1 – 2020 2 Hans Zender Breitkopf & Härtel trauert um seinen Komponisten Breitkopf & Härtel mourns the death of the composer 6 Gustav Mahler neue wege | new paths Die 4. Symphonie The 4th Symphony 14 Das Mädchen mit den Schwefelhölzern Helmut Lachenmann – Premiere: The Little Match Girl 22 termine januar – april events january – april 28 Inszenierte Oratorien Staged Oratorios Alles sichtbar machen Making Everything Visual 34 TOTEIS von | by Manuela Kerer Interview 42 neue noten & bücher new scores, books 44 impressum masthead – Trauer um | Mourning Hans Zender Breitkopf & Härtel trauert um seinen Komponisten Hans Zender, der in der Nacht zum 23. Oktober 2019 nach langer Krankheit im Alter von 82 Jahren in Meersburg verstarb. Seit 1988 hat uns Zender seine Werke in kontinuierlicher Folge anvertraut. Wir blicken erfüllt zurück auf die jederzeit dichte Zusammenarbeit mit einem der großen Kunstschaffenden unserer Tage. Seinen freundschaftlichen Rat werden wir dabei sehr vermissen. Breitkopf & Härtel mourns the death of composer Hans Zender. After a long illness, he passed away Tuesday night 23 October 2019 in his home in Meersburg aged 82. Since 1988, Zender has regularly entrusted us with his works. We look back gratefully on the continuously close collaboration with one of the major artists of our time. His amicable advice will be greatly missed. Mit Zender verliert die Neue Musik einen ih- Hans Zenders maßgebliches Œuvre wird recently in Frankfurt in 2016) and the rer markantesten Köpfe – er war als Essayist uns Verpflichtung bleiben. composed interpretation Schuberts Winter- ein tiefer, scharfsinniger Geist und unermüd- reise are major milestones in the current licher Mahner, als Dirigent ein engagierter, Isabel Mundry war von 1991 bis 1994 discourse. hochkompetenter Vermittler komplexer zeit- Kompositionsstudentin bei Hans Zender genössischer Partituren, aber auch der ihm in Frankfurt. Ihr Nachruf entstand für die Until the very end, we were connected by bedeutsamen Musik aus allen Epochen, als Bayerische Akademie der Schönen Künste working on scheduled works such as the Komponist bei aller ästhetischen Stringenz und wurde im November von ihr dort verle- second, extended edition of his comprehen- ein erfolgreich Suchender auf dem schma- sen. Wir danken unserer Komponistin für sive volume of writings Die Sinne denken, 3 len Grat zwischen Tradition und Fortschritt. die Genehmigung, den Text hier zu veröf- the new version of the ensemble work Werke wie das Oratorium Shir Hashirim, die fentlichen. 33 Veränderungen über 33 Veränderungen Oper Don Quijote de la Mancha (zuletzt in (on Beethoven’s Diabelli-Variationen), cre- Frankfurt 2016) und die komponierte Inter- ated in early summer of this year, as well as 1 – 2020 pretation Schuberts Winterreise sind große Autor | Author: Frank Reinisch two works from the mid-1980s, published Wegmarken im aktuellen Diskurs. in our catalogue only recently – the opera Stephen Climax and the solo cantata Die Bis zuletzt verband uns die Arbeit am Werk: With Zender, Contemporary Music loses Wüste hat zwölf Ding. so an der zweiten, erweiterten Ausgabe one of its most remarkable minds – as an seines umfassenden Schriftenbandes Die essayist, a profound, sharp-witted intellect Our commitment to Hans Zender’s out- Sinne denken, an der im Frühsommer ent- and tireless admonisher; as a conductor, a standing oeuvre will always remain a mat- standenen Neufassung des Ensemblewerks committed, highly competent mediator not ter of course. 33 Veränderungen über 33 Veränderungen only of complex contemporary scores, but (über Beethovens Diabelli-Variationen) und also of music from all epochs meaningful Isabel Mundry studied composition in an zwei Werken aus der Mitte der 1980er to him; and as a composer, despite all aes- Frankfurt with Hans Zender from 1991 to Jahre – der Oper Stephen Climax und der thetic stringency, a successful seeker on 1994. She wrote this obituary for the Bavar- Solokantate Die Wüste hat zwölf Ding –, die the fine line between tradition and progress. ian Academy of Fine Arts and was read by erst kürzlich in unseren Katalog kommen Works such as the oratorio Shir Hashirim, her there in November. We thank her for konnten. the opera Don Quijote de la Mancha (most permission to publish the text here. Nachruf auf Hans Zender Es gibt Menschen, von denen sich mir ein Moment einprägt, der wie eine Akkumulation der ganzen Person erscheint. Mit Hans Zender ergab sich solch ein Moment vor circa 22 Jahren während eines Gesprächs, das wir damals in seinem Haus im Taunus führten. Hans Zender: Obituary There are people who make in a moment an impression on me that seems to sum up the whole person. With Hans Zender such a moment arose about 22 years ago during a conversation that we were then having at his home in the Taunus. Es ging über Stunden und konzentrierte sich Unzählige neue Werke wurden durch ihn ten Stimmung weggedrückte Eigenschwin- auf eines seiner zentralen Themen, nämlich als Dirigent uraufgeführt, klassische in ein gung der Klänge und entwickelte eine neue auf die Nicht-Linearität musikalischer Wahr- zeitgenössisches Licht gestellt. Immer Harmonik, in der Natur- und Gleichtönigkeit nehmung im Verhältnis zur vermeintlichen ging es ihm darum, alte und neue Musik als zusammenspielen. Er nannte sie gegenstre- Linearität musikgeschichtlicher Verläufe. Es Erfahrungsräume zu betrachten, die sich big. Oder er studierte musikalische Praktiken ging entfernt um das, was sein ehemaliger nicht gegenüberstehen, sondern aufeinan- und Ausdrucksformen, wie sie dort entste- Mentor und Freund Bernd Alois Zimmer- der einwirken. Letztlich ging es ihm jedoch hen, wo Musik ohne Notation weitergetra- mann als Kugelgestalt der Zeit bezeich - darum, im Konzert anhand der Partitur ein gen wird, und experimentierte daraufhin mit 4 nete. Während seiner Gedankengänge stand klangstrukturiertes Jetzt zu erzeugen; un- neuen Formen in seinen Kompositionen. Hans Zender plötzlich auf, spazierte durch wiederholbar. Musik war für den Dirigenten Herausgekommen ist über die Jahrzehnte den Raum, nahm einen herumliegenden Zender immer neu. seines Schaffens ein immenser Werkkorpus Schlägel in die Hand und unterbrach sich von Kammer- und Orchesterkompositionen, von nun an gelegentlich selbst mit einem Für den Komponisten war sie demgegenüber Klavierliedern, Oratorien und Opern, der sich 1 – 2020 heftigen Schlag gegen einen von der Decke immer auch alt, wenn nicht uralt. So sehr er nie einordnen ließ in aktuelle Moden und hängenden Gong: keiner Logik folgend, sich für avancierte Techniken interessierte Strömungen. Eher war sein Schaffen von nichts unterstreichend, stattdessen hinein- und sie künstlerisch forschend weiterentwi- der Vision getragen, angesichts der Refle- platzend, sich ausbreitend, klangvoll. ckelte, so sehr spürte und reflektierte Hans xion auf Fragen der Zeit das Zeitlose in der Zender den kulturellen Untergrund, aus dem Musik, das, was sich nicht vereinnahmen Das Aufeinandertreffen hervorzurufen: von sie erst hervorgehen konnten. Instrumen- lässt, immer neu hervorzurufen, wie einen Denken und Hören, Geplantem und Entge- te, deren Stimmung und Skalierung waren, Gongschlag. genkommendem, Kontinuität und Präsenz, ebenso wie die Notenschrift selbst, nicht ein- war eines der zentralen Motive von Hans fach ein Gegebenes für ihn, obwohl er nie in- „Ich habe noch so viel Musik im Kopf“ Zenders künstlerischem Schaffen, ebenso frage stellte, sich ihrer zu bedienen. Vielmehr soll Hans Zender gesagt haben, als seine als Dirigent wie als Komponist. Geboren betrachtete er sie als Resultate von Abzwei- Blindheit ihm das Komponieren bereits un- 1936 in Wiesbaden, widmete er sein Leben gungen, in denen Musik auch anders hätte möglich gemacht hat und er sein Schaffen dem Schreiben wie dem Interpretieren von weitergehen können. Dort hielt er sich auf, auf das Schreiben von Büchern verlagerte. Musik gleichermaßen, so lange es seine hörend, lesend und experimentierend. So Tröstlich ist, wie viel Musik er uns hinter- Augen ihm erlaubten. hörte er zum Beispiel die von der temperier- lassen hat. Autorin | Author: Isabel Mundry The conversation went on for hours, focus- cerned that as experiential areas, old and musical practices and forms of expression ing on one of his key issues, namely the new music not oppose one another but in- occurring where music is relayed without non-linearity of musical perception in rela- teract with each other. Ultimately in the con- notation, and thereupon experimented in his tion to the course of music history’s alleged cert, however, he wanted to create from the compositions with new forms. The result linearity. It was vaguely about what his for- score a sound-structured Now; something over his decades of work is an immense mer mentor and friend Bernd Alois Zimmer- unrepeatable. For the conductor Zender, body of chamber and orchestral composi- mann described as the “sphericity of time.” music was ever new. tions, piano lieder, oratorios, and operas that In the midst of his train of thought, Zender could never be fitted into current modes and suddenly got up, walked across the room, For the composer, music was also by con- trends. Rather, in the face of reflection on 5 picked up a mallet there at hand, and hence- trast ever old, if not ancient. As much as questions of the time, his work was driven forth interrupted himself from time to time he was interested in advanced techniques by the vision of ever evoking the timeless by vigorously striking a gong hanging from and in exploring their further artistic
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