BRGÖ 2012 Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs ILSE REITER-ZATLOUKAL, Wien Die Begnadigungspolitik der Regierung Schuschnigg Von der Weihnachtsamnestie 1934 bis zur Februaramnestie 1938 After the coup d’état on March 4th, 1933, the Austrian government not only banned the Communist Party, the so- cial democratic paramilitary organization (‘Republikanischer Schutzbund’), the Nazi Party and in 1934 also the So- cial Democratic Party itself, but also persecuted their supporters by various measures. Particularly after the upris- ing of the Social Democrats (‘Schutzbundaufstand’) in February 1934 and the ‘Naziputsch’ in July 1934 innumera- ble political opponents were sent to jail or an internment camp (‘Anhaltelager’). Individual pardoning of the impris- oned and interned opponents soon started in reaction to diplomatic pressure on the Austrian government, which thus also targeted at international pacification. The article deals with the ‘amnesties’ from December 1934 to April 1938, which have been rather neglected by historical research so far. Die autoritäre österreichische Regierung erließ artig mit dieser Frage beschäftigt. Mit dem vor- seit Dezember 1934 mehrere „Amnestien", die liegenden Beitrag soll daher ein über die Dar- nach der Niederschlagung des sozialdemokrati- stellung der bisherigen Forschungen hinausge- schen Schutzbundaufstandes im Februar 1934 hender erster Beitrag zur Schließung der erheb- und dem Misslingen des Putschversuches der lichen Forschungslücken hinsichtlich der Ge- österreichischen Nationalsozialisten im Juli 1934 schichte der Begnadigungspolitik der Regierung einerseits der innenpolitischen Befriedung dien- Schuschnigg geleistet werden. ten sowie andererseits auf außenpolitischen Druck reagierten. Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, handelt es sich bei diesen verschiede- 1. Begriffliches: Amnestie und nen Aktionen jedoch nicht um Amnestien im ei- Begnadigung gentlichen Sinn, sondern vielmehr um Begnadi- gungen, wiewohl diese juristische Unterschei- Amnestien ergehen in Form eines Gesetzes und dung in zeitgenössischen Berichten durchaus werden daher in der Regel ganzen Personen- verwischt erscheint und der Begriff „Amnestie“ gruppen gewährt, d.h. es findet grundsätzlich nicht nur für die umgangssprachlich als „Weih- keine Einzelfallprüfung statt, denn der Kreis der nachtsamnestien“ bezeichneten Sammelbegna- digungen verwendet wird. Dies spiegelt sich aber auch von den politischen Amnestien ohne An- auch zum Teil in der wissenschaftlichen Litera- führungszeichen; MARSCHALEK, Untergrund und Exil tur wieder,1 die sich allerdings nur bruchstück- 179f, thematisiert nur die so genannte Weihnachtsam- nestie 1935; VOLSANSKY, Pakt auf Zeit 176, differen- ziert hinsichtlich der Amnestiefrage 1936; richtig 1 So spricht HOLTMANN, Unterdrückung 170ff, 246ff, SCHÖLNBERGER, „Klausur umdrahteten Bereichs“ zwar korrekt von der „Weihnachtsamnestie 1935“, 169ff. http://dx.doi.org/10.1553/BRGOE2012-2s336 Die Begnadigungspolitik der Regierung Schuschnigg 337 Begünstigten richtet sich vielmehr nach allge- Regime) der Amnestierung von politischen Ge- meinen Merkmalen, also etwa bestimmten Stich- sinnungsgenossInnen dient. tagen, Tat- oder Tätergruppen. Bei Erfüllung der Die Begnadigung4 ist allgemein der staatliche gesetzlichen Voraussetzungen besteht ein An- Akt (Gnadenakt), durch den in Form eines Aktes spruch auf Amnestierung, aber keine Möglich- der Exekutive im Einzelfall eine rechtskräftig keit der Ablehnung derselben. Bei einer Amnes- verhängte Sanktion definitiv oder bedingt erlas- tie wird also „vergessen“, dass die von ihr be- sen, gemildert oder umgewandelt wird.5 In Ös- günstigte Person eine kriminelle Tat begangen terreich erfolgt der teilweise oder völlige Erlass hat, daher ist sie auch rückwirkend im Unter- oder die Umwandlung einer Strafe nach Eintritt schied zur Immunität, die oftmals Personen in der Rechtskraft eines gerichtlichen Strafurteils hohen Staatsämtern (Präsidenten u. dgl.) einge- seit 1920 durch den Bundespräsidenten auf Vor- räumt ist (und dann allfällig deren spätere Straf- schlag des Bundesministers für Justiz mittels verfolgung verhindert). Die Amnestie gewährt Verwaltungsakts aufgrund einer individuellen Straffreiheit für anhängige Verfahren oder Ta- Prüfung betreffend die Gnadenwürdigkeit6 und ten, die noch zu keinem Verfahren geführt ha- den Gnadengrund.7 Voraussetzung ist ein Gna- ben. Amnestien werden zu den unterschiedlich- dengesuch einer betroffenen Partei oder ein sten Zwecken erlassen,2 so z.B. um den Strafvoll- Gnadenvorschlag des Justizministers, womit ein zug zu entlasten oder gesellschaftlich-politische amtswegiges Begnadigungsverfahren eingeleitet Konflikte zu entschärfen oder zu befrieden. Aus wird. Daher sind auch z.B. die so genannten der Reihe der verschiedenen Amnestiearten3 Weihnachtsamnestien8 keine Amnestien, son- sind daher besonders die „Befriedungs“- oder dern vielmehr Begnadigungsaktionen bzw. „Schlussstrichamnestie“ hervorzuheben, die den Bündel von Einzelbegnadigungen (Sammelbe- inneren Frieden sichern und die Deeskalation gnadigung) nach Einzelfallprüfung bloß betref- eines Konflikts erreichen soll. Mit ihr können fend die Gnadenwürdigkeit, denn der Gna- auch ungewöhnliche Lebensumstände erfasst dengrund liegt im bevorstehenden Weihnachts- werden, unter denen Menschen straffällig wur- fest. Dem Bundespräsidenten kommt ebenfalls den, wie dies v.a. auf die Einstellungsamnestie zutrifft, mit der das Ende der Strafverfolgung 4 Nicht zu verwechseln ist die Begnadigung mit der einer Gruppe von Delikten angeordnet wird. bedingten Entlassung, die den Interessen der Allge- Mit ähnlicher Stoßrichtung dienen „Umbruch- meinheit insofern dient, als sie eine nachträgliche An- samnestien“ der Beendigung interner Ausei- passung der Strafbemessung an das zur Besserung des Rechtsbrechers tatsächlich Erforderliche anstrebt nandersetzungen, die der Staat mit seinen Bür- und eine Resozialisierungs- und Rückfallsverhinde- gern führte. „Jubelamnestien“ werden dagegen rungsmaßnahme darstellt. Ebenfalls nicht gleichzu- aus Anlass freudiger Ereignisse (Regierungsjubi- setzen ist die Begnadigung mit der in Österreich seit läen, Wiederkehr von nationalgeschichtlich be- 1920 vorgesehenen bedingten Straf(rest-)nachsicht, bei der im Unterschied zur bedingten Entlassung die deutsamen Tagen usw.) erlassen, ohne dass da- bedingte Nachsicht nicht erst während des Vollzuges, mit konkrete politische Ziele verbunden sind. sondern bereits im Urteil erfolgt Ein Spezifikum von Diktaturen stellt die „Be- 5 DIMOULIS, Begnadigung 24; MIKISCH, Gnade im günstigungsamnestie“ dar, die (wie etwa im NS- Rechtsstaat 21. 6 PRÖLL, Gnade und Amnestie 129ff. 7 Die Gnadengründe sind allerdings nicht festgelegt, siehe ebd. 123ff. Gründe sind etwa: Ausgleich abs- 2 MARXEN, Rechtliche Grenzen 11f. trakter Normgerechtigkeit, kriminalpolitische Grün- 3 PRÖLL, Gnade und Amnestie 188ff; SÜß, Studien zur de, politische Gründe. Amnestiegesetzgebung 190ff. 8 Vgl. z.B. HEINCZ, Tilgungs- und Gnadenrecht 28. 338 Ilse REITER-ZATLOUKAL das Abolitions- bzw. Niederschlagungsrecht zu, grenzen, für regierungskritische Betätigungen) das die Einstellung eines laufenden Strafverfah- vor, ermöglichten die Internierung in so genann- rens oder aber die Verhinderung des Verfahrens ten Anhaltelagern11 und die Aberkennung der einer von Amts wegen zu verfolgenden strafba- Staatsbürgerschaft aus politischen Gründen,12 ren Handlungen ermöglicht. schränkten den Rechtsschutz gegen derartige polizeiliche Verfügungen massiv ein und legten schließlich sogar den Verfassungsgerichtshof 2. Regierungsdiktatur und lahm, der dieser Verordnungspraxis ein Ende 13 Opposition 1933/34 bereiten hätte können. Die genannten Repressivmaßnahmen betrafen Nach der Ausschaltung des österreichischen sowohl die Nationalsozialisten, die weniger als Parlaments am 4. März 1933 wurden im Zuge politische Opposition denn als „terroristische der Errichtung des antiparlamentarisch-autoritä- Organisation“14 auftraten und mit ihrer „Spreng- ren, so genannten austrofaschistischen Regimes stoffpolitik“15 auf den „Anschluss“ an NS- durch die (von der Christlichsozialen Partei, Deutschland abzielten, als auch das linke Lager dem Landbund und der faschistischen Heim- als ideologischen Hauptgegner. Dollfuß wollte wehr getragene) Regierung unter Bundeskanzler zwar dem „Nationalsozialismus den Wind aus Engelbert Dollfuß zahlreiche Repressivmaßnah- den Segeln [...] nehmen“,16 vorrangiges Ziel der men gegen alle nicht regimetreuen politischen Regierung blieb jedoch, die Sozialdemokratie Parteien und Organisationen angeordnet. Diese „in die Knie zu zwingen“17 und sie „Glied für auf der Grundlage des Kriegswirtschaftlichen Glied zum Krüppel [zu schlagen]“.18 Die SDAP Ermächtigungsgesetzes von 1917 vorgenomme- selbst wich in dieser Zeit des „Belagerungszu- nen, dessen Ermächtigungsrahmen jedoch über- standes“19 allerdings zunächst „nahezu ohne di- 9 schreitenden Regierungsverordnungen nor- rekte Gewaltsamkeit“ kampflos zurück20 und mierten unter dem Vorwand eines Staats- versuchte zunächst, die Bundesverfassung von notstandes einerseits nicht nur Betätigungsver- 1920/1929 auf friedlichem Wege zu retten, dann bote für die Kommunistische Partei (KPÖ) im aber mit zahlreichen Zugeständnissen wenigs- Mai 1933, die NSDAP (nach Beginn der ersten tens Einfluss auf die Entstehung der berufsstän- großen NS-Terrorismuswelle) im Juni 1933 und (nach den Februarkämpfen) im Februar 1934 auch für die Sozialdemokratische Partei (SDAP), 11 Siehe SCHÖLNBERGER, „Leben ohne Freiheit“, „Klau- sur umdrahteten
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