
Peter Bucher Goebbels und die Deutsche Wochenschau Nationalsozialistische Filmpropaganda im Zweiten Weltkrieg 1939—1945 1. Daß sich die Wochenschauen in Deutschland nach der Machtergreifung Hitlers zu einem hervorragenden Propagandainstrument der nationalsozialistischen Machthaber entwickelt hatten, ist hinreichend belegt1. An dieser Bewertung änderte sich nichts, als Hitler den Zweiten Weltkrieg entfesselte, im Gegenteil. Dem Film, speziell der Wochenschau, kam eine besondere Aufgabe zu, die schon bei den Kriegsvorbereitun- gen beschrieben und nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bekräftigt wurde: Sie sollte »zu einer bewegenden und grandiosen Chronik der Zeit« werden, »zu einer wichtigen seelischen Brücke: einmal zwischen der Front und der Heimat, dann aber, und das ist vielleicht noch wichtiger, zwischen dem Einzelnen und dem Zeitgesche- hen« 2, worunter ja auch im Kriege nicht nur militärische Aktionen, sondern ebenso das allgemeine politische Leben und die weltanschauliche Ausrichtung zu verstehen waren, wie dies seit 1935 überhaupt die Leitidee der Wochenschauen in Deutschland war3. Wenn eine solche Propaganda nicht ähnlichen Mißerfolg erleiden sollte, wie dies im Ersten Weltkrieg der Fall war4, dann mußten neue Wege beschritten, neue Methoden für die optische, akustische und inhaltliche Gestaltung der Wochenschau geschaffen werden. Aus diesen Überlegungen heraus entstand die Idee, Propaganda- kompanien zu bilden, deren Aufbau dann auch schon Mitte der dreißiger Jahre be- gann und deren Angehörige zwei Bedingungen zu erfüllen hatten: Sie mußten fähige Berichterstatter sein, gleichgültig, ob sie als Kameraleute, Rundfunkreporter oder Journalisten eingesetzt waren, zudem aber auch militärisch ausgebildet und Teil der kämpfenden Truppe sein. Anders als im Ersten Weltkrieg hatten sich die Berichter- statter nicht hinter der Front, in der Etappe, aufzuhalten, sondern sollten ihre Film-, Funk- und Presseberichte aus der Front, aus dem aktiven Geschehen heraus erstellen. Daß es bei der Vorbereitung dieses Projektes zu erheblichen Differenzen zwischen den beteiligten Einrichtungen kam, ist verständlich, denn weder gönnte Joseph Goeb- bels, als Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda zuständig für die Publi- zistik und damit auch für den Film5, dem Reichswehrministerium bzw. dem Ober- kommando der Wehrmacht die geringste Kompetenz in Propagandafragen, noch dul- dete die militärische Seite Eingriffe des Propagandaministeriums, wobei sich speziell das OKW auf militärische Sicherheitsbedürfnisse, Goebbels dagegen auf die Notwen- digkeit wirklichkeitsgetreuer, lebensechter Berichte für die Wochenschau wie für die anderen, von ihm gelenkten publizistischen Medien berief. Am Ende der Auseinan- dersetzungen, im März 1939, kam eine Vereinbarung zustande, die die Zuständigkei- ten eindeutig regelte: Verantwortlich für die Herstellung der Presse-, Ton-, Bild- und Filmberichte war die Wehrmacht, während die Auswertung dieser Berichte das Reichspropagandaministerium besorgte, dem damit auch die Gestaltung des Mate- rials, in bezug auf die Wochenschau demnach Schnitt, Montage, Musik, Geräusche und Kommentar, oblag6. 2. Goebbels hat sich nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges häufig darüber be- 53 MGM 2/86 schwert, daß ihm die Wehrmacht zu schlechte Bilder für die Wochenschau liefere, die für einen propagandistischen Einsatz unbrauchbar seien7, doch hat er damit weniger ein berechtigtes Verlangen ausgedrückt, als vielmehr seine Ohnmacht offenbart, an den Verhältnissen noch etwas ändern zu können. Tatsächlich gelang es ihm, eine Wo- chenschau herauszubringen, die sich so sehr der Gunst der Öffentlichkeit erfreute, daß sie in der ersten Kriegsphase das wichtigste Propagandainstrument der National- sozialisten wurde und zeitweise noch vor Presse und Rundfunk rangierte. »Die Wo- chenschau ist augenblicklich das beste Volksführungsmittel, das wir besitzen«, froh- lockte er in seinem Tagebuch8, und diese Feststellung galt sowohl für das Inland9 als auch für das Ausland; den für die außerdeutschen Staaten bestimmten Wochen- schauen 10 ließ er aus Mitteln des Reichspropagandaministeriums zeitweise erhebliche Zuschüsse zukommen11. Woche für Woche wurden bis zu 30 000 m Film gedreht und belichtet, auf schnellstem Wege von der Front nach Berlin in sechs ausgewählte Ko- pieranstalten gebracht, in Tag- und Nachtarbeit kopiert12, auf ihre Verwendbarkeit durchgesehen und bis zu 1200 m, die optisch wirksamsten Aufnahmen, für eine Wo- chenschau-Ausgabe ausgewählt13, geschnitten und montiert nach Gesichtspunkten, die der Dramaturgie des Dokumentarfilms entlehnt waren; sie wurden mit Geräu- schen versehen, die Originalton vortäuschten; es wurde ein suggestiver, teils aggres- siver, teils pathetischer Kommentar unterlegt, der deutsches Denken, Handeln und Wollen bis ins Unermeßliche heroisierte; es wurde eine Musik hinzugefügt, die menschliche Gefühle, menschliche Leidenschaften aufpeitschte14. Woche für Woche wurden bis zu 2000 Kopien der Wochenschau angefertigt15, d.h. annähernd jedes dritte Kino im Deutschen Reich wurde mit der Erstausgabe einer Wochenschau be- dacht. Woche für Woche wurde die Öffentlichkeit auf die neue Wochenschau vorbe- reitet durch Rundfunk, Tagespublizistik und vor allem die Fachpresse16, die den Zu- schauer nicht durch »eine einfache nüchterne und trockene Inhaltsangabe« auf die Wochenschau einzustimmen, sondern das »innere Verständnis für die unmittelbare Wirkung des Kriegsgeschehens [...] zu erwecken« hatten17. Woche für Woche stei- gerte sich die Zahl der Kinobesucher, die sich hauptsächlich für die Wochenschau in- teressierten le, so daß das Reichspropagandaministerium die Lichtspieltheater und die Reichspropagandaleitung der NSDAP die Gaufilmstellen anwiesen, »Lustspielfilme« allmählich aus den Programmen zu nehmen19 und statt dessen Sondervorführungen von Wochenschauen zu veranstalten20. Ab Mai 1940 wurden darüber hinaus selbstän- dige »Wochenschaukinos« eingerichtet, die, wie beispielsweise in Berlin, stündlich von 10 — 22 Uhr die neue Wochenschau spielten und dazu einen Kulturfilm und einen »zeitnahen« Kurzspielfilm anboten21. Die Reaktion der Zuschauer auf die Wochen- schau, wöchentlich im gesamten Reiche ermittelt, bildete eine wichtige Quelle der Geheimen Staatspolizei für ihre Erkenntnisse über die allgemeine Stimmung in der Bevölkerung22. Woran lag es nun, daß sich die Wochenschauen in Deutschland nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges so sehr des Ansehens großer Teile der Öffentlichkeit erfreu- ten? Von ausschlaggebender Bedeutung für den Erfolg dürfte die Konzentration der Wochenschauen gewesen sein, d.h. jene Zwangsvereinigung der vier Wochen- schauen, die im Jahre 1939 in Deutschland noch bestanden — Ufa-Tonwoche, Deu- lig-Tonwoche, Tobis-Wochenschau und Fox Tönende Wochenschau —, zu einer einzigen Wochenschau, die ab 20. Juni 1940 den Namen »Deutsche Wochenschau« trug und bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges erschien. Für Goebbels bot diese Zusammenlegung den Vorteil, daß er jede Ausgabe der Wo- chenschau bis ins Detail beeinflussen und kontrollieren konnte. Uberhaupt hat er sich während der Kriegsjahre weitaus mehr um die inhaltliche, optische und akustische Gestaltung der Wochenschau gekümmert, als aus seinen Verlautbarungen auf den 54 Ministerkonferenzen im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda zum Ausdruck kommt23. Aus seinen unveröffentlichten Tagebüchern geht hervor, daß er sich wöchentlich zwei Abende für die Herstellung der Wochenschau reser- vierte; am ersten wurde ihm der Rohschnitt mit Geräuschen und Kommentar vorge- führt, wobei er oftmals entscheidende Änderungen verlangte, am zweiten sah er die endgültige Fassung mit der zuletzt angebrachten Musik24, die auf seine besondere Anordnung hin stets »heroischen« Charakter haben mußte25. Gewiß hat Goebbels in seinen Tagebüchern seinen Anteil an der Produktion der Wochenschau erheblich überschätzt, aber es gelang ihm, seine Vorstellungen von der inhaltlichen und äuße- ren Form weitgehend zu realisieren: Keine Berichterstattung im üblichen Sinne von den einzelnen Kriegsschauplätzen als primäre Aufgabe der Wochenschau, sondern scheinbar wirklichkeitsgetreue Zusammenstellungen von Aufnahmen zur Verherrli- chung des Kampfes, des Sieges und des Heldentums der deutschen Soldaten. »Er- schütternd«26, »hinreißend«27, »ergreifend«2', »atemberaubend«29, »filmisches Epos deutschen Heldentums«30 waren denn auch die Attribute, mit denen er die Deutsche Wochenschau in seinem Tagebuch bedachte. Solche »Berichte« wollte das Publikum in der Frühphase des Zweiten Weltkrieges sehen. Es waren gleichsam Stolz und Be- klommenheit, mit denen die Zuschauer die Bilder vom Kriegsgeschehen aufnahmen: Stolz auf die heldenhaften Taten der deutschen Soldaten, Beklommenheit über die unübersehbaren, ja unvorstellbaren Folgen, die der zunächst unaufhörliche, in der Wochenschau noch übersteigert dargestellte Vormarsch der deutschen Heere im We- sten, Norden und Süden Europas haben mußte. Vor allem die Ausgaben der Wochen- schau zum Polen- und Frankreichfeldzug beherrschten das gesamte deutsche Filmge- schehen in jener Zeit. Sie beeinflußten die Themen des Spielfilms — »Kampf, Kame- radschaft, Technik, Führertum und sinnbildliche Themen, die am geschichtlichen Bei- spiel den großen Zeitwandel beschreiben«31 —, und galten als Vorbild und Maßstab für deren künstlerische Gestaltung: »Der Druck der energiegeladenen Zeit drohte den einzelnen fast zu isolieren. In den Wochenschauberichten vom Polenfeldzug hatte er zum ersten Male das aufwühlende Erlebnis, daß er
Details
-
File Typepdf
-
Upload Time-
-
Content LanguagesEnglish
-
Upload UserAnonymous/Not logged-in
-
File Pages18 Page
-
File Size-