Lili Boulanger Hymne au Soleil Œuvres chorales · Choral works Orpheus Vokalensemble Antonii Baryshevskyi, Pianoforte Michael Alber C Lili Boulanger (1893 – 1918) Carus Hymne au Soleil Œuvres chorales · Choral works Orpheus Vokalensemble Antonii Baryshevskyi, Pianoforte · Michael Alber 1 Prélude en Ré bémol / Des Pfte 2:50 2 Soir sur la plaine Soli STB, Coro SATB, Pfte 9:07 3 La source Coro SATB, Pfte 5:36 4 Pendant la tempête Coro TBarB, Pfte 4:04 5 Les Sirènes Solo S, Coro SSA, Coro AAT, Pfte 6:28 6 Renouveau Soli SAT, Coro SATT, Pfte 6:24 7 Sous-bois Coro SATB, Pfte 5:46 8 D’un vieux jardin Pfte 2:47 9 D’un jardin clair Pfte 1:59 10 Cortège Pfte 1:43 11 Soleils de septembre Solo A, Coro SATB, Pfte 6:38 12 Pour les funérailles d’un soldat Solo Bar, Coro SATB, Pfte 9:14 13 Psaume XXIV Solo T, Coro SATB, Pfte 4:04 14 Vieille prière bouddhique Solo T, Coro SATB, Pfte 8:47 15 Hymne au Soleil Solo A, Coro SATB, Pfte 3:52 Printed music by Carus = world premiere recording Total time: 79:28 Veröffentlichungen der Landesakademie für Picture credits: Soleil couchant sur la Seine à Lavacourt, die musizierende Jugend in Baden-Württemberg, effet d’hiver (Claude Monet (1880), wikimedia.org), hrsg. von Klaus K. Weigele. Reihe 4: Ton- und Bildträger, p. 6: Lili Boulanger (wikimedia.org), p. 10: Michael Alber CD 37: Lili Boulanger · Hymne au Soleil (Ulrich Pfeiffer), all other photos: Recorded at the Landesakademie Ochsenhausen, © Landesakademie Ochsenhausen Bibliothekssaal, 17–19 February 2018 Recording producer: Roland Kistner DIGITAL BOOKLET © 2018 by Carus-Verlag, Stuttgart 2 CCarus Vorwort „Sie steht für das Beste, Intimste und Tiefste in Violine, Violoncello, Harfe und Klavier, studiert meinem Leben“, schreibt Nadia Boulanger, die Harmonielehre, übt sich in freier Improvisation sechs Jahre ältere Schwester, die hochgeachtete und zeigt in allem eine phänomenale Auffas- Komponistin, Dirigentin, Pianistin, Musiktheore- sungsgabe. Mit siebzehn fasst sie den Entschluss, tikerin und epochale Pädagogin. Um sich zugleich Komponistin zu werden. Sie erhält privaten Un- die Frage zu stellen: „Habe ich sie im Stich gelas- terricht bei Georges Caussade und tritt 1912 in sen, weil ich nicht mehr getan habe?“ Dabei war die Kompositionsklasse von Paul Vidal am Pariser sie es, die sich über ein langes, ehrenvolles Leben Konservatorium ein. Noch im selben Jahr nimmt hinweg so intensiv und beharrlich für die Kunst sie an der Ausschreibung zum begehrten Prix ihrer Schwester Lili eingesetzt hatte wie niemand de Rome teil, muss ihre Bewerbung aufgrund sonst. Woher also rührte Nadias Unsicherheit? gesundheitlicher Probleme jedoch kurzfristig Gewiss: Wenn vom musikalischen Impressionis- zurückziehen. Ein Jahr später, im Sommer 1913, mus die Rede ist, dem Widerhall Monets und glückt das scheinbar Unmögliche: Als erste Frau Pissarros in der französischen Musik, fallen bis in der Geschichte des angesehenen Kunstwettbe- heute zuerst die Namen Debussy und Ravel, viel- werbs Prix de Rome erringt Lili Boulanger mit ih- leicht noch Dukas oder D’Indy, kaum aber der Lili rer Kantate Faust et Hélène den Hauptpreis in der Boulangers. In den Augen der Nachwelt besaß sie Sparte Musik. Die mutige Entscheidung der Preis- über lange Zeit hinweg eher den Nimbus einer richter versetzt die gesamte Musikwelt in Aufruhr traurig-schönen Legende als die Eigenschaften – nicht aber die Geehrte selbst. Mit Bescheiden- einer echten Bedeutungsträgerin. Das mag am heit nimmt sie Auszeichnung und Stipendium an, männlichen Blickwinkel liegen, der bis weit ins muss indes ihren Aufenthalt in der Villa Medici 20. Jahrhundert hinein von schier unüberwindli- krankheitsbedingt nach einigen Wochen abbre- chen Vorurteilen verstellt war; doch sicher auch chen. Ihre konstitutionelle Schwäche sollte die am allzu kurzen Leben einer Künstlerin, das kaum gesamten noch verbleibenden Lebensjahre der hinreichend Gelegenheit zur stilistischen Einfl uss- genialen Französin beherrschen, künstlerische nahme bot. Nadia dagegen trifft keine Schuld. Produktivität in Zeiten gesundheitlicher Krisen beschwerlich, nicht selten unmöglich machen. Marie-Juliette Olga Boulanger, genannt Lili, kommt am 21. August 1893 in Paris zur Welt. Bestimmend für das einnehmende Wesen Lili Im Alter von zwei Jahren erkrankt sie an einer Boulangers waren Zeitzeugen zufolge Grazie, schweren Lungenentzündung, aus der sich spä- Warmherzigkeit und Aufopferungsbereitschaft. ter ein chronisches Bronchialleiden sowie Mor- Nadia spricht von „spiritueller Scheu“, vor allem bus Crohn entwickeln werden. Ihrer fröhlichen aber von Lauterkeit, leidenschaftlicher Hinga- Art wie ihrer musischen Neigung kann die labile be, Scharfsinn, Disziplin und bewundernswerter Gesundheit allerdings nichts anhaben. Lili lernt Willensstärke. „Sie wusste, dass ihr Leben kurz DIGITAL BOOKLET 3 sein würde, ihre Zeit bemessen“, erinnert sie Passagen oder dialogische Vortragsmuster, die CCarus sich. „Viel ruhiger als wir heutzutage sprach sie aus den Versen unerwartet dramatische Subtexte darüber, war sie auf ihren eigenen Tod gefasst. herausfi ltern. Hohen Eigenwert schließlich besitzt Sie hatte noch viel zu sagen, aber sie musste ihre auch die facettenreiche Klavierbegleitung, in vie- Lebenspläne aufgeben, verlassen, was sie liebte. len Fällen später von eigener Hand orchestriert, Am 15. März 1918 hatte ihr Leiden ein Ende. Sie deren ambivalentes Spiel mit ausschweifenden hatte niemals die leiseste Spur von Aufl ehnung Arabesken und rätselhaften Akkordverbindungen gezeigt, nur das überwältigende Bedürfnis zu sa- zusätzliche Sinnesreize schafft. gen, was sie zu sagen hatte.“ Einhundert Jahre nach ihrem Tod scheint es höchste Zeit für ein Die hier eingespielten Stücke entstanden im Zeit- nachdrückliches Erinnern. raum zwischen 1911 und 1917. Die älteste Par- titur, Sous-bois, eine nachdenkliche Studie über Vokalkompositionen nehmen den wichtigsten den Kreislauf des Werdens und Vergehens, in der Platz im schmalen Œuvre Lili Boulangers ein, spie- Natur wie der Liebe, wurde im September 1911 geln ihre starke Affi nität zur menschlichen Stim- vollendet. Nur wenige Wochen später entstand me, ihre kaum begrenzten Ausdrucksmöglichkei- Renouveau auf Verse von Armand Silvestre. Der ten. So entstanden zwischen 1910 und 1918 vor heitere, chansongleiche Habitus der rahmenbil- allem Klavierlieder und Chorwerke, daneben eini- denden Teile, in denen sich der personifi zierte ge wenige Instrumentalstücke, während ihr ambi- Frühling unmittelbar an sein Publikum wendet, tioniertestes Projekt, eine Oper auf Maeter lincks wird im schwülen, latent erotischen Tonfall der lyrisches Drama La Princesse Maleine, an dem solistisch ausgeführten Mittelstrophen gebro- sie über Jahre hinweg arbeitete, letztlich unvoll- chen. Hier verlässt die Komponistin den stabilen endet blieb. Als thematischer Schwerpunkt ihrer Es-Dur-Rahmen des Beginns, um auf verschlun- Chormusik ist unschwer die Natur auszumachen. genen Pfaden in immer entlegenere harmonische Naturpoesie, oft metaphorisch überformt, regte Regionen vorzudringen und dabei eine fi ntenrei- sie zu einer atemberaubenden Klangsinnlichkeit che Maskerade aus den Relikten funktionaler Be- an, die derjenigen Debussys und Ravels in nichts ziehungen zu inszenieren. Zu einem zentralen Stil- nachsteht. Ihre Musik ist geprägt von einer irisie- mittel wird diese Technik kunstvoll verschleierter renden, fast sinfonischen Farbvielfalt und einer Harmonik endgültig in den folgenden Stücken, fortschrittlichen, oft modalen Harmonik, in der insbesondere Les Sirènes von Dezember 1911. die Tonalität mehr als gelegentlich an ihre Grenzen Geheimnisvolle Akkordfolgen über weiträumigen geführt wird. Welcher Gattung ihre Chor werke Orgelpunkten stehen für jene intrikaten Ver- angehören, ist letztgültig kaum zu bestimmen, führungen der Fabelwesen aus der griechischen da jede Gedichtvorlage ihre eigenen Gestaltungs- Mythologie, die Scharen vorbeifahrender Schiffer mittel und Formmodelle zu generieren scheint. zum Verhängnis wurden. Ihr betörender Gesang, So fi nden sich madrigalische Züge neben kanta- gewissermaßen verdoppelt durch den Einsatz tenhaften Momenten, ausgedehnte solistische eines zweiten, unsichtbaren Chors hinter der DIGITAL BOOKLET 4 Bühne, lässt auch den Hörer dieser musikalischen endet sie das Werk in dem mondänen Badeort Ar- CCarus Nacherzählung wie hypnotisiert zurück. cachon an der Atlantikküste, in den sie sich in der Hoffnung auf den heilenden Einfl uss der Seeluft Lautmalerische Klangbilder und ihr metaphori- zeitweise zurückgezogen hatte. Die kontemplati- scher Gehalt sind ein weiteres hervorstechendes ve Vertonung eines alten buddhistischen Gebets Merkmal der Musik Boulangers. Zu fi nden etwa über die Universalität der Liebe, über Frieden und beim subtilen Spiel wechselnder Lichtwirkungen Erlösung, vermittelt den Eindruck von Zeitlosigkeit im lange verschollen geglaubten Frühwerk Soleils und grenzenloser Zuversicht. Mit seiner großarti- de septembre aus den Wintermonaten 1911/12, gen Finalklimax gehört sie zweifellos zu Boulan- dessen Autograph erst vor einigen Jahren wieder gers eindrücklichsten Stücken. aufgefunden wurde. Nicht minder eindrucksvoll der illustrative Zauber in drei weiteren Stücken, Während Pour les funérailles d’un soldat auf sämtlich zwischen April und Juli 1912 verfasst: die ein Gedicht von Alfred de Musset, vollendet Darstellung entfesselter Naturgewalten in Pendant im Oktober 1912, mit düsterem Trauermarsch- la tempête, die Nachahmung glitzernden Wassers duktus und Anklängen an den mittelalterlichen in La source, eingefangen in
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