Prof. Dr. Dr. Gerhard Vollmer (Neuburg) Gott und die Welt Atheismus, Metaphysik, Evolution 1. Atheismus die Existenz (eines) Gottes in der Regel Der Atheist glaubt nicht an Gott. Das kann bejaht. Gibt es nach meiner Überzeugung unterschiedliche Gründe haben. Entweder nur einen Gott, so bin ich Monotheist; gibt hat er noch nie etwas von Gott gehört; es mehrere, so bin ich Polytheist. das ist sicher nur selten der Fall. Oder er Im Folgenden gehen wir davon aus, dass ist der Meinung, das Wort ‚Gott’ habe es möglich ist, dem Wort ‚Gott’ eine inter- überhaupt keine mitteilbare Bedeutung, subjektiv annehmbare Bedeutung zu ge- sodass alle Sätze, in denen dieses Wort ben. Danach ist (ein) Gott ein höheres oder wesentlich vorkommt, unverständlich oder höchstes personales Wesen, Urgrund, sinnlos seien. Oder er billigt dem Wort Schöpfer und Erhalter der Welt, mäch- ‚Gott’ durchaus eine Bedeutung zu, ist aber tig, klug, gut, gerecht. In der Regel hat er der Meinung, dass es einen solchen Gott noch viele weitere Eigenschaften, die aber oder Götter nicht gebe. Er wird deshalb nicht in allen Religionen dieselben sein auch keine Anstrengungen unternehmen, müssen. darüber etwas herauszufinden. Selbst die genannten Eigenschaften kom- Der Agnostiker dagegen lässt die Frage men nicht allen Göttern zu. So haben die nach der Existenz (eines) Gottes bewusst altgriechischen Götter, so mächtig sie sein offen. Er traut sich nicht zu, über die Exis- mögen, doch auch sehr menschliche und tenz und die Eigenschaften Gottes Aus- durchaus endliche Eigenschaften: Sie ver- sagen zu machen, die sich durch Argu- lieben sich, sind eifersüchtig, parteiisch, mente stützen ließen. Im Allgemeinen ist listig bis hinterlistig, nachtragend, sogar er darüber hinaus der Ansicht, dass sich rachsüchtig; sie konkurrieren miteinander, an dieser Situation auch nichts ändern arbeiten auch gegeneinander und werden werde, dass es uns Menschen also ver- manchmal erst durch ein Machtwort des sagt sei, über die Existenz und die Eigen- Göttervaters zum Frieden gezwungen. schaften Gottes jemals etwas herauszu- Zeus selbst musste sich seine Stellung erst finden. Genau wie der Atheist wird er es blutig erkämpfen, indem er seinen Vater deshalb auch gar nicht erst versuchen. Kronos entmachtete, der seinerseits sei- Der Theist glaubt an (einen) Gott. Dazu nen Vater Uranos bezwingen musste. Bei muss er sowohl dem Wort ‚Gott’ eine ver- mehreren Göttern ist das auch kein Wun- stehbare Bedeutung zusprechen als auch der: Wären alle Götter gleich, so würde ja die Existenz eines solchen Gottes beja- einer von ihnen genügen. hen. Das Wort ‚glauben’ verstehen wir Der Monotheismus hat diese Schwierig- dabei im Sinne einer starken oder schwa- keiten nicht. Es gibt keine Konkurrenz, chen Überzeugung. Diese Überzeugung und Gott kann im Prinzip alle positiven muss nicht ununterbrochen bestehen und Eigenschaften im höchsten Maße besitzen. braucht nicht über alle Fragen und Zwei- (Solche All-Eigenschaften führen häufig zu fel erhaben zu sein. Es genügt, dass man Paradoxien, etwa zur Allmachts-Parado- Aufklärung und Kritik 3/2010, Schwerpunkt Atheismus 7 xie oder zum Theodizee-Problem. Von es, Bücher über Metaphysik hinter die Phy- solchen Schwierigkeiten werden wir hier sikbücher zu stellen? Muss man, biogra- absehen.) fisch gesehen, erst einmal Physik lernen, Der Gott einer monotheistischen Religion um Metaphysik betreiben zu können? Sys- hat allerdings einen so hohen Rang, dass tematisch gesehen, könnte man die Meta- er von den Menschen sehr weit entfernt physik aber durchaus vor die Physik stel- ist. Nach dem christlichen Katechismus len; denn sie untersucht ja gerade das, was ist er ewig und unveränderlich, allmächtig der Physik – allgemeiner der Naturwissen- und allgegenwärtig, allwissend und all- schaft oder sogar aller Erfahrungswissen- weise, größer, gerechter, gütiger, barmher- schaft – vorausliegt. Dazu gehören vor ziger, treuer und wahrhaftiger als alles, was allem Grundbegriffe wie Sein, Zeit, Welt, wir uns vorstellen können. Gott ist trans- Individuum, Objekt, Substanz, Ursache, zendent. Er übersteigt nicht nur alle Natur Leben und Tod. Dieses „nach“ ist also und alle mögliche Erfahrung, sondern nicht sehr hilfreich. Aber Protophysik im auch noch alle Vernunft,1 manchmal so- Sinne von Paul Lorenzen und seiner Er- gar alle Logik. Er steht so weit über uns langer Schule2 ist die Metaphysik auch Menschen, dass wir ihn kaum noch ver- nicht. Was ist sie dann? stehen; wir müssen uns zufrieden geben Für Kant ist Metaphysik die Wissenschaft mit der Überzeugung, dass er in seinem von den Grenzen des menschlichen Ver- Allwissen schon wissen wird, was er tut standes. Damit können wir schon mehr oder geschehen lässt, und dass er in sei- anfangen. Etwas deutlicher sagen wir: Me- ner Allgüte schon alles gut und richtig ma- taphysik untersucht das, was jenseits al- chen wird. ler menschlichen Erfahrung liegt. Liegt Transzendenz ist ein typisch metaphysi- sie damit auch schon jenseits aller Erfah- sches Merkmal; Gott und Götter sind rungswissenschaft? Wir sind geneigt, das metaphysische Instanzen. Naturalisten, anzunehmen, sollten damit aber vorsich- insbesondere Atheisten, lehnen Götter ab. tig sein. Müssen sie auch alle Metaphysik ableh- Im Allgemeinen kann man in der Meta- nen? Um diese Frage beantworten zu kön- physik zwei Anteile unterscheiden: Beim nen, sollten wir genauer sagen, was wir ersten Anteil, der Ontologie, geht es um mit ‚Metaphysik’ meinen. das Seiende, also um alles, was existiert, auch um das, was existieren könnte. (Vie- 2. Was wollen wir unter Metaphysik len geht es angeblich auch um das Sein; verstehen? mir ist aber nie klar geworden, was unter Das Wort Metaphysik hat viele Bedeutun- dem Sein zu verstehen ist. Mit den logi- gen. Als erste Orientierung sagen wir: schen Positivisten hege ich den Verdacht, Metaphysik ist die Lehre von den ersten dass uns hier die Sprache irreführt, weil und den letzten Dingen. Für die Nachfol- sie uns erlaubt, alle Infinitive zu substanti- ger des Aristoteles – er selbst spricht von vieren. Während das beim „Essen“ und der Ersten Philosophie – war sie die Wis- beim „Denken“ sinnvoll ist, hat der Aus- senschaft, die „nach“ der Physik kommt. druck „das Sein“ keinen für mich erkenn- Man kann dieses „nach“ bibliothekarisch baren Sinn.) Den zweiten Bestandteil der auffassen; aber welchen guten Grund gibt Metaphysik bilden die Sinn- und Wert- 8 Aufklärung und Kritik 3/2010, Schwerpunkt Atheismus fragen – und die zugehörigen Antwort- Im Folgenden werden wir uns vor allem versuche. mit „Metaphysik der dritten Art“ befas- Die Frage nach Gott gehört zu beiden Tei- sen, also mit Voraussetzungsmetaphysik, len der Metaphysik: Einerseits können wir kommen aber auch auf die Vermutungs- ontologisch fragen, ob es Gott (den Teu- metaphysik zu sprechen. fel, Engel, Geister) gibt; andererseits wird Gott mindestens von Theisten auch als 3. Wozu Metaphysik? Quell aller Sinngebungen und Werte an- Wozu treiben wir Metaphysik? Hier kön- gesehen. Einige meinen sogar, moralische nen wir Motive und Argumente unterschei- Normen ließen sich nur mit Gott oder mit den. Zwischen ihnen besteht eine merk- Gottes Wort begründen: „Wenn es keinen würdige Kreuz-Symmetrie: Motive sind Gott gibt, ist alles erlaubt.“ (Dostojew- subjektiv stärkere Antriebe als Argumen- ski) Man wird also sagen dürfen, dass alle te; sie sind jedoch nicht intersubjektiv Religionen, mindestens aber die monothei- überzeugend. Argumente dagegen sollen stischen, Metaphysik in Anspruch neh- und können intersubjektiv überzeugen, men. Zwar kann es eine Metaphysik ohne sind aber im Allgemeinen subjektiv-psy- Gott geben, aber keinen Gott ohne Meta- chologisch nicht besonders wirksam. physik. Wir unterscheiden drei Motive: Erkennt- Wir können verschiedene Arten von Me- nis, Orientierung und Sinnsuche. taphysik unterscheiden. So findet etwa – Erkenntnisbedürfnis: Wir sind neu- Stegmüller3 vier Arten: gierig und möchten unser Wissen über – Transzendenzmetaphysik: Sie for- die Welt in gewisser Weise abschließen. muliert nichtempirische Begriffe und So suchen wir nach einem Gesamtbild nichtempirische Sätze. der Welt, nach einem Welt- und Men- – Immanenzmetaphysik: Sie ent- schenbild, das uns durch seine Voll- spricht etwa der üblichen Ontologie und ständigkeit befriedigt. Wir möchten wis- arbeitet dabei mit empirischen Begrif- sen, was es alles gibt. Dazu analysieren fen, formuliert damit aber auch nicht- wir unsere Voraussetzungen so weit wie empirische Sätze. möglich, ziehen Folgerungen, suchen – Voraussetzungsmetaphysik: Immer nach einem Abschluss und nach einer wieder erweist es sich als nützlich oder Einheit der Wissenschaften. sogar als notwendig, die Tätigkeit und – Orientierungsbedürfnis: Wir leben die Ergebnisse der Einzelwissenschaften nach Normen, die wir anerkennen, und zu hinterfragen, insbesondere die Vor- wüssten gern, ob, wie und warum sie aussetzungen aufzusuchen, die dort be- gelten und woher sie ihre Geltung be- wusst oder unbewusst gemacht wer- ziehen. Wir suchen sie zu begründen den. Solche Voraussetzungen können und hoffen auf eine Letztbegründung, sprachlicher oder inhaltlicher Art sein. die einer weiteren Nachfrage nicht be- – Vermutungsmetaphysik: Hier geht darf oder nicht einmal fähig ist. Viele es um heuristische Spekulation. Diese berufen sich dafür auf eine transzen- ist immer erlaubt; sie stellt kein beson- dente Instanz, etwa auf Gott oder Göt- deres Problem dar. ter, auf Heilige Schriften (als auf „Got- tes Wort“), auf absolute Werte. Aufklärung und Kritik 3/2010, Schwerpunkt Atheismus 9
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