HISTORISCHER ATLAS 10, 1 VON BADEN-WÜRTTEMBERG Erläuterungen Beiwort zur Karte 10,1 Geleitstraßen um 1550 VON MEINRAD SCHAAB Nur wenige geschichtliche Abläufe können ohne überall Quellen fließen. Hinzu kommt, daß dieser eine Vorstellung vom jeweiligen Stand des Verkehrs- Zeitpunkt durch die erstmals in größerer Breite ein- netzes und Verkehrswesens richtig erkannt und bewer- setzenden Itinerarwerke, d.h. Verzeichnisse der Stra- tet werden. Allerdings schränkt die Quellenlage gerade ßenetappen in Reisehandbüchern und Meilenscheiben, hier die Erkenntnismöglichkeiten für weite Zeiträume zusätzlich erhellt wird. Auch die Kartographie liefert ein. Annähernd kartographisch erfaßbar und daher für diesen Zeitpunkt erste Nachrichten. auch im Atlas berücksichtigt sind die Römerstraßen So wird die Quellenbasis etwas breiter, und die Dar- (3, 3-4), die Linien der alten Reichspost (10, 2), die stellung ist nicht nur auf einseitige Information ange- Landstraßen und Eisenbahnen von der ersten Hälfte wiesen. Im Gegenteil, gerade für die Straßenforschung des 19.Jahrhunderts an (10, 3-4). Dagegen lassen sich sind die Nachrichten sehr vielfältiger Art und reichen früh- und hochmittelalterliche Verkehrslinien nur sehr von den Geländedenkmalen über bildliche Darstellun- schematisch nach Reisestationen, vor allem der Kaiser gen und Karten bis zu den schriftlichen Zeugnissen. (vgl. Beiwort zu 5, 2), ausmachen. Da sich aber die Zu den nur punktweisen Belegen für nur einzelne Stra- Handelsstraßen an der Wende vom Mittelalter zur ßen kommen ganze Reihen von Etappenstationen, oder Neuzeit mit ziemlicher Sicherheit nachzeichnen las- es läßt sich gar der Verlauf anhand alter Karten oder sen, ist über vorsichtige Rückschlüsse doch ein Bild Überresten im Gelände verfolgen. Darüber hinaus sind der mittelalterlichen Verkehrswege zu gewinnen, und die Straßenzüge durch indirekte Zeugnisse wie Zoll- selbstverständlich gewährt eine solche Karte auch den stationen, Herbergen, Gutleuthäuser, Gerichtsstätten, Anschluß an die Verkehrsentwicklung bis ins 19. Jahr- Befestigungen und vieles mehr gekennzeichnet. Flur- hundert. So ist die Karte der Geleitstraßen um 1550 namen haben die Erinnerung an sie teilweise bis in die Grundlage für verkehrsgeschichtliche Überlegungen Gegenwart wachgehalten. Freilich läßt sich der Stra- für den weiten Zeitraum vom Hochmittelalter bis zur ßenverlauf heute im Gelände immer seltener verfol- Schwelle des 19.Jahrhunderts. Freilich stellen sich für gen, weil moderne Baumaßnahmen ebenso wie die eine solche Karte erhebliche methodische Probleme. Flurbereinigung zunehmend das alte Bild zerstören. Hier helfen noch die topographischen Karten des vo- Methodische Voraussetzungen rigen Jahrhunderts weiter. Quellen zur Straßenforschung Überlieferung zum Geleit Eine Rekonstruktion der Handelsstraßen des 15./16. Die wichtigsten Schriftquellen, bisweilen mit der Jahrhunderts gelingt am ehesten über die Nachrichten Beschreibung ganzer Straßenzüge, sind im Zusam- zum Geleit. Da die Geleitsrechte in den einzelnen Ter- menhang mit dem Geleit entstanden. Allerdings haben ritorien unterschiedlich aufgezeichnet wurden, em- die einzelnen Territorien dieses Regal ganz verschie- pfiehlt sich ein zeitlicher Ansatz um 1550, wo fast den gehandhabt, offensichtlich auch unterschiedlich bewertet und entsprechend verschiedenartige Aktenbe- stände 1 10,1 MEINRAD SCHAAB / GELEITSTRASSEN UM 1550 darüber ausgebildet. Selbstverständlich spielen auch un- etwa dem württembergischen Amt Nagold abgesehen. terschiedliche Verluste größerer Quellenkomplexe eine In den württembergischen Lagerbüchern heißt es in Rolle. Im allgemeinen fließen die Nachrichten bereits in der Regel, daß der Herzog das Geleit im ganzen Amt Urkunden des 15.Jahrhunderts kontinuierlich. Mit der habe. Bei jedem Ort wird zusätzlich berichtet, daß ihm Anlage der großen Lagerbücher kommen in der ersten dort das Geleit zustehe, ohne daß irgendetwas über die Hälfte des 16.Jahrhunderts systematische Aufzeich- Geleitstrecken bekannt wird. Über sie berichten ledig- nungen hinzu. Die Akten aus der zweiten Jahrhundert- lich Akten. Am deutlichsten ist die Überlieferung über hälfte wuchsen da an, wo besondere Streitfälle vorlagen, den Raum um Wimpfen, in den Württemberg erst und enthalten häufig auch die ersten Ansätze zu karto- 1504 eingedrungen war und seither in einem bestän- graphischer Darstellung. Um die Wende vom 16. zum digen Ringen mit der Kurpfalz über die Abgrenzung 17. Jahrhundert versuchten die großen Territorien syste- der beiderseitigen Machtsphären lag. Die Grafschaft matische Sammlungen ihrer Geleitsrechte. Allerdings Limpurg hat überhaupt keine Nachrichten zum Ge- gedieh das unterschiedlich weit. Unter Bischof Echter leitswesen in ihrem Kernbereich hinterlassen. Sehr entstand in Würzburg 1595 ein alle Strecken des viel schwieriger als im Nordteil des heutigen Bundes- bischöflichen Geleits verzeichnendes Geleitbuch, Ba- landes ist die Quellenlage hinsichtlich des Geleits für den-Durlach stellte eine Geleitstafel zusammen, in seinen Südteil. Württemberg blieb es beim Ansatz einer Befragung sämtlicher Ämter und noch weniger zum Ziel gelangte Ausschnitt und Aussage der Karte die hohenlohische Verwaltung. Kurpfalz und Kurmainz stellten zwar keine Geleitstafeln zusammen, sorgten Angesichts dieser Materiallage und, weil die Forde- aber für eine recht breite Erfassung durch die Urbare. rung nach einigermaßen topographischer Genauigkeit Dort sind, gleichsam spinnennetzartig von der jeweili- keine stärkere Verkleinerung als den Maßstab gen Amtsstadt ausgehend, die Geleitstrecken verzeich- 1:400 000 zuließ, beschränkt sich die Darstellung in net. Vergleichbares kennen Württemberg und die klei- der Hauptkarte auf den Raum nördlich der wichtigen neren Territorien nicht, von wenigen Ausnahmen, Querverbindung Straßburg-Ulm. Eine Beiwortkarte gibt eine Übersicht über die wichtigsten Straßen in Südwest- 2 MEINRAD SCHAAB / GELEITSTRASSEN UM 1550 10,1 deutschland, ohne die Geleitsrechte und die einzelnen und westlicher gelegenen Landschaften erreicht. Ein Stationen zu verzeichnen. Die Verschiedenheit der gewisser Ausgleich konnte nur geschaffen werden, in- Quellen bewirkt aber auch im gewählten Ausschnitt dem man die Straßen nach ihrer Bedeutung einstufte. ein verschiedenartiges Bild. Die Geleitstraßendichte, Auch das ist problematisch und nicht im Sinne heu- wie sie sich in den Bereichen von Kurpfalz, Kur- tiger Straßenklassifizierung oder gar Verkehrsmengen- mainz, Hochstift Würzburg und badischen Markgraf- karten zu lösen. Doch bringt die Häufigkeit der Er- schaften ergibt, ist anderswo nicht zu erreichen. Dort, wähnungen, vor allem aber die Hervorhebung der gro- vor allem im Württembergischen, lassen sich nur die ßen Strecken für die Kaufmannszüge zu den zentralen wichtigeren Straßen nachzeichnen. Zwar wurde dort Messen eine gewisse Ordnung ins Gesamtbild und das Straßennetz anhand der Itinerarwerke ergänzt, mehr Ausgewogenheit für die verschiedenen Gebiete. aber auch damit ist noch kein Gleichgewicht gegen- über den nördlicher 3 10,1 MEINRAD SCHAAB / GELEITSTRASSEN UM 1550 Abb.3 (nach Th. Mayer) Geleitswesen und Geleitstraßen wurden, was bei Zigeunern und noch stärker bei frem- den Truppenkörpern einsichtig ist. Dieser Geleitschutz Arten des Geleits wurde im allgemeinen durch Privileg verliehen. Wer ihn verletzte, riskierte besondere rechtliche Sanktio- Geleit, ein genuin mittelalterliches Rechtswort, be- nen. Das Geleit war zunächst an bestimmte Personen deutet zunächst den besonderen Schutz oder einen spe- oder Personengruppen gebunden. Es konnte sodann, ziellen Frieden für sehr verschiedene Arten von reisen- wie bei Geleit zum Gericht oder für Besucher eines den Personen wie Vorgeladene vor Gericht, Gesandte Marktes der Fall, zusätzlich mit einem bestimmten und Unterhändler, kirchliche Würdenträger und Stan- Ziel verbunden sein. Erst eine spezielle Form und despersonen, für Pilger ebenso wie für besonders wohl Ergebnis einer längeren Entwicklung war es, schutzbedürftige, weil minderberechtigte Gruppen wie wenn bestimmte Wege als Geleitstraßen für die zu Juden, später auch Zigeuner, und endlich auch für die schützenden Personen vorgeschrieben wurden. Kaufleute. Bisweilen galt dieser Schutz nicht in erster Wenn im Geleit auch dem Wortsinne nach ein tat- Linie den im Geleit stehenden Personen, sondern dem sächlicher Begleiter als Schützer zu erwarten ist, so Gebiet durch das diese Menschen hindurchgeleitet war das von Anfang an nicht grundsätzlich der Fall. Das Geleits- 4 MEINRAD SCHAAB / GELEITSTRASSEN UM 1550 10,1 privileg allein, später vielfach in Form eines Geleits- bar von der Amtsstadt aus aufbrechen konnten. Man zettels als sogenanntes Taschengeleit oder schriftliches hat daher vielfach wechselseitiges Geleit eingeführt. Es Geleit mitgegeben, konnte bereits eine schützende wurde dann jeweils bis zur nächsten Stadt auf der Ge- Wirkung haben. Es machte auch den Geleitsherrn haft- genseite durchgeleitet. Dieses wechselseitige Geleit bot bar für Schäden, die trotzdem auftraten. Nur in beson- sich auch als Lösung von Streitfällen an, wo man sich deren Fällen wurde das Geleit durch eine bewaffnete über eine genaue Grenze nicht einigen konnte. Pfalz Mannschaft ausgeübt, so bei fürstlichen Personen, bei und Württemberg bereinigten ihren Geleitsstreit fremden Truppenkörpern und bei Kaufleuten, zumal zwischen Wimpfen und Heilbronn 1609 in der Form, wenn diese in großen Zügen mit ihren Waren be- daß auf der linken Talseite der Böllinger Bach eine stimmten Messeorten zustrebten. Beim Herrengeleit lineare Grenze
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