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gauck loest Joachimerich über Zeitung des Deutschen Kulturrates Nr. 06/10 · Nov. – Dez. 2010 www.kulturrat.de 3,00 E · ISSN 1619-4217 · B 58 662 KulturgroScheN BIlDuNgSgerechtIgKeIt auSwärtIgeS luther 2017 KüNStlerleBeN Der Schriftsteller Erich Loest Bildung gilt als Aufstiegs­ Nachgefragt: Auswärtige Kul­ Reformationsjubiläum Künstler leben: mit Gentri­ erhielt den Kulturgroschen chance. Aber wo bleibt die tur­ und Bildungspolitik unter 2017: Pflicht oder fizierung, schwierigen so­ des Jahres 2010. Chancengleichheit? Welche Schwarz­Gelb: Kostbares Chance? Staat, Kirche zialen und wirtschaftlichen „Aufrecht stehen!“, meint Wege gehen die Länder? Aushängeschild oder bloß oder viel mehr? Dekaden­ Gegebenheiten und mit den Laudator Joachim Gauck. Anspruch und Wirklichkeit. Kostenfaktor? gestalter gesucht! Erwartungen an sich selbst. Seiten 4 bis 7 Seite 8 Seiten 9 bis 11 Seiten 17 bis 19 Seiten 20 bis 22 Editorial Kulturbilanz Ost Schweigenbrechen Von Jens Bisky as muss man doch mal sagen dern die sogenannten Eliten in den Der einigungsvertrag, den wolf- Ddürfen, ist die neue Leitaussage Medien und der Politik kennen sich gang Schäuble und günter Krause der jüngsten Integrationsdebatte. erschreckend wenig mit kulturellen im august 1990 unterzeichneten, Thilo Sarrazin hat mit dem „Sagen und religiösen Fragen aus. gehört zu den viel beschworenen, dürfen“ begonnen und eine Welle Interkulturelle Bildung wurde aber kaum gelesenen Dokumenten der Befreiung, endlich mal offen offensichtlich an den Gymnasien und der jüngsten deutschen geschichte. seine Meinung zu sagen über die Hochschulen in unserem Land vielen wenigstens den Paragraphen 35 Ausländer, die Muslime und wer Schülern und Studenten nicht ausrei- sollte man bekannter machen, als uns denn sonst noch unheimlich ist, chend vermittelt und bei den vielen er es ist. Meist wird er nur auf das schwappt über das Land. Nicht nur Urlaubsreisen in aller Herren Länder gebot reduziert, dass die „kulturelle die Stammtische atmen befreit auf, auch nicht nachgeholt. Allein das Substanz“ im Beitrittsgebiet keinen auch Spitzenpolitiker sind endlich Unwissen über den Koran, die Heilige Schaden nehmen dürfe. nicht länger zum Schweigen verur- Schrift der Muslime, scheint nicht nur teilt. Das Schweigenbrechen befreit in den Talkshows grenzenlos zu sein. ie Festlegung war wichtig. Sie die Seele und ist deshalb zumindest Ist das Kopftuch ein Symbol der Dverdankte sich der Erfahrung, für diejenigen, die nun drauflosreden, Unterdrückung der Frau oder Aus- dass Kunst im SED-Staat Freiräume sicherlich gesundheitsfördernd. Ob druck einer tiefen Gläubigkeit? Wenn geboten hatte, dass sie in den besten diese positive Diagnose auch für die man es nicht weiß, kann man ja fra- Augenblicken tatsächlich Vorschein gesamte Gesellschaft gestellt werden gen. Der diesjährige Tag der offenen der Freiheit gewesen war, die den kann, muss aber ernsthaft bezweifelt Moscheen war eine solche Möglich- Bürgern der DDR sonst vorenthalten werden. keit, die von erfreulich vielen Bürge- blieb. Kritisches Denken und nicht Das Fremde macht immer Angst. rinnen und Bürgern, die mehr wissen durchherrschte Gemeinschaftlich- Fremdes Aussehen, fremde Sprachen, wollten, genutzt wurde. keit wurden in Theatern und auf fremde Rituale drängen uns in eine Der Deutsche Kulturrat hat auch Lesungen eingeübt. Deshalb war es automatische Abwehrhaltung. Diese gefragt. Seine jüngste Stellungnah- kein Zufall, dass die große Berliner Angst ist tief in uns verankert und me zur kulturellen Bildung wurde Revolutionsdemonstration am 4. muss wie ein wildes Tier immer unter gemeinsam mit neun Migrantenorga- November 1989 von Theaterleuten Kontrolle gehalten werden, damit nisationen erarbeitet und verabschie- organisiert wurde und dass auf ihr wir nicht in Panik geraten. Der beste det. Seit nunmehr einem Jahr sitzen viele Schriftsteller und Schauspieler Schutz gegen diese Angst ist Wissen wir an einem Runden Tisch zusam- sprachen. 1990 mussten sie das Feh- über das Fremde in unserer Nähe. men und sprechen über Fragen der len einer bürgerlichen Öffentlichkeit Für mich war und ist das wirk- interkulturellen Bildung miteinander. nicht mehr kompensieren, aber Pa- lich Erschütternde der Debatten der Ich bin mir sicher, wir können noch ragraph 35 des Einigungsvertrages letzten Wochen das unglaubliche viel voneinander lernen und damit hielt ausdrücklich eine zweite, un- Unwissen der Meinungseliten über zu guten Bekannten in unserem ge- bestrittene Leistung von Kunst und das vermeintlich Fremde in unserer meinsamen Land werden. Kultur fest. Nachbarschaft. Bildungsarmut ist In den Jahren der Teilung seien sie, eben kein „Unterschichten“-Phäno- Olaf Zimmermann, Herausgeber von „trotz unterschiedlicher Entwicklung men, wie gerne behauptet wird, son- politik und kultur der beiden Staaten in Deutschland – eine Grundlage der fortbestehenden Einheit der deutschen Nation“ gewe- sen. „Sie leisten im Prozess der staat- lichen Einheit der Deutschen auf dem Millionen von Menschen demonstrierten in der DDR im Wendejahr 1989 Kultur-Mensch Weg zur europäischen Einigung einen Foto: Ullsteinbild/Mehner reinhold leinfelder eigenständigen und unverzichtbaren Beitrag. Stellung und Ansehen eines Bitternis und Unerbittlichkeit ge- man die grundstürzenden Verände- Der Generaldirektor des Museums für Invalidenstraße Orte der kulturellen vereinten Deutschlands in der Welt stritten. Vielleicht war dies eine der rungen im Kulturbetrieb bedenkt: Naturkunde hat es geschafft, eines Begegnung. Natur und Kultur werden hängen außer von seinem politischen Voraussetzungen für den Erfolg. Wie in der Industrie blieb hier kaum der wohl spannendsten und vielfäl­ hier nicht als Gegensatzpaare gedacht, Gewicht und seiner wirtschaftlichen Neben den 2,6 Milliarden DM, die etwas, wie es gewesen war. Neue tigsten Museen in Berlin erfolgreich sondern bilden eine Einheit, deren ein­ Leistungskraft ebenso von seiner das Bundesministerium des Innern Träger und Wege der Finanzierung, ins 21. Jahrhundert zu führen. Das zelne Bestandteile sich auf wunderbare Bedeutung als Kulturstaat ab.“ zwischen 1991 und 1993 für die kul- neue Arbeitsverhältnisse, ein neues, Naturkundemuseum, nach dem jüngst Weise komplettieren. Mit dieser programmatischen turelle Infrastruktur in den neuen sich veränderndes Publikum – hin- eine U­Bahnstation umbenannt wurde, Erklärung begann nicht nur eine Ländern zur Verfügung stellte, ga- zu kam die parallel zur deutschen feiert in diesem Jahr sein 200­jähriges Erfolgsgeschichte für die Kultur in rantierten die Debatten über Christa Einheit einsetzende digitale Revolu- Bestehen. Die Wissensvermittlung im den neuen Ländern, mit ihr begann Wolf und die DDR-Literatur, über tion. Verluste blieben da nicht aus: Museum ist modern, sie setzt Stan­ auch jene beinah revolutionäre Auf- Stasi-Verstrickungen und Auftrags- betriebliche Kultureinrichtungen dards. Jung und Alt erhalten hier Ein­ wertung der Bundeskulturpolitik, kunst, über den Palast der Republik, verschwanden mit den Betrieben; blicke in vergangene Welten, können die schließlich Michael Naumann als die Akademie-Mitglieder und die der Palast der Republik wurde ge- Dinosauriern nachspüren oder sich ersten Beauftragten der Bundesregie- Boheme am Prenzlauer Berg, dass schlossen, saniert und abgerissen; interessiert, bisweilen leicht gruselnd, rung für Angelegenheiten der Kultur die „kulturelle Substanz“ sich wei- von den 78 staatlich lizenzierten unzählige in Ethanol konservierte Expo­ und der Medien ins Bundeskanzler- terentwickelte. Man schenkte sich Verlagen der DDR existiert noch ein nate ansehen. Kulturelle Bildung von amt führen sollte. Auf dem weiten, nichts, bekam aber im Streit Achtung Dutzend bis heute; in den neuen ihrer schönsten Seite. Reinhold Lein­ komplizierten Feld der Kulturpolitik vor den anderen. Junge Ostdeutsche Bundesländern werden – einschließ- felder ist viel mehr als nur der „Herr“ gelang also, was in vielen anderen ergriffen die Gelegenheit und galten lich der „Buchstadt“ Leipzig, aber von über 300 Millionen zoologischer, Fällen gefordert, aber nicht erreicht rasch als frische Stimmen des neuen paläontologischer, mineralogischer wurde: das vereinigte Deutschland Deutschland: der virtuose Dichter und geologischer Objekte – eine Tat­ beschritt neue Wege, statt bloß west- Durs Grünbein und der kluge Erzäh- Weiter auf Seite 2 sache, die das Naturkundemuseum in liche Routine zu kopieren. ler Ingo Schulze, der verrätselte Maler die Riege der bedeutendsten Museen Dabei verlief dieser Prozess alles Neo Rauch, der Regisseur Andreas dieser Art katapultiert. Darüber hinaus andere als harmonisch, vielmehr Dresen und einige mehr. sind die Räume des Museums in der Foto: Dittmann, MfN wurde über Künstler und Kulturein- Diese gesamtdeutschen Karrie- 4<BUFJTM=gadaai>:V;r richtungen mit einer ungeheuren ren sind umso erstaunlicher, wenn LEitartiKEL politik und kultur · Nov. – Dez. 2010 · Seite 2 Dank des sächsischen Kulturraum- Fortsetzung von Seite 1 gesetzes wird man sich um Dresden und Leipzig, dank des Bundes um Kulturbilanz ost Berlin keine Sorgen machen müssen. Was aber die stets so ehrgeizige wie ohne Berlin – 2,2 Prozent der deut- tollpatschige Thüringer Kulturpolitik schen Buchproduktion erzeugt (mit anrichtet, wie Sachsen-Anhalt mit Berlin 11,7); furchtbar war die Ende weniger Geld sein kulturelles Erbe be- der neunziger Jahre einsetzende, wirtschaften wird, was auf dem Land lange nicht verebbende Welle der in Mecklenburg und Vorpommern ge- Theaterschließungen und Fusionen, schehen soll, ist ungewiss. Hier stel- vor allem

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