2.1 Die Orchesterinstrumente Von Gregor Widholm Musikinstrumente sind mechanische Gebilde und funktionieren ausschließlich nach den bekannten physikalischen Gesetzen. Allerdings wird dies oft verges- sen – auch von professionellen MusikerInnen, die durch die tagtägliche inten- sive Beschäftigung mit ihrem Instrument zu diesem zwangsläufig eine emotio- nale Beziehung aufbauen. Zusätzlich bilden Instrument und MusikerIn einen Regelkreis, innerhalb dessen sie sich gegenseitig beeinflussen. Im Fall von Problemen ist daher auf den ersten Blick nicht immer klar, ob beim Instru- ment oder der Spieltechnik des Menschen anzusetzen ist. Das Funktionsprinzip ist bei allen Musikinstrumenten dasselbe: der Mensch führt dem Instrument Energie zu und erzeugt damit in einem zentra- len Teil des Instrumentes eine stehende Welle [ 1.3.4] mit bestimmten, von den mechanischen Eigenschaften dieses Teils abhängigen Frequenzen. Bei Sai- teninstrumenten ist dieser Teil die Saite, bei Blasinstrumenten ist es die vom Rohr umschlossene Luftsäule. Da Saiten transversal [1.3.2] schwingen, ist bei diesen Instrumenten noch ein Teil notwendig, der diese Schwingung in Longitudinalschwingen [ 1.3.2] umsetzt, sodass sie im Medium Luft trans- portiert werden können und für uns hörbar sind. Diese Funktion erfüllt der »Korpus« des Instrumentes. Bei Blasinstrumenten entfällt dieser Teil, da von Beginn an bereits das Medium Luft in Schwingung versetzt wird. 2.1.1 Blechblasinstrumente Blechblasinstrumente bestehen in der Regel aus einem Messingrohr, das eine Länge von 1,20 m (C-Trompete) bis zu 5,60 m (B-Tuba) aufweisen kann und über seinen Verlauf einen unterschiedlichen Querschnitt (»Mensur«) besitzt. Das Mundstück zu Beginn dient der Ankopplung der Lippen an das Instru- ment, danach folgt meist ein mehr oder weniger langer zylindrischer Teil, in dem die Ventile untergebracht sind, und anschließend ein leicht konischer Teil, der nahtlos in den hyperbolisch geformten Schalltrichter übergeht. 89 Gregor Widholm ___________________________________________________ Abb. 1: Schematische Darstellung eines Blechblasinstrumentes (nicht maßstabsgetreu) Die Tonerzeugung Der schwingende Teil der Lippen wird durch den Mundstückrand begrenzt. Zu Beginn sind die Lippen bereits leicht geöffnet und bilden einen Spalt (z.B. 9 mm x 1,5 mm beim Horn). Der Spalt ist mit der Zungenspitze luftdicht ver- schlossen. In der Mundhöhle wird ein Überdruck aufgebaut. Durch abruptes Zurückziehen der Zunge strömt Luft in das Mundstück und erzeugt dort ei- nen Überdruckimpuls. Im Lippenspalt selbst (= Engstelle) kommt durch das Strömen der Luft die »Bernoulli-Kraft« [ 2.1.2] zum Tragen und veranlasst die Lippen, beginnend mit der Schleimhaut der inneren Lippe, sich zu schlie- ßen. Dadurch gibt es keine Bernoulli-Kraft mehr, der Druck in der Mundhöh- le steigt und die Lippen öffnen sich wieder. Luft strömt in das Mundstück -> Bernoulli-Kraft wirkt -> Lippen schließen, usw. Abb. 2: Lippenschwingung (Screenshots eines Slow Motion Videos von Dean Ayers und Patrick Mullen). Wie schnell das vor sich geht (= Frequenz, Tonhöhe), hängt von der Span- nung der Lippen und ihrer Masse innerhalb des Mundstückrandes ab. Die Lippen öffnen und schließen sich also periodisch wie ein Ventil, zum Beispiel 440 mal pro Sekunde bei einem a1 und bis zu 1.000 mal pro Sekunde bei ei- nem c3 auf der Trompete. 90 ____________________________________________ Die Orchesterinstrumente Funktionsprinzip und Naturtöne Die solcherart in das Mundstück eingebrachten Überdruckimpulse pflanzen sich in Richtung Schalltrichter fort, werden an dessen Ende größtenteils re- flektiert und laufen mit umgekehrtem Vorzeichen zurück zum Mundstück. Nur ca. 5–10% der Energie wird in den Raum abgestrahlt und ist als »Klang« des Instrumentes hörbar.1 So bildet sich im Instrument innerhalb weniger Mil- lisekunden eine stehende Welle [ 1.3.4]. Allerdings nur dann, wenn eine Pe- riode des Öffnen und Schließens der Lippen exakt der »Rundreisezeit« der Schallwelle vom Mundstück zum Schalltrichter-Ende und wieder zurück ent- spricht. Oder wenn eine Periode des Lippenventils die Hälfte, ein Drittel, ein Viertel usw. der Rundreisezeit beträgt. Ist die Periode des Öffnens und Schlie- ßens der Lippen länger oder kürzer als die Rundreisezeit oder eines ganzzahli- gen Teils davon, so heben sich die Originalwelle und die zurücklaufende Wel- le teilweise oder gänzlich auf und kein Ton ist spielbar.2 Das eben beschriebene Faktum kann auch anders ausgedrückt werden: Die Luftsäule im Instrument besitzt aufgrund ihrer Länge und Form bestimmte Resonanzfrequenzen. Damit sich im Instrument eine stabile stehende Welle bildet, muss die Anregungsfrequenz einer dieser Resonanzfrequenzen entspre- chen. Daraus folgt: ● Es sind nur jene Töne spielbar, welche der tiefsten Resonanzfrequenz oder einem ganzzahligen Vielfachen dieser Frequenz entsprechen. ● Die unterschiedlichen Anregungs-Frequenzen (= Tonhöhen) werden durch unterschiedliche Lippenspannung erzeugt. ● Der Lippenspalt öffnet und schließt sich periodisch, aber individuell un- terschiedlich und nicht gleichförmig. Daher wird keine Sinuswelle, sondern eine Schallwelle, welche aus vielen Sinuswellen mit unterschiedlichen Ampli- tuden besteht, erzeugt [ 1.3]. Darin enthaltene nichtharmonische Frequen- zen heben sich mehr oder weniger auf und sind innerhalb kürzester Zeit nicht mehr in der stehenden Welle und damit im abgestrahlten »Klang« des Instru- mentes enthalten. ● Die stehende Welle beeinflusst auch die Lippenschwingung. Nach dem Einschwingvorgang treten Synchronisationsprozesse auf, bei denen eine ge- ringfügig falsche Lippenspannung und daher geringfügig zu lange oder kurze Perioden der Lippenöffnung durch die stehende Welle korrigiert werden. 1 A.H. Benade / D.J. Gans (1968), Sound production in wind instruments. 2 Th.D. Rossing / R.F. Moore / P.A. Wheelder (2002), The Science of sound, S. 65. 91 Gregor Widholm ___________________________________________________ ● Die Klangfarbe wird maßgeblich (aber nicht ausschließlich) von der Be- schaffenheit der Lippen bestimmt. Eine größere Lippenmasse verstärkt den Anteil tieferer Frequenzen im Anregungsspektrum, eine geringe Lippenmasse erzeugt eine mehr rechteckige, sägezahnartige Wellenform und erhöht damit den Anteil und die Amplituden höherer Frequenzen. ● Wird z.B. der zweite Naturton gespielt, so besitzt die stehende Welle über die Gesamtlänge des Instrumentes zwei Druckbäuche und zwei Druck- knoten, beim fünften Naturton fünf Druckbäuche und fünf Druckknoten, usw. Am Mundstückbeginn befindet sich immer ein Druckbauch, am Schall- trichterende immer ein Druckknoten. Abb. 3: Stehende Welle im Instrument. Verteilung der Druckbäuche und -knoten beim Spiel des 4. Naturtones. Das Mundstück Man unterscheidet drei Bauformen: kesselförmige (Trompeten, Posaunen), trichterförmige (Horninstrumente) und eine Mischform dieser beiden Arten bei Tuben. 92 ____________________________________________ Die Orchesterinstrumente Abb. 4: Mundstückformen, v.l.n.r.: Horn, Trompete, Posaune und Tuba3 Es gibt eine schier unendliche Zahl von Variationen, die nachfolgend be- schriebenen Auswirkungen von Änderungen beziehen sich immer auf die in- ternational üblichen Standardmodelle. Die Form des Mundstückrandes sollte ausschließlich auf die individuelle Physiologie der Lippen abgestimmt werden. Der Kessel, die Bohrung und der Schaft sind hingegen akustisch ein Teil des Instrumentes und müssen auf die- ses abgestimmt sein. Der Kessel beeinflusst die Intonation, die Klangfarbe und die Ansprache. Wird das Kesselvolumen vergrößert, so wird die Grundstimmung des gesam- ten Instrumentes tiefer und umgekehrt. Ein größeres Kesselvolumen fördert die tieffrequenten Anteile im Anregungsspektrum, bezüglich der Ansprache gewinnt man den Eindruck, das Instrument reagiere langsamer. Ein »flacher« Kessel mit einem geringeren Volumen wird hingegen als »spricht leichter an« empfunden. Eine Vergrößerung der Bohrung hingegen erhöht die Grund- stimmung des Instrumentes geringfügig und umgekehrt. Änderungen am Mundstückschaft haben nur auf die Intonation im tiefen und hohen Register des Instrumentes einen Einfluss. Die Mittellage bleibt davon unberührt. Ein stark konischer Schaft erhöht das tiefe Register, die Töne in der hohen Lage werden tiefer. Ein stark bauchiger Schaft hingegen senkt die Tonhöhe der tie- fen Töne etwas ab und hebt das hohe Register an.4 3 K. Nödl (1970), Metallblasinstrumentenbau, Tafel 4-9. 4 http://iwk.mdw.ac.at/?page_id=86&sprache=1 Mundstückforschung, [letzter Zugriff 12.12. 2012]. 93 Gregor Widholm ___________________________________________________ Die Mensur Unter Mensur versteht man bei Blechblasinstrumenten den Innendurchmesser der Instrumentenröhre. Da dieser an verschiedenen Stellen des Instrumentes unterschiedliche Werte besitzt, wird meist der Durchmesser im zylindrischen Mittelteil des Instrumentes als Richtwert angegeben. Die Mensur beeinflusst die Gesamtstimmung, die Stimmung jedes einzelnen Tones und geringfügig die Lautstärke und die Ansprache. Schallwellen breiten sich kugelförmig aus. Dies ist innerhalb einer Röhre nicht möglich. Luftteilchen, deren Schwingrichtung von der Rohrachse ab- weicht, stoßen an die Innenwand der Instrumentenröhre, werden dort reflek- tiert und behindern die Schwingung der anderen Luftteilchen.5 Das führt zu einem Energieverlust und zu einer geringfügigen Verminderung der Schallge- schwindigkeit. Diese Effekte treten in einem unmittelbar an die Innenwand angrenzenden, konstant 0,2 mm breiten Bereich auf. Das hat Auswirkungen auf die Gesamtstimmung
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