Mit der Ambivalenz des Rombildes befasst sich ausgehend von einem Zitat Marie Luise Kaschnitz’ der im Schnittfeld von Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte angesiedelte Beitrag von Richard Faber. Rom ist schön geblieben, war aber immer auch grausam, selbst wenn eine spätestens mit Goethes Vater Johann Caspar beginnende Tradition dies geflissentlich über- sah. Allein schon eine umfassende Rezeption des graphischen Werks Gio- vanni Battista Piranesis hätte dies verhindern können. Bei der katholischen Schriftstellerin Gertrud von Le Fort bereits vor 1933 – obgleich nur implizit, bei Wolfgang Koeppen nach 1945 dann aber explizit – wird Piranesi zum frühen Zeugen eines macht- und gewaltkritischen Rombildes. Die (selbst)- mörderischen Potenziale der nicht ganz so Ewigen Stadt werden, zumal seit Mussolini und Hitler, nicht länger mehr mit Schweigen übergangen. Anders dagegen das ganz in der Tradition Goethes befindliche Römische Erinnerungsbuch (1949) Werner Bergengruens: Vermeintlich ein anlässlich des Heiligen Jahres 1950 entstandener Reiseführer, entpuppt es sich bei genauerer Lektüre als Darlegung von dessen Abendland-Ideologie, in deren Zentrum die Hoffnung auf die Restitution eines christlich geprägten sacrum imperium mittelalterlicher Provenienz steht. Gedanklich schließt sich das Römische Erinnerungsbuch, wie Ralf Georg Czapla nachweist, an die Ge- dichte von Der ewige Kaiser (1937) an, die 1951 in zweiter Auflage erschie- nen. Mit seiner selektiven Wahrnehmung rezenter Geschichte offenbart sich das Römische Erinnerungsbuch des zu den Autoren der „Inneren Emigrati- on“ gezählten Bergengruen als ein Dokument geschickter Verdrängung faschistischer wie nationalsozialistischer Vergangenheit, das die Chance zu einer Aufarbeitung des Geschehenen ungenutzt lässt. Vergangenheit in literarischen Texten gegenwärtig werden zu lassen, ist das Anliegen der aus Czernowitz stammenden, später in Deutschland und den USA beheimateten jüdischen Lyrikerin Rose Ausländer. Alessandra D’Atenas Augenmerk gilt der Interaktion zwischen Text und Leser, die eine der drei Ebenen bildet, auf der sich in Ausländers Gedicht Rom II Dialogizi- tät manifestiert. Untersucht sie auf der einen Seite die sprachlichen und sti- listischen Mittel, durch die das Gedicht den Leser zu einem Dialog mit und über die Sprache des Textes einlädt und den Dialog aufrecht erhält, so geht sie auf der anderen aus einer zweifachen Perspektive den Entwicklungsten- denzen in der lyrischen Sprache Rose Ausländers nach: Dabei rekonstruiert sie nicht nur die Genese des Gedichtes, sondern untersucht auch die Bezie- hung zwischen der veröffentlichten deutschen Fassung des Gedichtes Rom II und drei anderen Romgedichten der Autorin. Jost Eickmeyer wendet in seinem Beitrag das theoretische Konzept der „Einflussangst“, das der amerikanische Literaturwissenschaftler Harold Bloom entwickelte, auf die deutschsprachige Romdichtung der fünfziger bis siebiger Jahre an. Am Beispiel von Wolfgang Koeppens Der Tod in Rom und Neuer römischer Cicerone, Marie Luise Kaschnitz’ Engelsbrücke und Rolf Dieter Brinkmanns Rom, Blicke zeigt er, mit welchen Strategien Auto- ren auf den Einfluss „starker“ Vorläufer reagieren und ihre eigene Dichtung zu behaupten suchen. Christopher Andres und Michael Braun weisen nach, dass das Rombild von Stefan Andres (1906–1970) zeitlebens von erstaunlicher Konstanz ge- blieben ist. Weder die Erfahrungen, die er mit seiner Familie in der „Inneren Emigration“ im faschistischen Italien machte, noch die modernistischen Dekonstruktionen der klassischen Rom-Wahrnehmung haben seiner von Humor und maßvoller Kritik getragenen Sympathie für die Italianità etwas anhaben können. Der Beitrag zeichnet anhand von Selbst- und Zeitzeugnis- sen die biografischen Stationen von Stefan Andres in Rom und in Italien nach und fasst am Beispiel der Rom-Kapitel in der Sintflut-Trilogie (1949– 1959) und der Erzählung Auf der Engelsbrücke (1939) die Grundzüge seines literarischen Bildes von der italienischen Hauptstadt zusammen: die Begeg- nung von Sakralität und Profanität, die Wechselbeziehung von Transzen- denz- und Vergänglichkeitserfahrung, die Selbstbehauptung des Künstlers und seines Kunstwerks gegenüber der Macht. Andres’ literarisches Rombild zeigt sich dabei von klassischer Modernität. Es vereinigt die „magische“ Kraft des kulturellen Bildungserlebnisses mit einem transnationalen Blick auf die Stadt und ihre Bewohner. Stefan Andres hat Rom kein ewiges Denkmal in der Literatur gesetzt, aber er hat in horazischem Geiste sein Bild vom Dichter und seine Biografie in der Welthauptstadt Rom verewigt. Nicola Bietolini stellt in seinem Beitrag die Rom-Beschreibung in Pauls Nizons Canto kontrastiv derjenigen in Wolfgang Koeppens Der Tod in Rom gegenüber. Wie Koeppen so nimmt auch Nizon die italienische Hauptstadt nicht als heilige, sondern als weltliche Stadt wahr. Trotz ihrer poetologisch unterschiedlichen Grundierung treffen sich beide Texte einerseits im Lob Roms als eines symbolischen Ortes, in dem sich Vergangenheit und Gegen- wart verschränken, vernachlässigen andererseits aber die unübersehbaren Defizite der modernen Metropole nicht. So setzen sie dem antiken und sehn- suchtsvollen Mythos ‚Rom‘ das beängstigende Bild einer verderbten und chaotischen weltlichen Stadt entgegen. Einen veritablen Fluchtraum bietet Rom in den Jahren 1962 und 1963 dagegen dem Schriftsteller Alfred Andersch. Anderschs Italienreise ist nicht nur die Erfahrung eines Mannes, der in Rom die Befreiung von den un- durchschaubaren Mechanismen des Alltags sucht, sondern auch und über- haupt die Dienstreise eines Schriftstellers, der die deutsche literarische und kulturelle Wirklichkeit erneuern will. Andersch flüchtet sich aus einer ver- walteten technisierten Industriegesellschaft, in der die Realität dem Men- schen entrückt ist, um in Rom jene Freiheit zu finden, in der individuelle Selbstverwirklichung möglich wird. In Rom, der Heimat der italienischen Neorealisten Moravia, Gadda und Pasolini, gewinnt für Andersch der Glau- be an eine demokratische Erneuerung Europas im Sinne eines sozialistischen Humanismus konkrete Gestalt. In der italienischen Intelligenzia entdeckt er für die antifaschistischen Autoren der deutschen Nachkriegszeit das Muster eines gemeinsamen Engagements, der wahren Abbildung der Wirklichkeit und der Schaffung eines neuen Menschenbildes. Heinrich Böll, der etwa zur gleichen Zeit wie Andersch die literarische Bühne der jungen Bundesrepublik betrat, verdankt seinen Ruhm als Autor von Reiseliteratur dem Irischen Tagebuch (1957), mit dem er eine Irland- Begeisterung auslöste, die sich allmählich von Deutschland auf ganz Europa ausbreitete. Italien hingegen war für ihn zweifellos weniger interessant. Der italienischen Hauptstadt widmet er mit Rom auf den ersten Blick (1961) nur einen einzigen, sehr knappen Bericht, in dem er seine ersten Eindrücke von der Ewigen Stadt wiedergibt. Ausgehend von formalen Strukturen und ins- besondere von der Interpunktion, arbeitet Anna Fattori in ihrem Beitrag den poetologischen Charakter dieses scheinbar unbedeutenden Textes heraus und erweist ihn als Paradigma für die Koinzidenz von Form und Inhalt. Die Zei- chensetzung besitzt dabei einerseits eine subjektive Funktion, indem sie der Flüchtigkeit der Eindrücke des Subjektes Rechnung trägt, und andererseits zugleich eine objektive, fast schon mimetische. Die auf das Momentane bedachte und das Definitive vermeidende Interpunktion wirkt als formale Widerspiegelung dessen, was beschrieben wird, nämlich der Lockerheit der römischen Lebensweise und der römischen Verhältnisse. Fabio Pierangeli befasst sich in seinem Beitrag mit der Inszenierung von Friedrich Dürrenmatts Komödie Romulus der Große (1949) durch Giuseppe De Martino 1965 auf dem Palatin, dem Zentrum des antiken Rom an sich. Das ‚kanonische‘ Bild des kaiserlichen Roms wird in dieser suggestiven und höchst symbolischen Aufführung in Frage gestellt, hat der seltsame Kaiser den gackernden Hühnern doch den Namen der Ewigen Stadt gegeben, die inzwischen von den Germanen erobert zu werden droht. Pierangeli flankiert seine Beobachtungen durch die Interviews, die Dürrenmatt zahlreichen Zei- tungen gab, als er einige Zeit in Italien verbrachte, um die Aufführungen seines Stückes zu besuchen. Unterschiedliche Facetten des Werkes von Ingeborg Bachmann nehmen Thomas Homscheid und Christiane Ruth Meister in den Blick. Bachmanns Leben und Werk ist eng verknüpft mit ihrer Wahlheimat Italien, wobei ins- besondere die Stadt Rom als Ort der veränderten sinnlichen Erfahrung ein unverzichtbares Element ihrer Produktionsästhetik bildet. Thomas Hom- scheid untersucht die unterschiedlichen Ebenen der Repräsentanz und die Divergenzen des Rom-Diskurses im lyrischen, essayistischen und journalis- tischen Werk Ingeborg Bachmanns. Vor allem anhand der vor wenigen Jah- ren wiederentdeckten journalistischen Texte, die Bachmann für die West- deutsche Allgemeine Zeitung schrieb, lässt sich der Rom-Diskurs nicht nur als sinnliche Utopie skizzieren, sondern die Autorin zugleich auch als wache Beobachterin ihrer Zeitgeschichte beschreiben. Diesen Aspekt nimmt Chris- tiane Ruth Meister in den Blick, indem sie nach der Sprache und den The- men der jungen Autorin fragt und auf der Grundlage eines Vergleichs mit der Romberichterstattung von Kollegen der Frankfurter Rundschau, der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine journa- listische Einordnung von Bachmanns Texten vornimmt. In Thomas Bernhards letztem großen Roman Auslöschung, mit dem sich Gabriella Catalanos Beitrag
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