Hitlers Höllenfahrt

Hitlers Höllenfahrt

TITEL HITLERS HÖLLENFAHRT Als er Europa zerstört hatte, verkroch sich Adolf Hitler in seinem Berliner Bunker, um sein Leben noch zu verlängern – er suchte Annäherung an Stalin. Wie er starb, ob durch Gift oder Kugel, von eigener oder fremder Hand, war lange ungewiß. Wo sein Leichnam verblieb, bezeugt ein sowjetisches Geheimdokument, das dem SPIEGEL vorliegt. SÜDD. VERLAG Reichskanzler Hitler (kurz vor dem Kristallnacht-Pogrom 1938): „Ruhmloser Flüchtling vom Parkett der Weltgeschichte“ uf dem Grundstück Klausenerstra- und Panzertruppen. Da sie nur eine hal- Diesen letzten Strich unter das dun- ße 36 in Magdeburg, neben der Ga- be Stunde unterwegs waren, dürften sie kelste Kapitel deutscher Geschichte zog Arage, stellten im Frühling 1970 ein zum Biederitzer Busch gelangt sein, hin- mit größter Heimlichkeit Jurij Andro- paar Sowjetsoldaten ein Zelt auf. Ge- ter den Kasernen in Magdeburg-Her- pow, der damalige Chef der sowjeti- heimdienstleute bezogen getarnte Beob- renkrug. Dort verbrannten sie die fast schen Geheimpolizei KGB. achtungsposten in den anliegenden verrotteten Kisten samt ihrem Inhalt: Ein Kenner der verborgenen Grube Häusern, in denen Deutsche wohnten. morschen Knochen. in Magdeburg hatte ihn darauf aufmerk- In der Nacht vom 4. auf den 5. April Es waren die Überreste von Eva und sam gemacht, daß in der Elbestadt ein stiegen fünf KGB-Offiziere in das Zelt Adolf Hitler, Magda und Joseph Goeb- Pilgerziel für Neonazis entstehen könn- und gruben die Erde auf. bels sowie deren sechs Kindern und te, falls einmal die sowjetischen Besat- Sie fanden fünf kreuzweise überein- wahrscheinlich auch des Generals Hans zer den Platz räumten – offenbar kamen andergestellte Kisten, luden sie auf ei- Krebs, die allesamt 1945 im Berliner Zweifel an der Dauerhaftigkeit der So- nen Lkw und fuhren befehlsgemäß zum Führerbunker zugrunde gegangen wa- wjetpräsenz in der DDR auf, nachdem nächsten Übungsgelände ihrer Pionier- ren. Kanzler Willy Brandt soeben in Erfurt 170 DER SPIEGEL 14/1995 . die Sympathiebekundungen von DDR-Bürgern entgegengenom- men und sein Staatssekretär Egon Bahr in Moskau Verhand- lungen begonnen hatte. „Gewisse Spannungen zwi- schen Westdeutschland und Ostdeutschland“ gibt Andro- pows damaliger Kanzleichef Wladimir Krjutschkow heute als Grund für die Knochenbeseiti- gung „mit geeigneter Technolo- gie“ an, und: „Der Umfang un- serer militärischen Anwesenheit wurde eingeschränkt“, in der Magdeburger Klausenerstraße. Andropow schrieb am 13. März 1970 einen höchst gehei- men Brief an das ZK der KPdSU – also an seinen Parteichef Leo- nid Breschnew; die wichtigsten Sätze waren nicht mit der Ma- schine geschrieben, sondern von Hand eingefügt, damit nicht ein- mal die auf Geheimhaltung ein- geschworenen Stenotypistinnen erfuhren, worum es ging: CAMERA PRESS Im Februar 1946 wurden in der Fundort der Hitler-Leiche in Berlin 1945: Gefahr der „Entdeckung des Grabes“ Stadt Magdeburg auf dem Ge- lände der Militärsiedlung, das heute die Sonderabteilung des KGB bei der 3. Stoßarmee der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland be- legt, die Leichen Hitlers, Eva Brauns, Goebbels’, seiner Frau und Kinder (insgesamt zehn Leichen) beerdigt. Die genann- te Militärsiedlung wird derzeit aus Gründen dienstlicher Zweckmäßigkeit und im Inter- esse unserer Truppen von der Armeeführung an deutsche Be- hörden übergeben. Im Hinblick auf die Möglichkeit von Bau- oder anderen Erdar- beiten auf diesem Gelände, die zu einer Entdeckung des Gra- bes führen können, würde ich es für dienlich halten, die Lei- chen zu entfernen und durch Verbrennen zu beseitigen. Die genannte Maßnahme wird Hitler-Überreste in sowjetischer Munitionskiste: „Mit geeigneter Technologie“ unter strikter Geheimhaltung durch die operative Gruppe der Sonder- ren Kanzleichefs von Kossygin, Boris mit eigener Hand reingeschrieben. abteilung des KGB bei der 3. Stoßarmee Bazanow, gehörte das Dokument zur Dann bekam ich vom Chef des 1. Refe- der Gruppe der Sowjetischen Streitkräf- „K-Serie“, das hieß, ein Beamter der rats der Allgemeinen Abteilung des ZK te in Deutschland durchgeführt und muß Allgemeinen Abteilung des Partei-ZK eine Nachricht, Andropows Vorschlag entsprechend dokumentiert werden. mußte den Brief Breschnew persönlich sei angenommen. Die entsprechenden vortragen. Vorbereitungen traf dann die Dritte Auf dem Schreiben mit dem Aktenzei- Andropows Kanzleichef Wladimir Verwaltung des Komitees, die für die chen 655-A und dem Kürzel „ow“ (be- Krjutschkow, später selbst KGB-Chef, Tätigkeit der KGB-Organe in den Trup- sonders wichtig), dessen Kopie dem Putschist gegen den Staatspräsidenten pen verantwortlich war. Ihr Chef war SPIEGEL vorliegt, zeichneten Bre- Michail Gorbatschow und heute Rent- damals Witalij Fedortschuk“, später schnew, Premier Alexej Kossygin und ner in Moskau, hat dem SPIEGEL die KGB-Chef und Innenminister. der Vorsitzende des Obersten Sowjet, Echtheit des Dokuments bestätigt: Der SPIEGEL verfügt über den Text Nikolai Podgorny, den Vermerk „Zu- „Ich erinnere mich genau. Jurij An- der Vollzugsmeldungen des Magdebur- stimmen“ ab. Nach Auskunft des frühe- dropow hat die wichtigsten Passagen ger KGB. Demnach ist jetzt erstmals DER SPIEGEL 14/1995 171 . TITEL klargestellt, unter welchen bislang ten Wochen rekonstruieren, in de- unbekannten Umständen sich der nen sich Hitler in der Erde ver- Führer des Großdeutschen Rei- kroch, um zur Hölle zu fahren*. ches verflüchtigt hat, wo seine Lei- Sein Untergang im Berliner Bun- che verblieben ist: Seine Asche ist ker gleicht einer überdimensiona- so wie die seiner in Nürnberg ge- len Shakespeareschen Tragödie hängten Kumpane und seines Exe- mit Szenen eines Satyrspiels. kutors Adolf Eichmann vom Wind „Deutschland wird Weltmacht verweht. oder gar nicht sein“, hatte Hitler Die lange Reise der Hitler-Kno- einst im Gefängnis zu Landsberg chen bis in ein Loch neben der proklamiert: Alles oder nichts. Das Magdeburger Garage hatte der eine war zum Preis von 55 Millio- Moskauer Historiker Lew Besy- nen Menschenleben ausgeträumt, menski, reuiger Öffentlichkeitsar- das Nichtsein näherte sich, als Hit- beiter des militärischen Aufklä- ler am 16. Januar 1945 – dem Tag rungsdienstes GRU, bereits re- der Zerstörung seiner späteren cherchiert (SPIEGEL 30/1992). letzten Ruhestätte Magdeburg Jetzt fand er in russischen Archi- durch britische Bomben – mit der ven Stalins Handakten über Hit- U. MAOUS / GAMMA / STUDIO X Eisenbahn aus Westdeutschland lers Ende – Signatur 41-Sch/2-w/1. KGB-Chef Andropow nach Berlin zurückkehrte: Seine Besymenski übergab dem SPIE- „Hitlers Leiche in Magdeburg beerdigt“ letzte Offensive gegen die Ameri- GEL die Ablichtung eines ominö- kaner war gescheitert. Die Russen sen Papierbündels: „Operation aber standen am Oderbruch, 80Ki- Mythos“. Es ist das Protokoll ei- lometer vor Berlin. nes Geheimdienstunternehmens, Die Berliner erfuhren nichts von mit dem 1946 alle vorhandenen In- Hitlers Anwesenheit, seit langem formationen, Aussagen und Sach- war er öffentlich nicht mehr aufge- beweise zum Verbleib des deut- treten, seine letzte Rundfunkrede schen Tyrannen im Detail über- hatte er am 20. Juli 1944 gehalten. prüft werden mußten, um seinem Nun ließ er sich noch einmal, zum russischen Widerpart „die Um- letztenmal, im Radio vernehmen – stände des Verschwindens Hit- am 30. Januar, zwölf Jahre nach lers“ (Überschrift) zu erklären. seiner Ernennung zum Reichs- Denn Stalin glaubte nicht an Hit- kanzler: „Wie schwer auch die Kri- lers Tod. se im Augenblick sein mag – sie Die Sowjets hatten im Mai 1945 wird . gemeistert werden. Es den Tatort in Berlin okkupiert und wird auch in diesem Kampf nicht den Kadaver geborgen, obduziert, Innerasien siegen . .“ Am näch- vergraben, später wieder exhu- sten Tag stießen sowjetische Pan- miert und nachuntersucht. Wäh- zer über die Oder vor. rend sich die Amerikaner mit Hit- Im Februar knüpfte ohne Hitlers lers Chauffeur Erich Kempka, der Wissen SS-Chef Heinrich Himmler Fliegerin Hanna Reitsch, dem Kontakte zu dem Vizepräsidenten Reichsjugendführer Artur Ax- des Schwedischen Roten Kreuzes, mann und Hitlers Zahnarzt Hugo Folke Graf Bernadotte, um mit den Blaschke begnügen mußten, wa- Westmächten ins Gespräch zu ren die wichtigeren Zeugen in so- kommen (Omnibusse holten wjetische Gefangenschaft geraten: 20 000 KZ-Häftlinge nach Däne- Hitlers Leibwächter Johann Rat- mark und Schweden); Außenmini- tenhuber, SS-Adjutant Otto Gün- ster Ribbentrop ließ – in Hitlers sche, Kammerdiener Heinz Linge, Auftrag – in Stockholm und beim Chefpilot Hans Baur und Blasch- Andropow-Brief zur Leichenbeseitigung Papst sondieren. ke-Assistentin Katharina Heuser- „Die wichtigsten Passagen mit eigener Hand“ Während die 16jährigen zur mann. Wehrmacht einberufen wurden, Sie wurden im Zuge der „Mythos“- schossen hatte, wer die Leiche hinaus- fuhr Hitler Mitte März per Pkw an die Nachforschungen erneut permanen- trug und wie man sie verbrannte. nahe Ostfront. Dort stand die 9. Armee. ten Nachtvernehmungen unterworfen, Die Zeugen wurden 1946 aus dem Den Männern, die ihr Leben einsetzen mußten anhören, wie im Nebenraum ein Moskauer Geheimdiensthauptquartier sollten, um sein Leben zu verlängern, Untersuchungshäftling unter Schlägen Lubjanka zu einem neuen Lokaltermin erzählte Hitler etwas von alles wenden- schrie, und wurden selbst gefoltert; dazu nach Berlin gebracht. Danach ver- den Wunderwaffen. wurden deutsche Spitzel in ihre Zellen schwanden sie für ein Jahrzehnt im Gu- Tatsächlich parkte auf dem Flughafen eingeschleust, die über Äußerungen und lag. Die Welt erfuhr nichts von den Er- Rechlin nördlich von

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