Zwischen Den Heimaten Jizchak Schwersenz, Deutsch-Israelischer Pädagoge (1915–2005) Gregor Pelger

Zwischen Den Heimaten Jizchak Schwersenz, Deutsch-Israelischer Pädagoge (1915–2005) Gregor Pelger

Seite 13 Beiträge zur Beraubt deutsch-jüdischen Geschichte aus dem Salomon Ludwig Seite 5 Seite 16 Steinheim-Institut Bedacht Bezeugen an der Universität Duisburg-Essen 18. Jahrgang 2015 Heft 3 Zwischen den Heimaten Jizchak Schwersenz, deutsch-israelischer Pädagoge (1915–2005) Gregor Pelger as ist Heimat? Heimat ist vor allem dort, wo derstandsgruppe jüdischer Jugendlicher, die Wdas Elternhaus gestanden hat, wie auch das Schwersenz 1943 in Berlin in den Untergrund Verhältnis von Eltern zum Kinde gewesen sein mag. folgten und die er in finsterster Zeit im Sinne seiner Der Mensch bleibt, ob er will oder nicht, mit seinem zionistischen Überzeugung geistig und menschlich Geburtsort, mit seinem Geburtsland tief verwur- stärkte. zelt. Dort ist seine Heimat. Besonders den älter wer- Hans-Joachim Schwersenz wurde am 30. Mai denden Menschen zieht es zurück zu seinen Wur- 1915 in Berlin als ein Kind des Ersten Weltkriegs zeln. Nun kann es sein, daß das erwachsen gewor- geboren – in einer Zeit, in der sein Vater, nach dene Kind eine neue Heimat gründet, die ihm Hei- Wilhelm II. benannt, „für Gott, Kaiser und Vater- mat wird, und so ist mir Israel zur zweiten Heimat land voller Überzeugung hinauszog und kämpfte, geworden. Eine Heimat (…) in der man sich zu- an der französischen und an der russischen Front, rechtfinden muß. Es ist für uns, als ob wir das Haus eines Urahnen wiedergefunden hätten.1 Das wechselseitige Verhältnis von Heimat und Exil war für Jizchak Schwersenz ein Thema, das sich als Konstante durch sein Leben zog, ihn maß- geblich prägte – bewusst, aber auch ungewollt. Da- bei widersprachen sich die Begriffe Heimat und Exil, wie man vielleicht zunächst vermutet, für Schwersenz nicht. Sie bildeten ein komplementäres Paar, das untereinander austauschbar und zugleich ineinander verwoben die Dialektik seiner Identität als „Deutscher und Jude“ zwischen Deutschland und Israel gestaltete. Eine andere biografische Konstante war die päd- agogische Arbeit: Schon früh engagiert in jüdischen Jugendorganisationen, wählte er den Lehrerberuf, mit dem er während und nach der Shoah jüdischen Kindern Lebenssinn zu vermitteln suchte. Nach sei- ner Alija setzte er seine didaktischen Fähigkeiten in verschiedenen israelischen Bildungseinrichtungen ein und fand als Pädagoge im Dialog schließlich sei- nen Weg nach Deutschland zurück. Beide Lebenslinien beeinflussten die Gründung des Chug Chaluzi („Kreis der Pioniere“), einer Wi- Jizchak Schwersenz 1932 JUGENDBEWEGUNG unweit der Stelle, wo ihm der Dank seines Vater- gen des jüdischen Volkes“ und er „vernahm von landes gewiß war, in Auschwitz“.2 Wilhelm der alten, neuen Heimat in Palästina“: Schwersenz wurde im Januar 1943 nach Auschwitz deportiert. Auf die Überredungsversuche des Wir wanderten durch den deutschen Wald, durch Sohnes, gemeinsam unterzutauchen, hatte er mit deutsche Städte und übernachteten in Burgen oder Ablehnung reagiert aus der tiefen Überzeugung Jugendherbergen, wir sangen deutsche Wanderlieder heraus, „in einem Kulturstaat wie Deutschland und Landknechtslieder, aber wir träumten auch von können nie so furchtbare Dinge geschehen“, wie sie der Sonne Palästinas und lebten und litten das Le- Jizchak befürchtete, zu Recht. Solch ein Gefühl der ben der jungen Pioniere, der Chaluzim, im Lande Zerrissenheit in Raum und Zeit, die seine Familien- der Väter. Wir sangen hebräische Lieder, die aus Pa- geschichte aber auch das eigene Schicksal bestimm- lästina herübergekommen waren, oder auch deut- te, prägte bereits den jungen Hans-Joachim: sche Lieder jüdischen Inhalts wie zum Beispiel: Als Kind lernte ich in der Volksschule, der Ge- Dort wo die Zeder schlank die Wolke küßt, meindeschule 15/16 in Berlin Charlottenburg, und dort wo die Asche meiner Väter ruht, später im Schiller-Realgymnasium. Ich sang mit Be- dort wo die schnelle Jordanswelle fließt, geisterung am Ende der Schulferien mit allen ande- dieses schöne Land am blauen Meeresstrand, ren ‚Deutschland, Deutschland über alles, über alles das ist mein liebes Heimatland. in der Welt‘, ich lernte die deutsche Muttersprache, aber an den Nachmittagen besuchte ich die Religi- Die Gemeinschaft in der jüdischen Jugendbewe- onsschule der Jüdischen Gemeinde. Hier lernte ich gung, die Besinnung auf religiöse Bräuche und die von Judas, dem Makkabäer, vom Ersten und Zwei- Geschichten vom ‚Altneuland‘ bewirkten die Festi- ten jüdischen Staat und Tempel, und ich erlernte die gung seines jüdischen Selbstbewusstseins. Unmittel- hebräische Sprache. Ich war also ein deutsches Kind, bar damit verband sich die zionistische Sehnsucht. und ich war ein jüdisches Kind. Doch auf dem Mit seiner Bar Mizwa drängte er die Mutter, den Nachhauseweg oder auf dem Schulhof mußte ich ru- Haushalt koscher zu führen und nahm seinen he- fen hören: ‚Jude Itzig‘, und so manches Mal einen bräischen Namen Jizchak („Gott lächelt, dem Kind Steinwurf oder Schläge ertragen. Und auf meiner zu“) an – eine Entwicklung, die der Vater ablehnte Schulbank fand ich einmal, was ich bis heute noch und die Mutter nur schweren Herzens unterstützen auswendig kann, so sehr hat es mich gekränkt, einen wollte. Je mehr Schwersenz sich in der zionisti- Zettel mit der Aufschrift „Jude Itzig Lebertran, Jude schen Jugendarbeit engagierte und dabei zuneh- in der Eisenbahn, Jude mit dem krummen Been, Ju- mend mit nationalsozialistischen Gruppen in Kon- de, Dir wird’s schlecht ergeh’n“ – gleichsam prophe- flikt geriet, umso konkreter wurden seine Pläne für tische Worte in den zwanziger Jahren. die Auswanderung nach Erez Israel. Kurz vor seinem Abitur 1933 kehrte Schwersenz Im Spannungsfeld von deutschem Patriotismus, wegen befürchteter Repressalien von einer Hol- jüdischer Tradition und antisemitischer Anfeindung landreise nicht zurück. Hier im Exil „entstand der wuchs Schwersenz auf. 1921 hatten die Eltern sich Wunsch nach einer neuen Heimat“ und er bereitete scheiden lassen und Hans-Joachim blieb bei seiner sich mit einer Hachschara (landwirtschaftlichen Mutter Helene in der Berliner Straße 154 (heute: Ausbildung) auf seine Alija vor. Doch anstatt nach Fahrt in die Natur Otto-Suhr-Allee) in Charlottenburg. Gegen den Palästina zu gehen, wurde er 1935 vom orthodoxen Antisemitismus, den er täglich erfuhr, bot ihm die Brith Chaluzim Datiim (kurz Bachad, „Bund der re- jüdische Tradition zunehmend Halt: Mit neun Jah- ligiösen Pioniere“) nach Deutschland zurückgeholt, ren trat er dem Jugendbund Esra bei, mit dreizehn um die rapide steigende Zahl an Ausreisewilligen zu wechselte er zur Pfadfindergruppe Kadima („Vor- unterstützen. Die landwirtschaftlichen Kollektiv- wärts“). In dieser Gemeinschaft fühlte er sich si- ausbildungsstellen (30 Einrichtungen 1937) der jü- cher, hier fand seine Persönlichkeit als Deutscher dischen Jugendbünde wie Hechaluz („Der Pionier“) und Jude Entfaltung. Er lernte auf den „Heim- oder Bachad zogen zunehmend Jugendliche an, da abenden“ von der „Geschichte, von der Kultur, hier auch „Arbeitszertifikate“ zu erhalten waren, 2 dem Leidensschicksal und den großartigen Leistun- die von der britischen Mandatsregierung nicht aus- JUGENDHILFE reichend freigegeben wurden. Diese Rückkehr in de, deren Mutter Christin das nationalsozialistische Deutschland wurde für war und die sich stets zu Schwersenz zum „Exil in der Heimat“: den Verfolgten, den Ge- ächteten und Leidenden Ich arbeitete nun als Heimleiter in Köln und spä- bekannte. Sie forderte ter in Berlin mit Jugendlichen, die sich auf ein Leben mich auf unterzutau- in Palästina vorbereiteten. Ich war in der Bundeslei- chen, aber ich wehrte zu- tung unseres ‚Jüdischen Pfadfinderbundes Deutsch- nächst ab, als sie mir den lands‘ tätig und unterrichtete in jüdischen Schulen, Gedanken nahebringen selbstverständlich, denn jüdische Schüler und Lehrer wollte. Sie aber machte waren seit 1933 Schritt für Schritt von den allgemei- mich darauf aufmerk- nen Schulen ausgeschlossen worden. Uns Lehrern sam, daß ich aus dem war die Aufgabe gestellt, der nun so isolierten jüdi- Untergrund heraus bes- schen Jugend neuen Halt, neue Kraft und Inhalte zu ser versuchen könnte, un- geben. Da uns auch die Universitäten inzwischen sere Schüler und Schüle- verschlossen waren, studierte ich in der jüdischen rinnen zu retten. Religionslehrerakademie in Köln, absolvierte dort das Religionslehrerexamen und konnte 1939, im Viele Jugendliche aus letzten Ausbildungsjahr, an der jüdischen Lehreraus- der ehemaligen Jüdi- bildungsanstalt in Berlin noch Volksschullehrer (heu- schen Jugendhilfe te: Grundschullehrer) werden. folgten Schwersenz. Nach der sogenannten „Fabrikaktion“ am 27. Feb- Ausflug nach Havelberg 1941 Getreu der Aufforderung „Aufbau im Abbau“, ruar 1943 hatte er zusammen mit Ewo die Gruppe die Leo Baeck als Präsident der „Reichsvereinigung Chug Chaluzi („Kreis der Pioniere“) gegründet. der Juden in Deutschland“ in einer Rede an Ju- Mit Ausflügen, religiösen Zusammenkünften, kul- gendleiter und Verantwortliche der Jugendarbeit in turellem Unterricht und zionistischem Programm Deutschland 1940 gerichtet hatte, schloss sich versuchte die Gruppe sich der geplanten Vernich- Schwersenz mit allen Kräften dem Unternehmen tung zu widersetzen. Einzelne Mitglieder wurden an, ein jüdisches Erziehungswerk im nationalsozia- von der Gestapo aufgespürt, doch der Großteil die- listischen Deutschland aufzubauen. Er selbst be- ser etwa 40 Personen umfassenden Gemeinschaft tonte später: „So eigenartig es klingen mag, das überlebte das nationalsozialistische Regime. Jahr 1940 kann als ein Blütejahr des jüdischen Er- ziehungswerks in Deutschland, insbesondere in Das Schicksal

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