
3. „Vormilitärische Ausbildung" und „Leibesübungen" der Jugend. Training für den Kriegseinsatz der HJ 3.1 „Die Schlagkraft der Wehrmacht auf das höchste steigern". Die Wehrertüchtigung der HJ „Die Wehrertüchtigungslager sind ein Gemeinschaftswerk der Wehrmacht und der Hitler-Jugend. Sie sind der sichtbare und beglückende Ausdruck für unsere Auffassung, daß Soldaten und Jugend immer zusammengehören. Niemals wurde uns diese Auffassung zu so einem starken Erlebnis wie bei den Besuchen unserer Ritterkreuzträger. Diese Tapfersten kamen unmittelbar aus den vordersten Stellungen und Gräben und haben unsere Jungen in helle Begeisterung versetzt. Nie erhielten unsere Lagerführer und Ausbilder eine größere Anerkennung als durch das Urteil dieser Tapferen ... Hier ist die Verbindung der Front zur Jugend der Heimat lebendige und blutvolle Wirklichkeit geworden. 3.1.1 Der Typ des „politischen Soldaten" als Zielsituation. Die Anfänge der vormilitärischen Ausbildung Innerhalb des HJ-Dienstes nahm die sogenannte körperliche Ertüchtigung den quantitativ größ- ten Raum ein. Das basierte zum einen auf der von der Reichsjugendführung organisierten prakti- schen Umsetzung der entsprechenden Auffassungen und Doktrinen Hitlers2; zum andern entsprach diese, vielfaltige Formen und Aspekte aufweisende unmittelbar vormilitärische Seite der HJ-Erzie- hung schon objektiv der Funktion des NS-Jugendverbandes, kam der „Krieg als Zielsituation nationalsozialistischer Erziehung"3 doch am deutlichsten in der „sportlichen Mobilmachung der deutschen Jugend"4 zum Ausdruck. Die von einer permanenten ideologischen Indoktrination be- gleitete, zunächst als körperliche Ertüchtigung bezeichnete physische Mobilisierung stellte die unmittelbar praxisorientierte Vorbereitung der deutschen Jugend auf den Wehrdienst sowie auf den späteren Kriegseinsatz dar.5 Sofort nach seiner Ernennung zum Reichskanzler hatte Hitler den Befehlshabern der Reichswehr am 3. Februar 1933 in einer Ansprache die Zusage gegeben, daß für den „Kampf gegen Versail- les" der „Aufbau der Wehrmacht [die] wichtigste Voraussetzung" sei. Schon in Vorbereitung der dazu notwendigen Wehrpflicht wolle die „Staatsführung dafür sorgen, daß die Wehrpflichtigen vor Eintritt [in die Armee] nicht schon durch Pazifismus, Marxismus, Bolschewismus vergiftet" würden. Dies solle vor allem durch eine „Ertüchtigung der Jugend und [die] Stärkung des Wehr- willens mit allen Mitteln" sowie durch die „Einstellung der Jugend und des gesamten Volkes auf den Gedanken" geschehen, „daß nur der Kampf uns retten kann und diesem Gedanken gegenüber alles zurückzutreten" habe.6 1 RB, 1/43 K, 7.1.1943 (Aus der Neujahrsbotschaft des RJF). 2 Schon 1925, als er noch über keinerlei Vorstellungen zum Aufbau und den Aufgaben einer NS-Jugendorganisation verfugte, postulierte Hitler: „Der völkische Staat hat die körperliche Ertüchtigung nicht nur in den offiziellen Schul- jahren durchzuführen und zu überwachen, er muß auch in der Nachschulzeit dafür Sorge tragen ... Der völkische Staat wird genau so wie die geistige Erziehung auch die körperliche Ausbildung der Nachschulzeit als staatliche Aufgabe betrachten müssen und durch staatliche Einrichtungen durchzuführen haben. Dabei kann diese Erziehung in großen Zügen schon die Vorbildung für den späteren Heeresdienst sein. Das Heer soll dann dem jungen Manne nicht mehr wie bisher die Grundbegriffe des einfachsten Exerzierreglements beizubringen haben, es wird auch nicht Rekruten im heutigen Sinne zugeführt erhalten, es soll vielmehr den körperlich bereits tadellos vorgebildeten jungen Menschen nur mehr in den Soldaten verwandeln." Hitler, Mein Kampf, S. 458 f. Vgl. auch die Zusammenstellung von Hitlers Postula- ten zur körperlichen Erziehung bei Bernett, Nationalsozialistische Leibeserziehung, S. 18 ff., und bei Schirach, Adolf Hitler an seine Jugend. 3 Lingelbach, Erziehung, S. 118. 4 Kaufmann, Das kommende Deutschland, S. 97. 5 Im folgenden wird skizziert, daß die Wehrertüchtigung der HJ nicht - wie in zahlreichen Darstellungen aus Kreisen ehemaliger HJ-Führer immer wieder behauptet - ein Produkt des Krieges, eine Reaktion auf eine von außen herbei- geführte Konfliktsituation war, gewissermaßen ein aus der Not geborenes Programm, sondern daß die gezielte Vor- bereitung der in der HJ erfaßten Jugendlichen auf den Wehrdienst und auf einen Kriegseinsatz in der Wehrmacht von Anfang an Absicht und Bestandteil der entsprechenden Teile der HJ-Erziehung darstellte, so, wie von der Reichsjugend- fuhrung im Jahre 1944 formuliert: „Die Wehrertüchtigung ist ein Grundbestandteil der nationalsozialistischen Jugend- erziehung. Sie kann nur insoweit als Ergebnis dieses Krieges gelten, als sie erst während der letzten Jahre ihre gültigen Formen gewonnen hat." BA, NS 26/358 (Kriegsgeschichte der HJ, 1944). 6 Aufzeichnung der Ansprache Hitlers vor Befehlshabern der Reichswehr und der Reichsmarine über die innen- und außen- politischen Ziele seiner Regierung, 3.2.1933; zitiert nach: Dokumente zur deutschen Geschichte 1933 - 1935, S. 23 f. 175 ,Vormilitärische Ausbildung" und „Leibesübungen" der Jugend Noch im Februar 1933 betonte Reichsinnenminister Wilhelm Frick auch öffentlich: „Die Ertüch- tigung der deutschen Jugend, die von wehrhaftem Geist erfüllt sein muß, ist unser erstes Ziel. Mit pazifistischen ... Phrasen werden wir unsere Stellung in der Welt nicht wieder erobern."7 Und Baidur von Schirach, der am 24. Juni 1933, wenige Tage nach seiner ersten Ernennung zum Ju- gendführer des Deutschen Reichs, in einer programmatischen Rede die mit diesem Amt verbunde- nen Aufgaben umriß, hob dabei hervor, es sei „eine selbstverständliche Forderung, daß die wehr- sportliche Führung der deutschen Jugend ausschließlich in den Händen der Hitlerjugend" zu liegen habe. Im Kontext der Zielvorgaben des neuen Regimes, die mit einer allgemeinen Kriegserziehung auch eine umfassende Militarisierung der gesamten Gesellschaft zum Inhalt hatten, postulierte Schirach: „Ich möchte deswegen auch die gesamte deutsche Jugend in einen einheitlichen Plan der Wehrhaftigmachung einbeziehen."8 Bereits Ende 1933, nach einer ersten organisatorischen Konsolidierung der mittlerweile 2,3 Millionen Jugendliche erfassenden Organisation, hatte die Reichsjugendführung das erste Mal Richtlinien „zur systematischen Ausübung der Grundausbildung in den Leibesübungen, des Luftfgewehr]- bzw. Kleinkaliberschießens und des Geländesports" herausgegeben.9 Detailliertere Vorgaben zu Voraussetzungen und Zielen des zu einem festen Segment der HJ-Erziehung er- wachsenden Bereichs der „körperlichen Ertüchtigung" wurden im Frühjahr 1934 veröffentlicht. Danach habe die Ausbildung der HJ - „im Gegensatz zu den Erziehungsmethoden der vergange- nen Epoche des Liberalismus" - „den ganzen Menschen körperlich wie geistig-seelisch" zu erfas- sen. Diese Doppelstrategie der „Erziehung zum Nationalsozialisten" müsse „dort einsetzen, wo der Mensch noch beeinflußbar" sei, „also in seiner frühesten Jugend". Ebenso wie die „charakterliche Schulung des jungen Deutschen in der HJ ihren äußeren Aus- druck in der Haltung des Hitler-Jungen" finden müsse, die dann in „seiner freiwilligen Unter- ordnung, seinem Gehorsam ..., seinem Pflichtbewußtsein, seiner Kameradschaft" erkennbar sei, und schließlich über die „Liebe zu seinem Führer, seinen Volksgenossen und seinem Vaterland" in „dem jederzeit freiwilligen Einsatz des eigenen Lebens für die Idee des Nationalsozialismus" ihren Höhepunkt erreichen sollte, so gipfelte auch die Konzeption für die körperliche Ertüchtigung in einem Todesmotiv: Da, jeder Hitler-Junge freiwillig bereit" sein müsse, „mit seinem Leben für seinen Führer und für den Nationalsozialismus einzustehen", sei er „auch verpflichtet, die hierfür erforderlichen körperlichen Voraussetzungen zu schaffen". Das Ziel, daß, jeder Hitler-Junge einen gesunden, sportlich gestählten und leistungsfähigen Körper" erhalte, sei aber nur zu erreichen, wenn er „laufen, springen, werfen, sich wehren (boxen und ringen), retten (schwimmen) [lerne], wenn er marschieren, Luft- oder Kleinkaliberschießen kann und im Gelände seinen Mann" stehe.10 Eine professionelle vormilitärische Ausbildung der HJ begann - nach einer Zwischenphase, in der die HJ teilweise in das Ausbildungswesen der SA integriert worden ist - jedoch erst lange nach der Einführung der Wehrpflicht". Dabei basierte die Zusammenarbeit von HJ und Wehrmacht - un- 7 Völkischer Beobachter, 21.2.1933. 8 Zitiert nach: Das Junge Deutschland, Heft 7/1933, hier S. 174. Schon im Sommer 1932 war die HJ-Führung davon ausgegangen, daß der „Führer ohnehin die Macht im Reich übernehmen" und „die wehrsportliche Ausbildung im Dritten Reich Gesetz" werden würde; um dabei einen guten Startplatz einnehmen zu können, sei es „unbedingt er- forderlich, daß die HJ sich sofort entsprechend ihrer Bedeutung an diesen Kursen" zur Ausbildung von Führern in dem am 13.9.1932 gegründeten Reichskuratorium für Jugendertüchtigung beteilige; BA, NS 26/337 (Anweisung der Stabsleitung der HJ zur Beteiligung am Reichskuratorium, August 1932). Aktivitäten zur Wehrertüchtigung und Programme zur Kriegserziehung der Jugend lassen sich in Deutschland bis 1890 zurückverfolgen, gehören also nicht zum HJ-originären Arsenal militanter Jugenderziehung. 9 VOB1., Folge 65,2.11.1933, und Folge 79, 21.12.1933. Im Rückblick anerkannte auch die Wehrmacht: „Die Wehrer- tüchtigung der deutschen Jugend erfolgt ... bereits seit der Machtübernahme 1933 in der Hitler-Jugend, die schon damals Leibesübungen und Wehrertüchtigung in ihr Dienstprogramm aufgenommen hat." BA, NS 23/63 (Ernst Kaether,
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