BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks Sendung vom 24.11.2009, 20.15 Uhr Liselotte Vogel und Hans-Jochen Vogel Bundesjustizminister a.D. im Gespräch mit Gabi Toepsch Toepsch: Herzlich willkommen zum alpha-Forum. Wir haben heute ein Ehepaar zu Gast, Liselotte und Hans-Jochen Vogel. Beide haben sich vor etwa drei Jahren dazu entschlossen, in ein Seniorenwohnstift zu ziehen. Schön, dass Sie da sind. Hans-Jochen Vogel ist Münchner Alt-Oberbürgermeister und ehemaliger Bundesjustizminister, ein Mann mit einer langen SPD-Karriere. Liselotte Vogel ist, wenn ich das so sagen darf, die starke Frau im Hintergrund des erfolgreichen Mannes. Sie tritt jetzt jedoch in den Vordergrund, denn sie hat ein Buch geschrieben über den mutigen Umgang mit dem Alter. Braucht man denn Mut, um in ein Wohnstift zu ziehen? Liselotte Vogel: Man braucht nicht unbedingt Mut, um in ein Wohnstift zu ziehen, aber das ist doch eine Entscheidung, die man lange genug vorher überlegen muss, die auch Vorbereitungen braucht und die man eben am besten dann trifft, wenn man sich noch selbst entscheiden kann, wie das alles aussehen soll. Das ist auch der Sinn dieses Buchs, von dem Sie gesprochen haben. Ich möchte den Menschen Mut machen, wirklich rechtzeitig zu überlegen, wie sie ihr Alter verbringen möchten, wo sie es verbringen möchten, was sie dort haben möchten usw. Toepsch: War der Schritt ein mutiger Schritt für Sie? Hans-Jochen Vogel: Nein, das Wort "Mut" würde ich in diesem Zusammenhang nicht verwenden. Es ist schon so, dass das Alter an sich einen gewissen Mut erfordert, meine Frau hat in ihrem Buch ja auch ein Zitat einer berühmten Schauspielerin verwendet: "Alter ist kein Job für Feiglinge!" Diese Entscheidung aber war eine sachlich-verstandesmäßige. Wir hatten allerdings bereits eine gewisse Vorstellung vom Leben in diesem Wohnstift, weil sowohl die Mutter meiner Frau, also meine Schwiegermutter, als auch meine Eltern die letzten Jahre ihres Lebens in diesem Wohnstift bzw. in einem parallelen Wohnstift verbracht hatten. Nein, dafür brauchte es keinen Mut, sondern das war eine sachliche und vernünftige Entscheidung. Von heute aus betrachtet, sind wir mit dieser unserer Entscheidung auch recht zufrieden. Liselotte Vogel: Ja, sehr. Toepsch: Uns alle interessiert jetzt natürlich, wie denn Ihr Tagesablauf in so einem Wohnstift aussieht. Wahrscheinlich sind Sie das schon Tausend Mal gefragt worden, aber ich denke, es ist einfach spannend, das zu erfahren. Liselotte Vogel: Der Tagesablauf in einem Wohnstift sieht genau genommen eigentlich nicht anders aus als vorher – jedenfalls bei uns. Wir sind in diesem Wohnstift Mieter, d. h. wir haben dort eine Wohnung, die eine Wohnungstür mit einer Klingel hat. Innerhalb dieser Wohnung leben wir ganz genau so, wie wir früher auch gelebt haben. Der einzige Unterschied ist, dass wir nun mittags zum Essen gehen. Das Frühstück mache ich aber z. B. immer noch selbst. Außer den Essenszeiten mittags ist also unser Tagesablauf überhaupt nicht bestimmt vom Haus. Aber es gibt dort selbstverständlich auch kulturelle Angebote, die man wahrnehmen kann oder nicht. Unser Alltag läuft also so wie früher: Wir frühstücken und dann geht mein Mann an seinen Schreibtisch. Früher musste er jeden Morgen aus dem Haus, weil er Termine hatte: Das ist heute zwar auch noch so, aber doch ziemlich reduziert. Das heißt, wir haben mehr Zeit füreinander, was ich sehr genieße. Und ich mache nach dem Frühstück das, was ich innerhalb meines kleinen Hauswesens zu machen habe, oder ich gehe im Haus zum Singen, denn montags gehe ich immer zum Singen. Oder ich gehe zum Yoga und gelegentlich auch ins Gedächtnistraining, je nachdem, was mir Spaß macht. Mittags essen wir unten im Speisesaal bzw. im Restaurant, wie es jetzt heißt. Und nachmittags versuchen wir, auf jeden Fall spazieren zu gehen. Toepsch: Nehmen Sie denn wie Ihre Frau auch solche Angebote in Anspruch? Hans-Jochen Vogel: In viel geringerem Maße. Es gibt gelegentlich Vorträge oder auch Informationsveranstaltungen, die uns beide interessieren, zu denen ich also ebenfalls mitgehe. Neulich gab es z. B. eine interessante Vortragsreihe über Herzkrankheiten und über Herzprobleme. In unserem Alter gibt es an diesem Thema natürlich ein naheliegendes Interesse. Aber ansonsten kann ich meiner Frau nur erneut zustimmen: Unser Tagesablauf hat sich nicht so sehr durch den Umzug ins Altenwohnheim verändert, sondern dadurch, dass wir älter geworden sind, und ich zwar im Ruhestand bin, aber in diesem Ruhestand schon auch noch das eine oder andere mache oder zu helfen versuche. Es ist ganz wichtig festzuhalten, dass man in so einem Wohnstift ganz selbstbestimmt sein eigener Herr bleibt. Es ist nicht so, dass man dort unter ständiger Anleitung oder ständiger Beaufsichtigung wäre. Nur dann, wenn man wirklich pflegebedürftig wird, und das ist ein ganz großer Vorteil in diesem Altenwohnheim, wird man in seiner eigenen Wohnung gepflegt. Das heißt, man hat es dann auch mit Menschen zu tun, die man bereits kennt. Das ist dann also nicht von einem Tag auf den anderen ein jäher Übergang ins Unbekannte. Toepsch: Sie haben soeben gesagt, dass sich nicht so viel verändert habe. Aber geändert hat sich doch immerhin, dass Sie vermutlich eine Menge neuer Nachbarn bekommen haben. Liselotte Vogel: Ja, sicher. Aber das wirkt sich eigentlich nicht anders aus, als wenn wir in einem normalen Mietshaus in eine andere Wohnung umgezogen wären. Aber es ist schon so, dass in unserem Haus ein ungemein höflicher und freundlicher Ton herrscht, was ich, wie ich sagen muss, sehr genieße. Man grüßt sich weitgehend untereinander, aber es hat jeder eine Wohnungstür und eine Klingel. In diesen dreieinhalb Jahren ist es jedenfalls noch nicht vorgekommen, dass bei uns jemand vom Haus vor der Tür gestanden und geklingelt hätte. Denn normalerweise läuft das alles über Telefon: So weit man sich kennt, ruft man sich an, fragt, wie es geht usw. Das mag freilich anders sein, wenn man nicht als Ehepaar in ein solches Haus geht; hier muss man sicher immer unterscheiden. Für uns beide sind neue soziale Kontakte nicht existenziell, denn wir haben uns beide und haben unsere alten Freunde in München. Toepsch: Sie sind einfach in der Stadt geblieben. Liselotte Vogel: Für Menschen, die alleine einziehen, stellt sich das alles natürlich schon ein bisschen anders dar. Aber es muss dort auch niemand allein sein. Toepsch: Wie ist das beim Mittagessen? Sitzen Sie da als Ehepaar alleine an einem Tisch? Oder haben Sie einen größeren Tisch, gar so etwas eine Mittagsgemeinschaft? Hans-Jochen Vogel: Ja, das ist eine ganz wichtige Frage. Wenn man dort hinkommt, wird einem am ersten Tag ein bestimmter Platz angeboten, weil die Menschen, die sonst dort sitzen, z. B. im Urlaub sind. Danach wandert man ein bisschen von Tisch zu Tisch, bis sich das schließlich an einem bestimmten Tisch verfestigt. Bei uns hat das ungefähr vier, fünf Wochen gedauert, bis sich eine Tischgemeinschaft entwickelt hat, die sich immer zur selben Zeit mittags einfindet. Ich befinde mich da in einer gewissen Sondersituation, denn das sind lauter Damen. Toepsch: Das heißt, Sie sind der Hahn im Korb. Hans-Jochen Vogel: Wir mussten dann umziehen, weil das Wohnstift ja etwas erweitert worden ist. Heute haben wir einen runden Tisch, an dem fünf Damen und meine Wenigkeit Platz nehmen. Das ist für das Wohlbefinden doch von erheblicher Bedeutung. Liselotte Vogel: Dass es fünf Damen sind? Hans-Jochen Vogel: Nein, ich meine die Zusammensetzung dieses runden Tisches: Das ist eine Verbindung von freundlicher Sympathie und auch gegenseitigem Interesse und schon auch einer gewissen Distanz. Man gerät also nicht in einen kumpelhaften Zustand dabei. Und es geht eigentlich immer lustig zu, aber nicht grob vordergründig, sondern mit amüsanten Gesprächen. Eine Dame an unserem Tisch ist sehr schwerhörig, weswegen wir uns bemühen, sie immer wieder ins Gespräch einzubeziehen: Ich muss sie dann über den ganzen Tisch hinweg mit lauter Stimme ansprechen. Man freut sich eigentlich jeden Tag auf dieses Zusammensein. Uns ist es sympathisch, dass es jeden Tag dieselben Menschen sind, mit denen wir zusammensitzen. Es gibt noch mehr solcher Tische bei uns, an denen immer wieder dieselben Menschen zusammenkommen. Aber es gibt auch Tische, an denen es immer wieder einen Wechsel gibt und auch Menschen, die in bestimmten Abständen mal hier und mal dort sitzen. Toepsch: Man hat ja dem Alter gegenüber das Vorurteil, dass die Menschen dann eigentlich nur noch über ihre Leiden sprechen, über ihre Krankheiten. Was ist denn das Gesprächsthema beim Mittagessen? Können Sie da mein Vorurteil bestätigen? Sind es die Zipperlein oder ist es etwas anderes? Liselotte Vogel: Bei uns ist nahezu alles Gesprächsthema – außer Krankheiten. Jedenfalls an unserem Tisch ist das ein ungeschriebenes Gesetz, das wir nie direkt verabredet haben, über das wir nie unmittelbar gesprochen hätten: Über Krankheiten wird nicht geredet! Selbstverständlich ist keine Person an diesem Tisch noch völlig gesund – denn sonst wäre sie ja nicht hier in diesem Wohnstift. Aber das ist kein Gesprächsthema, wenn jemand fehlt. Wir haben uns daher angewöhnt, untereinander Bescheid zu sagen. Heute z. B. sind wir mittags nicht da, weil wir hier beim BR sind. Wir sagen deshalb untereinander Bescheid, damit sich niemand Gedanken machen muss, ob jemand krank geworden ist, wenn man ein paar Tage lang nichts von ihm hört. Man ruft also an und erkundigt sich. Aber wie gesagt, normalerweise kommt das Wort "Krankheit" bei uns am Tisch nicht vor. An unserem Tisch wird über alles und jedes geredet – speziell dann, wenn mein Mann da ist. Toepsch: Wahrscheinlich auch über die aktuelle politische Lage. Hans-Jochen Vogel: Ja, schon, aber auch das mit einer gewissen Zurückhaltung. Nein, ich bin inzwischen an diesem Tisch in eine Situation gekommen, in der meine Frau und ich bayerische Sprachbesonderheiten erläutern, denn diese Damen stammen aus Nordrhein-Westfalen oder aus der Ulmer Gegend usw. Da gibt es einfach immer wieder Dialektwendungen, die erklärungsbedürftig sind und die oft mit Schmunzeln zur Kenntnis genommen werden.
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