SWR2 MANUSKRIPT SWR2 Musikstunde Lutherzeit Teil III – Wittenberg Mit Katharina Eickhoff Sendung: 25. Oktober 2017 Redaktion: Dr. Bettina Winkler Produktion: SWR 2017 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Musikstunde können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2- Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de SWR 2 Musikstunde mit Katharina Eickhoff Montag, 23.10.2017 bis Freitag, 27.10.2017 Lutherzeit Teil III – Wittenberg Signet Guten Morgen wünscht Ihnen KE! Lutherzeit ist diese Woche in der SWR2 Musikstunde – Heute, zum dritten Teil, nehmen wir den Zug. Wohin? Na, nach Wittenberg natürlich, Indikativ „Unser nächster Halt in wenigen Minuten: Lutherstadt Wittenberg“, schnarrt die Stimme aus dem IC-Lautsprecher – das ging schnell: Keine Dreiviertelstunde braucht der Zug vom Berliner Hauptbahnhof in die Stadt, die zu Recht den Luther in ihren Namen eingebaut hat, denn Wittenberg verdankt Luther alles. - Könnte man denken, wenn man die vielen Luther-Touristen aus der ganzen Welt in Richtung Thesen-Tür rudern sieht, - die ist leicht daran zu erkennen, dass davor so viele Reisebusse parken. Aber Wittenberg verdankt Luther nicht alles. Warum nicht? – Darauf kommen wir noch, jetzt brauchen wir erstmal einen Regenschirm, denn es regnet Bindfäden auf die Lutherstadt. Unter den in Plastik verpackten Exemplaren im Bahnhofsshop gibt es tatsächlich auch welche ohne Luther-Aufdruck, die Bahnhofsshop-Verkäuferin zupft am Plastik und fragt in schönstem Sachsen-Anhaltinisch, ob sie „ihn gleich nackig machen soll“, den Schirm, und ist überhaupt so herzlich und rosig, dass man die Wittenberger sofort ins Herz schließen will. Draußen auf der Bahnhofstreppe überlegt man sich das aber nochmal, da kampiert ein Trupp Wittenberger Jungnazis mit einem Kasten Holsten–Bier. Offiziell handelt es sich laut Fanschals um Anhänger vom 1. FC Magdeburg, aber die Herren haben seltsame Frisuren und große schwarzsilberne Reichskreuze in die Ohren gestanzt, außerdem klingt das, was da laut aus ihrem Smartphone wummert, verdächtig nach 2 Rechtsrock-Gebrüll. Erstaunlicherweise ist in dem Gewürge, soweit man es versteht, irgendwie von Freiheit die Rede, davon, dass man aufstehen soll für seine Meinung, auch wenn man damit allein gegen den Rest der Welt steht – Hier stehe ich, ich kann nicht anders, wenn das mal kein Luther-Thema ist... Anonymus: Rechtsrock 0’20 Divers Doch, auch das läuft unter Musik. Google findet alles, sogar, anhand von ein paar Textfetzen, rechtsradikale Hooligan- Bands wie die, die mich in Wittenberg auf dem Bahnhof begrüßt, „Kategorie C“ nennen die sich, eine der übelsten unter den Rechtsrock-Combos, wie ich später rausfinde, mit NPD-Kontakten und Verfassungsschutz-Beobachtung. Die hässliche Truppe schmückt sich auf ihrer Homepage in ihrem Jubiläumsjahr mit dem Slogan „20 Jahre Fußball und Gewalt“. Das also hört heute die Jugend auf den Bahnhofstreppen der Lutherstadt. So klingt Wittenberg? O weh. Und da steht auch gleich schon, imaginiert natürlich, der alte Luther-Verächter Thomas Mann neben mir, wackelt mit dem Kopf und murmelt etwas wie: „Ich hab’s ja immer gesagt.“ Laut Thomas Mann hat nämlich alles deutsche Unheil mit Luther angefangen, in Luthers spezifischer Art, typisch deutsch zu sein, hat Mann schon den Ungeist des Nazi-Reichs gewittert: „Das Deutsche in Reinkultur, das Separatistisch-Antirömische, Anti-Europäische befremdet und ängstigt mich, auch wenn es als evangelische Freiheit und geistliche Emanzipation erscheint, und das spezifisch Lutherische, das Cholerisch- Grobianische, das Schimpfen, Speien und Wüten, das fürchterlich Robuste, verbunden mit zarter Gemütstiefe und dem massiven Aberglauben an Dämonen, Incubi und Kielkröpfe erregt meine innerliche Abneigung. Ich“, so Thomas Mann, „hätte nicht Luthers Tischgast sein mögen, ich hätte mich wahrscheinlich bei ihm wie im trauten Heim eines Ogers gefühlt.“ 3 Na bravo, das sind ja Aussichten für einen Besuch im Lutherhaus... Da brauchen wir doch gleich erst mal wieder ein bisschen Ermutigung, also bitte, Evangelisches Gesangbuch rausholen, Nummer 362 aufschlagen, und los! Luthers Lieder CD 2, T. 12 0’50 Max Reger: „Ein feste Burg“, Choralvorspiel op. 67 Nr.6 Sophie Harmsen, Matthias Ank Carus 83.469 Das „Kriegslied des Glaubens“, so nennen Brentano und von Arnim Luthers Burglied in „Des Knaben Wunderhorn“, und mit diesem Lutherlied und keinem anderen im Ohr soll man Wittenberg betreten, denn es springt einen sowieso sofort an dort, nicht akustisch, sondern visuell, und der martialische Tonfall der Verse passt hier auch unbedingt zur Darreichungsform: Von links schiebt sich nämlich die Thesenkirche ins Bild, wo Luther vor ziemlich genau 500 Jahren seine 95 Thesen ausgehängt haben soll – der Ort stimmt, aber es ist nicht mehr dieselbe Kirche, und die Kirchentür, die alle wie verrückt fotografieren, hat Luther nie gesehen. Die jetzige Tür und dazugehörige Kirche stammen aus dem späten neunzehnten Jahrhundert, und in ihren Kirchturm sind oben unter der Kuppel riesenhaft als Mosaikspruchband Luthers Worte eingelassen: „Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen“...Wenn man sich den dusteren Turm so ansieht, diese gen Himmel gerichtete Kanone mit aggressiv stacheliger Pickelhaube, dann ist das ja auch ein schönes Sinnbild für den Preußenstaat, bei dem Wehr und Waffen bekanntlich schon immer großgeschrieben wurden... Die Preußen, Bewahrer des Protestantentums, haben sich nicht mit Ruhm bekleckert hier in Wittenberg, das merkt man schon an dieser kitschig-martialischen Kirche, an der irgendwie gar nichts mehr den genius loci atmet, ausser dass sich unter der Kanzel nach wie vor Martin Luthers Grab befindet. Es muss ein bombastischer Aufmarsch gewesen sein damals, bei Luthers Begräbnis am 22. Februar 1546, ein prominent besetzter Trauerzug, der die Hochachtung und Verehrung und auch die Macht belegt, die Martin Luther sich mit seinem Leben und 4 Lehren innerhalb von nur knapp dreißig Jahren erstritten hat: So wurden sonst nur Fürsten und Kardinäle begraben. Vorweg die Schüler und Geistlichen, dann die Kurfürstenschaft und die Grafen von Mansfeld samt 65 Berittenen, dann der Wagen mit dem Sarg, schwarzes Tuch, weißes Kreuz, dahinter Luthers Frau Katharina und seine Tochter Margarete, gefolgt von den Söhnen, Luthers Bruder und anderen Verwandten, danach der Rektor der Universität, der Kanzler, die Professoren, Doktoren und Magister, dann der Rat der Stadt Wittenberg, Studenten, Frauen und Kinder, Stadtvolk, Neugierige... – Eine schöne Leich, die für die Welt auch noch schnell im Sarg liegend portraitiert worden ist, die Cranach-Werkstatt, Luthers Propaganda-Zentrum, hat dieses Bild vom friedlichen Luther im Totenhemd dann in X Wiederholungen in die Welt katapultiert, es bekam, wie die anderen Cranach- Portraits von Luther, ikonische Bedeutung – Martin Luther war immerhin tatsächlich der meistgemalte Mann seiner Zeit! Dazu passend hat dann der begeisterte Protestant Caspar Othmayr ein Epitaph für Luther komponiert, Verba Lutheri ultima, Luthers angebliche letzte Worte, die natürlich ein wohlgeordnetes Gebet an den himmlischen Vater sind. Gebr. CD T. 1 4’40 Caspar Othmayr: „Verba Lutheri Ultima“ Die himmlische Cantorey Cpo 9460825 ...Luthers tatsächliche letzte Worte stehen übrigens auf einem Zettel, den man bei ihm gefunden hat, und sie sind eigentlich viel anrührender als jedes Vaterunser, da stand nämlich am Ende einfach: „Wir sind Bettler, das ist wahr.“ So ganz selbstverständlich ist es übrigens nicht, dass Luther bis heute in seinem Grab in der Schlosskirche ruht – Bis zu seinem Tod sind ja immer mehr deutsche Reichsfürsten zum Protestantentum übergelaufen, haben sich gar im sogenannten Schmalkaldischen Bund ganz offiziell gegen Papst und Kaiser organisiert, und Karl V. hätte sein Gesicht verloren, wenn er 5 sich das hätte bieten lassen. Also hat er direkt nach Luthers Tod den schon länger vorbereiteten Schmalkaldischen Krieg gegen diese Fürsten angezettelt, den seine Truppen und Verbündeten auch gewonnen haben: Im Mai 1547 ist der Kaiser in Wittenberg einmarschiert – und hat sich gleich mal als erstes zum Grab des Mannes führen lassen, der ihn in den Jahrzehnten davor beschäftig hat wie kein anderer. Über die Szene „Karl V. an Luthers Grab“ gibt es viele Legenden, und die meisten haben mit dem Herzog von Alba zu tun: Kaiser Karls blutige rechte Hand, der Mann, der dann später in den spanischen Niederlanden so übel gehaust hat, dass ihn Friedrich Schiller im Don Carlos für alle Ewigkeit als intriganten Fiesling portraitiert hat. Alba also soll dem Kaiser vor Luthers Grab von der Seite eingeflüstert haben, dass man den Leichnam schnellstens aus der Erde reißen und die Lutherknochen noch posthum als Ketzerknochen auf dem Scheiterhaufen verbrennen müsse. Und Kaiser Karl soll ihm geantwortet haben: „Ich führe Krieg mit den Lebenden und nicht mit den Toten. Er hat seinen Richter gefunden.“ Wenn’s nicht wahr ist, ist es schön erfunden, so schön, dass der sächsische Hymnendichter Christoph Christian Hohlfeld darauf
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