Homo Neurobiologicus

Homo Neurobiologicus

Siegfried Höfling / Felix Tretter (Hrsg.) Homo neurobiologicuS ist der mensch nur sein gehirn? Argumente und Materialien 87 zum Zeitgeschehen www.hss.de Siegfried Höfling / Felix Tretter (Hrsg.) HOMO NEUROBIOLOGICUS Ist der Mensch nur sein Gehirn? Impressum ISBN 978-3-88795-421-5 Herausgeber Copyright 2013, Hanns-Seidel-Stiftung e.V., München Lazarettstraße 33, 80636 München, Tel. 089/1258-0 E-Mail: [email protected], Online: www.hss.de Vorsitzender Prof. Dr. h.c. mult. Hans Zehetmair, Staatsminister a.D., Senator E.h. Hauptgeschäftsführer Dr. Peter Witterauf Leiter der Akademie für Prof. Dr. Reinhard Meier-Walser Politik und Zeitgeschehen Leiter PRÖ / Publikationen Hubertus Klingsbögl Redaktion Prof. Dr. Reinhard Meier-Walser (Chefredakteur, V.i.S.d.P.) Barbara Fürbeth M.A. (Redaktionsleiterin) Susanne Berke, Dipl. Bibl. (Redakteurin) Claudia Magg-Frank, Dipl. sc. pol. (Redakteurin) Marion Steib (Redaktionsassistentin) Druck Hanns-Seidel-Stiftung e.V., Hausdruckerei, München Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung, Verbreitung sowie Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil dieses Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung der Hanns- Seidel-Stiftung e.V. reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Das Copyright für diese Publikation liegt bei der Hanns-Seidel-Stiftung e.V. Namentlich gekennzeichnete redaktionelle Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder. INHALT 05 HOMO NEUROBIOLOGICUS: DAS MENSCHENBILD DER HIRNFORSCHUNG Einführung Siegfried Höfling / Felix Tretter 09 GRUNDGEDANKEN ZUM MENSCHENBILD DER NEUROWISSENSCHAFTEN – DER „HOMO NEUROBIOLOGICUS“ Felix Tretter 13 NEURO-KOMMUNIKATION AM BEISPIEL DER FUNKTIONELLEN MAGNETRESONANZTOMOGRAPHIE Stephan Schleim 21 NEUROPHILOSOPHIE ALS THERAPIE? Eine kritische Anmerkung Georg Northoff 29 ICH UND MEIN GEHIRN Zum Erklärungspotenzial der Identitäts- und Supervenienztheorien Uwe an der Heiden 35 DAS VERKÖRPERTE SELBST UND MENTALE VERURSACHUNG Thomas Buchheim 43 ZUR BEDEUTUNG DES BEGRIFFS „ICH“ IN DER PSYCHIATRIE Christine Grünhut 51 DAS VERHÄLTNIS VON EMOTION UND KOGNITION AUS SICHT DER HIRNFORSCHUNG Andreas Draguhn 59 DETERMINISMUS UND ZUFALL IN DER NEUROPHYSIOLOGIE – DIE FRAGE DES FREIEN WILLENS Hans A. Braun 71 NEUROWISSENSCHAFT UND MATHEMATIK Grundbegriffe, Skalen und Allgemeingültigkeit J. Leo van Hemmen 83 EINE EINLADUNG ZUR NEUROPHILOSOPHIE David Köpf / Matthias Munk ARGUMENTE UND MATERIALIEN ZUM ZEITGESCHEHEN 87 3 . HOMO NEUROBIOLOGICUS: DAS MENSCHENBILD DER HIRNFORSCHUNG Einführung SIEGFRIED HÖFLING / FELIX TRETTER ||||| Der zweite Teil der Menschenbildtagungen der Philosophie Griechenlands, vor allem bei Platon Hanns-Seidel-Stiftung beschäftigte sich am 21. und und Aristoteles, liegen und die ihre Fortsetzung 22. Juni 2012 mit der Relevanz eines durch die vor allem bei Kant, aber auch bei Schopenhauer, Hirnforschung geprägten Menschenbildes. Nietzsche, Scheler, Husserl, Plessner und Gehlen Das Menschenbild, das unsere westliche Zivi- finden. lisation bestimmt, stammt aus den Geisteswissen- Demgegenüber haben die Neurowissenschaften schaften. Es geht davon aus, dass die Person ein in den letzten Jahren einen Erklärungsanspruch Subjekt ist, das erleben kann und mit Bewusst- für den Menschen angemeldet: Der Mensch sei sein ausgestattet ist, das in der Lage ist, seinen nichts anderes als ein Gefüge von Neuronen, ein Willen selbst zu bestimmen und auszuüben. Die Ich gebe es nicht, das Bewusstsein sei nur ein Freiheit des Willens besteht auch in der Wahlfrei- wirkungsloses Produkt des Gehirns wie das Pfei- heit, sich gegenüber der Umwelt unterzuordnen fen einer Dampflokomotive, eine freie Willensbe- oder sich zu widersetzen. stimmung sei nicht gegeben, es sei alles eindeu- Dementsprechend handeln wir aus Überle- tig vorbestimmt, der Mensch könne sich seinen gungen, die Gründe für das Handeln ergeben, die physikalischen und chemischen Grundlagen nicht zwar beeinflusst werden von Kontexten, nicht entziehen, alles was er mache sei durch Verschal- jedoch direkt von physikalischen Ursachen (z. B. tungen seiner Nervenzellen fixiert. Das Gehirn Ampel auf Grün), denn die müssen erst soziokul- sei somit der Verursacher von Handlungen. turell über Regeln vermittelt, geistig repräsentiert Solche provokanten Skizzen eines Menschen- und verarbeitet werden („Losfahren“). Die Person bildes wurden im Rahmen einer multidisziplinären weist darüber hinaus eine innere seelische Struk- Diskussion auf unseren zwei Tagungen unter- tur auf, deren funktionelles Zentrum im Selbster- sucht. Neben Vertretern aus den Neurowissen- leben bzw. dem personalen Selbst besteht. Das schaften nahmen Experten aus der Philosophie, heißt aber nicht, dass es einen zentralen Ort im der Medizin, der Physik, der Biologie, der Psycho- Gehirn dafür gibt. Bedeutsam für das Menschsein logie und der Mathematik teil. ist die Rolle der Sprache, die Erfahrung von Be- Bei der äußerst regen und anregenden Dis- deutung und der Sinn, der über dem reflexhaften kussion zeigte sich, dass viele Phänomene in der und automatisierten Verhalten steht. Letztlich ist Neurowissenschaft – auch in den klinischen Dis- die Person als Subjekt unhintergehbar als Träger ziplinen – durch ihren experimentellen Aufbau des Intersubjektiven, was letztlich auch erst die zwar Gehirnphänomene genauer bestimmen las- Wissenschaft ermöglicht. Ein derartiges Men- sen, aber dass dabei durch die notwendige Aus- schenbild ist seit der Aufklärung Basis unserer grenzung möglichst vieler Variablen eine Über- Sozial- und Rechtsordnung. Es beruht auf Arbeiten tragung der Befunde in die reale Alltagswelt sehr aus der Philosophie, deren Wurzeln in der antiken problematisch ist. Das wird bei Experimenten zum ARGUMENTE UND MATERIALIEN ZUM ZEITGESCHEHEN 87 5 SIEGFRIED HÖFLING / FELIX TRETTER freien Willen deutlich, bei denen es meist nur um zu sein, unabhängig davon, ob Geistiges und die willkürliche Auslösung von vorinstruierten Körperliches „wirklich“, also ontologisch zwei Bewegungen (z. B. Fingerbewegung) innerhalb unterschiedliche Wesenheiten sind. Letztlich ist eines Zeitfensters und nicht um Entscheidungen davon auszugehen, dass Willensakte – wie etwa wie Berufs- oder Partnerwahl geht. Auch sind die heiraten zu wollen – strukturierte und gestufte von der Neurobiologie experimentell oder in der komplex vernetzte Prozesse sind. Klinik erhobenen Daten maschinell generiert und In dem hier vorgelegten Tagungsband werden werden über mehrere datenanalytische Ebenen einige dieser Aspekte vertieft dargelegt. So geht der verarbeitet, bis sie in Form von Indizes oder Neurophilosoph und Psychologe Stephan Schleim Quoten oder Raten es erlauben, die quantitativen grundlegend der Frage nach, wie die Befunde der Verhältnisse im Gehirn darzustellen. Sie werden Naturwissenschaften kommuniziert werden. Viele dann häufig über Farbcodes in Hirnbildern visua- Probleme in der Geistesgeschichte zur Frage da- lisiert, wobei bereits deren Ästhetik eine besondere nach, was der Mensch ist, und zwar im Hinblick Glaubwürdigkeit der Befunde suggeriert. Daher auf das Geistige, werden heute durch die Neuro- sind diese Daten in hohem Maße Konstruktionen biologie als unpassend dargestellt. Bei genauerer der Forschung und nicht einfach Entdeckungen Analyse zeigt sich, dass eine Vielzahl von Ver- von Verborgenem. Auch theoretische Aussagen, fälschungen, unzulässigen Vereinfachungen und wie „Verschaltungen legen uns fest“, sind nicht Überzeichnungen der neurowissenschaftlichen nur subjektiv falsch, sondern auch mit der objek- Befunde erfolgen. Zwar sind im interdisziplinären tiven Erfahrung nicht gut vereinbar, insofern wir und insbesondere im transdisziplinären Gespräch bekanntlich lernen können. Und dass das Hirn mit Laien Vereinfachungen, aber auch nur hypo- auch lernt, lässt sich sogar neurowissenschaft- thetische Verallgemeinerungen unumgänglich, man lich durch das ständige Wachstum von „Spines“, bekommt aber den gut begründeten Eindruck, also kleinen Dornen an den Kontaktstellen zu an- dass die „Neurokommunikation“ auch einem deren Nervenzellen, nachweisen. Lernen bedeutet „Neuromarketing“ dient: Forscher werden von den aber, nicht a priori festgelegt zu sein. Managern ihrer Institutionen nach der öffentli- Das einfache Konzept der Hirnforschung, geis- chen Repräsentanz ihrer Forschungsergebnisse tige Funktionen im Gehirn zu lokalisieren, ist beurteilt. Interviews in angesehenen Massenme- daher revisionsbedürftig, denn Befunde aus der dien rechtfertigen Relevanz und somit die Allo- klinischen Neurologie und Psychiatrie legen eher kation von Ressourcen für die Forschung. ein Netzwerkkonzept nahe. Damit ist auch das Der Psychiater und Philosoph Georg Northoff Selbst, wie Kierkegaard es ausdrückte, als Ver- stellt in seinem Aufsatz anheim, dass die Erkun- hältnis, das im Verhältnis zu sich selbst steht, als dung des Gehirns kein einfaches Projekt ist, etwa verzweigte und vernetzte neuronale Struktur zu indem man irgendwelche experimentelle Bedin- konzipieren, innerhalb derer neurale Prozesse zir- gungen im Labor herstellt und die damit verbun- kulär ablaufen. Die Unhintergehbarkeit des Geis- denen Gehirnzustände registriert und daraus tigen, des Erlebens von Farbe (Qualia), also die ableitet, dass auf diese oder jene Weise das Be- Qualität des Erlebens, des Bewusstseins, die per- wusstsein zustande kommt. sonale Betroffenheit und letztlich Werte, sie alle Eine vertiefende und doch knappe Übersicht sind nicht in den Kategorien der

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