Berghaus, Ruth Ruth Berghaus sehr treffend beschreibt und perfekt auf den Punkt bringt, ist: ‚Krank sein ist unprofessionell‘. Wie Sie sicher * 2. Juli 1927 in Dresden, Deutschland wissen, hat sie ihre letzte Inszenierung vom Sterbebett † 25. Januar 1996 in Zeuthen bei Berlin, Deutschland aus überwacht.“ (Sandra Leupold in einer E-Mail an Mar- tina Christl am 14.9.2014) Choreografin, Opern- und Theaterregisseurin, Orte und Länder Intendantin In Dresden, wo sie auch geboren wurde, studierte Ruth „Kunst ist Leben, Leben ist Arbeit, Arbeit ist das Funda- Berghaus von 1947 bis 1950 Ausdruckstanz. Ab 1951 be- ment und die Erfüllung einer sozial gerechten Gesell- gann sie am Berliner Kinder- und Jugendtheater „Thea- schaft: Bei aller Verkürzung ließe sich so vielleicht die we- ter der Freundschaft“ mit ersten Choreografien und Re- sentliche Orientierung der Künstlerin Ruth Berghaus zu- giearbeiten. Danach führte sie unter anderem an folgen- sammenfassen.“ den europäischen Opernhäusern Regie: Deutsche Staats- (Bazinger, Irene (Hg.). Regie: Ruth Berghaus. Geschich- oper Berlin, Bayerische Staatsoper, Oper Frankfurt, Na- ten aus der Produktion. Berlin: Rotbuch Verlag, 2010) tionaltheater Mannheim, Wiener Staatsoper, Theater an der Wien, Hamburgische Staatsoper, Oper Graz und Profil Opernhaus Zürich. Ruth Berghaus ist die „Grande Dame“ des Opernregie- Biografie theaters. Wie niemand sonst hat sie die Opernregie nach 1945 revolutioniert. Sie war eine Pionierin und darin ra- Ruth Berghaus wurde am 2. Juli 1927 in Dresden gebo- dikal, auch in ihrer Sicht auf ihre Arbeit, und streng im ren. Ihre Mutter Maria Totzek entstammte angeblich ei- Umgang mit sich und anderen, wenn es um ihre Maßstä- ner Bergarbeiterfamilie aus Gelsenkirchen, der Vater be ging. „Nicht erst flicken mit Hergebrachtem, es gibt ge- Emil Berghaus war Geschäftsführer einer Konsum-Ge- nug Einfälle auf der Welt!“ notierte sich die junge Ruth nossenschaft in Dresden. Nachdem der Vater früh verst- Berghaus am Anfang ihrer Laufbahn. arb und ein Bruder im Krieg gefallen war, hatte sie mit Ist es Zufall, dass eine der größten Regisseurinnen der dem anderen Bruder nach der gemeinsamen Kindheit deutschen Theatergeschichte aus dem Osten Deutsch- kaum noch Kontakt. Bekannt ist nur, dass beide Ge- lands stammte? Strukturell hatte sie anscheinend in der schwister der Hitlerjugend beitraten. Ruth Berghaus wei- DDR die besseren Chancen für einen beruflichen Aufs- gerte sich zeitlebens beharrlich, über ihre Kindheit und tieg, und schon als die Mauer noch stand, durfte sie aus- die von der Nazi- und Kriegszeit überschattete Jugend zu reisen und im Westen inszenieren, denn ihr Ruhm war sprechen. zu groß, als dass man sie hätte festhalten können. Vom Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ wurde sie nach Nach dem Abitur in Dresden studierte sie von 1947 bis der Wende als „Luxus-Dissidentin“ bezeichnet: „Arbeiter- 1950 Tanzregie und Tanzpädagogik bei Gret Palucca an klasse im Kopf und den Daimler in der Garage“ lautet ein der Palucca Schule Dresden. Laut Prüfungszeugnis war Bonmot über sie. Als Ruth Berghaus zusammen mit Ma- sie „eine einfallsreiche Tanzregisseurin von großer Eigen- rie-Luise Strand (Ausstattung) und Margit Steger (Spiel- willigkeit […] mit einer Neigung zum Experimentieren, leitung) 1980 Mozarts „Zauberflöte“ an der Oper Frank- die ihren Willen zum neuartigen Gestalten ausdrückt“ furt inszeniert, wird das erste Frauenteam der Opernge- (Neef, Sigrid. Das Theater der Ruth Berghaus. Berlin: schichte in der Bundesrepublik Deutschland als „Damen- Henschelverlag Kunst und Gesellschaft, 1989). riege aus der DDR“ bezeichnet. Sie hatte sich nicht nur auf ein Terrain – das der Oper – vorgewagt, das bisher 1951 zog sie nach Berlin um und bekam erste Engage- Männern vorbehalten war, zur allgemeinen Entrüstung ments als Choreografin und Regieassistentin am Berliner wagte sie zudem einen neuen, anderen Umgang mit Ge- Kinder- und Jugendtheater „Theater der Freundschaft“. schlechterstrukturen in den vertrauten Stücken. Von da an bis 1953 war sie Meisterschülerin von Gret Pa- Aktuelle, namhafte Opernregisseurinnen haben bei Ruth lucca und an der Deutschen Akademie der Künste Berlin Berghaus gelernt und studiert, unter anderem auch San- bei Wolfgang Langhoff. Doch nicht seine Handschrift dra Leupold, die Ruth Berghaus wie folgt beschreibt „ wurde prägend für ihre Arbeit, sondern die von Bertold …also ein Ruth-Berghaus-Zitat, das ihr Wesen wirklich Brecht. Ruth Berghaus war zweiundzwanzig, als sie ihm – 1 – Berghaus, Ruth erstmals begegnete. Sie versuchte in Berlin eine Tanzg- st ein Engagement als Regisseurin; 1968 folgte das De- ruppe aufzubauen, hospitierte am Berliner Ensemble büt als Schauspielregisseurin bei „Viet Nam Diskurs“ von und gab Bewegungsunterricht am Deutschen Theater. Peter Weiss. Ab 1970 wurde sie Stellvertretende Inten- dantin des Berliner Ensembles und Außerordentliches 1954 heiratete sie den um 33 Jahre älteren Komponisten Mitglied der Akademie der Künste der DDR, ab 1972 Or- Paul Dessau, es folgten die Geburt des gemeinsamen Soh- dentliches Mitglied der Akademie der Künste der DDR, nes Maxim und ein Umzug nach Zeuthen bei Berlin. von 1978 bis 1987 dort Sekretärin der Sektion Darstellen- de Kunst und ab 1993 Mitglied der vereinigten Akademie Zwischen 1958 und 1964 kreierte Ruth Berghaus mehre- der Künste Berlin. re Choreografien an der Palucca Schule Dresden, wo es zu einer ersten Zusammenarbeit mit dem Bühnenbildner Im April 1971 starb Helene Weigel, die Intendantin des Achim Freyer kam. Ihr Debüt als Opernregisseurin gab Berliner Ensembles. Zur Nachfolgerin hatte sie Ruth sie 1960 bei Paul Dessaus „Die Verurteilung des Lukul- Berghaus bestimmt. Mit Ruth Berghaus’ Intendanz be- lus“ an der Deutschen Staatsoper Berlin (Regie zusam- gann ein neuer Abschnitt des Berliner Ensembles auf men mit Erhard Fischer) und am Städtischen Theater Grund ihres Programms: Ein vielseitiges Repertoire be- Mainz; die Oper sollte sie noch weitere drei Mal (1961 deutender Stücke. Das schloss die kontinuierliche Brecht- am Volkstheater Rostock, 1965 und 1983 an der Deut- Pflege ebenso ein wie die Aufführung neuer Werke, die schen Staatsoper Berlin) inszenieren. Förderung junger Regisseure, sowie Arbeiten mit zeitge- nössischen Autoren wie Karl Mickel und Einar Schleef. Mitglied der SED (Sozialistische Einheitspartei Deutsch- Als Regisseurin brachte Ruth Berghaus unter anderem lands) wurde sie 1962. Heiner Müllers Schauspiel „Zement“ 1973 zur Urauffüh- rung, inszenierte als DDR-Erstaufführung Brechts frühes Mit einem Schlag berühmt wurde sie 1964 als Choreogra- Stück „Im Dickicht der Städte“ (1971) und die Erstfas- fin der Schlachtszenen in Bertolt Brechts „Coriolan“ am sung von „Die Mutter“ (1974). Die Neuinterpretationen Berliner Ensemble (Regie: Manfred Wekwerth/Joachim von Brecht-Stücken führten zu Auseinandersetzungen Tenschert). Es handelte sich um Shakespeares „Coriola- mit den Brecht-Erben. Ab dieser Zeit begann eine vers- nus“ in einer Bearbeitung von Brecht: So etwas hatte tärkte Bespitzelung durch den Staatssicherheitsdienst man noch nie gesehen; die Bewegungsregie, die sie sich der DDR und führte schließlich 1977 zum erzwungenen für die Schlachtszenen ausgedacht hatte, muss sensatio- Rücktritt als Intendantin des Berliner Ensembles. Ein En- nell gewesen sein. Ihr Name wurde mit dieser Choreogra- gagement als Regisseurin an die Deutsche Staatsoper fie national wie international bekannt. Darauf folgte ein Berlin folgte und es begann die erfolgreiche, langjährige Engagement als Regieassistentin und Choreografin, sch- Zusammenarbeit mit der Bühnen- und Kostümbildnerin ließlich als Regisseurin am Berliner Ensemble. Marie-Luise Strandt. Erfolgreich inszenierte sie zwischen 1965-1968 an der Ehemann Paul Dessau verstarb 1979 und konnte die Staatsoper Berlin unter anderem 1966 die Uraufführung durch die DDR-Kulturinstanzen verzögerte Urauffüh- von Dessaus „Puntila“ (Beginn der Zusammenarbeit mit rung seiner Oper „Leonce und Lena“ unter Ruth Berg- dem Bühnenbildner Andreas Reinhardt), 1967 eine spek- haus’ Regie nicht mehr miterleben. „Leonce und Lena“ takuläre „Elektra“ von Richard Strauss (mit Ingrid Ste- so wie Richard Wagners „Rheingold“ an der Staatsoper ger in der Titelrolle, Martha Mödl als Klytämnestra so- Berlin wurden nach drei bzw. zwei Vorstellungen abge- wie Theo Adam als Orest) und 1968 die legendäre Interp- setzt und das Projekt einer Inszenierung von „Der Ring retation des „Barbier von Sevilla“ (Gioacchino Rossini), des Nibelungen“ wurde gestrichen. die jahrzehntelang im Spielplan blieb, 2009 ihre 300. Vorstellung feierte und noch immer läuft. Ein Videobei- Ab 1980 holte Michael Gielen sie an die Oper Frankfurt spiel findet sich hier: http://www.staatsoper-berlin.de/ am Main, wo sie bis 1987 insgesamt neun Werke insze- de_DE/calendar-2014-2015/il-barbiere-di-sivig- nierte. Diese gipfelten im gemeinsamen „Ring des Nibe- lia.12260736 lungen“ (1985-1987), der neue Maßstäbe setzte. Anlässli- ch der Wiedereröffnung der Semperoper kehrte sie 1985 Am Berliner Ensemble erhielt Ruth Berghaus 1967 zuer- nach Dresden mit der Uraufführung von Siegfried Matt- – 2 – Berghaus, Ruth hus’ Opernvision „Die Weise von Liebe und Tod des Cor- eine Erweiterung der Mittel und die Auseinandersetzung nets Christoph Rilke“ zurück. Es folgte eine erste Insze- zwischen Bühne und Publikum, fand doch hier der groß nierung an der Pariser Oper mit „Wozzeck“ von Alban angelegte Versuch statt, Prinzipien eines epischen Thea- Berg. An der Wiener Staatsoper choreografierte sie 1986 ters für die Opernbühne zu erproben.
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