. entschieden. Mit der Machtübernahme 1933 wurden sofort Die NS-Ideologie fiel bei der deutschen Ärz- Darüber wird die Zukunft Auskunft geben“. alle Schlüsselpositionen mit „alten Kämp- teschaft schon auf fruchtbaren Boden, denn fern“ besetzt und alle Veränderungen nach die Mitgliedschaften in SA und SS kommen dem Führerprinzip und mittels Gleichschal- noch dazu. Deutsche Hakenkreuzmedizin tung durchgesetzt. In Sachsen wusste Hitler Wie das Führerprinzip von Wagner umgesetzt Das Hakenkreuz war das Symbol für den einen treuen Gefolgsmann, den Plauener Spit- wurde, zeigen seine Ämter, die er bis zu Nationalsozialismus im Dritten Reich. In zenfabrikanten Martin Mutschmann. seinem Tode innehatte. Er war gleichzeitig dieser Zeit wurde von einer Minderheit aller deutschen Ärzte ein finsteres Kapitel der Medizingeschichte geschrieben. Urheber und ihre Helfer für Verbrechen gegen die Mensch- lichkeit haben wehrlosen Menschen bleiben- de Wunden zugefügt und Tausende erbar- mungslos in den Tod geschickt. Im Nürnber- ger Ärzteprozess (Dezember 1946 bis Juli 1947) waren 22 Ärzte und eine Ärztin ange- klagt. Alexander Mitscherlich und Fred Mielke haben den Prozessverlauf dokumen- tiert in „Das Diktat der Menschenverachtung“ Martin Mutschmann, Dr. Arthur Gütt und „Medizin ohne Menschlichkeit“. Das von 1933 bis 1945 Reichsstatthalter in Sachsen, Experte für Zwangssterilisation Ausmaß der Naziverbrechen ist so gewaltig, Foto: Verwaltungsbericht Plauen, 1931/32 Foto: Deutsches Ärzteblatt 69 (1939) 142 Ärzteblatt Sachsen 4/2005 Ärzte und Medizin im Nationalsozialismus Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (GVeN) Der Zwangssterilisation wurde unterworfen, wer unter folgende Diagnosen fiel: angebore- ner Schwachsinn, Schizophrenie, manisch- depressives Irresein, erbliche Fallsucht, erbli- cher Veitstanz, erbliche Taub- und Blindheit, schwere erbliche körperliche Missbildungen, schwerer Alkoholismus. Der Verdacht war meldepflichtig. Die Mel- dung ging an den Amtsarzt, der wie Anstalts- Prof. Dr. Ernst Rüdin direktoren beim zuständigen Erbgesundheits- Fanatischer Rassenhygieniker gericht den Antrag auf Unfruchtbarmachung Foto: E. Rüdin: Erblehre und Rassenhygiene…1934 stellte. Das Urteil wurde von einem Amtsrichter und 2 Ärzten gesprochen. Die Entscheidung fiel Von amerikanischen Soldaten flankiert, Hauptdienstleiter für Volksgesundheit der durch Stimmenmehrheit, das heißt die Ärzte Prof. Dr. Karl Brandt im Ärztprozess in Nürnberg, Urteilsverkündung: Tod durch den Strang NSDAP, Leiter des Amtes für Volksgesund- waren die eigentlichen Richter. Im Dritten heit, Leiter der Reichsärztekammer und SA- Reich gab es ca. 230 Erbgesundheits- und Erb- Im Oktober 1939 fand in der Reichskanzlei eine Sanitätsgruppenführer. gesundheitsobergerichte. Mithin verurteilten Beratung von Euthanasie Experten statt, unter Sein besonderes Interesse galt den Erbkrank- zwischen 1934 und 1945 ca. 500 Ärzte etwa ihnen die Ärzte Prof. Nitsche und Prof. Heyde. heiten und den Nürnberger Rassegesetzen. 350.000 Menschen zur Zwangssterilisation! Die von Nitsche vorgeschlagene Behandlung Die Gleichschaltung des gesamten Gesund- Nach Gütt war es die für die Zukunft des mit Injektionen wurde wegen der berechneten heitswesens besorgte ebenfalls ein alter Kämp- deutschen Volkes notwendige Ausmerze. Es Anzahl von 70.000 Fällen verworfen, man fer, der ehemalige Wandsbeker Kreisarzt Dr. ist bedauerlich, dass der Deutsche Bundestag einigte sich auf das Kohlenmonoxyd. Die erste Arthur Gütt. Die unterschiedlichen Landes- das GVeN erst 1998 als Unrecht anerkannte. bewusste Tötung erfolgte mit Billigung Hitlers strukturen beseitigte Gütt mit der Einführung im Juli 1939 unter Beobachtung von Dr. Karl der Gesundheitsämter mit einheitlichem Euthanasie Brandt in der Universitäts-Kinderklinik Leip- Aufbau. So gab es in jedem Gesundheitsamt Nach der Ausmerze kam die Auslöschung von zig (Werner Catel) an einem schwerstbehin- eine Abteilung für Rassenpflege, die Sip- Kranken. Das als T4-Aktion geheime Ver- derten Säugling durch Injektion. penakten über erbkranke Personen und deren brechen geht angeblich auf eine schriftliche Martin Mutschmann soll schon vor der offi- Familien führte. Gütt war 1934 der höchste Weisung Hitlers zurück, in welchem er sei- ziellen T4-Aktion die Anstaltsdirektoren in Medizinalbeamte im Dritten Reich. Als Medi- nem Begleitarzt Dr. Karl Brandt Befugnisse Sachsen zur Krankentötung aufgefordert zinaldirektor im Reichsinnenministerium war betreffs „Gnadentod“ erteilte. Mit Beginn des haben. Eine T4-Stätte in Sachsen war die er Chef der Abteilung Volksgesundheit. Von Zweiten Weltkrieges wurden Lazarettbetten Landesanstalt Sonnenstein bei Pirna. Bis ihm stammen Arbeitsrichtlinien für Ärzte, und Personal für die Verwundeten benötigt 1939 war hier Prof. Nitsche Leiter gewesen, Apotheker, Hebammen und Heilpraktiker. und pflegebedürftige psychisch Kranke waren der, wie Rüdin einschätzte, nach der Macht- Sein größter Eifer galt dem Kampf gegen die für die NS-Ideologen nur Ballast. ergreifung die Erbgesundheitspflege durch die Erbkrankheiten. Die Bearbeitung des bekann- ten Materials und die Mitwirkung des Rassenhygienikers Prof. Ernst Rüdin und des Juristen Dr. Falk Ruttke ergab das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“, das mit dem 1. Januar 1934 in Kraft trat. In Sachsen wurde die rassenpolitische Propa- ganda und Schulung von dem ehemaligen Kirchberger Praktiker Dr. Ernst Wegner (1900 bis 1945) aktiv unterstützt. Wegner war 1933 Staatskommissar für das gesamte Gesund- heitswesen im Freistaat Sachsen geworden und nutzte seine Position im Deutschen Hygi- ene-Museum für diese Zwecke. Wegner war außerdem Gauärzteführer, Leiter der Ärzte- kammer Sachsens und Rektor der in Dresden ansässigen „Staatsakademie für Rassen- und Gesundheitspflege“, in der die Kurse für Ras- senkunde durchgeführt wurden. Ärzteblatt Sachsen 4/2005 143 Ärzte und Medizin im Nationalsozialismus Fleckfieberimpfstoff-, die Höhen-, die Unter- Dr. Arthur Gütt (1891 bis 1949): kühlungs-, die Meerwassertrink- und die Sul- Er schied 1939 nach einem Jagdunfall aus sei- fonamidversuche. nem Amt. Eine Verurteilung ist nicht
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