Samuel Chappuzeau (1625-1701)

Samuel Chappuzeau (1625-1701)

Hessen im 17. Jahrhundert aus der Sicht des hugenottischen Schriftstellers Samuel Chappuzeau (1625-1701) Sabine Haake-Kress Ihr habt eure Religion niemals eurem Interesse dienen lassen / sondem ihr habt euer Religion und euer Vat/erland allezeit vor euere zw<y Polos gehabt ... lhr habt mit standhafftigem Muth aUff der rechten Seite gehalten und ... nur vor das Evangelium und die rechte Fr<yheit ge/ochten. Mit diesen Worten preist Samuel Chappuzeau die protestantischen deut­ schen Fursten und Stande in der Widmung zum zweiten Teil seines Haupt­ werkes ,,1etztlebendes Europa"i. Wer war dieser Schriftsteller Samuel Chappuzeau, dessen Namen und des­ sen Rucher heute kaum jemand mehr kennt? 2 Chappuzeaus Leben Er entstammte einer hugenottischen Familie - urspriinglich aus dem Poi­ tou -, die dem niederen Amtsadel angehorte. Sein Vater war zum avocat au Conseit prive du Roy avanciert, der Sohn war darauf zeitlebens stolz und ver­ wendete den Titel gem auch fUr si ch. 1625 wurde Samuel Chappuzeau in Paris geboren, studierte in den calvinistischen Hochburgen Genf und Montauban Philosophie, Medizin und Theologie, gab aber schon bald sein Ziel auf, Predi­ ger zu werden, und rustete statt dessen mit gut 20 Jahren zur ersten seiner zahlreichen groBen Reisen. Er besaB einigen Ehrgeiz und hatte bereits friih die geringen Chancen erkannt, im unruhigen Frankreichjener Zeit eine gute Position zu finden, zu­ mal als Reformierter. Dazu kamen sein Drang nach Ungebundenheit und sei­ ne ausgepragte Reiselust: dies alles hatte ihn also bewogen, Frankreich zu ver­ lassen und in anderen europaischen Landem sein Gluck zu versuchen. Zu­ nachst finden wir Chappuzeau in England und Schottland, dann in den N ie­ derlanden - hier schrieb er seine ersten Arbeiten - und anschlieBend in Deutschiand, wo er am Kasselschen Hofe 1650 seine erste feste Anstellung er­ hielt: AIs Privatsekretar der Landgrafin war er mit der Aufgabe betraut, die Chronik von Amalie Elisabeths Regierungszeit zu schreiben. AIs 1651 seine Gonnerin starb, war nach kurzer Zeit Chappuzeaus Karriere in Kassel zu Ende. Erst Jahre spater errang Chappuzeau wieder ein Hofamt; in Leiden in Holland bekleidete er den poste glorieux eines Prinzenerziehers von Wi1- helm Ill. von Oranien, dem spateren eng1ischen Konig. Nach Paris zuriickgekommen, versuchte Chappuzeau als Komodienautor mit Moliore in Konkurrenz zu treten, kehrte aber seinem Heimatland bald endgiiltig den Rucken und lieB si ch fUr 20 Jahre mit seiner inzwischen viel­ kopfigen Familie in Genf nieder. Hier erteilte er vor allemjungen deutschen protestantischen Adligen Privatunterricht und widmete si ch seiner Schrift­ stellerei. 49 Von hier aus unternahm er auch seine groGen Reisen als poete vagabond. Jetzt fUhrte er ein wahrhaft kontrastreiches Leben: zu Hause ein kleiner Schulmeister mit unbefriedigtem Ehrgeiz, auf den Studienreisen dagegen ein freundlich empfangener, geehrter und weiter empfohlener Gast an zahlrei­ chen Fiirstenhofen. Sein Weg fUhrte ihn mehrmals quer durch Deutschland, Italien, Frankreich, England, Holland, die Schweiz, Savoyen, Diinemark, Schweden. Die Motivationen, aus denen heraus Chappuzeau immer wieder zum Wan­ derstab griff, waren vielschichtig: Zuniichst gait damals in gehobenen Kreisen die sogenannte Kavalierstour, auf der man si ch jene belles connaissances er- warb, mit denen ein Honnete- Homme ausgestattet sein muBte, als geradezu obligatorisch. Chappuzeau suchte nun aber seine Reiseerfahrungen gaaz ge­ zielt zu macben und iiberall unterwegs Material fUr sein geographisch-histo­ ri sch-politisches Hauptwerk "Europe Vivante" zu sammeln, das im Laufe der Zeit in drei Fortsetzungen und mehreren Auflagen und Ubersetzungen er­ schien (erstmals 1666) '. DaG der Reisende zahlreiche Beziehungen zu wichti­ gen Personlichkeiten kniipfen konnte, erhohte einerseits sein gesellschaftli­ ches Ansehen und erschloG ihm zum anderen eine wertvolle Informations­ quelle, da er mit diesen Bekannten eine ausgedehnte Korrespondenz unter­ hielt und somit stets iiber aktuelle politische und gesellschaftliche Nachrich­ ten verfUgte. Solche Neuigkeiten wiederum bereicherten den Stoff seiner Biicher, mit deren Verkaufserlos er teilweise den Lebensunterhalt bestritt. Chappuzeaus Suche nach einer ertragreichen und ehrenvollen Hofstellung darf aber wohl auch als Motiv fUr seine vielen Reisen bezeichnet werden; die Erinnerung an seine gliickliche Zeit in Kassel und in Leiden war stets in ihm wachgeblieben. 1682 endlich trugen ihm seine unermiidlichen Bemiihungen Friichte. Er bekam - nun schon fast 60jiihrig - den "beneidenswerten" Posten eines gouver­ neurdes pages am Celler Hofbei Herzog Georg Wilhelm und seinerGemahlin Eleonore d'Olbreuse, einer Hugenottin aus dem Poitou. Eleonore verschafTte ihm hochstpersonlich die Stelle als Pagenhofmeister, schien doch ein Franzo­ se, und gerade Chappuzeau, dessen erfolgreiche Lehrtiitigkeit schon in gutem Ruf stand und der iiber einen reichen Erfahrungsschatz verftigte, besonders geeignet, junge Edelleute in Politesse, Etikette, galantem Auftreten und kor­ rektem Franzosisch zu unterweisen. Bis zu seinem Tode 1701 fUhrte Chappu­ zeau nun ein bescheidenes, aber geruhsames Leben in Braunschweig-Liine­ burgischen Diensten, im Kreise einer vornehmlich adeJigen hugenottischen Hofgesellschaft. Bis zuletzt arbeitete er auch noch als Schriftsteller, widmete sich haupt­ siichlich seinem groG angelegten ,N euen Historisch-Geographisch-Ch,onolo­ gisch-Philologischen Dictionarium", das erkliirtermaGen einAnti-Moreri wer­ den sollte, also ein Lexikon mit eindeutig protestantischer Ausrichtung im Gegensatz zu dem damals beriihmtem Lexikon des katholischen Priesters Louis Moreri. Gottfried Wilhelm Leibniz, mit dem Chappuzeau in regem Ge­ dankenaustausch stand, unterstiitzte dieses Mammut-Projekt, das die Quint­ essenz von Chappuzeaus Lebenserfahrung beinhalten sollte, nach Kriiften; auch der bedeutende deutsche Philosoph hiel! also dieses Werk fUr fOrde­ rungswiirdig und driingte auf die Veroffentlichung'. Der Tod kam dem Autor 50 indes zuvor; das Lexikon ist nie erschienen, und die Manuskripte haben si ch bisher nirgends auffinden lassen. Es ist interessant, daB Chappuzeaus Lebenslauf wesenUiche Gemeinsam­ keiten mit dem vieler seiner Glaubensgenossen aufweist, obwohl er friiher als der GroBteil der Hugenotten Frankreich verlassen hat. Hugenottische gens de lettres, wie Chappuzeau, fanden zumeist in der Heimat, auch vor 1685, keine ihnen angemessene Position. Viele der calvinistischen Exulanten bemiihten sich im protestantischen Ausland urn eine ihrem sozialen Rang entsprechende Hofstellung, allerdings zum Teil mit schnellerem und besserem Erfolg. Hiiu­ fig wurden gebildete H ugenotten als Prinzenerzieher und Lehrpersonen auf­ genommen. Mit einer groBen Anzahl gelehrter Refugies teilte Chappuzeau das Los stiindiger finanzieller Misere. Wie fUr Chappuzeau gilt das Kriterium der teilweise mittelmiiBigen Vielschreiberei, diktiert von der wirtschaftlichen NoUage, auch besonders fUr eine ganze Reihe Literaten des Refuge jener Zeit ' . Cbappuzeaus schriftsteUeriscbes (Euvre Es paLlt zu Samuel Chappuzeau, nicht nur zu seiner Fiihigkeit, sich anzu­ gleichen, Cbancen wahrzunehmen und die Erfordernisse der Zeit zu erken­ nen, sondem auch zu seinen iiberaus vieiseitigen Interessen, zu seine m Be­ diirfnis nach umfassender geistiger Betiitigung, daB das ffiuvre, welches er der Nachwelt hinterlassen hat, ein sehr breites Spektrum bietet. Von Gedichten, anfangs Burlesken, spiiter zumeist Sonetlen, einem belletristischen Roman, Theaterstiicken und einer theoretischen Abhandlung iiber das franzosische Tbeater' hin zu theologischen Schriften - einer Predigtsammlung, einem Handbuch fUr den Kanzelredner, einem theologischen Pamphlet - , iiber zahl­ reiche historisch-geographische Werke mit starkem zeitgeschichtIichen Ein­ schlag, welche den Kernpunkt seiner Arbeit bilden, bis zu Lehrbiichern fUr junge Adlige, Ubersetzungen, einer Hofzeitung und dem groBen Lexikon-Pro­ jekt reicht Chappuzeaus Produktion. Zu seinen Lebzeiten fanden etIiche seiner Schriften, vor all em das dreibiin­ dige Hauptwerk "Europe Vivante" bzw., in der deutschen Ubersetzung "Jetzt­ lebendes Europa", groBes Echo und beachtIiche Verbreitung. Auch nach sei­ nem Tode wurde der Autor noch gewiirdigt. WissenschaftIer verschiedener Disziplinen verwerteten und verwerten zum Teil noch heute die fUr ihre Fachrichtung niitzlichen, da authentischen Informationen in Chappuzeaus :heatergeschichtIichen und historisch-geographisch-politischen Werken '. Im Rahmen der Geistes- und Literaturgeschichte des 17. Jahrhunderts kommt Literaten wie Chappuzeau, also nach universeller Betiitigung strebenden, kompilatorischen Schriftstellern, hauptsiichlich das Verdienst zu, die Ge­ schlossenheit der franzosischen KlassikaufgelOst, neue Einsichten und Denk­ formen vorbereitet und entwickelt und somit als Wegbereiter des analytisch­ kritischen Denkens der AuJkliirung gewirkt zu haben '. Die Gelehrten und Schriftsteller all er Staaten und Konfessionen bildeten eine groBe internatio­ nale 'Republik des Geistes', und auch Chappuzeau ftihlte sich, nicht oh ne Stolz, dieser republique des lettres zugehOrig'. 51 Chappuzeaus religiose Einstellung Wenn nun die Frage gestellt werden soli, wie Samuel Chappuzeau Staaten­ hi er geht es speziell urn Hessen - und Geschehnisse seiner Zeit sieht und be­ schreibt, so gilt es zunachst zu k1aren, ob dieser seiner Herlrunft nach huge not­ tische Schriftsteller sich auch seiner Einstellung nach als hugenottischer Schriftsteller empfindet, ob man also

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